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Full text of "Archiv für wissenschaftliche kunde von Russland"

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wissenschaftliche  Kiuide 


von 


R  u  s  s  I  a  n  d. 


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Herausgegeben 


▼on 


A«  K  r  m  a  n» 


Elfter    Band. 


Mit  fdnf  Tafein. 


Berlin, 

Veriag  von  Georg  Reimer. 
1852. 


Archiv 


far 


wissenschaftliche  Kunde 


von 


R   u  s  s   I  a   n  d. 


Herausgegeben 


von 


A.     E  r 


Elfter    Band. 

¥ierte«    Heft. 

Mit  einer  Tafel. 


Berlin^ 

Yerlag  von  Georg  Reimer. 

1852. 


Inhalt  dies  Elften  Bandes. 


^1  Pliyslkall«eli-niatlieiiiati«elie  mfc'iiMieiiMeliafUeii. 

r 
L 

Seile 

Nachricbten  uber  drei  pharinakologisdi  -  wichtige  Pflanzen  und  iiber 

die  grofse  Salzwuate  in  Persien.     Von  Herrn  F.  A.  Bulise.  .         1 
Ucber   die  Kntwickelung  der  Cosmelia  Hydrachnoi'des  aua  deni  Dot- 

ter  des  Tergipes.    Von  Professor  Nordmann 13 

Jagd  and  Fischfang  der  Syrjanen  im  Goaverneoient  Wologda.       .     .      28 

fiine  Englische  Kxpedition  ziim  Sibiriscben  Kisnieer 98 

Ueber    die    verschiedene    KnUtebung  der  Steinsalzablagernngen    in 
den    Karpatben    und    in    den  Salzburger   A^ien.      Von    Herrn 

Zeascbner  in  Krakau 129 

Ueber  den  Kinflols  der  in  dem  Acl^ecboden  entlialtenen  Eisenoxyde 
und  Thonarten  auf  die  Absorption   des  Ammoniaks  durch  den- 

I  selben.     Von  Herrn  A.  Giedwillo. 141 

Lieutenant  Pirns  Reise.  ...'....) .     <.    166 

Hulfsleistung  der  russiscb-amerikanischen  Compagaie  bei  den  Eng- 

liachen  Kxpeditionen  zur  Aufsacbong  Franklin's 175 


VI 

Seite 

Ueber  die  nationalen  Kraifkheiten  in  Russiand.     Von  Dr.  E.  Ruaa- 

dorf.       194 

Reiaen  der  Finnlandischen  Scbiffe  Atcba  and    Freya  am  die  Welt      227 
Ueber  eine  ini  Jahre  1850  ausgefabrte  bergmanniacbe  Expedition  in 

das  Wercbojaner  Gebirge.    Hierza  Taf.  1  —  4 292 

Geognoatiscbe  Benierkangen  iiber  das  Wercbojaner  Gebirge.    Nacb  dem 

Rassiscben  von  Herrn  Meglizkji 317 

Die  Stadt  Turucbansk 337 

Arbeiten    der    Rassiscben    Geograpbiscben    Gesellschaft     iin    Jabre 

1851 378 

Versacbe  iiber  die  Anwendung   der  Bikfordscben  Zandrobren  beim 

Scbielsen  in  den  Bergwerken.     Vod  Hrn.  Mikiaschewakji.     491 
Uebersicbt  der  Bergwerksindustrie  in  Rnssland.    Nacb  dem  Rassiscben 

der  Herren  Tscbewkin  und  Oserskji 509 

Die  Halbinsel  Mangyscblak.    Nacb  dem  Rassiscben  von  Herrn  I.  M. 

Iwanow.    Hierza  Tafel  5 642 


HlMt^rUielt-llnsulatlsclie  l¥la«en«cliiiileit* 


Einige  Worte   uber   den  Boddbismiia.    Von  Herrn  C.  F*  Koppen. 

51,  250,  450 

Scenen  aus  dem  Leben  in  Grusien 167 

Die  innere  Einricbtang  der  Goldnen  Orda.     Nacb  deoi  Rassiscben 

von  Herrn  Bargain 181 

Ein  Jarlyk  des  Tochtaroysch  in  altmongoliadier  Scbrift 185 


VII 

Wallfalirt  z«  den  KlMtern  des  Ladoga-Sees.  Von  Dr.  K.  MiiraU.  232 
Ueber    die  Bedentung    der  Altelawisclion   Gbtzenbiider  welclie  Wla- 

dimir  in  Kiew  anfstellte.     Nacli  dem  Rnssisclien 279 

Haltische  Skizzen  oder  Yor  funfzig  Jaliren 365  and  476 

Ai'beiten     der    Rnssischen     Geograpliiacben     Geaelltchaft    im    Jahre 

1851 378 

Nachrichten  iiber  die  sogenannten  Schwarzen  Kirgiaen 401 

Ein  tartarisches  Lustspiel 415 

Nicolai   Tornau*t  Werk   liber  die  Grandsatze  der   miiselmanniachen 

Reclitswistenscliaft.    Nach  dem  Rnssischen '.  561 

Bericht  eines  Rnsaiscben  Handelareisenden  iiber  Taschkent      .     .     .  570 

Das  Reich  Kokand  in  teinein  beutigen  Znstand 580 

Scbreiben  eines  Rnssen  a  us  Californien 628 

Die  Halbinsel  Mangyscldak 642 

Rrinnernng  an  die  Kisten 684 


Industrie  nnd  Handel. 


Jagd  und  Fischfang  der  Syrjanen  im  GoaVernement  Wologda.       .    .  28 

Ueber  den  Jahrmarkt  zn  frbit  im  Permscben  GonTernement.    .     .     .  108 

Die  Stadt  Torocbansk 337 

Die  Flachsbaamwolle  anf  der  Londoner  Aassteliong.     Ein  Vortrag 

des  Petersbarger  Akademiker  Ham  el 347 

Kin  Rnssisdies  Urtbeil  iiber  die  Russiscbe  Abtheilnng  der  Londoner 

Aasstellung.    , .  384 

Uebersicht  der  Bergwerksiildiistrie  inRossland.    Nach  dem  Rossischen 

der  Herren  Tschewkin  and  Oserskji 509 


vni 

Seite 

Ans  dem  Bericht  der  Ruwisch-'AnierikMiiclien  Handebcompagftie  flir 

das  Jahr  1850  «- 1851 621 


Allffcmein  liittorariseliefl. 

Typographische    Seltenheiten    der   Oeffentlichen    Bibliothek  za    St. 

Peteraburg. 22 

Die  Litteratur'  in  Kasan.    Nach  dem  Roasischen 341 


Archiv 


far 


wissenschaftliche  Kiinde 


von 


Russian  d. 


Herausgegeben 
▼on 

A«     K  r  WKk  m  Urn 


Elfter    Band. 


r«te«    Heft. 


Berlin, 

Yerlag  tod  Georg  Reimer. 

18  52. 


Nachrichten  liber  drei  pharmakologisch-wichtige 
Pflanzen  und  uber  die  grosse  Salzwuste  in 


Von 

Herrn  F.  A.  Buhse*). 


W  lihrend  meines  Aufenthalts  in  Persien  bemtihte  ieh  mich, 
die  bisher  wenig  oder  gar  nicht  bekannten  Mutterpflanzen 
mehrerer  seit  Alters  gebrauchlichen  Gummiharze  kennen  zu 
lemen.  Dies  gelang  mir  insbesondere  mit  der  das  Gaibanum 
liefemden  Pflanze.  Ich  bin  daher  im  Stande  die  friihern  An- 
sichten  iiber  dieselbe,  welche  sich  lediglich  anf  die  Untersu* 
chung  der  dem  kauflichen  Stoffe  beigemengten  Friichte  sltitz- 
ten,  zu  berichtigen,  und  die  wahre  Mutterpflanze,  deren  n&here 
Beschreibung  ich  roir  far  eine  spatere  Gelegenheil  vorbehalte, 
mit  Sicherheit  nachzuweisen. 

Am  Fufse  und  an  den  Abhangen  des  Demawend  fand  ich 
im  Juni  1848  auf  felsigen  Stellen  eine  Umbellifere,  zur  Gal* 
tung  Ferula  gehorig,  welche  mir  durch  eine  eigenlhiimlich 
riechende,  reichlich  am  Stengel  austretende  Fliissigkeii  auffiel. 
Die  Fuhrer  bestatigten  sogleich  einstimmig  meine  Vermuthung, 
dafs  diese  letztere  Gaibanum  sei.  Diese  Pflanze  erreicht  eine 
Hohe  von  4  bis  5  Fufs.    Die  Wurzel  isl  grofs,  oberhalb  ver- 


*)  A  08  dem  Balletin  der  Moskaaer  Natorfonchenden  Geselltchaft  1850. 
No.  IV  Hiid  daMlbst  nach  einer  Mittbeilavg  aas  Riga  Ang.  9  1850. 
Ermans  Rass.  Archiv.  Bd.  XI.  H.  4.  1 


2  Physikalisch  -  niathematische  Wissenscbaften. 

dickt,  iistig,  und  enthalt  wenig  harzigen  Saft.    Der  Sleng€ 

am  Grunde  einen  Zoli  und  dariiber  dick,   mit   weissem  Mai 

angefiillt,  ist  stielrund  und  oberhalb   verzweigt.    Die  Blatte 

weiche  mit  einem  an  der  Basis  scheidig  erweiterten  Biattstie 

versehen  sind,  haben  eine  im  Umriss  raulenformige  oder  ianj 

lich  elliptische  Form;   die  untern  1^  bis  2  Fufs  lang,  iiber 

Fufs   breil,   die  obern   viel  kleiner.     Sie  sind  vierfach-fiede 

^ehftilHg  un4    die  AbsrohnilUe  lettief  Ordining  eifdrmig  od 

oblong,  sehr  klein^  5  bis  7  lappig,   elvvas  (leischig.    Die  gc 

'  ben  Bliilhen  sind  zwitterig  oder  durch  Fehlschlagen  mannli< 

(besonders  an  den  seitlichcfA  DDlden);  sie  slehen  in  zusamme 

gesetzlen,  gestielten  Dolden,  deren  Hiillen  und  Hiillchen  a 

die  Scheiden  reducirt  sind,   und   friih  abfallen  oder  ganz  fe 

len.      Die    5    Kelchzahne    undeutlich.      Die   5    Kronenblalt 

schmal-lancetlformig,  an  der  Spitze  eingebogen.     Die  Stau 

gefasse  mit  verliingerten  Staubfaden   und   in  der  Mitte  an^ 

be^eten>  fast  eiformigen  Skaubbeuteln.    Die  Griffelpolster  si 

mehrfach   kleiner  als    die   in  der  Biiithe    aufrechten,    spal 

auriickgekrummten    Griffel.      Die    Narben     kopfformig.      E 

Friichte  5  bis  6  Linien  lang,  2  bis  3  Linien  breit,  sind  ell 

tischi  vom  Riicken  her  zusammengedriickt.     Die  TheilfriicJ 

mit  3  bis  4ladenfarmigeQ  Riickenriefen  und  2  in  den  eingel 

genen  Rand   iibergehenden  Seitenriefen.     Die  Thalchen  e 

«lrtemig  mit  zusammenfliefsenden   Striemen^  die  reich  gefi 

mit  Gummiharz  sind.     Die  Commissur  ist  striemenlos. 

Die  so  beschaffene  Pflanze  scheinl  von  Ferula  erubesc< 
Boiss.  Boissier  in  annaies  des  sciences  III.  Ser.  1844.  p.  «^ 
hauptsachlich  durch  das  Fehlen  der  Commissuralstriemen  v 
schieden.  Indess,  abgesehen  noch  von  einigen  andern  unt 
^cheidenden  Merkmalen  (wie  die  Grofse  der  Friichte, 
Form  der  Blatter),  wird  weder  von  Aucher-EIoy,  noch  i 
Kotschy,  die  Beide  die  Ferula  erubescens  Bois.  gesamn 
haben^  ak)gegeben,  dass  sie  Galbanum  erzeugt;  was,  wenn 
der  Fall  gewesen,  ihnen  schwerlich  hatte  entgehcn  konn 
Ob  nun  beide  Pflanzen  str^ig  geschiedene  Arten  oder  t 
Varietaten  derselben  Art  eind,  wage  ich  noch  niehl   zu    < 


Nacbricbten  iiber  drei  pbannakoiogwcb-wlcbtige  Pianxen  etc.       3 

sdieiden.  Gewias  ist  aber,  dass  die  von  Don  aufgestfUte 
Gaitung  GalbanuiDy  welche  er  ziir  Tribus  di^r  Silerioeae  bringt, 
unhallbar  i^t;  und  dafs  wahrscheinlich  die  Lindleysche  GaUung 
Opoidia  (in  die  Tribus  der  Smyrneae  eingereibt)  ebeoao* 
W^nig  als  MuUerpflanze  dea  Galbanum  gelten  kann;  es  aei 
doqn,  d^&  dieselbe  auch  von  andern  Pflanzeni  ala  der  von 
fnir  entdeckten  Ferula  hervorgebracht  wurde,  oder  aber  beide 
Mtoren  nach  verstuaimelien  Frucht^n  ihre  Diagnosen  aufge- 
^itellt  hallen. 

Di^set    Pflanze,    welche   in   einigen    Gegenden    Persiens 

Khassuih  (zu  unterscheiden  von:  Kasneh  s=  Cichoriurn  Inty- 

bus  und  Gasehnis  =-  Coriandrum  sativum)  in  anderen  Borid* 

scheh  genannt  vvird,  scheint  zwar  in  dem  ganzen  Reiche  vor* 

zukommen,    ist  jedoch    auf  gewisse  Lagen    beschrankt.     So 

sab  ich  dieselbe  im  ganzen  grofsen  Gebiete  der  Elbura*Kette 

(und  zwar  in  der  weilesten  Ausdehnung  dieses  Namens,  d.  b. 

vom  sudoslliohen  bis  zum  siidwestbchen  Winkel  des  Caspi-* 

9chen  Meeres)  nur  auf  die  Gegend  des  Demawend  beschrankt| 

dori  aber  freilieh  in  grofser  Haufigkeii  und  auf  einer  H5he 

voj^  etwa  4000  Fufs  bis  hinauf  zu  mindestens  6000  Fufs  (am 

Abhange  des  Demawend  -  Gipfels  selbsl).    In  dem  Talyschge- 

birg^)  das,  als  unmittelbare  Fortset^ung  des  Clburs,   diesem 

ahnliche  T^rrainverhaltnisse  zeigt,   und  das  ich  in  den  ver- 

sphiedensten   Richlungen   durchkreuzt  babe,   fehlt  sie   ganz* 

Ebftnso  bei  Tabris  und  in  der  Landschaft  Karadagh.    Dagegei) 

versiqh^rie  n)an  mich,  dafs  sie  sebr  haufig  an^  Alwend*Berge 

bei  Harnadan,  ^  wie  slellenweise  in  der  Nachbarschaft  der 

grofsen  JSaJUwQste  sei.     An  jenem  Orte  (bei  Hamadao)  sam- 

9Klte  auch  Aucber-Eloy  die  Ferula  erubescens  Boiss,    Daher 

Ikgt   4i^  Vcirmutbung  irot^  dem  oben  ^ausgesprochonen  Be- 

d^riu^n  n^bei  dass  meine  und  Aucher*s  Pflanze  gleichen  An- 

tbeii  an  der  Galbanuinproduktion  haben.    Ich  |raf  sie  auf  den 

von  mir  berei$ten  Theile  der  $alzwuste  nicbt.    Die  Bewoh- 

n^r  4er  Gegend  um  die  DeAtaweiidspitze  verschaffen  ^ch  das 

Gumipik^rst  ein£ach  durch  EinsapiQ^eln  de^  Ireiwillig  a|i  dctr 

Oberflache  des  Stengels,  besonders  an  seiijii&m  onJL|^^  Theile 

1* 


♦  .  ... 

4  PhysikalSsch  -  mathematische  Wissenschaften. 

und  an  der  Basis  der  Blatter,  hervortretenden  Stoffes.  Das 
'Vehvunden  der  Pflanze,  um  ein  reichlicheres  Ausfliefsen  des- 
selben  zu  bewirken,  ist  bei  ihnen  meines  Wissens  ungebrauch- 
lich.  Auch  wird  daselbst  keine  besondere  Industrie  aus  sei- 
ner Gewinnung  gemacht  Diese  soil  aber  an  deQ  beiden 
andern  obenerwahnten  Standorten  ausgeiibt  werden.  Das 
Gummiharx  ist  im  frischen  Zustande  milchweiss,  fltissig  und 
etwas  klebrig,  wird  aber  durch  Einfluss  von  Liift  und  Licht 
rasch  gelb  und  zah,  endlich  fesL  Der  Geruch  ist  ziemlich 
schwach,  aber  unangenehm,  sehr  ahnlich  demjenigen,  wie  er 
sich  an  dem  durch  deir  Handel  zu  uns  gelangenden  Galba- 
num  erweist 


Eine  andere,  nicht  minder  ausgezeichnete,  wenn  schon 
bekanntere,  Pflanze,  welche  ich  an  Ort  und  Stelle  beobach- 
tete,  ist  aller  Wahrscheinlicbkeit  nach  die  Ferula  Assafoetida 
Lin.,  dieselbe,  die  von  Kampfer  (in  den  Amoenitates  exoticae) 
so  ausfuhrlieh  nnd  getreu  beschrieben,  nach  ihm  aber  von 
Keinem  der  Reisenden  in  Persien  berucksichtigt  worden  ist.  Lei« 
der  war  diese  Pflanze  im  April,  wo  ich  sie  sah,  zu  wenig 
entwickelt,  um  iiber  ihre  Identitat  mil  der  von  Kampfer  beob- 
achteten  ein  vollgiiltiges  Urtheil  fallen  zu  konnen.  Denn  es 
batten  sich  eben  erst  die  Wurzelblatter  enlfallet  und  an  den 
Dolden  der  vorjahrigen,  vertrockneten  Stengel  (die  hochsten 
hatten  3  bis  5  Fufs;  Stengel  von  1  bis  2  Klafter,  wie  Kam- 
pfer angiebt,  kamen  mir  nicht  zu  Gesicht)  waren  nur  selten 
einige  verkiimmerte  und  unvollstandige  Fruchte  stehen  geblie- 
ben.  So  viel  an  ihnen  zu  erkennen  war,  tru^en  sie  nach 
meiner  Ansicht  den  Charakter  der  Gattung  Ferula  an  sich. 
Bei  einer  Vergleichung  dieser  Wurzelblatter  mit  derBeschrei- 
bung,  welche  Kampfer  von  den  Blattern  giebt,  ergiebt  sich 
eine  so  grofse  Uebereinstimmung,  dass,  nimmt  man  hierzu 
die  Gestalt  der  Wurzel  und  des  Stengels,  die  Dolden -Ver* 
zweigung  und  die  Form  derFriichte,  man  ihre  Identitat  kaum 
mehr  bezweifeln  kann. 


.*■* 


Nacbrichten  uber  drei  phacmalM»lagJicli'«wichlige  Pflanzen  etc        5 

Und  wenn  Kaoapfer,  was  alleio  wider^prechend  scheinen 
konnte,  sagt,  Amoen.  exotic,  p.  537 :  dab  die  Blatter  spat  im 
Herbste  aus  der  Wursel  zu  spriefsen  beginnen,  so  ware  ich, 
ohne  Kampfers  Glaubwiirdigkeit  verdachtigen  zu  wollen,  ge- 
neigt,  diese  Angabe  ais  einen  Scbreibfehler  zu  bezeichnen. 
Es  sind  aber  die  von  mir  gesammelten  Wurzelblatter  folgeur 
dermaaisen  bescbaffen:  bei  dem  ersten  Hervorspriefsen,  wo 
sie  nocb  sebr  klein  und  zusammeDgefaltet  sind,  zeigeo  sie  sich 
durch  eine  sehr  kurze,  dichtei  flaumige  Bekkidung  vollig 
weissgrau.  Die  ausgewachsenen  Wurzelblatiter  sind  im  Um- 
risse  fast  rautenfomug,  breiter  als  laog  (bei  circa  17  ZoU 
Breite,  circa  13^  Zoll  Lange);  dunkelgriin,  mit  eineln  eigen- 
thiinilichen  matten  Fettglanz,  hervorgebracht  durch  jenen, 
nunmehr  minder  dicht  stehenden  Flaum.  Dieser  ist  am 
staiksten  gegen  den  Blattrand  bin,  und  auf  der  Oberseite 
starker,  als  auf  der  Unterseitef.  Die  Blatter  sind  doppelt  ge* 
fiedert;  die  4  bis  5  Fiederpaare  h  Ordnung  steben  in  ver- 
schiedenen  Abstanden  am  Blattstiel,  so  namlich/ dass  vom 
ersten  Fiederpaar,  welches  dem  Anbeftungspunkte  des  Blatt- 
stiels  etwa  bis  auf  1^  Zoll  genlihert  ist,  das  zweite  Paar  dop- 
pdt  so  weit  entfernt  ist,  ebensoweit  von  diesem  das  3.;  das 

4.  Paar  aber  ist  vom  3.  nur  urn  das  Anderlhalbfache  dieser 

• 

Entfernung  abgeruekt;  das  5.  wo  es'  vorhanden,  nocb  weni- 
ger  vom  4.  entfernt  An  den  Fiederpaaren  .3.  Ordnung  wie* 
derholt  sich  dies  in  abnebmendem  Mafsstabe,  und  zwar  immer 
so,  dafs  das  3i  Fiederpaar  weiter  absteht  vom  !«,  als  dieses 
vom  Blattstiele  erster  Ordnung.  Die  Abschnitte  letzter  Ord* 
nung  (circa  1  bis  H  Zoll  lang  und  ^  ZoU  breit)  sind  fieder* 
spaltig  oder  fiederlappig  nnt  3  bis  5  Lappen,  die  ungleichsei- 
tig-rautenformig,  an  ihrem  vordem,  der  Blattspitze  zugewen*- 
deten,  Rande  meist  ganz  an  ihrem  hintem  Rande  und  an  der 
abgestumpften  Seite  hie.  und  da  stumpf-gezahnt  oder  einge- 
schnitten  sind;  oder  sie. sind  fast  umgekehrt  verlangert-eifor- 
mig,  an  der  abgestumpften  Spitze  tief  und  ungleich  gekerbt; 
immer  aber  laufen  sie  mit  dem  hinteren  Rande  langs  dem 
Blattstielcben  herab.    Das  Herablaufen  ist  bald  starker,  bald 


&fchH^9ctseh  tttid  deitmach  %dld  das  Bkttstielohen  fcwisehen   den 
dnz'etfren  Abschtiitte^  IheHv^eise  nackt,   bald  breit  geflllgelt* 
Zuweilen,  besohders  gegen  die  Spitse  bin,  fliefsen  die  Ab- 
schniHe  do   stark  in   einander,    dafs  sie  ein  fast  leierfck'iniges 
Blalt  darslell^n.    Der  Nerv   liegl  nichl  in  det  Mitle  der  Ab- 
schnitte  =und  Lappen^  sondem  isl  dem   vbrdei'n  Rande  gena* 
herl,  ja  selbst  oft  demselben  dfchl  anbegend.     Die  Nerven 
treten  auf  der  Unterseite  des  Blaftes  stark  rippenartig  hervor. 
De)*  Blattstiel   ist  gefurcbt  und  kantig  nvt  einetn  ^erslrc^uten, 
Si^hr  knrzeh  Flaum  bedeckt.    Gegen  die  -Ba^is   ^es  Blatlstiels 
vermindert  sich  der  Flaum,  und  an    dem  Anbeftungspunkte 
wo  ^r  gegen  ^  Zoll  dick  ist,  fehlt  er  gane.     Diese  specieilen 
Angaben  iiber  das  Blatt  der  seltenen  Fflanze  werden  um  so 
Weniger  tiberflussig  erscheinen,  als  wir  noch  nichts  welter  be- 
'sitzeh,  'urn  (iber  die  Natur  der  ganzen  Pflanee  in8  Reine  asa 
ktftnm^n*    In  einem  Briefe  theiit  mir  Herr  Boissier,  nach  An* 
"si^ht  'die&^s  Blattes,  die  IVleinung  noit,  es  sei  keiner  Ferala  arn* 
gehbrfg.    leh  giaube  dennocb  bei  meiner  Ansieht  beharren  su 
konnen. 

Ueber  das  Eins^ammeln  der  Assafoiicla  und  die  Bescbaf«- 
fenheit  derselben,  so  wie  der  sie  bervorbringenden  Wurzel^ 
hat  KMmpfer  so  gefnaue  und  voUstandige  Nacbrichlen  mir- 
getheilt,  dass  ich  dariiber  nicbis  Neues  binzufiigen  kann. 
Das  Verfahren  ^hat  mch  seit  kuebr  ab  160  Jahren  nicbt  ge^ 
Mndert. 

Was  das  VoAdmmen  der  Ferula  Assardtida  Lin.  (?),  be- 
trifft,  so  babe  ieb  sie  selbst  in  den  felsigen ,  dtirren  Gebirgen 
bei  Dsebeuda^k  und  Jesd  baufig  angetroffen.  -Sie  lii^bt  be- 
90nd<^rs  sonnige  Abhange  und  sebeint  nicbt  zu  bedeutender 
Hdhe  binanzusteigen.  Ausser  den  von  Klimpfer  bezeichneten 
Standorten,  findel  sie  sich  nocb,  nach  mehrfachen  vott  mir 
neingezogenten  Erkundigungen,  in  der  Provinz  Chorasan,  vor- 
^gbch  bei  Nischapur  und  Sebsewar,  wo  die  jungen  Blatt^ 
triebe  genossen  werden  soUen,  wabrend  in  der  von  mir  be- 
•sueblen 'Gegend  diese  Nahrung  verabscbeut  wurde.  Der<H5- 
henzug  wSiokub,  am  Rande  der  Wuste  zwiscben  Kaschan  und 


Naclirichten  iibef  drei  pUariiuikolagiacb-iriclitif*  PHanzen.  7 

Semnan  scheint  lier  ieli^te  Punkt  gtgtn  Norden  uad  We^ten 
zu  sein,  wo  sie  noch  wiichst  Jm  ganxen  Wiistengebiet,  wie 
bei  Tabbas,  bei  Kerman,  soil  sie  sehr  verbreitet  seiii.  Ihren 
Namen  horte  ich  iiberall  „Anguseh"  aussprechen  und  demge- 
mass  schreibt  man  ihn  auch,  wabrend  Kampfer  ,,Hingi8elr' 
sebreibL 


Von  der  Gummi- Ammoniak-Pflanze,  die  von  Aucber- 
Eloy  und  Kotschy  schon  nach  Europa  gebrachl  worden,  will 
ich  nur  in  der  Kijrze  ihres  Vorkomtnens  erwahnen. 

Ich  /and  bei  dem  Uorfe  Rischm,  das  barl  am  Nprdrande 
der  Sal^wuste,  siidlich  von  Darogan,  am  Fufse  dea  Gebirgs* 
zi^es  Kuhi-Rischm,  nach  meiner  Vermuthung  3000  bis  3500 
Fufa  tiber  dem  Meere  liegt.  Auch  von  ibr  konnle  ich  nur 
Warselblatler  und  einige  Friicbte  von  den  vorjabrigen,  ver- 
donrten  Pflanzjen  sammeln*  So  weit  $ich  aus  die$en  schlies- 
sen  lassty  ist  es  Dorema  Aucheri  Boiss.  und  nicbt  das  ibm 
ahnliche  Dorema  ammoniacum  Don.  Die  Eingebornen  nann* 
ten  es  Weschach  und  oicbti  wie  gewohnlicb  angegeben  wird, 
Oaehak.  Das  Gummiharz  sammeln  sie  vielfacb  und  briogen 
es  zam  Verkanf.  —  In  der  Nabe  von  Jesd  kommi  es  nicbt 
Tor,  in  der  Gegend  von  Tabbas  aber  soli  es  rechi  eigentlich 
zu  Hause  sein  und  die  Gewinnung  des  Gummiharzes  daraus 
ein  bedeuiender  Industriezweig  sein.  Das  Dorema  Aucheri 
Boiss.  (?)  wachsl  an  ahnlichen  Orlen»  wie  die  Assafotida-Pflan^, 
d.  L  an  dtirren,  fekigen  Abbangen;  und  der  StengeJ  erreicht 
eine  gleiohe  Hdbe,  EinGenaueres  tiber  seiaen  Verbreiiuiigs- 
besirk  vei'mag  ich  nichi  aozugeben,  indem  ieh  es  nirgend  wei^ 
ter  als  bei  Bischm,  und  dort  nur  in  geringer  Haufigkeit  sab. 
Dass  es  ubrigens  auch  auf  hdherem  Gebirge  wachst,  beweisi 
die  Angabe  Erasers  (in  dessen  Narrative  of  a  Voyage  into 
Khoms^an  elc^),  welcber  die  Pflanze  (ob  D.  Aucheri  oder 
ammoniacum  iat  aber  fraglich)  bei  Jesdichost  bemerki  hat; 
und   dieser  Gebirgsort  liegt  5916  Fufs  iiber  dem  Meere  zu-r 


8  JPhyftikftUteh-matbeinatUGbe  WiMensebaften. 

folge  Frasers  Messung,  bericbtigt  durch  Oltmanns  und  Kitorr 
(Ritter  Erdkunde  von  Asien  VI,  1.  p.  9). 


Einige  Bemerkungen  iiber  die  noch  wenig  bekannle  Salz- 
wiiste,  deren  ofters  im  Vorstehenden  Erwahnung  geschieht^ 
mochten  bier  urn  so  mehr  an  ihrer  Stelle  sein,  als  gerade  der 
von  mir  gesehene  Stricb  derselben  nie  zuvor  von  einem  Euro- 
paer  ber4]brt  war. 

Die    bedeutende,   anunlerbrochene  Wiistenflacbe,    deren 
Lange  von  W.  nacb  0.,  zufolge  einer  ungefahren  Schatzung, 
800  Wer«t,  deren  Breite,  wo  icb  sie  passirte^  129  Wersl  be- 
tragt,  wird  gegen  N.  begrllnzi  von  den  Gebirgen  welche  als 
Vorberge  des  Elburs  und  seiner  ostlichen  Forlsetsung  betrach- 
tet  werden  konnen,  und  eines  Theils  den  Provinzen  Seninan 
und  Schahrud-Bosfam  (auf  den  Karten  meist  als  'ITaberistan 
bezeichnet),  andemtheils  dem  Gebiete  von  Chorosan  angeho- 
ren.    Sie  bilden  einen  Bogen>  dessen  Endpunkt  im  W.   bei 
Teheran,  im  O,  bei  Turschis  zu  liegen  scheint,  und  dessen 
Wolbung  bei  Damgan  oder  Meiomei  ihren  Hohepunkt  baben 
mochte.    Im  W.  lauft  die  Wiistenebene  in  eine  sich  allmalig 
versehmalemde  Spitze  aus,  welche  bis  jenseit  derStadteKum 
und  Kasehan  vordringt     Im  S.  mochie  ihre  Granzlinie  (von 
Kaschan  aus  gegen  O.),  eine  nahezu  gerade  sein  bis  in  die 
Gegend  von  Tabbas.     In  0.  wird  sie,    zufolge   der  Berichte 
friiherer  Reisenden  (wie  Capt.  Christie),  durch  von  SW.  nach 
NO.  verlaufende,  niedrige  Gebirge,  bis  Turschis  hiri,  begranzt 
oder  doch  unterbrochen  (denn  dass  das  Land  weiter  ostlich 
von  Tabbas  bis  zur  Afghanischen  Grenze  mit  wenig  Unter- 
brechung  ebenfalls  Salze  oder  doch  Sand-Wiiste  ist,  erscheint 
nach  mehrfachen  Nachrichten  als  unzweifelhaft). 

Das  eigentliche  Persische  Salzwiistenland,  diese  gegen 
den  Siidrand  (wie  ich  unten  wahrscheinlich  mache)  geneigte 
Ebene  kann  man  somit  als  ein,  mit  dem  Langsdurchmesser 
nach  W.  und  Ost  gerichietes  Oval  betrachten.     Dass  es  mcht 


Nachrichten  iber  4rei  phamiftkologiiQii-wiehti^  Pflftnten  •te«       9 

voUbommen  darch  die  angegebenen  .Gransen  abgeschiossen 
ist,  babe  ich  fiir  sein  ostlicbes  Ende  eben  bemerkt.  Nicht 
minder  finden  Uebergange  gegen  N.  nach  der,  die  Provini 
Chora«an  durchsiehetoden ,  Wiiste;  gegen  S.  wie  su  vermu* 
then,  nach  deijenigen  von  Kerman  Statt  —  Die  senkrechte 
Erhebnng  mttchie  vielleicht  wenig  von  derjenigen  der  benach^ 
barten  Ortsibbaf ten ,  die  gemessen  worden,  abweiehen.  Nach 
Fraser  (s.  Ritter  Erdkunde  Asien  VI,  1.  p.  11)  liegen  Dam* 
gan  2898  F.,  Seaman  3504  F.,  Teheran  3786  F.,  Kum  2046 
F.,  Kaschan  2508  F.  iiber  demMeere.  Die  tiefele  Einsenkung 
des  Plateaus  bei  Kum  und  Kaschan  stimmt,  der  geographic 
schen  Breite  nach,  iiberein  mit  der  Lage  eines  Sahsees  in 
der  Wuste,  der  &ich  bandartig  durch  ibre  Langsrichtuhg  fain- 
zieht,  und  dessen  Breite  ich  auf  H  Phar.  (circa  9  Werst) 
^chatite.  (Seine  Lange  ist  ungemessen;  und  seibst  die  Ein* 
gebornen  wussten  mir  dartiber  nichts  anzugeben.  Davon  aber 
habe  ich  mich  iiberzeugt,  dab  sein  wesUiches  Ende  nicht  bis 
Kaschan  reicht.)  Sehen  wir  in  diesem  Salzsee  den  Ueberrest 
eines  vorweltlichen  Binnen-Meeres  (eine  Vermuthung,  fitir 
welche  sich  noch  Manches  anfiihren  iiefse),  so  miissen  wir 
annehmen,  dafs,  bei  dem  Schwinden  der  Gewasser,  ein  Ueber- 
rest derselben  an  der  tiefsten  Stelle  des  Grundes  sich  ansam- 
melte  und  hieraus  sich  in  der  Folge  der  Salzsee  biidete.  Da 
nun  aber  das  Land  siidlich  von  der  Salzwiiste  sich,  g^en 
Jesd  bin,  offenbar  erhebt  (Jesd  seibst  mochte  in  gleieher 
H6he  mit  Isfahan,  also  iiber  4000  Fufs  gelegen  sein),  so  ist 
diese  tiefste  Stelle  mit  Reeht  in  der  G^end  des  Salzsees  zu 
suchen. 

Dieser  See  ist  mit  einer  Kruste.  reinen  Salees,  das  auf 
der  OberflSche  durch  eine  diinne  Schicht  dunkelgrauen  San- 
des  verdeckt  wird,  fufsdick  belegt;  und  unter  ibr  findet  sich 
ein  triibes ,  schlammiges  Wasser.  Soweit  ich  mich ,  durch 
eigene  Versuche  iiberzeugen  konnte,  ist  die  Tiefe  gering;  doeh 
versicberten  mich  meine  Fiihrer,  dafs  sie  stellenweise  bedelu- 
tend  sei,  und  dafs  durch  die  zahlreich  in  der  Salzdecke  vor- 
handenen  Oeffnungen  oft  Ungliicksfalie  vorkommen.     Unsere 


to  PhytikaHtob-nifttheinatitche  WiMeiudialleii. 

Ricbtung  war,  wie  auch  in  dem  librigen  Tbeil  der  uuwirtii* 
baren  Bbene,  durcb  Stekihaufcben,  Knocben  u.  s.  w.  bezeicb* 
net.  Haufig  sieht  man  auf  der  gansen  Slrecke  Leicbname 
von  Kameeien;  and  meine  Begleiter  wussten  viele  Schr^k^ 
kenfigescfaicbten  zu  erzablen  von  Reisenden,  die  sich  bier  im 
Scbneegestober  verirrt  und  verungliickt;  von  Garawanen,  die, 
weil  das  Kameel  bei  Regenwetter  auf  dem  auberSt  sqhlupfri* 
gen  und  durcb  ScboUen  unebenen,  Boden  nicbt  foHkoiunien 
kann,  liegen  geblieben,  und  arge  Drangsal  ausgestandeOi. 
Selbat  die  nicbsieti  Anwobner  der  Wiiste  wagen  sich  nur 
wenn  giinslige  Witterung  vorauszuseben  ist,  biniiber,  und  aucb 
dann  nicbt  ohne  alle  moglicben  Vorsicbtsmaafsregeln.  „Wehe 
dem  Ungliicklicben'',  sagten  sie,  »,den  mitten  in  dem  ,Kewir' 
(Salzwiiste)  Unwetter  uberfallen:  er  muss  Tbiere  und  alles 
fiigentbum  ini  Siicbe  lassen  und  nur  das  nackle  Ljeben  zu- 
Fufs  zu  retten  suoben".  Minder  Gefabr  bat  die  Reise  zu 
Pferde;  aber  nur  wer  gar  kein  Gepack  mil  sicb  fiibrl  und 
aich  mil  einem  kleinen  Scblaucb  Wasser  fur  sicb  und  seio 
Thier,  einem  Bissen  Brod  und  einer  Handvoll  Geraie  ftir's 
Pferd,  weicbes  das  erprobteste  s^in  muss,  begnugen  kann, 
darf  sicb  auf  diese  Weise  biniiberwagen. 

Im  Siiden  scbliefsi  sicb  an  die  Salzeb^ie  ein  Bergland, 
das  sicb  bi$  zu  der  Wiiste  von  Kerman  ausdehnl  und  die 
Provtnz  Jesd  in  sicb  begreift  Das  Gebirge,  meist  von  un- 
bedeutenderildbe,  besonders  in  dem  nordlicben  Tbeil,  erreicbt 
mir  bei  Jesd  die  Scbneegranze,  wodurcb  es  aber  dieser  Pro<- 
vinz  einiger  Cullurfabigkeit  verleibt.  Nimrot  man  die  Strafs.e 
von  Kaschan  nach  Jesd  und  von  bier  nach  Tabbas  als  be^ 
granzende  Culturstreifen,  durcb  wenige  bewobnle  Orte  be- 
^eichnet,  an,  so  befinden  sicb  innerbalb  des  ganzen,  zwiscben 
4ie8em  Streifen  und  der  nordlicben,  oben  bescbriebnen  Wiisten* 
«ben!e,  gelegenen  Landstricbes  nur  4  bewobnte  Orte,  namlicb: 
Dscbendack,  Enareck,  und  die  von  mir  nicbt  beriibrten  Orte 
Biabuneck  und  Cbor.  Die  beiden  ersten  besitzen  siifse  Quel* 
len;  die  lelzlen  nur  salzige. 

Aber  so  viel  Wiislennalur  auch  dieses  Bergland  nocb  an 


Nachrichteli 'fiber -Atvi  ^ffitMAoivgilfdi-wleMi^e  MAnzen  etc.     H 

sidh  hfft,  00  iiles  dochvoi^  der 'dgeoUacheoi  ^bcmen  Wwte^ 
eben^o  ^ehr  verdchiedeif,  als  69  'die  Surfrnssmohe  Steppe  Tod 
eiuer  Nord-Abirischen  E^node  ist.     Deno  jene  Ebene  ist  alles 
LebeiM  beraubt;   ketn  Grofthahn  wUchst  au(  ihrein,   mit  Sub 
impragnirten  Boci^n,  vnier  'deersen  Obenflacke  selbst  'stelKveise 
reines  krystallinisebes  Salz  lie^i.    Tint  einie,  noch  uwbeschra&o 
bene,  Haloph'yte  (erne  Halimocnemis?)  erblkkt'e  ieh  auf  einem 
kleitien  Ftecke  tiahe  dem  Nordramde   als  einsanMn  und  einai* 
geh  vegetabilischen   Betvohner.     Kein  Tbier  vermag  auf  ihr 
zu  leben,  und  die  beiden  von  mir  angelroffenen,  eine  £ideokBe 
irnd  ei-ne  Heuschreeke,  waren  skher  nur  verilrte  Fretndrmge. 
An  ti^inkbarem  Wasser  febll  es  ifair  vdllig*     Dag«egen  «ind  in 
den   ThMiern   des  Berglande^   aafser   den   4   genannten,   mit 
Queilen   begablefi  Oiten,  an  vemchiedenefn  Stellen  firuntKen 
gegraben  worden,  den*n  Wasser,  vrenn  auoh  sehen  von  m* 
nem  Geschttiack,  doeh  nrindesteiiB  fUr  die  Laelthiere  geniess* 
bar  ist.    Die  Thalhohen,  deren  Boden  steinig  ist  oder,  ghieh 
vielen  Thalebenen,  des  fruchtbaren  Persiens,  thonig  salzhaltig 
sind  meist  mit  geselligen  strauchartigen  Gewachsen  bestanden. 
Unter  diesen  herrscht  eine  Abart  des  Saxaul,  Anabasis  Ammo- 
dendrom  C.  A.  Meyer,  oder  eine  dieser  sehr  nahe  stehende 
neue  Art  (worauf  mich  Professor  Bunge  vorKurzem  brieflich 
aufmerksam  gemacbt)  vor.    Im  Persischen  heifst  diese  Pflanze 
Togh.    Diese,  nebst  zwei  Calligonum-Arten  und  einer  Gra- 
minea  gedeihen  sogar  auf  den  diinenartigen  Sandhiigeln  zwi- 
schen  Dschendack  und  Emareck.    Die  felsigen,  kahlen  Berg- 
abhange  sind  reich  an  Assafdtida-Pflanzen,  einer  fast  baum-  , 
artigen    Pistacia  (vielleicht  vera)  dem  sonderbaren  Strauche 
Amygdalus  scoparia,  Gymnocarpus  tetraphyllus   und  zahlrei- 
chen  anderen,  meist  niedrig  strauchartigen  und  dornigen  Ge- 
wachsen, die  zum  Theil  auch  im  iibrigen  Persien  vorkommen. 
An    dem    schmalen   VVestende  der  Salzwiiste    zeigt  sich 
dieselbe  Bodepbeschaffenheit  zwischen  Kaschau  und  Semnan, 
wie  zwischen  Rischm  und  Dschendack,  mit  dem  {Jnterschiede 
bios,  dafs  am  Sudrande  ein  ebener  Sanddistrikt  auflritt,  wel- 
cher  einige  Pflanzen  tragi,  wie  z.  B.  einen  Cyperus,  eine  Gra- 


12  Pbysikaliidi-matheniatische  WitMBiduifteB. 

minea,  ^en  Convolvulus^  nebsl  den  weilverbrateten  Pegimum 
Harmala,  Alhagi  Camelorum  etc.  Der  Siokuh  giebi  bier  die 
nordliche  Grenze  ab^  gleich  wie  sie  dort  durch  den  Kuhi- 
Rischm  gebildel  wird.  Doch  ist  die  Gegend  zwischen  leUte- 
rem  und  Damgan  noch  bdchsi  unwirthbar,  wahrend  man  sich 
nach  Ueberschreitung  des  5iokuh  bald  auf  eine  iippige  Gras- 
ebene  versetzt  siehl,  ein  uberraschender,  weil  so'  seltener  An« 
blick  auf  dem  Persischen  Plateauiande.  Dieses  Wiesenland 
reicht  bis  an  den  Fub  des  Elburs  und  wird  von  seinen  Was- 
sern  ilberrieselt. 

„So  ergiebt  sich  auch  fur  diese  einfSrmige  eigenthiimlich 
asiatische  Flachenbildung  manche  Verschiedenheit  in  ihrer  Er- 
scheinung  an  gewissen  Punkten,  und  dem  aufmerksamenAuge 
bieiet  sich  auch  an  ihr  manche  Gelegenheit  zur  Beobachtung 
dar^  die  nicht  zu  unwicbtig  ware  zu  einem  Beitrag  fiir  den 
groben  Vorwurf  einer  allgemeinen  Beschreibung  unseres  Pla- 
nelen." 


1st  die  aus  dem  Dotter  des  Tergipes,  unbescha- 

det  dem   Tergipes- Embryo   si€h  Mitwickeliicte 

Cosmelia  Hydrachncndes  ein  selbstst&ndiges 

Thier? 

Von 

Dr.  Alexander  v.  Nordmann, 

Prof.  ZQ  Helsingfon  in  Finnland*). 


Jl ei  Gelegenheii  der  Darlegung  der  Entwickelungsgeschichte 
eines  Nacktkieixiers  machte  ich  die  gelehrten  Fachgenossen 
auf  eine  von  mir  wiederholte  Beobachtung  aufmerksaoi, 
welche  mich  wahrend  der  Untersuchung  in  grossem^  Grade 
iiberraschte,  und  die  ich  mich  jetzt  veranlasst  fiihle^  noch  ein- 
mal  su  besprechen.  Es  handelt  sich  dabei  namlich  um  nichts 
weniger,  als  um  die  Frage^  ob  und  in  wie  fern  aus  den  Ele- 
mentartheilen  des  Eies  eines  gewissen  Thieres,  zugleich  zwei 
verschiedene  Geschopfe  entstehen  konnen.  Um  ganz  sicher 
zu  gehen  wird  eine  Recapitulation  entschuldigt  werden. 

Pag.  76.  §.  38  in  meinem  Versuche  einer  Monographie 
des  Tergipes  Edwardsii,  St.  Petersburg  1843  **)  heisst  es 
namlich: 

^,Kurz  bevor  die  bekannte  Dotterspaltung  anfangt,  und  die 
erste  Furche  entsteht,    bemerkt  man  etvvas  ganz  besonders 

*)  Balletin  der  Moskaaer  Natarforschenden  Gesellsch.  1850.  No.  II. 
"**)  In  den  M^moires  de   TAcad.  Imp^r.  d.  Sciencei,  par  divers  sayants 
Strangers,  T.  IV« 


14  Physikalisch  -  mathematiscbe  WiMtnischaileii. 

MerkwiirdigeSy  welches  indessen  mit  der  Entwiekelung  des 
Embryo  niir  einen  miltelbaren  Zusammenhang  hat.  Wahrend 
nainlich  das  Chorion  sich  ausdehnt,  findet  man  nun  in  dem 
entstandenen  Kaume,  zvvischen  dem  Dotter  und  dem  Chorion, 
wie  ich  bereits  erwahnt  habe,  nur  eine  durchsichtige  eiweiss- 
artige  Flussigkeit,  und  von  anderen  etwa  darin  enthalte- 
nen.  Partikelchen  isi  durghaus  keine  Spur  zu  entdeckep.  1st 
die  Auflbckerung  dcs  Dotters  aber  vor  sich  gegangen  und 
§irtdl  di^  DcrUer^onlurefi  i^nsKcdii  gewcnrdb^jk,  sa  trent>«n  sick 
2-^%  sii^wdkn  ?Mc&^nijel|  Oftthl0«.K|«iHP^il  v^ii^^yjjolter. 
masse,  kleben  zwar  anfang^  noqhan  der  Oberflache,  werden 
aber  bald  ganzlieh  ausgesehieden  und  liegen  nur  an  verschie- 
denen  Stellen  in  der  Eiweissfltissigkeit.  Genau  untersucht  er- 
gab  sich,  dass  diese  Rlumpen  nicht  verschieden  von  den  iibri- 
gen  Bestandtheilen  des  Dotters  waren  und  immer  einige 
grossere,  runde,  belle  Zellen  enthielten,  in  welchen  kleinere 
eingeschachtelte  (?)  Zellen  mit  Kernen  sich  befanden.  Neu- 
gierig  zu  erfahren,  was  aus  diesen  Korperchcn  werde,  babe 
ich  mir  Miihe  gegeben,  die  mit  denselben  vorgehende  Ver^ 
anderung  zu  verfolgen,  bin  damit  auch  vollkommen  im  Rei- 
nen.  Diese  vom  Dotter  sich'trennenden  Theilchen  bilden  sich 
2;u  bestimmten,  ganz  eigenthiitnlich  geformten  parasitischen 
Thieren  aus;  gewis^  einemerkwiirdige  und  sonderbare  That- 
sache,  welche  zu  vielen  Pragen,  Hypolhesen  \ind  Voraus- 
setzungen  Veranlassung  geben  kann. 

Es  fragl'  sich  zun^chst,  isl  die  so  efoen  atigegebene  Beob- 
nchtung  auch  richtig?  babe  ich  mibh  nicht  vielieicht  dabei 
tauschen  lassen?  rlihreri  die  abgelrennten  Eorperchen  auch 
wirklich  vom  Dotter  her?  Ferner  waren  die  doppelten  Um- 
hiiilungen  des  Dotters,  namlich  das  Chorion  und  die  Membra- 
nen  der  gemeinschaftlichen  Eierhulse,  auch  wirklich  unverlezt 
iind  ist  es  iiberhaupt  moglich,  die  Entwiekelung  dieser  kleinen 
parasitischen  Thierchen  zu  verfolgen? 

Auf  diese  Einwendungen  liisst  sich  folgendes  antworten: 
die  Mollusken  gehoren  bekannllich  zu  denjenigen  Thieren,  in 
deren  inneren  Theiien  eine  Unmasse  von  Par^siteo  vorkom- 


hi  die  aas  dem  Dotter  des  Tergipes  ein  selbAtsUMIges  Thier?     15 

men;  dafs  die  Beobachlung  keiner  Tauscbung  unierliegt,  da** 
fiir  spricht  schon  der  Umstand,  dafs  die  Erscheinung  der  sich 
trennenden  DoUerkJumpen  zu  den  haufigsten  gehort,  denn  von 
der  grofsen  Menge  der  Cier  des  Tergipes,  welche  &u  ver- 
sehiedenen  Jahreszeilen  unter  meinen  Augeii  sich  entwickel** 
ten,  waren  nur  sehr  wenige  Rier,  an  welchen  solches  nichi 
beobachlet  worden  ware.  VVenn  die  Umhiillungen  des  Dot*- 
ters  kunstlich  oder  durch  Zufall  eine  Beschadigung  erlitten 
halten  und  das  Wasser  freien  Zulritl  zu  dem  Dolter  erhielt^ 
so  erfolgte  weder  eine  Entwickelung  des  Embryo,  noch  der 
erwahnien  Parasiten;  die  ganze  Masse  ging  vielmehr  in  Faul«- 
niss  ilber.  Dafs  Parasilenkeime  in  dem  Stratum  der  Eierslocke 
eben  so  gut,  wie  in  jedem  anderen  Organe  vorkommen  und, 
einmal  daselbst  vorhanden,  auch  von  den  sich  bildenden  Eier-* 
hiillen  des  sie  beherbergenden  Thieres  umgeben  werden  kdn- 
nen,  dngegen  liifst  sich  niehts  einwenden,  auch  habe  ich  schon 
friiher  Beobachtungen  der  Art  mitgelheill.  Der  innige  Zu- 
sammenbang  der  sich  trennenden  Dottertheile  mit  der  iibrigen 
Dottermasse  und  ihre  Entwickelung  innerhalb  des  Chorions 
bleibt  indessen  immer  iiberraschend,  ja  wenn  wir  im  Stande 
waren  an  den  Eiern  des  Tergipes  eine  eigene  Dolterhaul 
nachzuweisen  *),  so  miissten  diese  Parasilenkeime  auch  von 
ihr  eingeschlossen  gewesen  sein.  Die  Beslaligung  von  ande* 
ren  Naturforschern  wird  gewiss  nicht  lange  ausbleiben,  vor« 
ausgeselzt,  dass  verwandte  Nacktkiemer  oder  andere  MoUuskeii 
Aehnliches  darbieten.  Die  Umwandlung  der  sich  trennenden 
Dottertbeilchen  in  seibslstandige  Geschopfe  ist,  so  klein  die 
letzteren  auch  sind,  und  wenn  man  die  Detailangaben  de» 
Hergangs  nicht  fordert,  nicht  schwierig  zu  verfolgen." 

Und  ferner  p.  95. 

„ln  der  ersten  Zeit  bemerkt  man  an  diesen  Korpercheti 
keine  Veranderung.  Wahrend  aber  die  Embryonen  des  Ter* 
gipes  in  ihrer  Entwickelung  so  weit  vorgeschritten  sind,  dass 


*)  Spattire  Untersuchangen  haben^  die  Gegenwart  einer  zarten  Dotterbaut 
als  yorhanden  erwiesen. 


16  Piiysikalisch-inathematiBche  WiMenschaften. 

die  Eingeweide  sich  einigermaafsen  erkennen  lassen,  nehmen 
die  jeUt  zwischen  der  Conchylie  und  der  Eischale  umherflot- 
drenden  DoUerkliimpthen  an  Umfang  ein  wenig  zu.  DieZel- 
lenmembranen  verschmelzen  und  bilden  grofsere  blasenahnliche 
Gebilde  von  rundlicher  oder  ovaler  Gestalty  in  deren  Mitie 
man  einen  helleren  Raum  erblickt  Bald  darauf  entsteht  auf 
der  OberflSche  der  Blase  eine  kleine  Hervorragung,  aus  wel- 
cher  feine  Faden  sichlbar  werden,  die  sich  um  die  Peripherie 
der  Blase  legen  und  sie  umfassen.  Nach  und  nach  werden 
diese  Faden  immer  langer,  ragen  mit  ihren  Enden  immer 
deutlicher  hervor  und  erreiehen  zuletzt  eine  Lange^  welche 
um  7  bis  9  Mai  den  Durcbmesser  des  Blaschens  iibertrifft 

Indem  sie  alle  nach  einer  Seite  geschlungen,  sich  allma- 
lig  facherformig  auszubreiten  anfangen  und  so  ungefahr  das 
Bild  eines  Vogelschweifes  darstellen,  bemerkt  man  an  jedem 
einzelnen  Faden  ein  schwaches  Zittern.  Die  Blase  gerath  nun 
auch  inBewegung  und  dreht  sich  wie  einFeuerrad  imKreise 
herum.  Bald  darauf  Ireten  die  Faden  vollends  aus  einander, 
iheilen  sich  in  zwei  einander  gegeniiberstehende  Buschel, 
worauf  das  sonderbare  Geschopf  mit  den  langen  ausgespreiz- 
ten  Beinen,  langsam  wie  eine  Spinne,  einherschreitet  oder 
auch  um  die  Achse  kreist,  oder  endlich  sich  schnell  hin  und  her 
schleudert.  In  der  Kegel  kommen  anfangs  4 — 8  dieser  Pa- 
rasiten  in  einem  Eie  vor,  gegen  das  Ende  des  Embryonalzu- 
standes  der  Tergipes-Larve  vermehren  sie  sich  durch  Thei- 
hing,  d.  h.  der  blasenformige  Korper  spaltet  sich  der  Langs- 
achse  nach,  in  zwei  Theile,  wahrend  unten  neue  Faden 
hervorwachsen ,  die  sich  ebenfalis  iru  zwei  facherformige  Bii- 
schel  ausbreiten. 

Man  sieht  dergestalt  oft  zwei  noch  an  einander  klebende 
Obertheile  mit  vier  Fadenbiischeln  sich  wunderbar  umher- 
schleudern.  Jeder  Biischel  besteht  aus  6 — 8  Faden  und  die* 
ses  schwankende  Zahlenverhaltniss  kommt  daher,  weil  es  sehr 
hinfallige  Organe  sind,  die  von  selbst  abg^orfen  werden, 
worauf  der  blasenahnliche  Korper  ohne  Bewegung  liegen 
bleibt. 


Entbalt  der  Dotter  dei  Tergipet  einen  telbitstindlgeA  Paratitent  17 

Traf  es  sich,  dass  einer  dieser  Parasiien,  ergriffen  von 
dem  Strudel  der  Segel>  zur  Mundoffnung  der  Tergipes-Larve 
getrieben  wurde,  so  zog  sich  diese  in  das  Gehause  hineini 
worauf  jener  mit  Verlust  einiger  Beine  sich  wieder  heraua- 
arbeitete. 

Hinsichtlich  ihrer  Organisationsverhaltnisse  bemerke  ich, 
dass  mir  im  Innern  nur  einige  hellere  Blaschen,  suweilen  auch 
ein  zugespitzter,  zapfenformiger  Theil  an  der  Korperoberflache 
sichtbar  geworden  sind.  Die  Grofse  des  blasenahnlichen 
Theils  betragt  nur  0,009  Linien.  In  ihrem  Wesen  und  den 
Bewegungen  stimmen  diese  sonderbaren  Geschdpfe  mil  eini- 
gen  Cercarienformen  iiberein,  von  welchen  ein  ganzes  Heer 
die  verschiedenen  Organe  der  MoIIusken  bewohnt,  und  deren 
wunderbare  Entwickelung,  Verpuppung  und  Umwandelung 
so  viel  Neues  und  Ueberraschendes  darbietet,  wie  es  unsBo*- 
janus,  Nitzsch,  Bar,  Siebold  und  Steenstrup  gelehrt 
haben." 

Einige  Zeit  darauf  hatte  mein  geehrter  Freund  Professor 
Milne  Edwards  die  Gefalligkeit  die  von  Herrn  Carl  Vogl  im 
Auszuge  veranstaltete  franzosische  Uebersetzung  der  Ab- 
handlung*)  mir  nach  Odessa  zu  schicken,  in  welcher  der 
Uebersetzer  hinsichtlich  der  mitgetheilten  Beobachtung  iiber 
die  Cosmella  folgende  Anmerkung  macht.  „I1  n'est  pas  rare 
de  voir  se  desagreger  certaines  parlies  dans  les  embryons 
des  animaux  inferieurs,  qui  n'en  continuent  pas  moins  de  se 
developper.  Les  parties  desagregces  elles-mSmes  jouissent 
pendant  quelque  temps  d'une  vie  en  quelque  sorte  indepen- 
dante. 

J''ai  observe  y  sur  des  embryons  d^Acteons,  que  les  oils 
voiles  (pour  me  servir  des  expressions  de  Ms.  Nordmann) 
se  detachaient  souvent  lorsque  Tanimal  commen9ait  a  souffrir: 
les  cils  detaches  presentaient  absolument  les  memes  formes, 
les  memes  mouvements  que  les  pretendus  parasites  de  Mr. 
Nordmann.    La  seule  difference  qui  existe  entre  mes  obser-* 


*)  Annates  det  Sciences  natiirelles  3.  s^rie.  Zool.  T.  V.  1846. 
Ermans  Russ.  Arcblv.  Bd.  XI.  B.  I.  2 


"i^:..  fbytUnlisch^matbematische  Wissensch«fl«ii* 

^^alions  el  Ifs  ^ieitneS)  c'est  que  dans  I^  Acteons  les  cils  ne 
^e  deiacheni  qu*accidenlelleinept  apres  leur  developpemeiii 
.accomplh,  landis  que  dans  ]e  commencement  du  developpe- 
meni  embryopnaire  qui  se  developperaient  pour  former  des 
cellules  vibratiles  completes. 

Ce  fait  est  certainement  une  belle  confirmation  de  la 
:doctrine  qui  veut  que  ies  elements  cejlulaires  des  embryons 
jQuissenl  d^une  certaine  independance  de  developpement; 
;maia  il  ne  me  parait  pas  prouver  d'avanlage,  et  je  ne  crois  pas 
que  Mr,  Nordmann  soil  dans  le  vrai  en  pretendant  que  ces 
<;ellules  vibratiles  detacbees  sont  des  animaux  parasites  for- 
nsea  aux  depens  de  la  substance  vilellaire.'' 

Einerseits  war  es-  von  Herrn  Vogl  nicht  artig  mir  zuzu- 
muthent  dafs  ich  gewisse  zufallig  abgelrennte  bewimperte  Par- 
cellen  dea  Tergipes- Embryo  fiir  selbststandjge  Thiere  ange- 
liommen  batte,  eine  Zumuthung,  .welche  man  altenfalls  einem 
Anfanger  machen  kann,  denn  wer  kennt  nicht  das  allbekannte 
Pfaanomen,  welches  ein  abgerissenes  Sliickchen  irgend  eines 
WeichthiereS'  unter  dem  Mikroskop  darbietet;  von  der  anderen 
Seite  scheint  aber  Herr  Vogt  den  Unterschied  meiner  Beob- 
nchtung  im  GegeosaUe  su  der  seinigen  beachtet  zu  baben, 
Wenn  er  jedoch  sagt,  dass  Jes  Elements  cellulaires  des  em* 
bryons  jouissent  d^une  certaine  independence  de  developpe- 
ment,** so  ist  solches,  wenn  man  es  auf  den  vorliegenden  Fall 
anwendety  vor  alien  Dingen  so  zu  verstehen,  dass  der  Anfang 
der  Entwickelung  der  Cosmella  friiher  als  die  Dotterspaltung 
v«r  sich  geht.  Das  parasitische  Geschopf  entsteht  demnach 
nicht  aus  dem  Embryo,  sondern  aus  den  Elementen  der  sich 
vorher  abgetrennten  Dotterkugeln,  und  eben  darin  liegt  eine 
Kluft  zwischen  meiner  Angabe  und  der  aiigeblich  ahnlichen 
von  Vogt,  welche  demnach  auch  nicht  verwechselt  werden 
durfen.  . 

.:'  Nachdem  iqh  den  Einwurf  von  Vogt  gelesen,  hatte  ich 
niohts  eiligeres  zu  thun  als  die  Untersuchung  noch  einmal 
vorzunehmen  und  gliicklicherweise  fand  ich  audi  mehrere 
Campanularien-Basche,  an  welchen  die  beiden  Tergipes-Arten 


Eathait  derDdtter  dks  Teii^  eineti  MlbMillMifM  P«ntiten?T|9 

ihreHofaen  imtBtdrn  a%esetst  haUeti.  Die  gte4u«ate  Uateff- 
sQchuDg  hestatigte  in  jeder  Hinsidiift  meine  froheren  Angabaiy 
<i]iid  diese  kimnen,  wobei  WiederholuDgen  freilich  imv^madliBh 
sind^  ubersichtlich  eiwa  so  luaammengestellt  werdcn.:. 

1.  Die  Abtrennung  der  kleinen  Dotferhaufen,  aus  wel- 
xhen  die  Cosmella  fiich  spaier  entwickelii  findet,  witi  gaaagl, 
vor  dem  begimienden  Famboi^sproscsic^  imd  oamtndieh  ito- 
fort  nachdem  ilas  Ei  des  Tergipea  durch  WaaaeranfiiehiMn 
attfgeqaollen  ist,  stall,  und  sleht  tnit  deia  von  Fr.  M&ller  a4^ 
genannten  Richlungsblaschen  in  keinem  anderen  VefhSltoisaa^ 
als  das8  das  E^scbeinen  dieser  beidcn  Gebilde  sewobl  g^eich- 
zeitig  als  auch  kurz  auf  einander  erfolgen  kann. 

2.  Die  .Entwickelung  der  Cosmella  lasst  skk^  viie  :idi 
schon  friiher  erwahnte,  slufenweise  verfolgen,  wobei  das  Zu- 
-sammenscfamelzen  der  anfangs  scheinbar  nur  lose  an  etnander 
'klebenden  Dotterpaitikeln  in  ein  regelmassiges  rundlichea  Ger 
bilde,  dessen  allmahliges  Durchsichtigwerden,  das  Hervortrei- 
ben  eines  erhobten  Theils  der  Blasenperipberiey  aus  welcbftm 
die  Wimperhaufen  hervorwachsen ,  ihr  anfangiicbes  ZiUerta, 
die  Trennung  der  nun  langen  Winiper  in  swei  Btischeli  das 
Drehen,  Sichscbieudem  und  endlich  das  Sebceiten  dea  curio* 
sen  Gesehopfsy  vortrefflicbe  Anhaltspuncte  geben. 

3»  Bevor  noeh  die  im  nwitilttsahnlicben  Gehauae  stek* 
kende  Tergipeslarve  die  Eischale  sprengt,  baben  die  Coamel'^ 
len  ihre  voUstMndige  Entwiekeiung  erlangt>  und  pflaiizen  sich 
dufch  Langstheilung  fort^  indem  ku  den  scbon  vorbandenea 
Wimpern  eine  Anzabl  neuer  hinzowSebst;  in  wie  fern  aber 
der  schnabelabnKcbe  Tbeil  des  Tbieres  sicb  auch  tbeilt ,  iat 
mir  nicht  klar  geworden* 

4.  Nacbdem  der  junge  Tergipes  die  Eischale  gesprengt 
und  die  iiussere  Eierhiilse  durch  das  Klaffen  ihres  Deckels 
denAustritt  der  Tergipesjungen  in*s  Wasser  gestatteti  sind  die 
Cosmellen  auch  frei  geworden,  drehen  und  schleudern  sich 
im  Wasser  umher^  wahrend  ibre  Vermebrung  durch  Theilung 
auch  bier  vor  sich  gehL 

5.  Naqbden*  einige  Individuen  3  — 4Tage  in  einemlJhr- 


^2(0  Phyiikatiteh-niatlwroatiiche  WifMmelttften. 

glase  sich  befunden  hatten,  und  wahrend  dessen  einer  fort- 
wShrenden  Beobachlung  unterlagen,  setzten  sie  sich,  ohne 
einen  Apparat  zum  Ansaugen  zu  zeigen,  am  Boden  des  Glases 
festy  und  warfen  ihre  Wimpern,  indem  diese  in  einer  geordne- 
ten  Reihe  um  die  Peripherie  desKSrpers  sich  legteni  ab.  Der 
blasenfSrmige  Kdrper  des  Thieres  quoU  auf,  die  inneren  lich- 
ien  Stellen  verschwanden ,  statt  dessen  machte  sich  aber  in 
der  Milte  des  KSrpers  ein  dunkleres  feinkorniges  Gebilde 
merklich,  worauf  aber  auch  die  AuflSsung  und  der  Tod  des 
.Geschopfes  jedesmal  erfolgte. 

Kann  es  nun  wohl  einem  Zweifel  unteriiegen,   dass  wir 
ein  selbsistandiges  Geschopf  vor  uns  haben  und  ist  auch  nur 
ein  Grand  vorhanden,  das  sonderbare  VVesen  fiir  ein  abgeris- 
senes  Stiickchen  der  Segelwimper  der  Tergipes*Larve  zu  hal- 
ten,  viie  Herr  Vogt  es  will?    Dazu  kommt,  dass  meineSeob- 
achtung  jetzi  nieht  mehr  isolirt  dastebt,  denn  in  einem  AufsaUe 
„Zur  Kenntniss  des  Furcfaungsprozesses  im  Schneckeneie  von 
Dr.  Fr.  Miiller''*),   hat  der  Beobachter  bei  Gelegenheit  der 
•Uniersuchung  eines   dem  Tergipes  nicht  fern  stehenden  Ge- 
sch5pfs  der  Fasciola  capitata  O.  F.  MiiUer  =:  Planaria  lima- 
cina,  O.  Fabr.  j=  Pontolimax  varians  Creplin,  gewisser  lang 
bewimperter  Blaschen  Erwahnung  gethan,  welche  einmal  im 
Eie  des  genannten  Thieres  die  benachbarten  Eiweisszellen  in 
einen  lebhaften  Strudel  versetzte,   ein    andermal  in  grober 
Menge  in  dem  Geschlechtsapparate  der  Fasciola  vorkamen. 
Ueber  die  Natur  dieser  Gebilde  ist  zwar  Miiller  in  Unkennt- 
niss  geblieben  und  lasst  es  unentschieden,  ob  nicht  dieses  be* 
wimperte   Blasch^    ein    friiherer   Entwickelungszustand   des 
Richtungsblaschens  gewesen  sein  konne**).  Dannsagt  er  aber 
wieder:    ^^Es  liegt  nahe  bei  den  langen  Wimperfaden  dieser 


*)  Archi?  Ton  Wiegtnann  1848,  Heft  1. 

**)  Beilaofig  will  ich  biebei  erwabnen,  dass  Ton  dem  trefflicben  Beob- 
acbCer,  Professors  S.  Lo?i^n  korzlich  ein  Aa£Hitz  aber  die  fintwicke- 
long  der  Acephalen  erscbienen  ist,  K.  Wet.  Akadem.  Forbandlingar; 
Dec.  1848.  Stockholm  1849.  welcber  iiber  das  Verbalteo  des  Keim- 


EnthllC  der  I>oUer  dat  Tergtpet  ein«ii  MiUtotSadigen  Parulton?  21 

„Bl^schen  an  die  bei  unseren  Schnecken  einfach  fadenfSrmi- 
,,gen,  freilich  mindestens  noch  3— 4mal  so  langen  Spermato- 
„zoiden  xu  denken.*'  Die  erate  VorausseUung  ist  offenbar 
ganx  uDstatthaft,  und  die.  leizte  Combination ,  wenigsiens  mir, 
voUends  unverstandlich.  Vielmehr  w8re  ich  sehr  geneigt  tu 
glaubeni  dass  Dr.  Miiller  auf  dem  Wege  war,  ein  unaerer 
Cosmeb'a  aholiches  GeschSpf  zn  belauschen.  .  Um  so  mebi; 
ivare  es  su  wtinschen  gewesen,  dass  er  meine  Abhandlimg 
fiber  die  Entwieklungsgeschichte  des  Tergipes  gekannt  hStte. 


blaschens  nnd  Keimflec&et  wabrend  des  Farcbang^sproEesMt  tea 
groiser  Wicbtigkeit  ist  Lof^n  iheitt  die  Meimmg  Fr.  Mttlert  ia 
Betreff  der  Deotaiigf  det  RiehtiBetblStebeu,  idmlifidrl  diesM  Ge^ 
bilde  mift  dam  Keimilecke,  mid  besebreibt  sas/iibriieb  desseit  yerbsl<^ 
tea  M  den  Eiern  toa  ModioUria  nnd  Cardiam. 


TypographiscIiQ   Seltenheiten    der  Kaii^erlichen 
Oeffendlcheii  BMothek  m  St  Petersburg  *3. 


Jci9  gifbt.  keinw  Bibliographen  und  selbsl  keineo  Biicher- 
freand  ¥«n  eitiiger  GrfahruBg,  ui  dem  der  Ruf  4e6  Pastissier 
fran^ois,  Amsterdam,  Louts  et  Daniel  Eizerier,  1665  in  12°, 
nicht  gedrungen  wSre;  aber  nur  aufserst  Wenige  haken  ihn 
mit  eigenen  Augen  gesehen.  Herr  A.  de  Reume,  Verfasser 
einer  gelehrten  Abhandlung  liber  die  Elzevire,  die  vor  nicht 
langerZeit  zu  Briissel  erschienen  ist,  spricht  sich  iiber  diesen 
Gegenstand  folgendermafsen  aus: 

,J)as  seltenste  und  merkwiirdigste  Stiick  der  ganzen  El- 
zevir-Sammlung  ist  der  Pastissier  fran^ois.  Die  Liebhaber 
finden  ein  solches  Gefallen  daran,  dafs  man  fiir  dies  diinne, 
mit  schleehten  Charakteren  gedruckte  Duodezbandchen,  das 
Daniel  Elzevir  im  Jahre  1675  fiir  zw5lf  hollandische  Groschen 
feiibot,  250  Franken  bezahlt  hat.  Die  namhaftesten  Bibliophi- 
len:  Berard,  Motteley,  Durier,  Charles  Nodier,  Bruyeres-Gha- 
labre,  Baron  Marchaud,  Fiirst  Massena  etc.  besafsen  es  nicht 
Haben  sie  den  Pastissier?  ist  gewohnlich  die  ersle  Frage,  die 
man  an  einen  Liebhaber  Elzevir'scher  Drucke  richtet,  und  wenn 
er  das  unaussprechliche  Vergniigen  hat  darauf  antworten  zu 
konnen  mit  jenem  ich  habe  ihn!  in  welches  der  unnach- 
ahmliche  Van  Hulthem  einst  so  viel  Ausdruck  zu  legen 
wufste,  so  erklart  sich  schon  aus  der  blofsen  Vorstellung  von 
einem  solchen  Vergniigen  die  ausgezeichnete  Gunst,  deren 
sich  das  Bilchlein  erfreut. 

*)  Aus  der  Petersbnrger  Akadem.  Zeitung  abgedrackt. 


Typographiiche  Seltenheiten  der  Petertborger  Kaiserl.  Bibliothek.  23 

„Der  gelehrte  Herr  Ch.  Pietero  weisel  die  ExisteDx  vbli 
fiinf  Exemplaren  desselben  nach,  namlicb: 

,,Das  erste  Exemplar,  welches  er,  nach  den  von  Briinet 
und  Berard  besprochenen,  zum  Verkaufe  kommen  sab/  war 
verzeichnet  unter  No.  281  im  Kataloge  des  Herrn  Sensier, 
eines  Mitgb'edes  der  Gesellschafl  der  franzosiscben  Bibliopbilen, 
dessen  Bucber-Sammlung  im  April  1831  versieigert  wurde. 
Es  ist  als  schones  Exemplar  angezeigt  und  war  in  der  *thal 
rein,  in  seinem  ursprunglicben  Pergameht-Eiobande  und  4 
ZoU  9  Linien  hoch.  Es  wurde  fiir  128  Franken  erslanden. 
Neun  Jahre  spater,  im  April  1837 ,  erscbien  das  namliche^ 
Exemplar^  in  unveranderlem  Zusiande,  in  der  Bignon'schen 
BUcher-Auktion  und  wurde  fiir  201  Franken  sugesprochen. 
Es  blieb  in  Paris  und  mufs  sich  gegenwartig  in  Herrn  Miiioto 
Kabinet  befinden.*' 

Das  Bulletin  du  Bibliophile  von  Teschener  (Paris,  Jabr- 
gang  1848)  tbeilt  mil,  dafs  Herrn  Milloi  dies  scbone  Exern* 
plar,  nacbdem  er  es  bei  Niedren  vortrefflich  einbinden  lassen 
(roth  Saffian  au(sen  und  innen),  1846  an  den  Marquis  de  C« 
verkauft,  der  es  wiederum  einem  Herrn  B.  D.  uberliefs.  Von 
dem  letzteren  kaufte  es  Herr  v.  Montesson  fiir  450  Franken^ 
um  es  seiner  kostbaren  Elzevir- Sammlung  beizuzablen. 

„Das  zweite  offentlich  verkaufle  Exemplar  gehorle  Herrn 
G.  de  Pixerecourt  (s.  No^  337  seines  gescbalzten  Kalalogs). 
Es  isl  von  Bauzonnet  in  blau  SafGan  gebunden.  Auf  die  Be- 
zeichnung  sebr  selten,  folgl  im  Kataloge  eine  Anmerkung 
von  Paul  Lacroix  (Bibliophile  Jakob)  und  der  Herausgeber 
des  Verzeichnisses  fugt  hinzu:  das  Exemplar  welches  1827 
fiir  mehr  als  200  Franken  verkaufl  wurde  (das  Btgnonsche) 
stehi  dem  unsrigen  weit  nach:  dies  ist  seit  vierzig  Jahren 
das  zweite  offentlich  zum  Verkauf  kommende  Exemplar.  — 
Seit  zwanzig  Jahren  hatte  es  beilsen  mussen.  Dies  zweite 
Exemplar  wurde  1839  fiir  221  Franken  erstanden:  mit  Ein* 
reehnung  der  &%  betragenden  Auktions  -  Gebiihren  kostete  es 
demnacb  232  Franker »  bhne  die  KommiiBsioD  in  Anschlag  w 


24  AlIgemeiB  Literaritches. 


• 


bringen.  Herr  Beaujoie  in  Nancy  befindet  sich  gegenwartig 
im  Besitz  desselben." 

„Das  dritte  Exemplar,  wurde  unter  No.  1795  im  zwei- 
ien  Theile  des  Lammens^schen  Kataloges,  zu  Gent,  aufgefiihri 
mil  folgender  Bemerkung:  vorliegendes  Exemplar  dieser  aus- 
serst  seltcnen  Ausgabe,  der  kostbarsten  in  der  ganzen  Elzevir- 
Sammlung,  ist  vortreSlich  erhalten  und  noch  in  seinem  ersten 
Einbande.  —  Es  war  in  der  That  ein  fleckenloser  Pergament- 
band  von  4  ZoU  10  Linien  Hohe.  Man  uberliefs  ihn,  W^ 
Aukiions-Gebuhren  mitgerechnet,  fiir  220  Franken  Herrn  Van 
Gobbelschroy,  ehemaligem  Minister  des  Konigs  der  Nieder- 
lande  und  Besitzer  einer  grofsen  Anzahl  schoner  Elzevire. 
Dies  Exemplar  ist  seitdem  von  dem  geschickten  Bauzonnet  in 
Saffian  gebunden  worden.    Der  Einband  hat  25  Fr.  gekostet/' 

y,Das  vierte  Exemplar  gehorte  unlangst  zu  der  Samm- 
lung  des  Herrn  Barrois,  Verfassers  der  interessanten  Biblio- 
fheque  prototypographique  des  fils  du  roi  Jean.  Das  in 
Kupfer  gestochene  Titelblatt  fehlte  und  war,  tauschend  ahn- 
lich,  durch  eine  Federzeichnung  des  Genter  Kupferstechers 
Ch«  Oughana  ersetzt  worden.^*  Dies  Exemplar  war  in  den 
Besitz  des  Marquis  de  Noure  iibergegangen  und  wurde  mit 
dessen  Biichern  1848  zu  London  versteigert.  Herr  Jeannel 
erhielt  es  fiir  171  Franken." 

„Das  fiinfte  Exemplar  endlich  besitzt  Herr  Cb.  Pieters. 
Dasselbe  ist  kunslmafsig  gewaschen  und  scheint,  vor  eben 
nicht  langer  Zeit,  aus  zwei  unvollstiindigen  Exemplaren  ge- 
bildet  worden  zu  sein;  ubrigens  befriedigt  es  alien  Anforde- 
rungen,  hat  4  Zoll  7^  Linien  Hohe,  gute  und  gleiche  Kinder 
und  ist  von  Niedren  sehr  zierlich  in  roth  Saffian  gebunden. 
Der  thatige  Buchbandler  Teschener  hat  dies  Exemplar  seinem 
gegenwartigen  Besitzer  verschafift." 

„Das  waren  also  fiinf  Pastissiers  fran9ois  von  denen 
sich  zwei  in  Paris,  zwei  andere  in  Belgien  und  der  fiinfte  zu 
Nancy  befinden/' , 

Das  Bulletin  du  Biobliophile  fugt  hinzu:  „Es  hat  sich 
noch  ein  den  Bibliophilen  bisher  unbekanntes  Exemplar  des 


Typographisclie  Seltenhelteii  der  Peteriburger  Kaiserl.  Bibliothek.    25 

Pastissiers  gefiinden,  namlich  unler  den  Btichern  des  Grafen 
de  L  .  .  .,  die  im  April  1846  versteigert  wurden.  Das  In- 
nere  des  Biindchens  war  schon,  der  Einband  mittelinarsig, 
Herr  Yemeniz  kaufte  es  fur  300  Franken.  Es  giebt  also  ge- 
genwartig  sechs  bekanhle  Exemplare.'' 

Wir  konncQ  unsererseits  hinzufiigen,  dafs  es  deren  sie- 
ben  giebl  und  dafs  das  siebenle  so  frisch  und  rein  wie  es 
aus  der  Presse  hervorgegangen,  sich  seit  einem  halben  Jahr- 
hunderte  in  der  Kaiserlichen  Oefrentlichen  Bibliothek  zu  St. 
Petersburg    befindet.     Erst  im  vorigen  Jahre  jedoch  wurdc 
diese  koslbare  kleine  Scharteke  aus  dem  Inkognilo  hervorge- 
zogen,  in  das  sie  sich  so  beharrlich  gehiilll  hatle.    Damala 
trug   der  gegenwartige  Direkfor  der   Bibliothek   eineiu   der 
BibJiothekare  auf,  die  zahlreichen  typographischen  SeJtenheilen, 
auf  welche  Russland  Ursache  habe  slolz  zu  sein  (?),  zu  ordnen 
und  autorisirte  ihn  unler  andern  eine  Elzevirsammlung  zu  bilden. 
Es  ist  bekannt,  dafs  die  schonen  Elzevire  des  Grafen  v! 
Suchtelen,  rait  der  ganzen  Bibliothek  dieses  teruhniten  Samni- 
lers,  durch  die  Munificenz  Sr.  Maj.  des  Kaisers  der  Kaiserl. 
Oeifentlichen  Bibliothek  «inverleibt  worden.    In  ihrcr  Zahl  fin- 
det  man  Alles  was  sich  die  Liebhaber  dieser  Spezialitat  nur 
irgend  wunschen  konnen :  den  Charron  de  Sagesse  ohne  Jahr- 
zahl,  die  gleichfalls  undatirte  Ausgabe  der  Imitation  de  J&us- 
Christ,  die  Colloquia  Erasmi  von   1636,  ein  unbeschniltenes 
vollstandiges  Exemplar  der  Republiken,  die  kolossale  hoUan- 
dische  Bibel,  geheflete  und  noch  nicht  aufgeschniltene  Bande 
U.S.W.    Aber  ach!  Graf  Suchtelen  gehSrte  nicht  zu  der  Zahl 
der  Glucklichen,  die  einen  Pastissiers  fran9ois  den  ihrigen  nen- 
nen   und  ist  gestorben   ohne  ihn  jemais   erblickt  zu  haben. 
Ohne  die  entfernteste  Hoffnung  stellte  man  daher  Nachsuchun- 
gen  in  der  Abtheilung  der  Kiinste  und  Gewerbe  an  und  — 
man    denke  sich  die  allgemeine  Freude  der  Konservatoren, 
als  dieser  PhSnix  der  Elzevire  zwischen  zwei  vollkommenen 
Kochinnen  der  trivialsten  Gattung  zum  Vorschein  kam,  wo 
er  bescheidenUichst  den  grofcen  Tag  semer  Entdeckung  cr- 
wartet  hatte! 


26  AUgemein  Litenrisches. 

Es  hi  ein  schSnes  Pergament-Bandchen,  auf  voitreJ91ichei» 
fransdsisches  Papier  gedruckt  (die  grofse  Lilie,  als  Wasser- 
xeichen,  ist  u.  a.  in  der  obern  Ecke  des  lelzten  Blattes  der 
Vorrede  sichtbar)  und  5  englische  Zoll  hoch.  Von  der  Mi- 
nerva und  dem  Oelbaume  des  Titelblattes  bis  zu  den  Oeufs 
a  la  Hugenotte,  womit  das  Werk  schliefsty  kein  Flecken;  nur 
hat  ein  friiherer  Besitzer,  indem  er  die  bezeichnenden  Worle 
des  Titels  mit  demBleistifte  unterstricfai  das  ersle  s  des  Wor- 
ies  Pastissier  leicht  durchstrichen,  um  seinen  Kopisten  die 
modeme  Schreibart  begreiflich  zu  machen,  und  am  Ende  des 
Bandes  den  Standort  angedeutet  (In  ordine  2do  Sub  L.  M. 
No.  24)  worunter  also  die  Abtheilung  der  Kochbiieher  zu  ver- 
stefaen  war.  Auf  der  Stirnseite  des  zweilen  Bogens  (S.25) 
ist  unten  mit  trockenen  Steinpel  das  Wort  AZEC  aufgedruckt, 
d.  h.  Andreas  Zaluski  Episeopus  Cracoviensis.  Man  mufs 
demnach  annehmen,  dafs  dieser  grofse  und  gelehrte  Biicher** 
Ireund  diesen  seinen  Pastissier  zu  einer  Zeit  erworben,  als 
die  Elzevirschen  Brucke  noch  nicbt  zum  Gegenstande  der  be** 
sonderen  Vorliebe  auf  dem  Buchennarkte  geworden  waren; 
daher  dies  beharrliche  Inkognito,  dem  man  iibrigens  die  so 
flchatzenswerthe  Erhaltung  des  Exemplares  in  seiner  primiliveii 
Gestalt  zu  verdanken  hat  Was  ware  aus  ihm  unter  den  Han^ 
den  eines  ungeschicktenBuchbindersgeworden^  der  ihn  vergol-: 
det  hatte^  nachdem  er  ihn  tiichlig  beschnitten,  wie  es  so  of( 
mit  den  kostbarsten  Banden  gescbehn!  Um  den  Pastissier  fiir 
immer  vor  einem  ahniichen  Schicksale  zu  bewahren,  hat  der 
Bibliothekari  der  so  gliicklich  gewesen,  diesen  vergrabeneif 
Schatz  ans  Tageslicht  zu  fordern  *)  um  die  Eriaubnifs  gebeten 
auf  eigenei  Kosten  ein  reichverziertes  Kastchen  anfertigen  su 
hissen,  worin  das  kostbare  Buchlein  wahrend  des  dritten  und 
der  folgenden  Jahrhunderte  seiner  Existenz  auf  angemessenere 
Weise  ruhen  wird. 

I%e  typograpbisehe  Ausstattung   des  Pastissier  verdienl 


*)  Der  mit  der  Redaktion  des  Kataloges  der  typcigrapfaiichen  Setteirhei- 
ten  beaoftragte  Dr.  Minzloff.  .      .     / 


Typographiicbe  S«Itenh6iten  der  Petertkurger  Kaiierl.  Bibliothek.  27 

noch  einige  Bemerkungen.  Die  Bibliographen  nennen  sie 
gradezu  miltelmafsig  und  Brunei  findet  die  Typen  schlecht 
AUerdings  ist  es  nicht  die  kleine  sierliche  Schrift,  wodurch 
sich  die  anderen  Duodez-Ausgaben  der  Elzevire  auszeichneDi 
abet  wohl  dieselbe,  deren  sie  sich  sum  Drucke  ihres  Quart- 
und  einiger  Oktavausgaben  bedient.  Die  Exemplare  welche 
dies  ungiinslige  Urlheil  hervorgerufen,  sind  wahrscheinlich  auf 
scfalechtes  Papier  abgesogen  und  mit  Typen ,  die  bereits  ab- 
genutzt  waren  durch  eine  Auflage,  welche ,  nach  der  Beatim- 
mung  des  Werkchens  zu  urtheilen  *)  iiberaus  stark  gewesen 
sein  mufs.  Das  fixemplat  der  Kiiisarl.  Oeffentliehen  Btbfiollieic 
ist  im  Gegenlheile  bamerkaniweftii  ebtnsowohl  wegen  der 
Qualitat  des  Papieres,  als  wegen  der  untadeihaften  Scharfe 
und  Reinheit  der  Typen. 

Zum  Schiusse  miissen  wir  noch  hinzurugen,  dafs  eines 
der  oben  nach  dem  Bulletin  du  Bibliophile  aufgezKhlten  Exem- 
plare, das  unter  No.  4  genannte,  jetzt  einem  Ehreomiigliede 
der  KaiserL  Oeffenilicheii  KbUothek,  Herrn  iSobolewski^ 
gehorty  so  dafs  sich  nunmehr  von  den  sieben  Pastisaiers 
fran^ois,  die  man  iiberhanpt  kennt^  swei  in  Russland  befindan* 


*)  Ber  Ueraasgeber  sagt  in   der  Torrede  ifid^m  er  Yon  ganz  Europa 

apricht:  „qii'il  n^y  aura  doreanatant  villes.  Tillages,   chaateanx,  ny 

maisons  cbampestrea,  od  on  tie  se  pniaae  traiter  trds-deliciaoaemeiit, 

en  tootes  lea  aaiaoaa  de  Tann^e  tant  en  ettat  de  ^aat^,  qa^en  celui 

.  de  mabdie*^  etc. 


Jagd  und  Fischfang  der  Syrj&nen  iin  Gouver 

nement  Wologda. 


Bei  dem  Reichthume  an  Naturgaben  ihres  Landes  aind  die 
Jagden  der  Syrjanen  in  den  Bezirken  Uttayaol  und  Jarentk 
aehr  vielgestaliig;  allein  ihr  mehr  oder  minder  wohlthStiger 
Einfluss  auf  die  Existenz  des  Volkes  hangt  ab  von  der  Jab- 
reszeit,  der  Oertlicbkeit  und  gewissen  NebenumaUinden. 

Der  Winter  hat  in  diesem  Bezuge  unbeslreitbare  Vor- 
ziige  vor  den  iibrigen  Zeiten  des  Jahres :  alsdann  schieben  die 
Syrjanen  Haselhiibner,  jagen  Eichhomchen,  Hermeline,  Ottem, 
Marder  und  andere  Pelzlhiere,  und  verkaufen  sie  vortheilhaft; 
sie  zimmem  Barken  und  kleine  Schiffe  in  den  Hafenplatzen, 
gewinnen  Eisenerz  und  Schleifsleine,  sieden  Salz,  fallen  Holz 
fUr  die  Hiittenwerke,  und  sind  zum  Theil  auch  als  Fuhrleute 
thatig.  Im  Friihling  saubern  sie  Felder  und  Wiesen,  saen 
Sommerkom  und  treiben  Fischfang.  Den  Sommer  und  Herbst 
verbringen  sie  mil  Feldarbeiien,  Schiffahrt,  Vogelfang,  und  in* 
sonderheit  mit  Fischerei.  Wenn  ein  reiches  Gedeihen  der 
Cedemiisse  bemerkt  wird^  so  gehen  sie  in  die  tiefen  Walder 
an  den  Fliissen  Wyischegda,  Wischera  und  Petsehora^  und 
holen  von  dort  noch  im  Winter  tausende  von  Pud  dieser 
NUssOi  die  sie  in  Gruben  woi  zu  verwahren  wissen.  Endlich 
aammein  sie  Heilkrauler  und  Farbekrauter,  z.  B.  die  Stein- 


Jagd  ond  Flfchlmg  der  SjrjfineD  im  GoaTwaemeBt  Wologda.      29 

beere  (arbutus  uva  ursi),  *)  welche  in  Fahraeugen  auf  dem  ehe- 
maligen  Nord- Jekaterinischen  Canale,  nachKasan  und  anderen 
Stadten  versandt  wird. 

Der  Schiffbau  und  die  Erbeutung  des  Erzes  und  Schleif- 
steins  sind  nur  denjenigen  Bauern  mSgiich,  in  deren  Nach* 
barschaft  Landungsplatze,  Hiiitenwerke  oder  solche  Quellen 
des  Wohlstandes  sind,  die,  gieich  dem  Schleifstein  und  Eisen* 
erze,  nur  das  Eigenthum  gewisser  Gesellschaften  ausmachen. 
Daher  konnen  die  Gewerbe  der  Syrjanen  in  ortliche  und  all« 
gemeine  eingetheilt  werden.  Wir  handeln  hier  nur  von  den 
leta&teren,  welche  sind:  Jagden,  Vogelfang  und  Fischfang. 

1.    Jagden. 

Diese  werden  im  grofsesten  Malsstabe  angesielU,  da  ihr 
Ertrag  das  vornehmste  Mittel  der  Emahrung  in  Gegenden  ist» 
wo  die  Natur  die  Miihe  des  Landbauers  karglich  lohnet.  Der 
Syrjane  jagt  Baren,  Wolfe,  Vielfrabe,  OUern,  Marder,  Zobel, 
schwarze  und  rothe  Fiichse,  Elenthiere,  Hirsche,  Hermeline 
und  Eichhornen  Ehemals  gab  es  im  Bezirke  U«t«ysol  auch 
Biber,  die  aber  jetzt  voilig  verschwundensind;  sie  baben^  wie 
der  Syrjane  sagt,  „jenseii  der  Felsen'\  d.  i,  jenseit  des  Ural, 
eine  neue  Heimat  gesucht. 

Baren  eriegt  man  zumeist  um  den  17ten  Februar, 
wann  sie  sich  paaren  und  truppweise  ziehen.  Dann  gehen 
mehrere  Jager,  nach  getroffener  Abrede,  auf  Scbneeschuhen 
in  den  Wald,  Flinien,  Jagdspiese  und  Pfahle  mit  sich  fuh* 
rend,  und  folgen  der  Spur  des  Thieres.  Sie  gehen  AUe  zu- 
sammen,  sehr  wenig  von  einander  sich  entfernend,  um  den 
Unvorsichtigen  beschiitzen  zu  konnen,  der,  ohne  das  verabre* 
dete  Zeichen  gegeben  zu  haben,  in  eine  Heerde  feuerte  oder 
unerwartet  von  dem  furchtbaren  Thier  iiberfallen  wiirde.  Die 
Beule  ist  Gemeingut;  nur  derjenigp  erhSlt  keinen  Aniheii,  der, 
einen  Genossen  in  Gefahr  sehend,  ihm  nicht  zu  Hiilfe  gekom-* 


*)  Rechnet  d«r  Verf.  die  Steinbeere  (toloknSnka)  aa  d«a  Heil-  od«f 
FSrbekraotern? 


go  MIoirtrie  Qmi  HsnM. 

liien,  (fier^  der^  wefin  er  einen  Fehlschuss  geihan,*  nichi  dchnell 
seine  Flinle  ivieder  ladet  und  ein  sweites  Mai  scUefat,  son* 
dern  davonlauft  und  seinen  Gefahrten  dem  wiitenden  Thiere 
Preis  giebt.  Auf  ihren  Barenjagden  wissen  die  Samojeden 
atich  aus  der  Unbesonnenheit  und  Gefra&igkeU  des  Thieres 
Yortheil  zu  Ziehen :  sie  fangen  viele  Biiren  mittelsi  kiinsllicher 
Fallen,  Selbgtschiisse ,  und  aufgesteilter  Baume  oder  Balken, 
welche,  wenn  das  Thier  daran  8to£st,  plotzlich  niederfallen 
tmd  es  niit  ihrer  Wucht  erdriickem  Unlangsl  haben  sie  den 
Anfang  gemacht,  nicht  bios  Baren,  sondern  auch  andre  nasch- 
hafte  Thiere  mit  sogenannten  „Angeln"  su  fangen,  an  welchen 
ein  Stiick  Flejsch  von  crepirtem  Vieh  alsKoder  steckt  Wenn 
ein  Bar  die  Gewohnheit  hat,  auf  eine  Trift  zu  gehen  und  Kiihe 
zu  zerretssen,  so  beobachtet  man  seine  Spur,  gehi  bis  za  sei- 
ner Lagerstatte  und  bringt  die  Ueberbleibsel  des  von  ihin  zer- 
rissenen  Thieres  dabin^  dann  baut  man  eine  Art  Geriisle  oben 
auf  einem  Baume,  erlauert  von  da  das  Thier,  und  schieCsl  es 
hieder.  Alie  diese,  auf  List  gegriindete  Arten  von  Jagd 
sind  aber  nicht  sehr  naeb  dem  Sinne  des  Syrjanen:  bei  sei* 
ner  angebornen  Furchtlosigkeit  versteckt  er  sich  nicht  gern 
Tor  dem  Baren,  sondern  gehi,  seiner  Kraft  and  Gewandtheil 
vertrauend,  gerade  auf  den  Gegner  los,  und  i8sst  es  zum 
Kampfe  kommen,  vrenn  er  ibn  in  seiner  Hohle  vorfindet  Der 
Jager  lockt  den  Baren  heraus,  mit  seinem  Jagdspiese  ihn 
neckehd,  ohne  ibn  jedoch  zu  stechen ,  damit  der  Pelz  nicht 
Schaden  leide,  und  st6(st  ihm  dann  ein  langes  spitziges  Mes- 
der  gut  gezielt  in  die  Weiehen.  Um  junge  Baren  zu  bekom- 
men,  begeben  sich  drei>  mit  Lanzen  und  Jagdspiesen  be* 
waffnele  Jager  nach  der  Hdhle ;  zwei  von  ihnen  verstecken 
sich  in  der  Nahe  hinter  aufgeworfenem  Reisig,  wahrend  der 
dritte,  die  Barin  neckend,  sie  aus  der  Hfihie  lockt:  das  erbit«. 
terte  Thier  springt  auf  den  Verwegenen  los,  der  seine  Rube, 
gestdrt  hat;  dieser  lauft  davon,  damit  die  Barin,  ihm  n«ich- 
eilend,  von  ihren  Kindem  sich  entfeme;  mittlerweile  aber 
sliirzen  seine  Kameraden  in  die  Hohle  und  rauben  die  Jun- 


lagd  und  Fischfang  *d«r  Sytjimen  im  GooTernement  Wologda.      8t 

gen*  Die  bestenBSraipelze  wo'den  fiir  6 — 7  Silberrubel  das 
Stuck  veri^aufl, 

Wolfe  8chiefst  man  selten ;  dafiir  werden  sie  oft  in  FaUea 
gefangen.  Dieses  in  anderen  Gegenden  so  rSuberische  Thier 
ttiut  biersulande  weder  Menscben  noch  Hausthieren  erbebli- 
chen  Schaden;  c^  lafst  sich  auf  Heerstrafsen,  bei  Wohnbiiu- 
sern,  sogar  in  St&dten  seheii,  und  lauft  nicht  selten  ganz  ru* 
big  mit  dem  Yieh  berum.  Mit  dem  Leben  biifset  nur  ein 
allzu  frecher  Wolf,  wenn  er  ungebeten  in  den  Heuschuppeni 
oder  auf  den  Yiehbof  scbleicht.  Die  besten  Wolfsfelle  wer- 
den  fiir  2  oder  3  Silberrubel  das  Stiicic  verkauft 

Die  Jagd  der  Vielfrabe  gilt,  weil  ihre  Pelze  sebr  tbeuer, 
fiir  hochst  eintraglich.  Zuweilen  treffen  die  Jager  in  den 
Waldem  ganze  Heerden  dieser  Thiere,  die  rauberiscber  als 
die  Wolfe  sind.  Wenn  der  Vielfrafs-von  einem  Jager  iiber* 
rumpelt  wird,  flieht  er  nicht,  sondern  springt  seinem  Feinde, 
ehe  dieser  noch  schiefsen  kann,  ins  Gesicht  und  ricbtet  ibn 
mit  seinen  scharfen  Klauen  so  arg  zu,  dafs  der  Jager  oft  geno-- 
thigt  ist,  dieBeute  fahren  zu  lassen*  Ein  erfahrner  Jager  schiitzt 
sich  gegen  solche  Anfalle  mil  seinem  Jagdspiese:  das  Gewehr 
an  die  Seite  legend,  liisst  er  das  Thier  nicht  aus  den  Augen; 
er  beobachlet  jede  seiner  Bewegungen,  neckt  es  mit  der 
Stimme,  slpfst  mit  Hand  oder  Fufs.  an  den  Baiim ;  und  wenn 
derVielfrafs  eben  eine  letzte  Anstresgung  macht,  um  sich  auf 
ibn  zu  stiirzen,  spiefst  er  ibn.  Zur  Winterzeit  gerathen  die 
Vielfrafse  in  Fallen  oder  werden  von  aufgestellten  Baumen 
erschlagen;  im  Sommer  aber  fangt  man  sie  lebendig  in  Gru- 
ben,  die  leicbt  mit  Reisig  iiberdeckl  sind,  auf  welches  man 
Fleisch  irgend  eines  kleinen  Thieres  legt,  das  die  gewohnliche 
Speise  der  Vielfrafse  ist.  Yon  dem  Geruche  angelockl,  eilt 
der  Vielfrafs  herbei  und  stiirzt  mit  dem  Fleisch  in  die  Grube. 
Zuweilen  fdgen  noch  mehrere  dem  Beispiele  ibres  Kamera- 
den,  um  an  seinem  Schmause  Theil  zu  nehmen,  so  dafs  der 
gliickliche  Jager  wol  fiinf  dieser  Thiere  gefangen  kriegt*  Der 
auigeftttterte  Vielfrafs  steht  dem  wilden  an  Giite  des  Pelzes 
^H  nach;  daher  nehmen  die  Jager  niemals  einem  Weibchen^ 


SS  Indiuitrie  ttad  Handel. 

seine  Jungen.  Das  Haar  des  aufgefulterien  Thieres  isl  kUr* 
ter  und  von  rothlich  schwarzer  Farbe;  das  des  miden  aber 
^^^Ki  glantend  und  von  dunkler  Zimlfarbe.  Am  hochslen 
schaist  man  solche  Pelse,  an  welchen  die  Aasseite  (mesdra) 
sehwan  ist,  der  Riicken  selbst  aber  dunkel  zimtfarben  und 
glSniend.  Fiir  BSlge  dieser  Art  bezahU  man  4  bis  4y^,  fur 
die  von  mitUerer  Gute  aber  2'/,  bis  3  und  3%  Silberrubei. 

OUern  erlegt  man  hauptsachlich  milFlinten  und  gezoge- 
nen  Kugelbuchsen  von  kleiner  Ladung;  auf  kiinslitche  Weise 
aber  fangt  man  sie  selten.    Dieses  in  kleinen  Fliissen,.  Bachen 
und  See'n  wohnende,  von  Fischen  sich  nahrende  Thier  er- 
scheint  nur  an  heissen  Tagen,   oder  wenn  das  Wasser  sehr 
unruhigy  auf  dem  Trocknen.    Aisdann  erholt  es  sich  gewohn- 
lich  in  Gestrauchen  am  Ufer,  unter  Baumwurzein  oder  hohen, 
mil  Rieihgras  >uberwacbsenen  Erdhiigeln,  so  dads  der  Jager 
es  miihsam  aufspiirt,  wenn  er  keinen  Hund  zum  Begleiter  hat. 
Da  die  Otter  auf  die  Schnelligkeit  ihres  Laufes  sich  nicht  ver- 
lassen  kann,  so  leistet  sie  dem  Hunde  hartnackigen  Widerstand, 
wahrend  der  Jager  ihr  gerade  auf  die  Stirn  zielt.     fst  der 
Schuss  gefallen,  so  zerrt  der  Hund  das  gelodtete  Thier  unter 
dem   Erdhugel  hervor  und    bring!   es    schmeichelnd   seinem 
Herren.    Um  den  Pelz  dieses  sehr  werthvolien  Thieres  nicht 
zu  verderben,  nimmt  der  Jager  immer  nur  seinen  Kopf  aufs 
Korn,  auch  thut  er  nie  einen  Fehlschuss.   Die  Otter  schwimmt 
gem  und  taucht  gem  unter:  wenn  der  Jager  sie  im  Wasser 
bemerkt,  so  kommt  er  behutsam  hinter  den  Strauchern  her-< 
vor,  beobachtet  alle  ihre  Bewegungen,  und  ergreift  einen  giin-- 
sligen  AugenUicky  um  das  schwimmende  Thier  zu  erlegen. 
Zur   Winterzeit  versteckt   sich   die  Otler    bestandig   unierm 
Eise;  nur  selten  kommt  sie  hervor  und  tummelt  sich  etwas 
auf  dem  Schnee;  ihr  Lager  verlassend,  bahnt  sie  sich  ihren 
Weg  nicht  gerade ,  sondem  mehrentheiis  im  Zigzag,   damit 
der  Hund  sie  nicht  plotzlich  erfassen  kSnne.    Ottern  verkau- 
fen  die  Jager  zu  7,   10  und  12  Silberrubei  das  Stuck.    Die 
Giite  des  Pelzes  hangt  von  der  Jahreszeit  ab;  Ottern  die  im 
Februar,  Marz  oder  April  geschossen  worden,  schatzt  man  anf 


Jagii  und  Fischfang  d«r  8yiji«e»  Im  Goofernenwiit  Wologda.     ^ 

hochslen:    alsdann    ki  Skkt  H»ar    glatt,    glameBd  und  difli-^ 
k€%rau. 

Die  Jagd  auf  Fiidise  lat  ebenso  att8g«breit«t  ala  ergiebig. 
Dieser  Thiere  betneisteri  man  sich  mit  alleit  Kunslgriffen  die 
der  crfinderische  G«st  des  6yrjani3cbeB  Jflgers  nur  erainnen 
kann.  DerTucfas  ist  swar  sellMrr  lialig,  aber  selteo  iiberliatet 
er  den  Jager^  selten  eni&chlupft  er  ihm.  Ueberall  warden  die 
Fiichse  aiis  kJeinen  Hauschen  und  Strahhuilen  geschossen^  die 
eigens  zu  diesem  Zweck  erbnut  sind.  Nioht  weit  von  aolch 
einer  Hiille  legt  man  an  verschiedoen  Stellen  kleine  Sliicke 
Fteisch  von  gefallenem  Vieh  auf  die  Erde,  wekbea  den  Raub* 
thieren  als  besle  Lockspeise  dient  Die  Jager  tbeilen  seiches 
Fleisch  unter  sich,  und  jeder  legt  das  ihm  xugefallene  Stiick 
ver  die  HiHle,  in  welcher  er  seine  Beute  eriauerL  Besonders 
merkwiirdig  und  dabei  von  grofiier  Gescbiekliehkeil  der  Jager 
zeugend,  isi  folgende  Art  Ftiebse  su  schielsen,  Wenn  auf 
Feidern  und  andereii  ebenen  Grtinden  der  Scbnee  Hiigel  bil- 
dety  die  zuweilen  ein  halbes  Klafler  hech  sind,  so  legen  die 
syrjanischen  Jager  Stiicke  gefallenen  Viehs  urn  einen  seicheii 
Hiigel  herum.  Dann  kommen  sie  in  Scbneeschuhen  und  .auf 
engem  Pfade,  ihre  Spur  wieder  %uschQttend|  heran,  .und  grfir 
beo  sich  bis  an  die  Erde  in  den  Sehneehjligel,  um  mit  \yaffen 
und  Prof^iant^  darinnen  Platz  au  haben*  Sie  Mubern.  eine  vipr^^ 
eckige  Stelie^  trelen  den  Sichnee  hart,  bi:ei|en  das  mitgenomr 
mene  Heu  aus^  mapben  obeto  und  an  den  Seiien  gewisse  Be^ 
fesligungen,  damit  der  Schnee  sie.  nicht  verscbutte^  bohren  in 
der  Richiung  jedes  Stiickes  der  Lockspeise,  Oeffnung^n  fiir 
die  Gewehrlaufe,  verslopfen  den  Eingang,  und  begraben  sich 
voUkommen  in^  den  Hiigel  In  der  Nacht  kommen  die  Fiichse/ 
vom  Geruch  des  Fleisches  angelockt;  die  Jager  aber,  durch 
ihre  re^peciiven  Oeflnungen,  bei  Mondschein,  jeden  Fuchs.  ins 
Auge  fassendy  schief^en  nur  auf  diejeoigen,  deren  Fell  kostba^ 
rer  ist  Die  erlegten  Thiere  lassi  man  so  lange  liegen,  bis 
sammtlichey  als  Lockspeise  gebrauchte  StUcke  Fleiscli.  ver-? 
schwunden  sind,  oder  doch  sehr  wenig  d^von  iibrig  UeiMi 


34  IndotCrie  Olid  Hamdel. 

^tsdanti  arb«ilen  sich  die  Jiiger  wieder  aus  dem  Hiigel  ins 
Freie  und  sammein  ihre  Beute  ein,  welche  alle  ausgesUndnen 
Miitven  und  Entbehrungen  reichlich  aufwiegt  Schwanbraune 
Fficlise  Irifft  man  haufiger  bei  den  Niederlassungen  an  der 
Udora  und  der  Petsehora.  Man  fangt  sie  mil  Lockspeisen, 
denen  irgend  ein  Gift  beigemischt  wird.  Junge,  im  Walde 
gefundene  Filchschen  werden  aufgefiiitert;  aber  ihre  Peke 
srehatoi  mkn  im  Handel  gering,  da  das  Haar  an  solchen  ins 
Graue  spielt,  uiidicht  sleht  und  bei  leichtem  Anstofsen  aus* 
fHilt.  Die  Preise  der  Fuchsfelle  sind  verschieden  und  richten 
sich  nach  Giiie,  Farbe  und  Lange  des  Haars,  wie  nach  der 
^Jahreszeit,  in  der  sie  erbeutet  sind.  Die  rothen  Winterfiichse 
iithi  man  den  Ubrigen  vor;  man  kaufl  lehn  Stiick  eu  30  bis< 

35  R.  S.  und,  ivenn  sie  raittlerer  Giiie  sind,  eu  25 — 3QL  Die 
besien  schwarzbraunen  Fiichse  kosten  35 — >40,  und,  wenn  sie 
von  mittlerem  Werthe,  20—25  R.  S.  das  Stock. 

Di6  Harder  fangt  man  ebenso  wie  die  Ottem.  Die  Le* 
bensWeise  dieser  kleinen  Raubthiere  ist  gleichartig;  nur  ist 
der  Marder  nnbesonnener  als  die  Otter,  und  gerSth  haufiger 
in  Schlingeh  und  Fallen.  Ein  guter  Marder  kostet  2 — 3^  ein 
mHtelmtfsiger  1%— 2  R.  S. 

Zobel  jagt  man  an  der  Petsehora  und  Udora.  Die  Jin 
ger  der  Petsehora  finden  isie  meist  in  den  Waldem  am  Ural: 
auf  Schneeschnhen  den  Zobebi  nachjagend,  steigen  sie  liber 
das  Gebirg,  j^gen  an  dessen  sibirischer  Seite,  und  kehren  mil 
i'eicher  Beute  beladen  heim.  Man  sahlt  ftir  einen  Zobeipek 
10— 15R.S. 

Elenlhiere  und  Hirsche  jagt  man  vorzugsweise  im  Gc'^ 
biete  Ust^yvol:  die  ersteren  an  den  FlIissenLusa  und  Sysola^ 
die  letEle^en  an  der  Wytschegda,  Tscherja  und  l;ma.  Zur 
SomnierKeit  faMen  sie  in  Gruben,  in  Schlingen  aus  Stricken, 
die  swischen  Baumen  befesligt  sindj  und  die  sie  selbst  mit 
iht*eD  Hdrnefn  zuziehen,  endlich  in  Netzef,  an  den  Boren  au8«> 
gebreitet,  wo  das  Wild  sich  Fuller  sucht.  Im  Winter  wer* 
den  Treibjagden  auf  Schneeschnhen  angesiellt;  das  zur  Ver- 
zweiflung  gebrachte  Elen  stiirzt  sich  ofter  auf  den  JSger,  um 


Jagd  and  Fisdiiang  der  Syrjaaen  im  Gonvernement  Wologda.      95 

ihn  mil  seiner  WuchI  zu  erdriieken ;  aber  die  Gewandth^ili  wo- 
mii  der  Angegriffene  sdne  .Lanze  (Uhrt  und  die  Sicherheit 
des  Stofses  befreien  ihn  aus.  der  dringenden  Glefafar.  Wean 
die  Jager  Elenlhiere  und  Hirsche  jagen,  so  nehmen  sie  einige 
Hunde  i»it  sioh ,  welche  die  Spur  dieses  Wildes  gut  willem 
und  es  rastlos  verfolgen.  Das  Fell  eines  grofsen  EUeDs  kostet 
2%  ^-3%,  das  eines  miUleren  2 — 3  R.  S.;  Hir3chfelle  ver* 
kauft  man  um  1/4"^^  ^«  *^*  1^^^  Fleisch  der  Hirsche  und 
Elentliiere  ist  fur  die  Syqanen  ein  Leckerbisaen. 

Die  HeitaaeUne,  wie  anch  die  BiehhiNmckeii^  sohierst  man 
aus  gezogenen  Rohren  (wintowki),  nur  V4  Solohuk  Pid» 
ver*)  auf  die  Ladung  verwendend,  sa  dafs  ein  Pfond  iiber 
300  voile  Ladungen  giebt.  Die  syijanischen  Jagdliebhaher 
kennen  den  Schrot  nichi:  sie  ersetzen  ihn  durcb  diinpf  Stab* 
ehen  aus  Bid,  die  Jeder  von  ihnen  uber  der  Schulter  ban* 
gen  hat  Je  naoh  der  Grofse  des  Thieres  Jegt  man  ws.ldf 
zehn  solcher  Stabchen  oder  Lamellen  in  das  Rohr,  Die  Jagd* 
zeit  faltl  meistens  in  Herbst  und  Winter;  denn  alsdann  haben 
die  Hermeline  einen  dicbteren  und  glatteren  Pelz  und  der 
Balg.  selbsi  isl  harler  und  starker.  Im  Herbst  Tangt  man  si^ 
haufig  in  Schlingen  aut  Dreschiennen ,  Korndarrenj  in  der 
Nahe  von  Miiblen  und  G'l^treideschobern.  Das  Zehent  wird 
fiir  l—VA  R.  S.  verkauft. 

Die  Jagd  >  auf <  Eichhomcben  niuunt  unter  den.  iibrigen 
Jagden  der  SyrjSnen  beinahe.die  eirste  Stelle  eiif;  und  zwar 
ebeasoiin  Ansehong  ihrer  Ergiebigkeiti:  wie  der  Leichligkeiti 
womit  die  Beute  erlangt  wird.  Es  giebt  versiehiedne  Arten 
Eiehhorner,  unter  wekhen  die  Jager  vornebo^ich  zwei  uii«* 
terscheidea:  die  eine  Art.wohnt  ofler  auf  Baumen^  Uettert; 
mil  ungewShnlieher  Schnettigkeit  auf  ihre  Wipfel,  undspring^ 
rasch  von  dnem  zum  •anderen,  an.  denZweigen  sich  anhto* 
gend;  die  andere  Art  wohi^t  m  Mchem  untc^r  den  Wurzeln. 
derBaume  und  hupft  am^pd^yp  herun^    Ple  allerbesteSprt^^ 


')  Rill  gafizes  Solotnik  ist  '/^  Lo^h. 


.V 


'36  Indastrie  ond  Hand«l. 

deren  Balg  dunkelbraun ,  heissl  Knas^k^),  wird  aber  selleD 
gefangen.  ZunSchst  kommt  dieLetjaga  (das  fliegende  Eich* 
horn),  von  brauner  Farbe,  welche  so  rasche  Kreuib-  und 
Qoerspriinge  macht  und  so  blitzschnell  aufwarts  wie.  ab warts 
kleitert,  dass  nur  der  geiibte  Blick  des  syrjanischen  Jagers 
alien  ihren  Evolutionen  folgen  kann^  ohne  sie  aas  dem  Auge 
zu  verHeren.  Da$Sotnmereichhorn(]jelnaja  bjelka)  ist  den 
ersien  beiden  Arten  weit  untergeordnet  und  von  graur5lhli- 
cher  Farbe.  Die  Eichhornchen  leben  immer  heerdenweise, 
ihsonderheit  an  Orten,  wo  es  recht  viele  Cedem*  oder  Tan- 
lienzapfen  giebt. 

Wenn  der  Syijane  Klein  wild  jagt,  ziehl  er  liber,  seinen 
Pelzrock  oder  Kaftan  nochden  leinenenLas,  einen  Halbkaftan 
ohne  Ermel,  der  gewis^ermafsen  ein  Sack  heifsen  kann,  und 
in  welchen  das  geschossene  Kleinwild  auch  gesleckt  wird.  — 
Der  Preis  des  Eichhombalges  ist  gewohnlich  1%  R.  S.  filr 
das  Hundert. 

Jetzt  einige  Worie  iiber  die  Jagden  ih  Beziehung  auf  den 
Character  der  Syrjanen  und  in  Verbindung  mit  ihrer  hMusli^- 
chen  ^xisienz.  Wahrend  die  Jagd ;  nachst  dem  GetreidebaHi 
den  vornehmsten  Nahrungszweig  bildel,  ist  sie  auch  ein  zu- 
verlassiges  Forderungsmitlei  des  WoMstandes.  Der  Syij&ne 
hal  viele  Ursachen,  am  gliicklichen  Ertrage  des  Bodens  zu 
zweifeln^  den  er  im  Schweisse  seines  Angesichts  haul:  ent- 
w^der  zerst5rt  spater  Frost  zu  Anfang  des  Sommers  das  Kom 
in  der  Wurzel,  oder  friiher  Reif  zu  Ende  Sonsm^s  das  schon 
fast  reife  Getreide ;  in  beiden  F^len  erhalt  der  Landmann 
nicht  einmal  seine  Aussaat  zuriiek.  Aus  dieseil  Griinden  ver- 
lasst  sich  der  Syrjane  weniger  auf  den  Boden,  ais  auf  sein 
Jagdgewehr  und  seinen  Hund,  der  zu  keiner  Zeit  und  an 
k^inem  Orte  von  des  Herren  Seite  weicht  Die  Syrjanen 
stehen  nicht  mit  Unrecht  in  dem  Rufe,  treffliche  Schiitzen  zu 
sein ;  es  giebt  kaum  em  Dorf  im  Lande^  wo  man  junge  Kna- 


*)  Dieses  Wort  bedentet  sonst  (im  Rossischen)  Blanmeisd  (paras  cae- 
rulens). 


Jagd  and  Flsebfang  dto  Syijinen  im  GotTernement  Wologda.      3Z 

ben  fande,  die  nicfat  sehoh  sicber  iind  geaehickt  lait  deai 
Schiefsgewdir  um^Dgen.  Bei  seiner,  so  bu  sagen,  ahgebor- 
nen  Neigung  zur  Jagd,  verlaogt  das  Kind  voii  seinen  Ehern 
^weder  Feierkleider,  noch  y^stadtiache''  MuUen,  sondern  es  biU 
tet  unter  Thranen  urn  ein  „laraiendes  Spielzeug",  d.  i.  eisk 
Wintowka,  mit  der  es  dann  zur  Sommerzeit  durch  di^  be-' 
iMchbarten  Waider  streifti  Miltag*  und  Abendbrod  vergessend, 
wenn  die  Jagd  ihoi  niehts  einbringt  Unlangst  gdiang  es 
einem  elQahrigen  Knaben  an  der  PeUchora,  mil  seiner  Kugel* 
buchse  einen  ungi^heuren  Baren  zu  erlegen.  Von  fern  be^ 
merkend,  dass  der  Bar  einen  steilen  Berg  hinabklettertey  kam 
er  ihm  auf  Seilenwegen  zuvor,  und  stellte  sich  dem  Thier  ge* 
rade  gegentiber.  AIs  nun  der  Bar  auf  den  hinteren  Tatzen 
sieh  aufrichtetey  zielte  der  Knabe  ihm  sicfaer  in  die  Weich^ 
und  todtete  das  furchlbare  Thier  mil  einem  Schusse. 

Ohne  Biichse  geht  ein  Syrjane  niemala  aus,  er  rniissU 
dmin  einen  Nachbarn,  oder,  an  Feiertagen,  ein  benacbbarlies 
Oorf  besucben,  oder  aueh  seine  Felder  beslellen  woUen.  Hat 
er  sich  miide  gemaht,  so  sucht  er  im  Walde  Erholung,  d.  h. 
er  macht  mit  seiner  Wintowka  eine  Exeur^oli  von  etwa  20 
Werst,  durch  Moore  undl^ckichie,  batd  springendi  bald  krioi- 
cbend,  und  kehrt  endlich  frbch  und  kiihn  an  seine  vorige  Ar- 
beit zuriick.  Der  Wald  isl  des  Syrjanen  Spaziergang  undEr- 
holung6ort:  er  fiirchtet  wedei*  sein  nachtlicbed  Dunkel^  noch 
das  Bviillen  seiner  blutgierigen  Bewohner;  und  so  oftdbe 
Beslie  nafae  kommt,  ist  ihr  die  bleieme  Begrilfiuoggevviss. 
Nimm  dem  Syrjanen  seinen  Wald  uiid  das  Sduefsgewehr  -* 
er  wird  sein  Schicksal  verwiinsoiken  und  vor  Unlhatigkeit 
slerben.  Die  Syrjanen  sind^.so  zu  sagen,.mit  dem  Walde.  und 
seinen  Schrecknissen  geboreo:  keb  Wunder  also,  dass.  sie  AUe 
geschidDte  Schiitzen  .yferden, «  d^ss  aie  ein  Eichhorlichen  auf 
zwanzig  KlaAer  Cntfemung  in  die  Schftauze  treffen ;  demi  haidi 
dieser  wird  gezielL;  damit  der  Peiz  .unverletzt  bleibe«  Nadi- 
dem  sie  wohl  zwei  Mkbaale  ferri  von  jeder  Wohhung  zugi^ 
bracbty   kehren  sie,   mit  Pelswerir   reoht  etgetttlioh    belMen, 


3g  ittduatrie  Bud  HanM. 

keikn,  und  diese  Beilte  deckt  nicht  nur  die  jahrlichen  Ausgs- 
ben^  sie  vergr&fserl  auch  das  zuruckgeiegte  CapilaL 

Der  Jagdbetrieb  findet  jetzl  vortogsweise  zweimal  im 
Jahre  state ;  dabei  sind  denn  die  Zuroslangen  der  Jager  and 
ilir  wanderhdes  Leben  wahrend  der  Jagden  besonders  merkr 
wiirdig. 

Die  erslen  Jagden  beginnen  zu  Ende  Septembers,  weon 

die  Feldarbeiten  aufhoreii,  und  dauern  bis  in  die  Mitte  De^ 

cembers*    1st  das  Getreide  eingethaii,  so  giebt  es  ein  Fesige^ 

lage^  wobei  junges,  aus  dem  neuenKorn  gebrautes  Bier  eine 

wichtige  Rolle  spieit;    dabei   verabredet  man  sich  iiber  das 

ubi  und  qui  bus  auxiliis  der   bevorstehenden  Jagden;.  das 

heisst^  es  wird  festgestellt,  wo  man  jagen  wilJ^  und  was  fiir 

Leule  zu  dieser  oder  jener  Jagdgeseilschaft  zusammen  treten. 

Dann  versorgen '  sich  die  Jager  mit  Blei,  je  fiinf  Pfund  aitf 

den  Marni,  mit  Puhrer,  je  drei  Pfund,  und  mit  Lebensmitteln, 

die  aus  Zwieback,  Butter  und  gedorrlen  Fischen  bestefaen. 

Niiht  mehrals  z^n  Mann  bilden  eine  Jagdparlie.    Wenn  die 

Fliisse  noeh  nicht  mit  Eis  bedeckl  sind,  so  fahrea  die  Jager 

ill  Lodka^s  nacfa  gewissen  Piatzen,  und  begeben  sich  von  da 

zu  FuTse,  ibren  ganzdn  ProvianI  aiif  dem  Riicken  tragend,  in 

das  Tcrabredete  Jagdrevien     Hier  bauen  sie  vor  Alleni  eHUe 

gerSumige  Hiitte  und  awar  in  folgender  Weise:  lange  Stan^ 

gMi-werden  ichrage  in  den  Schnee  gesteckt^  uiid  mit  Haos^ 

iMiwand    iiberspannt,    die    man    zuersl    mit    Fichtennadebi 

{ch'W6ja)/und'  dann  mit  Birkenrinde  iiberdeokt^  damit  Nasse 

und  Feuchtigkeit  mcht  eindringen.    Oben  lasst  man  eine  Oeff* 

lattflg,  Urn  das  Licht  hineiln  und  den   Ranch  hinauszuiassen; 

tiber  derselben  Oeffnung  werden  die  Balge  der  erlegten  Thiere 

getrocknet.    So  lange  die  Jagd.  dauert,  liegt  es  jedem  Theit- 

nehmer  der  Reihe  nach'  ob,  fiir;  die  ganze  Gesellscbalt  das 

Mahl  zu  bereiten:  gewohntich  halten  sie  jeden  Tag  nur  eine 

Mahlzeit^  und.  zwai^  am  Abend.    Nicht  selten  gerathen  dieJ&- 

ger  so  weit  in  den  Wald,  dass  sit  iiber  500  Worst  von  ibren 

Wioliinungen'  abkommen^  obne  darum  jemak  den  Weg  jxt  ver- 

lieren:   die  erfahrenern  orientiren  sich  nach    der  Rinde   der 


Jagd  QRd  FIschfang  der  SjijIuieD  in  G«overiMiiimit  Wologda.      39 

Baume,  die  iiaNord^if  dicker  him)  griSber  i$t,  ala  m  SOdfO) 
Neulinge  aber  fiihren  bei  solcber  Gelegenfa^i  die  U^tka  k^i 
sichy  eine  kleine  .Ar4  Conipasd,  welche  die  Hioiinekgegeiideii 
immer  lichtig  an&eigt*  Wemi  xwei  Jagdpartieo  aunaiatiWr' 
treffen,.  so  jagea  sie  nicht  geil»ein«chaftlich,  sondern  die.  eine 
raumt  der  anderen  ihren  PlaU,  derjenigen  namiich,  die  l#sf 
friilier  eine  HtHte  gebaut,  oder  der  die  HUUe  niiher  iat  Im 
letxteren  Falie  misst  man  den  Absland  oaeh  TaebjSiii*ko«l 
oder  syrjanischen  VVerslen,  von  denen  aber  die  kleiaete  5 
ruBsische  WersI  beiragi;  derT8chj$m-koai  isl  eineSlr^ek^i 
^e  .ein  Syrjane  in  einer  besiipEiaiten  Zeil  auf  Sehoeeaehtftieil 
Knriicklegt 

Die  zweite  Jagd,  von  geringerer  Dauer,  beginil  Ende 
Januars  und  eAdet  um  die  NiUe  des  Mara.  Nachdieai  die.J^h 
ger  alles  za  einem  weilen  W^e  notbwendige  angesohafil  bar 
ben,  verlassen  sie  alle  Buaammen  ihre  Wohnungen,  «nd  twai: 
auf  Sofaneeschiihen  mil  uniernablem  Balge  von  den  FU£wa 
des  ElenSy  so,  dafs  das  Haar  ab warts  gekehrt  ist^  una  die 
Berge  bequemer  besteigen  und  sich  leichier  von  ihnen  herab- 
iassen  zu  konnen.  Speisevon*ath  und  sonstige  Bedurfnisse 
fiihreB  sie  mil  sieb  in  Nar4en,  d«  i.  laogen  und  schiMien  Schlit- 
ten»  mil  dunnen  und  ovalen  Kufen,  welehe,  gleich  den)  iibri-r 
gen  Zubebor  der  Nartai  aiu  durrem,  Holse  gemadil  werdefl^ 
ao  dafs  der  ganze  Sehlillen  nicht  ilber  «^hn  Pfun4  megL 
Vor  )eden.  ScMiiten  werden  Ewei  Hunde  gespanitt,  diei  neuni^ 
wenn  sie  ermiidet  sind,  duroh  anderey  nuran  den  SchliUfiB 
gebundene  Hunde : abldst.  Das  Fieiachides  erlegten  Wiidf^ 
isl  der  einzigeLohBy  den  dieae.Hunde  fur. ihre lreuenXlei(|tllQ^ 
gen  erwarien.' 

Anf  Jagden  und .  ioi  bihislichen  Leben  schiitzt  der  Syr«- 
jane  nichla  ao  hoch  wie.^  ^hicHspuLmnr :  eber  ^rd,.der  Jli* 
ger  dir  einen  koalbamn  .Balg  aUassen^  ab  eiA  .Viertelpfr|il(i 
Piilver.  Ehe  sie  zum  Jagea.  ausueheOy  berechneR  aie«  wieviftl 
Ladungen  cUe  mitgeneiniiiene  QuaotiUt  Pnlver  gebon  wif<d, 
und  wenn  der. Voiralb  Einiger  glinz  ausgogangen ,  soi.borgen 
ifanen  awar  ihre  Kameradien  elwas  ,|Kraur,  jedoeh.nur  unter 


4Cf  InduBlrid  ond  HanM.  ■ 

der  Bi^dingungy'  dass  die  Scbold  in  nights  anderem  als  deoH 
ariben  Materiale  swiickgesiaUel  werde.  Diese  sehr  slrenge 
Oeconomie  stamiht  eben  so  sehr  von  der  Schwierigkdt,  in 
der  JugdperiodePulver  zu  bekommen,  als  auch  von  der  gros- 
aen  Enlfemung  der  Stadt,  wo  das  Pulver  gewdbnlich  verkauft 
wird.  Einige  der  ortliohen  Kaufleule  and  sogar  begliterte 
Bauern  haben  den  Verkanf  desselben  scfaon  lange  zu  einer 
fiif '  sich  v.ortbeilhafien  Speculation  gemacbt:  sie  luiufen  das 
Pulver  in  Fasschen>  flihren  es  auf  den  Dorfern  henim,  und 
verlheilen  es  unentgelilich  unler  die  Jager,  jedoch  mil  der 
B^dingung,  dafs  sie  ihnen  naehmals  mil  Balgen  eriegten  Wil* 
des,  insonderheit  Hermelinen  und  Eichhornchen,  zablen;  aaf 
diese  Weise  zahli  man  fiir  ein  Pfund  S^hiefepulver  zehn  Her- 
meline  oder  funfzehn  Eicbhorncheny  und  dabei  glauben  die 
Jliger  nock  grofsen  Vorlfaeii  zu  haben.  Wie  uinfassend  der 
Jagdbettieb  ist,  kaim  man  daraus  ermessen,  dafs  in  dem  usUyT 
soischen  Dislricle  allein  jahHicli  Schiefspulver  fiir  lOOOO  R.  S; 
verbl^aacht  wird. 

•    \ 

2,.   Fischfang. 

Ehe  wir  zur  Busdir^bung  dieses  Gewerbes  iibengefaeiiy 
sei  ein  fldchtiger  Bliek  auf  die  geograpbische  Lage  des  Disiric* 
les  Otftsysol  geworfen.  Dieser  DistricI,  einer  der  grdfsesten 
im  europliischen  Russiand,  indem  er  eitien*  Raum  von  unge- 
fShr- 15  Million  De^jatinen  einschliefst,  bestefal  meistaussuni- 
pfigien,  mit  diohter  Waktung  iiberdeckten^  Niederungen;  und 
mm  Theile  aus  Anhdhen ,  die  gegen  Nordost  immer  bedeu** 
tender  werden,  bis  sie,  mil  dem  Ural  sioh  vereinigend,  eine 
sehr  ansehnliche  Hohe  erreichen  und  sogar  mil  ewigem  Schnee* 
sich  bededken.  Die  Ufalkelte,  deren  Zweige  in  vdrsobfednen 
Richiungen  durch  das  gamse  Gduvernement 'Woiogdaxiehen, 
ti^nnt  d^n  nordostlichen  Tbeil  des  DistridleSy' w^lcfaer  beson* 
dera  hocb  ist,  von  iSibtrien;  bier  erslreeken  sich  die  Ber^e 
Sabija-*is,  Sclilschugor^is/  Tol-po^-is^Osch-kumoa- 
parma,  Torre-rPo-rre^  Brusjanaja^Gora,  welche,  wie 
die  underen  Zweige  unserer  ndrdlichen  Alpen,.  viele  scMfff- 


Jagd  und  Fischfang  4ot  Sgrrj&nen  ii»-  OoliTenieinent  Wologda.      4,1. 

bare  Fliisee  und  kleine  Bicht  carseugtn,  an  dereA  Fube  abmt 
wasser-  und  fischreiche  See'n  als  eia  laiiges  Neto  sich  au»^ 
dehnen.  Ueberhaupi  ist  der  ganae*  Dntriol  so  wasserreicfa^ 
dass  man  in  selbigem  bis  50  grobe  und  kleine  bekannte  Fldsae 
tahlt,  der  See\i  gar  nicht  itt  gedenken;  die  in  zalrlloaer  Menge 
da  und  dort  verslreut  sind,  :atiter  den^n  vieb  30»««-.S0  Wen* 
in  der  Lange  haben,  wie  der  5l)I-iy,  der  Ljok<Ke/fi«-try| 
der  5indor  uild  Andere.  Unter  den  Fltiasen  nenne  iek  liier 
nur  dtejeniigen,  die  besonderen  Ueberfl&ss  an  Fisohen  haben,  aki: 
GrofsePeiachora^  NordlioheMyiwa,  Neoi,  Pemoadin, 
Pojeg»Wyl8chegda,  Wiscbera^Syaola^  Wisenga,  Kifi 
bra,  LjomjaundTscbjowja.  IhreTiefebetraglimFriihling 
von  7  bis  35  Fufs,  und  die  Breile  von  25  5a/en  bis  &  Werst 
Ausser  Petscbora,  Nem  and  Mylwa  geh&ren  alle  erwohnten 
Fliisse  zum'  Wassersysteme  der.  nftrdliohen  Dwina:  ihre  Qewis^ 
aer  empfangt  eniweder  unmiiteibary  oder  durch  Seilenfluaaei 
die  reissende  Wytsch^da,  welelre  in  die  Dnrina  miindet. 

In  diesen  Fliissen  und  Seen  fiingt  man  nun  folgefade 
Fiscbe:  den  5terljad,  den  Loch/)  die  Nelma  <eine  ArtLacb8)| 
den  Wjun  (Scblambeiffker),  Sig  (salmo  lavaretus),  LescHtsoh 
(Bracbsen),  Hecht,  Barsch,.  die  Aieadie,  Qbappe,  Karausche, 
Rothfeder  u.  s.  w.  Der  Haupifang  derseiben  findet  im  Friib* 
ling  und  Herbste  siaU.  Im  Frnhling  wird  die  grdlsere  Zahl 
der  gefangenen  Fisebe  ram  Hausbedarfe  verwendet^  die':kfei* 
nere  aber  eingesaken  und  verkavft.  Der  Fiscb  isi  eine  Liebr 
iingsspeise  der  Syrjanen,  ^ogar  anhehen  FeieriageUy  dahet* 
wobl  drei  Vierifaeile  *der  ii][i  Friihling'gefangeneti  im:  Lande 
verzehrt  werd^i.  Man:  weidel  den  Fiseh  aiis,  sahei  ihn  e)n 
wenig,  und  lasst  ihn  die  Naefal:  i;b6r  im  Ofen  iiegen,  dechi  bei 
freier  Gitiih,  damiter  nic^i  zu^aehrauaddrre.  E^  also  ^ube- 
reiteter  Fisch  verdirbt  nieinals  and  vertieri  audi  aeinen;  G^ 
scfamack  nicht;  man  kocht  ihn,  backt  ihn,  weicht  iiMi:'ih"kd>- 
chendem  Wasser  auf,  und  gebraucht  ihn  so  als  Fttltung  in 


*)  Bine  ArtLaetnf,  dessen  Oberlip|>e  haken^mig  g«kr«niDit  ist  and  aaf 
die  nntere  alcb  stntzt 


42  iadniArie  aad  HwiMb 

Paste tou  Die  im  Herbate  gefange&ea  Fkche  aber  werd^ea 
sofort  eingesalzen,  so  dass  Jr-^2  Pud  Sak  auf  15  Pud  Fisdbe 
kommeiiy  und  dann  in  Tonnen  gepresst^  die  saan  herroeiisch 
verschliefsL 

Die  vornehmslieD  Arlikel  dieser  Industrie  bilden  Lachae 
und  5terljade.  Besonders  isl  der  Fluss  Pelschora  ob  seines 
Lachses  beriihint)  der  bei  Gastronomen  und  Liebhabern  von 
Fastenspeisen  fur  den  besten  gilt,  sowohl  ob  der  Zartbeit  siei- 
nes  fetten  FletscheSy  als  ob  seines:  liebUchen  Gesehmacks.  Die 
Srilichen  Preise  dieses  Fisches  sind,  besonders  in  den  Dorfem 
an  der  Petsohora,  Ciberaus  niedrig.  Die  sehr  grofse  Enifer- 
nung  der  Petschora  von  Siadten  und  Handekpiatzen,  und  vot 
Allem  die  Beschwerden  der  Reise  dahin  im  Frubliog»  Sooi* 
mer  und  Herbste  maehen  es  erklarlichy  da(s  der  Fisch  bier 
nicht  Kaufer  genug  findet,  und  also  fiir  Scbleuderpreise  ab* 
gehen  muss.  Nicht  seilen  bezahll  man  an  der  Petschora  die 
5emga  (den  eigenlKcfaen  Ladts)  mil  1  und  2  bis  3Rubel>  die 
Nelma  mit  30  Kopeken  bis  IRubel,  den  iSig  mil  50^80  Ko- 
peken  das  Pud(!)9  wenn  die  Fische  noch  frisch.  sind;  im 
eingesaiftenen  Zustande  wird  ein  PudSemga.far  1—2/4,  ein 
ditto  Nelma  fiir  80  Kopeken  bis  1  Rubel,  ein  ditto  5ig  fiir  40 
Ins  50. Kopeken  verkaufL  Die  moisten  Fiscbe  werden,  we* 
gen  der  Nachbarscfaaft  des  Dktrictes  Tscherdyn^  von  dorligen 
Kaufleulen  sum  Verbraucbe  im  Gouvemement  Perm  aufger 
kauft;  die  iibrigen  von  den  Kaufleutea .  aus  Ustsysol  und 
Wjiitka.  Der  vornehmste  Absats  an  Fischen  ist  auf  den  Jabr- 
markten  von  Njobdin  und  Waschka :  *)  bier  sleigern  sich  die 
Preise^  tbeils  ob  des  gro(seren  Zusammenfluss^  von  Kauferi^ 
ti^eils  wegeA  des.  starken  Begehrs. 

Um  amnaherungsweise  einen  Begriff  von  der.  GrSise  der 
geCangenen  Fische  su.geben,  bestimanen  wir.  sie  naeh  dem 
Gewichfce: 


*)  Njobdin  ond  Waschka  sind  beide  Dorfer:  das  erstere  liegt  75  Werst 
Ton  U«Uy«oUk,  and  sein  Jahrmarkt  falU  zwischen  den  18.  and  30. 
Januar;  das  andere  Uegt  an  der  Udora,  im  Districle  Jaren^k;  sein 
Jahrmarkt  daaert  vom  1.  bis  10.  Februar* 


his  1%  Pud 
-  6       - 

Barseh . 
Rodtfedw 

.  3       - 

&g 
Aesche 

-   1 

Karaasche 

•  SOPfund 

Wjun 
Kaulbars 

>  30     . 

Sordga 

Jagd  and  Fiscb&ng  der  SOivj&iien  ttt  C^Teroement  Wologda.      43^ 

5emga    .    .    .  -W»  V/,  INid    Bawch       j  ^.^  ,q  pj^^^ 

Loch  .         -     .      -   B        -        RothfedM^  ( 

Hedit 

Schip 

Neima 

Nalim 

jlerljad        .    .      -   SOPfund     Kaulbars     }    -     1 

Leschtscfa 

Der  jShlrliehe  Ertrag  d«8  Fiacfafangs  im  Dialricle  Uatoyaol 
kotntnl,  wie  die  Kaufleute  vermulhen,  eiwa  20000Q  Pud  gleioh. 
Von  dieser  Mange  warden  swei  DrilAeiie  von  den  Eingeboiw 
nen  consumirly  und  da^  leizte  Driilheil  Jwird  verkaufi  i 

Die  l>rUiehen  Geraihe  auui  Fisohfang  sind  sehr  ▼ersehie*^ 
denartig:  wir  wollen  aie  hier  unler  ihren  ayrjinisefaen  Benen« 
nungen  aufafiblen: 

Tyvy  ein  N<^ta  ansf  ddnnen  aber  slarken  und  gtobeilfiist 
den.    Man  gebraucbl  es  \n  Fiiissen  und  grofeen  Seen. 

KSvteniy  ein  Zugnalz  aua  dieken  und  groben  Pdden. 
Haufiger  in  Seen  angewendeU  :     < 

KulCm,  eine  laifge  Merjo^a  (ArlNelz)  aus  diinnen  Ffi^ 
den,  mil'engen'Oeffnungen.  In  der  Breite  halt  ea  bis  2y, 
Ellen ;  an  sein  Unterea  Ende  knOpfl  man  kleine  runde  FJiesen 
(plilki),  urid  an  das  obere,  ansiatt  der  sehwimmenden  Hdla^ 
chen  (p^piavki)^  RShrchen  aua  Birkenrindey  Kwiachen  •  deneti 
je  ane  Bile  Raum  kt  Man  fitigi  mii  diesem  Nelae  in  ^deii 
Buchlen  der  Fliisl^'  und  m  Seen^  indem  man  es  mitteii  ih 
die  6ucht  oder  den  ^ee  wirfl;  alsdann^  Ireibt  man  von  den 
entgegengesetclen  Eii'^n  die  Fische  miltelal  Siangan  hinain; 
indem  man  eog^eieh  Steine  aiuf  den  Grand  wirft  uild  'dins 
Wasser  Iriibe  macht:  die  erscbrockenen  Fische  eilen  von  nK 
len  Setlen  der  Mitle  des  Sees  aRi>  und  fangen  aidr  jii  dem 
Netze. 

Trehuba^''))  dassei^e  Kul6m,  nur  in  grolsem  Mafssfab^, 


*)  Der  Terfasser  bemerkt  aasdruckiich,  das  (rnssMche)  g  werde  in  die- 
sem Worfe  wie  lateinischei  h  ansgespTOciieii. 


44  iiidaslrie  and  HttnM. 

mil  weiien  Ueffnungen.   Man  fangt  darin  dia  ^ewichligen  Fiadia 
in  gfofsen  Buchten  und  Seen. 

Gymga,  eineArt  langen  Kegels  (von  ^iner  EUle  bis  ewei 
Klaflern),  mil  weiler  und  runder  Oeffnung  (1 — 3  Ellen  Durch- 
messer),  die  sich  am  Oberlheile  verengl,  wo  sie  lail  einiem 
Thiirchen  aus  Birkenrinde  (syrjanisch  «fimedu«)  verschlossen 
wird.  Dieses  Geralh  machl  man  aus  diinnen  Slaben  Oder 
Kienspanen,  und  befesligt  ea  mil  einigen  darum  gelegien  Rei- 
fell  aus  Weidenzwdgen ;  damil  aber  der  Fisch  nicht  wieder 
binaussbhliipfen  kgnne,  sind  von  jedem  Reife  schrag  aufwarts 
(bifr  zur  Mille  des  ^b^ands  zwischen  den  Reifen)  schmale^ 
ein  halbes  Werschok  von  eiDandef  enlfer&le  Spane  angebracbl, 
die  kleine.  runde  Oeffoungen  bilden.  Durch  die  erste  gehend, 
schwimmt  der  Fisch  auf  die  zwdile  los,  undkomml  so  zum 
Oberlheile.  Man  senkl  die  Gymga  ins  Wasser,  sie  mil  Slei- 
neir  beschwerend,  zieht  sie  aber  miUelsl  .eines  Krahns  wieder 
herauf,  ^ffnet  das  Tburchen,  und  nimml  die  Fiscbe  beraus. 
Man  bedieni  sich  dieses  Geralbes  in  Fiiissen,  breilen  Buehlen 
und  Seen.  In  Fliissen  stelll  man  die  Gymga's  ans  Ufer,  an 
reiasende  Slellen^  mil  der  weiien  Oeffnung  gegen  das  Wasser; 
an.  den  Seilen,  auf  zwei  £llen  Enlfernung,  machl  man  eine 
hobe  Yerzaunung  aus  Br eliern,  damil  der  Fip^h  aus  der  Falle 
nicht  enlkomme.  In  den  Buehlen  und  Seen  versenkt  man, 
ihrer  Breite  nacb>  mehrere  Gymga's  t  eine  grpfse  in,  die  Mille, 
und  ail  beiden  Seiften,^  bis  an  die  Ufer  bin,  kldn^re.  d^i^ei- 
jchen>  .AUe  in  gegen^diigea  Abslanden  von  IV^ClleOi  Der 
Raum  zwischen  denselben .  wird  dujrch  hotieBreller  aus  Ficb- 
le^holz  eii)gezauiity  die  miin  lief  in  d)en  Grund  einrammeil, 
und  80  g^alh  der  Fisch.  unfehlbar  in  die  eipe^oder  di^  andere 
Gymga.  ... 

Ky«naii::,ein'kiiiifillich.gearbeileleB  melallenes  Fiscbchex^ 
gewohnlich  aus  Blei  oder  Zinn,  welches  der  Fischer,  in  einer 
Lodka  fahrend,  an  einen  diinnen,  funfzig  Klaf^er  langen  Bind- 
faden  in  den  FIuss  wirfl,  das  Ende  des  Bindfadens  mil  den 
Zahnen  hallend.    Bei  der  Schnelligkeit,  womil  die  Lodka  auf 


!,•• 


Jagd  ond  Fischfang  der  SyrfSpen  im  GonTernement  Wologda.      46 

dem  Wasser  hinflibrt,  sinkt  das  FiscfacheB  iriehi  unter,  sottdem 
schwimmt  an  der  Oberflfiche.  Da  sUirst  aich  bald  ein  gsfrfifsi^ 
ger  Hechi  auf  dasselbe  und  verschlingt  es;  der  Fischer  aber 
uebt  ihn  langsam  au  sich  heran^  haki  ihn  mit  dem  Hamen 
und  wirft  ihn  in  die  Lodka;  iat  aber  der  Hecht  zn  groft;  so 
spies!  er  ihn  mit  der  Fiscbgabei. 

iSamolov:  ein  langer  Biadfaden,  desseo  eines  Bode  an 
einen  Stein  in  den  FIuss  versenki  wird,  wafarend  das  andere 
an  einen  Stock  gebunden,  auf  dem  Waastr  acbwimmt  An 
den  Bindfaden  befesiigt  man*  mittelsk  kleiner  Ziigel  (pow^day), 
in  Abstanden  von  andertbalb  EUen,  kleine  HakcbeD»  jedoeh 
gans  ohne  Roder:  damii  di«.Hakchen  sich  gerade  hallen, 
werden,  eine  faalbe  EIU  von  jeden^,  KorkbSlzchen  befesiigt 
Indem  der  Aerljad  mit  diesen  apiell,  komml  er  an  die  flak* 
chen  and  bleibt  sleeken. 

Oklymen  isi  der  Hecht-  und  Quappenfang  im  Wioler* 
mittelst  Duvchhauen  des*  Eiaes.  Man  haul  in  der  Cisdecke 
des  Flusses  eine  schmale  Oeffnung  von  ungefahr  3  Klafter 
Lange,  und  steckl  an  derselbfen  Stangen  in  den  Schnee,  von 
welchen  diinne  Bindfaden  mit  Hakchen,  an  denen  kleine  Fische 
sleeken,  ins  Wasser  hinabhangen. 

Nalschkisny:  das  Betaubian  derFjsche.  We^n^in FIuss 
mil  dtinner  Eisdecke  siob  bekleidet  bat,  so  scbwimfuep  4|e 
Fische  (besonders  die  Qui^pen)  aas  Ufer,  wo  der  si,e  erwar* 
lende  Fischer  mil  hdlBernem  Hammer  a^s  all^  Kraften,  ge* 
rade  vor  doi^Kopf  des  Fisohesy  wfs.  Eis  schi^gt.  Von  deoi 
Schlage  belaubl,  riihrl  der  Fisi^h  sich  nicht  von  seiner  SielU; 
da  haul  der  Fischer  das  Eis  durch  und  ergreift  ihn. 

Kybem  oder  kyboy:  mit  Fischgabeln  slo&en,  was  in 
dunkehi  Nicbien  des  Friihlings  und  Herbstes  beim  Scheine 
brennender  und  mil  Hare  b^strichener  Spahne  geschiehk 
Rugsisch  nehnl  man.  das  lutffchitj.  Mil  ihrenGalieln  (a  si  a-* 
sen)  verseben,  fahren  die  Fischer  in  einer  Lodka  behuts^pt 
den  Flnsa  entlang,  und  awar  unfem  dem  Ufer,  wo  die  Fische 
zur  Nachtseii  gewobnlich  sehlafen.  Der  h^lie  Schein  des  in 
der  Lodka  angezilndaten  Harzes  lasst  den  Fisch  auch  in  be- 


46  indostrio  and  Handel. 

4euteiMl«r  Tiefe  seh^,  von  wo  ihn  der  Fisch/er^  die  Gabel 
in  Kopf  oder  Schwanz  slofsend^  faeraufholi .  und  in  die  Ledka 
vmti, 

I}pyr»tywjaleay:  mit  Netzen  unterm  Eise  fangeo. 
Dies  greschietvt  in  den  ersten  vier  Monalen  des  Jahree.  In  der 
ganzen  Liinge  eines  Netzes  haut  man  auf  Fliissen,  in  breiten 
Buchten  und  Seen,  das  Eis  auf,  und  zwar  an  mebreren  Slel- 
len,  die  so  weit  von  einander  enifemt  sind,  als  die  Grofee 
der  Slangen  an  dem  Gerailie  betragt;  darauf  lassen  sie  das 
Nelz  in  die  erste  Oeffnunghinab,  sto&en  aber  die  Stangen 
untenn  Eise  vorwaris  bis  zur  nachsten,  und  so  weiter  bis  aos 
Ufer,  wo  eine  grdfsere  Oeffnung  gemacht  wirdi  in  welche 
man  anch  das  Netz  nnt  den  ge&Migenpen  Fiseben  zieht. 

Witfken^  einenS^un  aos  Weidenstaben »  welcbe  tief  in 
den  Grund  gestofsen  werden,  quer  iiber  Buohken  nod  Seen 
ftiehen,  worauf  man,  bei  hohem  Wasserelandey  die  Fische  mil- 
leUl  kleinen  Zugnetzen,  Trehubzy  (a.  oben)  imd  Gymga*s 
sMSngt. 

3.    Der  Vogeifang. 

ft 

Der  Vogeifang  verschaflt^  in  Riicksichl  des  Verkaufes, 
sicfherern  Ertrag,  und  isl  deshalb  vorzugsweise  das  Augen« 
merk  der  Syrjanen.  Indem  der  Bauer  mil  Vogeifang  sieh  be^ 
sehaftigt,  berecbnet  er,  dass  er  den  Vogei  ieicfaler  verkaufien 
kami,  als  den  Fisch,  und  zwar  so  voriheiliMft,  dass  seine  An-* 
strengungen  nicht  umsonsi  sein  werden.  Ausserdem  hal  er 
mit  Gefliigel  weniger  Plage,  als  mii  Fischen :  die  Kaufer  selbai 
kommenum  dieser  Waarewillen^  und  nehmen  sie,  (^ne  zofeil- 
schen,  in  grofsen  Partieen ;  denn  je  glucklieher  d^Fang,  desio 
mHfsiger  derPreis,  welchen  ein  JSger  fur  seine  Waare  fordert 
Der  verstSndige  Syrjine  vertuhrt  auch  haufig  selbat  die  von 
ihm  gefangenen  V^gel  nach  den  benachbarten  Stadten,  und 
verkauft  sie  dorten  vortheilhafter,  als  daheim.  Die  Kosten, 
i^lche  der  SyrjSne  auf  diesen  Erwerbszweig  verwendet,  sind 
sehr  unbedeutend:  man  fangt  dieVdgel  hauGger  in  ScMiAgen 


Jagd  and  Fischfang  dor  Syijinen  im  Gou?ernement  Wologda.      47 

undNetzeti,  als  d<iss  man  sie  schiebt;  denn  dasPuIver  ist  su 
th«uer,  um  viel  davon  an  Gefliigel  xu  verschwenden. 

Die  Vogelarten,  welche  diese  Waider  zahlreich  bewoh- 
nen,  sind,  ausser  den  SingTogein:  Adier,  Weihen,  Kraniche, 
Auerhahne,  Birkhiihner,  Rebhuhner,  Haselhuhner,  Schwaoe, 
wilde  Ganse  und  Enten  u.  dergL  Auf  der  Jagd,  wie  im  Han- 
dei,  nehmen  Haselhuhner  (rablsehiki)  die  ersie  SUlle  ein, 
da  sie  ausserhalb  sehr  stark  geaaebt  werden.  Man  fangt  ihrer 
drei*  bis  fiinfhunderltausend  Stiick  jahrlich*  Der  reiehste  Fang 
ah  Haselhuhnern  findel  zu  Ende  Herbstes  und  Anfang  Win? 
ters  stall,  wann  sie  partieenweise  zur  Versendung  nach  Pe* 
tersburg,  Moskau  und  anderen  Stadten  aufgekauft  werden.  Im 
Friihling  und  Sommer  dient  der  gefangene  Vogel  nur  zum 
baustichen  Verbrauch  und  zum  Verkaufe  in  der  Stadt  Daa 
Federwildpret  wird  gerauchert:  hat  man  den  Vogel  berupft 
und  ausgeweidet,  so  kommt  er  in  einen  Topf  mit  Wasser  den 
man  eine  Weile  in  den  Of  en  ans  Feuer  steilt:  dann  nimml 
man  den  Vogel  wieder  aus  dem  Topfe  und  legt  ibn  eine 
Nacht  liber  in  den  Ofien,  in  freie  Glut  Der  solcbergealalt 
zubereilete  Vogel  verliert  seinen  Geschmack.  nicht;  damift  er 
aber  nicbt  verderbe,  halten  ibn  die  Syrjanen  immer  an  einem 
trocknen  Orte,  indem  sie  ibn  an  Faden  um  den  Ofen  und 
unterm  Dache  aufhiingen.  Ist  nun  dem  Bauern  seine  iQ  Mol* 
ken  gekochte  Kohlsuppe  mit  Gerstengraupen  iiberlastig  ge« 
worden,  so  nimmt  er  ein  Stiick  gerauchertes  Geflilgei  voaa 
Faden,  wascht  den  Staub  ab,  und  kocht.sich  eine  andere 
Sappe  aus  dem  Gefliigel.  Im  Frbbling  und  Sommer  siod  dia 
Preise  des  Federwildes  sehr  niedrig,  well  Kaufer  fehlen:  Ha- 
selhiihner  verkl^ufl  nwin  in  diesen  zwei  Jahreszeitea  zu  3 — 4%, 
Birkhiihner  zu  Sy^ — 5,  Enten  zu  3— *6.Kopeken  das  Paar; 
die  Auerhahne  wiegen  bis.  25  Pfund,  und  ein  so  grofser  Vogel 
kostet  nur  10  Kopeken  Silber.  Sobald  aber  die  ersien  Win- 
terfahplen  vor  sieh  gehen,  steigen  auch  die  Preise  im  Ver- 
iKlltmss  des  wachsenden  Begehrs  von  aussen;  das  Gefliigel^ 
insonderbeit  die  Haselhiihner,  wird  in  den  Slat  thai  terschaften 
Wologda^  Wjatka  und  Perm  an  den  betreffenden  Qrten  au(* 


48  Industrie  and  HandeU 

gekaufl)  un<lindieiSiadtederselbeh  verfiihri;  ausserdetn  schickt 
die  Kaufmdnnschaft:  von  U^Uyaol  alljahrlich  gegen  200000 
Sltick/nach  Petersburg.  Der  Kailfpreis  der  Haselhiihner  be- 
ttrigt  alsdann  7,  10,  ja  15  Kop.  Silh.  fiir  das  Paar;  in  gansen 
Seiidubgen  sind  sie  jedoch  durchschnittlich  viel  wolfeiter,  weil 
tier  Kiiufer,  sie  streng  ausschiefsend,  fiir  eine  besUmmte  Zabl 
Paare  Zugaben  verlangt,  und  die  Vogelf anger  ihm  diese  nie- 
mals  abschlagen.  Beim  Verkaufe  eitTbr  grofsen  Anzahl  Ge^ 
fiugels  geben  diese  gewohnlich,  auf  je  100  Siiick,  10  Stuck 
nu,  so  dass  sie,  statt  des  bedungenen  Preises  von  7 — 10  Ko- 
peken,  im  Ueberschlage  nicht  mehr  als  7  Kopeken  fiir  das 
Paar  bekommen.  Der  ergiebigste  Fang  der  Haselhuhner,  wie 
tiberhaupt  des  wilden  Gefliigels,  ist  an  den  Fliissen  Petschora, 
Wytschegda  dnd  Wischera:  das  Haselhuhn  an  der  Petschora 
ist  besonders  fleischig,  und  wiegt  bis  ly^  Pfund^  ausserdeiu 
hat  es  ein  ungewdhnlich  zaries  und  weisses  Fleisch, 

Die  Vogeljagd  hat  den  Vorzug  vor  anderen^  dafs  der 
Bauer  sich  dabei  nicht  von  seiner  Wnbnung  bu  entfetnen 
braucfai.  AUes  Geflilgel  in  benachbarten  VViddem  und  an 
Seem  der  U^gegend  jagend,  sind  die  Vogelfiiig^r  den  Miihen 
urid  Fntbebrungen  ganzlich  fremd,  die  mil  auderen  Jagdea 
verbundeh  sind,  so  dais  bei  der  Leichttgk^t,  womit  die  Yo-* 
gel  erfoeutet  werden,  und  bei  einigen  einfachdn,  $ebr  geringe 
Kosten  erfordernden  Mittehi  ihrer  Erbeutung,  diese  Jagd  wo) 
die  -eintrltglichste  heisseh  kann.    Die  Mittel  sind: 

Pisehtschalj#n*  kyeny .  oder  lyileny  —  mit  der 
Buchse  jagen,  oder  otka  puljaen  lyileny  —  mit  einer 
Kugel,  d.  i.  mit  der  Wintovka,  jagen.  Diese  beiden  Miltel 
finden,  da  sie  mit  Verlust  von  Pulver  und  Btei  verbunden  sind, 
nur  Anwendung,  wann  der  Vogel  ins  Dickicbt  der  Wilder 
sich  verbirgt,  wo  er  sein  Nest  baut,  oder  wann  das  Gefliigei 
in  geringer  Zahl  ist. 

Laikana-letsch(laikana  biegaamer  Baum,  undletsch 
Falle).  Man  biegt  einen  Baum  mit  dem  Wipfel  bis  zur  Erde 
utid  bindet  ihn  an  die  Wurzel  einea  anderen  Baumes,  An 
den  ersien  Baum  hangt  man  Schlingen,  welche  die  £rde  h^ 


Jagd  and  Fischfang  der  Syijanen  im  Goavernement  Wologda.      49 

riibren  und  legl  allerlei  wHde  Beeren^  die  gewohnliche  Nah- 
rung  der  Vogei,  drum  herum.  Die  Jager  sehen  am  Morgen 
und  Abend  nach  diesen  Schlingen  und  kehren  immer  mil 
reicher  Beute  heim. 

Letsch  —  die  gewohnlichen  Schlingen,  womit  man  V8- 
gel  alter  Art  fangt.  Man  stellt  sie  zu  Hunderten  in  Walder, 
auf  enge  Pfade  und  zwisehen  Baume,  ((ir  wilde  Hiihner,  in 
die  Nahe  der  Gevvasser  aber,  fiir  Ganse  und  Enten.  Das 
Letsch  ist  nichts  anderes  als  ein  langes  Seil,  dessen  Elnden 
an  zwei  zur  Erde  niedergebogenen  Slaben  befestigt  sind;  von 
diesem  Seile  hangen  die  Schlingen  ziemlich  dicht  neben  ein- 
ander  bis  zur  Erde,  die  mil  Lockspeisen  belegt  ist.  Ich  muss 
hier  bemerken,  dass  die  Jager  immer  doppelte  Beute  haben 
wiirden,  wenn  sie  jeden  gefangenen  Vogel  ganz  bekommen 
konnten;  allein  die  wilden  Thiere  rauben  ihn  wenigstens  zur 
Halfte.  Dieser  Verlust  wiirde  den  Syrjanen  an  und  fiir  sich 
kaum  sehr  (uhlbar  sein,  wenn  er  nicht  mit  den  Vogein  auch 
seine  meisten  Letsche  einbufsie,  die  das  Raubthier  entweder 
fortnimmt,  oder  in  kleine  Stiieke  zerreifsU 

Tschjo*  —  eine  Art  Fallen  fiir  grSfsere  V6gel,  die  be- 
standig  in  Waldern  wohnen,  z.  B.  Auerhahne.  Von  der  Wur- 
zel  eines  Baumes  gehen  zwei  Bretter  aus:  ein  diinnes,  am 
Boden,  oder  ein  dickes,  ly^  Ellen  iiber  dem  Boden.  Das 
obere  Brett  ist  mittelst  einer  Schleife  an  den  Wipfel  des  Bau- 
mes befestigt,  welche  sich  gleich  lost,  sobald  das  untere, 
kiinstlich  an  der  Erde  aufgestellte  Brett  an  das  untere  Ende 
des  oberen  schlagt.  Am  Ende  des  unteren,  nicht  dicht  am 
Boden  liegenden  Brettes,  liegt  gewdhnlich  die  Lockspeise. 
Der  sie  bemerkende  Vogel  fliegt  schnell  herab,  selzt  sich  auf 
das  Brett,  und  beschwert  also  dessen  eines  Ende;  sofort  schlagt 
es  mit  dem  anderen  gegen  das  obere  Brelt,  und  dieses  fallt 
auf  den  Vogel  nieder. 

Sakdn«k(juoni:  mit  Netzen  fangen.  Diese  Art  Fang 
findet  im  Herbste  und  Winter  statt.  Man  breitet  die  Netze 
im  Walde,  an  ebenen  Stellen,  bei  Flussen  und  Seen  aus.  Ein 
Viertheil  dieser,  immer  breiten   Netze    liegt  mit  den  Enden 

Ermans  Russ.  Archlv.  Bd.  XI.  H.  4.  4 


50  Industrie  ond  Handel, 

dicht  auf  dem  Schnee  oder  an  der  Erde;  die  mittleren  Nelze 
liegen  zwei  Ellen  hoch  iiber  schwach  eingesleckten  Staben, 
die  iibrigen  noch  weit  hoher,  wenigstens  1/4  Kiafter  iiber 
der  Erde.  An  das  obere  Ende  der  Netze  wird  ein  Seil  be- 
festigt,  mit  welchem  der  in  der  Nahe  verborgene  Jager  sie 
anzieht;  unter  den  niedrigt  liegenden  aber  befindet  sich  aller- 
lei  Lockspeise..  Sogar  lebende  Vogei  werden  an  Bindfaden 
hineingelassen,  die  den  voriiberfliegenden  Vogel  durch  ihr  Ge- 
schrei  aniocken.  Uebrigens  pflegt  der  Jager  selbst  bei  soi- 
cher  Gelegenheit  eine  Pfeife  aus  Birkenrinde  zu  fiihren,  niit- 
lelst  welcher  er  die  Stimmen  aller  Arien  Vogel  so  geschickt 
nachabmt,  dass  er  ganze  Scbaren  derselben  in  die  Netze  lockt. 
Mit  solchen  Netzen  werden  meisl  Hiihnerarten  gefangen. 

Ob  einiger  Besonderheit  aierkwiirdig  sind  nur  zwei  Arten 
des  Ganse-  und  Entenfanges :  die  erste,  wenn  sie  im  Auffliegen 
sindy  die  andere,  wenn  sie  sich  mausern.  In  beiden  Fallen 
zieht  der  Jager  ohne  alle  Bewaffnung,  nur  von  Hunden  be- 
gleitet,  aus.  Vermoge  seiner  scharfen  Witterung  erspiirt  der 
Hund  das  Gefliigel  im  Grase,  an  den  Ufern  der  Seen,  und  er- 
wiirgt  es:  der  Jager  braucht  die  Beute  nur  aufzunehmen.  In 
der  Zeit  des  Mauserns  zieben  die  Jager  langs  den  Ufern  der 
Seen  und  den  Sandbanken  (otmeli)  der  Fliisse,  nnd  erschla- 
gen  vieie  Ganse  und  Enten  mil  ihren  Stocken. 

Zum  Schlusse  bemerke  ich  noch,  dass  die  Syrjanen  grofse 
Liebhaber  der  Eier  des  wilden  Gefliigels  sind.  Um  Eier  zu 
bekommen,  stellen  die  Jager  in  die  Walder  und  an  die  Seen 
kleine  Zober  mit  Oaunen,  und  die  Vogel  wahlen  diese  Zober 
unbedenklich  zuNestern.  Wird  aber  der  Vogel  einmal  in  sei- 
nem  Neste  gestort,  so  kehrt  er,  nachdem  er  weggeflogen,  sel« 
ten  dahin  zuriick;  daher  muss  man  genau  die  Zeit  kennen, 
wenn  er  Eier  legU  Der  Syrjane  irrt  bei  solcher  Gelegenheit 
niemals:  nach  der  Zeit  sich  richtend,  die  ihm  durch  Berech- 
nung  bekannt  ist,  erscheint  er  nicht  eher  am  Zober,  bis  der 
Vogel  gelegt  hat. 


Einige  Worte  iiber  den  Buddhismus. 

Von 

Herrn  C.  R  Koppen.*) 


Die  Religion,  welche  vielleicht  die  meisien  Bekenner  unter 
alien  zahlt,  jedenfalls  die  meisten  nacbst  dem  Christenlhume,**) 


*)  Herr  C.  F.  Koppen^  der  den  Historikern  ond  Ethnogrtiplien  doroh 
seine  Abbandlong  iiber  nordisclie  Mythologie  und  darch  seine  kriti- 
scben  Arbeiten  bekannt  ist,  darf  nicbt  niit  dem  Petersbiirger  Akade- 
miker  nnd  Reisenden  in  derKrym  yerwecbselt  werden,  Ton  dem  wir 
schon  friiher  die  in  diesem  Arcbiye  Band  I.  S.  25 ,  Band  III.  S.  9  ah- 
gedrnckten  Beitrage  erbielten.  —  An  die  rorliegende  Abbandinng 
yerspricht  der  Herr  Yerfasser  schon  in  einem  der  nSelisten  Hefte 
dieses  Archiyes  eine  Fortsetznng  iiber  die  Geschicbte  des  Baddbl4- 
mns  in  Indien  tind  Qber  den  LamaisitiuB  bei  den  BurSten  nnd  Kal- 
maken  anzuscbliefisen. 

Sob. 

**)  Die  gewobnlicben  Angaben  iiber  die  Gesammtzabl  der  Bekenner  des 
Bnddba  sind  meistens  offenbar  zn  niedrig,  wie  z.  B.  die  yon  Klap- 
rotb  (190  Mil.  N.  Joar.  As.  ¥.307),  yon  Bohlen  (295  Mil.  Das 
alte  Indien  h  §.20)  n.  a.,  yrelcbe  yielfacb  in  iinsere  Compendien 
nbergegangen  sind.  Wenn  die  nenern  Berichte  nber  die  Beyolkerang 
yon  China,  z.  B.  GutzUffs,  der  367  Miliionen  annimmt,  nioht 
nbertrieben  sind,  so  dnrfte  die  Zahl  der  sammtlieben  Baddhisten 
leicht  die  Samme  yon  400  Miliionen  fibersteigen.  Feststellen  liisst 
sich  obrigens  affch  hiernacb  nichli ,  da  wir  nicbt  einmal  annabemd 

4* 


52  Historisch-linguistische  Wissenscliaften. 

ist  ihatsiichlich  lange  Zeit  die  am  wenigsten  bekannle  gewe- 
sen.  Noch  vor  einigen  dreissig  Jahren  war  unsere  Kenntniss 
des  Buddhismus  so  oberflachIich|  so  unsicher,  so  beschranki, 
dafs  wir  selbst  von  den  allgemeinen  Fragen  iiber  das  Wer? 
Was?  Wo?  Wann?  Wie?  Wodurch?  u.  s.  w.  kaum  eine  ein- 
zige  bestimmt  und  griindlich  zu  beantworten  vermochten,  und 
reichte  grade  nur  so  weit,  um  eine  Menge  willkurlicher^  oft 
abenteuerlicher  und  widersinniger  Ansichten  und  Combinatio- 
nen  und  Hypothesen  hervorzurufen.  Man  glaubte  z.  B.  wohl 
im  Buddhismus  die  vielgesuchle  Urreligion  gefunden  zu  ha- 
ben;  man  liefs  den  Stifter  desselben  bald  in  Ceylon,  bald  in 
Aethiopien,  bald  in  derTartarei  geboren  werden,  man  identi- 
ficirte  ihn  mil  Wodan;  man  machte  seine  Lehre  zur  alteren 
Schwester  oder  gar  zur  Mutter  der  Brahmanischen  u.  dergl. 
Zum  Theil  erklart  sich  dies  und  Aehnliches  freilich  aus  jener 
wusten,  phantaslischen,  kritiklosen  Richtung,  welche  die  Alter- 
thumswissenschaft^  namentlich  die  Religionsgeschichte  und  My- 
thologie  seit  dem  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  eingeschla- 
gen  halle,  jener  Richtung,  der  schon  W.  Jones  und  manche 
seiner  Calcuttischen  Freunde  vielfacb  gehuldigi,  die  spater 
mit  der  Romantik  und  dem  Jesuitismus  der  Restaurationspe- 
riode  und  in  Deutschland  ausserdem  mit  der  Schellingschen 
Philosophie  Hand  in  Hand  ging.  Indessen  auch  besonnene, 
jener  unseeligen  Richiung  nicht  hingegebene  Forscher  sehen 
wir  in  jener  Zeit  hinsicbts  des  Buddhismus  in  ahnliche  Irr- 
thiimer  und  unbegriindete  Ansichten  verfallen;  wie  die  mytho- 
logisehen  Visionairs  und  Adepten,  und  bei  ihnen  ist  allerdings 
der  Grimd  darin  zu  suchen,  dafs  damals  die  Quellen  zur 
Kenntniss  jener  Religionsform  im  hochsten  Grade  sparsam 
flossen. 


wissen^  wie  grofs  im  himmlischen  Reicbe  die  Zahl  der  sogenannten 
Gebildeten  ist,  die  <i^ich  zar  Reichsreligion  bekennen,  und  wie  yiel 
Mandseharen  andererseiCs  noch  SchamaniBmuB  treiben,  I.  J.  Schmid  t 
(M^moires  de  Tacademie  de  PeCersboorg  IL,  42)  und  O.  Frank 
(Vjasa  56)  d.  a.  aind  der  Anaiicht,  dafs  der  Bnddhismos  wabr^chein- 
lich  mehr  Anhanger  zable,  ala  irgend  ein  anderes  Religionaaystem. 


Binige  Worte  fiber  den  Baddlusmus.  53 

Denn  was  haile  man  bis  dahin,  woraus  man  schSpfle  and 
schopfen  konnte?  —  Vereinaselte  Angaben  einiger  wenigen 
abendlandischen  und  morgenlandischen  Geschichtschreiber, 
Geographen,  Kirchenvaier  u.  s.  w.  meist  unkritische  und  oft 
einander  widersprechende  Reise-  und  Missionsberichte  u.  dgL 
Die  von  Pallas  und  spater  von  Bergmann  mitgetheilten 
Uebersetzungen  Mongolischer  und  Kaimiickischer  Religions- 
schriften  *)  waren  —  so  weit  meine  Wissenschaft  reicht  — 
bis  zu  dem  angegebenen  Zeitpunkte  die  einzigen  allgemeiner 
bekannten  und  zuganglichen  Buddhisiischen  Urkunden.  Dazu 
einige  Gebetsformelny  Litaneieni  und  sonstige  Kleinigkeiien 
und  abgerissene  Bruchslucke^  die  anderweitig  veroffentiicht 
waren.  **) 

Wie  anders  slebt  es  schon  jetzt!  In  keinem  Zweige 
der  orientalischen  Literatur  sind  seit  dem  letzten  Vierieljahr- 
hunderte,  trotz  der  Versbhlossenheit  der  betreffenden  Staaien 
und  Priesterschafteny  so  grofse  und  unerwartete  Enideckun- 
gen  gemacht,  so  reiche  und  massenhafle  Quellen  ans  Licht 
gezogen  worden,  als  in  der  Buddhisiischen.  Denn  wahrend 
die  Eroffnung  der  mongolischen  Lileratur^  die,  wie  gesagt, 
mil  Pallas,  oder  vielmehr  mil  dessen  Uebersetzer  Jahrig 
begonnen  hatte,  schon  in  den  zwanziger  Jahren  in  ein  neues 
Stadium  trat,  f)  wurden  zugleich  die  heiligen  Sanskritschriften 
von  Nepal,  das  ganze  Gebaude  des  Buddhistischen  Religions- 
systemes  in  seiner  maaiJsiosesten  Ausdehnung  nach  alien  Rich- 
tungen  bin  umfassend,  Dogmatik,  Moral,  Legende,  Ascetik, 
Liturgik,  Metaphysik,  Magie  u.  s.  w.,  und  in  den  altesten  Thei- 
len  wahrscheinlich  bis  in  die  Zeit  der  allgemeinen  Concile 
hinaufreichend,  —  Urkunden,  deren  Existenz  man  frliher 
kaum  geahnt  hatte,  aus  dem  Dunkel  der  Klosler  hervorgezo- 

'*')  In  den  bekannten  Werken:  „Samnilong  historischer  Nachriehfen  liber 
die  mongolischen  Yolker'*  und  „Nomadische  Streifbreien  unter  den 
Kalmncken/* 

♦•)  Wie  z.  B.  in  Georgi's  „Alpfaabetum  Tibetanum"  nnd  in  Klap- 
roth^s  „Reise  in  den  Kankasna/* 

i")  Namentlich  durch  I.  I.  Schmidt. 


54  Historlteh-lingiiittiicbe  WissMUchaften. 

gen;  *)  desgleichen  die  Palischriflen  von  Ceylon,  in  geschicht- 
licher  Beziehung  die  wichiigsten  von  alien  und  mit  jenen  al- 
testen  Stiicken  weUeifernd  urn  den  Rang  der  OriginaBtalV^) 
ferner  die  heiligen  Bticher  der  Siamesen  und  Binnanen;f) 
endlich  auch  der  Kah-gyur,  die  riesige  Bibel  der  Tibelaner, 
die  ^Wandersaule"  des  Lamaischen  Glaubens  ff )  u.  s.  w. 

Freilich  sind  alle  diese  Quellen  —  und  das  gilt  im  er- 
hShien  Maa(se  von  den  religi5sen  Urkunden  der  chinesischen 
und  japanischen  Buddhisien  —  nur  noch  sehr  Weniges  zu- 
ganglich ;  indelis  die  Ausziige,  die  InbaiUverzeichnisse;  die  Ana- 
lysen,  die  davon  gegeben,  die  kritischen  und  historischen  For- 
schuhgen,  welche  dariiber  angestelit,  die  Resuliate,  weiche 
von  den  Sprach-  und  Sachkundigen,  die  Zugang  zu  den  Hand- 
scbrifleh  und  den  sonstigen  Schatzen  batten,  gewonnen  und 
veroffentUcht  worden  sind,  haben  einerseits  ein  so  reiches  Ma- 


*)  Durch  B.  H.  Hogdson.  Von  1824—1839  iibersandte  derselbe  Ton 
Kadmanda  aas  der  Asiatischeii  Gesellschaft  zn  Calcutta  50  Bande  in 
Sanskrit  and  Yiermal  soviet  in  Tibetanischer  Sprache,  der  zn  London 
82  B.  nnd  der  Pariser  im  Ganzen  88  B.  VergL  dessen  Notices  of 
the  langnage,  litteratnre  and  religion  of  the  Baoddhas  of  Nepal  and 
Bhot  in  den  As.  Researshes  XYI.,  409 — 449,  anch  nbersetzt  im  N. 
Jonrn.As.  yi,  81  —  119  and  157— :^76,  desselben  Sketch  of  Buddhism 
in  den  Transactions  of  the  roy.  As.  Soc.  11.,  224 — 229.  Burnoaf 
lirtrodnction  k  Thistoire  du  Baddhisme  Ind.  1—- SI. 

**)  Dnrch  Joinyille,  Mahony,  Upham^   namentlich  aber  dwcb  G. 

.  Tonrnonr.  Vergl.  Introduction  into  Mahavanso  nnd  Examination 
of  the  Pali  Boddhistical  Annals  im  Journ.  of  the  As.  soc«  of  Benga- 
len  1837^  713—737  and  im  folgenden  B.  686—701  and  789  —  817. 

f)  Durch  Sangermano,  Leyden,  Low  u.  a. 

i"Y)  Der  Kah-gynr  besteht  nach  Csoma  Korosi,  durch  dessen  Ana- 
lysis (As*  Res.  XX.)  der  Inhait  desselben  znerst  bekannt  geworden 
ist,  aus  100  Folianten,  nicht,  wie  man  an  den  herkommlichen  Anga- 
ben^  z.B.  bei  Klaproth,  Schmidt  a.  a.  lesen  kann,  ans  108.  Zn 
seiner  Fortschaffang  sind  mehrere  Kameele  erforderlich,  and  die 
Tom  Kaiser  Kien-long  Teranstaltete  Mongolische  Uebersetzang  kostet 
1000  Lani,  also  uber  2000  Thaler.  Der  Kah-gyur  kam  1831  nach 
Petersburg,  yier  Jabr  spater  nach  Paris,  wabrseheinlich  schon  fraher 
nach  London. 


EUiigfe  Worte  iibtfr  d«tt  Bad(Uiiaiii«a*  55 

terial  gelieferi  und  andererseiis  so  viel  Lichi  iiber  daaselbe 
ausgego'ssen ,  dab  trots  der  Uneroieftlichkeit  und  Ungek^uer* 
lichkeifc  des  Gegenslandes,  trots  der  Ungewifsh^iti  ja  vdlligtn 
Dunkelheit  in  einselnen  Parthien ,  trots  sahlreicher  und  wich- 
tiger  Contreverspunkte,  auch  der  Laie,  weon  au^  nur  im 
Grofsen  und  Ganzen,  sich  eine  Einsicht  verscbaffen  kann  in 
das  Wesen  der  Buddhisliscben  Religion  undKirche,  ihrer£ii(- 
stehqhg  und  Entwickelung  und  Verbreitung,  ihrer  innern  und 
auTsern  Geschichte. 

Ueber  daa  Vat er land  dea  Biiddhiaatus  berr^dbt  schon 
langst  kein  Zweifel  mehr,  so  dafa  ea  iiberflussig  ware,  bei 
diesem  Punkte  langer.zu  yerweilen.  Aus  der  ubereinstiod* 
menden  Tradition  alJer  Buddhiatischen  Volker,  aus  sprachr 
lichen  und  historischen  Zeugnissen  der  verschiedensten  Art.  ist 
auf  das  Unwiderleglichste  dargetban,  dafs  er  in  Indian  ent-. 
standen  ist  und  swar  in  Hindostan,  im  Gangestbale.  *)  . 

Nicht  so  ganz  verhalt  es.  sicb  mit  der  Bestimmung 
der  Zeit,  wann  dieselbe  ins  Leben  getreten  sei  Hierbei 
kann  bis  jelzt  und  wird  vioUi  imuier  nur  von  annahrender 
Wahrscheihlichkeit  die  Rede  sein  koniren.  Denn  die  Zeitrech-* 
nungen  der  verschiedenen  Buddhistischen  Vdlker  nacb  dem 
Todesjahre  ihres  Erlosers ,  die  sonstigen.  Annahmen  und  An- 
gaben  heiliger  und  unheiliger  Autoritateiv  weichen  um  nicht 
weniger  als  etwa  2000  Jabr  von  einander  ab.  Dazu  ist  ihre 
Zahl  sehr  grofs*/'^)  die  Tibetaner  allein  haben  deren  vier- 
zehn.  '\)    Ein  bemerkenswerther  Umstand  dabei  ist,  dafs  oh* 


*)  Und  zwar  in  Magadha,  dem  sadliehen  Beliar,  wolohet  Ton  den  vielen 
Buddhistischen  Klostern  (Vih&ras)  dessen  spateren  Namen  erhalten 
hat  Boirlen  I.  2d.  Lassen  „Ind.  Alterthamskande*'  I.  195.  Bit- 
ter „Asien''  IV.  1.  507—512.  Klaproth  zam  Foe  Kne  Ki  201 
yerlegt  die  Yaterstadt  des  Baddha  (Kapilawastu)  nordlidi  Yom  Gan- 
ges nach  Aade* 

**)  Die  bis  1830  bekannten  Zeitangaben  iiber  das  Todesjahr  des  Buddha 
findet  man  tabellarisch  zusammengestetit  bei  Bohlen  f.  316 ff.  Vgl. 
Asia  polyglotta  123.    Lassen  IT.  52 if.  u^  a. 

f)  Lassen  I.  c. 


56  HistoriBch -lingiiistische  Wlssenscbaften. 

gleich  sie,  wie  gesagt,  in  der  FestsetKung  ihres  Anfangspunk* 
t^s  8o  weit  auseinandergehen,  dieselben  doch  in  der  Besliin*^ 
mung  liber  die  Aufeinanderfolge  der  wichtigsten  Ttiatsachen 
und  Begebenbeiten  ihrer  alieren  Kirchengeschichte,  im  Ganzen 
so  ziemlich  ubereinstimmen,  woraus  man  recht  deutlich  sielit, 
dafs  sie  gemacht,  willkiirlich  gemacht,  nach  ^r  Schablone 
gemacht  sind.  Sie  beruhen  daher  fast  sammtlich  auf  priester- 
iiche  Combination,  deren  Zweck  meistens  war,  den  Tod  des 
grofsen  Heilbringers  so  weit  als  mogiich  hinaufzurucken.  Da- 
her nahm  man  in  neuerer  Zeit  sehon  iangst  nur  noch  auf  die 
zwei  gebrauchlichsten  AtTren  Rucksicht,  namlich  auf  die, 
welche  bei  den  Ohinesen  iiblich,  sich  unter  andern  auch  bei 
denMongolen,  Japanern,  Tibetanern  vorfindet,  und  nach  wel- 
cher  der  Buddha  etwa  um  950  v.  Chr.  *)  gestorben  sein  soli, 
und  zweilens  auf  die  der  Singhalesen,  mit  denen  die  siidlichen 
Buddhisten  fast  genau  ubereinstimmen,  indem  sie  das  Todes- 
jahr  ihres  Religionsstifters  urns  J.  542  v.  Chr.  setzen.  **)  Noch 
vor  20 — 15  Jahren  erklarten  sich  die  bedeutendsten  Forscher 
far  die  erstere.  Nachdem  jedoch  die  angeblich  historische 
Urkunde,  aus  der  man  den  positiven  Beweis  fiir  die  Richtig- 
keit  derselben  zu  fuhren  vermeinte,  als  falsch,  als  priesterli- 
ches  Machwerkf)  erkannt  worden  ist,   diirfte  es   schwerlich 


*)  A.  Remasat  „ Melanges'*  As.  I.  115.  Kampfer  ,^ Japan"  (edit 
Dohm).  Schmidt  „Gresch.  der  Ostmongolen**  SI.?.  Csoma  Ko- 
rofli  (Ab.  Res.  XX.  41),  der  ausdracklich  venichert,  dau  die  Tibe- 
tanischen  Schriftsteller  im  Allgemeinen  annehmen,  dads  Shakya  unge- 
^hr  nms  Jahr  1000  gelebt  habe. 

**)  Es  finden  sich  in  den  yerschiedenen  6erichten  siimmtliche  Jahre  yob 
540 — 545*  Ueber  die  Singhalesische  Aera  unter  A.Dayy  ^,Aecoant 
of  Ceylon**  217  (1821  n.  Chr.  =  2364  n.  Buddha);  ttber  die  Birma- 
niscbe  Symes  ^Gesandschaftsreise  **  d.  Uebers.  219  n.  329  (1795  n. 
Chr.  =as  2300  n.  B.),  iiber  die  Siamesiscbe  Kampfer  41  und  50, 
Crawfnrd  Gesandtschaftsreise  etc.  der  Uebers.  506  (der  11*  April 
1821  war  der  Anf.  des  Siam.  J.  2365).  VgU-Burnouf  et  Lassen 
Recherches  sur  le  Pali  46  und  65. 

f)  Diesen  positiven  Beweis  glaubte  A.  Rem  us  at  im  J.  1824  gefiihrt 
zu  haben,  indem  er  aus  der  Japansclien  Encyclopadie  ein   Verzeich- 


Binige  Worte  aber  dee  BoddbitimM.  57 

noch  einen  Sachkundigen  gebeD^  der  sich  m«ht  mehr  oder 
weniger  der  Singhalesischen  Aera  anschlosse.  Sie  verdient 
schon  deshalb  vor  den  Ubrigen  den  Vorsug,  weil  die  Budd* 
histische  Religion  und  deren  Urkunden  Jahrhunderle  friiher 
nach  Ceylon  gebracfat  worden  sind,  als  zu  den  n5rdlichen 
Buddhisten,  und  zwar  ku  einer  Zeii,  in  welche  der  Tod  des 
Stifters  noch  nicht  so  fern  lag,  als  dafs  man  ihn  willkiirlich 
um  Jahrhunderle  und  Jahrtausende  ha  tie  hiaaufrucken  kdn- 
nen.  Und  —  was  die  Haupisache  ist  —  sie  verlegt  jenesi 
EreigniEs  in  eine,  dodi  schon  gewissermaisen  historische 
Zeit^  in  eine  Zeit^  in  der  es  nach  inneren  und  aufseren  Grttn- 
den  mannigfalliger  Art  allein  stattfinden  konnte,  aus  der  her- 


niss  von  33  Patriarcben  veroifentUchte ,  das  mit  deni  Hintritte  des 
Boddha  im  J.  950  v.  Chr.  beginnend,  die  minnterbrochene  Reibe  sei- 
ner Nachfolger  bis  in  das  6.  Jabrbandert  n.  Chr.  fortfuhrt,  nnd  zwar 
mit  Angabe  des  Todesjahres  der  Einzelnen  oder  doch  der  ZabI  der 
Jahre,  binnen  welcber  jeder  dieser  angeblichen  Pabste  anf  dessen  Stobl 
gesessen  bat  und  nberdies  —  was  die  Haoptsacbe  ist  —  mit  steter 
Bezugnahme  auf  die  Regierongsgescbicbte  der  gleichzeitlgen  Cbinesi- 
scben  Kaiser.  Melanges  As.  I.  c.  Hier  hatte  man  also  einen  fort- 
laafenden  bistoriscben  and  cbronologiscben  Faden,  der  noch  dazo 
mit  andern  bekannten  and  anerkannten  Facten  nnd  Daten  anfs  In- 
nigste  Yerwebt  scbien,  Indefs  anoh  dies  Verzeicbnils  ist  gemacht, 
nnd  hat  keinen  ADspmch  aof  historische  Geltang,,  (Der  Beweis  hei 
Lassen  II.  54 ff.)  Unter  andern  miiiste  nach  demselben  der  Pa- 
triarch Ananda  133  Jabre,  Upagnpta  voUends  200  Jahre  gelebt  haben. 
Die  ganze  Annahme  der  Chinesen,  dafs  der  Tod  des  Bnddba  nms 
Jabr  950  erfolgt  sei,  scheint  anf  einer  Prophezeibnng  zu  beraben, 
welche  demselben  in  den  Mand  gelegt  wird  nnd  also  lautet:  >,Tau- 
send  JahrCy  nachdem  ich  Nirvftna  geworden,  wird  dieses  Tscbandan- 
Dschft  (ein  Bild  des  Baddha  TOn  Sandelholz)  sich  in  das  Reich  der 
Cbara-Kitad  (Nordchina)  erheben  nnd  der  nordlichen  Gegend  uner- 
mellBliches  Heil  bringen.**  Da  nan  die  erste  Einfuhrang  des  Baddbis- 
mus  in  China  ^  nach  der  Ansicht  des  Cbinesen  selbst  im  J.  61  nach 
Chr.  erfolgte,  so  mnssten,  laut  jener  Weissagong,  bereits  939  Jahre, 
also  doch  ungefabr  950  seit  dem  Nirv&na  verflossen  sein  (Schmidt 
„Ostmoflgolen**  15). 


58  Hiitoriicb-liDgaistiscbe  WiMenschaftni. 

rauft  es  allein  verstanden  und  mit  fruheren  Zuslanden  und  der 
spateren  Geschichie  Indtens  in  Zusammenhang  gebracht  wer« 
den  kann.  Auf  eine  Hand  voU  Noten,  d.  h.  auf  zehn^  ja  auf 
funfzig  Jahre  kommt  es  dabei  naturlich  nicht  an,  Scbliefslich 
also  —  nach  dem  jetzigen  Zuslande  der  Forscfaung  —  ist  das 
Aufireten  das  Buddha  in  das  6.  oder  5.  Jahrhundert  v.  Chr. 
zu  verlegen. 

Die  Lebensgeschi elite  desselben  ist  mehr  als  die  je- 
des  andern  Religionsstifters  von  der  Legende  bis  ins  Unge- 
heiire  ausgeschmiickl  und  entsteiii  worden,  waseben  nur  be- 
weisi,  dafs  die  Ihder  mehr  Phantasie  besitzen,  als  etwa  die 
Perser  und  Semiten.  Grofse  Zeichen  und  Wunder  gehen  z.  B. 
seiner  Geburt  voran  und  begleiten  dieselbe.  Die  Erde  bebt, 
ein  heller  Stern  geht  auf,  die  himmlischen  Heersehaaren  mu- 
siziren  u.  s.  w.  *)  Auf  unbefleckte  Weise  von  einem  fiinffar- 
bigen  Lichtstrahle  erapfangen,  wird  er  durch  die  rechte  Achsel- 
hohle  geboren;  und  seine  MuUer  bleibt  nach  sekier  Geburt 
noch  Jungfrau.  *'^)  Dann  geht  er  sogleich  sieben  Schritte, 
wahrend  Lotusblumen  unler  seinen  Fiifsen  emporsprielsen, 
und  verkiindet  mit  erhobener  Hand  und  Stimme  seine  eigene 
Herrlichkeit  und  die  nahende  Erlosung  u«  s.  w.  f ) 

Es  hiefse  ubrigens  eine  sehr  unkrilische  Kritik  uben,  wenn 
man  ihm  deshalb  die  geschichtliche  Existenz  ganzlich  abspre- 
chen  wollte,  da  -^^  abgesehen  von  allem  Andern  —  die  Ent- 
stehung  einer  Seete,  eines  Ordens,  einer  Kirche  ohne  einen 
Stifter  gar  nicht  denkbar  ist.  Auch  giebt  es  wohl  unter  Al- 
len, die  hieriiber  eine  Stimme  haben,  keinen  Einzigen,   der 

*)  Die  32  Wanderzeichen .  bei  der  Geburt  des  Baddba  sind  aofgezablt 

von  KUproth  im  Foe  Koue  Ki  221  ff. 
**).  Dariiber,  dalk  diese  YorsteUangeB  im  Oriente  ganz  gewobitlich  sind, 

TergU  Bohlen  I.  312. 
f)  6s  ist  ein  grofaer  Streit  unter  den  Cliinesea  ^liber  den  Wortlaut  die- 

ser  seiner  Antrittsrede ;   der  Sinn  ist  aber  naob  alien  Versionen  der* 

selbe.    Nacb  Mongol.  ClueUen  (Schmidt  I.  c.  310)  rezitirte   er  einen 

alten  Lobgesang. 


Binige  Wocte  iber  dtn  Badahiimiit*  59 

nicht  an  dent  historischeti  Buddba  glaubi^  und  deshalb  brauch 
ich  mich  hier  nichi  weiler  auf  diese  Frage  einsulassen. 

Also  der  Buddha  oder  —  um  Buddhistisch  ra  reden  — 

der  leUte  Buddha  stammt  aus  der  Familie  der  Shakya,  der 

KSnige  von  Kapilavastu.    Daher  wird  er  nach  dieaem^  seinem 

Faoaiiiennainen   meistens  Shakyamuni   (der  Einsiedler  der 

Shakya)  von  den  MongoIenSchigemuni,  in  Nepal  und  auch 

anderwarts  Shakyasingha  (der  Ldwe  derSbakya),  in  Tibet 

Shakyathuba  (der  GeseUgeber   der  Shaky  a)  genanni;  bei 

den  siidlichen  Buddhisten  gewShnlich   Gautama,   Got  am 

Sammanokodam  (der  Samanaer  Kodam).*)     Sein  Vater 

hiefs  Suddhodana,  die  Mutter  MahaMaja,  was  allerdings 

sehr  nach  Symbolik  schmeckti   da  die  Maja  bekanntiich  ku- 

gleich  in  der  indischen  Philosophie  die  Natur,  die  Erschei- 

nung,  die  Tauschung  bezeichnet  **) 

Fa&sen  wir  in  weuig  Worte  susammen,   was  in  seiner 
Lebensgescluchte  bedeutsam  und  charakleristiach  erscheint!  f) 


*)  Die  Bedeatnng  det'  Namens  Gautama  ist  nocb  angewisa*  Klap- 
roth*8  Erklarung  N.  Joarn.  As.  V.  310  ^Pasteur  do  yachea**  lit 
falsch.  Barnoaf  ,^Introdaction**  nitnmt  an,  dafsGaatama  der  pries- 
terliche  Name  der  Shakyafamilie  gewesen  sei.  S.  dessen  Note  zam 
Foe  Kone  Ki  309. 

**)  Lassen  ist  der  Ansicht>  die  Konigin  habe  friiher  einen  anderen 
Namen  gefdhrt  and  diesen  symbolischen  erst  post  factum  erhalten. 
„lnd.  Alterthumskniide**  II.  68. 

i*)  Die  Hanptqaelle  far  dieselbe  ist  der  Ton  Hogdson  aafgefandene, 
noch  nicht  heraasgegebene  „Lalita  Tistara.'*  Das  Leben  Sbakyas 
nach  Tibetanischen  Qnellen  yon  Csoma  Korosi  „Life  of  Sha- 
kya'*  As.  Res.  XX.  285—317  (der  Kah-gyar  entbalt  aofser  einer 
Uebersetzung  des  Latita  yistara  noch  eine  andere  Lebensbeschrei- 
bang  desselben);  nach  MongoHschen  yon  Klaproth  ^Asia  poly* 
glotta**  121 — 144  ( wiedergegeben  in  Timkowski*s  ,,Reise  nach 
China**  III.  378—408)  and  Naissance  et  yie  de  Shakyamuni  im  N. 
Joarn.  As.  VII.,  176—185,  desgl.  yon  Schmidt  in  den  „Forsdiangen** 
71  ff.  and  in  der  „Ge8chichte  der  Ostmongolen**  312  if.  Manchei, 
zam  Tbeil  nach  Chinesisehen  Qaellen  an  yerschiedenen  Stellen 
des  Foe  Koae  Ki.    Die  Ceylonische  Tradition  bei  Dayy  207  and 


60  Hittorisch-lingaistisGhe  Wissenschaflen. 

Bis  zum  29.  Jahre  lebt  er  der  Welt,  den  Studien,  den 
Geniissen,  den  Geschaften.  Er  wachst  heran  zu  mehr  als 
menschlicher  Schonheit^  gesebmuckt  mit  den  oft  genannten  32 
Hauptmerkmaten  der  Schonheit  und  den  84  untergeordneten 
Kennzeichen.  Von  granzenlosem  Durste  nach  Wissenschaften 
getrieben^  iibertrifll  er  bald  Gotter  und  Menschen  in  alien 
Kunsten  und  Wissenschaften.  Im  16.  Jahre  heiraihet  er  und 
erzeugt  einen  Sohn.  Als  er  aber  einst  eine  Frau  sieht  in 
heftigen  Geburtsschmerzeni  einen  Greis  vom  Alter  gebeugt, 
einen  Kranken  in  unheilbarem  Siechthum,  endlich  einen  ver- 
wesenden  Leichnam,  da  erkennt  er  die  vier  Grundubel;  Ge- 
burt,  Alter ,  Krankheit  und  Tod,  und  beschliefst  der  Welt  zu 
entsagen.  Er  verlafst  den  Palast  seines  Vaters,  seine  Gattin, 
seinen  Sohn^  geht  in  die  Eiiisamkeit  und  beginnt,  nachdem 
er  Haar  und  Bart  geschoren,  die  strengsten  Bulsiibungen  und 
Kasteiungen.  Doch  bald  gewahrt  er  —  und  dies  ist  der  psy- 
chologische  Wendepunkt  —  dars  die  Selbstpeinigungen  anniitz 
und  werthlos  sind  und  keine  Befriedigung  gewahren.  Um  so 
eifriger  versenkt  er  sich  in  Andaeht,  in  Bezahmung  der  Sinne 
und  Leidenschaften.  Nun  folgt  natiirlich  die  Zahl  der  An- 
fechtungen;  der  Mara  versucht  ihn  und  wird  von  ihm  iiber- 
wunden.  *)  Da  —  in  der  folgenden  Nacht  —  nachdem  er 
6  Jahre  in  der  Einsamkeit  zugebracht, —  erlangt  er  im  35. 
Lebensjahre^  unter  dem  Bodhibaume  sitzend,  die  hochste  Er-^. 


b^i  Toaraoar  „Mah4yanso**  c.  1.  Die  Tradition  der  nordlichen 
Baddhisten  ist  ziemlich  ubereinstimmend ,  da  ihre  Urkunden  aus  dem 
L.  Tistara  oder  aus  anderen  Sanskritschriften  iibersetzt  sind.  Die 
Ceylonische  weicht  in  einzelnen  Umstanden  ab.  Nach  ihr  hat  z.  B. 
Shakya  nar  eine  Frau,  nach  jener  drei.  —  Die  Sage,  dafs  der 
Buddha  eine  und  zwar  die  9.  Verkorpernng  Yiscbnus  sei^  stammt  erst 
aus  dem  10.  Jahrhundert  n.  Chr.  B  a  r  n  o  n  f  339.  H  q  m  b  o  i  d  t  „Kawi- 
Sprache**  I.  263. 
*)  M4ra,  mongolisch  Schimnus,  ist  der  Damon  der  Liebe,  der  Sunde 
und  des  Todes,  aucb  Beiname  des  Liebesgottes  Kamas.  Die  Anfech> 
tungen,  mit  welcben  Shakya  zu  kampfen  hat,  sind  natiirlich  diesel- 
ben,  die  in  der  Geschicbie  alter  Heiligen  und  Monche  eine  so  grofse 
Rolle  spielen. 


Kifiige  Worte  uber  den  Boddhisoini.  5{ 

kenntnifs  und  die  Wiirdc  des  vollendeten  Buddha.  *)  Nun  tritt 
er  wieder  hinaus  in  die  Welt  und  begiebt  sich  zunaohst  wie- 
der  hinaus  in  die  Welt  und  begiebt  sich  zunfichst  nach  der 
heiligen  Stadt  Varllnassi  (Benares),  urn  „d^s  Rad  der  Lehre 
in  Bewegung  zu  setzen"  und  zu  verkiinden,  dafs  er  das  Mit- 
tel  gefunden,  Welt  und  Tod  zu  liberwinden:  yiWohlauf^  er- 
hebt  Euch  zu  neuem  Leben,  nehmt  an  das  Geselz  des  Buddha, 
werfl  nieder  die  Heerschaaren  des  Todes,  wie  der  Elephant 
die  Schilfhutte!  Wer,  ohne  abzuschweifen,  unter  der  Zucht 
dieses  Gesetzes  wandelt,  wird  entgehen  der  Geburt  und  den 
Weltumwandlungen  und  ein  Ziel  setzen  dem  Schmerae!""*) 
Und  von  da  ab  finden  wir  ihn,  wie  er,  von  Almosen  lebend, 
einen  grofsen  Theil  Hindustans  durchwandert,  zahlreiehe  Schii- 
ler  um  sich  sammelt,  die  Irrlehren  besiegt,  predigl,  Wunder 
thut  u.  s.  w. ,  bis  er  im  80.  Lebensjahre  f )  in  NivSna  eingeht, 


*)  Der  Bodbibaum  ist  der  indiscbe  Feigenbaam.  Bodhi  heifst  zo- 
gleich  Weisheit,  Erkenntnifs.  Baddha  (der  ErIeacbCete),  Chinesisch 
Fo^  Mandsclioriscb  Fontiski,  Mongoliscb  Bnrohan,  Tibetanisch 
Sangrgiyas,  ist  also  kein  Eigenname.  Der  Tanfname  Sbakyas 
ist  Yielmebr  Sarvatha  siddba,  gewohnlicb  Siddarthe  oder 
Artascbidi  (der  Heilbringer).  Als  Tollendeter  Boddba  heifst  er 
aucb^bagayat  (der  Seelige),  Sugata  (der  Erscbienene),  Tatha- 
gata  (der  aaf  derselbea  Babn  wandelt,  wie  sein  Vorganger,  namlicb 
die  friibern  Baddhas),  B  ii  r n o  af  „Introdoction**  70  -^ 77.  Foe  Koae 
Ki  191  etc.  Ansserdem  bat  er  anzablige  andere  Beinamen*  37  der 
wicbtigsten  bei  Davy  213;  58  dergleicben  in  den  fanf  Sprachen  der 
aof  Kaiser  Kion-longs  Befebl  beraasgegebenen  Polygiotte  bei  A.  R  e» 
m  a  s  a  t  Mel.  As.  I.  163  — 168. 

**)  Zwei  baafig  yorkommende  Sentenzen  Sbakyas.    Barnonf  I.  c.  184, 
342.    Aehnlicb  bei  Csoma  Korosi  I.  c.  79. 

t)  Oder  im  79.  Bei  Dayy  allein  findet  sicb,  wabrscbeinlich  aas  Verse- 
hen  die  Angabe:  im  85.  —  Die  Besiegong  der  6  Irrlehren  bildeiti 
einen  besondem,  sebr  gefeierten  AbjBcbnitt  in  Sbakyas  Leben.  Zuerst 
aiis  mongoliscber  Quelle  mitgetheilt  yon  Sclimidt  in  den  „Forscban- 
gen.'*  Ob  nnter  den  6  Tirtbyas,  die  man  fraber  fdr  Parsen  bielt,  die 
6  pliilosopbiscben  Schulen  der  Inder  zn  yersteben  sind,  wie  Schmidt 
(Mem.  de  Tacadem.  de  Petersboarg  II.  44)  behauptet,  ist  jedenfalls 
zweifelhaft. 


62  Uutoriftch-lingaistische  Wittensebaften. 

nachdem  er  verkiitidet,  dafs  seine  Lehre  5000  Jahre  dauren^ 
und  alsdann  ein  neuer  Buddha  erscheinen  werde. 

Shakyamuni  hat  sich  selbst  aogekundigt  ak  Erloser:  er 
hat  gebiilst  und  iiberwunden  zum  „Heii  der  athmenden  We- 
sen."  Es  ist  aber  die  Welt  —  auch  in  religioser  Beziehung  — 
niemals  und  nirgends  erlSst  worden  durch  Metaphysik  und 
Speculation,  so  wenig  wie  durch  Dogmatik  und  Ceremonien. 
Im  Gegentheily  die  Lehren  des  Itleils,  welche  zu  Weltreligio- 
nen  goworden  sind,  beruhen  urspriinglicb  uberali  nur  auf  eini- 
gen  wenigen,  tief  im  Wesen  der  Phantasie  und  des  Genuiihs 
wurzelnden  Grundsatzen.  So  im  Christenthume,  so  im  Islam; 
so  auch  im  Buddhismus.  Jemehr  die  reineren  Queilen  zur 
Kenntnifs  des  letztern  erSffnet  worden,  jemehr  die  Kritik  da- 
hin  gekommen,  das  Friihere  von  deal  spateren,  den  Kern  von 
der  Schaal&  und  den  Auswiichsen  zu  sondern,  desto  klarer 
sehen  wir,  dafs  diese  scheinbar  so  unerhort  phantastische  und 
wiedernm  so  abstract -speculative  Lehre,  in  ihrem  Anfange, 
in  ihrem  Princip  sehrschlicht  und  einfach,  mehr  moralisch  als 
dogmatisch,  mehr  praktisch  als  theoretisch  gewesen  ist.  Man 
muss  den  urspriinglichen,  menschlichen  Buddhismus  von  dem 
spatem,  kirchlichen,  dem  Buddhismus  der  Concile  wohl  un- 
terscheiden.  *) 

Dabei  hat  Shakya  nicht  eigentlich  ein  neues  System  ge- 
schafiTen,  er  hat  verworfen,  vereinfacht,  mit  einem  Worte  re- 
formirt;  aber  es  giebt  im  oltern,  achten  Buddhismus  keinen 
positiven  Lehrsatz,  kein  Gebot,  keine  religiose  Vorstellung, 
deren  Ursprung  aus  dem  Brahmaismus  und  dessen  philoso- 
phischen  Schulen,  namentlich  aus  dem  Sankhya  und  Jdga 


*)  Bnrnouf  1.  o.  nnter  aiidern  435:  II  y  a  pea  de  croyances  en  effet 
qui  reposent  snr  on  aassi  petit  irtmbre  de  dogmet  et  ni^me  qai  im- 
posent  an  sens  ooinmTlii  moin^de  sacrifices.  Je  parte  id  en  particu- 
lier  du  Baddhismtis  qoi  me  par^t  ^tre  le  plas  ancien,  da  Boddhisme 
humain,  si  j*ose  ainsi  l^appeWr,  qoi  est  presqae  toot  entier  dans  les 
regies  tr^s  simples  de  morale. 


Einige  Worte  aber  dttn  Baddbimivs.  53 


fiich  nicht  nachweisen  liefse.*)  Es  ist  nicht  sowohl  £e  Lehre 
selbst,  es  ist  die  Art  und  Weise,  d.  h.  dieMethode  derselben, 
es  ist  die  praktische  Anwendung  und  Durchfuhrung,  es  sind 
die  Consequenzen ,  wodurch  die  neue  Religionsform  sich  von 
der  alteren  trennte  und  zu  ihr  in  Opposition  trat 

Wenn  wir  das  Labyrinth  der  Buddhistisehen  Kosmogonie 
und  Afythologie  und  Metaphysik  und  Gnosis,  nanientlich  die 
Lehre  von  den  drei  Welten,  den  Dhjanis,  den  Kaipa*s  u.  s.  w. 
ganz  bei  Seite  liegen  lassen^**)  da  selbst  die  altesten  Theile 
desselben  offenbar  erst  in  der  Zeit  derKelzerei  undDogmen- 
machereii  d.  h.  der  beiden  letzlen  Concile  aufgebaut  worden 
sindy  mochte  sich  die  ursprungliche  Lehre  Shakyas  etwa  foi- 
gendermaafsen  kurz  zusammen  fassen  lassen.  Sie  beruhty  ge- 
nau  genommen,  nur  auf  einem  einzigen  Dogma,  das  zugleich 
den  Kern  des  Brahmanismus  bildet,  und  das  mithin  der  Re- 
formator  als  eine  allgemein  geglaubte  Thatsache  voraussetzen 
durfte  —  dem  Dogma  von  der  Seelenwanderung. 

Die  Welt  ist  nach  unbegreiflichen,  ewigen  Geselzen  in 
sleter  Bewegung,  in  unaufhorlichem  Kr^islauf  und  Wechsel 
begriffen.  Sie  enfsteht  und  vergeht  und  erzeugt  sich  wieder 
nach  diesem  Gesetze  ihres  eigenen  inneren  Wesens«f) 


*)  Bochinger  „La  vie  conteniplatiTe  etc.  chez  les  Indoot^  138, 149  etc. 
Frank  f^Yjasa'*  41.    Benfey  ^Indieq''  138  a,  a. 

'*)  Man  findet  uber  die  Baddh.  Metapliyaik  nebst  allem  Zobebdr  (AbhU 
dharma)  das  Nabere  bei  A.  R^masat  >,E8sai  sar  la  cogmograpbie 
et  cosmogonie  des  Daddbistes"*  im  Journ.  des  Savans  von  1831.  Hogd- 
son  ,,8ketcb  of  Baddhism*'  und  Notices  etc.  Barn  on  f  „Introdaction* 
457 — 521.  Einzelnes^  namentlich  nacb  MongoUscben  Urknnden  bei 
Schmidt ^Ostmongolen**  in  den Anmerkangen  zn  den  10  erstenSei- 
ten  des  Ssanang  Ssetzen,  aoch  bei  Bergmann  ^Nomadiscbe  S(rei- 
fereien*'  III.^  wo  er  eine  Uebersetzung  des  Kalmiickischen  ,|Weltspte- 
gels"  giebt  u.  s.  w. 

-f-)  Demnacb  kennt  der  Boddhismns  weder  einen  Weltenscbopfer,  noch 
eine  erste  Schopfung.  Vergl.  S  t  a  b  r  ^Religionssysteme  d.  Orients" 
154.  Schmidt  ^Forschnngen"  180:  y^Das  System  des  Baddbismns 
bat  kein  ewiges,  nnerschaffenes,  gottliches  Wesen,  das  Tor  alien  Zei- 
ten   war  and  alles  Sichtbare  und  Unsiehtbare  erschaffen  hat.     Eben 


64  HiitorischflingniAtische  WiMeasehaften. 

Dieses  dahinfliefsende ,  kommende  und  verschwindende,  wan- 
delbare,   veranderliche  Sein   ist  aber  keine  Wahrheit;   denn 


so  wenig  giebt  es  eine  Schopfang.    Man    warde  sich  indess  irren, 
wenn  man  annahme^  dafk  «twas,  man  nenne  es  Natar  oder  Scbicksal, 
?on  den  Buddbiaten   als  gottlicbea  Princip  angesehen   nnd   yerehrl 
wurdc;  yielmehr  das  GegentbeiU'*     Klaproth  N.  Joorn.  As.  310: 
„Cette  croyance  n^admet  pas  Fexistence  d*an  Itre  sapifme/*    Der 
Streit  daruber,  ob  die  Bnddhistische  Weltansicbt  obne  weitres  atbeistiscb 
za  nennen  sei  oder  nicht,  trat  bekanntlich  in  ein  ganz  nenes  Stadium^ 
als  dnrch  Hogdson  die  ?ier  pbilosophischen  Scbnlen  Nepals  bekannt 
wurden,  nnter  diesen  die  Srbale  Aiswarika,  welcbe  ein  hocbstes^  im- 
roaterielles  -Wesen,  eine  formlicbe  Gottbeit,  den  Adi-Bonddha  (lTr« 
bnddba)  annimmt.    Bis  za  seinem  Tode  war  A.  R^masat  der  eigent- 
liobe  Adyocat  dea  letzteren,  and  bielt  diese  tbeistische  Yorstellang 
nicbt  blofs  fur  alt,  sondern  fiir  den  innersten .Kern  des  Buddhismns. 
Wir  wissen  jetzt^  da£s  das  System  der  Aiswarikas  nicbt  alt  and  das 
Dogma  yon  Adbi-'Baddba  nicht  yor  dem  10.  Jahrb.  nacb  Cbr.  nach 
Centralindien  gekommen  ist.    Barnoaf  119.    Der  Adi-Baddba  ist  na- 
tiirlidli  nichts  weiter,  als  der  yom  theistischen  Baddhas  adoptirte  Brab- 
maniscbe  Weltschopfer  (Iswara),  woyon  aach  jene  Schnle  der  Aiswa- 
rika den  Namen  bat.    Sc-bmidt,  yon  dem  ich  oben  eine  Stelle  im 
entgegengesetzten   Sinne  angefubrt,    protestirt  in  seinem  berUbmten 
Aafsatze  „Ueber  einige  Grandlehren  des  Baddhismas"  dagegen,  dafs 
man   in  Frankreicb   so   yiel    yon  einem    buddbisme   tbeistiqae   and 
atbeistiqne  rede;  das  helfse  europaische,  occidentalische  Begriffe  auf 
den  Baddhismns  anwenden,   die  in    dieser  Anwendang  keinen  Sinn 
batten.     Indefs  in   Indien   selbst  sind  die  Baddbisten  als  Atheisten 
(  Nistika's  )  bezeicbnet  worden  y  -  obgleich  nacb  H  n  m  bo  1  d  t  y,Kawi- 
Spracbe"  I.  298  sicb  dieser  Ansdruck  „Laagner  des  Daseins^*  mehr 
anf  den  Unglaaben  der  Baddbisten  an  ein  Dasein  nacb  dem  Tode 
bezieht    In  dem  yon  Up  bam  mitgetbeilten  Inbegriff  der  Lebre  Gau-> 
tamas  (aaf  Ceylon)  laatet  die  Antwort  anf  die  Frage,  ob  das  bocbste 
Wesen  ancb  der  Schoplwi^  des  Himmels  and  derErde  sei?  bestimmt 
folgendermafsen:  „Ein  hocbstes  Wesen  giebt  es  nicbt  and  Alles  gebt 
yon  der  Nator  aas."  —    Crawfard  I.  c.  639:  Die  Siamesen  glau- 
ben  nicht  an  einen  hochsten   Gott,   and  es  ist  nicht  leicbt,    ihnen 
diese  abstracte  and  feine  Notion  beizubringen/*    Schon  in  Ramayana 
linden  sicb  die  Verse,  die  Schlegel  ansgemerzt  bat: 

Denn  wie  ein  Dieb  so  ist  wohl  dieser  Bnddha: 
Von  ihm  ist  Atheismns  ausgegangen. 


fiinige  Worte  aber  den  Baddliismut.  g5 

Unwandelbarkeit,  Unveranderlichkeii  ist  der  Charakier  des 
wahren  Seins.  Materie,  Form,  Farbe,  Vielheit,  Bewegung, 
Thaligkeit,  Leben,  Geburt,  Tod^  kurz  jede  Existenz,  jede  Be- 
stimmlheit  ist  inithin  Unwahrheit,  ist  Tausehuug,  ist  Weltubel, 
ist  Sansara  (mongolisch  Ortschilang).  Aufser  dem  Sansara  ist 
aber  nichts,  als  die  Leere  (Sunya),  in  weicher  jede  BesiehuDg 
und  BeslimmuDg  und  Modification  aufgehoben  ist. 

Diese  Lehre  nun  hat  der  Einsiedier  der  Shakya  —  das 
zeigt  uns  die  Legende  iiber  die  Veranlassung  zu  seinem 
Biifserieben  —  sogleich  in  ihrer  praklischen  Bedeutung,  in 
ihrer  Anwendung  auf  die  sittiiche  Welt  genommen.  Auch  der 
Mens(;h,  wie  Alies,  was  ihn  umgiebt,  ist  dem  Sansara  unter- 
worfen  und  roUt  in  dem  ewigen  Kreise  der  Seelenwanderung. 
Er  durchschreitet  alle  Gestallen  des  Lebens  und  die  Stelle, 
welche  er  auf  der  Stufenleiter  der  lebenden  Wesen  einnimmt^ 
hiingt  von  dem  Verdienste  seiner  Handiungen  ab.  Der  Tu- 
gendhafte  avancirt  hoher  und  hoher,  bis  er  zum  Gott  wird, 
der  Siindhafte  wird  im  Kdrper  eines  Thiers »  eines  HoUenge- 
schopfes  U.S.  w.  wiedergeboren ;  aber  Belohnung  und  Strafe 
dauern  niehl  ewig.  Denn  fort  geht*s  und  immerfort,  ohne 
Ruh  und  Rast,  von  Geburl  zum  Tode,  vom  Tode  zur  Ge- 
burt:  die  Thierseeie  steigt  wieder  aufwarts,  der  himmlische 
Genius  abwarts  und  so  fort  in's  Unendliche  und  Unbestimmte. 

Der  kirchliche  Brahmaismus  kannle  kein  Radicaimittel 
gegen  diese  verhangnilsvoHe  Nothwendigkeit  Veda-Lesen, 
Opfern,  Beten,  Fasten,  fromme  Spenden,  Bufsubungen,  Werke 
der  Liebe  und  Gerechtigkeit  fiihren  freilich  hinauf  bis  in  In- 
dras  Paradies  und  Brahmas  Himmel,  aber  nach  Verlauf  einer 
bestimmten  Zeit  kehren  die  Seeien,  und  wenn  sie  auch  zu 
Gottheiten  geworden  sind,  zu  neuer  Priifungsexistenz  zuriick, 
und^ie  Laufbahn  beginnt  von  Neuem. 

Der  Einsiedier  von  Shakya  dagegen  hat  das  Mittel  ge- 
funden,  diesem  Verhangnifs  zu  entgehen  und  dem  Tode  und 
der  Wiedergeburt  und  den  damit  verbundenen  Miihseeligkei- 
ten  und  Leiden  ein  Ziel  zu  setzen  —  das  Mittel,  den  Kreis 
der  Metempsychose  ein  fiir  allemal  zu  sprengen  und  aus  dem 

firmans  Russ.  Archiv.  Bd.  XI.  H.  4.  5 


56  HiBtornch-linguistiache  Wissenschaften. 

slOrmischen  Meere  des  Sansnra  und  dessen  vier  Slromen: 
Geburl,  Alier,  Krankhett  und  Tod  sich  fUr  immer  in  den  Ha* 
fen  der  Ruhe  ux  reUen.  Das  ist  die  Bolschaft  der  Befreiung, 
welche  er  verkiindet. 

Wir  kennen  das  Mitlel  bereits  —  es  isi  die  Bufse,  und 
zwak-  £Ugleich  als  vollendete  Erkenntnifs  und  voUkommene 
Entsagung.  In  beiden  erfolgt  die  Lossagung,  der  Riickzug 
aus  der  Tauschung,  die  Rellung  aus  dem  Weitiibel.  Wenn 
Du  inne  geworden,  dafs  alles  Dasein  nur  Schein  ist,  wenn 
Du  durch  forlgesetzte  und  mehr  und  mehr  concenlririe  An- 
dachi  und  Verliefung  dahin  gekommen  bist,  Dich  lossumachen 
von  dieser  Tiiuschung,  so  dafs  endlich  Raum,  Zeitr,  ]!k(|iteriey 
6r5r6e,  Geslalt,  Licht  und  Pinsterniss,  Name  und  Zahl,  Nahe 
und  Ferae,  Jugend  und  Alter,  Geburt  und  Tod  keinen  Sinn 
und  Bedeulung  mehr  fiir  Dich  haben,  wenn  Du  andererseits 
Dein  leh  gereinigt  von  jeder  Begier,  jeder  Leidebscfaaft,  von 
Liebe  und  Hass,  Freude  undSchmerz,  von  jeder  Regung  und 
Willens^  jedem  Gefiihl  der  Selbstheit  und  Personlichkeit:  tlann 
/gelangst  Du  zum  Durchbruch,  zur  Erweckung,  zur  Weisheit, 
zur  Befreiung.*) 

Wer  aber  solchergestait  zu  Buddhistischer  Weisheit  und 
Heiligkeit  vorgedruugen,  ist  nicht  bios  frei  von  der  Materie 
und  ihren  tauschenden  Verwandlungen;  nein,    er  beherrscht 


r 


*)  Wie  es  za  diesein  Durcbbrucb,  zu  dieser  Befreinngatufenweise  komme, 

dariiber  foigende  Stelle  (Foe  Koae  Ki  2187):  ,>QDand  la  quietude  est 

venae,  alors  TigDorance  s^eteint;  Tignorance  etant  eteinte,  alors  Taetron 

s'eteint;  Paction  s*eteignant,  alurs  la  connaissance  s*eteint;  la  connais- 

sance  s^etei^nant,  alors   le   noni   et  le  titre  s*eteigiient ;  le  nom  et  le 

titre  etant  6te]nt8>  alors  le^six  entries  (die  r»nfSinne  und  dasHerz) 

s*eteignent  *,    le»   six   entries  s'^teignant,    alors  le   plaisir   renoovel^ 

s*^teint)  le  plaisir  renouvele  ^tant  eteint,  alors  le  de8iry^tei|l;    le 

desir  etant  eteint,   alors  Tamour  s'eteint;    I'amoJir  ^tant  eteint,  alors 

la  caption  s^eteint;  la  caption  etant  eteinte,  alors  la  possession  s^eteint; 

la  possession  s^eteignant,    alors    la  naissance  s'eteint;    la    naissance 

s*etetgnant,  alors  la  yieillesse,  la  tristesse,  la  compassion,  la  doufeur  et 

^  V  la  'sm&ance,  les  peines  do  coeur  et  les  grandes  oalamk^s  ont  pris 

\^   fin;  c*e8t  ce  qa'on  appelle  avoir  trouY^  la  doctrine. 


Einige  Worte  iiber  den  fiaddbitmai.  67 

sie  nach  Willkiihn  Die  Natur  und  ihre  Gesf^Ue,  welche  er 
durch  Bufse  im  Bewusstaein  und  in  der  Gesinnung  iiberwun- 
den,  miissen  ihm  gehorchen,  ihm  dienen.  Mit  andern  Wor* 
ten,  er  hat  die  Kraft  eriangt  VV under  zu  thuo,  er  beaiUt  — 
wie  die  Mongolen  sagen  —  die  Macbt  des  Rili-ChubUghan, 
d.  h.  er  kann  sich  beliebig  an  jeden  Ort  verseUen,  jede  Ge* 
stalt  anneiimen,  den  gewohnlichen  Lauf  der  Natur  willkurficfa 
hemmen,  jede  ihrer  Ersclieinungen  hervorbringen  u.  s.  w.  ^) 

Die  letzte  hochsle ,  absolute  Befreiung  erfolgt  endlich  im 
Tode  —  das  Eingehen  in  Nirvana.  VVer  Nirvdna  gewor- 
den,  ist  enthoben  der  leUten  Schranke,  die  ihn  noch  hielti 
der  E?dstenz,  der  Bevvufstheit,  der  Ichheil,  und  damit  far  aUe 
Ewigkeit  befreit  von  der  Nolhwendigkeil  der  VViedergeburL 
Nirvana  ist  das  hochste  Gut  des  Buddhismus,  es  ist  das  vdi- 
lige  Aufgegangensein  in  das  Leere  (Sunya),  es  ist  das  Ver- 
Ifischen  des  Selbstbewiifstseins,  die  ganzliche  Vernichtung  des 
Individuums.  **) 


*)  Der  Glaabe,  dafs  man  durch  ausserordentliche  Webbeit  and  Heilig- 
keit  ibernatiirliclie  Krafte  gewinne,  fuidet  sich  aicht  blofs  in  Indien, 
sondern  bei  alien  Volkern,  in  alien  Religionen.  Am  aasgebildetsten 
ist  er  freilich  bei  den  Buddbisten,  selbst  mebr  nocb  als  im  christli- 
chen  Mittelalter,  and  deshalb  ist  die  Zahl  ibrer  Heiligen  noch  unend- 
lich  groDser,  als  die  der  katboliscben.  Ueber  den  Riti-Cbobilgbaii 
Schmidt  ^^Oslmongolea"  312. 

*)  Nirvana  wortlich  „das  Verloscben**  (rextinction).  Vei^l.  iiber  die 
Etymologie  Barn  oaf  y,Introd.  Appendice'*  I.  689  ff.  Desgleichen  iiber 
dessen  Bedeutiing  118  ff.  Ks  versteht  sich  von  selbst,  dafs  iiber  kei- 
nem  Begriff  der  Buddhistischen  Lehre  die  einzelnen  Secten  and  Schu- 
len  und  auch  die  neaern  Gelehrten  weniger  einig  sind,  als  uber  die- 
sen.  ln%der  spatern  Kosmogonie  wird  das  Nirrina  wohl  znm  Bmpy- 
raum,  znr  Spitze  der  dritten,  obersten  Welt,  der  Welt  der  Terborgnen 
Eigenscbaften,  d.  h.  der  Welt  ohne  Pradicate.  Sebr  oft  wird  es  als 
der  Zustand  seliger  Babe,  als  Befreiung  yon  Schmerz  and  Tod 
n.  s.  w«>  doch  nicbt  als  vollstandige  Vernichtung  aufgefasst,  z.  B.  tod 
Schmidt,  Csoma  u.  a.  Dagegen  Davy  216  Nivan^  (Nirvana)  is  the  / 
extingnisching  of  a  flame;  and  the  best  inflrmed  and  most  learned  /(J^ 
Boodhistes,  who  will  eaLpress  their  opimons,  seem  to  is  identical  with  X 

5* 


gg  Historiseh-linguistisclie  Wissensehaften. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dafs  nach  der  urspriinglicheh 
AirTfassung  jedem ,  der  das  Geselz  treulich  erfulUe  und  auf- 
richlige  Bufse  ubte,  die  MSglichkeit  eroffnet  war,  iiach  seinem 
Tode  sogleich  in' Nirvana  einzugehn,  ohne  vorher  durch  wei- 
tere  Geburten  stufenweise  immer  hoher  und  hoher,  selbst  bis 
zur  Buddhawiirde  emporzusieigen.  Spater  hat  sich  diese  An- 
sicht  in  Verbindung  mit  der  Ausbildung  der  himmlischen  und 
irdischen  Hierarchie,  mannigfach  umgestaitei.  *) 

So  viel  —  und  vielleicht  schon  zu  viel  —  von  dem  Iheo- 
retischen  Theile  der  Lehre  Shakyas.  Sie  unterseheidet  sich, 
wie  gesagt,  bis  hierher  durchaus  nicht  von  gewissen  freieren 
Richtungen  der  Brahmanischen  Philosophic;  denn  schon  Ka- 
pila  haite  den  Weltschopfer  aus  d^m  System  entfemt  und 
die  Idee  des  Nirvsina,  wie  das  Wort  selbst,  war  dem  Jdga 
entnommen.  Bis  hierher  also  ist  Shakya  nichts  weiter,  als 
erner  jener  unzahligen  BUfser,  die  seit  uralten  Zeiten  inlndien 
aufgetreten.  Nun  aber  die  Anwendung,  die  Praxis  und  damit 
der  Unlerschied ! 


annihilation.  —  Barnouf  fefst  das  Ganze,  was  daraber  zu  sa- 
gen  ist,  folgendermafsen  znsammen:  Le  Nirvana  est  pour  les  theistes 
Tabsorption  de  la  vie  individaelle  en  Dieu,  et  poor  les  ath^es  Tab- 
sorpdon  de  cette  vie  individaelle  dans  le  neanf. 

*)  Die  alte  Lebre  kennt  keine  anzahligen  Bnddhas  oder  Bodhisatvas 
(Candidaten  zar  Bnddbawarde),  anterscheidet  auch  keine  himmlischen 
nnd  menschlicben  nnd  individnellen  Buddba*s  (Dhjini-,  Manuschi- 
und  Praty^ka-Buddba*s)  Barnoaf  111  ii.  Spater  aber  lesen  wir  von 
so  vielen  Baddhas  „a1s  Sandkorner  am  Ufer  des  Ganges'*  (N.  Joam. 
As.  VI.  271),  von  „81  mal  100,000  Myriadien  Kdti*s  von  Budha's" 
(einKdti  zu  10  Millionen)  etc.  (Bnrnonf  100.)  Unter  diesen  Budd- 
has  konnen  allein  diejenigen  Seelen  verstanden  werden,  die,  nach- 
deiii  sie  atle  Stafen  der  belebten  Natnr  ond  der  daza  gehorigen 
Geisterwelt  darchgemacht,  aas  dem  Sansira  getreten  nnd  Nirvana 
goworden.  Man  nahm,  mit  anderen  Worten,  in  der  spatern  Ausbil- 
dang  des  Dogmas  an,  daCs  niemand  Nirvana  werden  konne,  bevor 
er  sich  nicht  darch  alle  Classen  der  wirklichen  Wesen  and  der  himm- 
lischen Hierarchie  bis  zar  Buddhawiirde  durchgearbeitet  babe.  Diese 
einzelnen,  individuellen  Buddhas  (Praty^ka's)   sind,  vvie  gesagt,   za 


Binige  Worte  iiber  den  Buddhwmat.  69 

Dieser  Unlerscbied  liegt  zuhachsi  schon  in  der  Lehr-^ 
weise.  Der  Brabmanische  Guru  unterrichtet  einegeringe 
Anzahl  Schiller  in  unsabiigen,  kl<anlichen,  beiligen  Gebrau- 
chen,  im  Lesen  der  Vedas  und  ihrer  Auslegung,  in  abstracten 
Wissenschaften,  als  Grammatik,  Prosodie,  Maihematik,  Asiro- 
nomie  u.  s.  w.,  und  zwar  in  jener  streng  vorgescbriebenen, 
halb  mysteriosen,  halb  scholastischen  Weise,  die  so  vorirefflich 
dazu  geeignel  ist,  den  kiinftigen  Pnester  zu  bilden.  Ganz 
anders  ist  der  Einsiedler  der  Shakya.  Seine  Metbode  isl  nicbt 
dogmatisch,  systematiscby  sondern  popular,  allgemein  verstand- 
lich:  er  isi  nichi  Lehrer  der  Schule,  sondern  Prediger  des 
Heils'  Wir  sehen  ibn  in  den  Sutras  und  Legenden  auf  of- 
fentlichen  Piatzen,  in  Garten  u.  s.  w.,  in  Gespracb  mit  seinen 
Schijlem,  umgeben  von  grofsen  Volkshaufen  aller  Stande,  die 
seinen  Worten  lauschen.  £r  selbst  leitet  das  Gespracb,  beant- 
wortet  die  Fragen  der  Scbuler,  ofl  in  breiler^  weitschwei%er 
Manier  und  mil  baufigen  Wiederholungen,  damit  was  er  sagt, 
um  so  gewisser  verstanden  werde,  um  so  tiefer  sich  einprage  — 

unterscbeiden  von  den  „  erlosenden ,  alIerherrliclist*?oUendeten/* 
Letstere  werden  in  gewimen  Perioden  geboren,  nm  die  „atbmenden 
Gescbopfe**  aas  dem  Sclilanim  des  Ortschilang  zu  befreien,  und  die 
wahre  Lebre  wieder  berzostellen.  —  Von  derartigen  yollendeten 
Bnddba^s  sind  nach  der  gewohnlicben  Anniihme  in  diesem  Welt- 
alter  (Kalpa)  erst  ?ier  erschienen,  namlicb  Kraknandra,  Kana- 
kamoni,  Kasyapa  ond  Shakyamuni.  VergU  N.  Joam.  Asiatic 
VII.  d9.  Scbmidt  ^Ueber  einige  Grnndlehren  des  Boddh.*'  I.  106 
n.  A.  Der  zunacbst  Erscheinende  beifst  Maitreya:  er  wird  5000  Jabr 
nach  Schakyamani^s  Nirvdna,  also  nach  der  Singbalesiscben  Aera  Ini 
Jabr  4457  n.  Chr.  geboren  werden.  Im  Ganzen  soUen  wahrend  der 
jetzigen  Weltperiode,  weicbe  davon  ein  „ Kalpa  der  Weisen"  beifst, 
1000  yollendete  Bnddbas  erscheinen.  (A.  R^masat  Joam.  des  Savans 
▼on  1831,  719);  man  findet  ibre  Namen  bei  Scbmidt  IL  68—80 
nach  einer  Mong.  Handscbrtft.  —  Es  ist  klar,  dafs  die  game  Lebre 
von  der  periodiscben  Erlosung  durcb  die  Buddbas,  ans  dem  Brahma- 
nischen  Dogma  von  den  Manvantaras  nnd  anderseits  von  den  Ver- 
korperungen  Vischnus  ihren  Ursprung  genommen  bat.  Dabei  jedocb 
ein  grolser  Unterscbied :  bier  ist  der.  Erloser  ein  Gott,  dort  ein 
Mensch  und  nur  ein  Mensch. 


70  HUCoritch -lingtuBttscIie  WiMenschaften. 

oft  mit  Beispielen  und  Gleichnissetii.  namenUich  mil  EriShlun- 
geiiy  die  auf  die  Idee  der  Seelenwanderung  Bezug  habeo,  in 
welchem  etwa  das  gegenwartige  Gliick  oder  Ungickck  einer 
bestimmten  Person  aus  den  Verdienslen  od^r  Vergehen  der 
letotem  in  friiheren  Geburten  abgeleitet  wlrd  u.  s.  w.  Durch 
diese  Lehrweise,  durch  diese  Prediglen  auf  der  Slrafse  —  und 
dies  ist  etwas  bis  dahin  in  Indien  UnerhSrtes  —  wurde  ^llen 
ohne  Unterschied  zuganglich^  was  hier  ausschKefsiiches  Eigen- 
thum  der  bevorrechteten  Caslen  gewesen  war.  *) 

Und  hiermit  kommen  wir  su  dem  Hauplunterscheidungs* 
grade,  dem  Punkte,  der  allein  hinreichl  su  erkliiren,  wie  der 
Buddhismus  in  alien  Sphiiren  des  geistigen  Lebens  Epoche 
machen,  wie  er  eine  machtige  Opposition  im  Brahmanenthum 
hervorrufen  and  tuleitt  mit  diesem  im  blutigen  Conflict  kom- 
men,  wie  er  endlich  zu  einer  Wellreligton  werden  konnte 
tind  mufste  -^  an  Alle,  Alle  schlechthin  richtet  sich  die 
Botschaft  Sfaakyamunisy  ohne  Rucksicht  auf  Geburt,  auf  die 
Kaste.  Wer  die  Verhaltnisse  Indiens  kennt,  wer  je  einen 
Blick  in  Manus  Gesetzbuch  geworfen,  der  wird  gestehen 
miissen,  dafs  dieser  Gedanke  noch  unendlich  kiihner  war,  als 
jener  Paulinische,  die  Christen  nicht  mehr  an  das  Jiidische 
Ceremonialgeselz  zu  binden.  Man  verstehe  dies  nicht  falsch! 
Der  Buddhismus  streitet  nicht  gegen  das  Kastenwesen  als  sol- 
ches,  als  politische  Institution,  er  dringt  nicht  direct  auf  des- 
sen  Vemichtung  **)  —  was  gehen  ihn  die  politischen  und  so- 

4 

*)  Barnouf  I.  c.  37.  Lassen  II.  432.  Es  versteht  sicb  voo  selbst, 
dalji  Shakya  aafser  der  Predigt  aoch  Wnnder  als  MUtel  der  Bekeh- 
rang  anwandte.  Sebr  cbarakteristisch  ist  in  dieser  Beziebang  fol- 
gende  Steile.  Sbakya  wird  anfgefordert>  Wander  zo  tban,  da  erwie- 
dert  er:  ,,Gro£ier  Konig,  so  lebre  icb  das  Gesetz  niobt,  dafs  icb 
meinen  Sobnlem  sage:  Gebt  and  that  Wander  vor  den  Brahmanen 
and  Haasberm,  sondern  so  lebre  ich  meinen  Zuborem:  Verbergt 
Eore  gaten  Werke  und  zeigt  Rare  Sunden!'* 

**)  Stabr  9,I^e ^cbinesisdie  Reichsreligion  etc/*  86.  Lassen  L  c.  So 
erklart  es  sicb,  da(s  in  Ceylon  das  Kastenwesen  neben  der  Baddbisti- 
schen  Kircbe  bestehen  kann,  natiirlicb  j^dooh  ohne  eine  besondere 
Prietterkaste.     Bitter  ^Asien"  IV.  2,  228 ff. 


Binige  Worle  iilier  den  BuddliMuiw^.  7J 

cialen  Verhaltnisse,    was   gehl  ibn  tiberbaupl   das  Wqltlicbe 
an?  —  aber  er  berufi  alle  Kasl^n,  auoh  die  unterslen,  unrei* 
nen,  von  den  Brahmanen  verabscheukn  gleichmSfsig  i|ur  Theil* 
nahme   am   Heil,   zur  Defreiung   vom  WdUibel^   mil  einein 
Worle,  Kur  Ascese,  sum  BuCselhume,  wahrend  daa  Brahma*    |  7 
nisclie  Geseto  dies  lelztere  8treng  auf  di«  drei  erateo  Slande, 
auf  die  Zweimalgebornen    beschrankie.  *)     Der  Buddhiimus 
leugneie  nieht,  im  Gegenthelii  er  beslatigle  die  alte  Lehrc, 
dais  es  vom  Verdiensie  und  von  der  Schuld  friiberer  Hand- 
lungen  abhange,  in  welcber  Kasie  Du  geboren  werdest,  aber 
er  slelU  dagegen  den  Salz  auf  ^  und  das  ist  der  Fortochritt  — 
jeder  Kaste  ohne  Unterschied  ist  die  Moglichkeit  gegeben,  die 
Werke  der  Bufse  und  Heih'gkeit  su  tiben»  dadurcb  alle  Siin- 
den  zu  iilgen  und  zum  hochsten  Heiie,  zuro  Nirvana  zu  ge- 
langen.     Allerdings  iiegl  hierin  —  als  ConsequenZi  als  t^Vi* 
gerung  —  die  Aufhebung  des  Kaslenwesena,  denn  wepn  alle 
Stande  auf  gleicheWeise  zum  letzlen,  hochsten  Gut  gelangen 
konnen,  so  sind  sie  eben  in  der  lelzten,  hochsten  Inslanz  audi 
als  gleichy  als  gleichberechtigt  anerkannl,  und  der  Stand  selbst 
mithin  etwas  Gleichgultiges,  Nichtiges,  Verschwindendes.   Diese 
Consequenz  hat  sich  denn  auch  naliirlich  gellend  gciyiachty 
und   es  giebl  aufser  Ceylon  keinen    einzigen  Buddhistischen 
Slaat,  in  dem  das  Kastenwesen  nocii  bestande» 

Ob  er  gehori  wurde  der  Uuf  der  Befreiung^  gehort  yon 
den  Sudras  und  den  noch  elenderen  Mischkasten,  jenen  Ver- 
stofsenen,  Vervvorfenen ,  oder  wie  sie  das  heilige  Gesetz  der 
frommen  Brahmanen  nennt,  den  „Verruchten,^'  den  Sola,  Vai- 
deha,  Tschandala,  Magadha,  Tschallri  u.  a.,  die  durch  ein 
verruchtes,  abgefeimles  Priesterthum  Jahrhunderle  lang  urn 
alle  menschlichen  und  goLtlichen  Rechte  betrogen  waren?  — 
Es  ist  keine  Frage,  dafs  sich  der  Buddhismus  grofsentheils 
aus  diesen  anfanglich  rocrutirt  hat,  gerade  wie  das  Christen- 
thuni  aus  Fischem,  Zoiinern  und  Siindern.  Hier  erscheint 
er  in  seinem  seh5nslen  Lichle,  seiner  alles  umfassenden  Liebe, 


*)  Mann  VI.,  Anfang. 


72  Historitch-lingaistMolie  Wissenschaften. 

SO  dab  wir  oft  unwillkiirlich  an  die  ersle  Verkiindigung  des 
Evangeliums  erinnert  werden,  z.  B.  wenn  wir  den  An  an  da, 
einen  der  LieblingssGhiiler  des  Buddha  mit  dem  Tschandalen- 
madchen  am  Brunnen  sehen.  Er  ist  durstig  und  eraiiidet 
von  langer  Wanderung,  biltet  sie:  „Gieb  mir  m  trinken!"* 
Sie  entgegnety  sie  sei  eine  Tschandala  und  diirfe  sich  ihm 
nicht  naheniy  ohne  Jhn  %n  veninreinigen.  Er  aber  antworlel : 
^yMeine  Schwester,  ich  frage  nicht  nach  Deiner  Kaste,  noch 
nach  Deiner  Familie;  ich  bitte  Dich  um  Wasser,  wenn  Du 
es  mir  geben  kannst/'  ^) 

Dagegen  klingt  es  fast  komisch,  beweist  aber  im  Grunde 
das  Namiiche,  wenn  in  einer  Tibetaniscben  Legende  sich  ein 
Gott  liber  seine  eigene  Hoheit  beklagt,  die  es  ihm  erschwere 
Buddhistischer  Monch  zu  werden  und  das  heilige  Geselz  zu 
erfiillen,  „denn  das  ist  sehr  scfawer  fiir  Leute  von  vornehmer 
und  erhabener  Race,  dagegen  leichl,  wenn  man  arm  und  ge- 
ringen  Standes  ist."'  —  „Wenn  Dein  Sohn  nichts  mehr  zu 
essen  haben  wird  und  nichts  sich  zu  kleiden'*  —  so  heifsi  es 
in  einer  andem  ErzShlung  —  „dann  wird  er  zum  Samanaer 
Gautama  gehen/' 

Hier  liegt  denn  auch,  wie  gesagt,  der  ersle  Keim  zum 
Zwiespalt  mit  den  Brahmanen.  Wir  lesen  ofler,  wie  sie  dem 
Buddha  es  vorwerfen,  dafs  er  den  Verachteten,  Verfluchten, 
dem  untersten  Pobel,  wie  man  bei  uns  sagen  wiirde,  den  Zu- 


')  BntDoaf  205.  Das  Madchen  verliebt  sich  dann  in  Ananda  and 
wird  von  ihm  fiir  den  Orden  gewonnen.  Darauf  begeben  sich  die 
Brahmanen,  der  Konig  and  die  Honoratioren  ?on  Srawasti  in  Pro- 
cession ZQ  Shaljya,  um  ihn  wegen  der  Aafnahme  einer  Tschandala 
zur  Rede  za  stellen.  In  seiner  Antwort  kommt  nnter  andern  foU 
gende  Stelle  vor,  die  jedoch  nicht  sehr  alt  zn  sein  scheint:  „Zwi- 
schen  einem  Brahmanen  and  einem  Menschen  der  andern  Kasten  ist 
nicht  der  Unterschied,  wie  zwischen  Gold  und  Stein,  zwischen  Licht 
und  Finsterniss.  Der  Brahroane  ist  vom  Weibe  geboren,  ganz  wie 
der  Tschandala.  Wenn  der  Brahmane  todt  ist,  verlafst  man  ihn,  als 
einen  unreinen  Gegenstand ,  ganz  wie  bei  den  anderen  Kasten.  Wo 
ist  denn  nan  der  Unterschied?*' 


Einige  W<Nrte  iiber  den  fiodflhumw.  73 

tritt  zum  heiligen  Biirserstande  geslatte.  Und  was  aniwortet 
er  ihnen?  „Mein  Gesetz  ist  ein  Gesetz  derGnade  fur 
Alle!"*) 

Ja  fur  Alie!  Denn  niehi  bios  Arme  und  Ausgesiofsene, 
auch  Brahmanen,  namentlich  unwissende,  die  zvvar  hoeh  tiber 
den  Mitgliedem  anderer  Kasrien  erhaben;  doch  in  ihrer  eige- 
nen  verachtet  waren/*)  Krieger  und  Kdnige,  aus  der/^MiUe 
ja  der  Grander  der  Lelire  selbst  hervorgegangen  sein  sollle, 
und  die  wahrscheinlich  sehr  ba]d  im  Buddhismus  auf  Shniiche 
Weise  ein  Millel  zum  Sturz  der  Hierarchie  sahen,  wie  die 
deutschen  Fiirsten  und  Herren  in  Luthers  Reformation,  end* 
lich  Kaufleute,  Hausherrn  u.  s.  w.,  kurz  Leute  jeden  Standes 
finden  wir  derLegende  nach  in  Shakyas  Umgebung  und  mehr 
oder  weniger  in  seiner  Gemeinde.  Seine  vertrauiesten,  be* 
rlihrntesien  Schiiler  gelifiren  den  verschiedensten  Kasten  an. 

Hatlen  wir  es  niehi  schon  oben  ausdriickiich  hervorgeho* 
ben,  so  wiirde  sich  hier  von  selbst  ergeben  haben,  dats  eine 
Lehre,  die  Allen,  auch  den  Unwissendsten  und  Ungebildetsien 
die  Thiir  zum  Heil  eroffnete,  anfangs  im  hohen  Grade  einfach 
und  ailgemein  verstandlich  Und  mehr  moralisch  als  specula- 
tiv  und  dogmatisch  sein  mufste.  Darin  liegt  ja  iiberhaupl  die 
eigenlliche  Bedeuiung  und  der  Charakter  des  Buddhismus, 
dafs  er  dem  in  Formeln  und  Satzungen  und  Ceremonien,  in 
Schulgelehrsamkeit  und  Werkheiligkeit  und  andern  Aeufeer* 
lichkeiten  erstarrten  Brahmaismus  gegeniiber,  das  Wesen  der 
Heiligung  in  die  Gesinnung  verlegte,  in  die  Welt  iiber win- 
dende  Entsagung,  in  WohlwoIIen  und  Erbarmen  gegen  alle 
Geschopfe  und  in  unnbegrenzter  Aufopfrungsfahigkeit.  f )    Die 


*)  Bnrnonf  197 ff.  249. 

**)  Es  lieifst  unter  andern  Mann  II.  §.  157;  9,Ein  ungelehrter  Brahmin 
ist  eben  so,  wie  ein  Elephant  ans  Holz  oder  eine  Antilo()e  aasLeder; 
diese  drei  Dinge  haben  niclits  als  den  Namen.^ 

-f>)  Dies  ist  es  anch,  wodarch  der  Bnddbismus  ein  so  bedeatendes  Cul- 
torelenient  geworden  ist,  so  dafs  Klaproth  ^Asia  polyglotta**  121  mit 
Recbt  sagt:  „Ke]ne  Religion  hat,  nach  der  clmstlichen ,  mehr  zur 
Veredlang  des  Menschengeschlechts  beigetragen,  als  die  Buddhistische/* 


74  Hutoritch-tingvuliscbe.  Wiisenschaften. 

ganse  Summe  der  Lehre  und  des  Gesetses  in  ihrer  ureinfa- 
chen,  urspriingUchslen  Gesiak  scheinl  in  der  Glaubensformel 
entbalten,  welche  wir  bei  alien  Buddhistischen  Volkern  finden, 
und  in  der  wir  wabrseheinlich  eins  der  iiltesten  Buddhistischen 
Denkmaie  vor  una  haben: 

1)  ,y Welche  Gesetze  aus  der  Grundursache  hervorgegan- 
gen  sind,  deren Grundursache  hat  Th a  thagatas  (der  Buddha) 
verkijndel  und  welches  ihre  Verbinderung  isl  .  So  hat  ver- 
kiindet  der  Erzdulder.'* 

2)  „AUes  Bosen  Nichlveranias^ung,  Voiibringung  des 
Heilsamen,  Bezahmung^  der  eignen  Gedanken^  das  ist  die  Lebre 
des  Buddha."  *) 

Dazu  die  so  oft  genannten  vier  geistlichen  Wahr- 
he i ten,  die  ja  aber  nur  die  Anerkennung  des  Weltiibels 
und  daniii  zugleich  der  £rldsungsbedurftigkeil  enthiellen,  und 
folglich  fiir  jeden  Schiiler  und  Bekenner  des  Buddha  noth- 
wendige  Voraussetzungen  waren.  „Das  Vorhandensein  des 
Eiends  ist  die  ersle;  die  zweite  ist,  dafs  dieses  unermefsliche 
Elend  uberall  herrscht;  die  endliche  Befreiung  aus  dieseni 
Elend  die  driite;  die  vierte  ist  das  Dasein  der  unendlichen 
tiindernisse,  welche  sich  dieser  Befreiung  entgegenstellen."  **) 
Auch  der  moralischen  Vorschriften  war  ohne  Zweifel  anfangs 
nur  eine  geringe  Zahl,  wohl  noch  nicht  jene  zehn  Gebote,  die 
im  Ganzen  uhereinstiminend  bei  alien  Buddhistischen  Volkern 
angetroffen  werden  y  sondern  wahrscheinlich  nur  die  fiinf  er- 
sten  derselben,  nainlich:  1)  Nichls  zu  todten,  wasAtlieiu  hat, 
2)  nicht  zu  stehlen,  3)  nicht  Ehebruch  zu  treiben,  4)  nicht  zu 


•)  Ben  fey  „Indieii"  202.     Csoma   Korosi   „Analy8is   of  the  Dulva' 
(As.  Res.  XX.  74) : 

„No  vice  is  to  be  committed, 

Virtae  must  perfectly  he  practiseil, 

Sabdue  ent^irly  your  tlionglits,  — 

This  is  the  doctrine  of  Buddha'\ 
♦♦)  Foe  Koue  Ki  19,  312.  N.  Jonrn.  As.  1&5  u.  a. 


Kiiiige  Worte  fiber  den  BniMhiBinat.  75 

va  liigen,  5)  nichts  Berauschendes  zu  irinken,^)  Geboie,  die 
sich  sammtlich  ill  Brabrnfiismus  vorfanden  und  deren  Ueber- 
tretung  —  je  nach  der  Kaste  —  in  Manu's  GeseUsbuch'  mit 
80  fiirchterlichen  Slrafen  belegt  sind,  die  aber  doch  im  Budd- 
hismus  eine  etwas  verSnderte  Stelle  und  fiir  Alle  gleicheGel* 
tong  enlhielten. 

Dies  fiihrt  uns  ganz  natiirlich  aufdieersteEinrichlung 
der  Buddhistischen  Gemeinde,  auf  deren  gesellschaflliche 
und  kirchiiche  Verfassung. 

In  ihr  traten  gleich  anfangs  Erscheinungen  hervor,  die 
sich  innerhalb  der  christlichen  Kirche  erst  nach  Jahrhunder- 
ten,  ja  vollstandig  und  classisch  erst  im  13.  Jahrhunderte  in 
der  Schopfung  des  Heiligen  Franciscus  enlwickeit  haben.  Was 
im  Chrislenthum  sich  erst  nach  und  nach  als  Consequenz 
herausstellte,  war  Priricip,  war  Anfang  des  Buddhismus.  Auf 
alle  Fragen:  wie  erfuilt  man  das  Gesetz  des  Buddha?  wie 
gelangt  man  zur  Befreiung?  u.  s.  w.  hat  der  Einstedler  der 
Shakya  nur  eine  einzige  Antworl  —  das  gelbe  Gewand, 
den  BeltlermanteL 

Das  religiose  Anachronlenleben  war,  wie  gesagt,  in  Indien 
uralt  und  hoch  geehrt;  dadurch  aber,  dafs  nunmehr  Alle  zu 
demselben  berufen,  dafs  es  ferner  als  der  einzige  Weg  des 
Heils  verkiindet  wurde,  mufste  nothwendig  eine  vottige  Urn- 
gestaltung  desselben  erfolgen.  Shakyamuni  ist  derErste, 
der  die  Welt  mit  Klostern  und  M5nchen  erfiillt  hat. 

Das  Geliibde  der  Keuschheit  und  das  Gebot,  schlechthin 
nur  von  Almosen  zu  leben,  sind  die  beiden  ersten  und  wich- 
ligsten  Verpflichtungen,  welche  er  seinen  Anhangern  aufer* 
legt.  Daher  ihi*  Name  Bhikschu  (tibetanisch  und  mongolisch 
Gelong)  Beitler;  doch  werden  sie  auch  gleich  den  Brahma- 
nischen  Asceten  Sramanas,  d.  h.  Enthaltsame  genannt.  Auch 
Frauen   konnten  nach  der    eigensten  Natur  des   Buddhismus 


'*')  Crawfurd  541.  Timkowsky  III.  408.  Kampfer206.  Davy  222. 
Georgi  ,|Alpb.  Tib.*'  142  n.  a. 


76  HistoriBdi-lingiiittiscbe  Wistenscbaflen. 

von  der  Gemeinscbaft  dieser  Geliibde  nicht  ausgeschlossen 
werden;  sie  heifsen  Bhikschuni  (Gelongoia). ") 

In  der  ersten  Zeit  hatle  diese  geistlicfae  Betlelgeineinde 
nattirlich  keinen  festen  und  gemeinachaftlichen  Aufenihallsort 
Die  einzelnen  Milglieder  siede]len  vielmebr,  gleich  den  Brah- 
manischen  Rischis,  meisl  in  der  Slille  und  Abgeschiedenheit, 
urn  deslo  ungest5rter  zu  ineditiren  und  in  sich  einzukehren, 
versaoimelten  sich  aber  dann  und  wann  zu  bestimmlen  Zwek- 
ken,  urn  die  Predigt  des  Meisters  zu  boren,  um  sich  in  ge* 
meinschaftHcher  Andaeht  zu  iiben,  oder  um  in  dem  Gefolge 
des  Buddha  und  in  der  Gesellscbaft  der  Glaubigen  bettelfid 
das  Gangesthal  zu  durchwandern.  Nur  die  Regenzeit  unier- 
brach  dieses  balb  eremitische,  balb  nomadisirende  und  vaga- 
bondirende  Leben.  Beim  Eintritl  derselben  Irennte  man  sich 
um  in  Sladten  und  Dorfern  bei  Verwandlen,  Freunden  und 
Beschiitzem  zu  uberwintem.  Sobaid  der  Soinmer  begann, 
wurden  an  vorher  dazu  bestimmlen  Orten  Versammlungen 
g^alten,  in  welchen  man  sich  gegenseilig  uber  die  Fortschritle 
befragle,  die  wiihrend  der  Regenmonate  im  Verstandnifs  der 
Lehre  u.  s.  w.  gemacht  worden  —  und  aus  diesen  Sammei- 
platzen,  die  nach  und  nach,  jemehr  der  Hafs  der  Gegner  zu 
fortwahrender  Vereinigung  zwang,  formliche  Herbergen  fiir 
die  ganze  Sommerzeit  wurden  —  sind  die  erslen  Klosler 
(Vibaras)  entstanden.  **) 

Mil  dem  statigen  Zusammensein  der  Betller,  dem  eigent- 
lichen  Kloslerleben  beginnl  aber  nothwendiger  Weise  die 
Ausbildung  der  Regel,  der  Discipiin,  welche  letziere  bis 
dahin  nattirlich  hochst  einfach  gewesen  und  wohl  nur  in  der 
Aufrechlhaitung  der  beiden  Geliibde,  wie  der  fqnlGebote  und 


'^)  Barnoaf  275.  Lassen  II*  449.  Sie  iiei&en  aach  Dbarma  bhagini, 
„Scbwestern  im  Gesetz.** 

*)  Bocbinger  168  if.  Biirnonf  284.  Vibdra  ist  nacb  dem  leUtern 
wortlicb  „rendroit  ou  Ton  se  trouye/*  In  Ceylon  ist  der  Name  bei- 
bebalten;  in  Tibet  beifsen  die  Kloster  d-6onpa,  im  Mongoliscben 
Kjit,  in  Hinterindien  Kium.    Foe  Koue  Ki  19.     Synies  22. 


Eifiige  Worte  uber  den  Bnddtiismas.  77 

in  einigen  wenigen  polizeilichen  Vorschriften  beslanden  hat- 
ten.  *)  Genauere  Bestimmungen  und  Geselze  iiber  das  Novi- 
ziat,  die  Investilur,  die  Pflichlen  der  Zusammenlebenden  ge- 
gen  einander  und  gegen  den  Orden,  ferner  iiber  Bestrafung, 
Ausslofsung  und  Wiederaussohnung  Pflichtvergessener  wur- 
den  von  nun  an  unerlafslich  und  mehrlen  sieh  natiiriich  in 
demseiben  Maafse,  in  welchem  die  Hierarehie  sich  entwickelte, 
bis  ins  Maafslose  und  Kleinliche  und  Abgesehmackte,  so  dafs 
Basilius  und  der  heilige  Benedictus  viel  Zeit  und  Miihe  hat- 
ten  sparen  konnen,  wenn  sie  die  griindlichen  Vorarbeiten 
ihrer  gelehrten  Coilegeti  im  fernen  Orient  gekannt,  wooiit  ioh 
iibrigens  den  Zusammenhang  zwischen  dem  ehristlich-agypti- 
schen  und  Buddhislischen  Monchlhum  nicht  laugnen  will.  ^*) 
Was  nun  den  Urspruhg  und  die  Enlwicklung  der  Hierar- 
ehie betriffl,  so  mu&te  diese  nach  derNatur  der  Verhaltniase 
in  der  Buddhislischen  Kirche  viel  friiher  hervortreten  und 
schneller  und  entschiedener  vorschreiten,  als  etwa  in  der 
christlichen.  Diese  letzlere  besland  namlich  luerst  -^  so  zu 
sagen  —  nur  ausLaien,  die  erstere  nur  aus  Geislljchen,  das 
ist  der  Unterschied.  In  der  christlichen  Kirche  mufste  sich 
das  Priesterthum  als  eigner,  hesonderer  Stand  erst  aus  der 
Gemeinde  herausbilden  —  und  Generationen  sind  dartiberver- 
gangen  —  in  der  Buddhistischen  dagegen  gab  es  anfanglich 
gar  keine  Laien,  sondern  nur  Geistliche,  nur  Monche  und 
zwar  Bettelmonche;  hier  war  mithin  derClerus  auch  der  Zeit 
nach  das  Ersle,  das  Friihere,  der  Grund  des  Gehaudes,  der 
Kern,  urn  den  sich  spater  das  Laienthuni  als  Schaale  herum- 


*)  z.  B.  dafs  kein  grober  Verbrecher,  kein  Aassatziger,  kein  SelaT  ohne 
den  Willen  seines  Herrn,  Niemand,  dessen  Eltern  no€h  lebten,  oline 
Brlaubniis  derselben  aafgenommen  werden  durfte  o.  dgl. 

**)  Die  Kanofiisciien  Biicher  iiber  die  Disdplin  (Vindja,  Tib.  Dalva) 
bilden  eine  Hauptabtlieilang  der  beiiigen  Litteratur.  Im  Kah-gyar 
bandein  Ton  denselben  die  ersten  13  Bande;  nnter  den  Sanskritscbrif- 
ten  Ton  Nepal  die  sogenannten  AT&ndana  oder  Legenden.  BeiCsoma 
Korosi  1.  c.  p.  80  ff.  iindet  man  die  Samme  der  253  Vorschriften, 
welche  die  Priester  in  Tibet  zo  beobaohten  baben. 


78  Higtoriscb'linguistUclie  WUsenscbaften. 

legle.  Naoh  der  urspriinglichen  Ansicht  und  Absicht  des 
Slifters  war  dieses  letztere  ohne  Zweifel  ganz  abgeschlossen; 
indefis  einerseils  liegl  im  Prineip  des  Buddhismus  eiq  unbe- 
grenzter,  unverwiistlicher  Bekehrungseifer,  und  andererseits 
wird  eiae  Gemeinde,  die  lediglioh  aus  Bettlern  und  Betllerin- 
nen  besteht,  je  starker  sie  sich  vermehcty.  urn  so  dringender 
das  Bediirfnifs  fiihlen,  sich  durch  arbeitende  und  besilzende, 
d.  h.  erniihrende  und  Almosen  gebende  Briider  und  Scbwes- 
tern  za  verstarken.  Daher  wurde  wahrscheinlich  scbon  sehr 
friih  die  Einrichtung  gelroffen,  Laienbriider  und  Laienschwes-' 
tera  (Upasakas  und  Upasikas)  zuzulassen,  die  vom  Geliibde 
der  Keuschheit  und  Beltelns,  wie  vom  Kloslerleben  entbunden 
waren.  *)  Doch  sind  sie  nocb  nicht  Laien  im  weiteslen  Sinne 
des  Wortes,  sondern  Halbmonche  und  Halbnonnen ; '^'')  indefs 
war  von  ihnen  bis  sum  eigentlichen  Laienlhum  nur  ein  sehr 
geringer  Schritt,  der  bei  der  weiteren  Verbreitung  des  Budd« 
hismus  von  selbst  erfolgen  mufste. 

So  ist  denn  die  welllicbe  Gemeinde  nur  ein  Conglomerat, 
das  sich  von  aufsen  an  dem  Krystall  des  Priesterthums  an- 
seizt,  kein  wesentlichcr,  organischer  Theil  der  Ktrdie,  in 
Wahrheii  nichts  als  eine  Concession,  welche  der  menschlichen 


*)  DaTan  derName.  Upftsaka  beifst  ^,Ein«r  der  im  Haase  bleibt**  im 
Gegensatz  gegen  den  Sraaiana,  d«n  Kntsagenden  „der  das  Haas  rer- 
laasen  bat*"'  Foe  Koae  Ki  181  ff.  Ea  beifst  in  eiaer  Legende:  Was 
moss  man  im  Stande  des  Bettlers  (Bbikscliu)  iban?  Man  muss  wabrend 
seines  ganzen  Lebens  die  Regeln  der  Keuscbbeit  beubacbten.  —  Das 
ist  nicbt  oioglich!  Giebt  es  kein  anderes  Mittel?  —  Es  giebt  eins: 
roan  wird  Upisaka.  —  Was  bat  roan  in  diesem  Stande  zu  tbun?  — 
Man  muss  wabrend  des  ganzen  Lebens  die  Neigoag  znm  Mord, 
I>iebstabl,  Vergnogen,  zor  Luge  und  zn  beranscbeiiden  Getranken 
unterdriicken. 
**)  Wenigstens  baben  die  betreff^den  Worter  gegenwartig  diese  Bedea- 
tnng.  Bei  den  Mongolen  Ubascbi  (Halbmoncb),  Ubaschanza  (Halb- 
nonne),  Klaproth  »,Rei8e  ia  den  Kaakasus"  242;  bei  den  Kalmiik- 
ken  ebenso  (^yein  Kalmiick,  welcber  religiose  Gel'dbde  nbernommen 
bat*'),  Zwick  vnd  S chill  „Reise  von  Sarepta  in  verschiedenen Kal- 
miickenbordenf  95.    T  i  m  k  o  w  s  k  i  4IL  380. 


Kinig«  Worte  uber  den  fioddliisront.  79 

Schwache  und  Siindhaftigkeit  geihachl  wird  —  und  schon 
aus  diesem  Grunde  mufsle^  wie  gesagt,  dmr  Buddhistische 
Cierus  den  Laien  gegetiiiber  sogleich  eine  ungleich  erhabnere 
Slellutig  eiiinehmeiiy  als  der  chrislliche.  ,|Tod  und  Leben, 
das  isi  der  Unierschied  zuischein  dem  Laien  •  und  Pri«8ier- 
slande."  *) 

In  dem  Clerus  selbsl,  d.  h.  in  der  Gesaminlheit  der  Bet* 
teimonche,  der  Bhikschu,  macbten  sich  nalUrlich  sehr  bald  Un* 
terschiede  gellend^  die  mehr  und  mehr,  namentiich  mil  der 
Entwickeiung  des  KlosUrlebens,  das  ohne  sirenge  Unierord- 
nung  nichl  £u  denken  isl^  zu  (eslen  hierarchischen  Rangslufen 
wurden.  Den  erslen  Unierschied  begrundele  das  Alter »  na* 
liirJich  in  Verbindung  mil  Kenntnifs  der  Lehre  utui  person* 
licher  Wiirde,  und  so  ireien  denn  zunachst  aus  der  ZabI  der 
ubrigen  Priesier  die  Sthavira,  **)  die  Aelteslen,  Presbyter  durch 
Ansehn  und  Steilung  hervor.  Sie  sind  Lehrer  des  Gesetzes, 
Vorsilzende  in  den  Versammlungen  und  Vorsleher  der  Viharas, 
mil  einem  Worte  die  oberslen  geistlichen  Beamlen.  Aber 
auch  aufserordentliche  geislliche  Gaben,  voilkommene  ErkennU 
nifs  und  Heiligkeil  geleiten  zu  einer  hoheren  Stufe.  VVer  jene 
Etgenschaften  besilzt,  gelangt  zum  Range  des  Archat,  der 
hochsten  geistlichen  Weihe,  die  es  in  der  Praxis  und  Wirk- 
lichkeit  giebt.  f)  Denn  liber  ihn  stehen  in  der  Buddhistischen 
Hierarchic  nur  die  phantastischen  Grofswurdenlrager,  dieBod- 
hisatwas,  Pratyeka^Buddhas  u»  s.  w.  Der  Dalai -Lama  selbst 
ist  der  geistlichen  Wiirde  nach  nur  ein  Archat,  wie  der  Pabst 


*)  Stulir  1.  c.  181  (aii8  The  Catecbism  of  the  Shamans). 
**)  Sthavira  nach  Ben  fey  204wortlich  „der  Standbafte'*  (in  PaliThera). 
B  u  r  n  o  u  f  (eitet  e»  zwar  von  sthi  (se  tenir)  ab ,   iiberftetzt  es  aber 
dnrch  „vieillard  ou  ancient/'    Ebenso  Lassen  II.  450. 

f)  Archat  oder  Arcban  (daraus  bei  den  Singhalesen  Rabin,  Bariiouf  et 
Lassen  ^^Kssai  sur  le  Pali"  12)  worUich  der  ,»Hochwiirdige."  „Er 
ist  selbst  zur  VoUkommenbeit  gelangt  und  wei£s  die  Andern  dabin  zu 
fnhren.''  (Foe  Koiie  Ki  320  Zagleich  besitzt  er  die  fiinf  iibernatur- 
lichen  Fahigkeiten,  d.  h.  die  Macbt  des  Riti-Chubilghan.  Burnoaf 
IntrodactioR  294. 


go  Uisloriscli^lijigautisclie  WiMeiucbaften. 

nur  ein  Bischof.  Es  ist  hierbei  feslzuhalten ,  daCs  der  Slha- 
vira  von  den  Archat's  nur  durch  sein  Ami,  seine  Steilung 
sich  unterscheidet  und  aus  deren  Mitte  genomnien  wird,  und 
wir  hatten  demnach  roil  Einschlufs  der  Laienbriider  und  No- 
vizen  anfangs  nur  vier  Grade  der  Buddbistischen  Geisllichkeit 
die  sich  dann  im  Laufe  der  Zeiten  und  in  den  verschiedenen 
Landem,  in  welchen  der  Buddhismus  vorgedrungen  ist,  ver- 
schieden  gestallet  und  verschiedene  Nauien  angenommen 
haben. 

Der  Verein  der  Priester  oder  vielmehr  das  Prieslerlhum 
als  Gesatnmtheii  bildet  denSangya,  eins  der  „drei  budd- 
histischen  Kleinodien,''  das  dritie  Glied  der  vielbespro- 
chenen  Buddbistischen  Dreiheit.  Dieselbe  besteht  namlich  aus 
Buddha,  Dharma  (die  Lehre,  das  Gesetz)  undSangya  (die 
Priesterschaft),  und  hat  niithin  weder  mit  der  Brahmanischen 
Trimutri,  noch  der  christlichen  Dreieinigkeii  irgend  eine  Ver- 
wandschaft.  Auch  die  philosophischen  Deutungen,  vvelche 
man  dieser  Formal  gegeben,  geh5ren  nicht  dem  ursprungli« 
chen  Buddhismus  an.  *)  Eben  so  wenig  ist  unter  dem  Sangya, 
wie  man  wohl  angenommen  hat,  der  Verein  der  Buddbisti- 
schen Heiligen  zu  verstehen,  d.  h.  derer,  die  sich  dem  San- 
sara  entzogen  haben,  der  Sravakas,  Bodhisaiwas,  Pratyeka- 
Buddha's,  sondem  der  Verein  der  wirklichen,  lebendigen,  mit 


*)  Hogdson  1.  c.  264  hat  zuerst  die  Ansicbten  der  philosofihiscben 
Scbalen  von  Nepal  aber  die  „drei  Kleinodien**  (mongoi.  Garban 
£rdeni,  chines.  San  pao  und  San  kouei)  oder  die  „drei  heiligeo 
Kxistenzen**  mitgetbeitt.  Hierauf  and  auf  Georgi,  Horace  de  la 
Penna  a.  a.  gestUtzt,  bat  A.  Renmaat,  als  Patron  des  Adibuddba  aas 
dieser  Dreihei^  eine  formliche  Dreifaltigkeit  geniacht.  Er  sagt  N. 
Journ.  As.  VII.  271 :  11  faut  remarqaer  que  les  Trb^tains  disent  qu*ils 
constitaent  (die  drei  Kleinodien)  one  „ unite  trine  et  que  les 
bouddhistes  chinois  regardent  les  trois  Precieux  Fo,  la  loi  et 
r union  comme  consnbstantiels  et  d*ane  nature  en  trois  substances. 
Mehr  Aebniicbkeit  mit  dem  cbrisllicben  Dogma  von  der  Dreieinig- 
keit  bat  jene  von  Schmidt  (M^m.  de  faC^e  Petersbourg  I.  106 ff.) 
entwickelte  Lehre  von  den  Dbj&ni-Buddhas,  Manuscbi^Buddhas  und 
Bodhisatwa*s. 


Binige  Worte  uber  den  Baddbitmnt.  gf 

mil  Fleisch  und  Blut  begabten  Priester,  *)  und  nichts  ist  wohl 
bezeichnender  tdr  den  Standpunkt,  welchen  die  Buddhisliscfae 
GeisUichkeit  den  Laien  gegeniiber  einnimmt,  als  der  Umsland, 
dafs  sie  schon  bei  Leibes  Leben  zu  deii  ,ydrei  heiligen 
Exifiienzen''  gezafali  wird,  folgUcb  hinsichls  der  ihr  zu  toh- 
lenden  Verebning  mit  dem  Religionsstifter  und  dem  Dogma 
auf  ganz  gleicher  Linie  steht  In  der  That,  sie  hat  es  mit 
der  Zeit  weiler  gebracht,  als  ifare  Brahmanbchen  CoUegen: 
diejenigen  unter  ihnen,  welche  die  hochste  Rangstufe  ersliegen 
haben,  gelten  fUr  absolut  sundlos,  allgegenwartig  und  allmach- 
iig,  und  sterben  nur,  um  sogleich  in  derselben  Eigenschaft 
wiedergeboren  zu  werden.  **) 

*)  Die  Anskht,  da£i  anter  Sangga  nicht  der  wirkliche  irdbcbe  Cleros, 
sondern  der  himmlische,  phantastische  za  begreifen  sei,  baben 
Schmidt  1.  c.  117  and  Ho  in  bold  t  Kawi-Spracbe  I.  273  aasge- 
sprochen.  Dagegen  Bourn ouf  1.  c.  283  ff.  In  dem  Zengeneide  von 
Siam  heifst  ea  anter  Andern:  So  mogen  mir  die  drei  heiligen 
Rxistenzen,  Boddha,  Pall  (glcich  Dharma)  and  die  Pries  ter, 
Yor  denen  leh  ctehe,  helfen  q.s.w.  —  Von  der  cbtneaiaeben  Aoa* 
sprache  det  Wortes  Sangga  leitet  R^muaat.  den  Ansdrack  ,yBott«- 
zen**  ab,  der  seit  der  Zeit  der  Missionare  zor  Bezeidinnng  der 
Bnddhistischen  Priester  in  Europa  iiblich  geworden  ist.  Viel  einfa- 
cher  und  natarlicher  scheint  aber  dieAbleitnng  von  Bandy  a  (dorch 
Geliibde  gebnnden),  wie  dieselben  nocb  heut  in  Nepal  genannt  werden. 
**)  Tamer  351.  Bells  ^Joomey  throogh  Russia,  Tartary  and  China 
107—116.  Nicbt  bloa  der  Dalai -Lama,  Tessbo-Lama  a.  s.w.,  son- 
dern  alle  Chotokten  werden  als  solcbe  wieder  geborea.  Der  Dabii* 
Lama  ist  ubrigens  keine  Incarnation  des  Baddba,  sondern  des  Bodbi- 
satwa  Padma-p^ni  (auch  Awalokitaswara ,  Cbomgschin,  Nidober 
Cesektscbi  u.  s.  w.  genannt). 

(Die  Fortaetzang  folgt.) 


firmans  Russ.  ArchiT.  Bd.  XI.  H.  4. 


Bemerkangen    fiber  eine  Englische  Expedition 

zum  5ibirischen  Eismeer. 


VOR 

A.  Erman. 


In  der  am  10.  November  1851  gehallenen  Sitzung  der  Lon- 
doner Geographischen  Geselischaft,  wurde  von  Herm  Mur- 
chison  alsPrasident  derselben,  den  versammelten  Miigliedern, 
der  Lieutenant  Pirn  von  der  Englischen  Marine  vorgestellt^ 
welcher  ein  von  ihm  entworfenes  Project  zur  Aufsuchung  von 
CapiU Franklin  und  dessen  Begleitern,  vorzutragen  wiinschte. 
AUe  Anwesenden  empfingen  den  Eingefiihrten  mit  enthusiasti- 
8chem  Beifall  und,  nachdem  einige  Wahlangelegenheiten  und 
ahnliehe  Geschafte  abgemacht  waren,  erhielt  derselbe  das  Wort 
und  machte  folgende  Mittheilung: 

Da  er  aufgefordert  sei  der  Gesellschaft  einen  voUstandi- 
gen  Plan  zur  Auffindung  der  Franklin  schen  Expedition  vorza- 
legen,  so  habe  er  vor  Allem  seine  Ueberzeugung  auszudriieken, 
dafs  man  die  bisher  vergeblich  gesuehten  Schiffe  nicht  an  der 
Amerikanisehen  Kiiste  finden  werde,  sondern  vielmehr  an  der 
Asiatischen.  Wahrend  er  (Lieutenant  Pirn)  sich  am  Bord  der 
Koniglichen  Schiffe  Herald  und  Plover,  bei  deren  Unter- 
suchungsfahrl  durch  die  Nordischen  Meere  befunden  habe,  sei 
Franklins  und  der  Seinigen  Schicksal  der  tagiiche  Gegen- 
stand  der  Ueberlegungen  gewesen,  und  da  sei  es  ihm  denn 
stets  sehr  befremdend  vorgekommen  dafs  man,  bei  alien  bis- 
herigen  Unternehmungen  zur  Rettung  jener  tapferen  Mann- 
sehaflen,  vorausgesetzt  habe,  der  Erebus  und  Terror  seien 
gleich  beim  Beginn  ihrer  Reise  verungliickt.     Er  habe  ganz 


Eine  BnglUche  Expedition  Earn  ^ibiriicben  BitniMr.  33 

im  Gegenlheil  die  Deberzeugung  gewonnen  dafs  man  Capitain 
John  Franklin  nicht  an  derSchwelle  der Nord-Westdurch- 
fahrt  finden  werde.  Die  Thatsache  dafs  W ran  gel  und  An- 
jon  bei  ihren  Winterreisen  auf  dem  Sibirischen  Eismeere  an 
verschiedenen  Sieilen  und  in  verhalinifsmalsig  hohen  Breiten, 
offenes  Wasser  gefunden  haben,  bestarkle  ihn  in  jener  Ansicht 
und  ebenso  endlich  ein  Brief  vom  Admiral  Francis  Beau-> 
fort,  in  welchem  dieser  Offisier  seine  Ueberzeugung  aussprach, 
dafs  der  Erebus  und  Terror,  wenn  es  ihnen  geltngen  soUte 
den  Wellington-Kanal  au  passiren,  den  Nordischen Ocean 
verhSltnirsmafsig  frei  vonEis  finden  und  dann  mit  Leichligkeil 
weiter  Westwarts  vordringen  wUrden.  Die  Beschwerden  der 
Frank linschen  Reise  wiirden  vielmehr  erst  beginnen  wenn 
die  Schiffe,  nachdem  sie  weit  genug  gegen  Westen  gefahren 
waren,  es  versuchen  wiirden  SUdwarls  bis  in  die  Behrings-* 
strafse  zugelangen.  Cook,  Beechey^  Kellett  undallean- 
deren  Seefahrer  welche  durch  diesen  Zugang  in  das  Nord* 
meer  gekommen  seien,  haben  nMmlich  bei  der  Annaherang  an 
den  Siidrand  des  stehenden  Eises  schnell  abnehmende 
Tiefen  gefunden  und  es  sei  demnach  fast  erwiesen,  dafs  siofa 
dort  eine  aus  einzelnen  Inseln  bestehende  Bank,  einige  Hun- 
dert  (See-)  Meilen  weit  von  Osten  gegen  Westen  erstrecke. 
Hatten  demnach  der  Erebus  und  Terror  den  Wellingtons- 
Kanal  in  fahrbarem  Zustande  gefunden,  so  diirften  sie  wohl 
entweder  auf  dem  Meridian  der  Behringsstrafse  (abreast  of 
Behrings  straits)  oder  weiter  gegen  Westen,  iiber  dem  flachen 
Abhang  der  Sibirischen  Kiisten,  in  ein  Labyrinth  von  Eis 
und  Inseln  gerathen  sein.  In  Folge  dieser  Angaben  vonHrn. 
Beaufort  und  nach  Erwiigung  ailer  sonst  bekannten  Urn- 
siande,  halte  er  nun  dafiir.,  dafs  Franklin  den  WelBngtons- 
Kanal  wirklich  passirt  und  den  genannten  Archipel  erreicht 
babe,  darauf  aber  weslwarts  vorgedrungen  sei  und  sich  auf 
dem  Meridiane  der  Behringsstrafse  von  neuem  in  das  Eis  be* 
geben  habe  um  den  Gro(sen  Ocean  zu  erreichen.  Da  mdge 
er  nun  wiederum  ernstliche  Schwierigkeiten  gefunden  haben. 
Emgeschlossen  zwischen   den  Eismassen  welche  daselbst  von 

6* 


g4  PhysikaliBch-matlieinatische  WisBenschafteii. 

den  friihesten  Zeiten  bis  in  die  jetzigen,  alle  Fortschritie  der 
Seefahrer  gehemmt  hatlen,   diirfte  er  in  solchem  Maafse  ein 
Spielwerk  der  Winde  und  Stroniungen  geworden  sein,   dafs 
es  jetzt  durchaus  zweifelhaft  erscheine,  ob  er  endlich  an  die 
Kiiste  des  neuen  Continenls   oder  an  die  des  alien  getrieben 
worden  sei.    Der  Muth,  die  EnUchlossenheit  und  die  Beharr- 
lichkeit  von  Mannern   wie  Richardson,  Kellett,   Pullen 
und  Rae  batten  bewiesen  dafs  die  Frage   was  aus  Capitain 
Franklin  geworden  sei,  nicht  an  der  Kiiste  von  Nord-Ame- 
rika  entschieden  werden  konne.    Es  sei  somit  nunmehr  ^Slbi* 
rien  dem  sich  die  ailgemeine  Theilnahme  an  jener  Frage  su- 
wende.    Aus  Wrangels  Reise-Tagebuch  sehe  man,  dais  bis- 
weilen  Schiffstriimmer  an  den  Asiatischen  Kusten  angekommen 
seien  und  da  man  ausserdem  aus  den  Berichten  iiber  viele 
Russische  Eismeer-Expeditionen  wisse,  dais  dieselben  selbst 
ganz  kurze  Fahrten  gegen  Osten  nur  mit  den  groCsien  Schwie- 
rigkeiten  ausgefiihrt  batten,  so  sei  es  klar,  dafs  dieselben  Um- 
stande  welche  diesen  Russischen  Fabrzeugen  hinderlich  wur- 
den,  einen  grade  entgegengesetzten  Effekt  aufSchiffe  ausiiben 
miissen  welche  sich  irgendwo  auf  dem  Meridiane  der  Behrings- 
strafse  befanden  und  dafs  man  demnach  von  einer  gut  gelei* 
teten  Absuchung  der  Nord- Asiatischen  Kusten  hochst  befrie- 
digende  Resultale  zu  erwarten  habe.    Das  Staatsschiff  Herald 
sei  jetzt,  nach  sechsjahriger  Abwesenheit,  wahrend  deren  es 
dreimal  in  der  Behringsstrafse  gewesen,  nach  England  zuriick- 
gekehrt:  ebenso  erfolglos  als  das  Geschwader,  welches   die 
Osiseite  des  Amerikanischen  Nordens  untersucht  habe.    Noch 
imm^r  sei  man  iiber  Capitain  Franklins  Schicksal  im  voU- 
standigem   Dunkel  und  er  (Lieutenant  Pirn)  habe  es  daher 
fur  seine  Schuldigkeit  gehalten,  die.eben  erwahnte  Ueberzeu- 
gung  auszusprechen  und  dem  Admiralitats-Comile  (Lords  Com- 
missioners of  the  Adm.)  ein  Projekt:  „zur  Auffindung  von 
Spuren   der    verschollenen    Expedition''    vorzulegen. 
Sein  Antrag  sei  gewesen  am   18.  November  (dieses  Jahres) 
von  London  abzureisen,  um  sich  iiber  Petersburg,  Moskau, 
Tobolsk  und  Irkuzk  nach  Jakuzk  und  an  die  Miindung  der  Ko- 


Eiiie  Englische  Expedition  zam  Sibiritolien  Bitmeer.  g5 

lyma  zu  begeben,  und  von  doti  aus  die  Kiiste  des  5!birischen 
Eismeers  gegen  Osten  und  Westen  auf  eine  Strecke  von  nahe 
an   10000  Meilen  (!)'*)   abzusuchen.     Er  verlange  nicht  eine 
Mannschaft^  sondem  nur  einen  Begleiter  und   einen  Diener^ 
und  es  wlirden  demnach  die  Koslen  der  Reise  nur  unbedeu- 
tend  sein,  im  Vergleich  mil  dem  wahrscheinliehen  Erfolge. 
Zu  seinein  grofsen  Bedauern  sei  von  der  Admiralitat  das  Ein- 
gehen  auf  seinen  Plan  vollstandig  abgelebnt  worden.    In  der 
Hoffnung  auf   irgend    welche   zuvcrlassige  Nachrichten    iiber 
das  Schicksal  ihres  Gatlen,   babe  aber  Frau  Franklin  ihn 
gebeten,  das  genannte  Verhaben   aus  Privatmilteln  auszufiih- 
ren.    Die  Admiralitat  babe  ihm  darauf  einen  unbegranzten  Ur- 
laub  beu'illigt  und   er  stehe  daher  nicht  an    einem  so   edlen 
Wunsche  zu  geniigen.    Die  Geldmiltel  welche  Frau  Franklin 
auf  die  Expedition  verwenden  konne,  belaufen   sich  indessen 
nur  auf  500  Pfund  St.,  d.  h.  auf  eine  zu  dem  Vorhaben  oSien- 
bar  nicht  ausreichende  Summe.    Man  habe  daher  beschlossen, 
dieses   Geld  nur  zur  Ausriistung  der  Expedition  zu  verwen- 
den  und  sodann  den  Kaiser  von  Russland  um  fernere   Un- 
terstiitzung   des   Unternehmend    anzugehen.     Lieutenant  Pirn 
erhielt  zu  diesem  Ende  eine  Unterredung  mit  dem  Minister 
des  Auswartigen ,  •  und  er  habe  nun  mit  dem  grofsten  Danke 
sowohl  Herrn  Palmerslons  Gute  zu  erwahnen,  als  auch 


*)  Hier  ist  (wahncheinlich  nur  in  dem  ana  vorliegenden  Zeitungsbe- 
richt)  ein  betrachtlicber  Irrthom.     Es  iiegt  namlicb: 

Cap  Ugolen^  der  Oestlicbste  Pankt  der  Asiatischen  Kiiite  an  der 
BehringsfttraOie  IST^'dO'  Ost.  t.  Par. 

Obdorsk  64  21      -     -    * 

Arcbangelsk  3S  13       -     -    - 

und  demnach,  wenn  man  annimmt  dads  die  Kiistenfahrt  durcbschnitt- 
lich  in  67*^  Breite  vor  sicb  gehe,  d.  h.  auf  einem  ganz  sicher  noch 
etwas  langerem  Parallel,  ais  dem  wirklicb  zu  befabrenden,  der  Be« 
trag  derselben,  wenn  lie  nach  Westen  fortgesetzt  wird 

bis  Odorsk:  723,5  Geograpbische  Meilen  ss=  2894  Seemeilen 
undbisArchan^elsk:  876,8  Geograpbische  Meilen  ss  3508  Seemeilen 
selbst  in  diesem  aussersten  und  hoctist  unwahrscheinlicben  Falle  alsu 
nur  ein  Drittel  der  obigen  Angabe.  E. 


35  Physikftlitcb-'matheroatische  Wissenschaftem 

die  Schnelligkeii,  mit  der  ihm  vcm  Herrn  Addington  die 
nothigen  Documente  geliefert  wurden.  Seine  Hoffnung  au{ 
das  Geliiigen  seines  Vorbabens  sei  bedeutend  gesiiegen,  sail- 
dem  ihn  Herr  Robert  Brown,  derPrasident  der  Linne'ischen 
Gesellschafl,  mit  Herrn  iMurchison  bekannt  geinachl  habe, 
und  er  beabsicbtige  nun  am  18.  dieses  Monats  (Novemb.  1851) 
nach  Petersburg  abzugehen,  und  sich  um  die  Sympathie  der 
Russisehen  Regierung  fiir  die  fernere  Unternehmung  zu  be- 
werben.  Sein  urspriinglicher  Plan  sei  jetzt  in  etwas  modi- 
fiziri  und  namenllieh  darin,  dafs  man  ihn  veranlafst  habe  von 
England  aliein  abzureisen,  und  sich  mit  der  Gesellschaft  von 
Personen  zu  begniigen  die  wohl  von  den  Russisehen  Behor- 
den  beauftragt  werden  wurden,  ihn  zu  begleiten.  Den  giin- 
stigen  Erfolg  der  Unterhandlung  mit  der  Russisehen  Regierung 
vorausgesetzt,  werde  er  auf  der  Eisenbahn  von  Petersburg 
nach  Moskau  fahren,  von  da  zu  Schlitten  iiber  Irkuzk  nach 
Jakuzk,  welches  er  in  etwa  vier  IVIonaten  erreichen  konne. 
I^Ian  werde  sodann  die  noch  iibrige  Reise  nach  der  Miindung 
der  Kolyma  und  die  Kiistenfahrt,  mit  den  landesiiblichen  Mit- 
teln  ausfiihren,  und  er  gedenke  das  ganze  Untemehmen  im 
Laufe  des  Jahres  1854  zu  beenden,  selbst  wenn  sich  ungluck- 
licherweise  bis  dahin  gar  Nichls  von  den  gesuchten  Spuren 
gefunden  haben  sollle.  Lieutenant  Pirn  nannte  suletzt  noch 
einmal  die  Personen,  denen  England  fiir  ihre  Unterstiitzung 
einer  so  wahrhaft  nationalen  Angelegenheit  zu  danken  habe, 
und  schloss  seinen  Vortrag  unter  lauten  Beifallsrufen. 

Capitain  Kellett  von  dem  Aufnahme-Schiff  Herald,  lobte 
darauf  die  von  Lieutenant  Pirn  geausserten  Ansichten  iiber 
den  fraglichen  Gegenstand,  und  erklarte  auch  Herrn  Pirn 
fiir  einen  zu  dem  Unternehmen  vollig  geeigneten  Offi- 
zien  Er  sagte  namenllieh  dafs  dieses  (von  5ibirien  aus  zu- 
gangliche)  Meeres-  oder  Erdstilck  eine  Untersuchung  verdiene, 
denn  er  (Capitain -Kellett)  glaube  ebenfalls  dafs  Franklin 
darauf  bedacht  gewesen  sei  durch  die  Behringsstrafse  zu  drin- 
gen,  weil  man  wenn  er  sich  von  seinem  Winterquartier  aus 
gegen  Norden  gewendet   hatte,  hochst  wahrscheinlich  schon 


Eiae  RngUtche  Bzpedilioii  zam  Aibiriiohen  KifaMr.  g7 

Nachrichlen  von  seinem  und  seiner  Gefahrten  Verblaben  ha* 
ben  wiirde.  Er  (Capitatn  Kelleti)  denke  (oder:  dachte  Arii* 
her[?]),  dars  man  aie  rail  betrachtlicher  Wahrscheiolichkeit  des 
Gelingens  an  der  Nordkuste  von  Grdnland  zu  sucben  habe. 
Lieutenant  Pim  habe  iibrigens  sechs  Jahre  lang  mil  ihm  auf 
dem  Herald  gedient  und  sei  wohi  imStande  die  Reise  die  er 
unternehmen  wolle  auszutiihren. 

Capilain  Penny  war  gkichralls  der  Ansichl  von  Lieute* 
nanlPim,  indem(?)  er  aufserte,  dakFranklin  wohl.  durch 
die  Behringsstrafse  durchgedrungen  sein  mochte'^)| 
denn  er  habe  in  der  Durchfahrl  welche  er  bei  seiner  letzten 
Reise  enldeckte,  eine  grolse  Masse  Treibholz  gefunden  **)• 

Nachdem  noch  ein  Mitglied  der  Russischen  GesandUchafl 
in  London,  imNamen  der  Russischen  Regierung  versprochen 
halte,  da(s  Lieutenant  Pim  von  Seiten  derselben  die  beste 
Aufnahme  in  Petersburg,  und  alle  mogliche  Unterstiitzung  bei 
seinem  edlen  Unternehmen  finden  soile,  verlas  der  Vorsilzende 
folgenden   Beschluss  der   Geographischen   Gesellschaft:   „der 


I*)  Hier  sind  wohl  Capitains  Pennys  Worte  durcli  den  Berichterttatter 
entstellt,  denn  einmal  siidlich  yon  der  Behringsstrafse  gelangt,  konnte 
Franklin  doch  grade  nicht  wieder  in  das  ^ibirische Kismeer  gekoni' 
men  sein,  in  dem  Herr  Pim  ihn  zo  snohmi  gedeiikt!  Wabrsohehi- 
lich  ist  anstati;  „darch  die  Behringsstrabe"*  za  iesen  >,  iiber  den  Me* 
ridian  der  Behringsatralae  hinaos.'*  E. 

**)  Kb  ist  hier  offenbar  der  Qoeen  Victoria  Channel  gemeint,  der  eine 
Verlangernng  des  Wellington  Channel  bildet  and  welcher  an  seinem 
siidlichen  Ende:  16  Geogr.  Meilen  Breite  und  seine  Mitte  bei 

76^13B^. 
2S8«,670.v.Par., 
an  dem  bis  fetzt  gesehenen  nordlicfasten  Punkte  al»er  etwa: 
6  Geogr.  Meilen  Breite  and  seine  Mitte  bei 

76",98Br. 
256",10O.v.Par. 
hat    Vergl.  die  so  eben  YonJ.  Arro  wsmith  *i)eransgegebene  Rarte 
nnter  dem  Titel:  Discoveries  in  the  Arctic  Sea  between  Baffin  •Bay 
and  Melwille  Island  by  Capt.  Ommanney  etc.  etc.  etc.  in  search  of 
Sir  John  Franklin  1860  and  1851.  B. 


gg  Physikalisch  --  mathematkche  Wisseniebafteii. 

Prasideni  wird  dem  ersten  Lord  der  Admiraiiiat  von  den 
Schritte  benachrichtigen,  welchen  die  Gesellschaft  bei  der  Rus- 
sifichen  Regierung  gethan  hat,  um  Lieutenant  Pirns  Vorha- 
ben  zu  fordern,  und  Xvird  zugleieh  die  Unterstiilzung  dersel- 
ben  durch  die  Admiralitat  beanlragen." 

Dieser  Beschluss  wurde  durch  Acclamation  angenommen, 
als  aber  ein  Mitglied  vorschlug,  dafs  die  GeselUchaft  Herrn 
Pirns Unlernehmen  auf  eine  etwas  substantiellere  Weise 
unterstiitzen  moge,  erwiederte  der  President ,  sie  wollen  erst 
versuchen  was  die  AdmiraUtat  zu  thun  gedenke;  wenn  aber 
ihr  Antrag  fehlschlage,  so  sei  er  vorAUem  zu  einer  Beisteuer 
ftir  die  Expedition  bereit. 

Nach  etwas  spateren  Nachrichten  sind  die  gewunschten 
Geldmittel  von  der  AdmiraHtat  in  der  That  verweigert,  da* 
gegen  aber  aus  andren  Staatsfonds  angewiesen  worden. 


An  die  in  England  gehegte  Meinong  iiber  das  nun  be- 
reits  begonnene  Unternehmen,  mogen  sich  hier  einige  ander- 
weitig  begriindete  Ansichten  von  demselben  schliefsen,  so  wie 
auch  einige  Notizen  und  Fragen  uber  die  zu  bereisenden  Ge- 
genden,  welche  bei  dieser  Gelegenheit  beachtenswerth  erschei- 
nen.  Sie  enlhalten  das  Wesentlichste  von  dem  was  ich  so 
eben  an  Herrn  Pim^  bei  seiner  Durchreise  durch  Berlin,  an- 
statt  des  Rallies  mitzutheilen  wusste,  den  er  von  mir  im  Na- 
men  unseres  gemeinsamen  Freundes,  Herrn  R.  Murchison 
verlangt  hat. 

Da  sich  h5chst  selten  ein  Vorhaben  findet,  dessen  voU- 
standiges  Gelingen  so  viel  Freude  erregen  wurde,  wie  das  in 
Rede  stehende,  so  hat  man  sich  bei  demselben  auch  noch 
mehr  als  gevvohnlich  vor  einer  Verwechselung  des  Gewiinsch- 
ten  mit  dem  Wahrscheinlichen  zu  hulen.  Es  ist  aber  zu  die- 
sem  Ende  zu  uberlegen: 

1)  Ob  wohl,  und  in  wie  weit  dann,  Capt.  Franklin  sich 
der  fiibirischen  Kilste  genaherl  haben  konne,  und 


Eine  BogUidie  Expedition  zan  ^ibirisefaen  BiiUieer.  89 


2)  Wekhe  Aussicht  Herr  P  i  m  hat,  ihn  von  dieser 
aus  zu  entdecken  und  lu  erreichen. 

Was  die  erste  Frage  betriffl  so  muss  man  sie  aufs  aller* 
gtkiistigsle  beantworlen,  so  lange  man  nur  die  Entfernung 
der  Nordasiatischen  Ktiste  entweder  von  demjenigen  Punkte 
ins  Auge  faCst,  bis  zu  dem  die*  Englischen  Reisenden  hochsl 
wahrscheinlicli  gelangt  sind,  oder  aucli  von  dem  andren, 
an  welcbem  sie  gewiss  den  Winter  von  1845  zu  1846  ver- 
lebt  haben. 

Dieser  lelztere  iiegt  bekanntlich  auf  der  Beechey- Inset  in 

74*43' Br. 
bei  265M6'0.v.Par. 
und   mithin   am    siidliehen  Eingang   des   Wellington   Canals. 
VonCapitain  Penny  ist  s^Jber  diese  StraCse  und  deren  direkte 
Fortsetzung  durch  den  Queen  Victoria  Canal ,  im  Jahre  1851 
noch  45  Geogr.  Meilen  weit  bis  zu 

76«'54'Br. 
bei  256*  e'O.v.Par. 
verfoigt  und  auch  weiter  hin  noch  oflfen  gesehen  worden.  — 
Es  Iiegt  nun  die  von  dem  Cap  Jakan  an  der  Sibirischen  Kiiste 
gegen  Norden  zu  sichtbare  Insel  oder  bergige  Landspitze  in 
etwa  TO^UVBr. 

bei  175^10'O.v.Par. 
und  somit,  unter  der  Voraussetzung  einer  ununterbrochenen 
Seeverbindung  mit  dem  letzteren  jener  Amerikanischen 
Punkte,  von  demselben  in  einem  Abstande  von 

313,5  Geographische  Meileu, 
und  von'  Cap.  Franklins  Winterquartier    auf  der  Beechey- 
Insel  359  Geographische  JVIeilen 

entfernt  Es  waren  demnach  diese  Entfemungen,  wenn  man 
ungehinderte  Fahrten  mit  8  Knoten  mittlerer  Geschwindigkeit 
voraussetzen  woUte,  respektive  in 

167  Stunden  oder  in  6  Tagen  23  Stunden 
und  in  179  Stunden  oder  in  7  Tagen  11  Stunden 
zuriickzulegen  —  so  wie  auch,  selbst  bei  schon  bei  ansehn- 


90  PbytikftUBdi'matbeiiiatische  WitieiitoluiftMi. 

lichen  Hinjdernissen  welche  die  mitUere  Geschwindigkeit  auf 
4  Knoien  herabgesetzt  haUen,  in  respektive 

14  und  15  Tagen. 

Mil  fast  gleichem  Erfolge  kann  man  aber  anstatl  jener 
der  Behringsslrafse  zuoacbst  gelegnen  unler  den  Sibirischen 
biseln,  eine  der<  westlicheren  zwischen  der  Lena*  und  Jana*' 
Miindung,  undnamentlich  die  Nordspilze  von  Kotelnoi  ostrow, 
alsZielpunkt  der  Frank linschen  Reise  annehmen,  denn  auch 
dieser  in 

76«l(yBr. 
bei  137?4(y  O.V.Pan 
gelegene  Punkt,  isi  von  der  genannten  Stelle  des  Vicloria- 
Canals  nur-846  Geographische  Meilen  entfernt,  und  daher  bei 
8  Knoten  niitllerer  Geschwindigkeit  in  173  Stunden  oder  7 
Tagen  und  5  Stunden,  so  wie  auch  bei  4  Knoten  mittlerer 
Geschv^indigkeit  in  weniger  als  15  Tagen  zu  erreichen. 

Die  Wahrscheinlichkeit^  dafs  sich  die  Mannschaften  des 
Erebus  und  Terror  ganz  oder  theihveis  den  eben  genannten 
Nord-Asiaiischen  Punkten,  oder  auch  irgend  einem  zwischen 
ihnen  gelegenen  Theile  der  ^Sibirischen  Kiiste  genahert  haben 
ist  somil  einzig  und  allein,  jedoch  auch  in  vollig  entscheiden- 
der  Weise,  abhangig  von  dem  Zustande  des  Meeres  oder  rich- 
tiger  der  Erdoberflache  welcher  zwischen 

IV  und  76^Br. 
.bei  etwa  256^  und  137'»0.v,Par. 
statlfindet.  Man  darf  in  der  That  fur  die  genannten  Ueber- 
fahrten  nicht  blofs  die  kleinste  der  Geschwindigkeiten  die 
wir  ftir  sie  voraussetzten,  sondem  selbst  die  Moglichkeit  sie 
in  dem  Laufe  eines  einzigen  Sommers  ohne  abermaliges  Ein- 
frieren  zu  vollzieben,  nur  dann  voraussetzen,  wenn  jeneZone 
die  S^hifffahrt  bei  weijtem  mehr  begiinstigt,  als  (etwa  mit 
Ausnahme  der  Umgebungen  von  Spitzbergen)  alle  bis  jetzt 
wirklich  befahrenen  Theile  des  Nordlichen  Eismeeres.  Es  ist 
oben  erwahnt  wie  das  nahe  an  den  mittleren  Amerikanischen 
Meridianen  gelegne  ostUche  Ende  jenes  Meeresstrichesy  unter 
andren  von  Capitain  B  e  a  u  f  o  r  t  und  nach  ihm  auch  von  Hm. 


Bine  Ei^lkehe  Bxpedili4»  aam  3ifciiiMliei&  KiiBlMr.  91 

Pim  fiir  aufaerordenilich  frei  von  stehendem  Biae  and  von 
unterbrechenden  Landmassen  erklart  wird.  Auch  haben  dit 
diesjahrigen  Englischen  Reisenden  in  jene  Gegenden,  selbst 
da  wo  ihnen  der  wirkliche  Anblick  des  offen  goglaublen  Mee- 
res  durch  den  Rand  eines  siehenden  Easfeldes  oder  durch  die 
Siidkiiste  eines  Landstriches  von  unbekannier  Ausdehnung 
noeh  benommen  war,  diese  letsteren  fiir  schmal  gehalten,  weil 
sie  Wallfisehe  und  andere  Bewohner  der  freieren  Gewasser, 
von  der  Slrabe  die  sie  befuhren,  nicht  abgehalten  hatten. 
Sie  neigen  sich  alle  zu  der  Ansicht  dafs  das  nur  von  schma* 
leren  und  oft  zufrierenden  Sirafsen  durchsetoie  Inselsystem, 
das  nun  fast  uberall  von  der  Nordkiiste  des  Continenies  bis 
zu  75^  oder  77®  Breite  bekannt  isi,  in  der  Niihe  dieser  Pa- 
rallelkreise  sein  Ende  eireiebe. 

Jedes  fiir  jetzt  mogliche  Urlheil  tiber  die  Wegsmnkeit  der 
in  Rede  siehenden  Zone,  und  souiit  aucb  uber  die  Wahr- 
scheiniichkeit  dafs  Franklin  oder  seine  Begleiier  das  Sibi^ 
rische  Eismeer  erreichi  haben,  ist  daher  von  dem  Zustande 
abhangig  inpem  man  dieses  letztere  im  Norden  von  Neu-iS- 
birien  und  von  den  ubrigen  Inseln  voraussetzt,  welche  den 
Mundungen  der  Jana,  der  Kolyma  und  andr^r  noch  osUiche* 
rer  Fliisse  Nord-Asiens,  in  Abstanden  von  elwa  30  bis  40 
Geographischen  Meilen^  gegeniiberliegen.  Diese  inseln  erstrek* 
ken  sich  zusammen  iiber  fasi  40^  eines  Parallelkreises  und, 
wenn  man  sie  hinzufugt  zu  der  Strecke  von  etwa  25^  des* 
selben,  iiber  welche  die  Englischen  Expeditionen  berichtet  ha« 
ben,  so  verhelfen  sie  uns  zur  Kennlniss  von  nahe  der  Halfte 
derjenigen  120  Langengrade,  fiir  welche  bis  jetzt  Vermuthun*' 
gen  iiber  das  Schicksal  der  verschoUenen  Mannschaften,  eine 
direkte  Aufsuchung  derselben  ersetzen  miissen. 

Wendet  man  sich  nun  zunachst  zu  dem  wesilichsten  Ende 
jener  iSibirischen  Inselreihe,  und  zwar  nach  den  Schilderungen 
des  En  (deckers  von  mehreren  derselben  und  des  ersten  Rei- 
senden der  seine  eignen  Erfahrungen  iiber  dieselben  bekannt 
gemacht  hat,  so  wird  man  in  den  Glauben  an  die  Schifibar* 
keit  des  nordlichen  Meeres  im  hochsten  Maabe  bestarkt. 


92  PhyBikalitch-mathematiBolie  WisseMchafteii. 

.  .  Der  verstorbene  Hedenstrdm  sagt  namlich  in  dein  kleinen 
Werke  welches  die  Resultate  seines  20jahrigen  Aufentballes  in 
iSbirien  und  seiner  dreijahrigen  Reise  auf  dem  Eismeere  und 
an  den  Kiisten  desselben  enthalt  (Otrywki  o  iSibirje,  d.  h. 
Fragmente  liber  5ibirien,  p.  109):  ^^An  der  Nordseite  der  In- 
seln  (des  in  Rede  stehenden  Ost-Sibirischen  Eismeeres)  auf 
dem  Parallel  von  76®  und  nordlich  von  deinselben,  sieht  man 
den  Ocean  voliig  offen.  Er  gefriert  dort  niemalsi  denn  selbst 
im  Marz.  zeigten  sich  auf  ihm  nur  wenige  ireibende  Eisblocke. 
Man  hat  diese  Beschaffenheit  des  Meeres  wohl  seiner  gros- 
sern  Ausdehnung '*)  zuzuschreiben,  welche  es  den  Winden 
meglich  macht  den  Zusammenhang  der  Eisdecke  zu  zerbre- 
chehy  obgleich  in  jenen  Gegenden  die  allerstarksten  Kalten 
vorkommen '^*).  Es  scheint,  als  konne  man  von  diesen  Inseln 
aus  weit  leichter,  als  von  irgend  wo  anders  die  uordlichsten 
Begranzungen  von  Amerika  und  von  GrSnland  erforschen;  ja 
sogar  mit  grSfserer  Hoffnung  auf  Erfolg  eine  Reise  zum  Nord- 
pol  anireten."  Der  Verfasser  sprichl  an  dieser  Stelle  von 
der  gesammten  Westhalfle  der  Inselkette;  an  einer  anderen 
Stelle  seines  Buches  (Otrywki  o  fiibirje  p.  128)  sagt  er  aber 
noch  im  Besondern  von  Neu-iKbirien : 

,,Als  ich  diese  Insel  im  Jahre  1809  entdeckte,  umfuhr  ich 
ihre  Slidkiiste  auf  einer  Strecke  von  mehr  als  200  Werst. 
Ich  wurde  dadurch  zur  Annahme  einer  bedeutenden  Grofise 
derselben  und  zu  der  im  folgenden  Jahre  von  der  Regie- 
rung  bestatigten  Beilegung  des  Namens  Neu-i!Sbirien  veran- 
lasst.    An  ihren  nordlichen  Kiisten  hat  das  Eis  nur  25  Werst 


*)  Im  Vergteiche  mit  der  friiher  geschilderten  Strafse  zwischen  dem 
Continent  nnd  den  Inseln.  E. 

**)  In  Folge  einiger  Fortschritte  der  Physik  wahrend  der  letzten  40 
Jabre,  lassen  sich  jetzt  manche  von  Hedenstroms  Krklaran- 
gen  darch  plaasiblere  ersetzen,  and  so  hatte  man  aoch  namentiich 
wegen  der  Olfenheit  jener  Zone^  wenn  sie  sich  bestatigen  sollte,  weit 
eher  an  die,  auf  jenen  Meridian  und  jenseits  70**  Breite,  gegen  Nor- 
den  stattfindende  Zunabme  der  Wintertemperataren,  als  an  einenKis- 
brucb  darcb  die  Winde  za  denken.  B. 


Eine  Bnglische  Expedition  zon  Sibiriaolken  Eiimeer.  99 

Breite,  und  es  folgt  dann  ein  offenes  und  nichi  gefrorenea 
Mecr;' 

Eine  ganz  unabhangige  Bestakigung  dieser  ThaUache  er« 
Colgte  13  Jabre  apaler  durch  Herrn  Anjou,  denn  als  Resul-* 
iat  der  Aufnahme  von  Neu«-5Jbirien  und  von  d«n  nordlicben 
und  westlichen  Kiisten  der  Thaddaus-  (Fadejewskji)  und  Ko- 
telnoi-Insel,  die  dieser  unerscbrackene  Seefahrer  im  Jahre 
1823  ausfiihrte,  ist  au(  Admiral  Wrangels  Eismeer^Karte  un- 
ter  76^5Brei4e  bei  320^0  bis  322^5  0. v.  Pan  die  Beseichnung 

offenes  Wasser  mit  Treibeis 
gesetzt  worden. 

Weiter  ostwarts,  bei  elw|i  161^  bis  166^  0.  v.  Parisi  ha* 
ben  die  Herrn  W  ran  gel  und  Matjuschkin  in  verschiednen 
Jahreszeiten  unter  72®  Br.  offenes  Wasser  gefunden  und  das- 
selbe  gegen  Norden  von  diesem  Parallelkreise  nichi  weiter 
unterbrochen  gesehen,  so  wie  auch  im  April  bei  dem  etwa 
35  Meilen  betragenden  Riickwege  von  dieser  Gegend  bis  zur 
nachsten  Kiistey  an  manchen  Stellen  nur  sehr  diinnes  oder 
schon  gebrochenes  Eis  *).  Es  kommt  hierzu  noch,  dab  iu 
friiheren  Zeiten  auf  dem  ostlich  von  der  Miindung  der  Ko- 
lyma gelegenen  Eismeer^,  sogar  Fahrten  von  betrachtlicher. 
Ausdehnung  zu  Schiffe  ausgefiihrt  worden  sind.  So  im  Jahre 
1646  die  Schifffahrt  von  Ignatiew  und  andren  Promyschle* 
niks,  die  uber  7  Langengrade  von  der  Kolyma  bis  zur  Tschaun* 
Bai  reichte;  1649  StadjuchinsFahrt auf  zwei  Boten  von  der 
Miindung  desselben  Flusses,  etwa  9®  gegen  Osten  bis  Sche- 
lagskoi  noa;  ferner  als  merkwiirdigste  von  alien  Deschnews 
bekannie  Schifffahrt  von  der  Kolyma -Miindung,  um  das  Ost- 
kap  und  durch  die  fast  30®  ostlich  vom  Abfahrlspunkte  gele« 
gene  Behringsstrafse  bis  in  die  Miindung  des  Anadyr  (Juni 
bis  Septbr.  1648)  **) ;  so  wie  auch  nach  mehr  als  einem  Jahr- 


*)  Vergl.  Reise  des  K.  Rassischen  Flotten- Lieutenants  F.  y.  Wr an- 
gel langs  der  Nordkuste  yon  £fibirien  a.  s.  w.    Deatsch  yon  Bn- 
gelhardt.    Berlin  1839.  Tom.  2.  p.  32,  78  u.  a. 
**)  Vergl.  unter  andren  dieselbe  Reise.    Binlettung  p.  II  n.  f. 


94  PliyBikafiich*inathematiioh«  WiMefiscbaCten, 

huoderl,  in  welchetn  noch  viele  ahnliche,  zum  Theil  erfalg- 
reiche  Versuche  vorkamen,  des  Jakuzker  Kaufinann  Scba- 
laurow  drei  SchiSfahrten :  von  der  Mundung  der  Jana  bis 
in  die  der  Kolyma  (wobei  25^  Lange  durch  eine  Fahrt  von 
eiwa  14D  Geogr.  Meilen,  von  Juni  bis  ^Septbr.  1761  zurUck- 
gelegt  wurden);  von  der  Miindong  der  Kolyma  bis  in  die 
Tschaun-Bai  und  zurcick  (vonJuIi  bisSeptbr.  1761);  iind  von 
der  Miindung  der  Kolyma  bis  zu  der  nur  14^.5sUicber  gele- 
genen  Winierwohnung  in  der  er  umkam  (diese  sreine  letzte 
Reise  begann  Scbalaurow  im  Juli  1764). 

Es  ist  sogar  einleuchtend  dafs  die  Moglichkeit  aller  die- 

ser  SebifiTahrten^  durch  einen  Meeresstrich  der  jetzt  nur  auf 

Hundeschlitten  passirl  wird,  einer  Erklarung  bedarf,  die  man, 

blofs  deswegen,  weil  sie  schwer  scheint,  nicht  gamt  vemacb- 

lassigen  soUte.    Hedenstrom  gebiihrt  wieder  das  Verdiensi 

dieses  ausgesprochen  zu  haben.     Er  sah  auch  ein  dais  der 

Zeitraum  von   weniger  als  50  Jahren   der  von  der  letzten 

Schifffahrt  bis  zu  seinen  Schlittenfabrten  verflossen  war,  bei 

weitem  zu  klein  sei|  urn  wahrend  desseiben  eine  betracbtliche 

Abnahme  der  Meerestiefen  zwischen  dem  Continent  und  der 

Inselkiiste    und    dddurch    eine  Begiinstigung   der  Eisbildung 

zwischen  diesen  Granzen  anzunehmen.     Wenn  er  aber  dann 

dennocfa  die  jetzige  Unmoglichkeit  der  Schifffahrt,  fur  in  der 

That  vorhanden   erklSrt,  und  sie  „einem  continuirlichen  An* 

wachsen  der  Eismassen  in  dem  Polarmeere*'  *)  (dareh  unbe- 

kannte  meteoroiogische  Einfliisse?)  zuschreibt,   so  unterliegt 

diese  Erklarung,    grade  ebenso   wie  die  von  ihm  widerlegte, 

dem  Einwurf  des  unzulanglichen  Zeitraumes  in  dem  die  ver- 

meintliche  Veranderung  erfolgt   ware.     Ich  glaube   vielmehr 

dafs  man  hier,  wie  in  so  vielen  ahnlichen  Fallen,  noch  ein- 

mal  zuzusehen-  hat  ob  die  Thatsache  die  man  erklaren  will, 

nicht  blofs  eingebildet  ist,  und  ob  nicht  die  Annahme  dersel- 

ben  auf  einer   sehr    einfachen   Tauschung    beruht.     Seitdem 

namlich  im  Osten  von  Nord*Asien  die  Meeresreisen  langst  der 


*)  OCrywki  o  SMioe  p.  106. 


Bine  Bnglfitclie  Expedition  ziin>  j^iblriaobeft  Eiiineer.  95 

Kiisle  fast  aiifgegebeo»  uod  dagegeh  die  gegen  die  Kqste 
senkrechten  nach  denlnsein,  su  einenK  regeimabigen  Oeschaft 
fiir  viele  ^ibirier  geworden  siiid^  wird  die  Beechliffenheit  dee 
Meeres  tiur  in  den  (fiir  die  Schlittenfahrt  giiDSttgen)  Friihjahn* 
monaien  genauer  untersuchl,  und  es  ware  somit  wobl  iBi>g* 
licfa^  dafs  dieselbe  im  Sommer  (vom  Juli  bis  zum  September) 
auch  jetzt  noch  die  Schifffahrten  swischen  acbwinnmenden 
Eisbergen  und  SchoUeiiy  unier  denselben  Beechwerden  wie 
friiher,  erlaubte. 

Wir  diirften  es,  wenn  alle  bisher  genannten  ErfahruDgen 
aliein  in  Betracbi  kamen,  weder  fiir  unmSgltch,  noch  fiir  gam 
unwahrscheinlioh  erklaren,  dafs  auf  Eismeerfahrten  yorberei- 
tete  Schiffe,  vom  Wellingtons* Canal  bis  zwischen  die  Nord-> 
Asiatischen  Inseln  oder  gar  bis  in  den  Eisrand  der  iSbirischeB 
Kiiste  gelangt  waren.  — 

Bei  der  weiteren  Frage  nach  HermPims  Aussichten  auf 
die  Auffindung  seiner  Landsleule,  muss  man  dagegen  gesteben, 
dafs  dieselben  Unistande  welche  sein  Vordringen 
erleichtern,  zugleicb  die  starksten  Zweifel  gegen 
das  Vorhandensein  der  Gesuchten  in  der  Nahe  von 
Sibirien  erregen. 

Der  Englische  Reisende  wird  namlich,  wie  srine  Vorgan- 
ger,  schon  in  Jakuzk  alle  n5thigen  Anleitungen  und  die  meisten 
substanliellen  Hiilfsmitlel  erhalten,  um  sowohl  auf  Narten,  als 
vielleicbi  auch  zu  Schiffe,  mdglichst  weii  in  das  Elismeer  zu 
dringen.  Jakuzk  ist  noch  in  diesem  Augenblick  der  Haupt* 
sitz  der  Kaufleute  welche  jahrlicbe  Expeditionen  nach  den 
Fundorten  des  fossilen  Elfenbein  auf  den  oben  genannten  In- 
seln und  zu  den  Knochensuchern  und  Pelzjagem  an  den 
Kiisien  des  Asiatischen  Eismeeres  ausriisten  und  ausfiihren. 
Die  Bewohner  dieser  Stadt  haben  sich  fiir  einen  so  eigen- 
thiimlichen  Handel  auf  eine  Weise  monopolisirt,  die  man  be- 
dauern  miisste,  wenn  nicht  eben  dadurch  ihr  fast  enthusiastic 
seher  Hang  zu  arktischen  Abenteuern  entstanden  ware,  und 
ihre  Theilnahme  fiir  einige  wissenschafkliche  Fragen,  die  mit 
dergleichen  zosamntenhangen.    Die  oben  erwibnten  Schifffahr- 


1*^  ^«   Mgi:-)    „We  HBuptecJiwierigkeil  wiM  Mlchw  Un- 
Wmehnnens  («m«r  Fahrt  na«h  Grdtland  md  rines  VmuAw 
den  Nordpol  m  erreichen)  besUinden  darin,  aaf  der  Una  era 
Flhra«ug  von  hmJiinglicher.  Featigkeil  auBwnigten,  «  luf  die 
NnrdMite  dCT  Inseln  au   bringen  und  einen  |«eignelen  Buhn       i 
(ilr  dasselbe  zu  6nden.      Der  Lena-MUiidung  gegenuber  witi 
dM   Meer    bid   Trilhsten    vom    Eise  befreil,  wahracheinlich  io 
F«]ge  des  stai4«n  Andranges  von  FlusBwasBer  ini  Juni  ulLen 
Styles)  —  und  was  deo  Hafen  betrifll,  so  Goden  sich  dereti 
awfl)  kreisrunde  und  vortreffliche    auf  Kbtelnoi  oatrow  und 
sine  seh^Sne  Bucht  auf  der  Thaddaus-Insel.    Uebrigens  wurde 
gich  doch  bei  einem  solchen  Unternehmen,  mehr  wie  bei  ir- 
gend  einem  andren,  die  Wahrheit  des  alien  Deutschen  Spruit 
worts:   Lust  und   Uebe  zum    Dinge  macht  Muh  und  Arbat 
geiinge,  zu  bewiihren  haben." 


Es  schien  mir  als  ob  sich  bei  Lieutenant  Pim  der  Eifer 
fiir    die    Erreichung  seines  Hauptiweckes    und    ein   m&glichsi 
fester  Glauben  an  dieselbe,  doch  woh)  vereinigen    liefsen  nut 
denjenigen    Leislungen    fiir  die  Wissenschaft,  zu   denen  viele 
Theile  seiner  Bebcroule  aufs  diingendste  auffordem.    Er  wird 
(nanche   Punkle  beriihren  die    noch    niemals  mit   einer    anoh 
nur  ertraglichen  Einsichl  beschrieben  worden  sind,    und  viele 
andere,  welche  seit  SOJahren  nur  von  den  sehr  tapfern,  aber 
mit  physikalisehen  Fragepunkten   keineswegs   verlrauten    Pro- 
myschienniks,    helrelen   worden  sind.     Ich    habe  ihn    denhalb 
/vor  Allem  an   die  llickenhaflen    und   dennoch  ilusserst    merk- 
'  Wurdigeil  Vorstellungen  erinnerl,   die   wir  bis  jelzt    uber  die 
geologiache  BeschalTenheit  von  Neu-Abirien  und  von  den    an- 
grSnzenden  Inseln  besitcen. 

Die  nur  250  bis  300  Fuls  hohen  HUgel   auf  denselben 
haben  sieile  Abhange,  in  denen  Juraversteinerungen  vorkom- 

*)  Otrf trki  a  Sibirje  p.  IW. 


Eine  BflgiiBcbe  Expedition  sam  <^ibff1toheM  Bnaieer.  99 

men  utid  welche  von  dem  beriihinlen  KnochenreicfaeD  Boden 
in  der  Siidbalfte  der  Insetn,  durch  eine  von  Baum^Resten 
durchseUte  Farmation  getrennt  sind.  Diese  enibalt  Iheila 
schwarze  Koblen  ahnliche  Holzstucke,  Iheils  gante  Stammei 
die  an  ihren  Bruchflacben  noch  fasrig  gespallen  und  in  dem 
oberen  Theile  der  Hugel  welcbe  sie  bilden,  grade  so  aufge** 
richtet  sind,  als  ob  eine  gewaltsame  Slromung  aua  Siiden  sie 
gegen  ein  sieilfallendes  Ufer  geschwemmt  hatte.  Die  kohlige 
Beschaffenbeit  jener  Sliicke  und  die  weifse,  ascben&hnlicbe 
VerwiUerungshaut,  mit  der  sie  sich  nach  Hedenslroms  Be* 
scbreibung  bedeeken,  konnte  obne  weiteres  «u  ihrer  Verglei- 
chung  mit  den  abnlicben  (Bernsieinfiibrenden)  Braunkoblen 
veranlassen^  die  auf  Kamtscbalka  an  der  Wealseite  des  MiU 
lelgebirges  dieser  Halbinsel  iiberall  zwiscben  62°  und  56°  Bn 
vorkommen  *)  und  ausserdem  bis  77°  westlicb  von  dieser  Li* 
nie,  an  der  Miindung  des  Jeni^ei,  so  wie  auch  43°  OesUicb 
von  derselben,  an  den  Abhangen  der  Aleutiscben  VulkankeUe 
nahe  bei  deren  Anscbluss  an  den  Amerikaniscben  Continent. 
Wir  besitzen  aber  anderseits  so  unzweifelbafte  Bescbreibungen 
von  Baumresten,  die  zusammen  mit  Vierfiifser-Knochen  in 
den  Diluviaisebichfen  derselben  Gegenden  liegen  und  welcbe 
offenbar  zugleieb  mit  den  Leieben  der  Pachydernen  abgela- 
gert  und  eingescblossen  warden,  dafs  eine  terliiire  Entstehung 
der  Neu-5ibiriscben  Holzberge  zum  mindesten  nocb  ausserst 
Kweifelbaft  und  kaum  wahrscbeiniicher  ist  als  eine  diluviale. 
So  findet  man  in  dem  aufgescbwemmten  Boden  unter  der 
Lena  bei  Jakuzk  zwiscben  100  und  500  Fufs  Tiefe,  viele 
Zweige,  Wurzein  und  Blatter  von  Birken-  und  Weidenabn- 
lichen  Baumen;  unler  den  Tundren  oder  Moorebenen  zwiscben 
der  Lena  und  Indigirka  so  miicbtige  und  reichhaltige  Holz- 
schicbten  (submarine  Walder),   dafs   die  Jukagiren  sie  aus- 


*)  Vergl.  Rrmaii  Reise  om  die  Krdft  u.  s.  w.  Historischer  Beiicht 
Bd.  3.  $.212;  Bd.2.  S.260  und  Archiv  fur  wiasenscbaftliche  Koode 
yon  Rossland  Bd.  3.  S.  165. 

7* 


100  PhysikaliBch-mathematiBche  WiHenschaften. 

sdiHefslich  als  Brennbolz  benutzen  *) ,  und  an  den  Abbangen 
dieser  Tundren  gegen  das  Eismeer  die  Profile  welche  unter 
andren  von  den  Steuermann  Kosmin**)  folgendermafsen  be- 
achrieben  werden.  ,,An  der  Eismeerkiiste  zwischen  denMiin- 
dungen  der  Fliisse  Bolschaja-  und  Malaja-Kuropatoschnaja 
(unter  70^8  Br.  bei  154^2  0.  v.  Par.)  liegt  der  Kuropatoschnoi 
jar.  Diesea  senkrecht  abfallende  Hochufer  besteht  grofsten* 
dieils  au8  nie  auftbauendetn  Eise,  das  mit  ein  wenig  schwar- 
zer  Erde  und  Lehin  vermengt  ist;  bier  und  da  blicken  diinne 
lange  Baumwurzeln  hervor  und  da  wo  die  Eismasse  von  den 
Meereswellen  bespult  wird  und  die  wenigen  erdigen  Theile 
herabrallen,  kommen  nicbt  selten  Mammutsknocben  zumVor* 
scbein.  Westlich  von  der  Miindung  der  Malaja  Kuropatoscb* 
naja  ist  die  Kiiste  zuerst  niedrig,  dann  erbebt  sie  sich  plotzlich 
wieder  zu  einer  Hobe  von  30  bis  35  Fufs  und  bestebt,  wie 
das  eben  beschriebne  Ufer  aus  Eis,  Lebm  und  elwas  scbwar- 


*)  Von  Heidenitrdm  nind  wohl  KasatmnefigehdrigeErscbeinungen  ge- 

trennt  worden,  in  dem  er  nacheinander  zwei  dergleichen  OertUcbkei- 

ten  mit  folgenden  Worten  beschrejbt:  ^,Eine  andre  onerklarliche  Hr- 

Bcbeinung  sind  die  in  den  steilen  Ufern  der  Landseen  zwischen  der 

Lena   and  Indigirka  vorkotnmenden  Birken^   die  noch  ibre  Zweige, 

WoTzeln  und  Rinde  besitzen.     Sie  werden  leider  von  den  Bewohnem 

nicbt  gescbont,  sondern  als  Brennmaterial  verbrancbt.     Dieses  Holz 

giebt  obrigens  keine  Flamme  sondern  scbwalt  nar  im  Feoer.     Jetzt 

indet  man  erst  3  Breitengrade  siidlich  von  diesem  Ponkte  die  ersten 

Birken-Biische !  ond  dann:  nordlicb  von  70"  Breite  ist  das  Land  bis 

sum  Meere  dnrcbaus  baamlos,  mit  Seen  und  Pfatzen  bedeckt.    Der 

sogenannte  Holzsee  den  die  Jakuten  Tastacb,  d.  i.   den  steinigen, 

hennen,   liegt  zwischen  der  Lena   and  Indigirka  und  ist  bemerkens- 

werth,  well  er  eine  Menge  barzigen  Holzes  auswirft.    Dieses  entbalt 

oft  Stiicke  eines  dnrchsichtigen  Harzes,  welches  dem  Bernstein  zwar 

aasserlich  gleicbt  und  auch  Insekten  entbalt,  jedocb  leichter  za  sein 

scheint  als  wirklicher  Bernstein,   und  beim  Yerbrennen  Nichts  von 

dessen  angenehmen  (cbarakteristischen)  Geruch  zeigt.** 

**)  In   F.   V.  Wrangels   Reise  u.  s.  w.      Deutscb    von    Engelhardt 
Bd.  2.  S.  44  u.  f. 

f)  Otrywki  o  ^ibiije  p.  HI  u.  120. 


Eine  Rngtisclie  BxpediCion  zom  SibirtMben  Kismeer.  10| 

zer  Erde.  Ich  bnich  mir  einige  der  dariii  liegenden  Baum- 
wurzeln  (grofstentheils  Birken)  heraus,  und  fand  sie  so  frisch 
und  wohlerhalten ,  als  ob  sie  ersl  eben  von  deoi  Bauine  ab- 
gehauen  waren.  Der  nachste  Wald  ist  100  Werst  von  hier 
zu  finden.  Der  an  der  Meeresaeile  von  deui  steilen  Ufer  lie* 
gende,  niedrige  Strand  bestand  aus  feinem  weissen  Sande  und 
war  ganz  bedeckt  mil  halb  verwitterten  Mammutsknochen  *)• 
Treibholz  fanden  wir  dahingegen  gar  nichi,  obgleicb  nach 
den  angerolUen '  Sandschichten  diese  Strecke  iinmer  von  den 
Meereswellen  bespult  werden  muss.*^  Es  ist  bemerkenswerth 
dak  in  dieserGegend  der  Erde,  und  meist  nahe  bei  einander, 
mindestens  vier  verschiedene  Ablagerungen  von  Holzgewach-* 
sen  vorkommen.  Sie  werden  bis  jetzl  eben  so  vielen  geolo* 
gischen  Perioden  zugeschrieben ,  verdienen  aber  noch  in  bo- 
hem  Naafse  eine  fernere  Untersuchung. 

Die  Schichten  von  Sphaerosiderit  und  von  eisenschiissi- 
gen  Mergeln,  die  man  liings  der  Westkiiste  von  Kamtschatka 
(von  63^  bis  58^  Br.)  dichl  ^rfiillt  mit  dikotyledonischen  Laub- 
holzern  (Juglans,  Carpinus  u.  a.))  mit  einigen  Juncineen  und 
mit  Sulswassermuscheln  (u.  a.  Anodonta  tenuis »  Girard)  fin- 
det,  scheinen  der  Kreideformalion  (Quadersandstein)  anzuge- 
horen  •*). 

Sie  sind  jedenfalls  durch  mehrere  machtige  und  wohl 
charakterisirte  Meeresbildungen  (u.  a.  einem  Kalke  mit  Mo- 
diola  jugata,  und  einem  Sandstein  mil  kalkigem  Bindemittel 
und  feinen  vulkanischen  Triimmern,  welcher  Tellina  dilatata, 
Gin,  Natica  aspera,  Gir.,  und  verschiedene  Species  der  Gal- 
tungen  Crassatella,  Venus,  Nucula,  Buccinum  enthiiU),  von 
den  entschieden  tertiaren,  Sernsteinreichen  Kohlen  und  ver- 
kiesellen  Baumstammen  getrennt,  die  naher  an  der  Milte  von 
Kamtschatka  und  ausserdem  an  den  oben  genannten  Osl-iS- 
birischen  und  Amerikanischen  Fundorten  bekannt  sind.  Bei 
^edanka  auf  Kamtschatka  haben  sowohl  Coniferen  als  aucb 


*)  Die  offenbar  ans  dem  Kustenabhang  gefallen  waren.  B. 

**)  Erin  an  Reise  u.  s.  w.     Histor.  Ber.  Bd.  3.  S.  148  u.  f. 


102  Phynkaliseh-mathematitche  WiMeiueha^tei. 

einige  Laubbaume  und  Graser  zu  diesen  Ablagerungen  bei- 
getragen  *). 

Die  verschutteten  B]rken(?)walder  unter  den  Tundren 
und  die  gleichartigen  Baume,  die  man  in  Durchschnitten  die- 
ses Bodens  mit  den  ausgestorbenen  Vierriifsern  gemengt  sieht, 
sind  mit  jenen  teriiaren  Holzablagerungen  gewiss  nicfat  zu 
verwechseln.  Sie  unterscheiden  sich  aber  eben  so  vollstan- 
dig  von  den  grofsartigen  Massen  von  Treibholz,  welche  all- 
jahrlich  wahrend  der  gegenwartigen  geologiseben  Periode,  in 
das  Eismeer  gespiilt  und  durch  Slromung  und  Wellenschlag 
liber  dessen  Kiisten  vertheilt  werden.  Durch  die  unablassige 
Drehung  um  ihre  Axe,  welche  die  treibenden  Baumstamme 
in  den  Meereswellen  erfahren  **) ,  wird  ihre  Rinde  stets  voll- 
standig  abgenutzt  und  auch  ihre  Oberflache  auf  eine  Weise 
geglattet,  welche  jede  Verwechselung  mit  den  unversehrten 
und  in  dem  gefrorenen  Boden  sogar  noch  saftreichen  Holzern 
der  Diluvialzeil,  unm5glich  machtf). 

Der  Knochenfiihrende  und,  wie  gewohnlich  in  jenen  Ge- 
genden,  mitEis-Gangen  und  Eis-Lagem  durchsetzte,  Letten, 
welcher  die  flacheren  Theile  der  Nord-Asialischen  Inseln  ein* 
nimmt,  ist  auffallend  genug  um  keiner  Empfehlung  zu  be- 
diirfen.    Herr  Matjuschkin   schatzt  das    was  nur  an  Elfen- 


*)  A.  a.  O.  S.  153,  171,  203,  211  n.  f. 

**)  Daaelbst  S.  54.  —  Anch  wird  das  Treibbolz  an  den  EUmeerkusten 
yon  Herrn  Kosmin,  Matjoscbkin  a.  a.  stete  als  geschalt  and  oft  anch 
alB  stark  verodet  gescliildert. 

f)  Ansser  den  eben  genannten  vier  Perioden,  wahrend  deren  Holzreste 
in  den  Ost>5ibirischen  Boden  gelangten,  ware  noch  eine  funfte  za 
unterscheiden,  wenn  es  sich  bestatigen  soUte  da(s  der  qnarzige  Sand- 
stein  mit  Baomstammen  an  der  Aldanischen  Fabre  and  die  bis  za  t 
Fafs  machtigen  Kohlenflotze,  die  Herr  Slob  in  langs  der  Lena  nn- 
terhalb  Jakozk,  am  Wiiai  Yon  dessen  Mundang  bis  zar  Marcha,  so 
wie  auch  zwiscben  Jakozk  and  dem  Aldaiiflosse  gesehen  bat  —  der 
Jaraformation  angehoren.  Vergl.  die  geognostischen  Verhaltnisse  Ton 
Nord  -  Asien ,  in  Archiv  fur  wissensch.  Kunde  von  Russland  Bd.  III. 
S.  165. 


Eine  Riiglisefae  Expedition  sum  dibiriaehen  Bumieer.  )0g 

bein  in  jedem  Jahre  auf  Neu^iKbirien  und  den  Ljaehow*-!!!- 
seln  ausgegraben  wird,  auf  viele  Hunderl  Pude*).  Diese 
etwas  unbestimtnte  Angabe  ist  aber  jedenfalls  ausserl  mafsigy 
denn  allein  auf  der  ersien  dieser  Inseln  sammelte  nur  einer 
der  Jakuzker  Reisenden  im  Jahre  1821 ,  &00  Pud  StoCsBahne 
des  Mammut**),  d.  h.  bei  dem  DurchschniUagewicht  von  niir 
3  Pud  fiir  jeden  der  dortigen  Zahne,  die  Hinterlassenschaft 
von  wenigstens  84  Individuen.  Da  nun  diese  Ausgrabuugen 
schon  seit  50,  und  auf  den  Ljachowisehen  Inseln  sogar  acbon 
seit  ISOJahren  fortgeselzt  werden,  so  ist  die  Vorslellung  von 
ganzen  Heerden  von  Elephanten  in  dem  dortigen  Boden  in 
keineui  Fall  iibertrieben  und  das  Phanomen  von  der  Art 
dafs  kein  Reisender  es  ubersehen  kann.  Es  giebi  aber  viele 
Einzelheiten  desselben,  die  einer  genauern  Beobacblung  ^nd 
Beschreibung  in  hohem  Maafse  bediirfen. 

Ohne  einmal  die  noch  so  ndthigen  Untersuchungen  iiber 
die  fiinf  Species  der  Gattung  Elephas  zu  erwahnen,  wejche 
Herr 6. Fischer  bis  jetzt  nur  nach  einigen  Backzahnen  oder 
Zahnbruchstiicken  des  sogenannten  Mammut  aus  verschiede- 
nen  Gegenden  des  Europaischen  Russlands  zu  erkennen 
glaubte  f ),  so  ist  eine  Vervollstandigung  der  diluvialen  Fauna 
durch  Untersuchung  der  Eismeerkiisten  ein  dringendes  Bediirf- 
niss.  Die  Schadel  und  Horner  des  Rhinoceros  teichorhinus 
welche  mil  den  Mammuiszahnen  nach  Jakuzk  gelangen,  durf- 
ten  genugsam  beschrieben  sein,  aber  kaum  so  die  dem  Bison 
zugeschriebnen  Schadel  und  Knochen  von  Ochsenarten,  die 
Schadel  eines  Hirsches  der  nach  Hedenslroms  beilaufiger  Er- 
wahnung  nur  einigermafsen   an  den  Cervus  primigenius  Kaup, 


*)  MatJQBchkins  Bericht  uber  seine   Reise    ISngs  des  kteinen  und 

grossen  Anioflnsses  in  Wrangels  Reise  o.  s.  w.    Deotsch  von  Rngel- 

liardt  Bd.  2.  S.  3. 
**)  Dr.  K aber 8  Samjetschantja  u.  s.  w.,   d.  h.  Beobachtnngen  in  Nijne 

Kolymsk  and  den  benachbarten  Gegenden  in  iS>ibirskji  wjestnik  1822. 

Tom.  2.  p.  145. 
f)  Notices  snr  quelques  anintaax  fossiles  de  laRussie  par  G.Fischer. 

Moscon  1827.  4. 


IM  pfcy^taif^h  -  gathematiiche  WiMenteWten. 

erionert  ^^  die  Reste  von  Schafen  die  wohl  nur  aus  iSbirischer 
Oewdhniing  ohne  weiieres  dem  Argali  zugeschrieben  werden 
und  ohne  Zweifel  noch  Vieles  andre  was  die  Elfenbeingraber 
ab  weiihlos  verwerfen.  —  Nicht  minder  wichtig  ist  eine 
Priifung  der  sehr  verbreiteten  Sage,  dafs  voii  dem  Continent 
gegen  die  (nsein  des  Bismeeres,  mit  der  Kiinehmenden  Hau* 
figkeit  der  Elephanlen-Reste,  eine  Abnahme  ihrer  Grofse  ver- 
bunden  sei'**),  so  wie  auch  der  Behauptung  dafs  auf  den  In- 
seln  entweder  gans  erhaltene  Leichen  oder  doch  voUstandige 
Skelette  nicht  zu  den  Seltenheiten  gehoren.  In  seiner  mehr- 
erwahnten  Schrift  (otrywki  o  5ibirje  p.  123)  sagt  Hedenstrom 
dafs  er  auf-  Neu-5ibirien,  auf  einer  Strecke  von  einer  Werst 
wohl  10  Stofszahne  mit  ihren  Spilzen  aus  dem  Boden  her- 
vorragen  gesehn  habe.  Er  hatmich  aber  mundlich  versichert| 
dafs  er  diese  dorl  gewohnliche  Stellung  und  das  paarweise 
Vorkommen  der  Ziihne  ihrem  noch  vorhandenen  Zusammen- 
hange  mit  voUstandigen  und  unter  dem  Boden  aufrecht  ste- 
henden  Thieren  zuschrieb,  welche  blofs  deswegen  ungesehen 
blieben,    weil   sich    die  Promyschlenniks   mit  Absagung   des 


*)  „An  den  Bismeerkusten  findet  man  ancli  noch  Schadel  die  um  weni- 
ges  kleiner  als  die  der  Rennthiere,  ihren  Zahnen  nach  einem  Gras- 
fresser  angehoren  ond  sich  besonders  dorch  ihre  Greweihe  aaszeicli- 
nen.  Diese  bedecken  (!)  den  ganzen  Kopf  nach  Art  einer  dicken 
Platte,  welche  aber  in  ihrer  Mitte  nach  derLange  des  Kopfes  darch 
eine  enge  Furche  in  Halften  getheilt  ist.  Nach  den  Seiten  za  sen- 
ken  sich  diese  platten  Horner  allmahlig  nnd  werden  zagleich  schma- 
ler,  enden  aber  ehe  sie  den  Hals  erreichen  in  einer  karzen  aafwarts 
gebogenen  Spitze.** 

**)  So  sagt  nnter  andrenHerr  Kiiber  (Sibirskji  Wjestnik  1823  Tom.  2. 
p.  145):  ,»Die  MaramutsstoCBzahne  aas  der  Umgegend  von  Kolymsk 
wiegen  durchschnittlich  4  bis  6  Pad,  auch  finden  sich  deren  von  6. 
bis  67,  Pad,  wahrend  auf  den  Tnsein  nicht  iiber  3  Pud  schwere 
▼orkommen*/*  and  schon  vor  ihm  Hedenstrom  (otrywki  o  iSibiije 
p.  123):  „Das  Gewicht  der  Mammatszahne  and  mithin  auch  die 
Grolse  der  Thiere  denen  sie  angehoren^  nehmen  gegen  Norden  so 
hetrachtlich  ab,  daDs  man  auf  den  Eismeerinseln  nicht  iiber  3  Pad 
schwere  findet." 


Eine  Englische  Expedition  zam  S^ibirucb«n  Bismeer.  |Q5 

Butzbaren  Elfenbeines  begnUgten.  —  Von  guter  Erhaltutig  der 
ihm  vorgekommenen  Theile  fuhrt  Hedenstrooi  noch  an,  dafs 
ihm  Schienbeine  und  Oberschenkel  von  Mammuts  bei  Ustjansk 
einen  ganzen  Sack  vol!  gefromem  Mark  geliefert  haben,  von 
dem  dann  beiiu  Aufthauen  die  umg^bende  Leinwand  sehr 
sichtlich  mit  Fetl  durchzogen  wurde.  Ueber  diese  und  viele 
verwandle  Fragen  wird  der  Engiische  Reis«nde  zu  enlschei-* 
den  im  Slande  seiri,  selbst  wenn  er,  nach  seinem  bisherigen 
Plane,  zuersl  die  osllich  von  der  Kolyma «MUDdung  gelegneii 
Biiren-Inseln  besuchen  oder  sogar  dem,  wie  behaaptel  wird, 
vom  Cap  Jakan  sichtbaren  Lande  nachgehen  soUte.  Es  isl 
namlich  gar  nicht  anzunehmen  dafs  diesen,  den  westlicheren 
Insein  so  ahnlich  gelegenen,  Punkien  die  Neu-<S!birischen 
Schichlen  abgehen  soiUen  und  zwar  urn  so  weniger,  als  die 
den  Biiren-Inseln  gegenuber  liegende  Kuste  und  namentlich 
die  Umgebung  der  Argali-Felsen  (Baranow  kamen)  fiir  unge- 
wohnlich  reich  an  Mammutsknochen  gelten  *)•  Sodann  wird 
es  aber  Herrn  Pirn  wahrend  des  beabsichtigien  dreijahrigen 
Aufenthalts  in  jenen  Gegenden,  nicht  an  Gelegenheit  fehlen 
sich  auch  van  der  Jana  oder  Indigirka  aus,  an  einer  der  ge- 
wohnlichen  Friihjahrsfahrten  der  Knochensucher  zu  betheiligen. 
Einen  hochst  wesenllichen  Aufschluss  iiber  diese  Erschei- 
nungen  konnte  die  bei  der  Poststation  /erbinsk  (10  Wersi  ab- 
warts  von  derselben  bei  60°,5  Br.  114°,0  0.  v.  Par.)  in  dem 
Silurischen  Kaike  der  linken  Wand  des  Lenathales  gelegene 
Hohle  gewahren,  wenn  der  Reisende  endlich  eine  Durchbre* 
chung  des  Tropfsteinbodens  in  derselben  ausfiihrte  oder  ver- 
anlasste.  Die  VVahrscheinlichkeil  des  Vorkommens  von  dilu- 
vialenThier-Resten  in  derselben  ist  keineswegs  gering,  denn 
ilir  geraumiger  Eingang  liegt  uber  dem  jelzigen  Friihjahrwas- 
scr  der  Lena  kaum  hoher  wie  der  der  Baumannshohle  im 
Harz,  in  der  wir  doch  in  diesem  Jahre,  unler  dem  hori- 
zontalen  Boden,  einen  ausserordentlich  reichen  Knochenletlen 
gefunden  haben.     Eine  solche  Unlersuchung  ist  aber  von  gauz 

'')  Kiiber  in  $il»ir»kji  WjeCnik  a.  a.  O. 


106  PbyBikalisch-matheinatUcfae  Wiisenscbaften. 

besonderem  Inleresse  in  demjenigen  Thale  durch  welches 
einst;  alien  Anzeigen  trach,  unzahlige  Pachydermen  und  an- 
dere  Vierfiifser  geschwemmt  wiirden.  Zii  vorlauBger  Bekannl- 
schaft  mil  diesen  finden  sieh  schon  wahrend  der  Reise  nach 
Jakuzk  empfehlenswerlhe  Gelegenheilen ,  sowohl  in  den  Pe- 
tersburger  und  Moskauer  Museen,  als  auch  (wenn  sie  noch 
vorhanden  sein  soUte)  in  einer  gans  ungeordneten  aber  aus- 
serst  reichhaltigen  Sammlung  von  Schadeln,  die  der  Minera- 
lienhandler  Chorinskji  in  Irkuzk  besafs. 

Zur  Beachlung  wahrend  seiner  Landreisen  in  der  Umge- 
bung  der  Kolyma  und  von  dieser  zur  Tschaun-Bai  und  zum 
Cap  Jakan  wurde  Herm  Pim  endlich  empfohlen:  ob  eine 
Bergketle  mil  rein  ostlichem  Streichen: 

unter  68^85  Breile,  bei  183^53  0.  v.  Paris 
xu  bemerken  ist; 

und  desgleicben  ob  zusammenhangende  Berge  vorkommen 
unter  67^0  Breile  bei  159^45  0.  v.  Paris 
unter  65^5  Breite  bei  J5P,78  0.  v.  Paris 
und  unter  64^0  Breile  bei  'l43^05  0.  v.  Paris 

Der  mir  bei  einem  Uebergange  bekannl  gewordene  und 
bis  zu  4000  Par.  Fufs  hohe  Theil  des  Aldanischen  Gebirges 
(wie  der  Kapilanberg  unter  60^13  Br.  bei  137^4  O.  v.  Paris 
mil  einem  von  hohen  Felsen  umgebenen  Pass  von  3780  Par. 
F.  iiber  dem  Meere)  und  die  mit  ihm  zusammenhangenden 
Berge  bei  Omekonsk  (63^40  Br.  bei  144«,1  O.  v.  Par.)  mus- 
sen  sieh  namlich  nahe  iiber  die  genannlen  Punkte,  und  bei 
dem  erslen  derselben  mit  ostlichem  Streichen,  fortsetzen,  wenn 
sie,  wie  ich  es  fiir  ausserst  wahrscheinlich  halle,  auf  dem 
kiirzesten  Wege,  d.  h.  langs  eines  grofsten  Kreises  der  Erd* 
oberflache,  mit  den  ihnen  geognostisch  verwandten  rocky  moun- 
tains und  deren  unter  dem  Polarkreise  in  Amerika  bekann- 
ten  Fortsetzung  zusammenhangen.  Ich  babe  manche  Griinde 
fiir  diese  Ansicht  zusammengestellt  in  meiner  Reise  um  die 
Erde^  Historische  Bericht,  Bd.  3  S.  9  und  in  Archiv  fiir  wis- 
senschaflliche  Kunde  von  Russland  Bd.  VI  S.  671.  Ihre  Wahr- 
scheinlichkeit  wird  aber  noch  betrachtlich  erhoht,  durch  eine 


Kine  Bnglliche  Bxpeditlon  zam  Sibiriicben  Eitineer.  107 

Thaisache    deren    Bekanntmachung   man   Herrn  Dr.  Kiiber 

verdankt. 

Unier  60^  Breite  ist  es  bekanntiich  eine  auszeichnende 
Eigenschaft  des  Aldanischen  Systemes,  dafs  die  Feldspath- 
reiche  und  von  Eurilporphyren  durchselzte  Grauwacke  des- 
selben,  bei  20  bis  25  Meilen  gegen  SO.  von  seinem  Kamme, 
zu  Pechslein  mit  Ausscheidungen  von  Halbopal,  zu  glasigem 
Marekanitfels  und  zu  Schneeweissen  Trachyten  umgeschmol- 
zen  isl,  die  sich  von  eigentlich  vulkanischen  Produkten  in 
Nichls  unlerscheiden.  Herr  Kiiber  sagt  nun*)  dafs,  wiih- 
rend  er  um  die  Milten  der  Thaler  der  Aniufliisse  (67®,5  bis 
67^  Br.  bei  158«  bis  160  0.  von  Paris)  nur  Berge  aus  ge- 
schichteten  Gesteinen  gesehn  babe,  an  den  nahe  bei  einander 
gelegenen  Quellen  des  Grofsen  Aniu  und  Anadyr,  Steine  von 
anscheinend  vulkanischem  Ursprunge  vorkommen.  Er  selbst 
babe  als  Fluss-Gerdlle  aus  diesen  Gegenden  Opale  und  ein 
Sliick  Obsidian  gefunden,  auch  scheine  das  was  man  ihm 
von  den  Gesteinen  an  der  Quelle  des  kleinen  Aniu  gesagt 
habe  nur  auf  vulkanische  Bildungen  zu  passen. 

Von  der  Linie  auf  der  sich  der  Kamm  einer  n5rdlichen 
Fortsetzung  des  Aldanischen  Systemes  nach  der  in  Rede  ste- 
henden  Vorausselzung  befinden  miisste,  hat  aber  der  Ur- 
sprung  des  Anadyr  einen  genau  gleichen  und  analog  gerich* 
teten  Abstand  von  25  Meilen  wie  der  Marekan  bei  Ochozk 
von  der  dortigen  Streichungslinie  —  auch  ware  es,  wenn 
sich  der  Zusammenhang  der  beiden  Theile  des  gemeinten 
G^birges  besLaligt,  nur  eine  neue  Uebeinstimmung  dafs  auch 
in  dem  nordlichen  die  Wasserscheide  zwischen  dem  Eismeer 
und  dem  Grofsen  Ocean  betrachtlich  jenseits  des  Kammes  so 
wie  auch  meist  jenseits  der  gehobenen  Gebirgsarten  in  den 
plutonischen  Massen  (Euritporphyr,  Sienit  und  Granil)  liegen 
wijrde  die  dem  zuletzt  genannten  Meere  zugekehrt  sind  **), 

*)  iSibirskji  Wjotnik  fur  1823  Bd.  2  p.  143. 

**)  Ueber  diose  Eigen»chaft  des  Aldanischen  Syslemes  in  60"*  bis  61" 
Br.  vergl.  man  Reise  om  die  Erde  HistBer.  Bd.  2  S.392,  Bd.3  $$.10. 


Ueber  den  Jahrmarkt   zu  Irbit   im  Permschen 

GouYernement  ♦)• 


])er  Schreiber  (lieser  Zeilen  hat  Gelegenheil  gehabt  die  (Jmge- 
bungen  des  Ural  genau  genug  kennen  zu  lernen  um  seine  Er- 
fahrungen  fill*  mittheilungswerth  zu  hallen.  Er  entschliefst  sich 
dazu  um  so  eher,  als  sidi  die  Kussische  Lilteratur  immer 
noch,  und  trotz  aller  dem  entgegenwirkenden  Vornehmen, 
nur  ausnahmsweise  mit  inlandischen  Dingen  beschSftigt.  Er 
hatle  das  Giiick  gleich  nach  seinem  Uebergange  aus  dem 
Europaischen  Russland  iiber  die  be.waldelen  Hohen  des 
Ural  recht  in  dieMilte  einer  machtigen  und  durehaus  lokalen 
Bewegung  zu  verfallen,  indem  sich  vor  alien  iibrigen  Merk- 
wiirdigkeiien  das  anziehende  Sehauspiel  des  halb  orienlali- 
schen,  halb  wilden  Irbiler  Jahrmarkts  tlai-bot,  und  so  mogen 
denn  einige  Nachrichten  iiber  diesen  wichtigen  Miltelpunkt 
des  Ost-Russischen  Handels  eine  Reihe  von  ahnlichen  Schil- 
dei'ungen  eroffnen. 

Um  das  Jahr  1633  war  die  jetzige  Kreisstadl  Irbit  **)  nur 
ein   kleiner  Flecken  (51oboda)  in   welchem  nur  die  nachsten 


*)  Nacb  einem  Riiss.  Aufsatz  in  Otetocbestwennyja  <9apiski  1849.  No.  7. 

**)  Sie  hatte  iibrigens  auch  iin  Jalire  1840  nur  470  Hanger  mit  2770 
Einwolinern.  Vergt.  die  Statislisdien  Tafeln  iiher  die  Russ.  Stadte 
(lie  voin  Riissiftcben  Ministerium  des  Innern  im  Jahre  1840  beraus- 
gegeben  wiirden,  so  wie  aucb  in  diesem  Archive  Bd.  IV.  S.  34. 

D.  Uebers. 


Ueber  den  Jahrmarkt  za  Irbit  im  Permichen  GoaTernement.      109 

Nachbarn  des  Handels  wegen  zusammenkamen.  Man  weiss 
demnachst  iiber  dieselbe  nur  dafs  sie,  nach  Einrichtung  der 
sogenannten  Orenburgschen  Linie,  su  einer  innern  Zollstatle 
erhoben  wurde  und  nachdem  sie  wahrend  des  Aufstandes  un- 
ter  Pu  gats  chew  der  Landesregierung  treu  geblieben  war, 
zu  einer  Stadt*).  Ein  bei  dieser  Gelegenheit  erlassener  Ukas 
der  Kaiserinn  Katharina  vom  3.  Februar  1775  enthalt  un- 
ter  andrein  folgende  Worle :  ,,Ihre  Majestat  lasst  lobenswerthe 
Verdiensie  niemals  ohne  Belohnung  und  befiehlt  daber  aus 
besonderer  Geneigtheit  fur  ihre  getreuen  Unterthanen,  den  lr-» 
biier  Flecken  zu  einer  Sladt  zu  erheben.  Die  Bewohner  der- 
selben  sollen  nicht  gezwungen  werden  einen  Kaufhof  (ijady) 
zu  bauen,  obgleich  sie  die  Erlaubniss  dazu  erhallen.  Sie  ino* 
gen  aber  einsCweilen  in  ihren  Hausern  Handel  ireiben  und 
auch  wenn  sie  es  wtinschen  Herbergen  anlegen  und  bei  den- 
selben  Buden  zum  Verkauf  von  Esswaaren  und  PferdefuUer/' 

Im  Jahre  1790  erlitt  die  neu  geschatfene  Stadt  eine  be* 
trachUiche  Feuersbrunst,  nach  welcher  die  Kaiserinn  Katha- 
rina IL  die  Irbiter  abermals  durch  einen  Abgabencrlass  un- 
terstiitzte.  Der  darauf  beziigliche  Ukas  vom  26.  Marz  1791 
besagt  unter  andrem:  ,,In  Folge  eines  Uns  von  dem  Senate 
gemachten  Berichtes  iiber  den  Brand  des  Kaufhofes,  befehlen 
Wir  dem  dortigen  Sladlischen  Verbande  dieses  Gebaude  neu 
aufzubauen,  wofiir  die  aus  demselben  zu  ziehenden  Einkiinfle 
ihm  gehoren  und  der  genannte  Kaufhof  aus  dem  Verzeichniss 
der  zinspflichligen  Gegenstande  ausgeschlossen  werden  soil." 

In  Folge  dieser  begiinstigenden  Umstande  und  durch  die 
wahrend  der  letiten  zwanzig  Jahre  erfolgte  Vermehrung  der 
jKbirischen  Goldgewinnung,  hat  der  Irbiter  Handel  einen  aus* 
serordentlicben  Umfang  gewonnen.  Es  beliefen  sich  schon 
im  Jahre  1844  die  Zufuhr  fiir  denselben  auf  17  Millionen  Sil- 
ber-Rubel  und  der  Verkauf  von  VVaaren  auf  12  Millionen  SU- 
ber-Rubel.    In  dem  genannten  Jahre  wurde  auf  Veranlassung 


*)  Puscbkin  sagt  Nicbti  von  diesem  Umstande  in  seiner  Geechichte 
der  Pogatscbewer  Verschworong.  Anm.  d.  Verf. 


110  Indastrie  und  Hande). 

des  damaligen  Vorateher  des  Gouvernements  Perm  Herrn 
N.  I.  Ogarew  und  auf  stadlische  Kosten  ein  sehr  grofsarii- 
ger  und  schon  gebauter  Kaufliof,  anstatt  des  engen  holzernen 
errichtet  dessen  man  sich  bis  dahin  bedient  hatte.  Es  haben 
dadurch  der  Verkehr  wahrend  des  Jahrmarktes  ein  geregeltes 
Ansehen  gewonneo,  so  wie  auch  die  ausgestellten  Waaren, 
geniigende  Lagerung  und  die  Stadt  ein  betrachtliches  Einkom* 
men*)*  —  Im  Jahre  1848  erfolgte  endlich  nocb  eine  ausser* 
ordentlich  wicblige  Unterstutaung  des  Irbiter  Handels,  durch 
das  Jekatrinburger  Contor  der  Handelsbank.  Die  betrachtli- 
ehen  Vorschusse  welche  man  den  zu  Gilden  gehorigen  Kauf^ 
leuten  obne  Unterpfander  verabfolgt,  haben  namlichden  dorii* 
gen  Verkehr  ganz  ungemein  vereinfachl  und  beschleunigt 

Die  folgenden  Zahlwerthe  werden  die  allmahlige  Hebung 
des  in  Rede  stehenden  Handels  etnigermalisen  erlautern,  ob* 
gleich  sie  wohl,  Wie  alle  ahnlichen,  nur  annabernd  richtig 
sind  und  auch  nur  durch  Vergleichung  mil  den  auf  andere 
Handelsplataen  beziiglicben  eine  ersehttpfende  Vorstellung  ge- 
wahren.    Es  betrugen  die  Werlhe: 


1  Jahre 

der  Zufuhr: 

des  Verkauflen: 

1839 

11951155  S.  R. 

7672298  S.  R. 

1840 

12232286  -  - 

7682000  -  - 

1841 

12800386  -  . 

9478826  -  - 

1842 

14044530  ■  - 

7887500  -  - 

1843 

14483926  -  • 

1030326  -  - 

1844 

17023730  -  - 

12625540  -  • 

1845 

202-22326  -  • 

17426355  •  - 

1846 

26934736  -  - 

22246861  -  - 

1847 

28090931  •  - 

23642150  -  - 

1848 

31150214  -  - 

26902511  -  - 

Diese  Data  welche  der  Verfasser  Herrn  J.  F.  L  j  u  bimo  w, 
einem  iiber  den   dortigen  Handel   sehr    wohl    unterricbteten 


*)  Im  Jabre  1848  betrug  dasselbe  welcbes  nicbt  als  ein  octroy,  sonderit 
nar  als  Miethe  far  die  Waareiilager  za  belrachten  ist  25465  S.  K. 

D.  Verf. 


Ueber  den  Jahrmarltt  za  Irbk  ini  Pertesthen  Goayernement      HI 

Mitgliede  der  Perinischeo  StadtverwaliuDg  verdankl,  lassea 
liber  die  absolute  Bedeutung  des  Irbiter  Handels  und  iiber 
deren  Zunahme  keiiien  Zweifel.  Sie  zeigen  aber  auch  des^ 
sen  relative  Wichtigkeit,  indem  sie  beweisen  dafs  der  Umfang 
der  dortigen  Gescbafte,  sich  lu  denen  des  Nijnei-Nowgoroder 
Marktes  wie  3:5  verba] t  und  dafs  somii  Irbii  unter  den  Rus-* 
sischen  Messplalzen  der  eweite  ist. 

Wir  wollen  nach  diesem  Blick  auf  die  Bedeutung  von 
Irbit  fiir  Russland  im  AUgemeinen,  die  ihm  mehr  eigenthum- 
liche  Bestimmung  dieses  Ortes  betrachten.  Ni/aei-Nowgorod 
wurde  schon  von  Peter  I.  im  Gegensatz  zu  den  Seehafen 
ein  innerer  Hafen  (wnutrenny  port)  genannl.  Irbit  unterschet* 
det  sich  aber  von  einem  soJehen  dermaCsen,  da£s  man  es  viel-> 
mehr  als  den  5ibirischen  Gransmarkt  von  Russland  zu  be- 
zeichnen  hat.  Diese  zusammengesetzte  Benennung  besagt  in 
der  That  das  Wesentlichste  von  der  Rolle  welche  Irbit  in 
dem  Russischen  Handel  zu  spielen  bat.  Auf  der  GrSnze 
zwischen  den  industriellen  Russischen  Gouvemements  und 
dem  relativ  untliatigen  iSibirien  gelegen  und  mitbin  zwischen 
einer  productiven  und  einer  vorzugsweise  consumirenden.  Be* 
volkerung,  ist  Irbit  fur  beide  Theile  von  Worth ,  besonders 
aber  fiir  5ibirien  welchem  es  die  vorzuglichste  Quelle  seines 
Lebensunlerhaltes  darbietet  So  ist  denn  auch  in  diesem 
Punktc  die  gesammte  Zufuhr  aus  5ibirien  nur  unbedeutend 
im  Vergleich  mit  dem,  was  fiir  die  ^Sbirier  zu  ihm  gebracht 
wird.  Selbst  von  dem  Thee,  als  dem  Hauptbestandtheil  der 
Einfuhr  aus  Nordasien,  kommt  nach  Irbit  moistens  (und  z.  B. 
noch  1848)  nur  ein  Drittheil  der  nach  Nijnei-Nowgorod  ge- 
brachten  QuantitaL  Stellt  man  sich  vor  dafs  die  5ibirier 
plotzlich  aufhorten  sich  nach  Irbit  zu  wenden,  und  anstatt 
seiner  irgend  einen  der  Mitte  ihres  Landes  nafaeren  und  von 
der  Europaischen  Granze  entfernteren  Marktplatz  ausHvahlten, 
so  wiirde  doch  die  Gesammtmasse  der  Russischen  und  der 
librigen  Europaischen  Waaren  die  jetzt  nach  Irbit  gelangen, 
Dhne  merkKchen  Verlust  fiir  die  Producenten  in  anderen  Rus- 
sischen Stadten  und  Handelsorten  verkauft  werden.    Sibirien 


112  Industrie  ond  Handel. 

seibst  konnte  dagegen  unler  den  jetzigen  Verhaltnissen  den 
Irbiter'  Handel  durchaus  nicht  entbehren  und  iibt  somit  auf 
dessen  Bedeutung  den   enlscheidenden   Einfluss.     Wir  diiifen 
hiernach  die  Wichtigkeit  des  in -Rede  stehenden  Marktes  kei- 
neswegs  oder  doch  wenigslens  jclzl  nicht  mehr  eine  zufallige 
nennen  und  ebenso  wenig  annehmen  (wie  man   es   wohl  bei 
deni   unten    zu    erwaknenden  Rangstreit   desselben   niit   dem 
Tjumener  Markte  gethan  hat),  dafs  das  Steigen  oder  Sinken 
des  Irbiter  Handek  von  dem  Aufkommen   eines  concurriren- 
den  Platzes  abhangen  wurde  oder  aucb  nur.von  der  Verle* 
gung  des  Termines  fiir  denselben  auf  eine  andere  Jahreszeit* 
Das  Schicksal  dieses  Handels  ist  vielmehr   aufs  engste   mit 
der  Zukunft  der   eigenilich  Sibirisehen  Industrie  verbunden^ 
und  derselbe  wiirde  erst  dann  eine  wesenib'che  Veranderung 
erfahren,    wenn  iSibirien  einmal,   gleich   einem  Europaischeo 
Lande,  seine  Bediirfnisse  an  Industrie -Produk ten  seibst  be- 
friedigte. 

Eine  dritte  und  noch  mehr  lokale  Bedeutung ,  erhalt  der 
Irbiter  Markt  durch  seine  Beziehung  zu  den  ihni  zuniichst  ge* 
legenen  Transuralischen  Dislrikten,  und  durch  die  voriiber- 
gehende  Lebendigkeit  welche  er  einem  Punkte  derselben 
wahrend  eines  Monats  in  jedem  Jahre  (von  Februar  15  bis 
Msirz  15  nach  altem  Style)  ertheilt. 

Das  auf  der  Granze  von  Asien  und  Europa  gelegene 
Permsche  Gouvernement  konnte,  vermoge  seiner  reichen  Hiilfs- 
quellen,  den  meisten  Bediirfnissen  eines  grofsen  Staates  ge* 
ndgen.  Es  werden  aus  demselben  und  auf  den  wasserreichen 
Flussen  welche  es  durchschneiden :  Holz,  Getraide,  Metalle. 
Salz,  Vieh,  Fische  und  noch  manche  andere  wichllge  Roh* 
produkte  mich  dem  Europaischen  Kussland  befordert.  Eine 
Verbesserung  der  Wege  im  Inneren  desselben  wiirde  seine 
lokalen  Industrien  mil  einander  in  Beriihrung  bringen  und 
durch  Austausch  der  Erzeugnisse  den  Wohlstand,  in  den  durch 
ihre  Naturanlagen  so  ausserst  verschiedenen  Theilen  dieser 
grofsen  Provinz  erhfihen.  Bis.  jelzl  sind  aber  noch  sehr  haufig 
einerlei  Gegensiande  in    dem   einen   Theile    d^s    Permschei^ 


Ueber  den  Jahrniarkt  zu  Irbit  im  Permtchen  Gouvernement.      113 

Gouvernements  unvergJeichlich  theurer  isi  als  in  anderen^  so 
namentlich  das  Getraide,  dessen  Preis  im  Tseherdyner  Kreise 
den  im  Schadriner  weit  iibertrifift.  Diese  Uebelstande  wttrden 
aber  noch  weit  starker  hervortreten,  wenn  ihnen  nicht  der 
Irbiter  Jahrmarkt  einigermafsen  und  so  viel  als  cs  die  jetzigen 
Communicationsmittel  erlauben,  abhulfe. 

Die  Zufuhr  zu  demselben  besteiit  doch  zu  einem  Sieben* 
tel  aus  Produkten  der  naher  gelegenen  Gegendeiii  die  fast 
voUstandig  in  dem  Permschen  Gouvernement  verbleiben. 

Die  folgenden  Zahlwerthe  welche  sich  auf  das  Jahr  1848 
beziehen,  werden  diese  dreifache  Bedeulung  des  in  Rede  ste- 
henden  Marktes  etwas  naher  veranschauliehen. 

1)  Von  Europaischen  und  Europaisch-Russischen  Waa* 
ren  wurden  zum  Verkauf  in  Sibirien  und  in  der  Umgegend 
des  Ural 

eingefuhrl  for  18556170  S.  R. 
ausgefuhrt  fur  14852396  S.  R. 

2)  von  iSbirischen  und  Asiatischen  Waaren^  zum  Verkauf 
im  Europaischen  Russland  wurden: 

eingefuhrt  fiir  8577644  S.  R. 
ausgefuhrt  fdr  8251203  S.  R. 

3)  von  ortlichen  Produkten  der  Umgegend  des  Ural,  zum 
Absatz  in  ^ibirien,  im  Europaischen  Russland  und  in  den 
nachstgelegnen  Kreisen  wurden 

eingefuhrt  fur  4016350  S.  R. 
ausgefiihrt  fiir  3798912  S.  R. 
In  dem  genannten  Jahre  konnte  man  ausserdem  und  wie 
gewohnUch,  die  eingefiifarten  Waaren  ihrer  Natur   und  ihrem 
Ursprunge  nach  unterscbeiden  in: 

I.  Rohprodukte  und  hauslicbe  Manufacte  aus  der  Um* 
gegend  und  aus  dem  Europaischen  Russland; 

II.  Erzeugnisse  Russischer  Fabriken  und  Hiittenwerke; 

III.  Colonialwaaren  und  auslandische  Fabrikate 
und  IV.    5ibiri8che  und  Asiatische  Erzeugnisse. 

Es  ist  daher  von  Interesse  zu  untersuchen,  in  welchem 
Verhaltniss  diese  yerschiedenen  Waaren-Kalegorien  nach  Irbik 

Ennans  Buss.  Archly.  Bd.  XI.  H.  4.  8 


114  Industrie  iind  Handel. 

kamen  und  wohin  sie  abgesetzl  vvurden.  Ueber  diese  beiden 
Punkle  geben  aber  die  foJgenden,  wiederum  auf  1848  beziig- 
lichen  Angabeo,  ziemlich  geniigenden  Aufscbluss. 

I.  An    Rohproduklen     und    hauslichen     Riissischen 

Manufacte  vvurden  eingeftihrt 
fur  4369970  S.  R. 
und  der  Absalz  derselben  erfolgle  vorzugsweise  in  die  nachst- 
gelegnen  Kreise  des  Permschen  und  Tobolsker  Gouvernements; 
cum  Theil  aber  aueh  nach  dem  Europaischen  Russland.  Es 
g^orlen  zu  dieser  Kategorie  namentlich:  Uralisches  Eisen 
und  Kupfer  in  Gansen,  gemeiner  Blatt-Taback,  getrocknete 
und  eingemachte  Friichte,  Terpenlinol,  Naphtha,  Leim,  Schafs- 
felle  zu  leichten  Pelzen,  Ziegen-  und  Pferde-Felle  zu  Pelzen, 
Bast-Matlen,  Daunen  und  andere  Federn,  aus  geschmolzener 
Talg,  Talg-,  Stearin*  und  Wachs-Kerzen,  Leinwand,  Hanf-Sa- 
men  und  Oel,  Schvveinsborslen,  Rohe  Rindshaule,  desgleichen 
gegerbte  und  Juften,  Bauern- Pferde,  Rindvieb,  Esswaren, 
Salz  und  Graupen-Mehl. 

II.  Von  Russischen  Fabrikaten  warden  eingefiihrl 

fiir  14647737  S.  R. 
Ihr  Absata  erfolgt  nach  iSibirien,  Taschkent  und  Bu*- 
charien,  und  es  gehoren  dahin  namentlich  Russische  Weine 
und  andere  Getranke,  Stoffe  aus  Seide,  Wolle,  BauinwoUe, 
Lein  u.  Hanf;  Spitzen,  platlirle  Waaren^  Handschuh,  Strilmpfe, 
Bander^  Hiile  und  Miitzen,  Schreibpapieri  Fertige  Kleider^ 
Lederwaaren,  verschi^dene  Tabacke  von  inliindischer  Berei- 
tungy  Pfeifen,  Pfeifenrohre,  Fabrikate  aus  papier  niache,  Uhren, 
Gefafte  aus  Poraelan^  Fayen9e,  Krystaliglas  iwd  gewohnlichem 
Glase;  Gegenstande  aus  polnischem  Silber,  andere  Gold-  und 
Silberwaaren,  so  \\\q  kupferney  eiserne,  blechne  und  holzerne; 
Biicher,  landschaftliche  und  andre  Malereien,  Kupferstiche^  mu- 
sikalische  Inslruniente^  Safian,  Droguerie-  und  Apothekerwaa- 
reov  Kinderspielzeug,  alie  Arten  von  Seifen,  verarbeitete  Edel- 
steine  und  Uraiische  Skulptursteiney  Teppiche  u.  a. 


Ueber  den  Jahrmarkl  zu  Irbit  ini  PermMhen  Gouverneoient.      115 

III.  Von  auslandischen   Fabrikalen^  Colonial-  und 
anderen    durch    Russland     transportirten    Waaren 

wurden  eingefiihrt 
fiir  3756803  S.  R. 
Der  Absatz  erfolgte  nach  Ost-  und  West-Sibirien  so  wie 
auch  in  die  Uralischen  Provinzen,  und  es  waren  darunter: 
Gewebe  und  andre  Luxusgegenslande  (?),  Zuckeri  Kase,  San* 
delholzy  Indigo,  Eingemachte  SacheUy  Provencer-  und  andres 
Olivenol,  Farben,  einige  Apolhekerivaareny  bleierne  und  zinnerne 
Gegenstande,  Benzoe,  Weihrauch  u.  a« 

IV.  Von  Asiatischen  und5ibirischen  Waaren  kameii 

nach  Irbit 
fiir  8577694  S.  R. 

Sie  wurden  nach  dem  Europaischen  Russland,  besonders 
aber  in  die  Umgegend  des  Urals  abgesetzt  und  es  waren 
darunter  am  bemerkenswerthesten  aus  iSlbirien  seibst:  Pelz* 
werk,  Honigy  Wachs,  iKbirische  Pferde; 

aus  China  durch  5ibirien:  Thee,  Seide,  seidene  Ge- 
w^ebe,  robes  und  verarbeitetes  Siiber,  Kleider,  kiinstlicbe  Blu- 
men  und  Farben; 

aus  Bucharien:  Kleider  und  andere  Gegenstande  aus 
Baumwollengarn,  Lammfelle,  Kameelhaar  und  daraus  bereitete 
Gegenstande,  so  wie  Decken  jixnd  Filz^  aus  SchaafwoUe  und 
aus  Pferde-  und  Rindshaaren. 

Auf  die  -Frage  nach  dem  gegenseiiigen  Verhallniss  der 
hier  unlerschiedenen  Waarenarten  auf  dem  Irbiter  Jahrmarkl, 
haben  wir  also  ein  sehr  entschiedenes  Vorherrschen  der  Rus^- 
sischen  Fabrikprodukte  hervorzuheben,  und  was  den  von  dort 
stattfindenden  Absatz  der  Waaren. betrifft,  so  zeigt  sich  5ibi- 
rien  ai«  bedeutendster  ConsumenI  fiir  alle  Gegenstande,  die 
iiberhaupt  nach  Irbit  gebracbt  werden. 

Versucht  man  demnacht  die  relative  Wichtigkeit  der  ein* 
zelnen  zu  Markt  gebrachten  Produkte,  d.  h.  den  Geldwertb 
derselben  genau  zu  beslimmen,  so  trifft  man  auf  manche  Hio* 
dernisse   welche  die  Abschalzung  des  Werlhes   der  einzelnen 

8* 


j[]g  Industrie  nnd  Handel. 

Waaren  sowohl  im  Ailgemeinen,  als  auch  in  den  verschiede- 
nen  Stadien  der  jedesmaligen  Geschaftszeit,  betriichtlich  er- 
schweren*.  Ks  scheint  daher  z weckinafsig ,  den  Schein  einer 
nicht  begriindeten  Genauigkeit  aufzugeben,  indem  wir  die  (bei 
dem  Zollaml)  deklarirlen  Werthe  nicht  vollstandig  miilheilen, 
sondern  vielmehr  Durchschnitts-  und  Nahrungs werthe  welche 
sich  ihnen  anschliefsen. 

Es  folgen  •  somit  bier   die   Veraeichnisse  von  Waaren   fiir 
welehe  der  Werth  einer  jeden  beirug 

1)  zwischen  1000  und  10000  S.  R. 

Wohlriechende  Oele,  andere  Parfiimer^n,  Pomaden,  Er- 
fordernisse  zum  Rauchen  und  Schnupfen,  Naphtha,  Terpen- 
tinol,  Leim,  Wachs,  Honig,  Baumol,  Leinol,  Butter,  Ziegen- 
wolle,  SchafwoUe,  Daunen  und  Federn,  Seife,  Kinderspielzeug, 
Filzdecken,  Bauernpferde,  Gegenstande  aus  Bast. 
2)  zwischen  10000  und  100000  S.  R. 

Pferde  aus  Gestiiten  oder  aus  den  5Jbirischen  Steppen, 
Kameelhaar  und  Fabrikate  aus  demselben,  Lammfelle,  Asia- 
tische  Baumwollenzeuge,  Asialische  Seidenzeuge ,  Chinesische 
Silberwaaren ,  Chinesisches  Porzelan  und  kiinstliche  Blumen^ 
Benzoe,  Zinn,  Blei,  Provenceroi,  Sandelholz,  Cafe,  Schweins 
borsten,  ausgelassener  Talg,  Mobei,  Wagen  und  Koffer,  Holz- 
gefafse,  Talglichte,  Stearin-  nnd  Wachs-Lichl,  Heiligen-  und 
andere  Bilder,  Biicher,  Landkarten  und  Kupferstiche,  Musika- 
lische  Instrumente,  Polnisches  Silber,  Inliindische  Erforder- 
nisse  zum  Tabackrauchen,  gemeinen  Inlandischen  Blatt-Taback, 
Modewaaren,  Hiite  und  Uniformstiicke,  leinene  und  hanfene 
Fabrikate,  Spilzen  und  feine  Gewebe. 

3)  zwischen  100000  und  500000  S.  R. 

Schreibpapier,  verschiedene  Uhren,  Kupfer  und  kupierne 
Waaren,  Eisen  und  eiserne  Waaren,  Galanteriewaaren,  optische 
und  chirurgische  Instrumente,  Friichte,  Eingemachtes  und  ahn* 
liche  Esswaaren,  Droguerie-  und  Apothekerwaren  (aus  Russ- 
land),  unverarbeiletes  Leder,  auslandische  Seidenwaaren,  des*. 
gleichen  wollene  und  baumwollcne  Waaren,  Indigo,  Ruai  und 
andere  auslandische  Gelranke. 


Ueber  den  Jaiirinarkt  zu  Irbit  iiii  PermBolien  GouTernement.      117 

4)  von  500000  bis  zu  1000000  S.  R.     . 

Gegensiande  von  Porzelan*  Fayence-  Glag-  und  Spiegel* 
glas  *),  Safian*  und  andere  Leder-Waaren,  Gold*  und  Silber- 
Waaren, 
5)  von  1000000  bis  zu  4000000  S.  R.  und  noch  etwas  mehr. 

Thee,  Zucker,  Pelzwerk,  Russische.  Manufakturwaaren 
wie  seidene,  woliene  und  baumwolJene  Gewebe  u.  dergL, 
Weine  und  Branntweine.  — 

Dieselben  Verhaltnisse  gelten  auch  sehr  nahe  fiir  den 
Verkauf  derselben  VVaarenkiassen ,  denn  es  wurden  z.  B.  im 
Jahre  1848  sowohl  durchschniUHcb  als  auch  von  den  meisten 
derselben  4-  ^^^  Eingefuhrten  verkauft.  Ausgenommen  waren 
vorzuglich  der  Zueker,  weleher  vollstandig  abgesetzt  wurde 
und  das  Pelzwerk  das  in  jenera  Jahre  weniger  begehrt  war 
als  gewohnlich. 

Auch  dieser  Theil  unsrer  etwas  trocknen  Zusammenstel- 
lung  beweist  also  dafs  Russiscbe  Manufaclurwaaren,  Thee, 
Pelzwerk  y  Zucker  und  Weine  die  erste  Stelle  in  dem  Irbiter 
Handel  einnehmen. 

Ibrer  Wiehligkeit  nach  sind  die  zvveiten,  die  auslandischen 
Manufaciurwaaren ,  die  Lederwaaren,  die  Metallwaaren  und 
die  Galanteriewaaren.  Alle  iibrigen  Gegenstlinde  spielen  nur 
eine  untergeordnete  Rolle  auf  dem  Irbiter  Markte.  Es  sind 
mithin  Luxus-Gegenstande  die  denselben  vorzugsweise  erhal- 
ten  und  zwar  nsit  'Sibirischen  Capitalien  eingekaufte.  In  frti- 
heren  Zeilen  war  es  grade  entgegengesetzl,  indem  der  Irbiter 
Handel  den  5ibiriern  Europiischen  Gelder  fiir  die  von  ibnen 
gelieferten  Pelzwaaren  zufiihrle.  Die  Aenderung  dieses  Ver- 
hSltnisses  ist  eine  sehr  nahe  liegende  Polge  der  Goldgewin- 
nungy  die  ungeheure  Capitalien  nach  ^ibirien  fiihrt  und  deren 
Verwendung  nach  Anforderungen  des  steigenden  Luxas  ver- 
anlasst. 


*)  Im  Rassisctien  sind  die  Namen  dieser  Prodakte  sogar  diircb  Kommata 
gatrennt,  so  dafs  man  za  scbliefsen  baUe  dafs  vor  jedem  d«rselbeiv 
for  600000  bis  1000000  S.  R.  nach  Irbit  kiime  I !         D.  Uebers. 


llg  Industrie  Und  HandeL 

Wir  woHen  nurr  einrge  im  Jahre  1848  gemachle  Bemer- 
kungen  iiber  die  einzelnen  Waaren  und  iiber  die  Art  ihres 
Verkanfes  mittheilen: 

DerThee  war  etwas  theurer  als  im  nachst  vorhergehen- 
den  Jahre.  Die  verschiedenen  Arten  von  Blumenthee  war- 
den zu  120  S.  R.  die  halbe  Pferdladang  (mjesio)  von  80Rus- 
sischen  Pfunden  und  die  schwarzen  und  gemischten  Sorten 
nicht  weniger  als  110  bis  115  S.  R.  die  halbe  Pferdeladung 
verkauft.  —  Dieae  PreiserhBhungen  erfolgten  wegen  langsa- 
mer  Auseinandersetzung  mit  den  Chinesen  in  Kjachta.  Es 
wurden  iibrigens  wie  gew5hnlich  der  Blumenthee  ins  Innere 
de6  Europaischen  Russiands,  und  die  nachst  niederen  Sorten 
vorsugsweise  in  das  Permische,  das  Orenburger  und  das  To- 
bolsker  Gouvern.  gebracht  I>er  sogenannte  Ziegelthee  wurde 
ganzlich  fiir  Astrachan  aufgekaufl  (zu  35  S.  R.  fiir  die  halbe 
Ladung)  und  dahin  abgesandt 

Unter  dem  allgemeinen  Namen  Rauehwerk  (Ruchljadj) 
werden  hier  alle  verarbeitete  und  unverarbeitete  Felle  von 
Pelzthieren  verstanden;  unter  Fellen  (mjechi)  aber  nur  ver- 
arbeitete derselben  Art.  In  dem  mehrgenannten  Jahre  (1848) 
ging  der  Rauehwerkhandel  schleeht,  so  dafs  er  den  schlech- 
testen  Theil  des  Marktverkehrs  ausmachte.  Von  verarbeiteten 
Fellen  wurden  nur  fiir  50000  S.  R.  verkauft  und  das  iibrige 
Pelzwerk,  d.  h.  die  unverarbeiteten  ZobeU,  Fuchs-,  Eich- 
hom-,  Marder-,  Polarfuchs*  und  anderen  Felle,  fanden  noch 
langsamem  Absdtz.  Der  Grund  davon  lag  in  den  hohen  Ein* 
kaufspreisen,  die  man  in  Sibirien  bewilligt  hatte  und  von  die- 
sen  wiederum  in  dem  ausserordentlich  vorlheilhaften  Pelz- 
handel  der  zu  Nijnei-Nowgorod  im  Jahre  1847  stalt  fand. 
Von  diesem  batten  die  Abirischen  Jager  gehdrt  und  hielten 
ihre'  Waaren  zuriick  bis  dafs  die  Sibirischen  Kaufleute,  in 
der  HofTnung  auf  Wiederholung  eines  so  vorlheilhaften  Ab* 
satzesy  ihnen  ungewohniiche  Preise  bewilligten. 

Der  Zuckerhandel  war  ausserst  giinstig.  Die  in  3000 
Fassern  bestehende  gesammte  Zufuhr  wurde  gieich  zu  Anfang 
des  Marktes  aus  erster  Hand  verkauft;   so  dafs  gegen  Ende 


Ueber  den  Jahrmarkt  za  Irbit  im  P«riiifehen  Gouvernement.     119 

des  Marktes  viele  Verkatife  aus  sweiier  und  sogar  aus  driller 
Hand  vorkamen.    Die  Preise  waren  daber  niclii  UeCa  im  al^- 
gemeinen   hoher  als   in  friiheren  Jahren,   aondern  auch  be- 
(rachtlioh   verschieden    wahrend   der  MarkUeit     Man  kaulie 
anfangs  das  Pud  Zucker  far  12  S.  R.  wahrend  gegen   dasr 
Ende  14  S.  R.  und  sogar  noch  mehr  fur  dasselbe  geforderb 
warden^  Diese  Preke  waren  jedoch  keiueswegs  hoch  im  Ver* 
gleich  mit  den  Peiersburgern,  die  bu  Ende  des  Jahres  sogar 
hoher  als  auf  12  S.  R.  fiir  das  Pud  sliegen  und  es  kam  do*> 
her  dab  man  im  Tobolsker  und  Jeni«eisker  GouverneiiieDt» 
selbst  mit  Einschluss  der  Transporlkosten,  den  Zucker  nichfe 
um   vieles   Iheurer  als   in  Petersburg  besahlte,    Der  bedeu*^ 
tendsie  AbsaU  von  diesem  Artikel  erfolgle  in  die  iSibirischeii' 
Gouvernements,  ein  mittelmafsiger  in  die  Umgegend  des  Uraii 
und  ein  ausserst   geringer   (von  nicht  uber  100  Pud)   nach 
Bucharien.    Die  Kaufleute  Pljeschanow,  Medwiedkow, 
Kra^ilnikow,   iSjedeljnikow  u.  a.    betheiligten   aich    am 
meisien  bei  dem  Irbiter  Zuckerhandel  des  genamiien  Jahrea, 
Rassisohe  Manufakturwaaren  bildeten  1848  so  wie 
gevvohnlicb  den  Hauptgegensland   des  Verkehres.     Ihre  Be*^ 
schaffenheit  is(  allgemein  bekannt    Im  EuropSiscben-Russland 
ertragen  sie  nicht  die   Concurrenz  mit  gleichartigenauslan- 
dischen  Produkten,   und  da  sie  desfaalb  durchweg  iMcb  i^ibi-» 
rien  vertrieben  werden,  so  haben  sich  die  dortigen  und  die 
Asiatischen  Consumenten  gewohnt,  sie  fiir  geniigend  zu  er- 
klaren.    In  dieser  Besiehung  war  nameutlich  der  Handel  mil 
Tuehen  von  mittlerer  Gute.  bemerkenswerlh,   demoachst  der 
mit  seidnen,  halbseidnen  und  bauinwollnen  SCofTen,  welchen 
die  Moskauer  Kaufleute  Tsehijow,  Remesow  und  IIAau« 
repraaentirten ,   so    wie   aucb    der  Rigaer  Liitsch  &  Comp. 
Die  von  Malyzow   und  Ratschkin  eingefuhrlen  Fayen^e 
und  Glasgeschirre  wurden  fast  vollstandig  nach  dem  dstlicheH 
Sibirien  verkauft,    wo   man  dergleichen   in  Menge   bedurfte^^ 
Ein  von  Ljalin  eroffnetes  Gewoibe  mit  Kupfer-  (oder  Mes- 
sing-) und  Slahlwaaren  war  stets  mit  Besuchern  gefiiUt.   Der 
Glanz  desaelben  der  durch  eine  ungeheure  Menge  von  Kron* 


]20  Indastrie  and  Handel. 

leuchiern  und  Hangelampen  erhoht  war,  lockte  die  iirmere 
Bevolkerung  und  besonders  die  Asiatischen  Gaste.  Ebenso 
scbnell  wurden  auch  die  Galanteriewaaren  und  die  iibrigen 
Artikel  der  Moskauer  Kaufleule  Koinilow  und  5irotinin 
und  der  Kasaner  Uryemin,  Antonow  und  Koroljkow 
abgesetzt 

Die  Uhrmacherarbeiten  des  Kaufmanns  Focht  aus 
Tawastohus'zeichneten  sich  weder  durch  ihreOiite  aus,  noch 
durch  Schnelligkeit  des  Absalzes,  und  ebenso  war  der  Irbiter 
Jahrmarkt  aueh  an  Wagen  undMobeIn  ziemlich  arm.  Aus- 
landische  Wagen  gab  es  daselbst  in  diesem  Jahre  durchaus 
nicht  und  bisher  auch  noch  nie,  und  man  findel  anslatt  ihrer 
nur  eine  geringe  Zahl  von  schlechtem  Bauwerk  welches  ge* 
wisse  Meister  zu  Jekatrinburg  und  bei  den  Uralischen  Hiitlen 
in  ihren  Hausern  anfertigen. 

Genahle  Lederwaaren  welche  theils  aus  Kasan, 
theils  aus  Kungur,  einer .  Kreiastadt  des  Permschen  Gouver- 
nementSy  nach  Irbit  gelieferl  werden,  spiellen  hier  dieselbe 
RoUe  wie  die  ahnlichen  die  die  Bewohner  des  Dorfes  Kimry 
nach  Nijnei-Nowgorod  liefern.  Der  Handel  mil  denselben 
war  ausserst  belebt. 

Unter  den  bedeutungsvoUsten  Gegenstiinden  des  in  Rede 
stehenden  Handels  sind  endlich  die  Weine  zu  nennen.  Es 
ist  bekannt  dafs  Nijnei-Nowgorod  eine  ungeheuere  Quantitat 
des  sogenannten  Ki«Ijarer  Tschichir*)  zu  1  Rubel  fiir  das 
Wedro  verkauft  und  von  dort  nach  Moskau  und  Jarotlaw 
,,zur  Anfertigung  Franzdsischer  und  Spanischer  Weine''  ver- 
sandt  wird.  Dergleichen  Fjanzosische  und  Spanische  Ge- 
wachse,  mil  ungewohnlich  bunten  Etikelten,  mil  achtem  Ver- 
sehlusse  aus  Zinnfolie  und  sogar  mit  goldnen  Stempeln  auf 
den  Flaschen,  erscheinen  nun  auf  dem  Irbiter  Markte.  An- 
dererseits  wird  daselbst  auch  der  Nachfrage  nach  den  mous* 
sirenden  Vorzugen   des   in  5ibirien  so    genannten  Klik,    mit 


*  Nach  Irbit  kommen  daron  nicht  weniger  als  50000  Wedra. 

D.  Verf. 


Ueber  den  Jahrmarkt  zn-  Irbil  im  Pemueheii  GoaTernetMnt.     121 

Grusischen,  Donischen  und  Krymschen  Erzeugnissen  genugt 
Dergleichen  Weine  werden  unler  dem  Namen  und  mil  den 
stets  achten  Stemen  derWittwe  Cliquoi  bis  auf  den  leiclen 
Tropten  nach  5ibirien  versandt  oder  auf  dem  Jahrmarkt  ge- 
trunken.  Ohne  weitere  Haisonnements  uber  diesen  Handels- 
zweig  sagen  wir  unsern  Lesern  nur  1)  dafe  1848  von  solchen 
Weinen  ftir  mehr  als  2000000  Silb.  Rub.  verkauft  uird  2) 
dafs  fiir  eine  Fiasche  Klik  am  Orte  selbst,  d.  h.  in  Irbit  nicht 
weniger  als  5  S.  und  in  ^ibirien  5  bis  7  und  sogar  8  R.  S. 
gezahlt  wurde.  Man  kann  hiernach  die  Beschaffenheit  und 
die  Vorlheile  des  hiesigen  Weinhandels  beurtHeilen! 

Zu  den  Gegenstanden  zweiten  Ranges  gehorten  auf  dem 
Irbiter  Markt  im  Jahre  1848  (wie  schon  gesagl)  die  auslandi* 
schen  Manufaklurprodukle,  einige  Asialische  Waaren  und  le- 
derne  Gegenstande.  Unter  den  ersteren,  deren  Giite  allgemein 
bekannt  ist,  waren  vorziiglich  Galanterie-  und  Modewaaren, 
ein  Theil  der  Drogueriewaaren  u.  m.  a.  Zu  den  Asiatischen 
Produkten  gehorten  ausser  Thee  vorziiglich  Seidenzeuge  und 
namenUich  Kanaus  (sic!),  Fansa  und  Mowa;  demnachst 
aber  auch  Teppiche,  Farben,  kiinstliche  Blumen  (von  seltsa* 
mer  Beschaffenheil)  Porzelan  in  geringer  Menge,  Filze  und 
andere  Produkte  aus  Kameelhaar  und  anderen  Wollen. 

Ungenahte  Lederwaaren  kamen  aus  Kasan^  Kungur  und 
Tjumen  und  wurden  aufs  beste  verkauft.  Von  schvvarzen 
Ledern  iiefert  Kungur  preiswiirdigeres  als  Kasan,  wegen  der 
Wohlfeiiheit  des  dazu  nothigen  Garbematerials  an  ersterem 
Orte.  Als  Sohlleder  wird  aber  dasKasaner  vdrgezogen.  Das 
Tjumener  Erzeugniss  ist  geringer  als  beide  eben  genannten 
und  wird  daher  auch  urn  zehn  Prozent  niedriger  als  das  von 
Kungur  bezahll. 

Von  der  drilten  oder  niedrigsten  Abtheilung  der  Irbiter 
Waaren  sind  erwahnenswerth: 

Der  Talg,  von  dem  auf  diesem  Markle  in  gewdhnlichen 
Jahren  fur  400000  S.  R.  verkauft  wird.  1848  wurde  jedoch 
davon  nqr  fiir  300000  S.  R.  eingefiihrt.  Dieses  ungewohn- 
liche   Verhaltniss  erklarte  sich  durch  ein  Steigen  der  Preise 


122  Industrie  and  HandeL 

in  Petersburg  in  Folge  deren  im  vorhergefaenden  Herbsle  fast 
aller  im  Permschen  Gouvernement  vorhandene  Talg  aufgekauft 
und  darauf  nun  die  geringen  Ruckstande  nach  Irbtt  gebrachi 
warden. 

Oer  Handel  mil  Uraiischen  Metallen  und  namentlich  mil 
Eisen  und  Kupfer,  betraf  vorziiglich  daraus  geschmiedele  Ge* 
genstande  und  nur  wenig  Blecbe  oder  Bander;  auch  ist  im 
Allgemeinen  dieser  Theil  des  Marktverkehrs  von  geringer  Be- 
deutung  und  so,  dass  1848  im  Ganzen  nur  2000(X)  Pud  Metail* 
waren  abgesetzt  wurden. 

Der  eigenilieh  nicht  zum  Grofshandel  gehorige,  und  in 
die  Schalzung  des  Marktverkehres  nicht  mit  aufgenommene 
Verkauf  von  Lebensmitteln,  wie  Saiz,  Brod,  Fische,  Caviar, 
Fleiffch,  Wildprett,  Geflugel  u.  dergl.  ist  doch  keineswegs  un- 
belrachtlich,  denn  er  belief  sich  im  Jahre  1648  auf  mehr  als 
2000000  S.  R. 

Einige  andere  Artikel  sind  dagegen  nicbi  sowohl  ihrem 
Werthe  nach,  als  durch  die  ausserordentlicbe  Grofee  des  Raumes 
bemerkenswerth  den  sie  zu  Irbit  einnehmen.  So  namentlich  die 
Koffer^  Prasentirteller  von  Eisenblech  und  der  Lindenbast  n^bst 
den  aus  denselben  geflochtenen  Matten.  Die  lakirten  Prasen- 
tirleller  sind  ein  Produkt  der  Hiiltenwerke  von  Nijnei-Tagilsk 
im  Permschen  Gouvernement  *).  Eine  ungeheure  Anzahl  der- 
selben  wird  nach  Irbit  gebracht  und  sie  spielen  auch  auf  dem 
Ni/nei-Nowgoroder  Markte  eine  bedeutende  Rolle.  MitBlech 
beschlagene  Koffer  von  verscbiedenen  Dimensionen  und  Far* 
ben,  werden  aus  dem  Newjansker  Werke  bierhergebracht  *')^ 
Sie  gehen  voriiiglich  nach  Bucharien,  Persien  und  zu  den  no- 
madischen  Kirgisen.     Auch    von    ihnen  kommt  jafarlich  eine 

*)  An  der  Osteeite  des  Oral  bei  57"  54'  36''  Breite 

57°  32'  50"  O.  V.  Par. 
828  Par.  F.  iiber  dem  Meere. 
Vergl.  iiber  diesen  Ort  and  die  oben  genannte  Fabrikation  Krnian^s 
Reise  urn  die  Erde  Abthl.  I.  Bd.  1.   S.  122;   Abthl.  II.   Bd.  1.  S.  259, 
364  n.  f.  Anm.  d.  Uebers. 

*')  Vergl.  a.  a.  O.  Abtbl.  I.  S.  125.  Anm.  d.  Uebers. 


Ueber  den  Jahrmarkt  za  Irbit  im  Permschen  GoaTernement.     123 

ungeheure  Menge  nach  Ni;nei«Nowgorod,   wo  sie'init  den 

Koifern  von  Lyskowo  *)  welteifern.    Diese  leUieren  ubertreffen 

die  Newjansker  Koffer  an  Wohlfeiiheit,  bleiben  aber  an  Zier- 

lichkeit  und  Festigkeit  betrachtlich  hinter  denselben  zuriick.  — 

Von   Bastwaaren    welche,   wie   gesagt,   einen   betrachllichen 

Raum  auf  dem  Irbiter  Marktplatze  einnehmen,   wird  daseibst 

dennoch  nur  fur  4000  S.  R.  verkauft.    Sie  kommen  ron  Tu- 

rinsk  und  Tagilsk.    Eine  viel  grdrsere  Menge  derselben  wird 

aber  nach  Tjumen  gefiihrt.  —  Als  ein  lokales  Erzeugniss  lind 

auch  noch  die  Tjumemer  Teppiche  erwahnenswerth,  obgleich 

sie  im  Uebrigen  nicht  eben  werthvoll  zu  nennen  sind. 

Fragt  man  naher  nach  der  Art  und  Weise,  wie  zu 
Irbit  fiir  die  verschiedenartigsten  Bediirfnisse  eines  unge- 
heuren  Landstriches  jedesmai  auf  die  Dauer  eines  ganzen 
Jahres  gesorgt  wird,  so  ist  zunachst  jede  VorsteUung  von 
einem  ordnungsmasstgen  kaufmannischen  GeschSfte,  selbst  in 
Bezug  auf  die  bedeutendsten  Handler  jenes  Platzes  zu  entfer* 
nen.  Es  werden  viehnehr  uirgends  anders  so  wie  an  demsel- 
ben,  die  Geschafte  mit  riickhaltslosesten  Zutrauen,  mit  aus* 
serster  Schnelligkeit  und  mit  einer  Sorglosigkeit  abgemacht, 
die  nur  fiir  denjenigen  verstandlich  ist  der  auch  in  anderen 
Beziehungen  die  eigenthiimliche  Weitherzigkeit  des  Russischen 
Volkscharaklers  (schirokuju  ruMkuju  naturu)  kennen  gelernt 
hat.  Man  sieht  hier  den  ungeheueren  Umsatz  fast  durch  sich 
selbst  und  ohne  ausseres  Dazuthun  volkogen  und  dennoch 
biiiht  der  Handel,  Banquerotte  sind  gradezu  unerhort  und  die 
Bedeutung  der  Messe  steigt  mit  jedem  Jahre.  —  Wir  wollen 
unsere  Schilderung  dieser  Verhaltniste  mit  einiger  Ordnung 
vollziehen. 

Irbit  eines  der  ostlichsten  Stadtchen  des  Permschen  Gou- 
vernements,  liegt  tUngs  der  Ufer  des  kleinen  uiit  ihm  gleich- 
namigen  Fliisschen,  welches  sich  in  die  Niza  ergiefst.     Von 


*)  Lyskowo  ist  eine  Bfsitzung  des  sogenannten  Grosischen  Piirsten  in 
dem  Goavernement  und  dem  Kreise  von  Ni|nei-Nowgorod. 

Anm.  d.  Verf. 


124  Indastrie  und  Handel. 

schiffbaren  Fliissen  ist  es  betrachtlich  enlferni,  namentlich  aber 
um  50  Werst  von  der  Tura,  dem  nachsten  derselben  —  und 
es  wird  somit  fiir  den  Empfang  und  die  Absendung  von 
Waaren  durch  keinerlei  Wasserlransport  begiinstigt  So  konnte 
denn  auch  die  Auswahl  dieses  Ortes  zur  Abhaltung  einer 
grofsartigen  Messe  nicht  anders  erfolgen  als:  1)  durch  einen 
Zufall  aus  dein  alimahiig  eine  Gewohnheit  enlsprang;  und  so- 
dann  2)  durch  die  Nothwendigkeil  dafs  der  VVaaren-Austausch 
zwischen  iSibirien  und  dem  Europaischen  Russland  an  einem 
Punkte  erfolge  der,  wie  Irbit,  rechl  an  der  Granze  dieser  bei- 
den  Lander  iiege.  Gieichzeitig  mit  dieser  Wahl  entstand  auch 
als  dritte  Bedingung  fiir  die  Moglichkeii  des  in  R^de  stehen- 
den  Marktes  dessen  Verlegung  in  den  Winter,  als  der  einzi- 
gen  Jahreszeit,  in  der  die  Zufuhr  und  der  weitere  Transport 
der  Waaren  durch  die  Schlittenbahn  ermoglicht  wird.  Die 
Abhahung  des  Irbiter  Marktes  in  der  jetzf  ublichen  Jahreszeit 
begiinstigt  ausserdem  dessen  Beziehung  zu  der  Nijnei-Now- 
goroder  Messe,  welche  ganz  im  Gegensatz  auf  die  Schifffahrt 
basirt  und  daher  nothwendig  an  ihren  jetzt  ublichen  Termin 
gebunden  ist,  —  Manche  Eigenthumhchkeiten  welche  die  in 
Rede  stehende  Messe  als  ein  Wintermarkt  an  sich  tragt, 
sind  demuach  auf  eine  nothwendige  Weise  mit  ihr  verbunden. 
Im  iibrigen  unierscheidet  sie  sich  von  mehreren  andem  Bus- 
sischen  Markten  durch  das  Uebergewicht  des  Grofshandeis 
iiber  den  Kramhandei.  Eben  dadurch  entstehen  zwischen  ihr 
und  der  Nijnei-Nowgoroder  Messe  manche  Verbindungen  und 
Uebereinstimmungen.  So  werden  z.  B.  in  Irbit  viele  Waaren 
aus  ^Sibirien  mit  der  Be4ingung  gekauft,  sie  zur  Marktzeit  nach 
Ni/nei-Nowgorod  zu  bringen  und  sie  gerafhen  dann,  damit 
eine  nochmalige  Verpackung  vermieden  werde,  Bailen-,  Fuh- 
ren-  oder  Pferdeladungenweise  in  eine  zweite  Hand.  Gewisse 
aus  Russland  eingefuhrte  Gegenstande,  zu  deren  Uebernahme 
die  iSibirischen  Handler  ihreAgenten  nach  Irbit  schicken^  wie 
z.  B.  die  Colonial-  und  Manufaklurwaaren^  kommen  direkt 
von  der  Nijnei-Nowgoroder  Messe.  Diese  Art  von  Verbin- 
dung    beider  Markte    ist    jedoch    minder    bedeutungsvoll  als 


Ueber  den  Jahrmarkt  zu  Irbit  im  Permschen  Goarernement.       125 

der  Umsland,  dafs  ein  grofser  Theii  des  dortigen  Handels  aiif 
der  Verschiedenheil  der  Preise  begrundet  isl,  die  man  an  bei- 
den  Plalzen  fur  einerlei  Produkt  bewilligt.  Da  es  nun  aus- 
serdem  zu  grofsem  Theil  dieselben  Personen  sind  welche  beide 
besuchen,  so  werden  viele  Geschafte,  durch  Uebertragung  der 
Zahlungen  der  Lieferungen  und  anderweitiger  Leistungen,  von 
dem  Termine  des  einen  Markles  auf  den  nachstfolgenden  des 
anderen,  abgemacht. 

Da  der  ungeheure  Zusammenfluss  der  Waaren  zu  Ni/nei* 
Nowgorod  erst  itn  Juli  und  August  erfolgt,  so  kann  auch  der 
Thee,  den  man  im  Februar  in  Irbif  gekauft  hat,  noch  zu  rech- 
ter  Zeit  daselbst  eintreffen.  Zu  Anfang  des  Februar  (nach 
altem  Style)  regl  sich  plotzlich  in  dem  zu  beiden  Seiten  an 
den  Ural  granzenden  Provinzen  eine  ganz  ungewdhnliche  Tha- 
tigkeit.  Man  sieht  bei  irbit  unzahlige  Schlitten  von  alien  Sei- 
ten her,  hinter  den  Schneewallen  der  ausgefahrenen  VVege, 
auflauchen.  Die  kleine  Stadt  gewinnt  ein  grofsartiges,  festli- 
ches  Ansehn  und  anstatt  ihrer  gewdhnlichen  2000  Bewohner, 
eine  Bevolkerung  von  gegen  67000  Menschen.  Yonder  einen 
Seile  slromen  in  dieselbe  Vorrathe  von  Weinen,  Zucker  und 
Kleidungsstoffe  fiir  viele  Millionen  —  von  der  anderen  aber 
unabsehbare  Caravanen  welche  Felle,  Thee  und  Peize  bringen. 
Von  der  einen  iSeite  versammeln  sich  an  diesem  Orte  viele 
Leute  mit  Waaren  und  voll  Hoffnungen,  um  Geld  zu  holen; 
von  der  anderen  eben  so  viele  voll  Hoffnungen  und  mit  Gel- 
dern,  um  Waaren  zu  erhalten.  Viele  kommen  auch  ohne  Geld 
und  ohne  Waaren,  nur  mit  Hoffnungen  hinlanglich  ausgestat* 
tet.  Sie  entnehmen  Waaren  auf  ihr  Wort,  verkaufen  sie 
zur  Stelle  im  Kleinen,  aber  mit  Gewinn;  geniigen  dann  dem 
bewilligten  Credite  (der  hier  im  Allgemeinen  von  ungewohn- 
lichem  Umfang  ist)  und  verlassen  den  Markt  mit  dem  Rein- 
gewinn  welchen  sie  ihrer  erfindungsreichen  Unternehmungs- 
lust  verdanken.  Kaufieute,  Hiittenbesilzer,  Goldwascher, 
Syrjanen,  Taschkenter,  Kirgisen  spekuhren  und  verdienen  um 
die  Wette  und  nirgends  sieht  man  ein  miifsiges  Gesicht,  wie 
etwa  von  einem  Besucher,  der  sich  mit  dem  blofsen  Anbhck 


126  InduBtrio  and  Handel. 

der  bunten  Bewegung  begnugen  wollte.  Der  Armjak  oder 
Jergak")  und  der  lange  Ueberrock,  der  dein  Russischen  Kauf- 
mann  eigenlhumlich  und  mil  einem  heJtgelben  Fuchspeize  un- 
zertrennlich  verbunden  ist,  niischen  sich  mil  den  Trachten  des 
iSibirischen  Volkes  und  der  entlegeneh  Asiatischen  Stamme, 
und  Uberwiegen  iiber  dieselben. 

Noch  hat  man  ubrigens  die  Flagge  auf  dem  Thurme  des 
Kaufhotes  nicht  entfaltet  und  niithin  den  Markt  noch  nicht  be- 
gonnen.  Das  gesammte  Gewuhl  riihrt  vielmehr  nur  noch  von 
dem  Unterbringen  der  Leute,  Waaren  und  Pf%rde,  in  den 
Hausern,  Magazinen,  Verschiagen  und  umzaumlen  Platzen  die 
den  Kaufhof  umgeben,  d.  h.  ein  grofses  steinernes  Bauwerk^ 
dessen  vier  Facaden  noch  mehrere  unier  besonderen  Beda- 
chungen  gelegene  Buden-Viertel  unischHefsen. 

Die  Magazine  in  dem  Kaufhof,  die  Buden  in  den  Hausem 
der  bleibenden  Bevolkerung  und  unzahJige  freislebende  Buden 
(Balagany),  waren  schon  seit  dem  vorigen  Jahre  gemieihet, 
aber  dies  alles  fand  sich  bei  weitem  nicht  hinreichend.  In  den 
Slrafsen  die  sich  aus  Reihen  von  Reise-  und  Lastschlitten  und 
von  Telegen  mit  aufgehobenen  Zugstangen  gebildet  batten, 
entstanden  nun  ungeheure  Haufen  von  denjenigen  Waaren, 
denen  die  Witterung  nicht  schaden  konnte  und  ein  larmendes 
und  buntes  Gewirre  der  dabei  beschaftigten  IVlenschen.  Diese 
betriebsame  VersammJung  wurde  immer  dichter  gedrangt, 
durch  den  Zuzug  der  taglich  vor  Sonnenaufgang  begann  und 
bis  in  die  Nachtstunden  dauerle. 

Dennoch  ist  der  Markt  noch  immer  nicht  eroGTnet,  es  er- 
folgten  nur  Abschliisse  iiber  Kaufe  und  Verkaufe  im  Grofsen. 
Ueber  den  Ausfali  des  Grofs-Handels  wird  hinter  Champagner- 
kisten  entschieden,  wahrend  man  noch  auf  den  offiziellen  An-* 
fang  der  Messe  wartet  und  sich  die  im  Marz  eintretende  Un- 
zuverlassigkeit  der  Schlittenbahn  beschreiben  lasst. 

So   kommt  denn  auch  endlich  der  15.  Februar  und  die 


*)  Ein  Tatarischet  Oberkleid  aos  bebaartem  Pferdefell. 

Anm.  d.  Uebera. 


Ueber  den  Jahrmarkt  an  Irbit  im  Permschen  Gouvernement      J  27 

Enifaltung  der  Flagge,  auf  welche  die  Beendigung  alter  wich* 
ligeren  Geschafte  niit  reissender  SchneUigkeit  folgt.  In  weni- 
gen  Tagen  warden  die  meisten  Waaren  ausgeboten^  gekauft, 
von  neuero  auf  Sehlitten  verladen  und  abgeferiigt/  Iheils  nach 
dem  fernsten  Sbirischen  Oslen,  theils  in  die  innern  Russischen 
Provinzen.  Das  Haupiinteresse  fiir  den  Jahrinarkt  isi  geschwun* 
den,  er  behalt  fast  nur  als  Denkmal  noch  eine  BedeuUmg.  Die 
Bewegung  und  zwar  eine  noch  weit  sichtbarere  als  bisher, 
bezieht  sich  nur  noch  auf  den  Kleinhandel  und  auf  die  Waa- 
ren von  zweitem  Range. 

Fiir  die  Koryphaen  des  Marktes  beginnt  dagegea  nun  die 
Periode  des  Genusses  an  den  neu  erworbenen  Giilern.  Der 
Champagner  wird  das  Wappen,  der  Wahlspruch  und  das  Er« 
kennungszeichen  fur  die  hoheren  Schichten  der  Anwesenden. 

Das  Theater  der  Truppe  des  Herrn  5oko]ow  (einer  der 
besten  Privatgesellschaften  in  Russland)  die  schon  seit  mehre* 
ren  Jahren  aus  Jekalrinbung  hierher  kommt,  die  Wirthshau- 
ser,  die  gymnasiisehen  Schauplatze,  sind  zum  Erdriicken  ge- 
fiillt  und  Wein,  Gold  und  Leben  stromen  mafslos  nach  alien 
Seiien. 

lui  Jabre  1848  erfolgten  alie  Bezahlungen  und  anderwei- 
tigen  Geschafte  auf  dem  Irbiter  Markie  sovvohl  schnell  als  auch 
in  jeder  Beziehung  befriedigend.  Die  Hulfe  der  Jekatrinburger 
Abtbeilung  der  Handelsbank  bewahrte  sich  als  ausserst  wohl* 
thalig  und  ausserdem  trugen  auch  die  Besorgnisse  der  fremden 
Kaufleute  vor  der  in  diesem  Jahre  ungewbhnlich  friihen  Ver- 
derbniss  der  Schlittenbahn,  ziir  Beschleunigung  der  Geschafte 
bei«  Aus  diesein  lelzteren  Grunde  verliefiSen  auch  in  der  That 
viele  Russische  Kaufleute  den  Irbiter  Markt  gleich  nach  Eroff- 
nung  desselben  und  nur  die  iSibirier  blieben,  obgleich  sie  ihre 
Geschafte  langs  beendel  batten,  bis  zum  10.  (22.)  Marz.  Diese 
warteten  auf  Goldsendungen  von  den  Besitzern  der  Goldwa- 
schen,  welche  von  ihnen  in  den  Herbstmonaten  Capitalien  bis 
zur  Irbiter  Marktzeit  entliehen  haben.  Mit  solchen  Capitalien 
werden  die  Arbeiter  befriedigt,  die  im  Herbst  von  den  Wasch- 
werken  nach  ihren  Wohnorten  zuruckkehren.    Im  Winter  er- 


128  Indattrie  und  Handel. 

folgt  dann  eie  Ablieferung  des  Goldes  an  die  Regierung  und 
ersl  mit  den  von  dieser  gezahlten  Geldem  verniog^en  die  Be- 
sitzer  ihren  Creditoren  in  Irbit  zu  geniigen. 

Nach  der  Aussage  aller  Belheiligten  hatte  der  Irbiter  Han- 
del im  Jahre  1848  eine  beispiellose  Ausdehnung  und  Leben- 
digkeit,  ungeachlet  des  Tjuinener  Marktes,  der  seit  1847  an 
einem  so  nahe  gelegnen  Orle  und  in  gleicher  Jahreszeit  ab- 
gebalten  wird.  Der  Tjumener  Markt  dauerl  namenliich  von 
Januar  15  bis  Februar  15  a.  St.  Ein  grofser  Theil  der  Kauf* 
leute  die  ihn  besucht  hatlen^  waren  aber  schon  vor  Beehdi- 
gung  desselben  und  vor  dem  offizielien  Anfang  des  Irbiter 
Marktes,  in  Irbit.  -^  Seit  1849  hat  man  angefangen,  einen  be- 
reits  drei  Jahr  friiher  entworfenen  Plan  zu  besserer  Verthei- 
lung  der  einzelnen  Huden  (Balagany)  auf  dem  Irbiter  Markt* 
plalz  in  Ausfiihrung  zu  bringen,  um  dadurch  von  neuem  zur 
Beforderung  einer  M esse  beizutragen,  welche  wie  schon  gesagt 
unler  alien  Russischen  nur  der  Nijnei-Nowgoroder  nachsteht 


Ueber  die  Differenz  Aer  Entetehung  der  Stein* 
salzafolagerangen  in  den  Karpathen  und  in  den 

Salzburger  Alpen. 


Von 

Professor    Zeuschner 

in  Krakao  *). 


Ueber  die  Art  und  Weise  der  Entstehung  der  meisten  Ge- 
birgsarlen  der  festen  Erdrinde  wird  gegenwartig  wenig  ge- 
zweifelt,  nur  ausnahmsweise  herrschen  noch  iiber  einige  der- 
selben  verschiedene  Ansichten.  Zu  solchen  problematischen 
Gebilden  gehoren  dieSteinsalzablagerungen,  die  bei  der  jetzi- 
gen  vulcanischen  Richtung  der  Geologen  als  Feuerprodukte 
heilweise  angenommen  werden ;  untersncht  man  aber  genauer 
das  Vorkommen  des  lertiaren  Steinsalzes  am  nordlichen  Ab- 
hange  der  Karpathen,  so  findel  man,  dass  dieselben  alle  Cha- 
raktere  der  Wasserigen  Absatze  an  sich  tragen  und  durch  die 
grosse  Constanz  der  auf  einander  folgenden  Schichten  aus- 
gezeichnet  sind;  sie  enthalten  eingeschlossene  Ueberreste  von 
Meeresbewohnern,  als:  Schaalen  von  Conchylien  und  Kreb- 
sen,  stellenweise  Theile  von  Pflanzen,  welche  einst  an  den 
nahen  Ufem  ivuchsen.  Diese  Salzablagerungen  Ziehen  sich 
an  den  nSrdlichen  Karpathen  beilaufig  100  Meilen  weit  und 
haben  constant  dieselben  mineralogischen  und  palaontologi^ 
schen  Charaktere.  Diese  Ausdehnnng  beweist  nicht  nur  dass 
dieses  ein  Meeres-Sediment,  sondern  vielmehr  zugleich,  dass 


*)  Dei^  Moikaaer  Naturfortchenden  Gesellsch.  mitgetheilt  vom  VerfaMer. 
firmaiia  Butt.  Archly.  Bd.  XL  H.  1.  9 


130  Phytikalifch-matliemalitehe  Wittentcbafteii. 

es  kein  lokales  Phanomen,  durch  eine  grosse  Ursache  bediBgi 
worden  sei. 

Die  Karpathischen  Steinsalzabiagerungen  siehen  zu  denen 
der  Saizburger  Alpen  im  GegensaUe.  Aehnlich  wie  die  Ba- 
salle  odertTrachyte  treten  die  letziereii  mitten  in  deni  rothen 
Marmoir  ab  wahre  Stl>cke  oder  als  SpaltenaufirilUanged  spo- 
radisch  aof.  Die  Sai^lagerimgen  von  Pernek.  at^beii  mit 
denen  von  Hnllslatt  und  Aussee  in  keinem  Zusaminenhange; 
ringsum  vom  rolhen  Kalksleine  eingeschlossen ,  enthalten  sie 
BruchstQcke  dieser  Pelsart  von  verschiedenMr  Grosse,  oder 
machtige  Blocke  bedecken  dieselben.  Eine  Continuitai  des 
SaJxlagers  ist  hier  nicht  zu  bemerken. 

Die  ersten  Spuren  der  tertiaren  Salzablagerung  am  nord- 
lichen  Abhange  der  Bieskiden,  einem  Theile  der  Karpathen, 
zeigen  sich  in  der  Nahe  von  Krakau  bei  Sydzina  unweit  von 
Tyniec«  Von  da  ,ziefat  sich  dieses  Sediment  coBlinuirlicli  bis 
hinter  Wieliczka,  erscheint  weiler  gegen  Osten  in  Bochnia 
und^  nach  einer  grosseren  Unterbrechung  wieder  im  osiUchen 
Galizien  bei  Tyrnawa  Solna  und  Dobromil  und  von  da  con- 
tinuirlich  bis  in  die  Jukowina  hin.  Noch  machtiger  entwik- 
JloU  sich  das  Sleinsalzgebirge  am  siidlichen  Abhange  der.  Kar* 
pathen  in  der  Marmorosch.  und  in  Siebenburgen« 
•  •  In  Sydzina  brechen  Salzquellen  nur  aus  grauem  Thone, 
die  schon  im  Mitlelaltec  bekannt  waren  und  im  13.  und  14. 
. Jahrhunderte  von  den  Benedictinern  in  Tynice  versotten  wur- 
den;  dieser  Thon  lehnt  sich  theils  an  den  machiigen  Rucken 
aus  Coralrag,  den  die  ehrwiirdige  Ruine  von  Tyaiep  kront, 
theils  an  den  Karpathensandstein  an. 

In  dem  angranzenden  Dorfe  Skotniki  erscheint  statl  Thon 
geschichteter  Gyps,  den  gewohnlich  eine  5  bis  6'  machtige 
Schicht  von  thoniger  Dammerde  bedeckt  Dieser  Gyp^  ist 
grau  und  kornig  und  horizontal  gelagert;  an  einer  SteHe  fan*- 
den  sich  faustgro^se  Knollen  im  grauen  Thon  eingeschlossen. 

Eine  Stunde  weiter  gegen  Osten  liegt  die  Schwefelgrub^ 
von  Swoszowice.  Vieie  Spuren  tertiarer  Febarten,  wie  bei 
Kobierzyn,  Borck  verbinden  dieselbe  mit  der  Gypsablagerung 


IJe1>er  d,  Difforenfe  dec  RirttlalNinK  der  SleiiiMitaMftgcnngeii  etc  181 

von  SkoUiikL  An  die  w^isseii  Koralragfeisen  von  Kurdwanow 
lehnen  sich  die  n^achtigen  Mergelablagerungen  flail  Schichten 
des  gediegenen  Schwefels.  *  Von  den  funf  bekannien  Schwe* 
felflotoen  werden  iwei  obere  abgebaul,  die  drei  unteren  aber 
Bind  bis  jetzt  nichl  angegriffen  vi^orden.  Es  soil  ein  sechsLes 
oberes  vorbanden  sein,  welches  aber  wenig  bekannt  isi.  Der 
Schwefel  bildei  kein  continuirliches  Lager,  sondern  bat  eioen 
eigenthiiinlichen  Bau;  natnlich  das  obere  Fl5ls  besleht  aus 
haofgrossen  Kdrnem  von  derbeip  Schwefel,  die  mehr  oder 
weniger  dicht  an  einander  angehaufl  itn  Mergel  eingesprengi 
Bind.  Diese  Schtcht  isi  4  bis  6  Fuss  mSchiig.  Die  uatere 
besieht  aus  plattgedrucklen  Schwefelkugeln ,  deren  langere 
Achse  ly  hochstens  2ZoJI  Jang  isi.  Wenn  sich  dieselhen  an- 
hattfen,  so  verbinden  sie  sich  %a  continuirlichen  Lagerni  die  je« 
doch  BicbC  weii  aussuhaltciB  pflegen.  Diese  beiden  oberen 
SchwefelfldUe  Irennen  grosse  Lager  von  Mergel,  in  denen 
sich  mehr  oder  weuiger  angehaufte  Schniire  von  faserigen 
Gyps  befinden;  oberhalb  des  &weiten  Schwefelfldiies  aber 
zeigt  siehi  gleiehsam  wie  in  Nestern,  Schwerspath,  krystalli- 
sirt  od%r  faserig.  Die  Zahl  und  Gtoase  dieser  Drusen  ist  sehr 
verschieden*  Uomitielbar  uber  beiden  Schwetelfiotpen  seigen 
sich  inehr  oder  weniger  angehiiufl  die  Blatter  von  Dicotyle- 
doneii,  und  hochst  sellen  fiieereseonchylien,  wie  P.Lillii.  Hr. 
Prof.  Unger  war  so  gCitig,  die  Pflanzen  zu  bestioinien,  es  fin* 
den  sich  deren  19  VerschiedeiAe  Species,  und  unter  diesen  be- 
finden sich  8^  die  die  Piiocenen- Formation  bezeichnen  und 
schoh  von  anderen  Orten  bekannt  sind,  wie:  Taxites  Langs^ 
dorfii  Alex.  Braun.  —  Myrica  deperdita  Ungen  —  Qoercus 
grandidentata  Ung.  Quercus  lignitiun  Ung.  Chloris  prologaea 
p.  US.  T.  31,  Fig. 5,  6,  7.  Quercus  furcinervis  Ung.  Synop- 
sis p.  38«  Carpinus  macroptera  Brogniart,  —  Alnus  parcifo* 
folia  Alex.  Braun.^-r*  Acerites  integerrima,  Niscanothus  poly* 
morphus  Alex.  Braun.  —  Juglans  deformis  Ung.  —  Juglans 
bilinica  Ung.  —  Rhus  Hertha  Ung.  —  Laurus  Swoszowicen- 
sis  Ung.  T-  Prunus  paradisiaca  Ung.  —  Prunus  Leiszneri 
Ung*.  —     Elaioides  Fontanesia  Ung.   —   Diospyros  brachyse- 

9* 


1st 

pala  Uog.  —  Neritintiin  dobimn  Ung.  —  ApocynophyUmn 
lanceolafami  Uiig« 

Das  Sebwefelfldix  von  Swossowicc  isl  rin  iocaler  Absali, 
4er  mii  dem  12  Malen  von  hier  eiitfemlen  bei  Ciarkowy  an 
der  Nida  im  Konigreich  Polen  gelegnen  in  keiner  VerUndui^ 
steht  und  verdankt  seinen  Urspning  Schwefelwasseislofitquel- 
len,  die  wahrscheiniich  aos  dem  Karpaibensandstdn  hervor^ 
gebrochen  sind.  Waiter  siidlich  etwa  IVc  Stunde  in  eioer 
Schlucht  mitten  zwischen  dem  genannten  Sandsteine  in  WnuH 
sowicr  befindet  sich  ein  banwurdiges  SchwefelflotZy  wie  dies 
noch  jetst  grosse  Halden  von  Gips  und  Schwefelwasseistoff- 
({nellen  beweisen; 

Das  Schwefelflfttx  von  Swoszowice  befindet  sieh  nicht  in 
settler  primitiven  Lage,  die  Schichten  biegen  sich  welienfor- 
mig  und  neigen  sich  etwas  gegen  Siiden  unter  einem  Win- 
kel  von  5  bis  15*.  Ueber  dem  Schwefeifl5tie  erhebt  sieh  ein 
300  bis  400  Fuss  boher  Rticken,  der  aus  sandigen  Gliedem 
bestebt.  Auf  seiner  Hdlie  bei  Rajsko  befindet  sich  ane  Bank 
von  Austern  mitPetftenschaalengemengt  Dieses  obere  san- 
dige  died  xiebl  sich  von  dem  Riicken  der  westiichen'Spitze 
ZIota  Gerp  genannt  von  Rajsko  gegen  Kossocice  \ind  tritt  zu 
Tage  an  vielen  Punkten  nordlich  von  Wieliczka,  wie  bei  Bo* 
gucice  und  Sledzcjowice  imuier  mit  detiselben  grossen  Aostem 
(Oitrea  venlilabrum)  *). 

Es  ist  schwer  zu  bestimmen/  ob  das  ScbwefelflStz  von 
Swoszowice  das  obere  Giied  der  Salzablagerung  biidet,  oder 
keilfdrmig  mitten  zwischen  der  SaJzablagerung  von  Sydzina 
und  Wieliczka  eingeschiossen  ist.  An  dem  entgegengesetzten 
ttstlichen .  Ende  der  Kalksteinbriicbe  Krzemionki,  an  demPod- 
g9rze  angelehnt  ist,  erscheint  bei  Prokoeim  das  obere  Glied 
der  5alzformation,  bestehend  aus  Gyps-Knolien  von  verschie^ 
d^ner  Gr8sse,  die  im  grauen  Thon  eingesenkt  sind ;  der  Gyp& 


*)  Km  entapricht  Momit  hoohst  wahrscheiniich  dem  in  Deotschland  soge- 
nannten  Magdeburger  Sande,  der  auch  in  Ost-Preussen  an  der  Sam- 
IKndiachen  Kiitte  torkomml.  B. 


Ueber  d.  Mhrenz-  der  Eiitsteliaiig  der  Steiuakablagerangeii  etc.  133 

isl  hier  kSmig  und  weiss^  nur  selten  grau  iind  wird  berg* 
mannisch  gefordert  In  diesen  Gruben  entwickeln  sich  bitu« 
minSse  Gasarten,  welche  einen  gana  ahnlichen  Geruch  zeigen, 
wie  jener,  der  manchen  Punkten'  der  Grube  von  Wielicaka 
diaracterislisch  ist  Gana  ahniiche  Gypse,  wie  die  von  Pro* 
kocim  bilden  die'obere  Ablbeiiung  dea  Wieliczkaer  SalzflotseSy 
welches  an  der  ersten  Erhebung  derBieakiden  angelehnt  und 
aus  Sandstein  der  unteren  Abtheilung  der  Kreideformation  zu«^ 
satnmengesetzl  ist.  In  dem  verlasaenen  Sleinbruche  des  Ber*. 
ges  Garbatki  zwiachen  Babiny  und  Kossocice  sind  die  Schich- 
ten  der  Karpathensandsieine  stark  gegen  Siiden  geneigt,  utid 
ihre  miirben  Lager  wimmeln  von  Beiemnites  bipartitus^  sellner 
finden  sich  hier  B.  diiatatus,  pistiiiiforinis,  Aptychus  Didayi  *)• 
Das  seit  fiinf  Jahrhunderten  durch  grossarlige  unter- 
irdische  Baue  geoflfnete  Salsfldtz  von  Wielicaka  hat  unendlich' 
viel  Aufschliiss  geg^en  iiber  das  Vorkommen  des  Karpathi* 
schen  Steinsalzes.  Es  unterliegt  nicht  dem  inindesten  Zwei- 
fely  dass  dies  ein  ausgezeichnetes  Meeressediment  sei,  indeui 
hier  gar  keine  Spuren  von  vulcanischer  Thaligkeit  zu  finden 
sind.  Das  Salzfl5tz  besteht  aus  zwei  gut  von  einander  ge* 
trennten  Ablheilungen;  die  obere  aus  dunkelgrauem  Schiefer- 
thon,  der  ofters  glanzende  Absonderungen  hat,  die  untere  aber 
ist. das  eigentliche  Salzflotz,  welches  hauptsachlich  aus  Salz- 
thon  besteht,  in  welchem  sich  Lager  und  Klumpen  von  Stein* 
salz,  geschichteter  Anhydryt,  Gyps  und  bunte  Mergel  ausson* 
dem.  Schon  seit  undenklichen  Zeiten  hat  der  Wieliczkaer 
Bergmann  drei  Salzvarietaten.  unterschieden,  die  durch  ihre 
eigenthiimlich  kdrnigeZusammensetzung  und  verschiedne  Bei« 
mengungen  characterisirt  sind.  In  der  unteren  Abtheilung  des 
Sal^Stzes  hat  sich  das  Szybikaer  Salz  in  machtigen  Lagem 
abgesetzt,  die  ofters  zu  einander  parallel  sind  und  durch  Salz* 
thon  uAd  diinne  Schichten  von  Anhydrit  getrennt  werden. 
Das  Szybikaer  Salz  ist  grobkornig,  —  hat  feine  weisse  Gyps- 
nadeln  und  etwas^Thon  beigemengt.    Die  mittlere  Abtheilung 


')  Lconhardi  Jahrbaoh  18iS,  p.  704 »  1844,  p.  SB. 


134  Ph^ikafiiich-matheiiifttlseTi^  WiMenscbtflefi. 

ded  SalzflStzed  btfdel  das  Spiasftsalx  od<et  daft  Anhyifril^Salx; 
durch  seine  dunkelgraire  Farbe  und  feinkornigen  Baa  unier* 
scheidet  es  sich  auf  den  erslen  Blick  von  der  unlem  Salzva* 
rietat  Es  ist  kuixslangnch  und  hat  beigemengte  feine  Kdrner 
von  Qiiarz,  Mergel  und  Anhydrit,  niemals  Gyps ;  diese  Kdmcr 
sind  im  Salze  schichtenweise  vertheilt. 

An  einselnei)  Punkten  enthiilt  das  Spisasak  eifie  uneftd- 
liche  Anzahl  verschiedener  Schaalen  von  Moiltisken '  und  Pora- 
mimferen.  Diese  Schaalen  gehSren  gew5hntich  jungen  Indi- 
viduen  an,  deren  lineare  Verzierungen  sich  scbon  erhallen 
haben;  auch  vegeiabilische  Ueberresie  erscheinen  hier  und  da 
in  dieser  SalzvarietSt,  namentlich  Zapfen  von  Coniferen,  die  an 
manchen  Punkten  in  der  Nabe  machtiger  Stainme  iiegen.  In 
der  oberen  Abtheilung  dieser  Salzablagerung  finden  sich  diinne 
Lager  brauner  und  kohlenschwarzer  glanzender  Braunkohle. 
Alle  vegelabiHschen  Ueberreste,  die  sich  im  Steinsaize  vorfin-* 
den^  zeichnen  sich  durch  ihren  hSchst  unangenehmen  Geruch 
aus,  dessen  chemische  Eiganschaften  noch  unerforschi  sind; 
Beudant  hat  sie  init  dem  Geruche  faulender  Aplysien  und  Hok 
lothurien  verglichen. 

Ueber  diesen  beiden  Salzvarietaten ,  die  fldtzarlig  ausge- 
breitet  und  durch  Salzthon  und  Anhydritschiehten  getrenni 
sind,  erscheint  das  Griinsalz  in  macbtigen,  meistens  ianglichen 
Kiumpen.  Urn  von  ihrer  Grdsse  einen  Begriff  zu  geben,  wiU 
ich  als  Beispiel  dieses  anfiihren,  dnss,  nachdem  eine  von  die« 
sen  wiirfelarligen  Salzmassen  herausgef5rdert  wurde,  die  un- 
terirdische  Kammer  Michatowice  genannt,.  entstand,  die  einen 
Raum  von  14000  cubisch^  Fuss  einnimmt. 

Diese  drei  Salzvarietaten  Irennen  machtige  Lager  von  Ha* 
selgebirge,  einem  Gemenge  von  wiirfelartigen  SalzkrysiaUen, 
die  mehr  oder  weniger  im  grauen  Salzthone  angehauft  sind^ 
hellblauer,  derber,  gewohnlich  in  diinnen  Schichlen  abgeson- 
derter  Anhydrit/ hunter  Schiefermergel  (blau  und  roth)  und 
schwarzgraueV  Schieferthon  mit  vielen  spiegelglatten  Absdn* 
derungen.  Die  letztgenannte  Gebirgsart  ist  die  LagerstaUe 
unendlich  vieler  Conchylien,  unter  denen  sich  besoaders  viele 


Deber  d.  DiitoBiis  4«r  Batotehug  det  Stoiitntoibligeroiigca  ete.  195 

Peetenaiien,  Nuoula  campia,  fttrieitai  Natica  iniilepunctala, 
RiDgicula  buccinea  auszeiefanen,  die  alle  jiingere  tertiare  For- 
men  der  Suhapeiuiinen*FonBation  sind,  und  eben  desfaalb  ist 
es  wahrscheinlichy  dass  dieses  Lager  so  wie  das  Schwefelfldis 
von  Swoszowice  .der  pliocenen  Periode  angehort.  Mefar  als 
an  zwanzig  Pankten  in  sehr  .verschiedenen  Niveaus  der  Wie- 
liczkaer  Solzabiageraog  iinden  sich  fasi  dieselben  Versteine* 
rungen  und  ^war  sowohl  unier  dem  Szybikaer  Sake,  wie  audi 
onter  dem  Sptzasalze,  was  eben  ein  hinreichender  Beweis  ist, 
dass  dtese  Ablagerung  sich  rubig  aus  dem  Wasser  abgeselzi 
halle.  Ueber  den  Grunsalzklumpen  ist  ein  machtiges  Lager 
von  kornig  weissem  Gyps,  der  ebenfalls  wie  in  Podgorze  aua 
Kugein  von  verschiedener  Grosse,  die  im  grauen.Thone  ein» 
gesenkt  sind,  besteht.  Als  fremde  Beimengungen  im  Salzthon 
finden  sich  an  einigen  Punkten  Schwefelkies,  der  am  haufig- 
sten  in  feinen  Komern  zerstreut  ist,  und  an  anderen  Punkten 
wiederum  gediegener,  derber  brauner  SchivefeL 

Das  Wieliczkaer  Saizflotz  hut  seine  primitive  Lage  ver- 
loren  und  ist  welienartig  gebogen,  man  beobachtet  eine  slid- 
liche  Neigung  an  den  unendlich  vielen  neben  einander  liegen- 
den  Anhydritschichten ,  die  aile  gegen  Siiden  geneigt  sind; 
und  es  scheint,  aJs  neige  sich  das  Saizflotz  unter  die  Sehich- 
ten  des  Karpalfaensandsteines,  die  in  den  ersten  Riicken  der 
Bieskiden  mit  der  Salzformation  im  unmittelbaren  Contact  ste* 
hend'  auf  gleiche  Weise  einfallen.  Allein  eine  unmitteibare 
Auflagerung  kann  nicht  bemerkt  werden,  denn  eine  machtige 
Scbicht  von  L5ss,  worin  sich  Elephantenknochen  vorfinden, 
bedeekt  sowohl  das  Salzgebirge,  wie  auch  den  Neocomien* 
Sandstein.  Aehnliche  Verhaltnisse  dieser  beiden  Gebilde  sind 
in  Ostgalizien:  das  Salzgebirge  und  der  Karpathensandstein 
bei  Dobromi],  Szumina  zeigen  gleiches  Streichen  und  Failen 
gegen  Siiden,  und  eben  deswegen  ist  es  wahrscheinlich,  dass 
in  Wieliczka  die  Kreidesandsteine  auf  dem  Salzgebirge  iiberstiimt 
liegen.     Der  Durcfascfanitt  von  Wieliczka,  den  Murchison") 


*)  The  Geolog^y  of  Russia  in  Burope  T.  1. 


136  PhyiftkaliMh-matii^inatiMShe  WlMM*B€ii«ft»lt. 


•  1 


9Xiglbiy  bemhl  nkht  auf  Beobachlangen.  Sowohl  m  der  mi^ 
mittelbaren  Nahe,  wie  auch  mehrere  Meilen  von  Wielicska 
findet  sich  nicht  die  mindeste  Spur  einer  pluionischen  Gebii^s* 
arty  noch  sind  Spalten  bemerkbary  aus  denen  das  Salz  heraus* 
gebrochen  ware.  Das  Wieliczkaer  SakflSls,  an  und  Xiir  sich 
genommeny  ist  ein  entschiedener  MeeresabsaU;  es  bewetsea 
dies  die  unendlich  vielen  Schalen  von  Molitisken,  die  sowohl 
im  Then  wie  auch  Jm  Sake  in  alien  Abiheiiungen  underlie- 
gei^»  Die  Salsthone  und  bunten  Mergel,  die  mil  dem  Salie 
wechsellagern,  sind.schiefrig  und  haben  das  Aussdien  eineo 
gewohnlichen  Absatzes  desWassers;  selbsi  darAnhydrit  kann 
dagegen  eine  htnreichende  Einwendung  sulassen.  Dieses 
dichte  Mineral  bildet  ebenfalls  schmale  Schichteny  ioi  grauea 
Thone  und  hat  die  grosste  Aehnlichkeit  mit  Kalksteinen,  die 
mit  grauein  Thone  wechsellagem  and  vom  Wasser  abgesetsi 
stnd.  Zwar  ist  es  aus  chemischem  Gesichtspunkle  schwer  eu 
erklaren^  wie  aus  einem  Meerbusen  so  machtige,  allmalig  auf 
einander  folgende  Schiehten  von  Salz,  Anhydrii  und  Gyps  er* 
folgten.  Eine  sehr  erhohle  Teuiperatur  konnte  bei  diesenSe- 
dimenten  nicht  stattfinden,  denn  zwisehen  den  Thonschichlen 
sind  viele  Mollusken  eingemengt,  die  denjenigen  in  derselben 
Periode  lebenden  spezifisch  ganz  entspreehen,  wo  eine  erhohte 
Temperalur  nicht  stattfand.  Urn  Anhydrit  kunstlich  im  Was^ 
ser  darzustelLen,  brauchte  Johnston  einer  sehr  erhohten  Teui* 
peratur,  die  fur  organische  Wesen  unertraglich  ist  Die  Ur- 
sache  des  Absalzes  des  wasserfreien  schwefelsauren  Kalk^ 
musste  durch  die  Anwesenheit  des  Chlornatriums  in  derAuf- 
losung  bedingt  gewesen  sein.  Dass  eine  Wechselwirkung 
zwisehen  dieaen  beiden  Korpern  slattfindet,  ist  gar  nicht  zu 
laugnen,  was  eine  sich  constant  wiederholende  Beobachtung 
bestatigt.  Das  sowohl  in  Lager  getrenote,  wie  auch  inKlum-^ 
pen  erscheinende  Steinsalz  ist  stets  mit  einer  Art  von  Saal* 
band  des  Anhydrits,  %  ^o''  ^^^^  ^^^  Salzthon  getrennt. 
Oefters  ist  dasselbe  selbst  am  Haselgebirge  zu  beobachten. 

Viel  einfacher  ist  der  Bau  des  Salzflotzes  von  Bochnia, 
obgleich  imAllgenieinen  dem  von  Wieliczka  voilkommen  ahn- 


J 


Uaber  d.  DHfonw  4m  ttrttiflfasng  der  Stoioitliibtigiwingeii  etc  137 


Sdi.  Erne  Sdbabanderung  erschdnt  hier,  die  niiieralogisch 
dem  Szybikaer  Sdbe  e&lspriehi,  deren  Lager  10  bis  30  Fusa 
diek  »tid ,  sioh  mannigfaUig  gabeln  and  von  einander  durch 
SaUthon^  Haselgebirge  und  schmale  Sehichten  dea  hellbiauen 
derben  Anhydriis  geirennt  wtrden.  Der  Anhydril  inBochnia 
ist  gew&hnliefa  gekrdaart^  ge^vunden.  Das  Bochniaer  Stein* 
salz  ist  grobbSrnigy  grau»  oftera  ganx  weisa  und  enthaU  aehr 
selten  organische  Ueberresie^  wie  Zahne  von  Carcbariaa  me^ 
gaiodon,  tannenartige  Zapfen  uad  Niiase,  dann  Braunkohle 
mil  dem  bekannien  unangenehmeD  Gerueb,  der  die  von  Wie* 
Ucxka  so  sekr  auszeichnet  Das  eigenlliche*  Salagebirge  be- 
deckt  schwarsgraiier  Schiefertbon^  in  dem  sich  als  uniergeord* 
netes  Lager  grobkorniger  Sandstein  mii  hellblauem  straligen 
Colestin  aussondert.  Darauf  folgen  Schieferthone,  die  eekige 
Bruchstiicke  vom  Fucoiden  -  Sandsteine  mii  Abdrttcken  von 
Nautilus  Requienianus  und  Ammomien  enlhalten.  DasBoch* 
niaer  Salzfl&to  befindel  sich  ebenfalls  nichi  in  seiner  primiii*^ 
venLage,  und  isi  stark  aufgerichtet;  in  den  oberen  Abtheiiun* 
gen  fallen  die  Saklager  ua4ef  eiaetti  Winkel  von  80®  gegen 
Siiden,  und  in  der  unieren  Abtbeilungi  wo  der  tiefsie  Bergbau 
geirieben  wird,  erscheint  das  SalzflSIa  wie  gebroehen  und 
neigjt  sich  nur  unter  einem  Winkel,  der  sehr  gering  ist»  eben-' 
falls  nach  Sudan.  In  ^as  fur  einem  Verhaltnisse  daa  SaIzla-> 
ger  au  dem  Karpathensandsidne,  welcher  sich  gegen  Suden 
entwickelt,  sieht,  kann  nicl^  ermittelt  werden,  weil  dasaelbe 
von  einer  miichtigen  L^mschicht  eingeschlossen  wird. 

Die  volikommene  mineraiogische  AehnUchkeit  der  Salc^ 
QjUze  von  Wieliczka  und  Bochnia  beweisi,  dads  dieselben 
gleichzeitige  Sedimente  seien.  Dieselbe  Aehnlichkeit  findel 
*  siatt  awischen  den  anderen  Sakablagerungen  der  Karpatheili 
die  welter  gegen  Osten  aufgeschlossen  sind,  und  dieJLill  be- 
schrieben  hat.  B^  Kacsyka  in  der  Bnkowina  finden  sich  nach 
Lill  KWei  Salavarietaten ,  woven  die  eine  dem  Grunsalze>  die 
andere  aber  dem  Szybikaer  Saize  von  Wieliczka  enispricht; 
und  bei  Sugatak  in  Siebenbiirgen  auf  dem  siidlichen  Abhange 
der  Karpatben  findei  sich  bloss  das  Szybikaer  Salz. 


138  PhTiOuiliiMli-matliemaAlidio  WiMMMohaiMb 

Die  mineralogiBche  Aehnliehkdt  ilieser  Sidtablagemngen 
segar  in  ifaren  feinsten  Charakteren  gibt  emen  enlschiedeneo 
BeweiS)  dass  alle  genannte  Salzablagerungen  gieichaeitig  and 
unler  gleichen  Bedingungen  abgesetsi  rind. 

Aber  auch  die  machtigen  Salzablagerungen  von  llalien, 
wie  die  von  Volterra  im  Toscanischen,  die  Salina  de  Langre 
in  Oalabrien  8in4  alier  Wabracheinliebkeii  n«ch  mil  denen  der 
Karpalhen  glefchseitige  Seditnente.  -  Die  Ansichi  dass  die 
Karpathisclien  Saize  ausSp^lten  hervorbrachen ,  ist  durch  «ie 
unniiltetbare  Beobachtnng  niehl  bewiesen^  allein  alles  leilet 
darauf  bin,  das  in  diesem  fast  letzten  AbsaUe  der  Erde  aus. 
dem  piimitiven  Meere  sebr  viel  Salz  aufgeleai  war,  aus  weU 
eher  Auflosung  die  mfichligsten  and  ausgedehnteslen  Ablage- 
rungen  des  Saiies  sich  niederschlugen. 

Dit  Salzablagerungen  in  den  Salzburger  Aipen  baben 
einen  ganz  versobiednen  Charakier  an  sich;  es  stud  dies  keine 
ausgebreitete  Massen,  sondem  sie  erscheinen  bier  und  da  in 
liefen  Tbalem  den  Thalsoblen  entiang,  wo  sie  die  SpaUen 
des  peirefactenreiohen )  aber  dennoch  problematiscben  rolben 
und  wdksen  Marmora  ausfilllen;  oder  sie  erscbeinen  amFusse 
bober  Alpen,  die  grossietitheils  aus  diesem  sprSden  Gesteine 
beakeben.  Die  alpinen  Salzablagerungen  baben  das  Eigen- 
ibamliche,  dass  sie  sporadiseb  bervorirelen ;  nichls  Continuir- 
liebes  ist  da  wabrzunehmen,  was  darauf  hinwtisi,  dass  es 
Sehlammausbruebe  sind,  die  aus  Hergeltbon,  Chlomatrium  und 
Anhydrit  bestanden.  BeiPernek  unweitlscbel  fiiilen  dieSalie 
in  der  Thalsohle  eine  lange  Spalte  aus;  auf  der  Hocbebene 
von  Diirrenberg  bei  Hallein  erscbeinen  sie  mebr  ausgebreitet; 
so  wie  aucb  am  Fusse  der  macbtigen  Alpen  bei  Hallstatt  und 
Aussee.  Diese  einaelnen  Punkie  kann  man  auf  der  geologi- 
schen  Karte  von  MorloU  vortrefflich  beobaebien,  sie  bilden  2 
Gruppen^  die  beiiaufig  lOMeilen  von  einander  enifernt  liegen: 
zur  osUichen  Gruppe  gehdren  die  von  Pernek,  Hallstaili  Aus* 
see»  zur  wesUicben  die  von  Hallein  und  Becbiesgaden.  Die 
einzelnen  Salzausbruche  sind  ziemlicb  nahe  an  einander  gele* 
gen,  indem  sie  2  bis  3  Meiien  von   einander  entfernt  sind; 


Ueber  d,  Difterehw  4«ff  Bnttlclim|r  «d«r'8«»hiMinMag«niiigeii  etc  189 

^rseheiMii  ^tif  eitie  ShnM^iie  Art,*  wie  dte  B«Mdt4)ttrelibi1iche 
in  derGeg«Yird  von  GOItingM,  wo  6i^  iwiscfaen  butitan  Sand* 
dleine,  Musohelkalk  und  Keop^r  henro^lrelefi  und-^finden  sioh 
eben  so  gut  in  den  Thaiem,  vAt  auf  dm  Uof^ges^anen  ROk- 
ken.  Aber  dio  Sakablagenntg  im  Sakburgischen  datf  man 
iricht  als  eralarrle  feaerfliiMige  Meag^  betraehten,  dtim  unier^ 
sueht' man  sie  genauer,  so  vergi  sie  mil  dMiKarpathiaeben 
Salzsedhnenten  eine  gewiase  Aehmlichkeil,  tiamenllich  mit  je« 
nen  yon  Wieiicska  und  Bothnia ,  was  eben  aaf  einen  wilsie-* 
rigen  Absatz  derselben  hindeatet. 

hi  HaHein  'ni  das  Haselgebivge  dem  von  Wieliczka  und 
Bochnia  gans  Sbniich;  die  SaUttiasaen  vonHallstaU  und  Aus* 
see  habeit  zart^  paraHeliaufbnde  Thont»treifen,  dk  kanm  6  bis 
9  Zoll  von  emander  entfernt  sind  und  die  der  Saltmaase  ein 
sedtmentares  Aqssehen  geben,  ganai  als  wiiren  sie  aus-einer 
Salzauflosung  entstanden,  der  Thon  beigemengt  war.  An 
einzelnen  Punkten  in  Hallstadt  finden  sich  eben  so  wie  in 
Wieliczka  Lager  von  Knistersalz,  einer  besondern  grobkdrni- 
gen  Salzvarietaty  die  zwischen  den  Blatlerdurchgangen  com- 
primirten  Kohlenwasserstoff  enthalt.  Wenn  wir  diese  Parallele 
weiter  verfolgen,  so  zeigt  es  sich,  dass  der  begleitende  Anhy- 
drii  von  Wieliczka  und  Bothnia  von  dem  Salzburgischen  ver- 
schieden  erscheint;  in  den  Karpathischen  Localitaten  bildet 
dieser  Anhydrit  deutliche  Schichten  im  dichten  Znstande,  und 
in  den  Alpen  sind  es  Massen,  die  neben  dem  Salzthone  er- 
scheinen  und  eine  krystallinisch  kdruige  Struclur  haben.  Ob- 
gleich  die  Salzburger  Gruben  sehr  alt  sind  und  schon  von 
vielen  Geognoslen  besucht  waren,  so  sind  dennoch  niemals 
thierische  oder  vegetabilische  Ueberreste  darin  gefunden  wor- 
den,  ein  Beweis,  dass  dies  keine  Meeres-  oder  Siisswasser- 
sedimente  sind.  Nicht  weniger  wird  diese  Ansicht  dnreh  die 
vielen  Kalksteinbruchstucke  besl&tigt,  die  von  dem  angranzen- 
den  rothen  Kalksteine  abstammen  und  die  in  ihrer  ausseren 
und  inneren  Structur  nicht  im  mindesten  verandert  sind.  — 
Oefters  liegen  iiber  dem  Salzgebirge  Felsen  vom  rolhen  Kalk- 
steine, wie  bei  Durrenberg,  was  ebenfalis  darauf  hinweist,  dass 


140  .  PIl^ilcilMi-nutliematiiclbe  Whteaidiaftefl. 

did  Sattthone  ana  dem  Itmeren  hervorgebrochen  sind.  Die 
Salzthone  und  die  rotheB  Kalksteine  sind  ganz  von  einander 
versehiedetie  Bildungen,  die  nur  in  Contact  stehen,  aber  jede 
fiir  sich  unabhangig  ausgebildet  waren. 

Das  sporadiscbe  Hervortreten  des  Salzgctbirges  im  Sal^- 
burgischen,  das  als  Spalten  oder  als  stockartige  Ausfulluogen 
erscheinty  die  parallelen  Thonsireifen  im  Sieinsalze,  die  vielen 
eingeschlossenen  Bruchstucke  vpn  Kalkstein,  der  Mangel  an 
P^trefacten  beweisen,  dass  dies  als  ein  wassriger  Brei  aus 
dem  Innern  der  Erde  hervorbrach. 

Ganz  vetBchieden  ist  der  Charakter  der  Karpathiscben 
Salzablagerungen,  sie  bilden  ausgedehnte  NiederJagen,  die  sich 
vieie  Meilen  weit  erstrecken  und  viele  Meeresconchylien  ent- 
balten ;  was  uns  wiederuin  einen  voUen  Beweis  darbietet^  dass 
sie  von  einem  ausgedehnten  Meere  ihren  Ursprung  baben. 


Ueber  den  EiQflqss  der  in  dem  Ackerhoden  ent-? 

haitmen  Eisenoxyde  and  l%on-»Arten  anf  die 

Absorption  des  Ammoniaks  darch  denselben. 


Von 

Adam  Giedwillo*). 


miis  ist  eine  wohl  bekannte  Thatsache,  dass  die  Pflanzen  zu 
ihretn  Gedeihen  Stickstoff  erfordern,  und  di<$sen  Slickstoff  haupt- 
sachlich  aus  dem  Ammoniak  der  atmospharischen  Luft  empfan- 
gen.  Es  unlerliegt  keinem  Zweifel,  dass  nicht  aller  in  deal 
Ackerboden  enlhallene  Stickstoff  von  den  angewandten  Dan- 
gungsmitteln,  in  so  grosser  Menge  wie  man  ihn  gew5hnlich 
findet,  enlstehen  kann.  Zur  Bestatigung  dieser  Thatsacke 
konnen  die  wildwachsenden  Pflanzen  dienen,  die  in  eben  sol- 
cher  Menge,  wie  die  CuJturpflanzen,  Stickstoff  enthalten. 

Nichts  destoweniger  waren  iiber  diesen  Gegenstand  die 
Meinungen  getheilt,  bis  in  nearer  Zeit  Dr. K rocker'**)  durch 
^sehr  sorgfaltige  Untersuchungen  diese  Frage  der  Entscheidung 
naher  brachte.  Er  bestimmte  den  Ammoniakgehalt  der  Acker- 
erde  aus  der  Umgegend  von  Giessen,  nach  der  Methode  der 
Stickstofibestimmung  von  Varrentrapp  und  Will ,  indem  er 


•• 


*)  Aas  dem  BaUelin  der  Moskauer  Naiurfonchenden  Getelliehaft  1851 

No.  II. 
)  AnnaleD  der  Chem.  und  Pharm.  LVIII,  282. 


]42  Phytikftliich'inftthematische  Winensebaften* 

die  lufttrockenen  Substanzen,  feingesiebt  mil  Nalronkalk  er- 
hitote,  und  das  auf  diese  Weise  dargesteJJte  Ammoniak  aus 
Platinsalmiak  berechnete.  Er  bemerkte  ferner,  dass  der  so 
erhaltene  Platinsalmiak  ganz  rein  dunkelgelb  krystallinisch  war, 
wesentlich  verschieden  von  dem  nach  jener  Methode  bei  der 
Analyse  der  organischen  sticksloffhaltigen  Substanzen  erhalte- 
nen  NH^  CI  Pi  Cl^,  so,  dass  nur  sehr  geringe  QuantiUilen  auf 
Kosten  dieser  Substanzen  zu  rechnensind;  die  erhaltene  Menge 
abef' \rar'^d- gross,  dass  man  sie  nieht  demVorbandensein 
Qr^rasober^Ueberreste  zeschrieiben'  bonnte*  Aus  seinn  fktr 
sultateii  ersieht  osan,  dass 'der  Thonbodeo  amuiaQiakhal^er 
als  der  Sandboden  ist. 

Noch  viel  friiher  bemerkle  Bouis*),  dass,  wenn  man 
Thon  anhaucht,  oder  mit  feuchter  Luft  in  Beriihrung  bringt, 
ein  charakteristischer  Geruch,  welchen  ihan,,Thongeruch''  zu 
nennen  pflegt,  daraus  enlweiche.  Dieser  Thongeruch  hangt 
davon  ab,  dass  der  Thon  die  Eigenschafl  besiizl  Ammoniak 
aus  der  Atmosphare  zu  absorbiren.  In  der  That,  wem  man 
Thon  oder  thonhallige  Ackererde  mitAetzkali  oderKalk  ionig 
vermi&cht  underwarmt,  so  entweicht  Ammoniak;  wenn  die 
Gaseniwickelung  ziemlich  stark  ist,  was  ubrigeDs  von .  der 
Quantitat  der  angewandten  Substanzen  abhangl^  so  kann  man 
dem  GerMche  nach  dieses  Gas  erkennen,  son^  bedienke  man 
sich  des  mit  Salzsaure  angefeucbteten  Giasstabes«.. 

Man  sieht  also,  dass  die  E2rden,  besonders  thonhaltige, 
Ammoniak  enthalten,  aber  wober  empfangen  sie.  dieses  Am* 
moniak?  Schon  Krocker's  Resultate  sprechen  fiir  den  at- 
mospharisehon  UrspruDg  dieses  Gases.  Faraday  hat  noch 
friiher  gezeigt,  dass  die  Luft  eine  hinreichende  Quelle  von 
Ammoniak  sei.  Es  ist  also  hochst  wahrscheinlich,  4as$  dieses 
Ammoniak  aus  der  atmospharisehen  Luft  herrulu-e.  Wie  wich^ 
tig  es  aber  fiir  die  Landwirthe  ist^  das  Absorptionsverm$gen 
der  Gase  durch  die  Erden  aus  der  Atmosphare  zu  erforschen, 
wie  einfach  auch  die  dazu  leitenden  Versuche  zu  sein  schei* 


*)  Joornal  de  Pharmade  XUI.  262. 


DtT  BinfloM  ^r  in  4mi  AdMkodm  eiitiballMMi  BbMozyde  ete.  148 

mii»  80  liegi  eine  kaiim  ilberwindlicke  Scbwierigfccit  voh,  die- 
setben  fur  die  Wtssenschaft  geltend  s«i  macheii:  weil  die  in 
der  Nalur  vorlLommendien  Subslanzen  von  ftomplicirter  Zd»- 
aammens^suDg,  and  die  analytischen  •  Arbeilen  kmun  in  hint- 
reichend  grosser  AnsaM  auszufUhren  aind.  Man  mitss  viel 
arbeiten,  urn  der  Wissenschafi  nur  wenige  befriedigende  Data 
zu  liefern. 

Die  bis  jetst  gewonnenen  Reaultale  Iconnen  nur  Ueint 
Verauche  genannt  warden ,  um  die  Schwierigkait  dea  Gegan«- 
ataudea  nachauweiaen.  ObgMoh  die  Gefebrien;  die  aick  da- 
mii  beschafliglen,  votliges  Zalrauen  verdieneiii  ao  aind  doeh 
die  Resultate  ihrer  Arbeiten  durchaus  nieht  ubereinsliaHnend. 

Humboldt's  Angabe*)>  dass  Humns  die Eigenschuft  b^ 
sitae,  die  atoiospbariscbe  LufI  au  aeraetzan,  wird  dureh  viele 
Resullate  seiner  eigenen  Unjterauchungen  bestaligt^  Aua  aeif 
pen  aahlreichen  ForschuDgen  fand  er  ausaerdem  noch|.  dasa 
die  graue  Thonerde,  welche  dem  Bergoaann.  unter  dem  Na^ 
men  ,,Lebergestein''  bekannt  ist,  dieaelben  Eigenaehafljen  in 
Beziehung  auf  die  Absorption,  wie  der  Humus,  besitae,  Dieae 
Thonerde  wurde  in  einer  Glaaglocke  dem  Einflusse  der  at- 
mosphariscben  Luft  unterworfen,  welche  letatere  in  3000 
Theilen  dem  Volumen  nach  bestand  aus: 

852  Sauerstoff 
2103  Slickstoff     . 
und      45  Kohlensaure 

3000. 
Nach  Verlauf  von  18  Tagen  Wurde  die  unter  der  Giocke 
zuriickgebUebene  Masse  analysirt.    Der  Riickstand  betrug  2460 
Theile  bestehend  aus: 

81  Theile  Sauerstoff 
2207     —      Stickstoff 
172     —      Kohlensaure 

2460. 


*)  Gilbert's  Annalen  der  Physik  I.  501. 


lU 


Piq^ikallwA-matbeina(iidi#  WitMbiMkaftMi. 


•  ZurBildimg  von  127  Theiie  Kohlensihini  sind  Mieh  La* 
voisier's  fierechnung  35,5  Theiie  Sauersloff  erforderlieb; 
da  aber  der  Rucbland  2460  nar  81  Tbei)e  Sauentoff  ent- 
hielt,  80  setEte  er  voraus,  dass  dieThonerde  von  0,28Sauer- 
Btoffi  die*  in  der  zd  untersuchenden  Luftmasse  enthalten  wa* 
ren,  0,24  verschluclcte. 

Nach  einiger  Zeit  erhielt  er  in  Vauqueiin's  Laborato* 
rium  eine  andere  Thonerde,  die  er  „weisse  Thonerde"  nannle, 
die  eben  denselben  XJmstand^n  unierwotfen ,  bei  einer  Tem- 
peratnr  von  17-^20^  R.  aus  der  Atmosphare  mehr  Sauersloff 
absorbirle  ala  Phospiion 

Nadi  dtesen  Versuchen  glauble  Humboldt  schon  enl* 
sddeden  xii  haben,  daas  die  reinen  Erden  dureh  destillirles 
Wasser  angefeuchtet  und  dem  Einflusse  der  atmospharischen 
Lttft  unterworfen  das  Sauerstoffgas  verschlucken.  Zu  dersel- 
ben  Kategorie  rechneie  er  Kalk  and  Baryt;  nur  Kieselsaure 
und  Bittererde  ntachten  hiervon  eine  Ausnahme. 

Hier  folgt  eine  Reihe  der  Resullate  von  Humboldi^s 
Versuchen 

» 

1)  mil  Then  aus  dem  Steinsalzgebirge, 

2)  mit  Humus  und 

3)  mit  Binfachen  Erden. 


1.    Versuche  mit  Thon  aus  dem  Steinsalzgebirge. 


Volani  der  atmosphar.Lnft 
ZD  0,27  0.,  welche  damit  in 

RuckBtahd  nach  15  bis 

iter  RockaUnd  ent- 
bielt 

Beriibrong  g«bracbt  wurde 

21  Tage 

Saaent  iKoblens, 

250 

212 

0,10' 

0,04 

450 

418 

0,18 

0,02 

300 

260 

0,07 

0,08 

520 

492 

0,20 

0,04 

500 

446 

0,11 

0,07 

D«r  BinfluM  tier  in  dem  Ackerboden  MllialtMMi  BMnoxyde  etc.  |45 


2.    Versueke  mil  Humus  von  verschiedenen  Orten 

angesttUt 


Tage  der  Beriihning 


Riickttand  yroh  d«n  a«fangs  Torbandenea  0^7  0« 

in  5  Glocken 


2 
3 
4 
5 
8 
U 
14 


1. 

2. 

3. 

4 

0,20 

0,24 

0,19 

0,20 

0,16 

0,20 

0,15 

0,20 

0,16 

0,15 

0,14 

0,16 

— 

0,13 

0,11 

0,15 

0,10 

0,10 

0,11 

0,11 

0,08 

0,10 

0,11 

0,06 

Oflo 

0,06 

0,04 

0,08 

5. 

0,20 
0,20 
0,17 
0,16 
0,13 
0,09 
0,09 


3.    Versuche  mit  einfachen  Erden. 


SubtluM* 


Kttckttaad  t. 
d.  Mifin^eb. 
0,27  TlL  O. 


ZtU 


'llionerde 

0,00 

Thonerde 

0,08 

Schwererde 

0,08 

Thonerde 

0,12 

Thonerde 

0,08 

Kalkerae 

0,20 

Schwererde 

0,11 

Von  17.  Fructidor  bis   4.  Vendem. 


4.  Vendem. 

- 

14. 

17.  Fructidor 

« 

14. 

6.        — 

• 

14. 

6.       — 

• 

14. 

6.        ^ 

- 

14 

6.        — 

«. 

14. 

Dieaer  Resuliate  bedietile  sich  Humboldl  bei  derErkla* 
rung  der  Fruchtbarkeit  des  Thon-  nnd  HumnsbodenSy  des 
Nuizens  der  Brache  etc.  Saussure  (Sohn)*)  fand  aber  diese 
Thalsachen  nicht  bestatigt.  Er  hat  4  (Jnzen  AJaunerde,  die 
er  aus  AIaunaufl5sung  mit  Ammoniak  pracipirte,  und  naeh 
dem  Auswaschen  an  der  Luft  trocknetei  im  angefeuchteten 


*)  Gilb.  Annalen  der  Physik  I.  105,  and  Joomal  de  physfiqae  par  De- 

lam^tberie  IV.  470.     . 
Ermaos  Ruas.  Archlv.  Bd.  XI.  H.  I.  10 


146  Pbyatkallseh-mathematisclie  Wisienschaften. 

Zusiande  mi  50  CubiksoU  atmospharischer  Luft  in  Beriihrung 
gehalten,  und  nach  langem  Stehen  keine  Absorptionsseichen 
bemerkt.  Dieselben  Resultate  erhiell  er  mil  AeU-  und  koh* 
lensaurem  Kalk  und  Kieselerde. 

Auch  bei  Bert  ho  lie  I*)  ist  angegeben,  dass  der  Director 
des  florentinischen  Museums  Fabroni,  die  Humboldt*scheu 
Versuche  phne  Erfolg  wiederholte.  Auch  Champy  (Sohn), 
der  in  Kairo  mit  Nilschwamm,  und  Chaptal,  der  lu  Mont- 
pellier  Humboldt's  Versuche  wiederholte,  beslatigen  seine 
Resultate  nicht. 

BerthoUet  unterwarf  angefeuchtete  Thonerde  demEin- 
flusse  almospharischeF  Luft  und  reinen  Sauerstoflfs  ohne  Spu- 
ren  von  Verschluckung  wahrzunehmen ;  er  bemerkt  ferner, 
dass  der  ihm  von  Guy  ton-  mitgetheilte  weisse  Thon,  welcher 
4)eim  Gluhen  etwas  Kohlensaure  und  sogar  Ueine  Spuren  von 
Kohienwassersloff  lieferte,  xlerselben  Prufungiinterworfen  keine 
Spuren  von  Absorption  erzeugte, 

NurGirtanner's  **)  Resultate stimmten  mit  denen  Hum- 
boldt's iiberein,  dass  d<is  Sauerstoffgas  von  reinen  Erden, 
vorzuglich  aber  von  der  Thonerde  verschluckt  werde,  obgleich 
er  in  der  Erklarung  derThatsache  ganz  von  Humboldt  ab- 
weicht.  L'atmosphere,  sagt  er,  n'est  point,  comme  on  I'a  cru 
jusqu'a  present,  un  melange  de  gaz  oxygene  et  de  gas  aiote, 
mais  plutot  un  melange  de  gaz  oxygene  ei  hydrogene,  une 
eau  en  forme  de  gaz,  s*il  m'est  permis  de  me  servir  de  cette 
expression.  Lorsque,  par  des  experiences  chimiques,  qu^on  a 
appelees  bien  improprement  eudiometriques,  Toxygene  est  se« 
pare  de  Thydrogene,  cette  separation  ne  pent  jamais  se  faire 
entierement  ou  completemenl.  Une  partie  de  Toxygene  reste 
unie  a  Thydrogene,  et  forme  la  combinaison  chimique,  que 
nous  nommons  azote,  et  que  nous  obtenons  dans  ces  expe- 
riences. 


*)  Gilb.  Ann.  der  Pbysik  VII.  81,  o.  Ann.  de  Cbimie  XXXV,  23. 
♦*)  Annales  de  Cliiinie  XXXIV.   1. 


Der  BinfloM  der  in  dem  Ackerboden  entliaUehen  Bisenoxyde  etc.  147 

E  m  m  e  r  t  *)  wiederholle  Humboldt 's  Versuche  und 
dehnie  sie  auf  die  Alkalien  und  andere  feuerbestandige  Stoffe 
aus.  In  seiner  Abhandiung  iheilt  er  die  zahlreichen  Resqilale 
mit,  die  er  mittelsi  der  nachslehenden  Methode  erzielte:  die 
zu  untersuchenden  Subsianzen  befeuchtete  er  mit  Wasser,  so 
dass  sie  die  Consistenz  eines  Teiges  annahmen,  und  brachle 
sie  mil  einer  gewissen  Quanlitat  atinospharischer  Luft  in  Be* 
riihrung.  Diese  Luft  wurde  mil  geldschtem  Kaike  von  der 
Kohlensaure  gereinigt,  und  mit  VVasser  abgesperrt,  welches 
langere  Zeit  mit  der  atmospharischen  Luft  in  Beriihrung  war, 
urn  wahrend  des  Versuches  die  zu  untersuchende  Luft  nicht 
zu  absorbiren.  Nach  dieser  M^thode  erhielt  er  foigende  Re- 
sultate: 

Millagszeil,    Temperalur   18"  R.,   barometrischer   Druck 
etwas  unter  27  ZoIJ,  helies  Wetter: 
Humus  absorbirte  2  C.  C.  Sauerstoff 

Eisenkalk  3  C.  C.        — 

Then  3  C.  C.  Luft,  bestehend  aus 

2,9717  c.  c.  O  und  0,0285  N. 
Kalkhydrat  2  C.  C.  almospharischer  Luft 

Kreide  I  C.  C.  — '  ^ 

Gebrannter  Kalk  1,75  C.  C.         —         .     — 

Magnesia  1,66  C.  C.       —  — 

Anhydrit  1  C.  C.  —  — 

Doppellkohlensaure^r  Kali      1,75  C.  C.  —  -^ 

Emmert  bemerkt  ferner: 
I.  AUe  diese  Subsianzen  absorbirteri  die  Gase  nur  iui 
angefeuchteten  Zuslande  die  Quanlilat  des  beim  Anfeuch- 
ten  gebrauchlen  Wassers  beforderte  die  Intensiliit  der  Absorp- 
tion im  geraden  Verhaltnisse  nur  bis  zu  einem  gewissen 
Punkte.  Im  Uebersclmsse  des  Wassers  fand  keine  Absorp- 
tion statt 


*)  GUb.  Annalen  der  Pliys.  VI.  101  und  Dissert  inaug.  med.de  incoin- 
bastibiliam  non  nullorum  vi  in  aerem  atmosphaericuui.  Auci.  Aog» 
Ferd.  Godofr.  Emmert.    Tibingae  1800. 

10* 


148  Pbjtikatlfeli-matheiiiatiiche  WistenAchafteh. 

2.  Die  mil  SSuren  aiigefeuchteten  Subslanzen  absorbirlen 
atmospharische  Luft. 

3.  Die  Oberflache  des  unler  dem  Einfluss^  der  zu  unler- 
suchenden  Luft  befindlichen  Korpera  stand  inK  geradm  Ver? 
haltDbse  zur  Intensitat  der  Absorption* 

4.  Kalte,  starke  Hitze  und  Licht  wirkten  gegen  die  Ab- 
sorption. Wenn  die  Substanzen  im  Dunkeln  viel  Gas  absor* 
birlen,  so  verloren  sie  beim  Lichle  das  Gas  vollslandig. 

5.  Elastidtat  und  electrischer  Zustand  der  Atmosphare 
schienen  keinen  Einfluss  auf  die  Absorption  auszuiiben. 

6.  In  der  Intensitat  der  AbsoqHion  tibertrafen  Humus  und 
Eisenkalk  alle  iibrigen'  Korper.^ 

Emmert  theilte  noch  einige  Gesetze  niit,  die  iibrigens 
von  geringerem  Interesse  sind. 

Auch  konnen  hier  die  von  verscbiedenen  Gelehrten  an* 
gesteiiten  Versuche  iiber  Absorption  der  Gasarlen  durch  Kohle 
passenden  Platz  finden. 

Das  Absorptionsvermogeh  der  Kohle  wurde  gleichzeitig 

von  Scheele  und  Fpntana,  unabhangig  von  einander,  enl- 

deckt.    Es  beschaftigten  sich  damit  viele  Gelehrte,  von  denen 

nur  die  wichtigeren  hier  aufgezahlt  werden  konnen ,  namlich; 

Fontana:  Compressibililat  der  Gasarten.     Gilberts 

Annalen  der  Physik  XV.  67. 
Graf  V.  Morozzo:   Ueber  die  Absorption  der  Kohle. 

Ebendaselbst  XVUI.  239. 
Verdichtung  der  Case  durch  die  Kohie.    Ebendaselbst 

XL  VII.  115. 
Roupe     und    van    Norden:     Journal    de    Physi- 
que LVIII/ 
Die  wichtigste  Arbeit  verdankcn  wir  dem  beriihmten  Na- 
turforscher  Theodor   v.   Saussure*)   Professor   zu   Genf. 
Hier  wird  es  nicht  tiberflussig  sein,   einige  Resultatc  seiner 
lehrreichen  Arbeit  kurz  auseinanderzuselzen. 


*)  Gilb.  Annalen  der  Pliysik  XLVII.  113. 


Der  BinflaM  4et  in  den  AckerbodM  eiillialt«Mii  EtoeMzyde  etc.  I49 

A.    VeT8uehe  mil  reinen  Gaseo. 
Hier  Bind  besonders  zu  bemerken: 

a)  Eiafluss  des  atmospharischen  Wassers.  Wenn  die  Kohle 
einige  Zeit  sich  an  der  freien  Luft  befindeii  sO'  saugt  sie  Was- 
serdampfe  aus  der  Atmosphare  ein,  so  dass  man  aie  gewSbn- 
lieh  su  den  Absorpiionaversucben  durcbzuglahen  pflegi;  aonsi 
kann  man  kein  reines  Resuliat  erwarlen. 

h)  Einflasa  der  Porosilat  Die  Dichtigkeit  der  Kohle  ateht 
im  geraden  Verhaltnisse  zu  der  Absorption,  aber  nur  bis  sti 
einem  gewissen  Grade,  Sehr  dichie  Kohlenarten,  wie  %.  B« 
Graphit,  absorbiren  kein  Gas  mehn 

e)  Einfluss  des  barometrischen  Dmckes.  MiUelst  der  Lnft- 
pumpe  kann  man  die  Kohle  Ibeilweise  von  den  absorbirlen 
Gasen  befreietti  doch  ein  Theil  der  ietzten  bleibi  in  der  KoMe 
barinackig  znruck. 

i)  Der  Einfluss  der  Temperaiur  steht  im  umgekehrten 
Verhaltnisse  zu  der  Intensilat  der  Absorption.  Um  eine  KoMe 
von  den  eingesogenen  Gasen  zu  befreien,  ist  die  erstcre 
durchzuglnhen* 

B.    Versuche  mil  vermischten  Gasen* 

Saussure^ebt  hier  folgendes  an: 

Wenn  die  Gase  vehntscht  sind,  so  findet  bei  der  Absorp- 
tion eine  Art  von  Wahlverwandtschaft  statt,  und  zwar: 

1.  Wird  die  mit  einem  Gase  sehon  geschwiingerte  Kohle 
in  ein  anderes  Gas  gebraehti  so  verliert  sie  einen  Tbeil  des 
erstereUy  und  ersetzt  es  durch  das  letatere.  Wenn  das  erstere 
verdichtungsfahiger,  als  das  letztere  ist,  so  vergrossert  sich  das 
Gasvolumeu  um  die  Kohle,  und  es  entstebt  Kalte,  und  umge« 
kehrt.  Wenn  die  Kohle  in  ein  Gemisch  von  zwei  Gasen  ge- 
brachl  wird,  so  absorbirt  sie  mehr  von  dem,  zu  welcbem  sie 
grSssere  Yerwandtschaft  hat  So  z.  B.  verschluckt  sie  aus 
der  atmospharischen  Luft  Sauerstoff  und  lassl  Stickstoff  zuriick. 

%  Wenn  man  ein  Gas  mittelst  eines  andern  aus  der 
Kohle  austreiben  will^  so  gebrauche  man  das  austreibende  Gas 
im  Ueberschuss. 


150  PlijaikalMcti«iiii»themmtiMsii<»  WisMiiBcfaaftcnu 

3.  Weon  die  Koble  demEinflusse  einiger  Case  sugleich 
unierworfen  ist,  so  absorbirt  sie  diese  in  grosserer  Menge,  als 
einzeln  filr  sicb. 

Saussure's  Meinung,  dass  bei  der  verstarkten  Absorp- 
iioa  vermischter  Case  keine  diemische  Verbindung  siattfinde, 
wurde  in  neuerer  Zeit  als  grundlos  erwiesen.  Er  besliitigte 
nicht  die  ResuUate  von  Roupe  und  van  Norden,  dass 
Wasser.  gebildet  werde  in  dem  Fall,  wenn  man  mil  Wasser- 
ato%as  geschwangerte  Kohle  in  Sauerstoffgas  bringt;  doch 
Dulong  und  Thenard*)  haben  bewiesen,  dass  umWasser- 
stoff  und  Sauerslolt  in  der  Kohle  au  Wasser  su  verbinden^ 
350^  C.^  erforderlich  sind;  die  Kohle  aber  wirkt  aaf  ein  Ge* 
misch  von  Schwefehvasserstoff  und  Sauerstoff  oder  atmospha- 
rischer  Luft  schon  bei  gewohnlicher  Temperatur  sersetsend 
ein;  namiich,  wenn  man  mit  Schwefelwasserstoff  gesiittigte 
Kohle  in  (rocknen,  uber  Quecksilber  aufgefangenen  Sauerstoff 
bringt,  so  entsteht  Wasser  unter  Explosion  und  Abscheidung^ 
von  SchwefeL 

Aile  bis  jetzt  von  Saussure  abgehandelten Geselze  sind 
von  besonderem  Interesse,  weil  sie  nicht  nur  fur  Kohle,  son- 
dem  auch  fiir  andere  Korper .  geUen. 

Ausserdem  ist  hier  die  sich  bei  der  Verdichtung  der  Gase 
durch  die.  Kohle  entwickelnde  freie  Wiinne  zu  bemerken.  Zur 
Bestimmung  dieser  Warme  bediente  sich  Saussure  bei  sei* 
nen  Versuchen  eines  kleinen  Thermometers,  dessen  Kugel  er 
in  der  Kohle  befestigte.  In  grossen  Massen  pulverisirter  Kohle 
ist,  in  Folge  der  Verdichtung  des  Sauerstoffs  aus  der  Atmo- 
sphare,  die  sich  entwickelnde  freie  Warme  zuweilen  so  bedeu- 
tend,  dass  freiwillige  Entzundung  entsteht.  In  dieser  Hinsicht 
verdienen  die  Beobachtungen  des  Obersten  Aubert  **)  vollige 
AufmerksamkeiL 

Ueber  andere  Korper  ausser  der  Kohle  hat  Saussure 
folgende  ResuUate  mitgelheilt. 

Temperatur  15®  C.  Barometersland  etwa  ^30. 

•)  Annates  de  Chimie  et  de  Physique,  2  Serie  XXIV.  380, 
**)  AnnaUs  de  Chimie  et  dePhysiqae  XLV.  73  und  Annalen  derPhysik 
and  der  Chemie  XX.  451. 


Dvr  EiafluH  der  in  dein  Aekarboden  «iithalteBen  Eitanxyit  etc.  151 


»P!»S 

1       :-§3li-3 

ailoM 

1         !:-533ls 

iioqnspun 

t         IM3I3 

i|oq«Bini«j, 

1           S-iiSlI 

i)oqj»(Ki|o«H 

1       liilSI 

^loiliasBH 

1       si-Sill 

ipiiuiSiag 

1        S-i'lSI 

s<l.(o 

1        1 1 1 iij 

ZJBiibuiiuiAiiias 

1          SS-illS- 

iieiidojp.(n 

J5K     S55S-I5 

3|J0^ajai[ 

SM    ilSiSi 

>EaqBEZ]0[] 

5M      ^21111 

jajaiqDsqsrx 

s- 1 1    s-:-ss-£-l 

Dineq3U9>H 

s-ii:45s-:-3:-l 

J 

BM, 

152  Pbysfkallsch-inttbematiMh*  WitMiitchafteB. 

Alle  diese  Kdrper  waren  bei  verschiedenen  Bedingungen 
dem  Einflusse  der  Gase  dargeboten.  Einige  wurden  gegliiht, 
als:  Holzasbest,  Bergkork  und  Schwimraquarz;  Meerschaum 
wurde  erwarmt  und  im  luftverdiinnten  Raume  abgekiihU; 
Gyps  wurde  mil  Wasser  vermiscbiy  und  dann  nach  dem  Er* 
harlen  in's  Gas  gebracht,  Klebschiefer  wurde  im  luftverdiinn- 
ten Raume,  Hydrophan  und  Bergmilch  an  der  Luft,  und  alie 
Holzarten,  so  auch  WoUe  und  Seide  iiber  Chlorcalcium  ge- 
trocknet.  Ausserdem  ist  hier  wohl  zu  bemerken,  dass  alle 
Korper,  mit  welchenSaussure  Absorplionsversuche  anstellte, 
beim  Einbringen  in  die  Gase  auch  viel  Quecksilber  verschluck- 
ten.  Nur  Kohle  und  Hydrophan  machten  hiervon  eine  Aus- 
nahme. 

Ich  erlaube  mir  jetzt  von  meiner  eigenen  Arbeit  Rechen* 
schaft  zu  geben.  Auf  Veranlassung  des  Hm.  Prof.  N.  Je- 
ljesnow  wurde  mir  dieEfare,  den  Einfluss  der  in  den  Acker- 
erden  befindlichen  Eisenoxyde  und  des  Thons  auf  die  Absorption 
desAmmoniaks  durcfa  die  fiodenarten  mittelst  einerReihe  von 
Versuchen  zu  bestinunen.  Ich  unternahm  diese  Arbeit  im 
Pharmaceutischen  Laboratorium  unter  der  Leitung  des  Hm. 
Prof.  Laskowskji. 

Die  Substanzen,  die  mir  vom  Hm.  Prof,  Jeljesnow  zum 
Untersuchen  geliefert  wurden,  waren  grosstentbeils  von  un- 
bestimmter  chemischer  Zusammensetzung,  namlich,  die  in  der 
Natur  vorkommenden  Thonarten  und  Ackererden.  Um  eini- 
germassen  auf  die  Eigenschaflen  solcher  Substanzen  schliessen 
zu  konnen,  muss  man  viele  Resultate  analylischer  Arbeiten 
vor  sich  haben.  Gegenwartig  besitzen  wir  noch  nicbts  in  die- 
ser  Hinsicht.  Ich  habe  mir  vorgenommen,  die  unlen  angege- 
benen  Thonarten  einer  genauen  chemischen  Analyse  zu  unter*^ 
werfeUi  diese  umstlindliche  Arbeit  aber,  die  sehr  viel  Zeit 
erfordert,  ist  nur  im  Anfange,  kann  deshalb  hier  nicht  angege- 
ben  werden,  und  wird  der  Gegenstand  einer  spcciellen  Unter- 
suchung  sein. 

Um  bei  den  Ackererden,  die  bekanntlich  mehr  oder  weni- 
ger  reich  an  organischen  Bestandtheilen  sind,  die  Quantitat 


Der  BinfloM  der  in  den  Aekerboden  enthallMien  Biten'oxyde  etc  153 

dieser  letsleren  dnnSherungsweise  £U  bestimineii ,  nahm  ich 
einen  gewissen  Antheil  der  bei  100^  C.  gelrockneten  Brde, 
und  unterwarf  sie  in  einer  Platinschale  auf  einer  WeingeisU 
lampe  mil  doppeltem  Luflzuge  dem  Gliihen  bis  zur  voUstan- 
digen  Zerstdrung  der  breniibareu  Stoffe.  Nach  voUendeter 
OperaUon  wurde  die  Schale  iin  luftvardiinnten  Raume  uber 
Schwefelsaure  einige  Zeit  atehen  gelaasen,  dann  gewogen, 
und  der  Gewichlsverlusl  als  organische  Substanzen  berecbnei. 

Um  die  in  Salzsaure  aufloslichen  Bestandtheile  zu  be- 
stimmen,  wurde  der  gegliihle  Rucksland  mit  dieser  ersieren 
ubergossen  und  wiederholt  gekocht,  die  Masse  filtrirt,  der 
Riicksland  ausgesiisst^  gelrocknet,  gegltiht,  gewogen,  und  der 
Gewichtsverlust  nach  Abzug  der  Filterasche  fiir  die  in  Sals-* 
siiure  auflosbaren  Theite  gerechneL 

Ein  anderer  Antheil  der  fein  gesiebten  Erde  wurde  nach 
dem  Gliihen  geschiaoimt  Der  aus  grSberen  Theilen  beste- 
hende  Riicksland  getrocknet,  gegliihti  gewogen  und  der  Ge« 
wichlsverlusl  fiir  den  absehlammbaren  Theil  genommen. 

Obgleich  diese  Methode  am  schnelisten  zum  Ziele  fiihrte, 
so  kann  man  behaupten,  dass  sie  nur  unvollstandig  waf. 

Ich  beslimmle  die  Absorptionsfahigkeil-  der  folgenden 
secbzebn  Substanzen,  von  denen  die  vier  ersten  von  genau  be- 
stimmter^  die  letzteren  zwoU  aber  von  nocb  mcht  ermitleller 
chemischer  Zusammensefzong  sind. 

A.    Substanzen  von  genau  bestimmter  chemischer 

Zusammensetzung. 

L  Eisenoxyduly  FeO,  berdtete  ich  aus  rostfreienMageln 
die  ich  in  verdiinnter  Schwefekaure  aufldste.  Nach  sorgKlti«* 
get  Krystallisalion  wurde  das  erhaltene  schwefelsaure  Eisen- 
oxydul  in  distiilirtem  VVasser,  welches  vorlaufig  ausgekocbk 
war,  aufgelost,  und  mit  concentrirter  Kalilauge,  die  ebenso  nut 
ausgekochtem  Wasser  verfertigt  war,  priicipilirl.  Der  Nieder-^ 
scUag  wurde  ausgewaschen ,  im  luftverdiinnten  Raume  ge- 
trocknet,  die  von  aussen  gebildele  Rinde  von  Eiseooxyd  ab- 


154  Pbysikalisch-mathematisGhe  Wifsenschafien. 

geschabi,  und  in  diesem  Zustande  gepriift  DieSchwierigkeit 
dieses  Praparai  rein  darzuslellen  erlaubte  mir  nur  wenige 
Versuche  damil  auszufiihren. 

2.  Eisenoxyd,  Fe,0,,  erhielt  ich  auch  durch  Krystallisa- 
tion  gereinigtem  Eisenvitrioi  unter  Zusalz  von  concentrirter 
Schwefelsaure  und  Oxydalion  des  Oxyduls  miUeist  Salpeter- 
saure  zum  Oxyd.  Nach  den  Entweichen  der  rothen  Dampfe 
wurde  die  Masse  mil  Wasser  verdiinnl,  fiitrirt,  milAmmoniak 
pracjpitirt  und  der  entstandne  Niederschlag  so  lange  auf  einem 
Filler  gewaschen,  bis  ein  Theilchen  des  ablaufenden  Wassers 
auf  Plalinblech  verdampft  keinen  Riicksland  hinterliess  und 
Chlorbaryuinlosung  nicht  triibie.  Das  specifische  Gewicht  des 
auf  diese  Weise  dargesteiUen  Eisenoxydes  war  im  lufUrocke* 
nen  Zustande  3,41,  des  bei  100®  C.  getrockneten  3,421,  des 
gegliihten  5,208. 

3.  Thonerde,  Al,0,,  erhielt  ich  aus  Alaunauflosung,  die 
ich  mit  tiberschiissigem  -  kohlensauren  Kali  behandelle.  Das 
Gemfsch  wurde  bis  zum  Kochen  erhilzt,  der  entstandene  Nie- 
derschlag ausgesiissii  getrocknei,  dann  in  Salpelersaure  auf- 
gelossi,  filtrirt,  und  aus  dem  Filtrate  die  Thonerde  mit  iiber- 
schiissigem  Ammoniak  ausgeschieden.  Nach  sorgfaltigem 
Auswaschen  wurde  die  Masse  in  massiger  Warme  getrocknet, 
und  in  diesem  Zustande  besass  die  Thonerde  das  spec.  Gew. 
3,73,  bei  lOO""  C.  getrocknet  3,62  und  gegluht  3,55. 

4  Gereinigter  Thon  wurde  aus  Gluchowschem  Thone  auf 
folgende  Art  dargestellt:  der  Thon  ward  sehr  vorsicbtig  ab- 
geschlammt,  die  geschlammte  Masse  in  verdiinnter  Salzsaure 
einige  Stunden  in  massiger  Wiirme  digerirt,  dann  aufs  Filter 
gebracht,  und  mit  destillirtem  Wasser  so  lange  ausgewaschen, 
bis  diezuletzt  ablaufendeFliissigkeitSchwefelcyafukaliumlSsung* 
nicht  farbte.  Um  die  Ueberzeugung  zu  gewinnen^  dass  alle 
in  Salzsaure  auflosbaren  Stoffe  entfernt  waren,  wurde  die 
Operation  mit  einem  Theile  der  schon  auf  eben  beschriebene 
Weise  gereinigten  Substanz  mit  erwiinschtem  Erfolge  wieder- 
holt.    Das  specifische  Gewicht  des  lufttrocknen  Thones  fand 


Der  Binflass  der  in  clem  Ackerboden  enthaUeneii  Risenozyde  etc.  155 

ich  2,246,  des  bei   lOO''  C.  gelrockneten  2,197,  des  gegiith- 
len  2,018. 


B.    Substanzen  von   nicht   ermittelter    cheniischer 

Zusammensetzung. 

a)  Thonarten. 

5.  Gluchowscher  Thon,  genommen  im  Tschernigower 
Gouvernements-Bezirke  zu  Gluchow,  weiss  von  Farbe,  von 
sehr  geringem  Eisengehalte.  Im  lufltrockenen  Zuslande  fand 
ich  das  spec.  Gew.  dieses  Thones  2,27,  bei  100®  C.  getrock- 
net  2,18,  in  gegliihlem  Zuslande  2,032.  Der  Operation  des 
Schlammens  unterworfen  lasst  er  nur  einen  unbedeutenden 
Riickstand  zuriick.  Einige  Modifikationen  dieser  Thonart  sind 
in  Moskau  im  Handel  zu  bekommen. 

6.  Ockerhaltiger  Thon,  genommen  an  der  Oka  im  Ka- 
Jugischen  Gouvememenls-Bezirke  zu  Kaluga,  dunkelroth  ge- 
farbt,  vom  muschligem  Bruche;  im  Wasser  bildel  er  einen 
dunkelrothen  klebrigen  Teig.  Das  spec.  Gew.  des  lufltrocke- 
nen betriigt  2,84,  des  bei  100®  C.  gelrockneten, 2,65,  des  ge- 
gliihten  2,375.  Aus  9,36  Grmm.  des  bei  100®  0.  gelrockneten 
Thones  blieben  nach  dem  Abschlammen  3,65  Grmm.  zuriick. 
Der  qualitativcn  Priifung  nach  schien  das  ein  Eisensilikat  mil 
ein  wenig  Thon  und  anderen  Beimischungen  zu  sein. 

7.  Sandiget*  Thon  (Pe^tsch^nka)  aus  dem  Moskauschen' 
Gouvernemenls- Bez.  zu  Bogorodsk,  von  Minino,  in  dieser  Thon^ 
art  kann  man  die  noch  unzersetzten  glanzenden  Glimmer- 
schuppen  mil  unbewaffnetem  Aoge  bemerken.  Spec.  Gew.  des 
luftlrocknen  2,309,  des  bei  100®  C.  gelrockneten  2,23,  des  ge- 
gliihlen  2,108.  Aus  10,52  Grmm.  des  bei  100®  C.  gelrockne- 
ten Thones  fand  ich  4,335  Grmm.  abschlammbar. 

8.  T5pferlhon,  ebendaher,  genommen  zwischen  den  Dor- 
fern  Rjatsehiza  und  Nowaja,  griinlichgrau  gefarbt,  von  musch- 
lichem  Bruche,  beim  Gliihen  farbt  er  sich  braun;   specifisches 


156  PJiydkaliscb-iiuUhematitcbe  WiMenschftften. 

Gewichi  des  luritrockeoen  2^,  des  bei  100®  C.  getrockhelen 
2,31,  des  gcgliihien  2,161.  Aus  7,352  Grmm.  des  bei  lOO""  C. 
getrockneten  Thones  babe  ich  4,68  Grmm.  abgeschlamuit 

9.  Fayan^ethon,  ebendaher,  genommen  zu  Wochna,  gelb- 
lichweiss  von  Farbej  mii  sichlbaren  GJiounerschuppen ,  speci- 
0s€hes  Gewichi  des  lufttrockenen  2,521,  des  bei  100®  C.  ge- 
irockeneten  2,37,  im  gegiiihten  Zustande  2,09.  Aus  8,73 
Grmm.  des  bei  100®  C.  getrockeneten  sind  5,35  Grmm.  ab- 
schlammbar* 

10*  Seifenthon  (Mylowka),  ebendaher,  genommen  su  Ji- 
rowo,  blaulichgr^u  gelarbt,  von  muschlichem  Bruche,  \inler 
dem  Polirslal  niinmt  er  eipe  glanzende  Oberflache  an.  Spe* 
cifisches  Gewichi  des  an  der  Luft  getrockneten  2^466,  des  bei 
100®  C.  getrockneten  2,32,  des  gegluhten  2,167.  Aus  11,32 
Gramm.  des  bei  100®  C.  getrockneten  Thones  sind  8,62  Grmm. 
abschiammbar. 


b)  Ackererden. 

11.  Ackererde  aus  der  agronomischen  Normalanstalt 
(ferme  modele)  unweit  von  Kasan,  von  ziemlich  dunkler  Farbe. 
Im  lufltrocknen  Zustande  £and  ich  das  spec*  Gew.  dieser  Erde 
2,2,  bei  100®  C.  getrocknei  besass  die  Erde  das  spec.  Gew. 
1,95.  In  3,631  Grmm*  fand  ich  0,317  bei  der  Rotbgitihhitze 
zerstorbare  organiscbe  Beslandtheile.  Aus  3,314  Grmm.  der 
gegluhten  Erde  zog  kochende  Salzsaure  0,265  Grmm.  Aus 
5,621  Grmm.  der  gegluhten  Erde  enthielten  1,03  Grmm.  ah- 
schliimmbarer  Theile. 

In  100  Theilen: 
Organischer  Substanzen  8,73 

In  Salssiiure  loslicher  Bestandtheile    7,99 
Abschlammbarer  Theile  18,21. 

12.  Untergrund  derselben. 

13.  Ackererde  aus  der  agronomischen  Normalanstalt  un- 
weit von  Moskau  in  Butyrki  genommen.    Im  lufttrocknen  Zu- 


Der  fiinfloM  der  In  dem  Ackerbodtn  entbaltonen  Bitenoxyde  etc.  ]57 

stande  fand  ich  das  spec.  6ew.  dieserErde  1^986;  beilOO^C. 
gelrocknet  fand  Hr.  Preobrajenskji  1,8. 

14.  Ackererde  aus  dem  Simbirakschen  Gouvernements* 
Bezirke  von  Sysran,  genommen  7  Werst  von  Jumofka,  sehr 
humusreich.  Spec.  Gew.  der  lufttrocknen  Erde  fand  ich  2,17, 
der  bei  IW  C.  getrockneten  1,954.  In  3,94  Grmm.  der  bei 
100®  C.  getrockneten  Erde  fand  ich  0,666  Grmm.  in  der  Roth- 
gluhhilze  zerstorbare  Bestandtheile ;  in  2,974  Gramm.  der  ge* 
giiihten  Erde  waren  0,362  diircb  kochende  Salzsaure  ausziehbar. 
Aus  7,324  Grmm.  der  gegliihten  Erde  wurde  2,13  Grmm.  ab« 
geschlammt. 

in  100  Theilen: 
Organiseher  Substanzen  22,00 

In  SahsSure  iSslicher  Besiandtheire  12,18 
Abschlammbarer  Tbeiie  29,08. 

15.  Ackererde,  genommen  6  Werst  von  Buinak  im  5im- 
birakschen  Gouvememenfs-Bezirke  von  Buin^k,  sehr  humas- 
reich;  spec.  Gew.  der  an  der  Luft  getrockneten  Erde  2,163, 
der  bei  100°  C.  getrockneten  2,07.  3,501  Grmm.  der  bei  lOO^'C. 
getrockneten  Erde  verioren  in  der  Rothgliihhitze  0^55  Grmm. 
Aus  1,951  Grmm.  zog  kochende  Salzsaure  0,396  Grmm«  aus. 
Aus  8^  Grmm.  der  gegliihten  Erde  babe  ich  3,37  Grmm.  ab- 
gesehlamnit. 

'In  100  Theilen: 
Orgamscher  Sobstansen  15,71 

In  Salzsaure  ISslicher  Bestandtheile  13,42 
Abschlammbarer  Theiie  40,41. 

16.  Ackererde  aus  dem  fimbirskschen  Gouvemements* 
Bezirke  von  ^sran,  aus  dem  Felde  des  Dorfes  Ratscheika 
in  der  Tiefe  von  V/^  Arschin  genommen,  sehr  dunkel  von 
Farbe.  Spec.  Gew.  der  an  der  Luft  getrockneten  Erde  2,203, 
der  bei  lOO""  C.  getrockneten  1,968.  In  3,631  Grmm.  bei 
100^"  0.  getrockneten  Erde  fand  ich  0,899  Grmm.  in  Roth- 
gliihhitze lerstorbarer  Stoffe.  2,698  Grmm.  enthielten  0,279 
Grmm.  in  kochender  SaizsSure  auflSsbare  Theiie.    Durch  Ab- 


]58  Physikalisch-matliematitche  Wissentchaften. 

schlammen  wurden  aus  6^  Grmm.  der  gegliihten  Erde  2,71 
Grmm.  abgeschieden. 

In  100  Theilen : 
Organischer  Subsianzen  24,48 

In  Salzsaure  loslicher  Beslandiheile  11,01 
Abschlammbarer  Theil  42,67. 

Aile  eben  erwahnten  Substanzen  wurden  nach  folgender 
Meibode  geprtift: 

Eine  Probe  der  za  untersuchenden  Subslanz  ungefShr 
von  der  GrSsse  eines  Cubikcentimelers ,  lufUrocken,  oder  bei 
100®  C.  getrocknet,  wurde  im  Recipienten  der  Luftpumpe  im 
moglichst  luftverdunnten  Raume  so  lange  gehalten,  bis  man 
sicher  sein  konnte,  dass  die  friiher  verschluekten  Gase  und 
Dampfe  theilweise  eniwichen.  Nach  dieser  Operation  wurde 
die  Substanz  in  einem  verdeckten  Porsellanschalchen  mog- 
lichst schnell  gewogen,  und  vorsichtig  in  die  RShre,  welche 
die  bestimmte  Quantitat  des  zu  untersuchenden  Gases  enihielt, 
durchs  Quecksilber  gebracht 

Die  gegliihten  und  mit  destiilirtem  Wasser  angefeuchteteli 
Substanzen  wurden  nur  gewogen,  ohne  vorher  in  den  eva- 
cuirten  Raum  gebracht  zu  werden. 

Der  Apparat  bestand  aus  einer  graduirten  CoUardeauschen 
Rohre  von  dem  Volumen  von  100  Cubikcentimeter,  die  in 
einer  Quecksilberwanne  miltelst  eines  Halters  in  verticaler 
Richtung  befestigt  war.  Das  Ganze  wurde  mit  einer  Glas- 
glocke  bedeckt,  einerseits,  urn  das  Quecksilber  vor  Staub  zu 
schiitzen,  andererseits,  um  die  nachlheiligen  Quecksilberdampfe 
zu  vermeiden. 

Die  graduirte  Rohre  wurde  jedesmal  mittelst  eine3  bis 
auf  den  Boden  reichenden  Glastrichters  mit  Quecksilbet  ge- 
fiillt,  um  die  sich  durch  das  Fallen  des  Quecksilbers  bilden* 
den  Luftblaschen  zu  vermeiden. 

Das  Ammoniakgas  bereitete  ich  aus  Salmiak,  gemischt 
mit  gebranntem  Kalke.  Um  das  Gas  voUstandig  trocken  zu 
erhalten,  wurde  zwischen  der  GaslettungsrShre  und  der  Re- 


Der  EinflasB  der  in  dem  Aekerboden  enthaitenen  Ruonoxyde  etc.  168 

torte,  aus  welcher  das  Gas  entwich,  eine  mit  Aetskalistiicken 
gefiillte  Rohre  mittelst  eines  Kautscfauk-Rehrchens   be* 

festigt 

Ictv  beschaftigte  mich  vorher  mit  denjenigen  Substansen, 
deren  chemische  Eigenschaften  bekannt  sindj  um  eine  genaue 
Vergleichung  mil  den  Substanzen  von  iiicht  ermiltelter  che* 
mi^cher  ZusammeoseUung  anstellen  zu  konnen;  dann  ging 
ich  zu  den  letzten  iiber,  namlich,  zu  den  Thonarten  und 
Ackererden,  die  in  dem  Zuslande  wie  sie  in  der  Natur  vor- 
kommen  gepriift  wurden. 

Die  nachstehende  Tabelle  enthalt  die  empirischen  Resat 
tale,  weiche  ich  durch  die  Unlersuchung  nach  der  oben  be- 
schriebenen  Melhode  ermillell  babe.  Das  Gewicht  der  bei 
den  Versuchen  angewandlen  Subslanzen  ward  auf  1  Grm. 
reducirt 


Ermans  Russ.  Archlv.  Bd.  XI.  H.  4. 


11 


Pb^ikkliicb-inatJiBnatiieli*  WiM<-n«dukften. 


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so  -"QOQ 


Der  EinfloM  der  in  dem  Ackerboden  enthalteneto  Biae'nDxyde  etc.  {61. 

Jede  Probe  der  zu'  untersuchenden  Substanz  wurde  mil 
Ammoniak  wenigstens  24  Slunden  in  Bertihrung  gelialten,  uni 
am  Ende  jedes  Versuches  Temperalur  und  barometriscber 
Dnick  beobachlet. 

Zur  anschaulichen  Darslellung  der  Resullale  sind  die  em- 
pirischen  Data  in  folgender  Tabelle  II.  auf  die  Temperalur  0® 
und    den    Druck    von    760"*"  reducirt.      Bei'  der  Reduclion 

« 

von  der  beobachtelen  Temperalur  auf  0®  gebrauchle  ich  als 
Ausdehnungscoefficienten  der  Gade  fiir  100°  die.Zabt  Ofi^, 
fiir  V  milbin  =s:  0,00865.  Die  Reduclion  4es  gefundeneki.Vo- 
lumens  bei  der  beobachleten  Temperalur  wurde  iMich  der 
Formel 

vr  - 


1 +(0,00365. >0. 
ausgeftihrl,  wo  v  das  Volumen  des  Gases  bei  der  beobachle^ 

ten  Temperalur,  und  n^  die  beobachlele  Zahl  der  Temperature 

grade  beim  Versuche  andeulel. 

Die   Reduclion    von     dem   beobachleten    baromelrischeD 

Druck  auf  760*""  wurde  nach  der  Formel 

t;.760""" 
tr  = 

P 
berechnel,  wo  p  den  beobachleten  barometrischen  Druck,  (/. 

das  Vohimen  des  Gases  bei  O'^  andeulel. 


11' 


162 


Physikalisch-inathemftiisehe  Wiftenscliaften* 


II.    Tabelle  der  auf  0®  und  auf  yfiO-^""  reducirlen  Re 

sullate. 


Sabstanzen 


• 

25,86 

26,42 

23,51 

• 

22,92 

24,12 

21,80 

• 

25,65 

25,64 

22,70 

t 

25,64 

25,46 

24,41 

• 

21,37 

22,06 

20,40 

• 

23.44 

24,80 

23,50 

• 

27,15 

27^ 

23,80 

• 

22,27 

24,45 

21,80 

k 

23,72 

23,62 

22,89 

• 

17,00 

17,43 

14,98 

• 

14,36 

12,19 

11,53 

• 

12,92 

12,43 

14,45 

• 

16,33 

11,37 

10,74 

« 

22,62 

13,73 

19,46 

• 

16,44 

13,18 

15,10 

1)  Eisenoxydul 

2)  Eisenoxyd    ....       25,86      28,42      23,51        0,00 

3)  Thoncrde     ....       22,92      24,12      21,80      10,34 

4)  Gereiniglcr  Thon  .    .       25,65      25,64      22,70        7,69 
6)  Gluchowscher  Thon         25,64    I  25,46      24,41        6,75 

6)  OckerhaUiger  Thon  .       21,37      22,06      20,40        5,06 

7)  Sandlliott      ....       23,44      24,80      23,50        6,24 

8)  TJJpferthon  ....       27,15      27,50      23,80        9,00 

9)  Fayan9ethon     .    .    .       22,27      24,45      21,80        2,84 

10)  Seifenthon    ....       23,72      23,62    |  22,89        6,48 

11)  Ackererde     . 

12)  Untergrund  . 

13)  Ackererde 

14)  Ackererde     . 

15)  Ackererde 

16)  Ackererde    . 

Die  II.  Tabetle  zeigt  also,  wie  viel  Cub.  Centim.  Ammo* 
niak  von  1  Grm.  der  zu  untersuchenden  Subslanz  verschlucki 
wurde.  Um  die  Substanzen  auch  iih  Volumen  auszudriicken, 
multiplicirte  ich  die  Zahlenwerthe  .der  obigen  (II.)  Tabelle 
inii  den  Zahlen  der  specifischen  Gewichte  der  enlsprechenden 
Substanzen,  wie  es  leicht  aus  der  IIL  Tabelle  w  ersehen  ist. 


Der  BinflasB  detr  in  dem  Ackerboden  entbaltonen  BiMnoxyde  etc.  163 


S 


111.    Tabelle   bei  Temperalur  0*  und  JeO"*"*  barome 

Irischen  Druckes. 


• 

Lnft 
net 

tillir- 
isier 

btet 

e    e 

** 

Sabstanzen 

An    der 
getrock 

Mit    des 

tern  Wa 

befeuc 

Bei    100 
getrock 

IS 

f 

1)  Eisenoxydul 

2)  Eisenoxyd   .... 

88,18 

97,22 

79,42 

0,00 

3)  Thonerde     •    .     •     . 

85,49 

89,95 

78,92 

36,71 

4)  Gereinigter  Thon 

57,60 

63,07 

49,87 

16,19 

5)  Gluchowscher  Thon 

58,43 

57,79 

53,19 

13,72 

6)  Ockerhalliger  Thon 

60,69 

62,65 

64,06 

12,01  . 

7)  Sandihon     .... 

64,12 

67,26 

51,63 

13,15 

8)  TSpferlhon  .... 

68,69 

69,57 

55,03 

19,44 

9)  Fayan^elhon     .    .    . 

56,12 

61,61 

51,66 

5,91 

10)  Seifenthon   .... 

60,01 

59,76 

53,10 

11,88 

11)  Ackererde 

37,40 

38,34 

39,41 

12)  Untergrund      .    •    . 

34,65 

28,41 

24,90 

13)  Ackererde    .... 

25,66 

24,68 

26,01 

14)  Ackererde    .... 

35,44 

24,67 

20,96 

15)  Ackererde    .... 

48,93 

29,39 

40,28 

16)  Ackererde    .... 

36,21 

29,00 

29,72 

Wenn  man  die  Abso 
nimmt,  so  lasst  sich  die 
IV.  Tabelle  aiisdriicken. 


rptionscapaciUil  der 
der  ubrigen  Stoflfe 


A]auneide  ols  1 
nach  folgender 


164 


Pliytikalitoh  -  mathematische  Wiaaensohafleii. 


IV.    Tabelle. 


P    ^ 

1 

'•^      mi    "^^ 

«i« 

Sulistanzen 

-1  ' 

'^1 

c     5 

9> 

15 

» 

e  -A 

< 

n 

1)  Eisenoxydul 

■ 

- 

2)  Eisenoxyd  .... 

1,03 

1,09 

1,01 

0,00 

3)  Thonerde    .... 

1,00 

1,00 

1,00 

1,00 

4)  Gereiniglcr  Tlion 

0,67 

0,70 

0,63 

0,44 

5)  GIttchowscher  Thoii 

0,68 

0,64 

0.67 

0,38 

6)  Ockerhaltiger  Thon 

0,71 

0,69 

0^81 

0,33 

7)  Sandihon     .... 

0,63 

0,63 

0,66 

0,.36 

8)  Topferlhon 

* 

0,80 

0,79 

0,69 

0,53 

9)  Fayan^elhon 

• 

»            < 

0,66 

0,68 

0,66 

0,11     ' 

10)  Seifenthon   .    . 

>     < 

i 

0,70 

0,66 

0,67 

0,32 

11)  Ackererde    .     . 

r            • 

1 

0,44 

0,43 

0,49 

12)  Unlergrtmd 

• 

• 

0,40 

0,33 

0,32 

*" 

13)  Ackererde    .    . 

• 

« 

0,30 

0,28 

0,33 

14)  Ackererde    .    , 

1            < 

t 

0,41 

0,28 

0,27 

15)  Ackererde    .    . 

f 

t 

0,67 

0,33 

0,51 

16)  Ackererde    .     . 

• 

< 

0,42 

0,32 

0,38 

Jetzt  steht  inir  noch  bevor,  von  der  Zuruckhaltung  des 
eingespgenen  Gases  durch  die  von  mir  untersuchten  Substan- 
zen  etwas  mitzutheilen.  Der  freien  Luft  nach  der  Operation 
ausgesetzl,  verloren  die  Substanzen  das  eingesogene  Gas  nur 
langsam  und  unvollstandig,  so  dass  man  noch  nach  einigen  Tagen 
das  Aminoniak  nachweisen  konnle.  Auch  im  evacuirten  Raume, 
oder  bei  einer  Temperalur  nichl  liber  100^  C.  eutwich  das 
verschluckle  Gas  aus  der  Substanz  nichl  vollstandig,  beson- 
ders  Eisenoxyd,  Thonerde  und  Thon  hielten  das  Gas  harU 
nackig  zuriick.  Die  gegliihten  Alaiinerde  und  Thone  besassen 
diese  Eigenschaft  im  hoheren  Grade,  so  dass  nach  dem  Ein- 
bringen  jener  Korper  in  warmes  Wasser,   einige  Tage  nach 


Der  Einflass  der  in  dem  Ackerboden  enthaltenen  Bisenozyde  etc.  165 

der  Operation,  dieses  letztere  ammoniakalischen  Geschmack  und 
alkalische  Reaklion  bekani. 

Die  von  mir  angesteliten  Versuche  waren  bei  gewdhn* 
licher  Temperatur  und  Lufldruek  ausgetuhrt,  so  dass  der  Un- 
terschied  swischen  den  letzleren  in  einzeinen  Versuchen  nur 
unbedeulend  war.  Es  ist  wiinschenswerih  diese  Versuche  bei 
einer  constanten  Temperatur,  z.  B.  bei  0^,  und  bei  einem  ver- 
stiirkten,  auch  bei  bedeulendi  verminderten  Drucke  auszuriih- 
ren ;  ich  veriiere  die  Hoffnung  nicht,  zu  diesen  Versucfien  noch 
einmal  zuriickzukehren. 

Durch  diese  Unlersuchung  bin  ich  zu  folgenden  Schltis- 
sen  gekommen: 

1)  Eisenoxyd  und  Thonerde  iui  freien  Zustande  absorbi- 
ren  mehr  Ammoniak,  als  in  Verbindung  mit  Kieselsaure. 

2)  Eisenoxyd  ini  gegliihlen  Zuslande  absofbirt  kein  Am* 
moniakgas  mehr.  Das  spec.  Gew.  dieses  KSrpers  ist  in  diesem 
Zuslande  5,208. 

3)  Thon  und  Thonerde  absorbiren  im  gegluhten  Zustande 
verhaltnissmassig  weniger  Amnioniak  als  bei  einem  gewissen 
Feuchligkeitsgrade. 

4)  Die  im  fruchlbaren  Ackerboden  befindlichen  Eisenoxyde 
und  der  ihonige  Antheil  befordern  die  Absorption  des  Ammo* 
niaks  aus  der  Atmosphare. 


Lieutenant  Pints  Reise. 


IM  ach  Zeitungsnachrichten  vom  Januar  1852  diirften  die  oben 
besprochenen  Untersuchungen  (in  d.  Arch.  Bd.  XI.  S,  82)^  fiir 
jetzt  entvveder  gar  nicht  odcr  doch  nicht  von  Englandern  aus* 
gefiihrt  werden.  Lieutenant  Pirn  wiirde  vielmehr,  wie  er  an 
Herrn  Murchison  geschrieben  hat^  schon  von  Petersburg 
aus,  seinen  Ruckweg  nach  London  antreten,  nachdem  ihniy 
namentlich  durch  Schilderungen  der  Herren  Bar  und  Mid- 
dendovf,  die  Schwierigkeilen  seines  Vorhabens  abschrecken* 
der  und  dasjenige  was  Russischer  Seits  zur  Aufiindung  der 
Frank! in schen  Expedition  bereits  geschehen,  bekannter  ge« 
worden  sei  als  bisher.  Herr  Murchison  verspricht  derLon* 
doner  Geographischen  Gesellschaft  ausfuhrlichere  Mittheilungen 
iiber  dieses  friihzeitige  Scheitern  eines  Planes,  an  dem  sie  so 
lebhaften  Antheil  genommen  habe. 


Druck  von  Georg  Reimer. 


J 

f 


Archiv 


far 


\¥isseii8chaftliche  Kunde 


von 


R  u  s  s  1  a  n  d. 


Herausgegeben 
▼on 

A.     K  r  m  a  n« 


Elfter    Band* 

Zweites    Heft. 

Mit  Tier  Tafeln. 


Berlin, 

Verlag  Ton  Georg  Reimer. 

1852. 


Scenen  aus  dem  Leben  in  Orasien.  *) 


W&hrend  in  einem  Kreise  Trinker  mil  einander  sankteti) 
gab  das  Fest  in  anderen  Kreisen  zu  ganz  anderen  Scenen 
Veranlassung.  Hier  wurden  Miitzen  so  geschickt  in  die  Hohe 
geworfen>  dass  sie  beim  Niederfallen  wieder  gerade  auf  die 
Kopfe  ihrer  Besitzer  kamen;  dort  fiihrten  kleine  Kinder  mit 
nackten  FuDsen  Tanze  auf,  und  die  sitzenden  Ei^'achsenen 
klatschten  beifallig  in  die  Hande.  Heiiere  Lieder,  die  Einzelne 
zumBesten  gaben,  wiederholten  die  Chore  larmend.  ^asan* 
dare**)  gingen  von  einem  Kreise  zum  anderen  und  unter«- 
hielten  die  Leute  mit  ihren  Crzahlungen.  Die  grusischen  Mi- 
nistrels  sind  mebt  hochbejahrle  Manner,  die  keine  Arbeiten 
mehr  thun  konnen.  Ihr  musikalisches  Instrument,  das  sie  nicht 
aus  den  Handen  lassen,  ist  ein  abgehobeltes  Biiffelhorn,  mit 
einer  Reihe  kleiner  Oeffnungen  der  Lange  nach,  mit  Klappern 
am  weiten  Ende  und  einem  daran  befestigten  aufgeblahten 
Schlauche;  die  mit  der  Hand  aus  dem  Schlauche  gedriickte 
Luft  zieht  durch  das  Horn,  und  so  entsteht  ein  monoloner 
Schall,  der  aber  durch  das  Spiel  der  Finger  an  den  Oeffnun- 
gen vermannigfaltigt  wird.  Der  ^asandar  erlangt  durch  be- 
standige  Uebung  die  Fertigkeit,  Verse  iiber  gegebene  Themata 


*)  Fortsetzang  und  Schlass  einet  ArtikeU,  detsen  Anfadg  im  10.  Band« 
zu  lesen. 

**)  yfo\  einea  Ursprangs  mit  dem  pertitchen  ViAjxLaw  #&sanda  oder  #a- 

sende  Mnsikdr,  Ton  Mk%  masiealuiebes  Instrument 
BxuMDM  JIUBB.  ArchiY.  Bd.  XI.  H«  S.  12 


}g3  Allgeiuein  Literaritches. 

zu  improvisiren;   seine  Melodieen  sind  eintonig  und  schwer- 
muihig. 

Der  Wein  von  der  Rebe  isl  im  ostlichen  Grusien  das  ge- 
wohnliche  GeirSnke^  mil  welchem  die  Eingebornen  von  frii- 
her  Jugend  an  sich  vertraut  machen^  und  welches  dem  arm- 
sien  Schlucker  su  keinem  Imbisse,  den  er  that,  fehlen  darf. 
Wenn  es  ja  einmal  vorkommt,  dass  ein  Kachelier  keinen  Wein- 
garten^lntyf-fio  seM  ^r:AUeflr  dtraii , 'vm  weiug^teoii^  inimer 
Wein  zu  haben.  Man  trinkt  den  Wein  in  grolisen  Quantila- 
ten.  Bei  einem  langen  Fesigelage  nimmt  ein  geiibter  Trinker 
ein  ganzes Tschelwert  bequem  zu  sich;. die  Ermel  der  Tschoeha 
bis  an  die  Schulterh  zurucksciilagend  und  den'Giirtel  losend, 
welleifern  die  Ti3chgen6sseh  im  Poculireii/ wahrei^d  das  ver- 
dampfende  edle  Nass  aus  .alien  Poreri'  .de$*K5rpers  dring(. 
Ohne  Beimischung  anderer  Ingrediehzen  ist  der  T^eiii.  un- 
schadlich;  aber  unihafsi^er'Hang.  zii  dem$.elben  giebt  sich 
durch  zerslorende  .Wirkuiigen  kund:  dahin  gehort  ein  holiter 
Husteni  diese'in  KacheUen  geivobnUche  PWge. 

£!s  war  ziemlich  kalt  geworden.  Auf  dem  freien  I^atz 
der  Kirche  errichtete  man  eiiien  grofsen  "Efolzstofs,  deii'  die 
Gruppen  von  alien  S'eiten  umgaben.  Dfe  allgemeine  Heiler- 
keit  aulserte  sich  in  Scherzen,  Possen  lind  lautem  G'elachler; 
Einige,  die  ihre  Korperkrafl  zeigen  woUten^  versuchlen  schwere 
Steine  vom  Boden  aufzuheben.  Bald  organisirten  sich  gym- 
nastische  Spiele.  Einer  aus  dem  Haufen  sonderte  sich*  ab, 
kriimmie  den  oberen  Tbeil  seines  Korpers,  das  Gesicht  zur 
Seiie  gewendet,  und  bot  so  den  Spielenden  seineh  Rucken; 
dann  k^men  die  Uebrigen  und  volligirten  von  eiaem  gewissen 
Punkte  aus  der  Reihe  nach  iiber  ihn  hinweg.  Dabei  zeigten 
Einige  grofse  Gewandiheit  und  Geschmeidigkeit  der  Glieder; 
sie  ubersprangen  einen  Raum  von  ungefahr  zwei  5ajenen» 
ohne  irgend  mil  Hand  oder  FuCs  den  zu  beriihren,  liber  wel- 
chen  sie'hinwe^etzten;  oder  sie  schlugen  wahrehd  desSprun- 
ges  einen  Purzelbaum  in  der  Lufi,  und  kamen  wieder  gerade 
auf  ibi^e  FiiCse  zu  stehen. 

Auch  Tanze  Erwachsener  wurden  aufgefiihrt    Die  Grup- 


SceiMli  alls  dem  Left««  ia  Orasi^n.  |)Q9 

«f^  t^MeleW  %\v^rf  abgeson  'iter  Spittte  jisder 

cRefihe  '^tand  ein  kiindiger  Sanger,  und  dds  ^n'lVaAsfcauka^ieti 
gewohftiiohe  OrchesteV:  '^Ifte  Tromtnel  mit  eitier  Surna  oder 
'tiifief' P1IM;6  aus  Bambuirdhr.  Der  Trommler  wirbeit  ana 
allen^KrSflish  und  derPttttenspieler  blast  dergestait/  Aass  settle 
«Augen  mitBIui  unterlatifen  warden  und  der  Kdfp'er  ans^faWiHl, 
'*nh  ob  tfc  phrU^n  'wollle.  Di^  Eingebomen  finden  arf  rhrer 
'Surna 'gfofsta  Genuss',  fast  bei  alien  Ergdelichkeilen  aiebt 
man  neben  europaisehen  Inslrom^ten  auch  die  asialisehen, 
'wekhe- jen^e  mlt  aller  Gewall  zu  iibertauben  suchen.  Die 
Liedef  wtirden  im  Recitativ  gesUiigen.  Zuerst  sang  der  Vor- 
'Sanger  der  einen  Partei  einen  Vers,  in  welchen  seine- Partii 
obligat  einfiel,  wahrend  die  aindere  Gruppe  scllMriti^g;  darauf 
Ihaten  die  Gegner  yon  ihrer  SeHe  ein  Gieiehes;  dabei  stMog 
Ailes  in  die  Hande.  -  In  den  Raum  swiichen  bddto  Gnippen 
traten  die  TSnzer  vbrrsie  begannen  mil  kleinen  Pas  tmd  ac^ 
gemden^Bewegungen,  tiie  aber,  als  das  Blut  in  denAdem 
iBtarker  toHte,  allmaltch  ^'asch  und  rascher  wurderi.  Bald  ge- 
litigten^die  P&s  und  Pirbueifen  nicht  mebr;  es  ttriscblen  isfieh 
auch  Baj^zokiin^te  hihein.  '  '  ' 

Nach  den  Sf^i^fM  dndTSnzen  kato  der  Perehut  m  dift 
Reihe.  Es  bildeie-sich'ein  Kreis,  der  immer  niehr  anwuchft: 
die  Theilnebmergingeh  ariftng^  rithig;  tttit  berabhangeiKlea 
Armenj  'ia*dei*  Htinde  lierum ; '  danfi '  rBcklen  sie  dichter  zu*- 

»  *  *  * 

'^aolmeni^verRo'chteh  ifare  Arme,  und  kreisten  sdNoteH,  dabei 
so  stark  aufstampfend',  dass"  der*  Boden  tinter  fhnen  erbebte. 
Gesungen  wurde  dazu  nach  ^denselben  Regein  wie  vorhin. 
Tfie  grusischen  Lieder  sind  grfifstentheils  Schdpfungen  der 
-i%sandair^s«  Ifare  Wei^en  sind  verschieden:  wenn  das  idnere 
Lieben  ^s  Volkei*  besuHgerr  wirdj  so  haben  sie  einen  frdhli- 
dien  CharatMr ;  sind  aber  Sicdnen  aus  der  Geschichte  der 
Be^j'ehdn^^n'  Gtusiens  zu  ^usseren  Feinden  ihr  Gegensland, 
so  vH^d  die  Melodie  kiagenti  und  schwermiithig.  Lieder  lez- 
terer  Art' sind  die  befiebtesten. 

In  eiiiem '  diesef  PerchuPs  sang  man  die  Abenleuer  des 
lusdhnschen    (tuscheliscben)  Helden  Ninia.     Die   Tuschinaen 

12* 


170  Allgemein  Literarischef, 

(Tuschetier),  ein  grusisches  Bergvolk,  wohnen  auf  derGrense 
Kacheiiens  und  Lesgistans.  Bestandige  Reibungen  mil  den 
Lesgiern  haben  ihren  Muth  bis  zur  Bewunderung  gestahlt. 
Trots  ihrer  kleiiien  Zahl  sind  sie  im  ganzen  Kaukasus  ge- 
fi^rte  Heldeiii  die  oft  grofse  Scharen  der  Feinde  zuriick- 
werfen.  Sie  tragen  gewichtige  Panzer;  ihre  kupfernen  Helme, 
ihre  Schilde  und  Armschienen  flimmern  in  der  Sonne.  In  der 
mannlich  schenen  Gestalt,  dem  stolzen  Blicke,  den  wilden 
Nationalgesangen  dieser  Leute  spiegelt  sich  das  ritterlich  edie 
Selbstgefiihl  der  S5hne  des  Gebirges.  Ninia  gehorte  zu  ihren 
merkwiirdigsten  Characteren;  seine  Tapferkeit  und  Verwe- 
genheit  machten  ihn  in  Lesgistan  zum  Spruchworte.  Nicht 
selten  war  er  dort  Gefangener  und  immer  entwich  er  wie- 
der  unbeschadigt;  daher  waren  ihm  die  Walder  und  Dorfer 
der  Lesgier  sehr  gut  bekannt  An  der  Spitze  eines  klei- 
nen  Gefolges,  das  ihm  an  Tapferkeit  nicht  nacbstand,  legte  er 
9ich  in  Hinterhalte  und  nahm  ganze  Haufen  Feinde  gefangen. 
Nichft  selten  zog  er  ganz  allein  iiber  die  Grenze,  schweifte 
zur  Nacbtzeit  umher/und  trieb  ganze  Heerden  schSner  Sehafe 
der  Lesgier  nach  Tuschetien.  Endlicfa  verliels  ihn  sein  Gliick : 
zwanzig  bewaffnete  Lesgier  feuerten  aus  einem  Hinterhalte 
auf  unseren  Helden;  die  erste  Kugel  todtete  sein  Pferd;  er 
selbst,  wie  wuthend  er  sich  wehrte,  wie  vide  seiner  Feinde 
er  niederstreckte,  ward,  von  todtlichen  Wunden  bedeckt^  er- 
griffen,  Man  schnitt  seinen  Korper  in  kleine  Stiicke,  und  stekte 
die  rechte  Hand  ak  Siegestrpphae  auf  einen  PfahL 

Am  anderen  Morgen  fiihrte  das  weibhche  Geschlechi 
9eine  Tanze  auf.  Es  bildeten  sich  zwei  gedrangte  Reihen 
Grusierinnen,  von  den  gaffenden  Mannem  umgeben.  Eine 
Trommel  ging  von  Hand  zu  Hand.  Diese,  mit  Fischblase 
iiberspannte  und  mitSchellen  versehene  Trommel  ist  von  den 
weiblichen  Tanzen  unzertrennlich.  Auf  ihr  spielen  fast  nur 
die  jungen  Grusierinnen ;  sie  schlagen  das  Instrument  flink 
mit  denHanden,  schwingen  es  herum^  werfen  es  indieHohe; 
sein  dumpfer  Ton  mischt  sich  mit  dem  Klimpem  der  Schel- 


Scenenam  Jem  Lebeo  in  Gfuaien.  17} 

len."^)    Nach   einander  traten  die  jungen  Madchen  (Bejahrtd 
und  Verheiraihete   tans^n   niemals)  in   den  Miitelraum   und 
sehweblen  dahin  wie  Schwane:  mit  suriickgeworfentm  Haupte, 
aber  niedergeschlagenen  Augen  tanzten  sie,   die  Arme  bald 
aufwartSy  bald  ab warts  biegend.     Die  Bewegungen   wurden 
langsamer  oder  rascHer,  je  nachdem  die  Trommel  langsam 
Oder  rasch  geschlagen  ward.     War  ein  Tanz  beendigi,  ao 
machten  sie  zuerst  eine  Verbeugung  nach  alien  Seilen,  dann 
vor  Einer  ihrer  Gefahrtinnen ,  was  Aufforderung  zum  Tanze 
bedeutet,  und  verschwanden  in  einem  Nu  unter  den  Frauen. 
Auf  dem  Platz  vor  der  Kirche  begannen  die  Ringer  ihre 
Spiele.    Das  Ringen  gehl  also  vor  sich.    GewShnUch  wahU 
man  zwei  starke  und  gewandte  Manner,  dis  schon  Uebung  in 
dieser  Kunst  faaben.    Um  jeden  Ringer  bildet  sich  eine  Par- 
tel    Man  zieht  ihnen  die  Oberkleider  und  Stiefeln  aus,  zieht 
ihre  Hemden  straif ,  schlagt  die  Hemdermel  und  die  Enden 
der  UnterbeinUeider  zuriick.     Jeden  lehrt  man  die  Manieren 
und  Handgriffe  des  Anderen  kennen,  und  flSfsi  ihm  MuUi  ein. 
Die  Ringer  Ireien  mil   bleichen  Gesichiern  und  an  Han4en 
und  Fulsen  zittemd,  als  galie  es  Leben  oder  Tod,  auf  den 
Kampfplatz.    Lange  bewegen  aie   sich  um  einander  herum, 
entweder  schweigend   und   mil    concenlrirter  Physiognomic^ 
oder  auch  lachefaid  und  scherzend,  um  ihre  Kaltbltlligkeit  zu 
zeigen.    Jeder  will  seinen  Gegner  so  vorlheilhaft  als  mSglich 
fassen;  darum  kommen  sie  bald  zSgernd^  bald  hastig  und  mil 
raschen  Evoluiionen  heran,  und  haben  sie  einander  einmal 
schlecht  gefassti   so   eilen   sie  wieder  auseinander.     Endlich 
umschlingen  sie  sich  und  der  Kampf  beginnt    Die  Zuschauer 
beobachten  und  eriiisiren  jede  ihrer   Bewegungen.     Hat  der 
gewandtere  Ringer  endlich  die  Oberhand,   und  sein  Gegnert 


*)  Der  Verf.  icheint  anzanehnien »  dies  Infltrument  sei  aar  in  Grasien 
zu  Hanse;  es  ist  aber  das  bekannte  Tamboarin  oder  die  Scbellen- 
trommel  (arabisch  duff  and  mit  demArtikel  adduff),  welcbes  ub^r 
Spanien,  wo  ihm  sein  arabischer  Name  (in  der  Form  adufe)  ge- 
bUeben,  scbon  lange  nach  dem  abrigen  Kuropa  gekommen. 


]72'  AflgMieiii  LftwaikohHi.-  -'^n 

den  er  tunkkmtoeil  haU  uhd  :tudilig^ii9«toai^r499ti?  er|^b4t 
sich^nicht,  !sd- 3i-ebi  'sich-  ErstererschmUrnHDr^  IseUt  1hii#  dwr 
RiidLeiiiiittier  und  wirft  iliniiber: seine  SchuUem;  so  dass  er^ 
der 'Lange^nach  an  den  BodJeni<faUil  ^VVenn' Mn-.jil^  lU^steg^. 
toECRsnger  den  Kamf!»f  foHsetzen  wiH,:S0  tMnlti^ida^rDeilie: 
mitd6«^ali  Ihre  Hvmden  uhd.  (JDtevbeihkleidev  sjnd*  zerfeUt; 
und  ^i  sreiber  scEVecUich  iAgerlcfatet,  mil'  Blal  am  Kdrpei> 
und'aa  den  Zabnen.  Am  Ende  vers&fahi  tnantsie^und  be-: 
wegl  cie^  einander  Ku  kifssen.  '    -       '   -- r 

^i^el  grdfser^n  Fesdicbkeiten  aufDSrfern  geht  es  nie  ohnel 
Ringkiinipfe  ab.  Nehmen  nwei  Geibeinden  ah!  eio^n)  Feste 
TheiV  so-dbefli  jede  ihrien  Ringer;  und  in  dem  Sieger  fiSum^hirt' 
eiiii  JPiwf  afibtt^  dws  alidefe.  .  .«    .     , 

^Utti'die'neunte'  Stonde  kam  eih  Priester  diit  Aivei  Diaco- 
nen  vomDcMrfe  hef,  Wo^erfllesse  geleseVi  fbalte.  JKeser  Geist^' 
lieh«;  %ir<iioifa*  jungwAlani;*  wdr  in  dem  geistlicheii  Seminar: 
zu  Tittai  ^^ebtldet  und'  spi'aeh' ziWnlieb  got  rassisch.   Die  Kirche  • 
fiilbeibeb  mit  Mensihen;*    Nach  dem  Te  Detiin  wurde  iiberall 
Weihv6i|bs0|k  ausgespengt,  worauf  die!  L^iile  vdv  dem  Chiicifix 
sich  v<^ipk|«»^teii  xmd  MniuiigiiigeiL     Rndtirh   war  die^  ganze 
Kirche  levrV'nfrrenrige'lKhiabefi  Uieben  zupoek/  dei^n'  einge- 
fallene  Gc»icbler  ^vdn  langem  Sieehttion  zeugten.    Sie  8teck«< 
ten  vom  Kopfr  b]»  zu^dtenFufsen  in  Weisser  Kleiduiig;  Hals> 
uhd  Arme'^^u^ren    mit  Kupferdratti  umiMckek/tah  Weiohem 
durcbbahrle'Aic^e   (Obrase?)   oder    kleine  KihmpaB.'*Wadis 
hingen.    Es  ist  namKch  in  Grufinien  Siite,  dass  kranke  Perso- 
nen  ein  Gelllbde  thufn^  nach  ihrer  Wiedergene^ung  zu:  Fufse, 
mehreniheSs  Barfub;  mrch  ^eirier 'maben  9der 'enifdnrten  Kirche 
zu  pilgern  und  Go4:t  ihr  C)|3rfer  zii  bringen.    ijtfwdhiilitfr 'wird 
d^s   Gellibde    (iber  .'eifi4g<iii''Wii€hs£fi^le»    and   eineni    Abas 
(Obras?)  gethan;   darauf  knetet   man  die    Lichle   zusamraen, 
durchbohrt  das  Abas,  und  hangl  beides  mittelst  Dratben  an 
Hals  und  Hande.    DerJPMsfer  nttbrn  d^B^jrimgeif  Prigern'ihVe 
Bracelets  ab,  und  schor  Jedfeiii  voh  iftfteii'-fe^4li^^r»tfeuif8rmig. 
Meine  besondere  Aufmejrtsariikeil  efreete  eih  siebenjahri- 
ger  Knabe   mit  bleichem  Gesicht,  sclhaumeriSem  .Muntle ,  und 


Scenen  aai.dem  L^ii  fa'drasien.  lyU 

etneiii   Aus<frucke  stuifkipfer  O^fbhtlo^fgicdll  M 
A^eb.     Sinh^  tteibetf-fibte  Mm^f  bit'  d^h  ^feWtlieh^Vi;   dtt 
Gebet  ;,fiir  'den'  linglOdklith«M'Sofan  einer  te^kriil'scfiVdn  Mattel^' 
£u  spr^ciMn'.    Sie  wofltis  ebett^  sfiifi  d^¥  Kittht  gehen,  als'ictf 
tu  ihr  herantrat  dnd  mil  Theihiidime  ubef  detj  Kleinen  si?" 
bcfragte.    Sie  eWtaliUe  ttAr  ftif^ehdte:       '  :  ^         .  r^r 

„Vor  funf  Jaftren'  im^tig  ifcfc  die^Kund'e^vl6tt  -d^fti  pfdisr 
hch^n  Tod  meines  Milfines/dt^  y&t\  ehietn il^aOtu',  iS^if^i"  t% 
Wald^  g^fffllt;  ^rSchla^^n  \iH^rden  war.    tw  def  Z>bii  scftlief 
gefade  inein  kleiner'^ty)^:    Idh  Unfd  hieiHe  zivei'  Itchier  er- 
hoben'ein  Jaftilnefge^hra;' tfei*^  Kleth^'erwaeht^  davon:   an 
der  Blasse  seines  Gesichls  und  einem  unnatiirlichen  Wifntiienf 
erkannten  wir,  dass  er  sehr  erschrocken  war.   Da  bemeisterle 
sich,   um  meinen  Kummer   voJl  zu  machen,  ein  unsauberer 
Geist  meines  armen  Kindes.     Einige  Tage   darauf  bemerkte 
man  die  Anzeigen  der  fallenden  Suchiy  an  der  er  bis  heute 
zu  leiden  hat.    Ich  sparte  nichts,  um  seine  Genesung  herbei- 
zufiihren.     Kundige  Frauen   beschworen  das  Uebel  und  ver- 
ordneten  Heiltranke  aus  Wurzeln  —  vergebens.    Ein  muham- 
medanischer  MuUa  offnicte  sein  geheimes  Buch,   nannte  mir 
den  Namen  des  Teufels,  der  in  meinen  Sohn  gefahren  sei^  und 
versprach,  ihn  auszutreiben.    Ich  hatte  lange  mit  dem  Mulla 
zu  thun.     Er  las  seine  BeschwSrungen  und  gab  mir  gewisse 
Pulver  in  Papier  mit  persischen  Aufschriften:  seiner  Anwei- 
sung  zufolge  wurde  das  Eine  dem  Knaben  eine  Zeillang  an 
den  Hals  gehangt,  das  Andere  unter  sein  Kopfkissen  gelegt^ 
das  dritte  imGrabe  seines  Vaters  verscharrt;  dann  musste  ich 
die  Pulver  in  Wasser  oder  Wein  auflosen  und  dem  Kinde  ein- 
geben.     Anfangs  schienen   die  Anfalle   aufhoren    zu    wollen; 
aber  iach  einiger  Zeit  kehrlen  sie  mit  erneuter  Starke  wieder. 
Ich  fuhr  jetzt  mit  meinem  Kleinen  zu  den  Docloren  in  Tiflis^ 
aber  auch  diese  konnten  nicbt  helfen.    Man  sieht,  der  Himmel 
slraft  das  Kind  um  meiner  Stinden  willen.'^    ^ 

Die  Sorgen  Barbara's  um  ihren  Karaman  kamen  ihr  tbeuer 
zustehen:  sie  zahlle  mit  Geld,  Gelraide  und  Wein,  bis  ihre 
Mittel  erschopft  waren;    dennoch  wird   des  Knaben  Zustand 


174  Allgemeiii  Litorarbchet. 

immer  bedaaernswerther.  Seme  Fahigkeiten  sind  ausserordent* 
iich  schwach:  er  versteht  Kwar  Andere;  allefai  er  antwortei  in 
unverstandlichetiy  beiXBerreisseDden  TfineiL  Dabei  kann  man 
leicht  bemerken,  dass  er  sich  sehr  anstrengt,  und  sein  baufi- 
ges  Schluchzen  und  SiShnen  verkundel  voiles  BewusaUein 
von  seinem  Zustande.  Trotz  aller  Aufsicht  seiner  Mutter  be-* 
sudelt  er  sein  Kleid^  verzehrt  Erde,  fulii  seine  Taschen  mil 
Steinen  und  schleppi  sie  mil  sich  herum.  Zu  anderen  Kin- 
dem  hat  er  gar  keine  Zuneigmig,  obwol  sie  ihm  nichi  aeken 
Theilnahme  beweisen;  sein  eimiger  lieber  Kamerad  und  un« 
zertrennlicher  Gefahrle  isi  ein  Hund,  mil  dem  er  sich  einsam 
berumtreibt 


Hiilfsleistung  d'er  rnssisch-amerikanischeii  Com- 

pagnie  bei  den  zur  Aufsuchiing  Franklin^'s 

abgeschickten  englischen  Expeditionen  *3. 


jjie  Polar-£xpedition  unter  dem  Commando  Sir  John  Frank- 
lin's verliefe  im  Jahr  1845  England.  Sie  wurde  luleizt  im 
Juli  desselben  Jahres  in  der  Baffins-Bai,  in  der  Richbing 
nach  dem  Lancaster -Canal  segeind,  gesprochen.  Seii  dieser 
Zeit  fehlen  alle  Nachrichten  uber  ihr  Schicksal,  wid  da  sie 
zur  bestimmten  Frist  nicbt  wieder  nach  England  zuriickkehrte^ 
80  mu&te  man  der  Vermuthung  Raum  geben,  dafs  die  Fahr- 
zeuge,  aus  welchen  sie  bestand,  an  irgend  einer  Stelle  des 
Eismeer^  verungluckt  seien.  Die  grolsbritannische  Regierang 
fertigte  deshalb  im  Januar  1848  zpr  Aufsuchung  derVerloren 
gegangenen  eine  Expedition  ab,  die  aus  den  Kriegsschiffen 
Herald  unter  dem  Commando  des  Chefs  der  Expedition,  Ca* 
pitain  Kellett,  und  Plover,  Capitain  Moore,  bestand.  Es  wurde 
diesen  Schiffen  vorgesehrieben,  in  der  Behriogsstra&e  zu  uber- 
wintem  und  dann  in  den  nSrdlichen  Ocean  hineinzusteueniy 
urn  dort  ihre  Nachforschungen  anzustellen.  In  Betracht  des- 
sen,  dais  die  Fahrt  der  neu  ausgeriisteten  Schifife  in  Gewas- 


*)  Von  der  Verwaltnng  der  Compagnie  mltgetheilt  (No.  160  der  fiSjd- 
wemaja-Ptschelk  yom  TOrigen  Jahr).  Obgleicb  zam  Theil  idion  be* 
kannt,  dienen  diete  Nachricbten  doch  dazn,  die  von  engliicheii  Blal- 
tern  gegebenen  Bmcbte  %n  yenrollf tandigen. 


176  Physikalitcb-matbematische  Wisieiiichaflen. 

sern  vor  sich  gehen  wiirde,  welche  das  russische  Gebiel  be- 
spiilen,  wandte  sich  die  britische  Regierung  mil  der  Bitte  an 
die  russische,  der  Expedition  nothigenfalls  UntersliitzuDg  und 
Mitwirkung  von  Seilen  der  russischen  Unterthanen  sukommen 
zu  lassen. 

Die  Hauptverwaltung  der  russisch-amerikanischen  Com- 
pagnie  inachle  es  sich  demgemafs  zur  Pflichl,  den  erwahnien 
Fahrs/e^igen  jm  .FalLibres  Crscheijiens  in  4®n  der  B.otpa^fsig- 
i^eit  der  Compagnie  unterworfenen  Hafen  des  ostlichen  Oceans 
alUn  i  mbgli^hen  Sditiis  md  Beistahd 'zu  'kist<iif.i  Itt'dtss^tf 
fand  ii<^  piebi  eiMed  dehaelbeD  in  den  russisch^aCB^orikftniiehen 
Besitziingen  ein;  nur  im  Petropaulshafen  legle  Capitain  Kel- 
leti  imjahr  1848  an  und  segelte  von  dori  nach  derBehrings- 
Strafse,  wahrend  die  ihn  begleitende  Kriegsbrigg  auch  Kam- 
tschatkti  hicht  berbhrte,  sondern  von  ihm  angewiesen -ward, 
sich  g^ra^e'sw^ges '  nach  der  Behrings-Slrabfe  zQ  begeben. 
Diese  Expe<iitioh  halle  den  Zwedk,  den  andefen  Expedition 
neD,  weicfre  Frankiia  vdn  Osteii  aus  aufsuefaten,  ^tgegenzu- 
gehen  und'sie  mit  den  nothwendigslen  BedQrfeissed  zu  vet- 
sporgen. 

Alle  diese  Nachforschungen  fahrten  jedoch  zu  ketnem 
anderen  Aesultaft,  als  den  befctrchteten  Untergang  Fraakliti's 
Doch  wahrscheinlicher  zu  machen,  und  die  britische  Regierung, 
Welche  die  Sympathie  tbeilte,  die  ganz  England  dem  Gelscbick 
des  beriibmten  Seefahrers  and  seiner  kiifanen  GePahrten  wid- 
mete/entsdhlos^  ^ich  eine  nene  Expedition  auszurilslen,  iim 
seine  Spuren*  attfeusucheh  und  ihm  wo  mSglifch  Rettung  zu 
bringeri.'  Diese  Expedition  wurde  der  Leilurtg'des  Capilain 
Colfinson  aitvertraufc  und  beslarndf  aus  den^  SthiffeH  -Enter*' 
pilstf,  Oapitam  Collmson,  und  Ihvestigatbr,  Gapil'Ahf  Maciure/ 

liiol  Diecertiber  18^  zeigle  der  bHUsdhe  Mimstei^  der  aus- 
wartigen  Angelegenheiten ,  Lord  Palmerston,  dem  russischen 
Ge^i^d^eAiin  I^opdon  die  Abfahrt  dieser  Expedition  an  und 
h^^Kktf  \\ifXi^-  iafy  die  Loisd-Cjilouimissare  der  AdmiraliUiV  d^nen 
e»^  bbkatet  pei  ^Ovsebr  dier  iriisaiaahraiivQrikaiiiacbe  C^unf^agnie 
zur  Erleichterung  dea lipiM^fis  der 'UffgkJ^kKdhen^S^cfafaFer'bei- 


Halfilebtang  itaf  rliirtMli^ttntdlHlfeisehtfft  CoiilpaitBie  M  dai  etc  177 

tragei  l»toev /w^eben '  es  gelwlgeii  wiirde  das'  FeUlaiid  su 
ew^dwii,.den  Wunsdiauftgedriickt  biUten,  dafs  die  gedachte 
CWipagnie  diejAbfai^t'dcrbritiabhtaRegieniDg  in  dieseifAn*^ 
gel4gdiifi£t'Bef5rdisrQ  mScbte.  - '  '  ' 

4n  .Gemafsheli  des  ihir  ertheillen  Kaiserlichen  Befehls  wiea. 
demnach  die  Hauptverwaltung  der  Compagnie:  den  Ober*Di- 
niktor  <fer  Cofonieeli  so^iehMan:  1)  aich  in jeder  Weiae  zu 
bemihen,  von  den  Bewohnern  der  umliegended  Gegenden< 
Erkanrdigunglsn  &btv  die  verlorengegangenen  Sehiffe  und.> 
Leute  eiiizaziehen  und  in  Elrfahrung  zu  brings,  ob  irgend: 
welche  an{  dieselbtn  beatigliche  Gerftcble  unter  den  entfern*. 
teren  wilden  Stammen;  die  um  die  Behriags-Strafse  henim; 
wohnen,  in  Umiauf  sind;  2)  einige  Baidaren  mil  zuvtottssigen' 
und  erfahrenen  Aleuten  in  Bereitschaft  m,  halten^  um  dem 
Chef  der  englischen  Expedition^  falls  er  nach  &icha  koounen 
solke,  zur  Verfugung  gestellt  zu  werden,  und  3)  aa.alle. 
DiBtnkte,  Niederlassungen  und  Einzelstellen  (odinoischki)  der 
Coloniaen  fiachsiehendes  Circular  der  Hauptverwaltung  der 
russisch-anierikanischen  Compagnie  einzostiulen : 

,,D]e  im  Jahr  1845  atis  Enigland  abgefertigte  und  spurloa 
verschoHenpe  Polar^fin tdeekungs  -  Expediti0ii  iinter  ComnMttdo 
Sfr;F<Uin''Fi!ankUn'S'  ^kuvie  zoffi .  letfcilenaial  im  Jdli' deaseibeni 
Jahrsr  in  :  def  BiifGns-'Bai',  in   der  Richtung  nach  dem  Lan« 
caster^iPanal,  gesehen^  und  da  sie  nieht  zur  bettimmten  Zeit* 
nsch  der  Heimatk  iuriiekkehrle,  so^  sebickte  man  aus:Euglandj 
zu  ihr^j^ofsiiebung  zWei  Expeditionen  atts,  die  jediiehweder 
an  dth  ostlicfae^;  noch  an  den  nordliehen  (Jfem  Anierika-s^r 
zwiseMn'*  den  ^Ftesscn  Miiekebzie  und  Coppermine ,  die  ge-* 
riiigsleivS^ff  )ven  >  ihr  antrafefi.     Es  isi  nrithin   anziiuiehmfin/ 
dafs  die  Sehiffe  diietfer  ungliidLiichen  Eatpedition  in  der  NUk^ 
dvh  httet  /MehliUe  eider  >  der  angranzenden  Lender  ^  vom '  Eise 
eMJi^esvfalDsUnivrerden'  sihd,  von  wo  aus  die*Maiin^aft'kei»^. 
Mifk^  haUe,  den  L^iioasfor-^Ganial;  oder  das  8&d]i€lie!UierAmeV 
rifca^a'au  qrreichen.   in-^ffol^  d^ssen  werden  weilese  Nach-' 
suebcM^in :  vbil  Air  i^rbbbritaniioken .  Rie^druiig  Jm  Selmmer 
des  gegeiiwarti^^n;  JahrB^(i8BQ^ iioler&oi^  Zww^ 


178  *    MysikaUich^matheiiiAtitche  Wiuehtehafleii. 

Schiffe,  die  Enterprise  und  der  Invest^ator,  von  dem  Capi- 
tain  Collinson  und  Comandeur  Maclure  befehUgt,  werden 
durch  die  Behrings  -  Strafse  fahren  vnd  Melville  2u  erreichen 
suchen,  urn  dort  zu  uberwiniern  uad  im  Fnihjafar  1851  ihre 
Bemiibungen  am  die  Reltung  der  Mannschaft  der  vermilisten 
Schiffe  fortzusetzen. 

^Indem  die  britische  Regierung  obige  Anordnungen  durch 
die  Kaiserl.  Gesandtschaft  in  London  der  russischen  Regierung 
miUheilt,  ersucht  sie  dringend  sowohl  die  Beamlen  der  rus- 
msch-amerikanischen  Compagnie^  als  auch  iiberhaupt  alle  die 
niasiscfa-amerikanischen  Colonieen  bewohnenden  Unlerthanen 
Sr.  Kaiserl.  Maj.,  den  Verungliickten  hulfreiche  Hand  zu  leislen, 
wenn  es  irgend  welchen  von  ihnen  gelungen  sein  soUte,  sich 
aufs  feste  Land  zu  reiten. 

,,Die  Hauptverwaltung  der  Compagnie,  welcbe  dieses  hier- 
mit  zur  allgemeinen  Kenntnifs  der  Colonieen  bringt,  ladel  zu- 
gleich  Alle  und  Jeden  eiui  sich  angelegentlichst  urn  die  Auf- 
suchung  der  Spuren,  sowohl  der  Mannschaft,  als  auch  der 
Schiffe  der  erwahnlen  Expedition  zu  bemiihen:.  Wer  einen 
jener  Leute  in  Sicheriieit  an  die  ihm  zunachst  Kegende  Com- 
pagnie-Station  abliefert,  wird  von  der  Cottipagnin  eine  ange- 
messene  Belohnung  erhalten,  auch  wird  dem  Kaiser  davon 
Bericht  abgestaltet  werden,  als  von  eiher  Handlung,  die  in 
Gemaisheit  des  allerhSchsten  Willens,  dem  Verlangen  der  bri- 
tischen  Regierung  zufolge,  ausgefiihrt  worden.*' 

Mit  der  zuletzt  aus  den  russischen  Colonieen  eingetroffe* 
nen  Post  hai  nun  die  Hauptverwaltung  der  Compagnie  die 
Nachricht  erhalten,  dais  am  22.  October  1850  die  englische 
Kriegs- Sloop  Enterprise,  unter  Commando  des  Capitain  Col- 
linson, im  Hafen  von  Neu-Archangel  auf  /Stcha  angekommen 
ist  Wahrend  ihres  Aufenthalts  in  diesem  Hafen  wurde  ihr 
alle  nur  mogliche  Hiilfsleistung  erwiesen,  sowohl  was  die 
Versorgung  der  Mannschaft  mit  frischen  Lebensmilteln  (der 
Hauptzweck  ihres  Einlaufens),  als  die  Befriedigung  anderer 
Schiffsbedurfnisse  betrifft.  AuCserdem  hot  der  Ober- Director 
der  Colonieen,  um  die  Nachforschungen  des  Herm  Collinson 


Halftleutang  ^•r  raitifcil-amerlluuiifehes  Comptgaie  bei  d«ii  etc  179 

su  befSrdern,  ihm  neun  Baidaren  mit  der  zur  Bewegung  der* 
selben  n5thigen  Anzahl  Aleuten  an.  Dieses  Anerbieten  wurde 
von  Herrn  Collinson  mil  besonderem  Danke  aurgeaommen^ 
indem  er  den  Nuizen,  den  ihm  dergleichen  Ruderfahrzeuge 
auf  seiner  bevorstehende  Fahrt  imEise  gewahren  warden,  in 
seinem  ganzen  Umfang  anerkannte*  Nachdem  er  bis  zuni 
2.  November  in  Neu- Archangel  verweili,  segelte  er  mit  der 
Enterprise  nach  Hongkong  ab,  wo  er  den  Winter  zubriogra 
und  sich  im  Fruhjahr  1851  von  neuem  nach  der  Behrings^ 
Stralse  begeben,  unterwegs  aber  bei  der  der  Compagnie  ge* 
hSrigen,  im  Norton -Sund  liegenden  Redoute  Micbailowskji 
anlaufen  woUte,  urn  die  Baidaren  abzuholen,  die  man  dort 
fiir  ihn  bereit  halten  wiirde. 

Von  dem  Capitain  Collinson  erfubr  der  Ober*  Director 
der  Colonieen  Folgendes  iiber  die  Thatigkeit  der  Expeditionen 
zur  Aufsuchung  Franklin's,  Nach  der  Herrn  Collinson  er« 
theilten  Instruction  soUte  er  im  Sommer  1850  mit  dem  ande-* 
ren  ihm  anvertrauten  Schiffe  Investigator,  Capitain  Maclure, 
die  Behrings  -  Strafise  passiren  und  durch  das  Eismeer  ostlich 
bis  zum  Coppermine^Fluss  oder  wo  moglich  noch  weiter  bis 
zu  einem  zum  Ueberwintem  geeigneten  Puncte  segeln,  wo 
er  anhalten  und  im  Laufe  zweier  Sommer  Ruderfahrzeuge 
und  Fu&parteien  ausschicken  sollte,  um  die  Spuren  von  Frank* 
lin  und  seiner  Expedition  aufzusuchen«  Auf  dem  Wege  nach 
der  Behrings-Stralse  wurden  die  Sloops  Investigator  und  En^ 
terprise  getrennt;  erstere  sah  man  zuletzt  am  5.  August  1850 
im  Eismeer  und  nimmt  an,  dafs  sie  entweder  festgefroren  ist 
oder  Land  im  Nord-Osten  vom  Cap  Barrow  entdeckt  hat  und 
dort  iiberwintert,  wahrend  die  Enterprise,  es  unmoglich  fin- 
dend,  nach  dem  Kupferminen-Flusse  vorzudringen,  umkehrte, 
um  sich  in  Hongkong  mit  frischen  Lebensmitteln  zu  versorgen« 

In  der  Behrings-Strafse  und  weiter  gegen  Norden  im 
Eismeer  waren,  aulser  den  genannten  Fahrzeugen,  im  Sommer 
1850  auch  die  Sloops  Herald,  Capitain  Kellett,  und  Plover, 
Capitain  Moore  (s.  oben),  mit  denselben  Nachforschungen  be- 
schaftigt.    Von  der  Sloop  Plover  aus  untemahm  man  im  ver- 


180 


PhjwiiMmiD^muiammMttitM  WlteiiMMif^r. 


gaUgenen  and  im  laalenSdtii .  Jahre  Slteifauge  jipii  Auitenlahr' 
ceugen  und  einem  verdecklen .  Boote   vom  /.Cap  Bairow  kis 
^ito  Mackenzie^Fluss  und  weiter  bis  lum  Kiipfe^imneiinFIais, 
ohne  jedoch  auf  Spuren  der  VennifsUa  ui  tnsffen;  ^  Eimge 
von  diesen  Boten  iiberwinterten  iov  Flusse  Mackenziei  andere 
kebrtcn  wohlbefaalten  nach  dem  Plover  zuruck,  der  voxigm 
Jahr  im  KoUdiue^'Sund  iiberwinlerte  uimL  de»  g^enwartigen 
Winter  hidbr  Budit  Ka^jak  (Port  Claveiice)  am  amerika- 
iuscheallfer  zubringen  wivd.  'An  demaelbeii  Orie  wird  er  aucfa 
im  Jahr  1852  ubermntern  y .  Wenn  er  nicht  auf  unerwartete 
Hittdernisse  stSfst     Die  Sloop  Herald   bat  hingegen   weder 
diesen  noch  den  vergangenen  Winter  in  der  Behrings-Stralse 
zugebracht,  da  sie  aufBefehl  ihrer  Regierung  hydrographiscbe 
Messungen  an  der  Westkiiste  von  Central* Amerika  vomehmen 
mufste,  nach  dereh  Beendigung  sie  im  Sommer  1851  zurOck- 
kehren  soUte,  da  sie  ihr«r  fiaufiillig^it  halber  sich  nicht  mehr 
ztt  Fahrten  im  Polarmeer  eignet     > 

Die  Besultalfe  dieser  sammtkchen  Ebcpeditionen*  besteben 
nur  in  einigen,  voik  den  Wllden  eingezogehen .  und  noch'*d8z'u 
sehr  proUeflbalisohen  Nacbrichtin  iiber  die  Expedition  Fraak^ 
lin^s,  in  der  Entdbckung  heuer  Inseln  im  Eifmeer,  so  \na 
einer  ansehnlidieir  Untiefe  im  nSrdliohen  Theile  der  Befarings*^ 
Strafse,  und  endlicb  in  .  der  Aufhahme  mehrerer  Hafen  im 
Kotzebue-Sund  /  am  Cap  Tschukotskoi  und  in  der  Umgegend 
desselben.  <  • 


Die  innere  Einrichtung  der  goldnen  Orda. 

Naeh 
Herren  Berj6sin  (Beresin). 


Vbschon  die  unter  dem  Namen  „goldne  Orda*'  bekannM 
mongolische  Dynastie  zwei  Jahrhunderte  uber  Russland  ge* 
herrscht  hat,  ist  unsere  Kenntniss  von  derseiben  sehr  etig  be* 
grenzt:  wir  wissen  bis  jetzt,  viel  anderer  Dinge  zu  geschwei* 
gen,  nicht  einmal  mil  Sicherheit,  wo  ihre  Residenzstadt  Saraj 
lag.  AJs  ein  nomadischer  und  wenig  cultivirter  Stai  hatie 
die  Orda  keine  eignen  Historiker;  in  russischen  Chroniken 
geschieht  ihrer  sehr  selten  ErwShnung;  und  wenn  auch  Leiite, 
die  zu  den  Mongolen  reisten,  alles  von  ihnen  gesehene  und 
beobachtete'  genau  zu  beschreiben  sich  bestrebten,  so  ent- 
fichliipfte  doch  Vieles  ihrer  Aufmerksamkeit;  aber  auch  viel  an 
und  fiir  sich  wichtiges-  mochte  ihnen  des  Aufzeichnens  unwerth 
erscheinen.  fiei  asiatischen  Schriftstellern  finden  wir  viele 
Pacta  zur  Geschichte  der  Tschinggisiden ,  aber  fiir  die  Gt^ 
schichte  der  goldnen  Orda  ist  die  Ausbeute  ziemlich  durflig. 
Dazu  kommt  noch,  dass  die  historischen  Forscher  mehr 
als  eine  Hiilfsquelle  ihrer  Siudien  verschmahen,  Wollten  sie 
dann  und  wann  bei  der  Philologie  sich  .Raths  erholen,  so 
wiirden  sie  x.  B.  erfahren,  dass  die  Bestiuuuung  der  Gegend, 
wo  die  goldne  (eigentlich  gelbe,  tiirkiseh  ^j\jo  sary)  Orda 

ihre  Wdideplatze  halte,   nicht  gar  schwer  sei:   Zarew  bat 
nicht  etwa  von  einemZar  seinen  Namen,  sondern  ist  das  Wort 


182  Hittorisch-philolosiiclie  Wi«iemcliafteii« 

Sary;  die  Namen  der  Bache  (jeriki)  bolschaja  and  ma- 
lajaZarewka  (groise  und  kleine  Z.)  sind  nichts  anderes  als 
^jifo  ^^\  j^t  erig  ulug  Sary  und  ^Juo  ^S:;^^  j^t 
eri^  kutschuk  Sary.*)  Zarizyn  ist  ^^^  ^Sj^  Sary- 
tschin;  denn  so  wird  der  Name  dieser  Stadt  in  der  talari- 
schen  Handschrift  Tavarych  Bulgaryja,  d.  i.  Bulgarische 
Geschichten,  geschrieben.    5aratow  heisst  ^b  ^Lo  Sary- 

tau  gelber  Berg.  Die  Anwesenheit  dea  Wortes  «ary  (gelb) 
in  diesen  wid  anderen  Namen  ist  entscheidend  genug. 

Die  ^tarchannyje  jarlyki,**  eine  so  reiche Quelle  sur 
Erforschung  der  innem  Einrichtungen  der  goldnen  Orda,  sind 
von  den  Geschichtschreibem  eben  so  wenig  benuizft  worden. 
Freilich  lassen  auch  Jarzow's  und  Hammer-Purgstalls  Ueber- 
setzungen  derselben  gar  viel  zu  wiinschen  ubrig.  Als  Herr 
Berj6sin  im  vorigen  Jahre  eine  neue  UeberseUung  des  Schrei- 
bens  Tochtamysch^s  an  Jagiello*^)  untemahm,  musste  er  zu* 
gleich  drei  andere  tarchanische  Originalschreiben,  welche  auf 
unsere  Zeit  gekommen,  griindlich  sludiren,  namentlich  das 
von  Timur  Kuiluk  (in  clen  Fundgruben  des  Orients ,  Th.  V.) 
mit  Hammers  Uebersetzung,  und  die  beiden  Schreiben  des 
Tochtamysch  und  5aadet  Girej,  mit  Jarzow*s  Uebersetzung 
(in  den  Denkschriften  der  historisch-archaologischen  Gesell- 
schaft  zu  Odessa),  f)  Dieses  Studium  zeigte  ihm  die  ganze 
Ungriindlichkeit  der  Uebersetzungen  des  russischen  und  des 
deutschen  Orientalisten,  und  bestimmte  ihn,  die  genannten  drei 
Schreiben  mit  Anmerkungen  und  einer  treueren  Version  neu 
herauszugeben,  ff )  Das  merkwiirdigste  und  dabei  schwierigste 


••1 


*)  Jerik  wird  noch  jetzt  an  der  nnteren  Wolga  ein  Bach  genaant. 
')  HeraaBgegeben  yon  dem  Knas  Obolen<kji.  Kaian  1850.    Dieses  Bnch, 
das  wir  nachstens  anzeigen  werden,  ist  No.  I.  der  ,,Chan<kie  Jar- 
lyki^*  des  Herren  Berdsin. 
^)  Nicht  ztt  yerweobseln  mit  den  scbriftlichen  Denkmalem  aiis  der  Zeit 
des  Tochtamysdi ,  weLcbe.im  ersten  Bande  diesen  Archiys,  S.  178ff.| 
besprochen  worden. 
ft)  No.  11.  der  „Cban<kle  Jarlyki,**  ebenfalls  1850  erschienen,  nns  aber 
noch  nicbt  zogekommen.  —  Die  Brochure  ,,Innere  Binrichtang  (wna- 


Die  innere  Binrichtung  der  golckea  Orda.  J83 

Original-Jarlyk  ist  unstreitig  das  von  Timur  Kutiug,  in  undeut- 
licher  uigurischer  Schrift  und  aJliurkiseher  Spracbe. 

Wafr  die,  nur  in  russrseber  Spra^he  eihaltenen  Jarlyk% 
beififft,  welcbe  Grigorjew  am  Scblusie  seiner  scbarfainnig^n 
Unlersuchung :  „Ueber  die  Glaubwurdigkeil  der  Jarlyts^* 
u.  s.  w.  abdrucken  lassen,  *)  so  fand  Herr  B.  diese  alle  mebr 
oder  minder  merkwiirdig  und  besonders  wichlig  su  Beaiim* 
inung  der  Sleucrn,  \Velcbe  in  Russland  fiir  die  Orda  einge* 
sammelt  wurden. 

Da  der  Verf.  auf  die  y,tarchannyje  jarlyki'*  seine  Unter- 
saehuDgen  griindel,  so  glaubl  er  vor  Allein  iiber  die  Bedeur 
iong  dieser  Benennung  sich  erklaren  bu  nnissen.  Das  Work 
tnrchan  ist  moisgolisch  und  bedeutet:  Schmiedy  Werkmeisker, 
freier  Mann.  Diese  verschiednen  Bedeulungen  einesWortes 
sind  auf  folgende  Ueberlieferung  gegriindet:  die  Ueberleben* 
den  des  von  Feinden  ausgerotteten  Stammes  Monggol  (der 
Mongolen)  verbargen  sich  im  Thale  Ergene-Chon,  von  wo  sie 
nach  400jahrigeai  Aufenlbalte,  Dank  der  Industrie  eines  Schniie* 
deSy  Namens  T  arch  an,  der  einen  Theil  des  (eisernen)  Ber* 
ges  niederschmoJz^  ubi  einen  Durchgang  zu  ofTnen,  nach  ihreo 
friiheren  Weideplatsen  zuruckkehrken,  Seik  dieser  Zeik  gab 
es  einen  eignen  Skand,  die  Tarchane,  welche  g^nz  steuer* 
freieLeuke  waren.  Nach  einer  anderen  mongolischen  Ueber- 
lieferung ware  Tschinggis-Chan  selber  Sibhmied  gewesen  und 
hatke  am  Fufse  des  Berges  Tarchan,  welcher  davon  seinen 
Namen  erhalten,  Eisen  geschmiedet.  Die  Gewohnheik,  Ver- 
dienske  mit  alleriei  Privilegien  zu  belohnen,  beskand  in  alien 
Staaken  der  Nachfolger  des  Tschinggis,  und  von  Tarchanen 
sprechen  aiie  europaische  ReiaAnde^  weiche  die  uiongolischen 
Kaiser  besuchk,  indem  sie  sie  Bar  one  nennen.  Zum  Zwecke 
der  Befreiung  von  Skeuern  und  Auflagen  erkheilke  man   be- 


krenneje  iKtroi^two)    der  Goldneii  Orda,   nach  den  Jarlyk's  der 

Chane^\  ist  No.  III.  dieser  philologisclien   Tnlogie,    und   gleichfalls 

1850  datirt;  mit  dieser  haben  wir  es  bier  zn  than. 
*)  Vergl.  dieses  Archiv,  Bd.  IV.  S.  49  C  Schokts  Recension  in  den  Jabr- 

biicbem  fiir  wissenschaftl.  Kritik,  November  1844,  No.  96. 
finnans  Russ.  Archiv.  Bd.  XI.  H.  S.  13 


184  Historiscb  -  philologisclie  Wissentchaften. 

sondere,  im  Aligemeinen  gleichfdnnig  eingerichlele  Jarlyk*s: 
zuerst  kommt  erne  Aufzahlung  der  Wiirdetitrager^  an  welche 
der  Chan  mil  seinem  Befehle  sich  wendef,  und  dann  werden 
die  larchanischen  Privilegien  hergezahlt.     Die  rusdache  GeisU 
liehkeil  erhielt  bestandig  von  den  Chanen    der  Orda   aolehe 
Jarlyk's,  deren  Originaie  verioren  sind.     Auch   der  beruhmte 
Tamerlan  machte  seine  Anbiinger  zu  Tarcbanen.    Den  mon" 
golisch-kalmykiscben  SaUungen  zufolge^  wird  derjenige  Tar* 
chan,  welcber  seinen  Fiirsten  in  einer  Schlacht  rettet    Die 
Sitte  tarcbaniscber  Steuerbefreiungen  ging  auch  zu  den  christ- 
lichen  Russen  iiber,  bei  denen  geisiliche  wie  welUiche  Perso- 
nen  dergieichen    empfingen:   zuweilen    erslreckte   sich  dieses 
Rpcbi  iiber  ganze  Stadte,  z.  B.  Nowgorod  unier  Boris  Godu^ 
now.     Der  Anfang    zur   Aufhebung   dieser  Steuerbefreiungen 
wurde  in  Russland  uins  Jahr  1549  gemacbt;  Feodor  Joanne- 
witsch   verordnele  zeiUiche  Auffaebung,  und  Alexji  Micbailo- 
witseh  schaflite  sie  im  J.  1672  ab. 

Der  Vorfasser  lasst  nun  eine  Uebersicbt  der  Wiirden  und 
Aeuiter  und  eine  der  verschiednen  Arten  von  Abgaben  unter 
der  Mongolenherrschaft  in  Russland  folgen,  mii  Hinvveisungen 
auf  die  Jarlyk's  in  welchen  sie  erwabnt  sind.  Weitere  Auf- 
klarung  findet  man  in  den  Anmerkungen  zu  seiner  neuen  Aus^ 
gabe  der  tarchanischen  Jarlyk's  des  Tiinur*Kutluk,  Tochta- 
mysch  und  iSaadel-Girej. 


in  Jarlyk  des  Tocbtamysch  in  altmongoliseher 

Schrift. 


M.  ochtainysch  hiefs  ein  Chan  der  mongolischen  Dyftastia^ 
welche  von  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderls  bis  1480  Uber 
Russland  regierte.  Seine  eigne  Regierungszett  falll  in  die 
letzlen  Jahrzehnte  des  14.  Jahrhunderts;  er  war  Zeitgenoisse 
des  grofsen  osmanischen  Sultans  Bajesid  Jilderim  und  des 
Weltsturraers  Timur  (Tamerlan),  welcher  letztere  Ihn  wider 
seinen  Biutsverwandten  Urus-Chan  beschiitzl  und  ais  Gebie^^ 
ter  von  Kyptschak  eingesetzt  hatte.  Aber  1387  veranlasstt 
die  Herrschsucht  desVasalien  anen  Brueh  zwisehen  ibm  und 
seinem  furchtbaren  Lehnsherren.  Timur  zog  mehrmals  wid^r 
ibn  zu  Felde,  schlug  ihn  endlich  (1392)  aufs  Haupt,  und 
verheerte  Kyptschak.  Im  Jahre  1395  verlor  Tochtaoiys^eh 
sein  Leben  im  Kampfe  mit  einem  abtriinnigen  Heerfiihrer; 
nach  Anderen  floh  er  im  selben  Jahre  vor  einer  nochmali- 
gen  Invasion  Timurs  zu  dem  K5nige  von  Littauen,  an  dessen 
Hofe  er  starb. 

Ein  von  diesem  Fiirsten  erlassenes  Cabinetschreiben  ,wurde 
bereits  vor  elf  Jahren  in  Text  und  Uebersetzung  bekannt 
gemacht.  *)  Das  vorliegende  (an  Jagiello  von  Polen  und  Lit- 
tauen)  verdient,  Iheils  ob  seines  Inhalts,  iheils  ob  derSchrift- 
ziigCi  mit  denen  es  geschrieben^  noch  grofsere  Beachtung. 
Die  Sprache  ist  zwar  wieder  (altes)  tiirkisch;  die  Schrift  aber 


•)  Bd.  I.  S.  178  C 

13 


186 


Historisch  -  philologische  Wissentchaften. 


altmongolisch,  und  der  Inhalt  hat  einigen  geschichtKchen  Werth. 
Dem  morgenlandiscben  Texte  ward  eine  amiliche  UebersetniDg 
(vielmehr  freie  Bearbei(ung)  in  russischer  Sprache  beigelegt 
die  sich  ebenfalls  erhalten  hat  und  die  sowol  wegen  ihrerZu- 
satze  zum  Originale,  als  aus  graphischen  Grttnden  merkwur- 
dig  ist. 

Beide  Documenie  wurden  schon  1834  im  Hauptarduve 
•des  au$Wiartig6n  Min^teriums  ui  Mo«ka|J  eotdeckt,  und  xwar 
unter  Papieren,  die  weiland  im  Kronarchive  zu  Krakau  sich 
befunden  batten.  Erst  1850  traten  sie  ana  Licht  der  Oeffent- 
lichkeit,  gedolmetscht  von  Herren  Beijdsin  unter  dem  Titel: 
,^arlyk  des  T.,  Chanes  der  Goldnen  Orda,  an  den  polnischen 
Jagailo/' 

Das  BUcbloin  beginnt  mit  einer  Vorrede  des  Entdeckers, 
Knas  Obolen^kji.  ^  Es  folgen:  1)  ein  Facsimile  des  tiirkischen 
Jarlyk;  2)  eine  Umscbreibung  desselben  in  arabisdie  Schrift, 
durch  den  Professor  Kasem-Bek;  3)  die  alte  russische  (west- 
Tusisische)  Bearbeitung  mit  einem  Facsimile  von  siebenZeilen; 
4)  eine  alte  polniscbe  Uebersetzung,  nach  der  russischen  an- 
gefertigi;  5)  Beilagen,  enlhaltend  Ausziige  aus  Briefen  iiber 
das  Jariyky  mit  Ueberselzungen  Kowalewski's  und  Kasem- 
Bek's;  6)  Erlauterungen,  enthaltend  Berjdsin's  Uebersetzung 
and  philologisch-kritische  Glossen  mit  vorstehender  Einleitung, 
desgleichen  eine  Umscbreibung  des  Jarlyk  in  heulige  mongo- 
iische  Schrifti  von  Bansarow. 

Wir  lassen  nun  das  Jarlyk  nach  Herren  Berjdsin*s  Ver* 
sion  (plgen  und  stellen  ibr  eine  deutsche  Uebertragung  des 
alten  russischen  Documents  zur  Seite. 


I. 


an 


Wort  detf  TochtamyBob 
Jagiello. 
Wir  haben  Gesandte  (an  dicli) 
geschickt,  von  denen  die  vornehm- 
sCen  Kotlabnga  und  A«an  waren,  nm 
(dir  meih)  Gelangen  zur  hochsten 
Stelle  zu  mclden,  und  audi  du  bast 
an  una  einen  Getandten  gescbickt 


II. 
Wort    des     Tocbtaoiysch    an 

den  Koni^  von  Polen. 

Wir  tbun  unserem  Brnder  knnd, 
"dass  wir  den  Thron  des  groDien  Rei* 
ches  bestiegen  haben.  Als  wir  die- 
sen  kaiserlichen  Thron  znerst  ben. 
stiegen,  da  scbickten  wir  A#an  oad 
Kotlubnga  an  eoch  ab,  nm  enoh  die 


Bin  Jarlylf  det  Toehtamytcli. 


187 


Im  dritten  Jalire  (meiiier  Regierubg) 
wurde  durdi  einige  Uglane,  toq  de- 
nen  Belbulat  und  Chodja  Medhi  die 
▼ornehmsten     waren ,      detgleicben 
dnrch  Beke,   deren  vornefiinste  B«- 
kiich    nnd  Turdtitschak  fierdi  Da* 
▼ud,    ein '  Menscfa    NameM    IdSliG 
(ofane  mein  Wissen)  an  Timor  alK 
gefertigt.  Ibreni  Begebr  zitfolge  kam 
Timar.     Als    derseihe,'  ifirer  List 
yertraoend ,       heitnlidi      beraitzog,, 
sammelten    wir,    sobald    wir  Kunde 
erbalten,  unsere  Mannschaften;  aber 
bevor  es  zur  Schlacbt  kam,  Yeriies-- 
sen  jene  Bosewichter  ibren  Posttfn, 
weshalb  das  Volfc  ein  Gleicbes  (bat. 
Solcfaes  war  die  Veranlassnng  des- 
•en,  was  bis  jetzt  gescbeben.     Gott 
hat  unsGnade  bewiesen;  er  hat  uns 
die   feiivdseligen   Uglane    nnd  Beke 
ausgeliefert ,  anter  welcben  Bekba* 
lat,    Cbod/a  Medin,   Begitscb    und 
Tiirdatscbak  Berdi  Davod  die  for* 
nehmsten.      Jetzt    baben    wir   Ge-* 
sandte  gescbickt,  von  denen   Asan 
and  Tain  Chotscha    die   romehm- 
sten ,  nrn  each  dieses  Breigniss   zn 
melden. 

Aus  deri  nns  tintergebenen  Herr- 
schaiten  sammie  Stenern  nnd  iiber- 
g^eb  sie-  den  ankonimenden  Gesand- 
ten  zar  Abliefemng  in  den  Scbatz. 
Mogen  aocli,  wie  es  vormals  Kegel 
war,  (meine)  Handelslente  and  deine 


Knnde  zn  bringen.    Unsere  Oesand*' 
ten  trafen  encb  ror  derStadtTroki.*> 
Anch  ihr  babi  enereir  Gesandten  an 
ims  geichiokt,   einen  LIttaaer,  Na<^ 
mens  Newoista.   Im  folganden  Jalire 
gab  es  nnter  nns  Onordmingan :  un- 
sere    Anverwandten    Bisk^ulat-  vad- 
Cha/a  MedIn  warden  nns  ibiiid  uad 
erhoben  sich  wider  ons;  dacit  naeh 
Bekttsch  nnd  Turdntscbak  Berdi  Da- 
vyd.     Diese  Fnrsten  waren   meine 
bochsten  Diener   nnd  doch   wurden 
sie  ansere  Feinde.  Wabrend  sie  mir 
dienten,  unternahmen  sie  es,  anred* 
licti   gegen  micb   zu  handelh.     Sie 
schickten  einen   gewissen  Idikji  an 
Akjak  Temir,  aafBoses  wider  mic)i 
sinnend.**)    In  Folge    dieser  Sen- 
dung  des  Idikji  zog  Ak#ak  Temir  der 
Kisenfnis,  yom  Scbwarzen  Sandef) 
wider  mich  aus.  Aksak  kam  so  helm- 
licb  in  nnser  Gebiet,  dass  wir  ancb 
gar  keine  Knnde  davon  batten.   So- 
bald  wir  ibn  in  unserem  Reicb  er- 
blickten,  nabmen  wir,  da  wir  nicbt 
so    rasch    alle    ansere    Streitkrafte 
sammeln  konnten,   nnr  was  an  un- 
serem  Hofe   am  nns  war,  und  wi- 
derstanden  damit  dem  Aksak.     Da 
verrieth  nns  Bekbniat,  unser  Feind, 
and   entflob.      Als  dieser  scblecbte 
Menscb  geflohen  war,  wendete  sich 
die   ganze   Mannscbaft,   das   ganze 
Heer  zur  Flacbt.    Damit  war  diese 


*)  Kleine'Stadt  im  hentigen  GouTernement  Wilna. 
**)  Aksak  Temir  Iieisst  der  lab  me  Temur  (Timor);  d«nn  das  entere 

tork.  Wort  bedentet    labm,    wie   das  persiscbe  lenk  in  Tinnr- 

lenk,  woraus  Tamer  Ian  entstanden. 
i*)  „Schwarzer  Sand**   (rnss.  Tscborny  Pesdk)  ist  Uebersetzong  des 

turk.  Kara-Kum,   welches  Namen   einer  Steppe  nordilcb  Yom  See 

Aral.  ' ' 


188 


Historiteh  •%  pbilologisohe  Wiwenscbaf ten. 


Kaafleatfe  wied«r  zo  ^iimnder  gefaen. 
Solchee  naserem  Grciten  UIq^  ( Vojke) 
hiilaam  emohtattd,  Jiaben  wir  diea 
ScbceiJbea  mk  goldneni  Intiegel  ba- 
siegalt. 

Gegebaa  In  ainem  Hepnan-Jabray 
dam  79&^  4ar  Htd^ra,  an  $.  Taga 
deaMonato  Rad^eb*  alt  4ia  Orda  am 
Don  Tarweilta^*) 


Saahe  am  Enda«  GoU  hal  sidi  Boch 
abar  uas  arbarmt.  and  alle  ooaera 
Fainda  ons  in  die  Hande  gagaben* 
Wir  baban  sie  dergastali  battraft, 
daM  Ma  noa  nicbt  wiedar  sebadan 
werden,  Jetat  haben  ifir  an  euch 
qvupara  Diener  ,A«an  nnd  Tnla  Od/a 
gwchkktf  ura  each,  anserem  Bm- 
der>  dies  zn  meldea. 

Ans  den  in  deinem  Lande  lie- 
genden  forstlicben  Besitzungany  die 
der  Weiffsen  Orda  ^teaerpflicbtig, 
Yarschafft  ans  das  unsrige  (d.  h. 
lasset  diesa  Staaem  aacb  ferner  fiir 
ans.  einaiebaa).  Waa  in  ansareni 
Gebiete  dir  aag^ort,  daraof  baste- 
ben  wir  nidii;  verlangt  das  enrige 
und  wir  warden  es  eoch  geben, 
Aosserdem  moge  zwisclien  ans,  wia 
es  Tormala  gewesan,  den  Raisendenf 
die  Landstralsa  offan  sein,  and 
eoeren  and  ansaren  Kaofleaten, 
ohna  dass  irgend  jemand ,  and 
geborte  er  aacb  zam  niederen  Volke, 
banacbtbailigt  warde. 

Za  diesem  Allem  baben  wir  dies 
Jarljk  abgesebickt  and  zwar  mit  an*- 
sereoi  goldnen  Siegel,  dass  aa  be- 
kraftigt  sei.  Unsar  Jarlyk  ist  aber 
gescbrieben  in  der  Orda,  an  der^ 
Mjandang  des  Don,  im  Monat  Ire- 
tschip  eines  Hahnjabras. 

Unsere  Yater  and  dia  eurigen 
waren  verbiindet  and  scbickten  ein- 


*)  Nacb  onserer  christiiicben  Zeitrechnang  fallt  das  Jarlyk  ins  J.  1303, 
welches  in  der  That  ein  Hennen-Jabr,  d.  b.  das  10.  eines  I2jah« 
ngen  Thier - Cyclas,  gewesen  sein  muss;  denn  ein  solcbes  war  anch 
1381.  Wenn  Harr  Berjdsin  die  Urkonde  ins  Jahr  1392  verseUt,  so 
bat  er  iibersehen,  dass  795  der  Hid^'ra  erst  im  November  1392  an- 
ting, and  dass  der  Radjeb  der  secbsta  Monat  des  muhaiDinedani- 
schen  labres  ist. 


Hin  Hrljk  dea  Tofsbtoraysdi.  189 

ander  Ges^ndte  «d  j  ,40  woUcn  aacb 
wir  yiit  euch  pein.  SoVte  eocb 
Hiilfe  wider  irgend  einen  Feind  no* 
ting  sein,  so  bin  ich  mit  meiner 
ganzeQ  Macbt  bareit,  dir  solclia 
HWa^  Eu-  laktaii;  ihr  bilucht  ans 
nur  Anaeiga  zu  macbao.  Und  aali-* 
tan  wir  eiiwr-  Hiilfe  von  aolob^f 
Art  bediirfen,  so  leistat  ihr  any 
dieselbe. 

Die  Einladung  su  einem  Schul£«*  und  TruzbiindQiase  in 
dem  ^tavischea  Doeumenle  isl,  wie  wir  seheo,  ein  P.0  8t-> 
scriptutn,  da  sie  erst.hinter  dem  Qatum  komml.  Da  ts 
nun  im  Orient,  eben  so  wenig  als  im  Occident,  »SiUe  ist,  Ca- 
binet^chreiben  init  Postscripten  zu  veraehen,  so  muss  wal 
Tochlamysch  an  dieser  Zugabe  sehr  viel  gelegen  haben. 

Das  vorliegende  Jarlyk  erlaulert  —  wie  Herr  B.  be« 
merki  -*~  die  damaligen  Verhiillnisse  der  Orda  zn  Littauen^ 
und  lasat  uns  schliefsen,  dass  urn  die  Zeit  der  Invasionen  Tir 
tnurs  die  Verbindung  mit  Littauen  wegen  der  schwjerigen 
Lage  der  Orda  abgebrochen  war.  Obgleich  Tochtamyach  im 
turkis^ien  Originate  den  stoken  Character  einer  Machi  vom 
ersten  Range  aufrecht  halten  will,  sieht  er  sich  durch  die  Um^ 
slSnde  geiwungen,  eine  Allianz  mit  Littauen  su  suchen; 
darum  eben  isi  in  der  gleichzeitigen  russischen  Uebertragung 
der  Ausdruck  des  Originalschreibens  in  Vielem  verandert,  un4 
wahrscbeinlieh  auf  Befehi  des  Tochtamysoh  selber.  So  wird 
Jagiello  in  dem  russischen  Documente  Konig  von  Poled  und 
Unser  Bruder  genannt;  es  wird  als  captatio  benevolen- 
tiae  hinzugefiigt,  dass  auch  Tochtamysch  von  seiner  Seite 
bereit  sei,  von  den  zu  Littauen  gehorenden  Herrschaften  in 
seinem  Gebiete  Steuern  zu  entrichten,  und  endlich  bewirbt 
sich  Tochtamysch  in  der  russischen  Urkunde  um  ein  Schuz- 
und  Truzbiindniss  mit  Jagiello.  Tochtamysch  woUte  seiner 
Wiirde  nichls  vergeben  und  bedurfte  doch  eines  Biindnisses' 
mit  Littauen;  darum  versah  er  das  hoffartige  turkische  Ori- 
ginal mit  einem  if^i^mlich  schmeichelnden  russischen  Duplicate  — 


190  Historiisch-^tihilologisdie  WUsentcbaften. 

Oder  es  geschiehi  in  dem  Originale  danim  so  vieler  Dinge 
keine  Erwahnung,  damit  man  diese  Zugaben  erforderlichen 
Falles  verlaugnen  konnte,  als  waren  sie  Tochtamysch  fremd 
geblieben. 

Wie  wic  geseheni  macht  Tochtamysch  in  der  Urkunde 
seine  Verrather  selbst  namhaft  Aus  morgenlandischen  Auto- 
ren  wissen  wir,  dass,  schon  vor<  Anfang  des  Feldsugs,  swei 
Uglane  der  Goldnen  Orda^  Kiintsche  und  Timur  Kuiluk,  des- 
gleichen  der  Nogajerhauptling  Idikji,  zu  Tamerlan  iibergingen^, 
dass  femer,  ais  es  zwischen  Tochtamyseh  und  Tamerlan  zur 
Schlacht  sxk  der  Kondurtscha  kam,  der  Fahnenlrager  des  Toeh* 
tamysch  seinen  (forreii  verriethi  indetn  er,  gemab  vorgangi* 
ger  Verabredung  mit  Tamerian,  die  Fahne  zu  Boden  waif. 
Zu  dtesen  Umslanden  fiigt  Tochtamysch  in  seinem  Schreiben 
noch  den  Verrath  einiger  Uglane  und  Beke,  die  nach  vorgan- 
gtger  Uebereinkunft  mit  «lem  Feinde  das  Schlachtfeld  verlies- 
sen^  und  noch  einen  anderen  entschuldigenden  Umstand,  na« 
menllich^  dass  Timur  hdmlich  gekommen  und  dassTocbtaimysch 
nicfat  alle  seine  Slreitkrafte  habe  sammein  kdnnen.  Diese 
Angabe  ist,  wie  man  aus  der  Geschichte  weiss,  iHcht 
richlig,  und  abo  auch^derVerrath  der  Uglane  und  Bekie  nicht 
Ti>Jlkbmmen  glauhwiirdig; 

Das  nissische  Duplicat  ist  unzweifelbaft  in  der  Canilei 
des  Chans  und  auf  Befehl  desselben  oder  wenigsteo^  deijfini- 
gen  Person,  weiche  den  Verhallnissen  zum  Auslande  vorge^^ 
setzt  war,  angefertigt.  Soweit  es  Uebersetzung  beiss^d  kann, 
ist  es  im  Ganzen  richtig. 

Der  philologische  Werth  dieses  Jarlyk  ist  viel  gr5(ser, 
als  sein  hisloriseher.  Es  gehort  zu  den  wmigen  Documen- 
ten,  weiche  uns  die  tiirkische  Sprache  in  ihrer  urspningliclwa 
Reinheit  zeigen.  *) 

Wir  verweilen  jetzt  noch  hei  einigen  der  Anmerkungen 
des  Verfassers.     HeiT  Berjosin  vergleicht  den  Namen  Toch- 

*)  Hammer*  Purgat^U  sagt  in  seiner  Geschichte  der  Goldnen  Horde 
(S.  355)  falsclilich ,  das  Jarlyk  sei  in  mongolisf^er  S^racbe,  die  er 
bekanntlich  nicht  versteht,  geschrieben. 


Bin  larlyk  dM  Toohttmyieh. «  191 

tamyftch  dehr  gliicklich  mil  Conslanlinus;  denn  ^r  iil 
eine  Participialform  von  lochia mak,  stehen  bleiben,  besldn- 
dig  sein.  Cs  War  daruiti  gerathener,  den  Namen  mil  ch  und 
nicht  mil  k  zu  schreiben,  weil  die  itarke  tenuis  k  in  der  alU 
lilrkischen  Sprache  vermulhlich  nicht  vorhanden  wai^.  *)  -^ 
DieLesung  ;,sfh  Jagaila'*  (Jagaila-ga)  statt  Jagaila-Chan, 
%vie  Andere  gelesen,  ist  sehr  gut  gerechtferligt;  eben  so  „an 
den  Ort*"  (urun-ga)  slatt  orda^ga.  —  Das  am  Ende  der 
dritten  Zeile  ku  lesende  ^^hy.  steht  gewiss  fUr  ^^fay,  oder 

genauer  ^tf^.<;  es  istParlicip  in  gan  (gen)  von  der  Verbal- 

wurzel  ir  (esse),  mil  dem  Suffixe  driller  Person  und  derOb- 
jeclsparlikeL  Eine  Vergleichung  mil  dem  mongol.  dsarga 
ist  also  hier  eben  so  unslalthaft,  als  sie  es  bei  dem  i^^^4, 

von  Zeile  13  sein  wurde,  das  fiir  ^jA,  sleht  und  also  dieselbe 

form  mil  demselben  SufGxe^  aber  im  Nominaliv  isl.  VielTeichl 
liefs  man  das  n  zwischen  Vokalen,  besonders  wenn  i  folgl, 
gem  in  j  zerfliefsen.    In  dem  jjls^  der  16.  Zeile  isl  jedoch 

richlig  n  geschriebea.     Das  ^  (falscUich  fur  ^)  steiil  hi/er 

keinSuffixum,  sondern  den Objeclsfali  alleindar.  —  Baschly 
erklart  der  Verf.  befriedigend ;  aber  mil  baschka  (besondereri 
anderer)  isl  es  schwerlich  zusammenzuslellen.  —  Illscbi  oder 
elischi  (Gesandler)  wird  in  einer  uigurischen  Handschrifl 
ilelschi  geschrieben;  darum  leilel  es  Herr  B.  jelzf^  seine 
friihere  Erklarung  fahren  lassend,  von  einer  lilrk.  Verbalwur- 
zel  il  abgeschickt  werden.  Diese  Wurzel  (selzen  wir  hinzu] 
besizl  der  Mongole  nur  in  abgeleilelen  Verben,  z.  B.  ila-ga- 
kii  absenden,  ila-ga-kda-ku  abgesandl  werden  u.s.w.  — 
Von  der  angeblichen  Identilal  des  tiirk.  burun  (vorher,  vor) 
mil  dem  mongoL  Millelworte  biiriin  (S.  59)  konnen  wir  noch 
keine  Ueberzeugung  gewinnen.     Nacb  unserer  Annahme  isl 

*J  Schott  sagl  in  seinem  „finnisch-tfttarischen  Sprachengetchlechte** 
(8. 102|  Anm.) :  die  torkitche  Sprache  scbeint  nnpranfclMb  keine  an^^ 
deren  Kebllaate  gebabt  zu  baben,  als  cb  and  k,  von  denen  enterer 
das  starkere  k  erzeugjte,  und  lelzterer  entweder  unverandert  blieb, 
oder  (wie  bei  denOtmanen  so'biufig)  zvtm  sobwfioheren  g  irorde. 


f 

I 


192  Histomeh-pbilolotisotie  WiMenMbaften.  ^ 

e$  eios  init  deio  SubsUnliv  burun  (Nase  und  Spili^e,  Vor* 
derlheil).  —  5.  60  S9gl  Herr  B«,  das  (in  den  russischen  Jar- 
lyk's  vorkommende)  Wort  Daryk  batten  weder  Schmidt  noeh 
Grigorjew  erklaren  kixnnen.  Sein  erster  Eiklarer  war  Schoti 
in  «mer  Rect<nsion  der  GrigcHtjew^ch^n  SchriA:  y^Ueber  die 
Glaubwurdigkeit  der  JarlykV*  u.  s.  \v«  (Jahrbiich^r  fur  wi$sen- 
schafUiche  Krilik,  1844,  Norember,  No.  96.)  Daselbst  stehi 
(Sp.  765)  zu  iesen:  ,yEin  Wort  in  dem  Datum  findet  Herr  Gri- 
gorjew ralhselbaft,  namlicb  Oaryk;  dieses  knnn  aber  nichts 
anderes  sein,  als  das  zu  alien  muhammedanischen  VoJkern 
iibergegangene  arabische  ^\^lj   tarych,  welcbes  der  Ueber- 

setzer  nicht  verstand  und  sonach  bios  umschrieb'\  —  S.  62 
bemerkl  der  Verfasser,  ein  dschagatajisch-persisches  WSrter- 
buch  erklare  das  als  Namen  vorkommende  Idikii  oderldiki 
durch  bahusch  (verstandig)  und  setzt  hinzu,  man  miisse  also 
ein  alttlirkisches  Stammwort  id  {Verstand)  annehmen,  das 
vielleicht  mit  dem  mongolischen  ad  (Substanz)  verwandt  sei. 
Wenn  id  Verstand  bedeutet  hat,  so  war  es  eine  platte  Form 
von  is  =  lit^  deren  Bedeutungen  auf  Hauch  zuriickgehn.*) 
Sollte  der  Name  iibrigens  nicht  eigehtlich  ^^jkXjt  zu  schreiben 
und    blose    Abkiirzung   sein   von   oyS^^Jut  Ydikut,   wie   bei 

Abulgasi  (S.  50 — 51)  eih  Uigurenkonig  genannt  wird,  der 
sein  Land  freiwillig  an  Tschinggis  abtrat?  Abulgasi  selbst  er- 
klart  diesen  Namen  mit  <«2<JbJ^v>  dewfetlik  gliicklichy  welche 

Bedeutung  jedoch  nur  der  zweiteBestandtheil  (kut)  ausdruckt. 
Moglicher  Weise  bedeulel  Idi-kut  Verstand  (und)  Gliick.  — 
S.  66.  Das  mongolische  Wort  ulus  halle  Herr  B.  friiher,  in 
Uebereinstimmung  mit  Schott,  fiir  die  Mehrheit  von  ul  (=  il 
Volk)  erklarl;  jetzt  ist  er  geueigt,  es  fiir  das  t5rk.  uliisch 
(Ablheilung)  zu  halten,  weil  in  russischen  Uebersetzungen  von 
Jarlyk's  Uiusnye  undUdjelnye  Knasja  (UIus-Fiirsten  und 
Theilfursten)  gfeichbedeutend  seien.  Allein  ulus  heisst  im 
mongolischen  Sprachgebrauche  niemals   Abtheilung,.  sondern 

*)  .SchoU  im  finnisch-tartarisclien  Sprachengeschlechte,  S.65. 


Kin  Jarlyk  des  Tochtamjscb.  193 

1)  Volk,  Nation  im  Ganzen;  2)  Reich,  Stat;  3)  Oynastie.  Es 
hat  also  die  erste  Erkliirung  weit  mehr  fiir  sich.  Die  Beru- 
fung  aufUlu^nye  und  UdjelnyeKnasja  kann  schoD  darum 
nichts  entscheiden,  weil  nicht  bewiesen  werden  kann,  dass  das 
Eine  Uebersetsung  des  Anderen  sei. 

Nachtraglich  bemerken  wir,  dass  nun  auch  die  richtige 
Ableilung  des  Wortes  ,,Ulane**  gefunden  ist.  Das  auch  im 
Osmanischen  gebrauchliche  oglan  (bei  den  Tatartiirken  ulan), 
welches Knabe  schleehlhin  bedeutel,  beaeichnete  in  den  tata* 
rischen  Chanaten  par  ex.callence  die  furbllichen  Knaben 
Oder  Prinzen  vom  Gebliite  (Seite59  — 60).  Sie  waren  der 
hochste  Adel  oder  gleichsam  die  Ritterschaft  in  der  Orda, 
besafsen  Lehen,  und  verwalteten  allerlei  wichtige  Aemter. 
Tnsonderheit  bildeten  sie  die  Ehrengarde  derChane.  IhrName 
ging  mit  der  tatarischen  Lanze  zunachst  auf  das  gefurchtetste 
und  trefflichsle  Reitercorps  der  Polen  iiber;  und  von  diesen 
zu  den  iibrigen  Europaern^ 


Ueber.die  nationalen,   die  grosse  SterbU€hkeit 
in  Russland  bedingenden  Krankheiten. 

Von 

Dr.  E.  V.  Rusadorf.  ' 

PraktMchcm   Ante  in  Berlin. 


Wir  erinnern  uns  dafs  schon  voriangsi  von  der  rassisch^n 
Regierung  die  Preisautgabe  gestelll  ist:  welches  die  Ursache 
der  grofsen  Slerblichkeit  der  Kinder  in  Russland  set,  und  wie 
ihr  abzuhelfen?  — 

Wir  miissen  zugeben  dafs  obne  Zweifel  das  kindliche 
Alter,  und  zwar  das  zarleste  vorziiglich,  einer  ungewdhnlichen 
Slerblichkeit  in  Russland  ausgesetzt  sei.  Denn  es  ist  bekannl 
dafs  durchschnilllich  die  Menschen,  so  bald  sie  das  Mannes- 
alter  erreicht  oder  iiberstiegen  haben,  in  keinem  Lande  so  alt 
werden  als  in  Russland.  Hunderfjahrige  Greise  oderGreisin- 
nen  sind  dorl  keine  Sellenheit.  Nichts  deslo  weniger  ist  kein 
Land  der  Welt  so  schlecht  bevoikert  als  Russland.  Die  An* 
nahme  von  65  Millionen  Menschen  auf  den  200  Langengrade 
umfassenden  russischen  Staat  ist  wahrscheinlich  zu  grofs  ge» 
griffen.  Und  wie  grofs  niiifste  inindeslens  die  Einwohnerzahl 
sein,  um  bei  gleichmafsiger  Vertheilung  das  cullurfahige  Land 
zu  bevolkern  und  fruchtbringend  zu  machen?  Mindestens  150 
Millionen ! 

Zugegeben  also   dafs   die  grofse  Sterblichkeit  der  Kinder 
in  Russland    eine    zu    der   geringen   Bevolkerung     des    Lan- 


Die  grofsf^  SterbUcbkeit  in  RoBftlaiid  b^dingende  Krankheiten.     |95 

des  mitwirfcende  UrsEache  sei,  ist  es  doch  unrichtig  aie  ak  die 
einsige  anzusprechen.  Denn  es  sind  nachweislich  andere 
VerhallDisse  vorbanden,  doren  Wirksamkeil  viel  deulUcher  zu 
Tage  irilt 

Man  bat  auch  behauptet  dafs  die  Sterblichkeit  derFrauen 
in  Russland,  voraiiglicb  in  Petersburg,  viel  grofser  sei  als  die 
der  Mannen  Aber  uns  liegen  fclr  die  Behaupiung  keine  nu-» 
merisdi-statistiscfae  Beweise  vor.  Man  sebeint  sie  aus  de^ 
Tbataacbe  enllehnt  zu  haben  dafs  die  weibliche  BevSlkerung 
in  den  grofsen  russiscben  Stadten  so  unverhaltnifsmafsig  ge- 
ringer  als  die  mannliche  ist.  Vorschnell  und  einfaltig  bat  man 
den  Wdbermangel  auf  Scbuld  der  Prostitution  und  des  aus 
ihr  entspringenden  Siechtbums  in  den  grofsen  Stadten  gescbrie- 
ben.  Dann  miifsten  die  Weiber  in  andern  europaiscben  Haupt- 
stadten  nocb  viel  sterblicher  sein  als  in  Russland,  wo  die 
eigentlicbe  Prostitution  nicbt  so  arg  grassirt  als  in  den  andern 
europaiscben  Grofsstadten*  Pie  prostituirten  Weiber,  welcbe 
in  Russland  ein  Gescbaft  aus  der  Prostitution  raachen  und  als 
Prostituirte  eine  Ciasse  bilden,  sind  zum  allergrofsten  Tbeil 
Auslanderinnen. 

Die  Tbatsacfae  dafs  in  den  russiscben  Grofsstadten  wenig 
Weiber  sind,  ist  sebr  einfacb  zu  erklaren :  die  russiscben  Rei- 
chen  nicbt  allein,  sondem  alle  welcbe  dienender  Hande  be- 
diirfen,  bedienen  sicb  vorsugsweise  der  manniichen.  Ja,  zum 
Ruhme  Russlands  sei*s  gesagt,  aucb  in  den  Fabriken  jSndet 
man  nur  wenig  oder  keine  Weiber  und  Kinder. 

Aber  die  eine  Thatsacbe  steht  fest:  Russlands  geringe 
Bevolkerungy  verursacht  durch  ungewobniicbe  Sterbiicbkeit 
im  kindlicben  Alter,  und  durcb  einige  andere  (Jmstande. 

Krankbeiten  sind  die  Vermiltler  der  Sterbiicbkeit;  kein 
Menscb  stirbt  ohne  krank  zu  sein.  Es  fragt  sich:  welcbea 
sind  die  Krankbeitsursachen  im  russiscben  Reiche,  wodurcb 
die  grofse  SterbHcbkeit  vorzugswei&e  !bedingt  i^t?  Giebt  es 
nationale  Krankheiteaa  in  Russland?  Oder:  welcbe  Krankhei* 
teii>  wenn  sie  auch  Russland  ausscbliefslicb  nicbt  eigentbum^' 
lich  wiiren,  baben  dort  einen  verderblichern  Cbarakler  ais  in 


196  Pbysikaliseh-matbematitehe  WiMentdiAfteii* 

dndem  LSndern?    Darch  weljehe  Mittel  kann  dkser  grdfsern 
Sterbtichkeit  abgeholfen  werden? 

Beirachten  wir  lunichst  die  Kraokheiten  und  die  Sterb- 
lichkeit  im  kindlichen  Alter. 

Wirwollen  sogleich  von  einerKrankheit  ^andeln^  welche 

wir,  in  Betracht  ihrer  HaufigkeilundGefahrlicbkeitin  Ruasland, 

und  besonders  im  nSrdlichen  Theile,  ffir  deo   schlimtnsten 

Wiirgengel  des  kindliehen  Alters  erklaren  mtissen.     Dies  iat 

der  Scharlach,  welcher  im  nSrdlichen  Rnssland  von  einer  B5s- 

artigkeit  ist,    wie  in  keinem  andern  Lande.     Die  Ursachen 

dieser  Bosartigkeit  sind  sehr  einleuchtend.    Der  Scharlach  ist 

und  gilt  auch  in  andern  nSrdlichen^  Landem,  wie  %*  B.  im 

ndrdlichen  Deutschland,  for  eine  der  gefahrlidisten  Kinder- 

krankbeiten,  in  einzelnen  Epidemieen  sind  aueh  in  Deutsch* 

land  alle  Kinder  einer  Familie  daran  faingerafft;  aber  gleich'* 

wohl   erreicht  die  Krankheit  nirgends   die  BdsarUgkeit  des 

russischen  Scharlaclts,  und  nirgends  sind  die  Epidemieen  so 

haufig  als  in  Russland.     Es  giebt  Gegenden  im  nordlichen 

Russland,  wie  Petersburg  mit  seiner  Umgegend,  wo  der  Schar- 

lach  endemisch  ist,  d-  h*   zu  jeder  Zeit  im  Jahr  hervortritt, 

pldtzlich  aber  im  Herbst  oder  Fruhling  sur  bdsartigsten  Epi- 

demie  gesteigert  wird.    Die  KMlie  des  russischen  Klimas  und 

nichts  Anderes  macht  diese  Krankheit  in  Russland  so  bosartig. 

Denn  sie  verhindert  oder  beeintraehtigt  das  Hervortreten  des 

akuten  Exanlhems  auf  die  Haut,   wodurch  die  Nalur  selbst 

bei  dieser  Krankheit   den  Organismus  von  einem  epidemiscb 

and  endemisch  erzeugten  Miasma  zu  befreien  strebt.     Daher 

kennt  man  in  keinem  Lande  besser  als  in  Russland  den  lar- 

virten  Scharlach,  denZustand  einer  Infektion  durch  dasSchar- 

lachmiasma  in  welchem  das  akute  Exanlhem  sich  nieht  bildet. 

Es  kommt  vor  das  Kinder  in  diesem  Zustande  scheinbar  ge- 

sund  in   die  Schule  gehen,   und  im  Laufe  desselben  Tages 

schon  todt  sind.     Die  haufigste  Todesart  in  diesen  Fallen  lar* 

virten  Scharlachs  ist   eine  Enlziindung   der  Gehirnhaute  mit 

AussehwiUung   (hitzige  Gehirnwassersucht),    eine   Krankheit 

welche  die  grofslen  Kinderarzte  fur  unheilbar  erklfirt  haben. 


Die  grofse  SCerblichkeit  in  Rassland  bectingende  Krankheiten.     {9t 

Wo  ein  Uebel  am  grdfsten  ist,  pflegi  man  atich  die  beste 
Hiilfe  dagegen  lu  enldecken.  So  hat  denn  vorlSngst,  als  an 
Priesnits  und  Grafenberg  noch  nicht  gedachi  wurde,  der  Pe« 
tersburger  Arst  Harder  ein  ktihnes  Mittel  gegen  den  Schar- 
lach  angewendet:  die  kaiten  Uebergiefsungen.  Mir  sind  die 
von  diesem  Arzte  mit  diesem  Mittel  erzieiten  Resuitate  un- 
bekannt;  aber  ich  bin  fest  iiberseugt  dafs  eine  Art  Wasserkur 
in  alien  Fallen  b5$artigen  Scharlachs,  wo  entweder  die  Krank* 
heit  den  Charakier  der  Putrescenz  hat,  oder  wo  iiberbaupt 
das  Exanlhem  nicht  zu  Tage  getreten  ist,  die  einzige  Hoff* 
nung  moglicher  Hiilfe  zulafst  Aber  wozu  denn  in  Rusaland 
kalte  Uebergiefsungen  nach  der  achlechten  deutschen  Manier? 
Macht  man  denn  iA  Russland  nicht  die  kaiten  Uebergiefsun<^ 
gen  seit  Jahrhunderten  besser  und  zweckmafsiger  als  in  Deutsche 
land?  Willstdu  imnier  weilerschweifen  ?  Sieh!  daaGute  Kegl 
so  nah;  lerne  nur  das  Gliick  ergreifen;  denn  das  Gluck  isl 
immer  da.  Das  Gliick,  in  diesem  Fall,  sind  die  russischen 
Badstuben.  Die  kiihlen  und  allmahlig  kalteren  Uebergiersun-> 
gen  in  einem  sehr  warmen  Zimmer,  verbunden  mit  den  star* 
ken,  lange  fortgesetzten  Friktionen  der  Haut,  ja  mit  Kuthen* 
hieben,  sind  ohne  Zweifel  zweckmafsiger  als  die  Sturzbader 
schlechtweg,  welche  von  Stoll  in  Wien  herriihren.  Wahrlich, 
es  ware  ein  interessantes  Faktum,  wenn  nach  und  nach  das 
russische  Volk,  zur  Kenntnifs  des  schlimmsten  Feindes  seiner 
Kinder  gelangt^  sich  seines  vortrefilichsten  nationalen  Heilmil- 
mitlels  bedienen  lernte,  um  den  Feind  so  gut  zu  bekampfen, 
nls  08  mit  menschlichen  Mitteln  moglich  ist.  — 

Vortrefilich!  wird  man  sagen.  Wie  woUen  sie  aber  dem 
russischen  Bauer  die  Kunst  der  mediziniscben  Diagnostik  beU 
bringen,  ohne  welche  gewifs  die  Fade  larvirten  oder  bl>sarti« 
gen  Scharlachs  nicht  zu  erkennen  sind?  Antworl:  Ein  Kind 
das  schwer  erkrankt  ist  und  es  dabei  im  Halse  hat,  nicht 
schiingen  kann,  hat  den  Scharlach.  Wenn  dies  auch  in  hun«* 
derl  FHUen  50mal  unwahr  ware,  so  waren  die  uberfliissigen 
Kuren  in  den  Fallen  der  Tauschung  wahrlich  nicht  zu  bekla-* 
gen,  bei  einer  Krankheit  welche  gradezn   als  der  schlimmste 


196  Pbysikalisch-raathematisehe  WitsenBchaften. 

Wiirgengd  der  Kinder  in  Rus$land  angesehn  werdeD  tnufis 
Und  ware  es  denn  so  schwer  von  Seiten  dea  Gouvernemente 
alien  russischen  GeisUichen  auf  dem  Lande  ekien  solchen  me- 
disinischen  Wink  zu  geben?  Die  GeistlichM  siod  iiberall  wo 
es  an  Aerzlen  maiigeU  die  mediBinischen  Raihgeber  des 
Volks.  — 

Dies  Mittel  kann,  wir  sind  es  ilberzeugl,  daau  dienen, 
bei  larviriem  Scharlach  das  Exanthem  auf  die  Haul  su  rufeni 
bei  putridem  Scharlach  durch  Reisimg  der  peripherischen 
Nerven  eine  energische  Refle^wirkung  des  Senaoriuras  z|i  er- 
wecken,  welche  nolhwendig  ist,  dem  pathologiBcben  Agens 
durch  geniigende  Krafteniwickelung  des  Organismus  das 
Gleiebgewicht  su  halten.  In  den  leichien  Fallen  des  Schar- 
lachs  mil  regelmafsigem  Verlauf  wird  die  abwartende  Heil- 
meihode  das  beste  Heilmiltel  sein.  Hier  waren  auch,  werni 
es  durchaus  eines  Glaubens  oder  Aberglaubens  beim  Heilen 
der  Krankheilen  bedarf,  die  Einreibungen  mitSchweinefeit  an 
ihrem  Plato,  welche  die  St.  Petersburger  medisinische  Zotung 
so  gutmiithig  ist  aus  Deutschland  nach  Russiand  su  ubertra* 
gen.  Sie  denkt  vermuihlich:  aus  einem  Lande  das  uns  so 
viel  Gules  bringt,  konnen  wir  auch  Albernheiten  annehmen. 

Wir  gehen  zu  einer  zweiten  Krankheit  uber,  weloher  vor- 
sugsweise  das  kindliche  Lebensalter  ausgeselzt  ist,  daher  sie 
ohne  Bedenken  fur  eine  Kinderkrankheit  gelten  kann,  welche 
jedoch  oft  genug  dauernde  Nachwirkungen  oder  schlimme 
Krankheitsreste  in  das  AUer  der  Erwachsenen  hineinzieht,  ja 
auch  iiberhaupt,  verspaiel,  erst  im  Pubertatsaller  sich  eniwik- 
keln  kann.  Dies  ist  die  ScrophulosiSy  for  Russiand,  ins  Be- 
sondefe  fiir  den  nordliclien  Theil  dieses  Landes,  ein  Uebel 
von  so  grofser  Bedeulung  dafs  die  Aerzle  und  Gelehrten  nichi 
genug  Fleifs  und  Sorgfalt  auf  seine  griindlichste  Erkennlnifs 
verwenden  konnen.  Wenn  irgend  wo,  so  fallen  gewifs  in 
Russiand  diesem  liefwurzelnden  Leiden  des  menschliehen  Or-* 
ganismus  ungeheuer  viele  Opfer.  Denn  kein  Land;  keiii 
Klima,  keine  nationelleSitten  sind  seiner  Enlstehung  giinstiger 
als  die  russischen.   Dabei  ist  es  eine  Seuche  des  europaischen 


Dm  gro&e  SterMwbkett  in  RuMlAod  bedihgende  Knuikh«iten.    190 

Nordens,  welche  aufbteigend  v^n  Sttdwest  .nachi  Nordosi  mil 
den  hdheren  Culturgraden  der  Klimate  an  Ausbreilung  und 
BedeuUamkeit  xunimmt. 

Von  gans  besonderem  Inleresse  und  von  der-  hdehste^ 
Btalistischen  Wichtigkeii  ist  die  Scrophalosis  geworden,  seit 
es  feststehl  dafs  die  Lungenschwindsucht  nichU  weiter  iai  ab 
eine  Scrophuloais  der  Lungen.  Nun  bedenke  man  wie  leicht 
der  acrophuloae  Krankheit^proceia,  im  Alter  der  PaberlSt 
obnefaiii  ao  gewKlHiIieh  den  Lungen  zugewendeti  in  Rusaland 
diese  Richtung  nimmt,  wo  daa  Jahr  aus  Jahr  ein  «t  Lungen- 
catarrhen  disponirende  Klima  den  Organismus  gewisaermafiieB 
zwingt,  die  Scropkuleais  in  ibner  gefihrlichsten ,  in  ihrer  un- 
heilbaren  Form,  der  Lungenpblhisia,  dusaubilden.  Auek  iai 
aaltsam  durch  slatiatische  Berichle  ermitlelt  und  ^rwieacn, 
wie  ungebeuer  die  Zahi  der  Erwacksenen,  namentlich  der 
Sotdaten  ist,  wefelie  alljShrlich  in  den  HoapiiSlern  an  dieaer 
Kronkheit  zu  Grunde  gehen«  Wie  aehr  das  russische  Volk 
seibst,  die  Scropheln  gewiasermaTsen  als.eine  Nationalkrank«- 
heii  kennt,  gehl  aus  der  natibnalen  nissischen  Benennung. 
Solotucba  bervor.  Kein  anderes  Yolk  Europas  hat  ftir  die 
Krankheit  einen  eignen,  specifischen  Namen,  liberali  bedleni. 
man  sicb  einer  aus  der  Wiaaenacfaaft  entlthnten  Beieicbnung, 
das  WprtSoioluoha  aber  will  uns  bediinken  so  acht  russiaofa. 
und  Tolkslhiimlich  xu  sein  als  Cliljeb  und  Sehtsohi. 

Es  kann  nicht  unaere-  Ahsicht  sein,  bier  eine  gelehrte, 
umfassende  Abhandlung  (iber  die  Scropbelkrankbeit  geben  zu 
wollen;  der  Ort  verbietei-es.  Aueb  sind  solcherlei  AAeiten 
naebgerade  miifsig.  und  tidiSs.  Von  eineni  Bucbe  in's  andre. 
warden  alle  Formen  der  Scropbelkrankbeit,  wird  die  aite 
Leier  dber  ibre  Aetiologie.  ab*  und  iibergesohideben.  Die 
Wissonschaft  und  die  Menscbbeit  gewinht  nicbts  durcb  di^se. 
GeJebrsamkeit*  Die  Symplomatologie  der  Scropbulosis.kennt' 
der  einfaiiigste  unter  den  Aeraien,  und  im  Notbfalt  ist  Alkea 
Scropbnlosis  woilir  man  keineo  anderen  Namen  weils.  Die 
herk&mmlicbe  .Aetiologie  ist  so  abgeschmackt  und  irage  wie 
nur  eiwas  sein  kann.    Feucble  Lufl  und  schlecbte  Nabning! 

Srmans  Rtiss.  Archi?.  Ed.  XI.  H.  S.  14 


^KX)  Pliysilaliaoh-matheiimlitci^  WiM^niehafteiw 

\)%s  $it)4  bei  d«n.  Gelehrtesten  dbr  Gelehrten  die  einzigeli  ai-* 
men  Siindenbod^Qi  welobe  4ie  $chreokUcfae  Seuobe  veiscbul* 
den  sollen.  AIs  ob  man  nicht  aus  feucbUrLuft  iind  scblech- 
ter  Nabruiig  mindeaiens  die  baU>e  Pulholegie  ableitea  kSnntei 
iwd  ala  eb  nicbt  aoloher  Abgesohmacktbieit  lum  Trots  die 
Kinder  der  Reioben,  welcbe  von  Geburt  an  nach  den  Regeln 
der  Tberepie  erxogen  werden,  uoi  ae  bartniiekiger  von  der 
Sere^hulosid  ergrifTen  wiirden.  Da  bleibt  denn  nicbis  and^ra 
(ibrig  ala  die  Therapie  selbsl  ak  die  riebtige  cauta  peccans 
auuklagea,  und  damii  wird  deD  Herm  Aerilen  am  aUer- 
weito^len  gedient  aein, 

Kiircuniy  ea  (eMi  olme  Zweifel  in  der  mediainiachea  Wiar 
genaekaft  bia  |elzt  noch  an  der  vollslandigen  Erkenninifs  der 
ScffopbelkraolUieiL     Niehta  ist  fiir  den  praktischeo  Arat  da- 
dttrch  geforderl,  wenn  in  der  neaaten  Zeik  <Ue  mederne  che* 
nmehe  Arzoeiachiile  genauer  als  friiber  daa  Plua  des  Albumins 
in  Lymphei  imd  Blut  nachweial;  man  behandelt  die  Scropbu* 
loaia  dadureh  nicbt  geacbickter  und  nicbl  gliicklicber  als  fr&* 
ber.    Nkhls  isl  ferner  dadurcb  gefotrdert^  data  die  Mikrosko- 
pisten  uoter   den  Aeraten    die  patbologischen  Zellen-  oder 
NiehlaeHenfonnen  anguckei^  welobe  die  organisebe  Mateiie  ia 
verschiedenea  Formen  der  Stfopbelkrankbeii  annimmt.    Jeder 
Aral  weifs  dafs  der  Scropliulosis  eine  rUbaeihafte  Diapoation 
des  Organismus  au  efarenisi^heo  Enlziindungeii,  nicbt  blofe  im 
Lympbdrusensystem ,  sondem  in  jedem  andem  anatomiscben 
Substrata  zu  Grunde  tiegt  Die  alte  mediaimiscbe  Scbiile  neMi 
diese  Entaiindungen  dyskrasische,   die  Krankbdt  selbat  eine 
Dyskrasie*.    In   dieser  Beaeichnung  Uegt  eine  alle   tektvoite 
intuitive  Erkeantnifa,  deren  sicb  die  jetzigea  Reformer  in  der 
mediziniscben  Wiasenichaft  nicbt  riiiunen  konnen.    D^n.  sie 
laugnen  alle   specifistben  Krankbeitscharaktere  weg,  welcbe 
durcb  Reagentien  und  Mikroskop  nicbt  nachgewiesen  werden 
keiuien»    Schon  soil  es  •keine  specifisehe  Augenenlsiindungen 
mehr  gefae&    Aber  (reilicb,  die  Hetlung,  die  Heiluag,  dis  ist 
die  Klippe  an   welcher  diese  mechaniscben  Kfipfe  scbeitern» 
obne  sur  Erkennlnifs  zu  gelangen. 


Die  groOra  Slerbiiclilieit  in  RoMlawl  b«dkig#iide  KumU^iten.    SOI 

Es  ware  niin  ein  Gliiok  fiir  deit  gansen  Tbeil  der  Meilsch* 
heit)  deren  Bereich  von  der  ScropheLieiichtt  babcrriebt  isl|'  eB 
ware  speciell  ftir  Russland  ein  grofses  Gliicky  wetin  malii  die 
Aeliologie  dieser  Krankheit  naher  ermittelndy  gleichseitig  die 
Balin  entdeekle  auf  welcher  <tie  Seaohe  i^ich  ebenao  verjagen 
fiefiie,  wie  sie  auf  derselben  sich  eingeflthiicfaeo  hat.  •^ 

Wir  beniilsen  dieaen  Ort,  um  gedaditen  Vevsufcli  mi 
machen. 

(Jm  die  Aetiologid  der  Serephelaettohe  fealmelelle^  amfa 
man  auiiaelisl  fragen  wie  alt  die  Krankheit-iat^  unter  welchen 
Bedingungen  eincr  BevSlkerttiig  sie  herrsohti  ^ndticli^  welohea 
ilir  wesenliicber*Ciiara]iEiler  als  pathologische  Erscheinoiig  iat. 

Die  Scropfaelseticbe  iat  eine  dem  Alterlbam  unbeiuinnte 
Kraokbeit  wie  dieSypbiis.  Man  kann  aber  ihreSpnr  ao  weit 
in  das  Mittelalter  verfolgen :  aii  die  SypMUs^  Die  Kraakbeit 
ist  vorsugsweise  dem  eoropaiacben  Norden  eiganlfaQmlieb; 
ihre  Ausbreiluhg  wurde  daber  um  so>  grSfser,  ifare  Kennfagafi 
urn  so  allgemeiner,  je  mehr  der  Norden  Europas  in  den  Kreia 
der  europaischen  Culturstaaten  Irat  Denn  die  Serophelseuebe 
ist  ein  Erblheil  der  Civilisation*  Wohin  aucb  der  NaUtrfor- 
scber  ooier  Ur-  und  Nalarvoik^n  seine  Schritle  wenden  ssagi 
er  findet  diese  Krankbeit  nicbt,  und  je  mehr  sich  in  civHisir- 
ten  LSndem  das  Vo&sleben  der  Simplicilat  der  Urvolker  nii* 
heri|  am  so  getinger  sind  die  Spuren  der  Scrophelkrankbeit. 
Daber  sind  volkreicbe  Sliidle  ibr  Hauptwehnaita  und  sie  ist 
seltner  uBier  der  landlidiett  Bev&lkenmg^  wie  wenig  nucb 
dmrchaefanittlieb  ^ie  Diat  derselben  den  therapeutischen  Lehr« 
sateen  entspredie^  wdcbe  durch  diiilische  Mitlel  das  Uebel 
bdssmcbeti  aaodilen*  Auf  dem  Lande  bUet  sie  wieder  ge^ 
wis^ermaTsen  einen  Ring  um  die  gmisen  Stadte,  und  schla|^ 
devt  ibre  Weimsitse  auf^  wo  en^e  Verbindungen  mil  den  Cenr 
trftipnnklan  der  Cinbaalioo  staitfindefi,  wie  Handel. und  Tfupr 
peneinqnsrtirangeD*  Auf  einer  Reise^  von  Petersburg  bis  Moa* 
kau,  wahrc^d  welcher  ich  jeden  Halt  daza  beautttei  S0  viel 
Kinder  und  E^rwachsene  als  moglieh  auszufragiett,  tand  ich 
dies  genau  beslaligt.    Bei  mehreren  Meiten  im  Uoakreise  von 

14* 


202  '    PbysikftlMcb^mQtliciimititcbe  WittentdialteR, 

Moskau  grassirte  die  Seuchc  so  fiirchleriicb,  dab  iiian  in  je- 
4em  Dorfe  hatte  «in  Lasareth  aniegen  mUssen,  uiu  alle  Sie^ 
thende  und  Kruppel  untersubritigen/  Torzitglich  zwischen 
Moskau  und  Wjaa%va:  sonderbar  genug  bier  in  einer  Gegeod 
welcbe  diirch  fransSsisobe  TnippeninSrsche  und  Lagerstatten 
ausgexetchtiet  war.  Die  Sladi  Wjaswa,  frttber  bliibendy  ist  seil 
jener  Zek  des  Bonapartiscfaen  Feldcogs  eu  eineiii  Dorfe  re* 

•  duzirt  Es  sei  uns  eriaubt  hier  eine  Beobachtong,  in  diesea 
Gegendevt  gemacht,  einsoscbabeDy  welcbe.  jeden  Arzli  ja  jeden 
Laien  in  Ei^tauneh  selzen  mti^     Die  europaische  Patbolegie 

.  kennt  durobweg  den  Lupus  oder  Herpes  excedena  ala  eine 
AosseMagaform  scrophulBsen  Ursprungs  welcbe  uberali  nuri 
im  Gesichte,  und  swar  voraugsweise  an  der  Ni^e,  ibren  Sits 
bat  Zwitchen  Moakaii  und'-Wjaswa  beobocblete  iefa  ai^  dem 
Lande  bei  i^erBchiedeiien  Kindem  und  erwacbsenen  individuen 
diesen  Ausachiag  in  einer  sokhep  Ansdebnung  fast  iiber  dcin 
gansen  K5rper,  dafeBrusti  Bauch  und  Extremitaten  davoli  be-r. 
deekt  waren;.  Dabei  feblie  nie  das  charakterisliscbe  Zerstorl*. 
sein  der  N^se. 

Man  hat  alte  Laster  undSunden,  und  vorzugsweise  alles. 
Elend  der  groben  Stadte  herbeigezogen ,  um  die  Aeliologie 
der  ScropbelkranLheit  zp .  erklaren. .  Wir  hahen  schon  oben. 
dieseEMliirungsweisey  verroutblich  auf  einleuchtende  Weise, 
bekiitnpft*  Ein  medisinischer  Leser  wird  daber  vermntbicDy 
dafe  wir  ias'Begriff  sind  die  Scrophulosis  f&r  eineToebter  det 
Syphilis,  eine  abgeschwaehte,  vereii>te  SypfaiBs  auszugeken. 
Diese  Idee  wSre  nichlneu,  und  wir  wiirden  uns  sckamen 
bekannter  Dinge  wegen  so  .  viel  unn&thige  Worjte  zu  .ma-? 
chen.  Wir  sind  aber  so  dreist^  dem  Unwiiten.  der  A«rzle . 
zam  Trolz,  die  Scrophulosis  .-ftir  ^eine  Tochter  der  Tbenif»e 
zu  eriLlSren,  dieser  roben,  morderiscben  Heilkunde,  gegea 
wefcbe  schon  der  aite  3erserker  Paracelsus  sein  Leben  Img 
gewiithet  hat,  ohne  >dafs  es  ihni  gelungen  ware,  sie  auszurot* 
ten;  sie  wird  ncch  heute  von  alien  Calbedern  gelebrt.  .  . 
Ohne  Umschweif  stellen  wir  solort  unsere,  auf  grikidliche . 

Forschungen  basirle  Meinung,    so  schroff  bin  ais  notbig  ist 


Die  grofte  Sterbliebkeit  in  RMilafi4  bediiig«iiM  Kraftkbeiten.     203 

uin  xu  frappiren:  die  Serophulosis  kt  eine  chnmnche  Vergif* 
tung  des  Menschengeschlechts  durch  Merkur,  von  denAerstea 
selbt  verursacht    Eiti  Gift,  ein  specifisches  Gift,  dessen.  Ge« 
ruch  schon  hinrei^,  gewisse  Thiere  lu  iSdIen,  ein  M^kall 
welches  nebeii  dem  Arsenik  die  feindlichste  Potenx  unter  sei*. 
neagleiehen  fiir  den  Organiamus  iat,  der  Vitalilat  ao  feiadliehy 
.dafs  es  als  princeps  anUphkigialicuiD  unbeatfittnen  Rang  hat, 
daxu,  wenn  es  in  refracla  doai  gegeben  wird,  Weder  durch 
den  Darm,  noch  durch  die  Nieren,  noch  durch  die  Lungen, 
noch  durch   die  Haiti    enischleden    elimiiirbar,    dieaen  Stoff. 
soUie   dem  Organisnius.  ofane-  Nacktheii    einverleibt  werden. 
kdnnen?    DieserSkoff  aolile,  ein  mediiiniaohes  Unding^  gegen 
alle  physiologischen  Gesetae  dea  Organiamus ,  -sich  nur  den., 
kranken  Theil  au&uchen  und  deasen  Krankkeift  bei  seiner  Ein- 
verleibung  zerstoren^  ohne  den  tibrigen  Organiamus  anaufech- 
ten?    Die  Antwort,  die  selbslverstiindliche  Aniwort  auf  dieae 
Fragen  wird   bei  den  Einen  Beschamung,  •  bei    den  Andern 
Lachen,  bei  noch  Andern  Unwillen  und  Entriiatung  iiber  eine 
Wissenschafl  erregen,  von  welcher  so  unendUch  viel  fur  daa. 
Heil  der  Menschheit  abhangt 

Die  Gelegenheil  aber,  bei  welcher  dies  Gift  so  unendKch 
haufig  den  Menschen  eingeOftfist  wird,  dab  es  als  ein  'pabulum 
vitiae  pakhologicunr  unsers  Zeilalters  zu  betradilen  ware,  isl- 
allerdings  die  Syphilis,  iiber  deren  universelie,  enorme  Ver- 
bfeitung  gewife  keine  Zweifel  obwalten,  seit  in  aUen  Staalen 
eine  organisirle  Poliaei  die  Prostitution,  mit  ihrer  Bliilhe,  der 
Syphilis,  iiberwaoht 

Und  wl^re  es  wol  zu  viel  gesagt  wenn  wir  annehmen, 
dafs  fast  jeder  Soldat,  fast  alle  Studirenden,  gewib  jeder 
Stuizer  in  einer  volkreichen'Stadt,  mindestens  einmal  in  der 
Jugend  so  ungKicklich  war,  ein  schliimnes  Andenken  von 
der.  Venus  vuigivaga  zu  erhalten?  Nun  werden  freiitch  bei 
weilem  nicht  alle  Faite  von  syphilitischer  Ansteckung  mit 
Queckailber  behandelt ;  aber  gewifs  genug  urn  das  Siechthum, 
Oder  .aiindealens  eine  normwidrige  hereditiire    Kinase  der  or* 


204  '  Ph^iikaliseli^-inatkeinlitiMhe  WirMMMclMiften* 

gttnischen  Materia   in   eineoi   sehr  groben  Theil  itr  Bevol-* 
keitiiigen  2u  bringen. 

Die  Verbreitung  der  Scrophulosis  im  eurofMiisciien  Nor«» 
den  9  ihre  vorattgliche  Bosariigkeit  im  ntrdlicben  Rnssland, 
fiihren  aaf  den  Gedanken,  da(s  die  Kiille  des  KUnuis  der  Krank- 
beit  entichieden  fiirderlich,  vielleichl  ibre  Hauptbedingung  aein 
miisse.  Unler  gewdhiiKcken  UmsUndeny  fiir  gesiinde  Con**. 
stihiiioneHy  dient  ein  kaltes  Klima  sur  Abhartung,  wiihrend  di^ 
Scrophulosts  mil  allgemeiner  Schwache  det  Organismna  ein- 
herbchreilet  Dieser  Umsland  beweiat  dafa  bei  der  SoropbiH 
loab'solebe  Sloffe  im  Karpef  eneugt  und  durdi  ein  kaifeas 
Klima  sunickgehahen  warden,  deren  Ausscbcidung  Bichf  durch 
den  Darro^  oder  die  Nieren,  oder  die  Liingen,  aondern  durch 
die  Haul  geschieht.  Ein  derarliger  Stoff  ist  das  Albuminat 
des  Quecknlbers  welchea,  nach  Einverleibnng  dea  lelslem  in 
den  OrganiamuS)  sich  bild^. 

Hiermil  soil  keineswegs  gesagt  werden  dais  jeder  Scro- 
piielsucbiigei  namentlich  jedes  mil  der  in  Rede  slehenden 
Seilche  behaftele  Kind,  ein  Quecksiiberpraparat,  sei  es  ein  Al^ 
buminal  oder  sons!  etwas  der  Art,  im  Kdq>er  ffibre.  Denn 
die  Scrophulosis  ist  ebenso  oft,  ja  6flter  aine  hereditire  Krank- 
beit,  als  eine  acquirirle,  und  es  wurde  eine  streng  homdopa- 
tlHsche  Ansebaisungsweise  dazu  gehSren,  wenn  man  anneh* 
men  wolite  dafs  ein  etwa  im  mensehlicben  FSlus  Terslecktes, 
vom  Vater  oder  von  der  Mutter  auf  denselben  vererbles  Ifit- 
liontheikhen  Quecksiiber  in  dem  gebomen  Kinde  seine  Wir- 
kung  so  vervielfachen  kdnnte,  dafs  es  nun  direkt  die  Scro* 
phelseuche  erzeugte.  Eine  solche  Vorstellungsweise '  ist  una 
feme.  Wir  mussen  aber  nach  der  chemischen  und  therapeu- 
tiscfaen  Natur  des  Quecksilbers  zugestehen,  dab  es  ein  Stoff 
ist  welcher  den  menschlichen  Organismus  nicfat  leichthin,  auch 
nicht  in  Gruppen  einselner  Organe,  sondem  in  seinen  Winr«- 
zeln,  in  seinen  lieCsten  Elementen  sebwacht  und  erkrankeD 
machty  so  dafs  mit  dem  materiellen  Substrat  auch  dieFunktio-^ 
nen  verandert  werden.  Diese  Verandening  tritt  bei  Erwach- 
senen  nach  Umstanden  entschieden  hervor,   wie  wir  weiler 


Die  gfofse  Slerblidikdil  in  Ruttlmd  bedingMide  Kiatikheitea.    206 

bei  Beschreibimg  der  rusMschon  MerkurialkrankheU,  dekm  ^er- 
den.  1st  aber  einmal  6in  Organismut  durcbweg,  in  alien  set*' 
nenTbeilen  krank,  so  niufe  und  wird  e»  auch  einTkeUchen 
deaselben^  ein  Ableger  aein,  den  wir  Kindi  oder  zimSqhsl  F6^ 
ins  nennen. 

Dietalbe  durch  M^rknrvergiflung  efteugle  AdyaMMe  eints 
viiterlichen  oder  miiUerlicben  Organismus  Iritt  natlirikh  bdm 
Kiade,  dem  noch  abalrakt  vegelaitven  Menscben,  in  der  ve« 
getattvtn  SpbSrt  des  Organismus  berven  Diesa  isl  die. Ha* 
matopoese  in  letater,  die  Cbylo«  und  Chymepoese  in  aweiler 
and  ersier  Inslans.  Das  unier  diesem  Umslande  in  dieaer 
Spfaare  bervoftretende  Leiden  des  kiiidlichen  Organisnras  ist 
die  Scropbttlosis. 

Diese  iangere  Ameinanderseuung  waren  wir  vemttnfti* 
gerweise  verpflicblet^  voraufgehn  xu  lessen,  wenn  wir  die 
medizinisehe  Polizei,  insbesondere  von  Russland,  wohlmeineiid 
anf  eine  Maferegel  aufaierkdain  maoben  wolllen,  wodurcb 
walirschdniieb  mil  Beschrfinknng  der  Scrophelseuche  auch 
die  Sterblicbkeii  der  Kinder  in  Rnssland  vermindert  werden 
w&rde.  Diese  ist  das  AnslSsclien  des  Merkurs  aus  der  materia 
medica^  namentiich  aber  die  Verpdnung  dieses  Metalls  bei  Be* 
handlung  der  Syphilis* 

Wir  behaupten  dafs  das  Queckstlber  ikberail  und  unter 
alien  UmstSnden,  nicht  ^blofa  ein  iiberfltisstgeSy  sondem  ein 
schfidliehes  Heihoillel  lat,  und  abgesehn  von  den  Homfiopa* 
theii)  giebl  es  bewiibrte  Aerate  genug  welehe  diese  Meittimg 
theileUy  zu  welcben  auch  der  in  Russland  so  wohlangesebene 
moderne  Paracelsnsy  Rademacher,  gebSrt.  Wir  ertntiem  aber 
dab  die  Behandlnng  der  Syphilis  mit  Quecksilberuitaso  mebr  un* 
V4meihlicb  sei,  je  entschiedener  statisttsche  Nadiweise  dieThat* 
sache  heraosgestellt  haben,  dale  nacb  der  Bebandlung  derSy* 
pbilia  mit  Merkur  baufiger  Recidive  stattfinderty  als  nach  der 
sogenannlen  englischen.  Niehts  desto  weniger  flerirt  noch  a)l* 
iiberall  in  ganz  Deutscbland,  nnd  vermuthlich  auch  in  R«ai« 
land  die  merkurielle  Bebandlung  der  Syphilis,  als  db  es  eine 
Erbsiinde  in  derWissenschafl  geben  miifete,  wo  eine  irdisohe 


206:  .Physlldilitch-iniUlieateUsdie  WiaaftMiteteo. 

HSUeasirafe  existirt.  Lafst  erat  das  Sottdigen,  bevor  ihr  damn* 
denkt  die  HoUenslrafe  der  Syphilis  auszurotUn. 

Voratehendes  ist  s|^ciell  mil  Beiug  auf  Riisslandy  aas  Be* 
trachtuhg  palhologi^ber  Zuslande  Russlands,  geaagl,  und  da? 
mit  man  einen  Begriff  bekomme  von  der  Verderblicbkeii  der 
Seropbalosis  in  RuMland,  bier   nur  die  Beacbreibung  einer 
Form.    XJnter  der  Jandlichen  Bevolkerung  in  Ruiislaiid  grasairl 
eine  scrophidose  Ophlhcilmie,  welche.  eiiie  fiirditerliehe  Plage 
der :  armen  Menschen  \sX.    Sie  ist  sdiwer  beilbaf  und  bei  der 
heiten  Bebandlung  barlkiacluig.    Sieh  seibsl  iiberUaseo  hat  siei 
fast  immer  Erblindung  zur  FoJg^.    Eine  gerwge  %zMBk  lo  .die 
Augen  fallende  EnUundung  conjunctivae  palpebrarum,  die  iti. 
der  Kegel  nur  slellenweise  Ausbreitung  hat,  ist  der  Anfang 
der  Kranktwit.      Mit  dies^r   EnUundung  ist  lange  nicht   so 
grofse  Photopbobie  verbuadeni  als  sopst  ia  Dieulschlandy  d^ 
scrophuISse  Ophthaloiie  ku  begleiten  pflegt.    Sehr  bald  ^ber. 
bahiit  sieh  radienartig  bus   einer  Eolzundimgsiiis«:l  der  coor 
junctiva  Bulbi  ein  cartes  Gefafs  die  Bahn  auf  die  Mitte  der 
Uornhaut,  und  verastelt  sicb,  auf  deren  Mijlle  angelangt,  neto* 
artig  bald  .nur  uber  den  PupiUarlheili  bald  Uber  die  gaaae 
Holtib^ut.    Diese  Entztindung  bringt  oft  in  kurzer  Zeit  einen 
Pannus  vasculosus  hervor,  am  hiiufigsten  aber  etablirt  sieh  ein 
Gescbwtur  welehes  90  eutschiedne  Tender;  hat,  die  ;Cornea 
zu  dur^bbf echeoi  dais  dieser  Durcbbruch  oft  von  einem  Tage 
zum  aiidern  gescbieht  wean  das  Geschwiir  ooch  ganz  klein 
und  unseheinbar^  von  der  Grofse  eines  kkiiisten  N^delkqopf-*. 
chefis  \9k. 

Seb^rlac^  und  Soropheln  sind  die  beidea  Kinderkrankbei- 
ten,  welche,  fiir  Russland  sejbr  vqrderbiichy  auch  einen  eigen- 
thiimlitehen  b5sa)rtigen  Cbsrakter  in  diesem  Lande  tragen. 
Scorbut  und  Merkuri^lkrankheit  sind  zwei  Krankbeiten  des 
reifen  Alters,  welche,  ihres  potenzjrten  Charakters  wegea, 
ohne  suf  Russland  bescbrankt  zu  sein,  den  Namen  rusaiacber 
Nationalkrankheiten  verdienen.  -^ 

Die  scorbutische  Anlage  steckt  im  ganzen  russiscben  Volk, 
so  weit  die  Leibeigenschaft  reicht.    Es  ware  ein  Beweis  von 


Die  gro(ii«  StefbtioUMit  in  Rliailaiitl  bcdiligthde  KMnkheiten.    20Z 

geringem  Soharfsinn,  wenn  man  die  EigeMhiimlieliktil  ded 
scorbutischen  Zustandcs  ia  RussJiind  nur  :da  schen  wollte,  wd 
die  hochsle  Entwicklung  der  seorbulischen  Anlage,  die  Sympto*- 
mengruppe  weiche  in  den  Buchern  iiber  Pathologic  und  Dia-i 
gnostik  Scorbui  heifaty  ausgebildet  bu  Tage  trilt  Viclmebr 
wird  jeder  Arzt,  der  Gelegenheit  gehalii  hat  grofae  Volksi^ 
heilanstalten  in  Deutschland  und  andern  niohirassisclien  Lan- 
dern  genau  zadurchforschen,  bei  Miisterung  der  russischen 
Laxarelbe  eine  auffallende  Vecftchiedenheil  aller  ruaaiaeboH 
Kranken  und  aller  oder  der  mehrsten  Krankheiten  er^tdecken. 
Diese  Verschiedenheit  besieht  darin,  dafa  in  Russiand  alle 
Krankheiten  des  Voiks  auf  acorbutischer  Basia,  auf  scorboti- 
schem  Boden,  wie  man  aieh  in  Berlin  au9druckt/  verfaufen. 
Dieae  'Thatdache  wird  von  russiscben  Aerxten,  welche  das 
Aualand  nicht  kennen,  gelaugnet  werden.  Nichls  desto  we* 
niger  r  aleht  sie  feat.  Alle  epidemischen  Fieber  haben  den 
torpid-putriden  Charakter,  alle  chronischen  Krankheiten  gehen 
mil;  AnhSmie  und  Dissolution  des  Bluls  einber.  Was  die 
Fuseldl-Dia these  y  zu  Delirium  tremens  disponirend,  bei  den 
Kranken  im  Berliner  Charitekrankenhause  ist,  das  ist  die 
scorbulische  Dialbese  bei  alien  Kranken  in  russischen  La- 
zarefhen. 

Dieser  Umstand  allein  macht  die  grofse  Sterblichkeit  der 
arbeitenden  Bev$lkeruug  in  den  russischen  Grofsstadten  er- 
klarlich.  Die  Arbeiterklasbe  der  russischen  Hauptstadte  bestebt 
aos  letbeignen  Nationolrusaen,  welche  von  ihren  Herren  gegen 
Erlegung  eil^er  jShrticKen  Abgabe  (Obrok)  ftir  bestimmte  Zeit 
mit  einem  Pab  etitlaftsen  werden,  urn  auf  eigne  Hand  ihr 
Brod  zu  erwerben.  Ala  Handlanger,  und  mit  ihrem  einzigen 
Werkzeuge,  demBeil,  imGurtel,  wandern  jabrlicb  50000  bis 
80000  dieser  Leute  nach  Petersburg,  um  ein  ungewisses  Brod 
zu  finden.  ErsebSpft  durch  lange  Marsche  und  durch  die 
karglicbste  Nahrung,  Schwarzbrod  und  VVasser,  kommen  sie 
in  Peter£(Mirg  ah,  und  sind  zum  groben  Theile  schon  bei 
ihrer  Ankunft  GandidMen  der  Hospitaler.  Diese  Ungliicklichen 
bringen  die  sce^utische  Anlage    mit.     Daher  ist   denn   die 


206 


PbjsikaUwh-iiHkllMmatiaelie  WtMCMokafleM. 


SterUichkeit  in  den  HauplstMdten ,  nMnentlieh  in  St  Peters- 
burg so  grofii,  dab  nach  aUitisUaehca  Berichten  die  Zahl  der 
TodesfSlle,  die  Zahl  der  Geburlen  alljalirlicb  itm  Tausende 
iibersteigt.  Um  diea  VeriifiUnib  anschaolich  lu  macben  tiwi- 
len  wir  nachstehende  statistisGhe  Tabellen  ilber  Geburlen  and 
TodesfaUe  in  St  Petersburg  tnit 
Es  kamcn  vor 


tm  Jahr 


G«bnrten 


Todetfille 


1807 
1808 

1813 
1815 


1816 
1817 


1818 


7600  ...... 

7812  (673  unehliehe) 

7558 

8316  (1168  unehUche) 


7888  (1111  unehUche) 
8303     (4206    Knaben, 
4095  Madchen) 


7968 


10867. 

14504. 

14964.     / 

11029  (worunter  300  darcb 
UnglacksTalie  uad  15  durch 
Selbstmord ;  3721  durchKo- 
iik;  14  duicb  Pockoi;  4  in 
einem  Alter  iiber  100,  1  mit 
105,  2  bis  110  und  1  mil 
120  Jabren). 

9256  (5539  mannL  und  3717 
weibL  Geschlechis;  davon 
375  durch  UngkicksBUe,  7 
durch  Selbstmord,  Kinder  im 
1.  Lebensalter  2302;  durch 
Pocken  152;  durch  Aosxdi- 
rung  2101;  durch  faitiige 
Fieber  1592;  von  den  Ver- 
storbenen  waren  166  fiber 
80,  34  uber  90,  6  iiber  100, 
1  Uber  130  Jahr  alt). 

9590  (100  Ertrunkene;  16 
Selbstm&rder;  2260anCon- 
vuisionen;  1664  an  hitugen 
Fiebem;  62  bei  derEntbin- 
dung;  60  an  Pocken  etc.). 


Die  groCM  StatUieUMit  k  RiMlMd  bedi«gm4*  KtwUieiten.     209 


Im  Jahr  I  Gebarten 


To4Mfalle 


1619 

1820 
1821 


7550 

8110 

8509  (4369  Knaben, 

4135  Madchen,  wovon 

1262  unehlich) 


1822 


1831 


1833 


1834 


1835 


8097  (unehiicb  1142) 


6511  (woranter  3515 

Knaben) 
9094  (4689  Knaben, 

4404  Madcken) 


10335  (4385  Knaben, 
6004  Madchen) 


10313 


10726  (an  Pocken  3400). 

8787. 

9106  (durch  Ungliicksfalle  365; 
an  .Convulsionen  8189;  an 
hilzigen  Fiebern  1796;  an 
Schwindsucht  1550;  an  Pok- 
ken  408;  bei  der  EntbindQng 
45;  ini  Alter  von  100—115 
Jahren  2). 

11083  (durch  UnglUcksfalle 
353;  an  Pocken  193;  im 
AUer  von  90  Jahren  136; 
uber  90:  23;  1:  100). 

'25715  (worunler  9359  an  der 
Cholera). 

12957  (namlich  8281  mannl. 
4660  weibliche  Individuen, 
worunler  an  hilzigen  Fiebern 
3418;  an  SUchen  3346;  an 
Schwindsucht  1140;  an  Al- 
tersschwache  5776;  an  Pok- 
ken  83;  im  Wochenbett  83; 
an  Ungliicksfaiien  452. 

4781.  (worunter  an  SUchen 
3559;  an  hitxigen  Fiebern 
2250 ;  an  Schwindsucht  495; 
an  Aiterschwache  627;  an 
Pocken  98;  im  Wochenbett 
85;  d.  Unglucbralle  461)i 

13249  (8344  mannL,  4905 
weibL  Geschlechts,  woruo- 
ter  an  Slicben  3507;  an 
hitzigen  Fiebern  2968;  an 
Schwindsucht  1269;  an  Al- 


210 


PliysBnliBeh-^inatliJimfttliche  WiMieiiteliaieeii. 


Im  Jabr 


Cretrarten 


Todesfalle 


6118 


6394 


iersschwache  637;  an.  Pok- 
kan  100;  im  Wbx;h»ibeUe 
62;  an  Ungiucksrallen  493). 

1836  9928 12009    (7293    mannl,     4716 

weibl  Geschlechls). 

1837  1 12622      .....     13521    (8246    niannl.,    5275 

weibl.  Geschiechls). 

1838  12511 14304  (9296  m.,  5006  w.  Ge- 

scblechts.,  wobei  an  Krank- 
heiten  7275;  an  Ungliicks- 
fallen  203;  an  plfitzlichen 
Zufallen  317). 

1839  1314      .....     18459   (12341  mannL, 

weibL  Ge^cblechts). 

1840  13339     .....     19538   (13164   mgnnl, 

weibl.  Ge$chIechU). 

1847    12343. 15989   ( 10503  ipannl,    5469 

weibl.  Geschlechts). 

Wit  k&nnten  diese  Tabellen  noch  weiter  fortseUen,  wir 
k5hnleh  noch  ahnliehe  Tabellen  liber  die  Zahl  der  Verstor- 
benen  nach  Dezennien,  dann  wieder  nach  den  einzelnen  Mo- 
naten,  alle  im  Verhaltnifs  zu  den  Gebornen,  hinzufilgen;  aber 
es  geniige  diese  einztge,  um  die  grofse  Sterblichkeit  der  ar- 
beitenden  Classe  (denn  von  dieser  ausschliefsiich  sind  die  Ci- 
vilhospitaler  bevSlkert)  anschaulich  zu  machen.  In  den  Mili- 
lairhospitalern  findet  naliarltch  dasselbe  Verhaltnifs  stall;  denn 
der  russische  Soldat  kann  unmogiich  besser  gehaiten  sein,  als 
der  russische  Arbeiter,  der  sich  selbst  seine  Lebensmittel  ein- 
kauft.  Und  so  sind  denn  auch  wirklich  diese  Truppen  niit 
einer  eigenlhiimlichen  Anhamie  behaftet.  Ihre  Haul  ist  wie 
gegerbtes  Leder,  wenn  man  im  Winter,  bei  25Graden  Kalte, 
ganze  Eskadronen,  ja  Regimenter  voruber  passiren  siehl,  so 
gewahrt  man  unter  den  ganzen,  grofsen  Massen  dieser  der 
Mehrzahl  nach  jungen  Leule,   keinen  Einzigen  dem  die  Kalte 


Die  grolie  Sterblidikeit  in  Riissland  bedingeade  Kranklieiten.    211 

itn  Slande  gewesen  wiire,  das  Gesieht  zu  rotheoi  gelblu)hgrair 
sehn  sie  alle  aus,  troU  ilirer  J^gend,  Iroii  der  aktiVen  Be* 
wegung  in  der  man  sie  sieht  und  troU  der  rutsischen  KiUle^ 
welche  jeden  IVlensehen.  mit  gewohnKcheni,  geaundem  Blut  daa 
Gesicht  mit  Purpurr5ihe  liberzieht 

Dafs  bei  dieser  handgreiflichen  Anbamie  und  i>ei  alien 
andern  bekannten  EigenthUailicbkeiten  des  rusfiscben  Yolka» 
welche  korperlichen  und  Seelenulstande  de^selben  bedin- 
gen^  der  Scorbut  in  Rassland  zuweilen  sog ar  epidemiaoh  aiff-- 
tritt,  wird  nieroand  wuhdemefameD.  Die  leUten  $ehr  gi^ofseni 
Epidemieen  desScorbuts  waran  in  denJahreti  1742  und  1786« 
Aber  trots  der  WachaamkeU  des  Gouvernemeiitf  {ib^if  '4ii^ 
eingebrachten  Lehensoiitiel/lrbtB  der  sweifelloa  T^^rgea^^brUte-; 
nen  Sufserlichen  Kultur  der  Menachen,  ist  der  Scorbut  ijiimer 
unbesiegt.  VVenn  er  auch.nicht  in  grofsen  Epidemieen  au^ 
trill,  so  darf  man  doch  nur  einen  Gang  di^rch  die  Hospitaler^ 
inachen)  um  sich  zvt  iiberaeugen,  dafs  auch  der  fiusgebildel^' 
Scorbut  bier  nie  ganz  aufliSrt,  abgesehen  von  deni  bereita. 
erwSlmlen  acorbutischen  Chamkler  aller  Krankheiten  welche. 
das  Volk  treffen. 

Uebrigens  ist  die  scerbuUaciic^  Dialhese.  nach  deo  Jahrt9r 
z^len   deutlichen  Sckwanknngen    unterworfen*     GewohoU^I^. 
beginnt  ihre  starkere  Enlwickliing  mil  dem  AnCange  de$  Jab^ 
res,  erreichl '  mil  dena  Mai  und  Jani  ibre  h^devUendsle  Hobe^, 
uad  tritt  daim  im:AugUslnnd September,  spatje^lefis  im  Okto-^; 
ber,  svieder  mehr  sariick.     tLalte  Winter,  ein  ^n  Ost*  und. 
Nordivindea  reiefaes  Fnihjahr  bMcbr4fike|i  .dieselbe,  dagegei) 
veroiehrt  sich  £eZahl  der  Scftrbulkrank^p  ganz  a^iberprdei^t-'; 
lich  naeh  emem;  gelindeD  Winter  und  fUOem  feuch^en  Friih-. 
ling.--  .  : 

VVir  fiigen  dem  bier  iiber  den  russischen  Scorbut  Mit-^. 
getheilten  die  Beschreibung  e«o#r  $corbglis0h^Q  Krankh;eits- 
speoies  hinzu, . welche.  nicht  blofa  "ph/siologi^ch  sehr  interessa^t 
ist,  sdndem  auefa  in  Deulschland  yop  iibenr^sch^nd^r  Ne^ub^jl : 
sein  durfte.    Die  Scorbutkranken  leiden  dabei  fin  einer  niebr , 
als  gew^nlichen  Muskdischw^qhe,  zi|  w^lpb^  sich.  naeh  und. 


212  Ptiytlkali8ch*iiMitheinMkcbe  WiMtHMlwilen. 

nach  eine  tfnmer  sunehmejide  Airophie  gesdlL  Die  Haul  ist 
mehr  tiler  weniger  mit  scorbuUscben  Ekchjmosen  bedeckL 
Endlich  nlmint  die  Epidermis  an  den  Extremilaten  eiae  Arl 
von  Glans  an,  wobei  ihre  Sekfetion  aufauhoren  scheint;  denn 
sie  isl  trocken,  straff,  wie  mil  dem  Zdlisloff  unler  ihr  tinbe-* 
weglich  verbonden.  Der  Zellsloff  selbsl  mil  der  Haul  ^ariiber 
fiihlen  sich  hart  an  wie  Hols,  ja  wie  Stein,  und  die  voa  die* 
ser  Krankheit  ergriffenen  Gebilde  gleichen,  bei  der  scorbiiii- 
sehen  Hautftrbung,  polirten  bunten  Marmorplatten.  Die  Krank- 
heit ist  niebts  Anderes  als  eine  Sclerosis  soorbuttca^  eine 
scorbulische  Verhiirtung  des  subcutanen  Zelistoflk  Nehraials 
bab'  ich  mii  dieser  Krankheit  grofse  AnschweUungen  der  Pa- 
rolls  und  anderer  Dri&sen  oorapKeirt  gesdbn. 

Wir  gehen  sur  Beschreibung  der  russbchen  Merkttrial* 

krankheit  Qber,  bei  welcher  wir  urn  so  mehr  langer  verweilen, 

einmal  w«i  sie  in  Deutschland  ganz  unbekannt  isl,  und  dann 

weil  es  wiinschenswerlh  wfire,  dorch  ihreCenntailsveranlalst, 

ahnlichen  Erscheinungen  in  Deutsehland  nachxuforschen.  Der 

Raum  in  diesen  BliiUem  geslattet  nicbl,  alie  oder  nur  einige 

der  Krankheitsgeschichlen  mitzulheilen,  aus  welchen  die  nadi* 

stehenden  Beschreibungen  entlehnt  sind.     Es   sind  mehrere 

ekiatanle  Fiille  darunter,  in  wefeheu  die  von  Hydrati^rrosis  Er- 

griifnen  durchaus  nicht  s]rphyitisch  gewesen  waren  und  also 

das  Quecksilber  nicht  innerKch  einverieiU  haUen.     Mehrere 

haben  es  zur  Vertilgung  von  Ungeziefer  stark  m  die  Haul 

eingerieben,  andere  batten  es  leichlsinniger  Weise,  in  Poms 

der  grauen  Salbe,  bei  jeder  Gelegenheit,  bei  Krcuischmeneii, 

Zahnschmerzen,  )a  bei  Kopfschmerzen,  ebenfaUs  endeiutaiisch 

angewendet.   DiesePlrlle  waren  ftir  den  Aral  um  so  instrnkli*' 

ver,  well  bier  kein  Verdacht  einer  Complikation  mit  Syphilis 

statlhaben  konnle. 

1.  MerkuriaNRheumatismus.  Die  Kranken  bekommttn 
znerst  Sehmerzen  in  den  Artikuiationen  der  Extremilaten,  nie* 
mats  vorher  in  Muskelpartieen,  weder  der  Extrennlalen,  neck 
des  Rumpfes,  und  awar  so  dafs  an  den  ExtremiUlen  wieder 
zuerst  das  Gelenk  befallen  wird,  welches  am  sl2rkalen  divch 


Die  grofBe  SteiWekkdU  in  Riutlaiid  iKNliageia*^  iCMikbeiten.    213 

Mi^elaklion  afBnrt  war.  Bei  einan  PatMUlen  Wttrd«  weral 
das  Handgeleiik  der  rechten  Hand  schaierakafty  weil  er  tag* 
lich  oftmals  eibeschwer  zu  Sffnende  Thiir  aufachliefiian  anifste^ 
bei  einem  andern  das  capilulum  fibulae  das  linkeii  Kniegelenka^ 
well  er  die  Gewohnheii  halle  linker  Seita  aus  dem  Schlilien 
zu  steigen.  hm  einem  ao  geringen  AaCaog  entwickelt  aich  re* 
gelmabig  ein  grofses  UebeL 

Der  Gelenkschmerz  isl  zuersi  und  gewohnlicb  mil  keiner 
sichibaren  Geschwulal  verbmiden,  aach  ist  er  nichl  sponian^ 
sondem  alelU  aich  nnr  bei  der  Muakelaklioa  ein  und  labt  sich 
hervorrulen  durch  Druck  auf  die  affizirtan  Tbeiie. 

Die  Unlersuchiing  durch  den  Drad:  erweiat  dala  daa  Pe« 
richondrium  an  der  Inaeriionastelle  der  Muakeln,  Sila  des 
Scfamenes  isl.  Das  zunachsl  vom  Merkuriateheumaliai^us  ei^ 
griffene  Gelenk  bleibt  zuweilen  langere  Ztit,  wochenlang^  aus-^ 
sehiielalicher  Sils  dosselben,  und  wird.am  schwersten  von  ihm 
befreit;  aber  in  der  Kegel  brttt  bald  eine  Wanderung  der  Krank* 
heit  zu  anderen  Gelenketi  ein,  b^  welcher  sich  kein  conalan* 
tea  GeseU  einer  ReihenfoJge  herausslelUi  6lwa  voiu  Kniege- 
ienk  zurHufte,  oder  vom  Handgelenk  zur  EUenbuge,  sondem 
die  Oriaveranderung  erfolgi  ohne  Ordnung,  eniweder  in  Ge* 
lenke  die  entferoter  vom  Rumpfe  sind  ala  das  zuersi  befallae, 
oder  in  hoher  gelegne»  oder  in  beiderlei  Gelenke  zugleich. 

, Kein  Gelenk  der  Eictremilalen  bleibt  beim  Merkurial*-Rbeu- 
matismus  verschont  E$  giebt  Patienten  bei  welchen  alleGe* 
lenke  nach  einanderi  andere  bei  welchen  alia  §^ichzeitig  be- 
fallen wurden,  so  dab  sowol  Podagra,  ak  Chiragra,.als  Lumbago 
merkiuriakheumaiiscb^r  Natur  aein  kann. 

Am  scbmerahaftestm  warden  diejenigen  Gelenke  ergriffen, 
welche  vermoge  ihrer  natiirlichen  Verrichiungen  bei  den  schwer- 
sten  Mtt&kebktionen  belbeiligt  sind,  also  das  Knie-  und  BUen- 
bttggelenk.  —    . 

Ist  ein  Gelenk  Ungere  Zeit  der  Siti  des  Merkurialrheu* 
maliamua  geweserii  so  steUt  sich  ein  veranderterEutziindtrngs- 
zustand  des  Organca  ein,  die  chroniacbe  Entzivadnpg  verur- 
sacht  Tranaaudmlioii  in,  devb  hiuti|^n  Umg^ungen  des  Gelenks: 


214  Pkyiikaliteli-mathemallielM  Wlst^»tehaften* 

to  biidet  idcii  Hydnirirose.     Die  Kniee  besonden  scHwelieii 
stark  bydropisch  an,  die  Patella  vrird  flaktoiread. 

Nachdem  latigere  Zeit  die  Gelenke  det  ExlreimUileii  Sits 
des  Rlerkurialrheumatismus  gewesen  sind,  werden  nach  und 
Mch  hdher  gekgne  Gebilde,  die  Arlikuialionen  der  Rippen 
mil  dem  Sternum  y  ergrtffen«  Die  heftige  Exspiralion  beiin 
Husten  und  Niesen  verursacht  einen  UDertregUchen  Schmerz. 
Der  Kranke  vermag  endlich,  wegen  Affektion  der  Rtieken* 
muskein,  kaum  sich  im  Bette  umsuwendeli. 

Die  eintige  Mitskelgnippe,  derenAklion  ich  beim  Merku- 
rialrheumatismus  keinen  Sehmerz  babe  verursachen  seben,  isl- 
die  der  pbynognomischen  GeaichtamBskeln. 

An    die  Affektion  der  Gelenke  und  Mnskeln   durch  die 
Merkurialkf  ankbeit,  oabliefst  sich  die  des  Hertens,  in  der  Form 
vbn  Palpiiationen.    Kranke  welebe  stark  von  der  Hydrargy- 
i^sis  ergriffeh  sind,  leiden  an  einer  sebr  grofsen  Pidsfreqiienz, 
und  die  Reissbarkeit  des  Herzens  ist  so  grofs  da(s  nach  dem 
Genusse  von  Speisen  und  warmen  oder  andernGetranken  als 
blofsem  Wasser,  beflige  Palpitationen>  eintreten.    Aiich  beim 
Treppensteigen  und   Shnlichen  Bewegungen  steilt  sicb   dies 
Symptom  ein,  als  ob  eine'  Hyperlrephie  des  Herzens  vorhan-< 
den  wSre.    Auch  sind  mir  in  der  Tbat  Fiille  bekannt  gew#r« 
den,  wo  Aneurismabildung  unzweifelhaft  Foige  von  merkuriei* 
ler  Infektion  war:  eine  sebr    einleucbtende  Grscheioungy  da 
nichts  geeigneter  ist,  die  Hsiute  der  Arterien  zu  aneurismati* 
seher  Dilatation  2u  pradisponiren ,  als  ihre  Auflockermig  und 
Zersetzung  durch  Quecksilber.     (jeberhaupt  sind  die  hHufige 
Aneurismabildung  in  Nordrussland,  zumal  bei  den  Marinesol* 
da  ten,  und  die  Merkurialkrankbeit  durch  einen  gewissen  Pa- 
ralellismus  ausgezeichnet* 

Die  Muskein  beim  Merkurialrbeumatismus  befinden  sieh 
in  einem  Zustande  von  Adynamic,  welche  sich  als  unzulang** 
liche  Contraktion  und  als  Schmerz  bei  derselben  aufserU 
Der  Schmerz  aber  der  sensiblen  Nerven  wird  erst  geweekt 
durch  die  Contraktion  der  motorhschen  Nerven,  die  Neuralgie 
ist  keine  spontane,  sopdern  dureh  die  Muskdaktien  gesetzt. 


Die  grofse  SterblicMs^it  in  RiiMkifNl  b«diiigeAdo  Krankbeilen.    215 

Sei  es  nun  weil  die  Extensoren  von  Natur  schwScher  inner* 
virt  sind,  als  die  Extensoren,  oder  weil  die  Extensoren  we* 
gen  der  aufrechten  Stellung  des  Menschen  einer  permanente* 
ren  Anslrengung  unterworfen  sind,  als  die  Floxoren,  genug, 
im  Merkurialrheuinatisinus  zeigt  sich  die  Muskelschwache  vor- 
ziigiich  grofs  in  den  Extensoren.  Die  Krunken  gehen  mit 
kruinmen  Beinen,  halien  die  Arme  beslandig  in  flekiirter  Siel- 
lung,  den  Rucken  gebogen  und  den  KopC  gebiickt.  Ihre  Be- 
wegungen  und  Slellungen  sind  die  dekrupider  Greise^  So  wie 
aber  die  Aklion  der  Extensoren  unvollkommen  ist,  eben  so 
sind  auch  die  Flexoren  geschwacht;  die  Flexion  gelingt  nur 
bis  auf  einen  gewissen  Grad,  Uber  welchen  hinaus  der  heftige 
Schmerz  bei  der  Muskeiaklion  sie  nicht  kommen  lalst. 

Konnen  wir  die  bisber  aufgefiihrten  Erscheinungen  im 
Bewegungsapparat  als  fixen  Rheumalismus  bezeichnen^  welcher 
in  den  Gelenken  sich  durch  starke  Anstrengungen  oder  durch 
die  Lange  seiner  Dauer  zum  akuten  Gelenkrheuinalismus 
steigeri,  so  beschliefsi  die  merkurielle  Neuralgie  als  sotche, 
der  spontane  Schmerz,  die  ganze  Reihe  bekannter  rheumati* 
scher  Affektionen,  wenn  wir  die  letzte  Affeklion  ebenfalls.  mit 
den  bekannten  Ausdrueken  rheumatismus  vagus  seu  volatilis 
bezeichnen.  Die  am  Merkurialrheumatismus  Leidenden  eropfin^ 
den  namlich  bei  vollkomiimer  Ruhe  desKorpers  an  wechseln- 
den  Kdrperstellen  zuweilen  einen  nicht  heftigen  Schmerz, 
welcher,  ohne  lange  anzudauern,  den  Ort  veriindert  and 
sprungweise  weitergeht*  Er  huplt-  willkiirlich  im  Korper  urn- 
her,  und  ist  urn  so  rathselhafler,  weil  der  Ort  wo  er  sich 
zeigt  niemals,  wenn  liian  ihn  nun  driickt,  gegen  den  Druck 
schmerzhaft  ist.  — 

So  ist  denn  ein  an  Merkurialrheumatismus  Leidender  bei 
einem  gewissen  Grade  der  Krankheit  ein  Gegenstand  nur  zu 
geeignet,  Mas  tiefste  Mitleiden  einzufloCsen.  Der  arme  Kranke, 
nicht  biofs  des  lebensfrohen  Bewufstseins  beraubt,  welches  die 
gesunde  Bewegungslhalrgkeit  begleilei,  sondem  ein  absoluter 
Krilppely  unfiihig  sich  selbst  an-  und  auszukleiden^  ja  um.  eine 
Uhr  aus  der  Tasche  zu  Ziehen,  oder  einen  Uut  auf  d^m  Kopf 

GrmaDt  Rusg.  Archiv.  Bd.  XI.  H.  S.  15 


216  Pkytikalitdi- iMitheuialitcho  WiMenMliafteii. 

su  setsen  —  wird  durch  die  Harinackigkeil  diesei^  Leideoa, 
IB  welchem  der  Rath  auch  der  besten  Aerzie  keine  sdbDdl« 
Hiilfe  schaffen  kann,  zur  Ver&weinung  gebrachl.  Wie  be- 
nichtigi  wegen  ihrer  Schwerheilbarkeit  sind  nichi  achoo.  iiber* 
haupk  Hbeumaliamus  und  Arthritis.  Aber  man  Ume  erst 
einen  veralteten  Merkurialrheumatismus  kennen;  der  Stolz 
des  eingebildetsten  Praktikers  wird  sicb  gedehnmtbigl  fuhleo. 

Der  Merkurialrheumalisinus  ist  iibrigens  der  Repoission 
und  Exacerbation  unkerworfen.  Eine  anhaltende  Muskellha- 
ligkeii  macht  ihn  zuerst  geiinder;  dann,  wenn  sie  laoger 
dauert  als  das  schwer  bealimmbare  Mafs  der  vorhandenen 
KrSfie  ertragt,  nimmi  er  in  hobem  Grade  zu,  und  sein  hoch- 
ster  Grad  trilt  naeh  einer  kurzen  Rube  hervor,  die  auf  eine 
lange  Anstrengung  (olgt«  Die  Diat  aufsert  einen  sehr  gros- 
sen  Einflufs  auf  die  Krankheit  Reichliche  und  derbe 
Kost  vermehren  sie;  unmittelbar  nach  dem  Essen  zeigt 
9ieh  die  grfibte  Exacerbation.  Die  grdfste  Remission  wird 
durdi  die  einCachste  und  mafsigste  Diat  bewirkt  Beim  grSfa* 
ten  Hunger  ftlhlen  sich  die  Kranken  am  freisten  von  iSehmer* 
sen.  Auch  am  Morgen,  nach  langer  ^'achtnihe,  sind  die 
Schmerzen  geringer.  Schlaf,  viei  Schlaf  ist  fur  Merkucial^ 
kranke  das  grSfste  Bediirfniis  und  vertritfc  die  Stelie  eiser 
Bl8rkenden  und  erquickenden  Arznei«  Der  Genub  ven  spin- 
ku5sen  Getrfinken  verursacht  nicht  blofs  keine  Starkung,  son- 
dern  ist  positiv  schadiich.  — 

An  den  hier  beschriebenen  Merkurialrheumatismus  reiht 
iltch  am  besten  ein^  Symptom  der  Merkurialkrankheit  an,  wel* 
ehes  so  wie  die  Salivation  allgemein  als  unzweifelhafte  Wir- 
kung  des  Quecksilbers  gilt.,  das  Sehnenhupfen.  nSmlieh.  £s 
hat  jedeeh,  unsers  Erachtens,  ala  Symptom  so  wol,  wie  als 
Krankheitsmomenl,  nur  einen  untergeordneten  Worth.  Denn 
ab  ein  charakteristisches  Zeichen  darf  es  nichi  gelten,  weil 
es  sich  in  vielen  andern  Krankbeiten  findet,  ja  auch  fan  rela*- 
tiv  gesunden  Zustande  vorkommt  Nur  dies  meehte  in  Be* 
ziehung  auf  Merkurialrheumatismus  zu  erwahnen  sefaii  4a($ 
dies  Sympimn  in  der  Merkurialkrankheit  seine  GradatiiKi  ma- 


Die  grofse  Sterblidikeit  in  RossUnd  bedingende  Krtnkheiten.    217 

nifestirt  durch  die  ZabI  der  gleicbzeitig  reaglrenden  Muskeln. 
Baid  namlich  ist  es  nur  das  tendindse  Ende  eines  Muskels, 
welches  die  stattfindende  sensible  Reizung  reflektiiiy  bald  ein 
Mnskel  in  seiner  ganzen  Ausdehnung,  bald  eine  Muskelgnippe, 
bald  eine  ganze  Extremitat,  in  der  Weise  dafs  namentlich  ein 
Bein,  xviihrend  der  Kranke  ruhig  im  Bette  liegt,  plolzlich  em* 
porgeschnellt  wird.  Hiiufig  ereignei  sich  die  Erscbeinung  im 
Sehlaf  und  weckt  alsdann  den  Palienten  auf.  **~ 

2.  Merkurialatrophia  Nicht  blols  Site  des  Rheumati8«> 
mus  sind  die  Muskein  in  der  Merkurialkrankbeil,  sondern  noch 
eines  andem  Symptoms,  durch  dessen  Betradilung  man  dem 
Wesen  dieser  Krankheit,  weiche  wir  bisher  ganz  unmittelbar 
und  unerlautert  gelassen,  ein  gules  Stiick  niiher  trelen.  Dies 
ist  die  Merkurialatrophie.  Zuerst  namlich  die  Muskela  welche 
am  starkslen  vom  Merkurialrheumatismus  ergriffen  sind^  nach 
und  nach  aber  alle  Muskein  des  ganzen  Organismus,  sehmen 
in  ihrer  Dicke  bedeutend  ab.  Zunachst  ist  es  das  sie  uooge*- 
bende  ZeUgewebe  und  der  panniciilus  adiposus  derHaut,  de* 
ren  Resorption  die  unterliegenden  Muskein  deutlicher  fiihlbar 
werden  lafst;  dann  schwindet  nach  und  nach  cfie  Substanz 
der  Muskein  selbst,  dergestalt  dafs  durch  sie  hindurch  und 
swischen  ihnen  deutlich  die  Knochen  fiihlbar  sind,  einKrank- 
heiissymptom  handgreiflich  genug  vvenn  die  Patienten  Torher 
roit  gesunder  Fiille  der  aufsern  Gebilde  ausgest^ttet  waren.  — 
Besonders  auffallend  ist  diese  Atrophic  an  den  ExtremitSten, 
als  an  den  in  der  Regel  vom  Merkurialrfieumatismus  ergriff* 
nen  Korperlheilen.  Bei  einigen  meiner  Patienten  wurden 
auch  die  glutaei  auffallend  atrophisch,  bei  einigen  nor  die 
giiitaei  der  linken  Seite,  nachdem  sie  langere  Zeit  an  der 
ischias  mercurialis  der  linken  Hiifte  gelilten.  Die  blofseOku* 
larautopsie  geniigte,  diese  Atrophic  der  glutaei  zu  erkennen. 
Intressant  ware  es  zu  wissen,  ob  bei  dieser  Muskelatrophie 
die  Primitivfasern  der  Zahl,  oder  blofs  dem  Durchmesser  nach 
vermindert  werden. 

.  Indem  wir  hiermit  die  Symptomengruppe  der  Hydrargyro-* 
sis  im  Bewfegungsapparat  schliefsen,  milssen  wir  noch  einet 

16* 


218  Pliysikaliscli  •  matliemattiche  Wistentcbafton. 

merkwurdigen  Symptomes  gedenken,  welches  seinen  Silz  in 
denselben  Gebilden  hat.  Es  isi  dies  ein  akuslisches  und  kaon 
nur  durch  den  Ausdruck  Crepitation  bezeichnet  werden.  Je- 
des  vom  Merkurialrheumatismus  stark  ergriffene  Gelenk  nam- 
lich  verursacht  bei  der  Conlraxion  der  ihm  adnexen  IVluskeln 
me  so  Starke  Crepitation,  ein  Knacken,  dafs  es  zuweilen  deut- 
lich  horbar  ist,  ohne  dafs  man  ein  Stethotam  applicirt.  Bei 
der  grofsten  Ausbildung  der  Merkuriaikrankheit  ist  iiberhaupt 
die  Muskulation  von  diesem  Gelenkknacken  unserlrennlich  be- 
gleitet.  Ist  die  Krankheit  bereits  in  der  Abnahme  begriffen, 
80  manifestirt  es  sich  nur  bei  energiseher  Muskelaktion.  — 

Durch  die  Merkurialatrophie  machen  wir  den  Uebergang 
von  den  Affektionen  des  Bewegungsapparates  in  der  Hj^drar* 
gyrosis  zu  denen  der  anderen  Gebilde.  Doch  ware  es  nicht 
zu  rechtfertigen  wenn  wir  aile  diese  Krankheitssympiome  vor- 
iiberliefseny  ohne  das  eine  oder  das  'andre  naher  zu  erlautem. 
Es  sei  uns  geslattet,  urn  nicht  gar  zu  plumpe  Uebergange  von 
einer  Affektion  zur  andern  ^u  machen^  hier  durch  eine  kurze 
Reflexion  uber  die  Merkurialatrophie  eine  Brucke  zu  bilden. 
Die  Merkurialatrophie  ist  in  doppelter  Riicksicht  ein  wichtiges 
Symptom,  in  diagnostischer  und  in  atiologischer.  Sie  kann 
sehr  leicht  Verwechselung  mitLungenphthisis  oder  mindestens 
Tuberkulosis  veraniassen,  wenn  die  Kranken  gleichzeilig  an 
Bronchialkatarrh  ieiden.  Die&e  Complikation  findet  sehr  haufig 
statty  und  ebenso  haufig  hab*  ich  Merkurialatrophie  mit  Phthi- 
sis oder  Tuberkulosis  der  Lungen  verwechseln  sehn.  Frdlich 
ist  die  exakte  Erforschung  mancher  Form  der  Lungen -Tu- 
berkuiose  eine  crux  sacra  fiir  die  Aerzte,  in  der  Mehrzahl 
dieser  Complikationen  jedoch  war  durch  Auskultation  und  Per- 
kussion  die  Feslslellung  der  rrchtigen  Diagnose  leichU 

In  atiologischer  Riicksicht  kommt  es  darauf  an,  die  Uo* 
mittelbarkeit  der  Merkurialatrophie  aufzuheben  und  sie  durch 
Bestimmung  ihres  Wesens  zu  dem  Momente  in  der  Merku- 
riaikrankheit zu  erheben^  das  sie  in  Wahrheii  ist.  Die  Er* 
klarung  derselben  kauni  eine  doppelte  sein.  Nacb  einer  An- 
schauungsweise  in  der  Pathologic  wiirde  man  die  Merkurial* 


Die  grofse  Sterblichkeit  in  Rnssland  bediagende  Krankheiten.     219 

atrophic  von  der  Lokalaffektion  der  Muskein  in  der  Hydrar<*> 
gyrosis  ableiten^  und  kurzwegsagen  dafs  die  rheumatische  Ar* 
fektion  der  Muskein  in  dieser  Krankheit  Grund  genug  sei,  die 
Muskein  alrophisch  zn  machen.  Aber  es  werden  nicht  blofs 
die  Muskein,  sondem  auch  der  Zellsloff  atrophisch.  Der  Ze]U 
stoffy  wird  man  sagen,  ist  nur  das  Kleid  der  Muskein  ^  hangi 
innig  mit  ihnen  zusammen,  und  was  die  einen  triffty  Iriifl  die 
andern  mit. 

Das  moderne  Slreben  in  der  Medizin  nach  exakter  Dia* 
gnostik  begunsiigt  einseitig  die  Lokalisirung  der  Krankheiten, 
die  Mehrzahl  der  Krankheiten  soUen  5rtliche  Leiden  sein, 
wShrend  vielleicht  keine  einzige  ein  ortliches  Leiden  i^t.  Die 
Zeit  ist  nicht  feme,  wo  man,  im  Gegenlheil,  annehmen  wird 
dafs  eine  Srtliche  pathologische  Affektion,  aufser  etwa  den 
Wunden,  die  Wirkung  einer  Alteration  des  ganzen  Organis* 
mus  sei,  welcher  in  Lokalleiden  seine  Tolalleiden  nur  sympto* 
matisirt,  und  zwar,  vermSge  des  ihm  immanenten  Heilungstrie- 
bes,  in  der  Regel  so  dafs  das  ortliche  Leiden  heilenden  oder 
kritischen  Werth  fiir  den  Totalorganismus  haL  Er  concen- 
trirt  die  Wirkung  des  im  ganzen  Organismus  thatigen  Causal- 
moments  in  einem  einzelnen  Organe;  denn  die  gleichzeitige 
Affektion  alter  Organe  wiirde  den  Tod  bedeuten. 

Die  Merkuriabtrophie  anlangend,  so  kann  sie  nicht  wohl 
ein  lokales  Muskelleiden,  eine  Dependenz  des  Merkurialrheu* 
matismus  sein.  Denn  die  rheumatischen  Affektionen,^veiche 
wir  oben  beschrieben ,  sind  wesentlich  doppelter  Natur,  ent- 
weder  chronische  Cntziihdungen,  als  Gelenkrheumatismus, 
oder,  als  Rheumatalgieen ,  Reflexwirkungen  sensibler  Nerven 
auf  eine  Reisung  anderer  sensibler  Nerven,  die  mit  den 
schmerzenden  in  einem  polaren  Verhallnifs  stehen. 

Wir  sind  also  gezwungen  nach  einer  andern  Erklarang 
der  Merkurialatrophie  zu  suchen,  welche  ihre  Ursache  tiefer 
erforscbt  Atrophic  nun  an  sich  ist  fiir's  Erste  Nichis  als  ein 
Negatives,  und  zwar  das  Negalive  der  Assimilation ^  man* 
gelnde  Assimilation.  Fragt  (nan  daher  nach  demGrunde  der 
Atrophic,  so  fragt  man   eo  ipso  nach  dem  Grunde  der  man^ 


220  PhysikftlMeli«-inattieiik«tt^che  Wisienichaflen. 

gelndeh  Assimilation.  Die  Assimilaiibn  ist  ein  Werk  inii- eben 
so  langer  Einleilung  ais  Text.  Die  Einleitung  ist  die  game 
Cyklose  des  Nutriments,  von  der  Chrymusbildung  bis  fcur 
voUendelen  Hamatopoese;  die  Forisetzung  der  Einleitung,  daa 
Wetk  welches  durch  sie  eingeleitet  wird,  ist  die  Assimilation, 
das  Leben  dei  Parenchyms.  Diese  Funklionen  sammtlteh  ha* 
ben  eine  anscheinend  mehr  chemisch*physikalische  und  durch 
die  Innervation  des  organischen  Parenchyms,  eine  dynamische 
Seite.  •— 

Bei  der  Alrophie  konnte  entweder  die  eine,  oder  die  an* 
dere,.oder  es  konnten  beide  zugieich  geslort  sein.  Wir  sahn 
aber  in  zahlreichen  Krankheiten,  wo  unzweifdhaft  die  eine 
dieser  Seiten  krankhaft  geslort  ist,  wie  in  so  vielen  Krankhei* 
ten  der  Digestion,  gleichwol  keine  Atrophie  im  stfengen  Sinn 
hervortreten ;  aber  jedenfalls  ist  sie  das  Resultat  der  gedop^ 
pelten  Storung,  so  wol  des  chemisch-physikalen,  als  des  dy- 
namischen  Moments  im  ganzen  Akte  der  Assimilation.  Diese 
tiefere  Storung  des  vegelativen  Lebens  in  der  Hydrargyrosis 
tritt  dann  auch  schon  hervor  im 

4.  Merkurialscorbut.  Diese  Bezeichnung  fullt  wieder 
eine  Symptomenreihe  der  Merkurialkrankbeit  aos,  welche,  wie 
die  fruhern,  schon  anderweitig  bekannt  und  benannt  isl,  hier 
aber  in  demselben  Sinne  und  mit  demselben  Rochte,  wie  jene, 
als  Krankheit  an  sich  negirt  und  vielmehr  su  einer  Reihe 
symptdltiatischer  Krankheitsmomente  der  vorliegenden  al^e- 
meinen  Kalegorie,  Hydrargyrosis,  erhoben  wird.  Die  Baftis 
auf  welcher  diese  Krankheitsmomente  hervorteten,  ist  lang^ 
aber  anatomisch  und  physiologisch  besiimmt,  niimlich  der  Di* 
gestionsapparat,  und  das  Produkt  seiner  Thatigkeit,  die  Emiih- 
rungsfliissigkeit,  das  Blut.  -^ 

^  Die  Zunge  ist  in  der  Hydrargyrosis  nschgrau  belegt 
Eigenthumlich  ist  die  Hartnackigkeil  dieses  Symptoms.  Ich 
habe  alle  schweren  Leiden  nacb  und  nach  und  mit  der  Zeit 
von  den  Kranken  weiehen  sehen,  aber  nie  bekommen  sie 
eine  ganz  feine  Zunge  wieder.  ^Der  Beleg  ist  am  starksten 
wenn  gleichaeitig  Salivation  slatlfindet,   aber  auch  da  wo  die 


Di«  grQi««  SterbliebMt  in  RutiiMid  b«fliii|;wid«  KrankbeiUa.     221 

Krankheit  eniweder  nicbt  bis  sur  Salivation  fortgesehritteti« 
oder  wo  die  Salivaiion  scfaon  getiigt  worden,  istder  grautf 
Zungenbeleg  vorhanden.  Bei  keinen  Patienteiiy  welche  aiich 
an  den  bedeutendilen  Digeslionsaidrungen  leideOi  oder  deren 
Vf rdauung  durch  den  Gebrauch  der  differenleslen  Arzneien  in 
Anspruch  genommen  worden,  isi  der  Zungenbeleg  so  constant 
und  so  hartnackig  als  in  der  Hydrargyrosis. 

Auf  der  Hohe  der  Krankheit  steigert  aich  die  Alteration 
der  Mund-  und  Rachenscfaleimbaut  zur  Stomatitis  und  Anginai 
das  Zahnfleisch  schwiUt  an,  fiirbt  sich~  kirscbroth,  gebt  endlich 
in  Ulceration  uber,  blutet  leicht,  und  die  Zahne  werden  lose 
bis'  zam  Ausfallen.  Auch  die  Zunge  nimmt  Antheil  an  der 
Stomatitis  y  wenngleich  die  Glossitis  verhallnifsmafisig  geringer 
und  seltener  ist.  Auch  an  der  Zunge  bilden  sich  Ulcera* 
iionen.  — 

Ein  constantes  Symptom  der  Hydrargyrosis  ist  eine  chro- 
niache  Angina,  ausgeseichnet  durch  eine  livide  Rothe,  verbrei- 
tci  80  wol  am  Velum,  als  auch  am  Schlunde  und  an  den 
Mandeln.  Haufig  am  Veium  palat  sind  keine  Merkurialge- 
schwiire  welcbe  schwer  von  Chankern  sii  unterscheiden  sind. 
Einmal  geheilt,  brechen  sie  leicht  bei  gastriscben  Zufallen 
wieder  auf. 

Diese  Erecheinungen  inzwiscben  sind  so  bekannt  als  die 
Salivation,  welcbe . letatere  gans  besonders  die  Wirkung  dea 
inneren  Quecksilbersgebraucbs  ist^  und  dann  su  Anfange  in 
der  Kegel  einen  akoteren  Charakter  hat,  als  bei  chronischer 
Hydrargyrosis.  Wir  machen  niimiich  bier  darauf  aufmerksam 
dais  bei  Hydrai^yrosis  eine  chronische  Salivation  ataltfindet, 
welche  leicbt  der  Beobachtung  entgehl.  Nur  gebildete  oder 
auf  sich  selbst  sebr  aufmerksame  Fatienten  nehmen  Notia 
davon*  Diese  Salivation  findet  nur  im  Scblafe  statL  Die 
Kranken.  werden  aufmerksam  darauf  durch  die  starke.  Verunr 
reinigung  ihrer  Leinzeuge. 

Die  Zunge  ist  ferner  noch  der  Sitz  eines  subjektiven 
Symptomes'  der  Hydrargyrosis,  n&mlich  des  metallischen  Ge- 
schmacks,  welcher  besonders  des  Morgens  empfunden  wird. 


222  Phytikalisch - .malhemiitisclie  WissehBcIiaften, 

Dies  Symplon  soheint  inzwischen  von  dem  Grade  der  Reiz- 
barkeil  der  Geschmacksnerven  abzuhiingen,  ond  diese  Reis- 
barkeit  wteder  durch  die  langere  Einwirkung  des  QuecksiibeVs 
auf  den  Organisaius  herabgeselzt  zu'werden.  Ein  Kranker 
versicherte,  dafs  er  mehrere  Jahre  friiher,  als  er  von  mir  ger 
gen  Hydrargyrosis  behandeli  wurde,  sehon  einmal  in  Folge 
einer  merkurielien  Behandlung  an  den  mehrslen  Krankhals- 
erseheinungen,  gegen  welche  ich  ihn  befaandeile,  geiitlen  babe. 
Damais  aber  babe  er  den  melallisehen  Gesohmack  in  einem 
sehr  yiel  hoheren  Grade  empfunden  als  in  der  zweiten 
Krankheit. 

Die  Verdauung  der  an  Hydrargyrosis  Leidenden  liegt  in 
hobem  Grade  darnieder.  Vollkoinmene  Salligung  verursacht 
ihnen  ein  unbebagliches  Gefiihl,  Miidigkeii,  eine  groCse  Auf* 
regung  iin  Gefafssystem,  Palpilalion  des  Herzens  und  eine 
gliihende  Hiize  des  Gesicbts.  Die  Verdauung  erfordert  sebr 
lange  Zeil,  und  dureh  nichts  leicbter  als  durch  eine  reichliche 
Mahlzeit,  wird  bei  den  Kranken  Fieber  gesetzt.  Alle  Symptonae 
der  Krankheit  steigern  sicb  bei  krafliger  Nahrung  und  nehmen 
ab  bei  grofser  EnthailsamkeiL 

Wir  miissen,  um  die  mil  der  Bezeichnung  Merkurialscor- 
but  gegebene  Symplomenreihe  auszuriillen,  und  ein  anderes, 
die  Merkuriaiscropheln ,  nicht  vorweg  zu  beriihren,  von  dem 
Akle  der  Chymifikalion  uber  dessen  Forlsetzung^  die  Chylifi- 
kation,  hinweggehn,  und  bier  sogieich  die  Manifestation  der 
kranken  Biutbereitung  betrachlen,  nauiiicb  die  Makulose. 
Dies  acht  scorbutische  Symptom  findet  sich  nicbi  immer  bei 
Hydrargyrosis,  aber  wo  es  vorhanden  ist,  kann  es  nur  dazu 
dienen,  den  hochsten  Grad  dieser  Krankheit  kundzuthun.  Die 
merkurielle  Makulose  bestebt  in  kieinen,  hirsekorngrofsen,  ge* 
wohnlich  nicht  zahlreicfaen  Flecken  von  livider  Rdthe,  weiche 
mit  der  Zeit  grau  und  zuletzt,  vor  ihrem  Verschwindeny  gelb- 
lich  werden.  Diese  Form  hat  den  acht  makulotischen  Cha- 
rakter.  Eine  andere  Form  ist  das  Iraurige  Erzeugnife  durch 
Merkur  degenerirter  und  nicht  geliigter  Syphilis,  und  bestehi 


Die  grof«e  Sterblkbkeit  in  Rastland  beding^Ade  Kftnkheiten.    223 

in  grofsen  kupferfarbnen  Sugillationeii,  welehe  den  UtnTang 
einer  Mannshand  erreichen. 

Die  scorbulischen  Symplome  in  der  Hydrargyrosis  unler* 
scheiden  sich  dadurch  wesenllich  von  dem  aus  andem  Ur- 
saefacn  in  Russland  herrschenden  Scorbui,  dafs  eine  robori- 
rende  Behandiung  durch  innere  MiUel  entsehieden  schadlich 
isi.  Die  einzige  Weise^  hier  die  roborirende  Meihode  in  An- 
wendung  zu  setzen,  ohne  zu  schaden  sialt  zu  nutzen,  ja  aucb 
mil  niitziichein  Errolg,  ist  die  Forno  der  Bader. 

4.  Merkurialscrophein.  Eine  hochsl  wichtige  Beabacb- 
(ung  sind  die  Scropheln,  durch  Quecksilber  erzeugt.  Erschei- 
nen  und  Verlauf  sind  folgende.  Nachdem  die  Kranken  kurze 
Zeit  am  Merkurialrheumatismus  geiiUen  baben,  in  seltnen  Fal- 
len aucb  vor  Ausbildung  des  Merkurialrheumatismusi  zeigt 
sich  zuerst  eine  Anscbweilung  der  Submaxillaris.  Wir  wol* 
len  die  Enlziindung  dieser  Driise,  welche  mehr  in  die  Kale* 
gorie  der  Saliralion  fallt,  als  nicht  scrophuloser  Art  gelten 
lassen;  aber  sie  dient  als  Ausgangspunki  aller  folgenden  Af» 
fektionen  der  Drtisen.  Denn  immer  war  diese  Driisenge* 
schwulst  die  ersle  welchc  bei  der  Hydrargyrosis  sich  zeigle* 
Die  Affektion  dieser  Druse  propagirt  sich  zunacfasi  auf  die 
conglubirten  Driisen  des  Halses,  Sie  scfawellen  zuerst  an  in 
dem  Umfange  einer  Bohne,  und  diese  Gesehwiilsie  steigen 
oflers  bis  zur  Grdfise  einer  Wallnufs.  Sie  btlden  eineVerkel- 
tung  urn  den  Nacken  herum^  welche  sich  von  da  zur  Clavi- 
cula  und  zur  AchselhShle  erslreckt.  Wie  gewdhnlich  die  ge« 
schwoUenen  Lymphdrttsen,  sind  aucb  diese  ganz  harL 

Im  spateren  Verlauf  der  Merkurialkrankheit  nehmen  die 
Inguinaldriisen  an  der  Affektion  Theil.  Der  ganze  Plexus  in- 
guinalis  superficialis  zeigt  sich  ergriffen.  Aber  auch  an  ande* 
ren  Stellen  des  KSrpers,  an  den  Gelenken,  im  subcutanen  Zell- 
stoff^  bilden  sich  kleine  Driisenanscbwellungen. 

Der  Entziindungscharakter  dieser  Drusenanschwellungen 
ist  verstbieden,  doch  in  der  Regel  torpid  und  ihr  Verlauf 
durchaus  chronisch.    Nur  die  Anscbweilung  der  Submaxilla- 


224  Ph^fsikalifcli-inatheBiaikwhe  WiMeMciiafteii. 

m  ist  einigertnafsen  sehmersbafi:  alle  iibrigen  Driken  sind 
gegen  den  Druck  nicht  empfindlicher  als  im  gesunden  Za^ 
stande. 

Sie  sindj-^wie  alle  DriisengeschwiiUte^  selten  und  nur 
sehr  schwer  tvt  zeriheileiiy  haben  hingegen  bei  einigen  Patieo- 
ten  grofse  Tendenz  suir  Suppuration.  Die  Fistelkaniile,  welche 
sioh  nach  Erdfthung  der  Abscesse  bilden,  schlieben  sich  sehr 
langsam,  Monate^  ja  Jahre  lang  nichi,  und  beweisen  deuUich 
die  Armuth  des  organischen  Sioffs  an  Reproduktionskraft 
(vis  medicat  nalur.)  in  der  Merkurialkrankheit,  ein  Umatand, 
der  fur  die  organisehe  Plastik  nach  vorhergegangenen  Mer<- 
kurgebrauch  wichlig  ist  Die  Narben  der  geheilten  Driisen* 
abscesse  behallen  iange  eine  livide  Farbe,  tind  sind  sehr  ge- 
neigt  wieder  aufsubrechen ,  zumal  wenn  die  Driise  durch  die 
Suppuration  noch  bicbt  ganz  gesohmolsen  war.  Selten  gehn 
die  Inguinaldriisen  in  Eiterung  uber,  seltner  noch  die  Uxiliar* 
drtisen.  — 

Sehr  uberraschend  in  der  Merkurialkrankheit  ist  die  Eni- 
ziindung  eines  oder  beider  Nebenhoden.  Sie  fehlt  selten  wo 
die  Scrophulosis  in  der  Krankheii  betrachtlich  *  herYortritt. 
Diese  Epididymitis  hat  durch  ein  gluckliches  Walten  d^r  Na* 
tur  keine  Tendenz  zur  Suppuration  und  ist  selbst  bei  einer 
geeigneten  Behandlung  ziemlich  leicht  zu  heben.  Inzwischen 
sind  alle  Aerzte  nicht  genug  aufmerksam  zu  maehen  auf  die- 
ses Vorkommen  der  Epididymitis  in  Folge  der  Quecksilber- 
kuren,  da  in  der  itegel  alle  Hodenanschwellungeni  gleich  an^ 
dcrn  DriisengescbwUlsten,  mir  nichts  dir  nichts  mit  Merkurial* 
friktionen  behandelt  werden.  — 

•  Da  wir  uns  iiber  den  wahrscheinUcheii  Zusammenhang 
der  Internation  des  Quecksilbers  in  den  menachiiohen  Orga« 
nismus  mit  der  Scrophulosis  scfaon  oben  ausgesprochen  haben, 
so  beriihren  wir  diesen  wichtigen  Gegenstand  bier  nicht  wie-** 
der.  Vielmehr  maehen  wir  noch  auf  das  merkwiirdige  Paktum 
aufmerksam,  dafs  Krankheiten,  die  anscheinend  so  hetftrogener 
Natur  sind,  wio  Rheumaiismus  und  Scrophulosis,  gleichwohl 
durch  dasselbe  Causalmoment  kdnnen   hervorgerufen  werden. 


Die  gro(s«  StorUidikifC  In  RttttUnd  lMdil««iid«  Knmkheiten.    226 

da£s  sie  also  in  ikrem  Wesen  eigentiith  idi^titi^ch  sind.  Ueber^ 
haupl  scheiiU  es  uns  in  der  Pathologie  an  eioer  Attflras*^ 
«ung  der  Kranltheit  su  fehleni  welche  mit  der  Natur  in  der 
Einfacbheii  und  Logik  aller  ihrer  Proxease  gleicben  Schrilt 
halt.  Welch*  eine  Mannigfaltigkeit,  welche  Verschiedenheil 
ohne  Einheit  in  der  Pathologiel  Welche  ConsttqimiZ)  Welche 
slufenweise  Metainor(>bose  eines  unid  desselben  GrundprincipB 
in  der  Natur.  Gliicklicherweise  sind  die  Naturwissfenachaften 
und  mit  ihnen  die  Medizin  jetzt  auf  der  Bahn,  auf  weicher 
die  tiefen  und  einfachen  Naturgesetze  ihr  nichl  entgehn.  Die 
vergJeichende  Anatomie  und  Morphologic  sind  bereits  weit 
auf  dieser  Bahn  vorgeschritten.  Die  Naturforscher  sind  be- 
reits eingestiindig:  dafs  die  Natur  ein  besserer,  tieferer  Philo- 
soph  ist,  dafs  sie  oiebr  Geist  hat,  als  sie.  Hoffentlich  ist  die 
Zeit  voriiber  wo  man  die  Krankheit  einen  Parasiten  nannte, 
der  Parasit  scheint  uns  zu  einer  Lacherlichkeit  ge>yorden  nZU 
sein;  aber  die  Zeit  ist  auch  gekommen,  an  dieStelle  des  Pa- 
rasiten etwas  Auderes  zu  setzen.  Der  Parasit  hat  wenigstens 
das  Gute  die  Einheit  in  der  Vielheit  zu  reprasentiren,  er  ist 
ein  guter  Politiker,  der  Parasit.  Wir  glauben,  die  Merkurial- 
krankheit  mit  ihren  so  verschiedentUchen  Symptomengruppen, 
die  wir  in  der  That  noch  nicht  ganz  ersch&{tft  haben,  eigene 
sich  wobl  dazu,  das  einfache  Naturgesetz  der  Krankheit,  ihr 
Princip,  welches  in  alien  ihren  Metamorphosen  wiederkehrt, 
zu  entdecken  und  auszusprechen.  Wir  sehen  dafs  in  alien 
Formen  der  Hydrargyrosis  eine  scbadliche  Potenz,  ein  dem 
Organismus  feindliches  Agens,  das  Quecksiiber,  wirksam  ist, 
um  in  den  verschiedensten  Organen,  Organengruppen  und  or- 
ganischen  Systemen  des  menschlichen  Organismus  eine  ihrer 
EigenthiimUchkeit  gemSrse  Reaktion  hervorzurufen.  Diese 
Reaktion  ist  gemischt  aus  einem  modifizirteti  Vegetationszu- 
stande  des  anatomischen  Substrata  (Zersetzung,  Entmiscbung, 
Entziindung,  Ausschwitzung,  Verhartung,  Eiterung)  und  einer 
Alteration  der  funktionellen  Lebensenergie  des  betreffenden 
Organs  (Schmerz,  Sehnenhiipfen,  Indigestion,  Metaligeschmack, 


226  Pbysikftllich-iiiatbeinatttche  WlMentchaften. 

Proslration  derKrSfte,  Palpitation  desHerzens,  Fieber).  Zwei 
Momente  also  conatiluiren  hier  die  Krankheit,  ein  nicht  or- 
ganisches,  das  Causalmoment ,  und  ein  organisches,  die 
Reaktion  des  Organismus  gegen  das  unorgauische  Causal- 
memenL 

Mag  der  Leser  prufen,  ob  dies  nicht  iiberall  und  immer 
das  Naturgesetz  sei,  Welches  sich  in  jeder  Krankheit  wieder- 
findety  und  also  auch  in  der  Patbologie  die  Identitatslehre  zur 
Geltung  bringt. 


Reisen    der  finnl&ndischen   Schiffe   Atcha  und 

Freya  um  die  Welt  *). 


Bis  vor  zehn  oder  funfsehn  Jahren  pflegte  die  russisch-ame* 
rikanische  Ooinpagnie  zum  Transport  ihrer  Guter  nach  den 
Colonieen  aussehlielslich  englische  oder  amerikanische  Fahr* 
zeuge  zu  miethen.  Nachdem  sie  sich  von  der  Zuverlassigkeil 
der  in  dem  Grofsfiirslenthum  Finnland  gebauten  Scbiffe  und 
von  der  Erfahrung  und  Geschicklichkeit  der  finnischen  See* 
leute  ilberzeugt  hat,  verwendet  sie  jetzt  nur  solche  zu  den 
Reisen  nach  ihren  amerikanischen  Besitzungen.  Das  dem 
Handelshause  Julin  &  Compagnie  in  Abo  gehSrige  Schiff 
<Sitcha  hat  schon  mehrere  Mai  dergleichen  Fahrten  fiir  Rech* 
nung  der  mssisch*  amerikanischen  Compagnie  unternommen, 
und  ini  Jahr  1849  wurden  die  bdden  demselben  Hause  ge« 
horigen  Scbiffe  Atcha  und  Freya  nach  Silcha  abgeferligi.  In 
Abo  unter  der  Leitung  des  danischen  Schiffsbaumeisters  Jur- 
gens  erbaut,  wurde  das  erste  215  Lasten  grofse  der  Fiihrung 
des  Cxipitains  A.  W.  Ridel,  das  zweite,  welches  207  Lasten 
hahy  der  des  Capitains  I.  K.  Granberg  anvertraut. 

Bei  Abfahrt  der  Schiffe  aus  Abo  nach  fiilcha  wurde  den 
Befehlshabern  zur  Pflicht  gemacht,  sich  mdglichst  zu  bestre* 
ben,  ihren  Bestimmungsort  mit  Eintritt  des  Friihlings  zu  er- 
reichen,  um,  nachdem  sie  ihre  Ladung  geloscht  und  eine  neue 


">  Von   Herrn  Wawilow  der  Sj^wernaja  Ptsclielk    mitgetbeilt.     Vergl. 
auch  dieset  Arcbiv  Bd.  VII.  S.  28^ 


228  PhytikalMch-mathematitche  WiHentchafteii. 

eingenommen,  zu  Anfang  Mai  oder  spateslens  gegen  Ende 
Juni  mit  dem  Brieffelleisen  nach  Ajan  an  der  Kiiste  des  Mee- 
res  von  Ocholsk  abgehen  zu  konnen.  Da  nun  diese  Schiffe 
nach  demselben  Ort  bestimmt  waren,  und  ihre  Reise  fast  zur 
selben  Zeit  anlraten,  so  konnie  dieselbe  gleichsam  als  eine 
Wettfahrt  belrachtet  werden. 

Die  Preya  segelte  am  20.  September  1849  aus  Abo  mit 
ein^r  vollen  Laduog  ab  und  lag  1^75  Puis  tiefer  im  Wasser 
als  die  Atcha.  Unlerweges  sollte  ^ie  nur  in  Copenhag^, 
London  und  Valparaiso  aniaufen. 

Die  Atcha  hatte  Abo  am  17.  August  1849  verlassen, 
nachdem  sie  in  Kronstadt  eine  aus  verschiedenen,  tiir  die 
Colonieen  erforderlichen  Waaren  bestehende  Ladung  einge- 
nommen  und  Auftrage  fiir  mehrere  Punkte  des  Stillen  Mee- 
reSy  so- wie  die  Anweisung  erhalten  hatte,  ihre  Ladung  in 
Ahdy  Copenhagen  und  London  zu  ver volts tandigen.  Auf  die* 
tern  Schiffe  befanden  sicb,  aufser  der  Mannschaft.  auch  Pas- 
sagiere  und  Colonisten.  Da  es  sich  in  London  nicht  ausrei* 
chend  mit  Wasscr  versorgt  hatte,  so  mufste  «s  in  Rio-Janeiro 
einlaufen.  Auf  der  Copenhagener  Rhede  lag  es  drei  Tage, 
im  Londoner  Hafen  einen  Tag  und  in  Rio  •Janeiro  dreizehn 
Tbge.  ~ 

Die  Atcha  brachte  auf  der  Reise  nach  Valparaiso  hundert- 
neunsehn  Tage  zu  *)  und  die  Freya  handertzwanzig.  Beide 
SchiSe  kamen  an  einem  und  demselben  Tage  und  um  die- 
selbe Stunde  am  31  Januar  1850  in  Valparaiso  an.  Die 
Freya  hatie  kaum  die  Segel  eingezogen  und  Anker  geworfen 
als  auch  die  Atcha  in  den  Hafen  einlief.  Obgleich  diese 
Schiffe,  welche  an  dem  namlichen  Tage,  den  15.  Februar  1850, 
Valparaiso  verliefsen^  unterweges  durch  einen  Sturiii  getrennt 


*)  Diese  Angabe  stioiuit  nicht  mit  dem  oben  angefabrten  Datam  ilber- 
ein,  man  miisste  denn  annehmen,  dass  im  rus8«  Original  darch  einen 
Drackfehler  der  17.  August  statt  des  17.  September  als  der  Abgangs- 
tag  der  Atcha  genannt  ist.  J}tt  Aafeatbatt  miterwegt  lit  natorlich 
nicht  eingerecbnet.  D.  fFehers. 


Reiten  der  Annlittditcli«n  S^fiiifo  Atcba  und  Fr«y«  am  di«  Welt  229 

wurden,  so  trafen  sie  doch  wieder  an  demselben  Tage  und 
iwar  am  9.  Aprils  die  Atcha  nach  einer  vienindfunfsigtagigen 
Fahrl  und  die  Freya  sechzehn  Stunden  spater  in  5itcha  eiii. 
Die  ganze  Reise  war  demnach  von  der  Atcha  in  173,  von  der 
Freya  in  175  Tagen  zuriickgelegl  worden.  Ersteres  Schiff 
halle  mil  einigen  Stiirmen  zu  Icampfen,  wahrend  letzteres,  so- 
ger in  .der  Gegend  vom  Cap  Horn,  sich  meistens  eine$  gfin- 
sligen  Windes  und  guten  Wettery  erfreule. 

Nachdem  die  Atcha  ihre  Ladung  in  5iteha  geldscbt  und 
eine  neue  an  Bord  genommen  halte»  segelte  sie  am  19.  Mai 
roit  dem  Brieffelleisen  nach  Ajan  ab^  wo  sie  am  20.  Juui 
1850  anlangte.  Die  Post  gehl  zweimal  des  Jahres  aus  5itcha 
ab  und  trifft  eben  so  oft  dort  ein.  Aus  St.  Petersburg  wird 
sie  in  den  Monaten  Marz  und  Mai  iiber  Sibirien  nach  Ajan 
abgefertigt,  eine  Tour,  wozu  sie  75  bis  80  Tage  gebraucht 
Die  im  Marz  aus  Petersburg  abgehende  Post  kommt  Ende 
Mm  Oder  Anfang  Juni  in  Ajan  an,  die  im  Mai  abgeferligte  Ende 
JuU  oder  Anfang  August  Die  Fahrt  zwischen  Ajan  undSitcha 
wird  in  der  Hegel  in  drei  oder  vier  Wochen  luruckgelegt 
Dasselbe  Schill,  welches  die  Post  in  Ajan  abliefert,  bringt  sie 
auch  nach  Sitcha,  unterweges  in  Petropaukhafen,  Unalaschka 
u.  s.  w.  anlegend.  Auch  die  Atcha  kehrte  am  21.  JuU  1850 
mit  dem  Brieffelleisen  und  Passagieren  aus  Ajan  nach  S^itcha 
zurQck.  Die  Freya  blieb  zwei  Monate  in  Neu-Archange),  wo 
sie  sich  obne  alle  Kosten  aus  den  Waldern  von  iSUcha  mit 
einer  Ladung  versah,  die  aus  feinem,  zu  Raaen,  Stangen  u.  dgl. 
dienendem  Baufaolz  beslandi  und  segelte  dann  am  11.  Juli 
nach  Honolulu  ab,  in  der  Erwarlung,  dafs  man  dort  die  ge* 
dachte  Ladung,  so  wie  verschiedene,  noch  in  Abo  an  Bord 
genommene  russische  Waaren  absetzen  werd^.  Diese  Hoff* 
nung  wurde  jedoch  nicht  erfiillt,  und  die  Freya  begab  sich 
daher  am  18L  August  nach  dem  Hafen  von  Hong-Kong  in 
der  Nahe  von  Canton.  Auf  der  Durchfahrt  zwischen  den  In- 
seln  Balan.  und  Grafton  ?0'  23^  N.  Br.  und  122'  4!  L, 
wurde  sie  von  Seeriiubern  auf  zwei  mit  hundertfunfzig  Mann, 
beaetzten  Fahrzeugen  angefallen,  indefs  gelang  es  der  Ent- 


230  Phytikalisch-matliematische  Wissenschanefi. 

schlossetiheit  des  Capitains  und  der  Equipage  nach  einem  ver- 
sweifelten  Kampf  die  Piraten  zuruckzuschlagen.  Nachdem  er 
mit  Ehren  diesen  Kampf  bestanden,  erreichte  der  Capilain 
Granberg  mit  seinem  Schiffe  am  27.  September  1850  gliicklich 
die  Rhede  von  Hong-Kong. 

In  Honolulu  hatte  man  dem  Capitain  Granberg  fdr  sein 
Holz  nur  funf  bis  sieben  Dollars  das  Stilck  geboten,  wogegen 
er  in  Hong-Kong  seine  gahze  Ladung  zum  Preise  von'  neun 
Dollars  losschlug.  Die  Herren  A.  Liibeck  cfi:  Compagnie  schrei- 
ben  aus  Hong  -  Kong,  dafs  sie  dort  fiir  schwedisches  Holz  70 
bis  80  Cents  pro  Cubikfufs  erhalten;  folglich  kdnnte,  nach 
ihrer  Meinung,  dieser  Artikel  mit  Vortheil  aus  Finnland  dorU 
liin  versandt  werden.  Am  Cap  der  gaten  Hoffnung  und  auf 
der  Insel  Mauritius  sind  alle  Holzarten  milunter  hoch  im  Preise, 
besonders  auf  Mauritius.  '  Tn  San  Franzisco  ist  fortwahrend 
i^tarker  Begehr  nach  Brettern,  weil  man  sie  zum  Pflastern 
derStrafsen  gebraucht.  Ziegelsteine  werden  ebenfalls  gut  be- 
zahit;  fiir  das  Tausend  giebt  man  fiinfunddreifsig  Dollars. 
Granberg,  der  einige  Ziegelsteine  mit  hatte,  verkaufte  einen 
Theil  derselben  in  Honolulu  zu  dreifsig  Dollars  das  Tausend. 

Auf  der  Rhede  von  Honolulu,  berichtet  Granberg  unter 
Anderem,  kamen  eine  Menge  Frauen  auf  sein  Sehiff  zuge- 
schwommen,  ohne  ihm  jedoch,  wie  im  Jahr  1842  dem  dani- 
schen  Capitain  Sendrigs,  Schaden  zuzufugen.  Dem  Schilfe 
des  letzteren  riaherten  sich  tagKch  die  Frauen  in  grcfserZahl, 
welche,  unter  dem  VVasser  schwimmend;  die  Kupferbekleidung 
des  Fahrzeugs  abrissen.  Sendrigs  ftihrte  bei  der  dortigen  Be- 
horde  Klage,  fand  aber  kein  Gehor,  vermuthlich  weil  man  id 
Honolulu  die  danische  Flagge  wenig  achtet.  Wie  die  dorti- 
gen Einwohner  glauben,  ist  namlich  Danemark  ein  blofses 
Dorf  in  der  Nahe  von  Hamburg,  England  oder  Frankreich. 

Die  Fahrt  zwischen  Honolulu  und  Hong-Kong  ist  mit 
vielen  Gefahren  verkniipft,  namenllich  zwischen  den  Philippi- 
nen  und  der  Insel  Foimosa.  Die  Orkane  sind  Jiier  oft  so 
heftig,  dafs  die  SchilTe  umgeweht  und  die  Masten  zerbrochen 
Werden.     Capitain    Granberg   bemerkf,    dafs   schnellsegelnde, 


Reisen  der  finnliocliiclMn  Schiflfo  Atcha  und  Freya  iiui  die  Welt  231 

gut  fiusgerustete' Schooner  von  etwa  neunsig  Laslen  sich  am 
besten  sur  Fahrl  in  diesen  Gewassern  eignen. 

Es  geht  aus  dem  Schreiben  der  Herren  Liibeck  &  Com- 
pagnie  hervor,  dafs  man  in  Hong-Kong  zu  vortheihaften  Prei- 
sen  Waisenmehl  und  Butter  in  Fasserni  Theer,  Tauwerk  und 
Segeltucby  so  wie  auch  Rennthierschinken  und  fein  gesiebtes 
Roggenmehl  absetzen  kann.  Die  Schiffe  zahlen  weder  Hafen- 
noch  Ankergeldy  und  die  Lagermielhe  ist  aufserst  billig.  Zur 
Ausfuhr  konnte  man,  wenn  nicht  nach  Finnland,  so  doch  nach 
Hamburg,  Copenhagen  und  anderen  Platzen  Thee,  Rohzuk- 
ker,  Reis  und  Gewurze  laden.  Im  Freihafen  Singapore  sind 
Kaffee,  Pfeffer  u.s.\v.  sehr  billig,  und  die  nach  Finnland  be- 
stimmten  Schiffe  konnten  daher  unterwegs  hier  anlaufen,  um 
ihre  Ladung  zu  vervollstandigen., 

Aus  Hong-Kong  segelte  Granberg  im  December  mil  Thee 
und  Seidenwaaren  nach  San  Franzisco,  wofiir  man  ihm  7200 
Dollars  Fracht  zaMte,  so  wie  1000  Dollars  fiir  den  Aufent- 
balt ;  auCserdem  verpflichtete  man  sich,  ihm  Ballast  unentgeU* 
Uch  su  liefern.  -  Die  einzige  Gefahr,  die  eine  sokhe  Reise 
mit  sich  bringi,  ist  die,  nach  der  Ankunfl  in  Califomien  einen 
Theil  der  Mannschaft  durch  Desertion  zu  verlieren,  da  die 
Hoffnung  auf  leichtem  Gewinn  sich  dort  gar  zu  lockend  zeigt. 
Matrosen  erhielten  dort  voriges  Jahr  einen  monatlichen  Sold 
von  1£0  bis  200  Silber-Rubel,  und  Arbeiter  9  Rubel  taglich. 
Auch  Lebensmittel  sind  ungemein  theuer;  so  kostet  ein  Fafs 
Kartoffeln  20  bis  21  Silber-Rubel. 

Der  Verfasser  schlielst  mit  dem  Wunsche,  dafs  diese  we- 
nigen  Nachricfaten  sum  Nutzen  der  russischen  Schifffahrt  und 
des  eng  mit  ihr  verkniipfllen  Handels  und  Gewerbfleifses  die*- 
nen  mdgen. 


Ermans  Buss.  Archiv.  Bd.  XI.  B.  %.  16 


'        » 


Wallfahrt  zu  den  Kldstern  des  Ladoga -Sees. 

Von 
Dr.  Eduafd  v.  Muralt. 


\^oD  hunderi  Biiiwolinem  St  Pelersburga.haben  kaum  zwei 
oder  drei  diesen  See,  den  Valer  seiner  Pubader,  der  Newa^ 
gesekd.  Die  Dampfsekifffahrl  durch  weldie  die  Bekannlscbaft 
mil  diescn,  als  stiirmisch  verrufenen,  Gewaasern  ersl  moglich 
gemacht .  wurde,  ist  noch  keine  10  Jahre  doth  eingeffihrL  Je- 
des  Jakr  werden  our  20  Fahrien  gemachl,  an  denen  sieh 
elwa  lOOPersonen  betheiligen«  Daa  machi  hochstens  20000 
oder  inebt  einmal  den  zwausigalen  Theil  der  Bevolkerung 
St.  Petersburgs  und  diese  Zabl  wird  noch  bedeutend  gerin«* 
ger,  wenn  man  die  tnehrmaligen  Fahrien  Einselner  imd  sol- 
cher  die  nicht  Bewohner  der  HaupUtadt  sind,  dabei  in  An- 
schlag  bringt.  So  diirfte  denn  ein  kurzer  Bericht  iiber  diese 
Fafart'Manchem  wiUkommen  sein* 

Hat  man  einmal  die  jedem  woblbekannien  Grenzpfeiler 
der  Stadt  naeh  der  oberen  NeWci  hin>  die  beiden  groCsariigeil 
Kloster  oder  Erziehungsanslalten  von  5moIna  und  Alexander 
Newski  zur  Rechten,  und  die  Artillerie-Gebaude  nebsl  den 
Kuscheiewschen  Landhausern  zur  Linken  hinter  sich,  so  eroff- 
net  sich  eine,  manchem  St.  Petersburger  neue  Scenerie  an 
den  beiden  Ufern  des  herrlichen  Stroms,  links  die  Kirche  von 
Ochta  (Nyenschanz)y  rechts  die  Kuppel  liber  den  Fabriken  von 
Alexandrowsk,  dann  auf  hohen  Sand-  und  Lehmufern  von  30 


WallfahrC  cu  den  KldtterA  des  Li(doga  -  Sees.  283 

his4ff  H6he  die  lutherische  Kirche  der  sogennnnten  Seohei* 
ger^Colonie  (Saratowka)^  ebenfalls  eine  Ktippel  fiber  einem 
Porticus  von  4  Sfiulen,  ferner  das  langgesti^eckle  Landhaus 
Dubenski's,  jetzt  ^Sinovview's,  rechts  die  Fischerwohnungen 
von  Rybazk  (Fi6chhaasen),  aueh  ab  Campagnen  benuUt,  Ijora 
(merkwiirdig  durch  den  Sieg  Alexander  Newski's  und  durch 
seine  Stromschnelle),  Kulschmino,  ein  Dorf  Seheremeliew^s, 
Tosna  und  das  zur  Erinnerung  an  die  Eroberung  der  Kryot 
gebauie  Pella,  einst  ein  Lustschiofe)  jettt  CosakenartiUerie- 
Caserne.  Links  erscheint  wieder  ein  weitl^uftiges  Landhaus, 
friiher  Poletnkin's,  }etzl  Tdehoglokow's,  tin  anderes  von  Reu«> 
iem,  rechia  die  freundliche  ViUa  Tschernischow's^  ferner  ein 
Denkmal  Peter. des  Grorsen^  an  einer  Stella  wo  er  einst  ge* 
sessen  haben  soil,  vor  ein  Paar  Jahren^  errichtet,  links  die 
neugothischen  Thiirme  Besak's.  Endlich  bekooimt  man  aucfa 
die  Friedhofskirche  von  Schltisselburgv  die  ThClrme  der  Zili-* 
Fabrik  Pilpage,  und  dieKuppel  nebst  Glockenihurin  derPfarr- 
kirche  zu  sehen,  und  links,  inmitten  der  Festang  aaf  tin€t 
Insel  vor  dem  See,  die  Spitie  der  doriigen Kirche,  einer  Stif- 
tung  des  Generals  L.  Pluialew  (f  1827).  Diese  Feslung,  ein 
malerisch  vor  dem  Ausflusae  derNewa  aus  dem  See  liegende^ 
Viereck  mit  mSchtigen  ThUrmen  an  den  Ecken  und  tnehreren 
Vorwerken,  ist  sowohl  foei  der  Eroberung  (II.  Oct  1702)  als 
am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  mehrmais  g^nannt  worde» 
und  wird  daher  gerne  besucht,  was  auch  leicht  zu  erlangen 
ist,  da  ssch  keine  Gefangene  mehr  dort  befinden.  Einer  der 
letzten  soil  ein  Haupt  der  Sekle  der  Eunuchen  (Skopzy)  ge- 
wesen  und  dort  begraben  sein. 

Grofsartig  sind  die  aus  Grantt  von  1718  bis  ISdlSt  gebao* 
ten  Schleusen  fiir  die  aue  den  CanSlen  und  dem  Innem  nath 
dem  Seebafen  steuemden  Sehiffe  mit  ihren  Rohstoffen  und 
Uitoenschen  darauf. 

Um  9  Uhr  atis  St.  Petersburg  mit  dem  „Rurik''  afige^' 
fabren,  and  nach  2  Uhr  angekommen,  hatlen  wir  bis  ivlm  AIk 
gaiig  des  Dampfsehiffs  „Peier  der  Oro4e^'  nach  Konowes  om 
6Ubr,  Zeit  genug,  alle  Strafsen  und  (Herkwilr^KgleiieiiSchUig* 

16* 


234  Historis'cli-linguifttitclie  WiMensclNiCleii. 

selburgs  zQ  besehen  und  dann  auf  dem  Fahrzeuge  die  Be- 
kannlschafl  der  mit  der  „ Urania''  auch  noch  ^ngekoiumeQen 
Wallfahrer  zu  machen;  dena  bald  war  auf  dem  See,  dem 
grSfsten  Europa's,  75  Stunden  iang,  50  breit,  nichls  zu  sehn 
als  Wasser  und  Himmel  und  die  kleine  Well  auf  dem  Schiffe, 
das  nur  Piiger  nacfa  den  heiligen  Orten  des  Nordens  trug.  — 
Von  der  beriihmlen  Mirage  dieses  Sees  war  weder  heute  noch 
weiler  elwas  zu  sehn. 

Friih  urn  3  Uhr  weckte  man  diejenigen  von  uns,  die  auf 
den  zu  Betten  improvisirten  Banken  hallen  schlafen  konnen, 
mit  der  Nachrichl  wir  seien  in  KonoweZi  30  Siundeu  von 
Schlosselburg  gliicklich  angelangt.  Wir  sahen  einen  Siein- 
damm  als  Hafen  fiir  die  Fischer  und  Holzbarken  des  Kio^rs, 
und  eine  h5lzerne  Briscke,  auf  der  wir  zu  diesem  sdbst  ge- 
langten.  Es  bildet  dn  ianglichtes  Viereck  mil  Thurmen  an 
den  Ecken,  und  in  der  Milte  mit  einem  bethurmlen  There 
und  der  Doppelkirche  —  AUes  von  Stein  im  Geschmacke  des 
18.  Jahrhunderts. 

Aber  die  Stiftung  des  Kloslers  falU,  dem  Leben  des  h. 
Arsenius  von  Nowgorod,  des  Grunders  desselben  zufolge,  in 
das  Ende  des  14.  Jahrhunderts.     Dieser  war  11  Jahi:e  lang 
Einsiedler  auf  dem  dortigen  Fuchs-Berge  und  verlangte  dann 
einige  Monche  vom  Berge  Athos  zu  begleilen.     Hier  wurde 
er  vom  Abte  Johann  gut  empfangen,  zum  Backen  und  zuni 
Schmieden  des  Kupfergeschirrs  gebraucht  und  erhielt^  als  er 
nach  3  Jahren  heimkehren  woUte,  von  dem  Abte  zum  Danke 
ein  Marienbild  mit  dem  „nicht  von  Handen  gemachien''  Bilde 
Chrisli  auf  der  Riickseite.     1393  zu  Nowgorod  wieder  ange- 
langt, erbat  er  sich  von  dem  dortigen  Erzbischofe  Johann  IL 
die  Erlaubnifs  ein  Kloster  der  Geburt  Maria  zu  griinden,  fuhr  auf 
dem  Wolchow  in  ,,das  grofse  Wasser  der  Newa'*  (dem  Ladoga ; 
denselbenWeg,  den  schon  der  Apostel  Andreas  gemacht  hat  nach 
Nestor),  und  gelangle  nach  der  Insel  Walaam  (Barlaam).     Er 
fand  aber  in  dem  dortigen  Klo^ller  schon  zu  viel  Leute  und 
begab  sich  nach  4er  Insel  Konjew.     Da   es  ihm  auch  hier 
nicht  gefiel)  fuhr  er  nach  der  MUndung  des   Gorodez,  d.  h. 


Wftllikbrt  KQ  den  Klostern  dat  Ladoga-- S«ef.  235 

der  Woxa,  an  welclier  ein  Slidlchen  (Gorod)  der  Karelier 
war  gebaul  wordeti  *).  Da  er  auch  hier  keine  geeignete  Steiie 
fand  und  von  dem  Winde  euriiekgehallen  ward,  gelobte  er  an 
dem  Orte  zu  bleiben,  an  welchen  er  bei  gilnsligerem  Wetter 
gefuhrt  wurde.  Als  solohes  eintrat,  woUte  er  nach  den  ent* 
fernteftten  Insein  des  Norden  (bei  iSSerdobol?)  steuem;  aber 
ein  Gegenwind  warf  ihn  nach  derlnsel  Konjew  zuriicL  Hier 
blieb  er  denii  auch  und  traf  einen  Fischer  Philipp,  den  er 
fragte,  woher  der  Name  derIn8eI(Pferde^In9el)  aiamnie.  Die- 
ser  sagte:  „von  denPferden,  welche  die  vom  Festlande  den 
Sommer  iiber  hier  weiden  iassen  ohne  Hiitung,  da  keine  reis* 
senden  Thiere  und  die  Geister  sie  behiiteny  darum  wird  ihnen 
auch  im  Herbste,  wenn  man  die  Pferde  wegbringt  eines  zu- 
nickgelassen,  welches  denn  auch  im  Fruhjahre  nicht  mehr  am 
Leben  gefunden  wird.  Die  Geister  aber  wohnen  in  einem 
groben  Stdn,  der  Pferde -Stein  genannf'  Arsenius  begab 
sich  alsbald  dahin,  besprengte  ihn  mit  Weihwasser,  worauf 


*)  KexholiOy  Korelogrod  derRuMen,  Karisalmi^  Kokuksiniel  derFinnen, 
nach  der  Sage,  dafs  die  Feitang,  die  sie  weiter  oben  an  der  Woxa 
bauen  woUten^  immer  wieder  yeriiel  and  zuletzt  eine  Gotter-Stioime 
ihnen  zorief,  es  wurde  ihnen  dort  erst  gelingen,  wo  sie  einen  Knknk 
horen  wiirden ;  das  sei  denn  aach  bei  einem  noch  vor  ein  paar  Jabr- 
zebnten  bei  der  Miindang  rorhandenen  Gebdize  geschehn.  Naeh  Grot 
(Reise  St.  P.  1847,  S.  4)  ist  das  Heiligenbild  der  alten  Kirche  bei 
Uebergabe  an  dieSchweden  yergraben  and  dann  wieder  aofgefanden 
worden.  Anf  einer  zweiten  Insel  ist  die  eigentliche  Stadt  Ton  1200 
Binw.  anter  welchen  viele  Russen  als  Beamte,  Kramer  (13  Baden), 
Steinmetzen  and  Zimmerlente,  aach  Fischer  for  das  Alexander 
Newskji  Kloster,  welches  hier  das  aasschliefsliche  Fischrecht  hat  Aaf 
einer  dritten  Insel  steht  der  sogenannte  Slot,  einRnndban  mitTharm, 
fraher  Gefangnift  der  Familie  Pagatschew^  von  dem  zwei  Tochter 
noch  in  diesem  Jabrhanderte  lebten.  1803  fand  Kaiser  Alexander 
hier  einen  Gefangenen,  der  seit  30  Jahren  im  Tbnrme  lag  ond  des* 
sen  Namen  and  Schald  niemand  kannle,  er  aber  woUte  sicli  nnr  dem 
Kaiser  eroffnen,  der  mit  Thranen  von  ihm  schied  and  ibm  ertaubte 
fortan  frei  In  Kexholm  zu  leben,  er  lebte  noch  15  Jahre,  war  aber 
erbiindet  nach  dem  langen  Sitzen  im  Dunkeln.     (S.  Grot.) 


236  Ui«toffi0di*linguiititcb«  Wivftensdiaften. 

die  <GeiBter  autfyhren ").  Araenius  wohnie  du9  ein  Jabr  auf 
dem  ^,li.  Berge^'  und  droi  andre  in  der  sogenannten  Wladi- 
Ischischen  Bucht>  so  benanni  von  eioem  apatern  Besiiche  dea 
Wladika  oder  Erabischofs  Euphem  von  Nowgorod.  Hier  (and 
ihn  dor  Monch  Laurontius,  der  von  dem  Hegumenen  Silar  von 
Barlaam  gcsandt  war»  ihn  dahtn  auruckzurufen,  er  aber.woUie 
dielnsel  nicht  niehr  verlasaen  und  griindele  drei  Jabre  darauf 
ein  Kloster,  welches  alien  Ankoinmenden  Obdach  und  Nah- 
rung  gewiihren  soltie^  letotere  zuersi  in  nicht  klosterlicher 
Weise ;  apSter  aber  anderle  Arseniua  at Ib^t  seine  Stiftung  da- 
hin  ab,  dais  alle  seine  Gasie  die  Kost  mil  ihm^  Iheilon  solUen, 
um  aeincn  MSndhen  kein  Aergernifii  au  geben.  Wahrend  einer 
aweiien  Reiae  des  Arseniua  nach  dem  Athoa,  w<ren  dieae 
seine  BSteche  bald  auaeinander  gegangen,  wennniehl  der  a}te 
Joachim  durcb  eine  Erscheinuog  der  Maria  auf  dem  heilig^n 
Berge  aie  aur  Einigkeii  suriickgertifen  halle*  Nachdem  das 
Kloaler  25  Jabre  Jang  in  der  obMgenannten  BuchI  beslanden 
hatte,  wurde  Arsenius  dutch  eine  Ueberschwemmung  veran* 
lafsty  es  an  der  jetzigen  hohern  Slelle  neu  auhiifuhren.    Hier 


*)  In  dietem  Graoitblocke  von  17'  Hobe  bei  iXy  Breite  wird  ein  Loch 
gezeigt  au«  wolchen  die  Damonen  auigefabren  sein  floU«n,  und  zwar 
in  GesUlt^von  Raben»  nacb  der  fruber  ^Wibnrgscben**  and  jetzigen 
^TenfelabnchV*  V/^  Stunden  vom  Kloster,  die  den  nUerbesten  Ha-, 
fen  vpn  175'  Tiefe  biidet  nach  Oserezkowsji  (Heise  St.  P.  1792^  8. 
ru0si9cb)*  Von  dieyer  Tscbertowaja  Lachta  hat  das  Leben  der  Hei- 
tigen  berantgegeben  von  dem  Hegamenen  Aniphilochias,  St.  P.  in 
der  Synodal-Typographie  1808  in  4.,  kein  Wort.  Eine  eben  aolche 
Teofelabocbt  toil  anch  der  nordiicbsten  Stadt  am  Ladoga  den  Namen 
gegeben  haben.  SoctaUha  oder  Sordawala  der  Finnen ,  Michaibche 
Pogont  (Pfarrei)  der  Rassen,  jetzt  'S^erdoboJ,  im  Kriege  mlt  Karl  XII. 
«er8tdrt»  09it  der  Venetznng  de«  Jabrmarkte«  von  Barlaam  dahiD»  im 
Jabr  1795 »  etwas  mebr  belebt,  jedocb  mit  seinen  816  Einvfohnern 
kaum  Yon  dem  Mehlbandel  aos  St.  Petersburg  nach  Karelien  sich 
ern$hrend;  der  Kjil  aoU  anf  dem  See  50  Kopeken  Fracht  kosten. 
S.  Grot. 


WidHii^H  Kd  den  Klottern  dci  Liilogft'-Sdes.  2S7 

slarb  er  im  Jahre  1447  *),  na<^h  Gbjihrigtm  MdncfassUfikle. 
Das  KloBter  aber  ward  von  den  Schweden  zersttirt  und  un* 
ter  Peter  dem  Grofsen  als  Derewenizkoi  (DorfUost^r?)'  wen 
aufgefiihrt,  in  Polge  eines  Ukas  vom  6.  Mai  1718 j  wdcher 
die  Schenkun]g8-Urkande  der  gansen  Insel  von  16  Werdf  Uni- 
fang,  nebst  der  von  Wotscbanaja  mit  Weiden,  Hols  und  Fi« 
sciierei  enifaSIt.  '  Die  MGnche  mit  ikren  EKenem  160  bis  200 
an  der  Zahl,  unter  wdehen  12  Priester  und  6  Diakoaen,  ha- 
ben  auf  dem  ac^genannten  heUigen  Berge  auch  eine  Filiale, 
Skit  genannt,  von  der  sketiacben  Wusle  in  Aegypien  in  der 
eine  Menge  Binsiedel^ien  waren.  —  Sie  iat  der  fthitter  Got* 
tea  von  Kaaan  gewidmet  und  von  einigen  strengefen  M6n- 
chen  bewobnt,  die  in  ununterbrochenem  GottesAenste  mit 
AUeaen  von  Psalmen  u.  a.  w.  abwechseln.  Die  Kirche  dea 
Kk>slers  bewahrt  in  silbernem  Schrdne,  die  G^eine  des  hei- 
ligen  Araenius.  Man  sieht  hier  auch  daa  Von  ibm  herge* 
braehle  ttarienbild  und  eineH  Theil  des  GeWandes  der  Gottea 
Mutler.    Das  Fest  des  Klosters  wird  am  10.  Juli  gefeiert 

Naeli  den  Ausaagen  einiger  MSncfasdiener  in  dem  neb^en^ 
dem  Kloster  stehenden  Gasthause,  sollen  die  K&he  auf  dSeaer 
Inael  durch  einen  Zauberspruch  ihre  Horner  verloren  habeti. 
Ba  isl  das  aber  eine  in  Finnland  gewShnliche  Erseheinung, 
nicht  aber  das  Piarnn  maritimum,  das  man  auf  dem  Ufersande 
der  Insel  findet 

Um  8  Uhr  von  da  abgefahren,  bekamen  wir  g^en  2 
Uhr  die  80  Werst  enifemte Insel  Barlaam  zu  Gesiehte,  eine 
langgestreckte  Reihe  von  langlicht  rundlichen,  mit  Wald  be^ 
Ueidelen  Granil  -  Felsen,  vor  welchen,  gleich  Vorlaufern,  eine 
Menge  kletnerer  Inseln  sich  aus  dem  Wasser  erheben,  bin 
und  wieder  den  nackten,  von  Eisenbestandtheilen  rotfagefSrb* 
ten  Pelaen  zeigelid.  Auf  einer  der  grfifseren  dieser  Neben- 
Inseln  steht  dne  halbvollendete,  dem  h.  Nikolaus  von  Mo/aisk 


')  tfkas  bei  Oserezkowsji  f  der  65jabrige  Monchsstand,  iiiitAbzag  der  14 
Jahre  in  Nowgorod  nnd  auf  Atbos  bb  51  Jabre,  wurde  yon  1393  an 
nor  bis  1444  f&hren. 


238  Hktorueli'lingvMtuGbe  WiueoMlMfteil. 

durcb  eitien  Kaufmann  geweiht,  im  Aafange  einer  langen 
Bucbti  wie  um  den  Wallfabrer  zu  bewillkommnen.  Im  Hin- 
tergrunde  dieser  Bucht  aber  erglanzen  die  weiTsen  Mauern 
und  die  Kuppeln  des  Klosters  auf  einer  Felsenhdhe.  Vom 
Strande,  an  welchem  mehrere  FischerbSuser  siebn,  fuhrt  eine 
Granit-Treppe  zunoi  Kloster  binauf»  einem  Doppel-Vorwerke. 
In  dem  aubern  findet  aicb  in  der  SudwesUEcke  das  Gaslbaos 
fiir  die  Fremdeo,  die  nicht  M5nche  sind^  in  der  siidSsUichea 
die  Vorrathskammern  furNabrung  undKleidung,  in  der  nord« 
08tlicb<tn  die  Bibliotbek  mil  eiwa  1400  neuern,  meisi  aaceii- 
scben  Werken,  obne  alte  Handscbriflen,  und  in  4er  nordwest* 
lichen  das  Krankenhaus  unter  einem  MSnche  als  Aeseulap. 
stebend,  mil  der  Aussicht  nacb  dem  Kirchhofe ;  es  solien  aber 
stete  sebr  wenig  Kranke  vorkommen,  in  Folge  der  einfacbeni 
regelmafsigen  Lebensweiae,  welcbe  die  Facnltat  iiberflussig 
zu  machen  scbeint  In  dem  inneren  Viereck  sind  die  Zelleo 
der  MSncbe,  aufaer  an  der  Nordseite,  wo  die  Kircbe  und  der 
Efssaal  (Trapeia)  angebraebt  sind.  Den  Milteipunkt  bildel  die 
Hauptkirche  nzur  Verklarung/'  daber  der  6.  August  der  Fest- 
tag  des  Klosters  isL  In  der  untern  Kircbe  sind  in  siibemem 
Scbreine  die  Gebeine  der  Heiligen  des  Ortes,  Sergiua  und 
German  aufbewahrt,  die  obere  isl  an  ihrer  Bilderwand  nul 
reicben  SiIber*Relief$  geschmiicku  Aufser  dieser  Hauptkircbe 
siebt  man  deren  noch  fiinf,  in  welcben  aber  nur  an  denFesl- 
tagen  der  Heiligen  denen  sie  geweibt  sind»  Gottesdienste  ge- 
halten  warden:  St.  Peter  und  Paul  iiber  dem  Thore  an  der 
Siidseite,  St.  Nikolaus  und  Maria  Entschlafung  im  Osten.  Die 
Dreifaltigkeits  Kircbe  und  die  der  Heilquelle  im  Norden*  In 
der  Kircbe  der  Skite  zu  Allerbeiligen,  werden  nur  an  den 
Sonnabenden  und  Sonntagen  ordentlicbe  Gottesdienste  gebal* 
ten,  an  den  iibrigen  Tagen  aber,  wie  in  der  von  Konowez»  nur 
Psalmen  gelesen  von  der  die  Si^ite  bewohnenden  Monchen. 
Man  soUte  glauben  auf  Walaam,  welcher  Name  eigent« 
licb  dem  Griechischen  Balaam,  Bileam  ^entspricht,  aucb  das 
Andenken  eines  Heiligen  dieses  Namens  zu  finden;  ein  sol- 
cber  ist  aber  bier  nicht  gewesen,  sondern  die  ganze  Einsied- 


WailfiibrC  zv  den  Kloiteni  &99  Ladoga -S«ef.  239 

ler-Coloiiie  auf  dieser,  den  grttfslen  Theil  des  Jahreis  darch 
Sltirme  und  Treilieis  von  dem  26  bis  40  Wersi  enlfernten 
FesUande  vSllig  abgeschiedenen^  Inseln,  nur  einen  berUhmlen 
Einsiedler  aus  der  ersten  Zeit  des  Mdnchlhuins,  der  den  He* 
gumen  audi  als  seinen  Ftihrer  oder  Bngel  beseichnete,  tu 
Ebren  so  benannt 

Dieser  aber  nichi  der  h.  Barlaam,  dessen  schon  der  b. 
Basil  (bei  Gamier  II.  138  E.)  und  der  h.  Chrysostom  (Moni- 
faucoD  IL  182,  IIL  229)  im  vierten  Jahrhunderie  als  eines 
Mariyrers  gedenken,  der  wie  ein  christlieher  Mutius  Scavola 
seine  Hand  unerschiiUerlich  iiber  dem  Feuer  gehallen  und  den 
Antrochenem  angehSrte. 

Von  dem  in  Russland  verehrlen  heil.  Barlaam  hingegen 
wird  der  friedliebe  Tod  berichleti  nach  Bekehmng  eines  Prin- 
24n  Joasaph,  des  KSnigs  Atenner  in  hdien  oder  vielmehr 
Persien,  wie  aus  der  Nihe  des  Wohnorles  des  Binsiedlers, 
Sinnar  in  Mesopolamien  und  aus  der  Brwahnung  der  Persi- 
schen  Weisheit,  in  welcher  der  Prinz  unterrichiet  worden  sein 
soil,  und  der  Magier  bu  schKeCsen  ist  Dieses  geschieht  in 
einer  wSrtlichen  Uebersetzung  *)  des  von  einem  Monche  Jo- 
hann  des  Klosters  S.  Sabas  aus  dem  Munde  mehrerer  Reisen- 
den  griechisch  niedergeschriebenen  Erzahlung  **).     Einigef) 


*)  Gedrackt  zn  Moikau  1681  in  FoUo;  in  2  IfizemplareR  aof  Walaam 
and  ganz  wie  der  griechiaohe  Text  mit  Rom.  VIII.  14  aniangend. 
Der  Name  Walaam  kommt  nar  noeh  in  dem  byzantiniichen  Ge- 
•dilchUchreiber  Priscns  c  28  als  Haaptitadt  der  Kidaritiichen  Hdn- 
nen  urns  Jahr  472  Tor,  BaXaaf^.  Diese  aber  lag  in  Trantkankasien 
an  den  Granzen  Persiens  nnd  Iberiem.  Doch  wiire  *^§  niobt  m5g- 
licby  daili  der  Name  von  da  nach  RsMland  und  bis  aber  den  61®  dor 
Breite  gelangle^  wenn  die  Legende  von  Barlaam  nieht  gemdo  bier 
inibosondere  in  Bhren  itend. 
**)  Anecdote  graoca  od.  BoiMonade  IV.  Pane.  1882  in  8.  S.  3  ond  865. 

*  Fiir  die  frohe  Zioit  dieter  griecbiBcben  Bearbeitung  stebt  imter  An- 
derm  der  Umitend,  dad  die  von  Joataph  errichtete  Kisdie  nacb 
S.  305  Christo  allein  erricktel  und  nur  von  dem  Kreuze  als  Sofsere 
Gegenstande  der  Verebrang  da  die  Rede  ist. 

t)  Der  lateinische  Uebersetzer  Georg  von  Trapezant,  hersasgegeben  an 


240  Historiieh -liiiguiitische  WiB^enBcliaften. 

halteii  den  Jobaim  von  OamaslLus  subenavmt  Chryaotrhdas, 
den  Goldstrdmenden,  wegen  seiner  Beredsamkeit  wie.Ghry- 
sostoniy  der  nach  753  in  diesem  Kloater  atarb  ffir  den  Ver- 
fasser^  obwohl  in  dem  ganzen  Buehe  von  dem  damals  in  jenen 
Gegenden  siegreichen  Islam  keine  Rede  ist,  aendern  nor 
Gotzendiener  bekampf);  werden  un^d  dieser  sUndhafte  Be- 
kSmpfer  der  Ikonoklasten  kautn  umhingekonni  hatlei  der  h. 
Bilder  in  dieser  weitlaufligen  Schrift  einmal  zu  gedenken. 

Die  lateinische  Uebersetznog  wurde  wabrend  der.  Kreuz* 
zilge  im  Abendlande  verbreilet  und  diehterisch  versch&nerty 
a^uerst  101  12.  Jahrbuaderie  von  einem  Bischofe  Otto  *)>  dann 
von  Rudolf  von  Johannes  1220  bis  1223  auf  Veranlassung  des 
Abies*  von  Kafipel**)  und  von  eineon  Drilten'^**)  in  Deutecher 
Sprache.  Ebenao  findel  man  diese  Geschichte  bei  den  Skan- 
dinaviem,  Franzoaen  und  SpanterOi  B^famenf),  Polentt)  und 
unmitlelbar  aus  dem  Griecfaischen  bei  den  Arabem  tit)}  Ju- 
den  §)>  Armeniern  §§)  und  soger  bei  den  lodern  §§§).    Daft 


StraTsbii^  1470~148Q  bei  I%gestein  in  4.  und  in  der  Rnssiachen, 
vielleicht  aas  dem  Lat.  gefertigten  Uebersetzang.     Von  deni  Damas- 
cener hat  man   a. a.  SApologien  far  die  Bilder;  wegen  seines Bifers 
far  dieselben  ward  er  yon  den  Kaisern  Leo  and  Konstantin  yerbrannt. 
(Leo  Gr.  179,  20.  Theophanes  zn  6034.) 
*)  Diefonbaeh  Mittbeilungen,  Giefaen  1836. 
**)  Ausgabe  von  PfeifPer^  Leipzig  1843. 
'***)  Pfeiffer  ia  Hanpfs  Zeitscbiift. 

t)  MinzlofP  St.  Petersburger  Zeitang  1861.  No.  11:2. 
ff)  KaliaMWsky:  Krolewie  Indjiskii  Krakao  1088,   aaoh  der  neoeren  la- 

teiniscben  Uebecsetzang  des  iac.  Billyaf. 
f*H')ARgabe  der  hebraiscben  Uebersetzang,  die  eben  aos  dem  Arabischen 
gemacht  ist.  Kia  Exemplar  einer  solchen  arabitehen .  B«arbeitung 
▼on  1707  im  Besitze  Sr.  Exc.  Herrn  Norow  bezeicbnet  d«n  Jobann 
v«  D«  aU  Uebersetzer,  ▼ieUeiebt  nor  eiii  MiCsTerstandnlfs  des  Grie- 
ehischen. 
§)  Prinz  and  Derwisob,  KARStantinopel  1618. 

$$)  Maauscr.  zu  BlAcbmiadsin  nach  der  giitigen  Angabe  des  Herrn  Aka- 
demikers  Brosset. 
$§S)  Fabrieii  bibliotlieca  gr.  ed.  Haries  IK.  737. 


WaUfeiirt  aa  den  RiMtora  4m  Laitega^Sees.,  24t 

(liese  orienlalischen  Bear beitungen  •  nichi  umgekchrt  dilt  Quelle 
des  griechiachen  Textes  sein  konnen,  wie  mtti  ler  arabisohen 
zufolge  vermuibet  hat,  geht  achon  aus  der  spatem  Zdt  der 
meisten  dieaer  inorgeDlaBdischen  Darstellungen  hervor;  aueh 
konnie  diese  Legende  als  Bur  Verherriichung  das  GhcisJbcii- 
glaubens  dienend,  nicht  unter  Juden,  Muhainedanern  oder  Hei- 
daily  sendern  nur  unter  Christen  entslanden  aein;  cfie  arme- 
nische  Bearbeitung  aber  giebt  aich  nichi  fiir  ein  Original,  und 
von  ^iner  JUhiopiscfaen ,  an  der  man  'vvegen  Evwahnung  der 
Sennaar  (des  jeizigen  Kamen  fiir  Nohata  .  zwbeben  den  swei 
Nil-Aroien  Barl-el  Abrad  ond  Agreb)  aaerst  denken  mSehte, 
isft  noch  keine  Rede  gewesen. 

Die  Ortsheiiigen  Sergius  und  Crerman  abtr  nennl  die 
Ueberlieferung  Schiller  des  h.  Andreas,  der  hier  sogar  ein 
Kreuz  gepflanzt  haben  soil.  Sicherer  ist  es  mil  Andem  den 
Sergius  in  die  Zeit  der  h.  Olga  zu  setzen,  als  einen,  der  von 
Nowgorod  aus  hier  Heiden  getaufl  babe,  unter  diesen  einen 
gewissen  Mung*),  wahrscheinlich  einen  Skandinavier  oder 
Germanen,  daher  German  genannt,  wie  denn  die  Nowgoroder 
Chroniken  von  einem  Germanen-Lande  inFihnland  reden,  zu 
1311.  Sicher  ist  oach  dem  Leben  der  Abraham  von 
Rostow,  dafs  vor  990  bereits  ein  Hegupl^n  Theoktit  hier 
war,  von  welchem  jener  getaufl  ward.  Als  die  Schweden 
Karelien  eroberten,  wurden  (nach  der  Chronik  von  S.  Sophia) 
die  Gebeine  der  h.  Sergrus  und  German  zu  dem  Erzb. 
Johann  von  Nowgorod  gereltet,  aber  schon  1170  zuriickge- 
bracht.  Nach  einer  spatem  Handschrift^  in  der  Barlaamschen 
Klosterbibliothek,  baute  der  heil.  Martyrius  1192  hier  eine 
steinerne  Kirche.  Von  da  an  bis  «ur  Ankunft  des  h.  Arte- 
nius  findet  sicb  keine  Naehricht  mehr  iiber  das  Kloster**^), 

*)  Alte  HandBchrift  erwiUmt  ▼oM  Murawiew  in  seiaen  Reiten  nacb  den 

b.  Orten  Rnsalanda.    8.12a 
**)  Die  Grabachrift  aof  dem  Kirchbofe  die  vea  dem  Schwediacben  Kd- 
nige  Magn«a  aU  einem  Moncke  djeaea  Klestera^  efiriebt,  iat  tcbon 
dartini  zweifelbaft,  weil  ira  14.  Jabrb.  ein  8ch«ede  nicbt  mehr  getauft 
zu  werden  braucbte  (aber  tU>o\\  iimgeianft,  in»Gri«cbiscbe?  D.  Her- 


242  Historisch-lingoittisdie  Wifsentehaften. 

bis  der  h.  Sabbalius  vonAolowez  dahin  kam  um  sich  nach 
Bielosero  su  begeben,  noch  bevor  der  heilige  Alexander 
Swirski  auf  der  sogenannten  h.  Insel  in  einerHShie  verbor- 
gen  lebte  nach  1450,  von  dem  Hegumen  Joachim  von  Bar* 
laam  eingeweiht.  -  S.  das  Leben  Alexanders  von  seinem  Schiftler 
Hilarion. 

Vor  Lagardte  flUchtelen  die  Monche  von  hier  und  Konowex 
sich  undihre  Bilder nach  dem  Nikobchen  Kloster  von  Alt-Ladoga ; 
mehrere  von  ihnen  sollen  sogar  von  den  Schweden  umgebracbi 
worden  sein,  die  Leute  ihres  Glaubens  bierber  versetilen. 
Daher  weifs  man  auch  nicht/  ob  die  unlangst  beim  Kirchhofe 
gefundenen  Gebeine  jenen  Martyrern  oder  diesen  Anhangera 
einer  andern  Kirche  gehSren.    Erst  1717  konnte  auf  Peters  I. 


ausg.).  Auch  lit  die  Schrift  noch  keine  100  Jabre  alt    Sie  ist  in  ruaai- 
schen  Yersen  abgefaast  ond  mochte  ungefahr  bo  zu  iiberaetzen  sein  : 

An  diesem  Orte  ist  der  Leib  begraben, 

Den  fie  1371  der  Rrd*  ubergeben  baben, 

Des  Magnus  Konigt  im  Norden, 

Der  anbie  getaoft  ist  worden, 

Bei  seiner  Tanfe  Gregor  genannt, 

Geboren  1336  im  Scbwedenland 

Und  1300  als  Konig  anerkannt. 

Hat  zweimal  Russland  uberzogen, 

Und  dorch  einen  Friedentscheiii  beirogen, 

Aber  diesen  brecbend  rustet  er  wieder, 

Da  scblogen  ibn  die  bohen  Wellen  nieder 

Auf  dem  Ladoga  mit  seinem  Heer. 

Von  seiner  Rotte  zeigt  sich  keine  Seele  m«br. 

Selbst  ward  er  aaf  einem  Balken  kaam  erbalten 

Drei  Tag  und  drei  Nachte  darch  €rottes  Walien, 

Und  ans  der  Schifffahrt  von  des  Abgrunds  Rand 

Mit  Mah  gerettet  an  der  Insel  Strand. 

Moncbe  bracbten  ibn  in  ihre  Zelle, 

Tanften  zum  Cbristen  ibn  anf  der  Stelle. 

Statt  des  koniglicben  Diadems 

Ward  er  gewardigt  des  moncbischen  Schems, 

Lebte  nnr  drei  Tage  nnd  gestorben, 

Hat  er  tiir  die  Kron  die  Kett*  erworben. 


IVaHfohrt  xu  dtn  KlMtern  des  Lftd<»ffa-See8.  243 

Geheifs  das  Klo8ler  durch  Mdnebe  des  KyriUisch-Bieloseraki- 
schen  GoUeshauses  wieder  aufgebaut  werden.  1786  fand  aicli 
hier  ein  Hegumene  Ephraim  mil  2  Weltgeisllichen  in  eioer 
hohernen  Kirche,  als  der  Metropolit  Gabriel  auf  den  RaUi 
seines  achtzigjafarigen  Kaplans  Theopfaanesi  denEinsiedlerNa- 
tar  aus  der  Sarowschen  Wiisie  zum  Baue  eines  neuen  HaU* 
ses  herbeirief*  DemNazar  folgtelnnocenz  "),  nacb  der  Grab- 
schrift  geslorben  den  22.  Dez.  18S8  nach  neunzehnjahriger 
Verwallung,  dann  Jonathan,  und  jelzt  ist  Johann  Da- 
inaseenus  ein  friiherer  Einsiedler,  Hegumen.  Dieser  hatle 
seine  Hiiite  bei  der  jettigen  Skite  zu  Allerheiligeny  einem 
unlangst  in  schonem,  alterthttmlichen  Slyle  voUendeten  Kloster- 
chen,  angefangen  von  Nazar,  fur  die  welcfae  noch  mehr  Rube 
suchen  als  im  Klosler  und  jetzt  neu  eingerichlei  fiir  ein 
Dutzend  Mdnche  '*). 

Aufser  dieser  Skite  findet  man  an  abgelegenen  Stellen 
die  sogenannten  Wiisteneien  der  eigentlichen  Einsiedler^ 
die  sich  nur  von  Wurzeln,  Fruchten  und  Gemiisen  nahren, 
wahrend  jene  doch  noch  Fische,  Griitze  und  Kohlsuppe  zuin 
Brote  haben ,  au&er  in  den  Fastenzeiten  f ).    Solcher  abgele* 


*)  Kines  andern  Hegumena  Tnnocenz  gedenkt  eine  Grabscbrift  aU  1762 
gestorben. 

'*)  Eine  lithographirte  Ansicbt  dayon  iat  im  KJostor  for  1  Rabel  Silber 
zo  kaben.  Von  diesen  selbst  lit  aber  kein«  za  kaufen.  Unterhalb 
des  Klosters  zeigt  man  die  2  Stellen,  an  denen  S.  K,  H.  der  Grofs- 
fdrat  Cons  tan  tin  bei  seiner  Anwesenheit  am  14.  Mai  1846,  eine 
Ansicbt  aofgenommen  bat.  Dieses  Datum  ist  anch  anf  einer  Denk- 
saole  vor  der  Kirche  angemerkt,  so  wie  aoch  die  Anwesenheit  Kai- 
ser Alexanders  den  10.  Aognst  1S19  (mit  einem  einzigen  GeiShrten), 
des  Metropoliten  Michael  17.  Jani  1810  ond  des  jetzigen  Metropolis 
ten  Nikanor  16.  Aogott  1850*  Dieser  hat  nnn  die  Bestatignng  des 
▼on  dem  Kloster  selbst  za  wahlenden  Hegomens.  Mit  seinem  yon 
ihm  emannten  Stellyertreter,  dem  Casstrery  den  Grewandanfsehern  nnd 
Beichtf atem  biidet  der  Vorsteher  den  Rath  dieses  theokratischen  Ge- 
nieinwesens,  wie  solches  Kloster  enter  Claste^  besonders  anf  seinen 
insolaren  Besitzangen  mit  Fog  za  nenaoii  ist 

t)  Bine  solche  Binsiedelei  war  in  der  Nahe  der  Strife ,   wo  der  Hegn- 


244  Historffoli^liiiguistiiehe  WiMenschaften. 

genen  Hiitien  sah  ioh  aiif  dtr  Ostaeile  der  Inset  <irei,  jeUt 
verschlofisen  und  verlossen.    Die  ersie  war  von  einem  gewis*- 
sen  Philaret  bewohnt  worden,  die  zweite  ein  kaiiin  Klafter 
hohes  und  langes  Hauschen,  von  Nikolaas,  den  Alexander  I. 
darin  beaucbte,  indem  er  in  die  kaum  3^  hahe  Thijire  sich 
hitiein  btipkte,  auf  den  Fufsboden  von  geatampfter  Erde,  we 
der  Eremit  unter  dem  GewUrme  lag.    Sein  OrabBleki  in  der 
N8be  steigi  den  6.  September  ais  Todeslag  an.    Freandlicher 
ist  die  Mf  einer  H5be  angelegte  und  zierlich  mil  Baumrinde 
bekleidele  Wohnaog  Seraphim's  nebst  dessen  Grabe  mtt  dem 
Datvm  2.  August  183(X     Von  einem  andern  Serapbim  wird 
erziihlt,  er  babe,  urn  llistigen  Besuchen  ausauweichen  und  un* 
geslSrt  seiner  Andacht  sn  pflegen,   sich  nx>ch  im  70.  Jahre, 
wie  die  alten  Heiligen  auf  Saulen,  sich  auf  einen  hoben  Baim 
zuriickzuziehen  geliebt,  und  als  der  Hegumen  ibm  dieses  als 
lebensgefahrlich  verboti  noch  weiter  vom  Kloster  angefangen, 
eine  Hdhie  auszubauen,   wobei  er  vom  Schwindel   ergriffen 
ins  Wasser  sturzte.    Eine  solche  Zelle  hatle  sich  derGymni* 
ker  Theodor  bereilet,  der  unter  Nazar  die  Novizen  einzurei* 
hen  berufen  war.  Noch  andere  Zellen  solcher  Gymniker  oder 
Trapisten  der  grieehischen  Kirche^  die  der  Welt  ganz  und  gar 
entsagt  haben,  sollen  sich  bier  finden.     Nazar  aber  verlangte 
von  ihnen,  damit  sie  nicht  in  stolze  Selbstbefriedigung  versan-    > 
ken,  sie  sollten  einander  alle  ibr  Gedanken  berichten;  zuwei- 
len  mufste  man  sie  mit  Gewalt  aus  ihren  Verzuckungen  her- 
ausreifsen  und  zu  sich  selber  zurQckbringen;  auch  wurden  sie 
verpflichtet  an  Sonn-  und  Pesttagen  zur  Kirche  zu  kommen. 
So,  sahn  wir  denn  auch  2  oder  3  dieser  Schivniker,  d.  h.  ihre 
schwarzen^  bei  den  hochsten  Graden  wie  bei  Trauergewandern 
weifsberanderien   und    mit   Strichen   besetzten   MSnchskutten 


men  Barlaam  for  den  ihm  darin  Nacbfolgenden  eineft  Satig  ait  fiette 
hinterlatien  batte.  Man  sagie  zwar  dem  weldi«ff  snbnach  ibm  da- 
aelbst  med«rli^s,  die  .Stecbfliegen  wurden  ibm  keine  Rab«  lanen;  er 
aber  meinte  sie  warilen'  ibm  nor  allet  iiberflfiaiige  Blel  wegsaagen 
(Mnrawiew). 


Wallfakrt  au  den  Klo»terB  des  Ladoga  «Sees.  315 

iiui  Kapuze  siaK  de£  runden^  steifen,  fesuriigen  Kiobjiika  dcr 
iibrigen  Monche;  ihre  Gestchter  aber  hiellen  sie  abgewendet 
von  uns  Weltkindera ,  und  so  konnten  wir  ihaen  nichi  iiis 
Auge  schaueti.  Der  vollkommeiiate  soU  uAg«aefaltt  semcr 
achlzig  Jahre  noch  gans  riistig  die  Stunde  Wegs  bis  su  sei- 
ner Hfitte  xu  Furs  machen,  iihrigens  keine  besond^re  Gabe 
des  Wortes  baben,  wahrend  sie  i|n  Andern,  freilich  oft  haok 
langen  Jahren  der  Priifung,  wcna  sie  sich  ihres  Berutes  ge* 
wife  werden,  sU  allgemeiner  Erbauung  skh  iubern.  solL 
Diese  Wirkung  des  strengerea  Moncbalebens  auf  die  Laiea 
ward  uns  von  einei»  der  jiingeren  PrieslermSnche^  die  sonst 
auf  die  unstudirten,  aus  dem  Bauern-  und  Biir^rstande  her* 
vorgehenden  LaieD'^Mdnche  herabzusehen  versuebt  sindi  und 
von  vielen  der  Wallfahrenden  bezeugt;  auch  iak  der  Monchs* 
stand  seinem  urspriinglichen  Begriffe  der  Abgeschiedenheit  von 
der  Weli  hier,  auf  diesen  enilegenen  Inseih  Ireuer  geblieben  *) 
als  in  den  Klostern  bei  den  Skadlen,  vomehmlich  des  Abend- 
landes;  von  dem  Aergeraisse^  welches  hier  die  vorzugsweise 
sogenannten  Religiosen  gegeben  und  wodurch  sie  bei  Man- 
chen  Religion  und  Kircbe  in  Verruf  gebracht  haben^  isl  auf 
dem  Ladoga  niphts  zu  horen.  Und  wie  die  Extreme  sieb  ben 
rtihren,  so  sind  es  diese  am  meislen  von  der  Welt  abgeschie* 
denen  Monche,  die,  friiher  wenigstens,  vorzugsweise  und  mehr 
als  die  verweichlicbten  Stadtmonche  sich  bereit  zeigten,  in 
die  Heidenwelt  hiaauszugehen  und  das  Evangelium  zu  pre* 
digen,  als  rechte  Nachfoiger  des  Einsiediers  Barlaam,  der  nach 
Indien  zog,  um  dort  unter  dem  Gewande  einea  Kaufioanns, 
Seden  fiir  das  Himmdreich  zu  gewinnen  und  Menschen  zu 

\ 

*)  Marawiew  erzShtt  yon  einem^  der  kaam  jnehr  staiiejii  kotnite  and  aeH 
8  Jabr^D  Bicht  mebr  geaprochen  hatte,  aber  aach  Yon  sotehen,  die 
sicb  mit  Mechanik  abgaben,  Capitane  der  amerikanisclien  Compagnte 
gewesen  waren  n.  s.  w.  Uebrigen^  wird  der  Ausdruck  Schema 
(Ktei<Jang,  Tracht)  in  dem  Leben  Barlaams  S.  26  wie  bei  Tbeopha- 
nes  und  Nikephos  zu  625,  yon  dem  Monchsgewande  iiberhanpt  ge- 
brauciit^   nicht  blofs  von  der  bochsCen  SUife  de»  Moncbswesens  wie 


246  Historiich-lingutstisclie  WiMemcbafteli. 

fischen.  Die  Miission  nach  den  Nord-Amerikani8chen  Calo- 
nien  besland  beinahe  nur  aiis  BarJaamschen  Monchen;  ihr 
Vorsteher  Joasaph  (nach  dem  Namen  des  von  Barlaam  ge» 
tauften  Prinzen)  war  Vicar  des  Biachofs  von  Irkusk  fiir  die 
Heiden-Mission,  kam  aber  in  einem  Scbiffbniche  bei  den  Ko- 
diak-lnsein  um.  Nach  seinem  Tode  hSrle  das  Vicariat  aaf: 
nur  ein  alter  M5nch  German  lebte  noch  lasge  auf  dner  ein* 
samen  Inael,  bei  einer  Colonie  Neu^Barlaam.  Jakob,  Missio- 
nar  unter  den  Amerikaneniy  siarb  dori  unbekannt  Andere, 
im'  Norden  der  Kodiak-bsel  von  den  Heiden  iiberfallen,  er- 
klarten  ihnen,  wie  einsk  ^wingli  zu  Kapei,  den  Leih  kBonlen 
aie  wohl  I5dten,  aber  dieSeele  nichk,  worauf  die  Indianer  den 
Missionaren  die  Geachichte  eines  Fremden  enahlken,  den  sie 
auf  keine  Weise  zu  schrecken  verniocht  batten. 

Den  BarlaaoMchen  Monchen  mufsle  ea  in  den  Wiisten 
und  Urwaldungen  Nord-Amerika^s  bekannl  vorkommen,  da 
Manches  isie  an  ibre  eigenen,  selten  geschnillnen  Waldwiesen 
und  von  der  Axi  wenig  beriihrien  Geholze  ^on  Rieaen-Tan* 
nen,  Birken,  Ahom  und  Linden  erinnerte.  Dieser  Eindrack 
einer  urapriingHohen  Naiur  wird  noch  geatdgert  durch  die 
Thierwelt.  Da  sind  keine  zahmen  Heerden.  von  Rindvieh, 
Schaafen  und  Ziegen,  sondem  Hirsche,  zahme  und  wilde  wei- 
den  neben  einigen  Pferden  auf  den  reichoi  Triften.  Ein  paar 
Storchcy  Katzen  und  ein  einaamer  Hahn  in  der  Skite,  der 
jeden  Ankommenden  begriifst  und  bis  zum  Ausgange  beglri- 
tet,  sind  neben  den  mit  den  MSnchen  in  den  Fischfang  sich 
theiienden  Fischern,  die  einzigen  Gesellschafter  derselben  auf 
der  28  Werst  im  Umfange  haltenden  InseL  Ein  frohererHe- 
gumen  verbol  den  Monchen  sogar  das  Halten  eines  Hirsches, 
den  sie  geheilt  und  gezahmt  batten  und  gebot  ifanen  das  dank- 
bar  an  sie  sich  haltende  Thier  in  den  Wald  zuriickzujagen. 
So  berichtet  Murawiew  in  seinen  Reisen  nach  den  heiligen 
Oertern  Russlands.  Der  Archimandrit  des  Sergius  Klosters 
bei  St.  Petersburg  in  seiner  1847  ebenda  gedruckten  Beschrei- 
bung  von  Barlaam  sagi:  die  Monche  aufser  den  7 — SMonchs- 
priestern,  die  beim  Gottesdienste  abwechsein  mufsten,  batten 


WaHfahrt  za  den  Klostern  des  Ladoga* Sees.  247 

sicl)  in  die  verschi^denen  Oekonomie-Arbeiten  des  Kloslers 
mit  den,  ihnen  gleicli)  in  Schwarz  gekleideien  Gehulfen  zu 
thoilen.  Zu  den  Heuernten  und  allgemeinen  Arbeiten  aber 
sollen  sammtliehe  Monche  milwirken.  Vereinigl  siehl  man  >sie 
auch  an  den  Sonntagen  bei  dem  feierlichen  AlorgengoUes- 
dienste^  in  wclchem  die  Tauf^Namen  der  Wallfafarer  und  threr 
Familien  abgelesen  und  fdr  dieselben  von  den  zu  beiden  Sei- 
ten  des  Grabmales  S.  Sergius  und  German  stehenden  Mfin- 
chen,  die  FiirbiUen  derselben  angerufen  werden*  Deis,  ein* 
fache  ,,Herr,  erbariue  dich*'  erlont  unler-  den  niedern  tialjien 
der  uBtern  oder  Sommerkirehe  so  feierlich  langsAuii  so  altera 
thuinlich  und  ergrdfend,  dafs  es  Einem,  ioi  Verhaltnisse  zu 
dem  neueren  Kirchengesange  der  VVeUpriesler,  gerade  sp  vor** 
konimt;  wie  die-russiachen  geistlichen  Melodien  im  GegensaUp 
zu  den  weltlicJueFn^  romtscfaen*  Diese  Monche  haben  fiir  ihren 
ganzen  GoUesdienst  noch  die  alle  Tonweisei  die  man  sioU 
bowaja  nennt,  beibehaUen^.  dieselbe  die  auch  die  AUglaubigen 
festzuhalten  suchen,  nur  dafs  bei  diesen  die  Ueberlieferung 
weniger  rein  isl  und  die  Ausfiihrung  nichl  so  eingeubt  und 
gediegen  wie  bei  denMonchen;  schon  aufKonewez  ist  sie  es 
nicfat  niehr  wie  im  Barlaam  -  Klosler«  Die  Predigi  bestchl 
hier  in  einein  Vorlesen  von  Ubmilien.  der  ^irchenvaler.  Fiir 
die  zur  morgeniandischen  Kirche  sich  hattenden  Finncn  wird 
in  deren  Landessprache  Unlerrichi  erlheilU  Der  (joUe$dienst 
aber  iin  Kirchen^lawischen  geballen,  was  doch  tnit  dem  von 
den  <Slaweii  selbst  gegen  die  Griechen  und  Lateiner  in  Au- 
spruch  genommenen  Rechie  der  Nationalitat  nicht  recht  zu 
slininien  scheint.  Es  sollen  solcher  Finnen>  die  immer  2  Tage 
lang  gespeisi  werden  und  noch  Brod  auf  den  Weg  bekom* 
men,  an  1000  sein,  mehr  aus*  dem  Innern  Finnlands,  al?  von 
den  Kiisten.  Unliingst  hat  man  auch  bei  «Serdoboi,  wo  12 
Skiten  vom   Barlaam-Kloster  gewesen  sein  soilen*),  in  einer 


*)  Das  Warlaam  Kloster  von  dem  Archimandriten  von  S.  Sergius  wel- 
cliein  zufolgc  aucb  meltrere  Kirchen,-  der  gr.  Ritiis  bis  nach  Kexholm 
Yorbanden  waren.      Die  Form  Walaam  wi'irde   iibrigens    auf  Balaam/ 

Ermans  Buss.  Archiv.  Bd.  XI.  H.  3.  17 


24S  Hii5tftripcU-lingi«istisphp  Wissfiisrhaften. 

Grufl  i5ci;en  1<H)  l^funJ  alter  scliWcier  Wachsliclile  getuitileu^ 
wie  sie  in  der  iulherischen  Kirche  nicht  gebraucblich  sind, 
was  fiir  ein  Zeichen  fnihern  Vorhandenseins  der  morgenlan- 
dischen  gehalien  wird. 

Die  Keisenden  wurdeii  iibrigens  nichl  nach  ihretn  Nainen 
und  Bekennlnisse  gefragt  und  alle  gleich  freundlich  tmv  Tafel 
geiaden,  an  welcher  aufser  den  50  Monchen  gegen  100  mann« 
liche  G'asie  Theil  nahinen.  Man  gab  ihnen  auf  einein  holzer* 
nen  Teller  schmackhafles  Scbwarzbrod,  Gebackenea  biH  Fiscb, 
kalle  Schaalen  (Bolwinja),  einer  getneinsaiaen  Schiissel  fur  je 
4y  und  jedem  dasu  einen  holzernen  Loifel)  ebenso  Kohlsuppe, 
Fischsuppe,  die  beriihinle  Ucha,  ganz  vorirefflichy  und  zttielzk 
Gersten-Griitze.  «  Wahrend  des  Mahles  las  ein  Monch  etwas 
Ascetisches  vor.  An  FesUagen  wird  nurGriines  genosseo,  an 
grofsen  FesUagen  aber  Abends  Thee  gegeben,  worauf  die 
Monche,  als  narh  dem  groCsten  Genufs  leclizen^  und  das  sie 
Trost  (uljeschenie)  nennen.  Rauchen  und  Weintrinkenisl  auch 
den  Gasten  iin  Uinfange  des  Kloslers  nicht  eriaubt. 

Doch  wer  selzt  sich  nichl  gern  liber  seiche  Cnlbehrungen 
hinweg,  urn  die  Stiile  und  feierliche  Zuriickgetogenheit  dteser 
Monche  und  ihre  herrliche  Insei-Natur  ein  Paar  Tage  mitzuge* 
niefsen?  Gewifs  kehrt  keiner  aus  dieser  Waideinsamkeil  ohue 
liefe  Findriicke  heim  —  und  ware  es  auch  nur  die  Erfahi-ung, 
dafs  so  manches  was  uns  zum  Glticke  unenibebriich  scheini, 
an  Wohlleben  und  Beqneinlichkeily  nichls  weniger  ak  unent- 
behrlich  ist  und  dafs  durch  Selbslbeschrankung  in  selchen  Din* 
gen  nicht  blofs  das  eigerie  Leben  gesunder  und  langer  wird. 
sondern  einem  auch  rnebr  Gelegenfaeil  geboten  isl,  sich  An- 
dern  niiilzlich  zu  erweisen  und  so,  auch  Mitten  in  der  Well 
von  Ami  und  Beruf  den  Mdnchen  nachzustreben. 


die  Form  der  griechischen  Uebersetzung  fiir  Bileain,  Num.  XXII.  zu- 
riickfuhren.  Uebrigens  soli  dieses  KJoster  als  Verweisungs-  oder 
Strafort  fur  die  Monche  des  Reinhes  dicnen,  woraus  erhellt  dafs  die 
Kinsarokeit  und  schone  Natar  nicht  fur  alle  denselben  Reiz  haben 
mag. 


Wallfahrt  zu  den  Klotterii  det  Ladoga -Sees.  249 

Wer  aber  aus  den  Sargen  und  Miihen^  dem  Sturm  ond 
Draiige  des  alltaglichen  Lebens,  besonders  in  einer  Residens 
mil  ihren  schroffen  Gegensatzen  von  stolzem  Prunk  und  stil* 
lem  Jammer,  sich  auf  ein  Paar  Tage  herausreifaen  kann,  der 
versaume  es  nicht,  diese  stiUen  Orte  su  besuchen;  die  Fahrt 
dahin  war,  fur  uns,  eine  wahre  Vergniigungsreiae,  so  slill  und 
ungestdrt  ging  sie  von  Stalten;  es  war  wie  eine  Badereiae, 
ja  iiiehr  als  dieses,  4^  die  Gemilthsrube  und  SanNolung  der 
Seele  die  zur  Gesundheil  des  Leibes  oft  mehr  beiiragi  als 
alle  kiinsllichen  oder  nakiirlichen  Mineraiwasser,  an  den  meisten 
Bade-Orten  durch  Luxus  und  Spiel  verseheucbt  worden  sind, 
freche  Gesellen,  mit  denen  jene  zarten  hulfreicben  Schwesiem 
Aesculap's  nicht  zusammen  weilen  mdgen  *). 


*)  So  betraclitet  di«M  R«ise  aneb  Heir  Dr.  Maxiaulia«  Heme  dessew 
iin  Jabro  1646  erschienene  Scbildorung  eia«r  etwas  atiirmiacbeii  WaM-« 
fahrt,  als  Gegeabild  und  Erganzung  der  unsern  nacbgeleien  za  werdea 
verdient;  denn  ,|Wenn  auch  zwei  dasselbe  than,  so  kommt  docb 
nicbt  dasselbe  heraus,^  wie  das  lateiniscbe  Sprichwort  sagt.  Die  Fabri 
daaert  jetzt  Von  Freitag  Morgen  urn  9,  bis  Montag  Abends  um  9  tind 
kostet  7  bis  S  Silber.  Rubel  and  aal  dem  zw«iten  Platze  die  HlStfta. 
BUsibt  man  za  Barlaam,  atatt  mit  nacb  S^rdobol  zu  falirea,  so  bat 
man  tor  Sonnabend  2%  bia  Sonntags  um  4  Zek,  an  alien  Gottes-^ 
dieasteo  Theil  zu  nebmeo  und  die  wich^gsten  Stellen  zu  besneben^ 
ebenso  in  Konowez,  wo  wan  Sonnabend  Yon  3  bis  9  Morgens  and 
auf  der  Riickkebr  von  9  Abends  bis  9  oder  10  Morgens  verweitt. 


17 


Einige  Worte  ikber  den  Buddhismus. 

Von 

Herrn  C.  F.  Koppen. 

(Fortsetzang.) 


JQie  ersle  Periode  der  Bflddbislischen  Kirchengeschichte  er- 
streckt  sich  bis  zu  dem  Zeilpunkte,  in  welchem  die  Lehre 
Schakyas  im  grofsen  Reich  der  Prasier  als  Staalsreligion^  an- 
erkannt  wurde,  und  gleichzeilig  sich  durch  Missionen  weit 
hinaus  uber  die  Grenzcn  Indiens  zu  verbreilen  begann,  d.  h. 
bis  zur  Zeit  Konig  Dharmasokas.  Es  ist  die  Periode  der  BiJ- 
'  dung  und  Feslslellung  des  Dogmas,  der  Disciplin,  des  Cultus, 
diePeriode  derConcile.  Der  ursprtingUche  nur  moralisch- 
ascelische  und  philosophische  Buddhismus,  das  Samanaerthum 
wird  in  ihr  zur  posiliven  Religion,  zur  Kirche. 

Der  Begriinder  desselben  hat  nichts  Schriftliches  iiber 
seine  Lehre  hinterlassen,  sondern  die  Aufzeichnung  derselben 
ist  erst  nach  seinem  Tode  erfolgt  —  darliber  ist  die  Tradi- 
tion der  Buddhistischen  Volker  »o  gut,  wie  einig  *).    Hinsichts 

•)  Hogdson  versichert  zwar  (As.  Res.  T.  XVI),  riafs  in  Nepal  die  An- 
sicht  berrsche,  Schakya  babe  seine  Lebren  selbst  niedergescbrieben 
(p.  422),  gestebt  aber,  dafi  er  keine  SteUe  irgend  eines  Textea  zar 
Begrandang  dieser  Ansicbt  anfiibren  konne.  Seine  Versicberang  be- 
rubt  demnacb  nur  auf  niandlicben.Mittbeilungen  gelebrter  Baoddhas 
and  kann  gleich  abnlieben  Bericbten  mancher  Reisenden,  der  allge- 
Dieinen  scbriftlicbeh  Tradition  gegeniiber  nicbt  in  Anscblag  kommen. 


Einige  Worte  Tiber  den  fiaddliismot.  261 

der  veraobiedenen  Samnildngen,  Aufzeicbnungen  und  Redactio* 
net!  des  Lehrbegriffs  und  der  heiligen  Biicher,  der  Zeil  und 
der  Oerter,  in  weicb^ni'  dies  gescheben,  d.  h.  der  Coticile,  aiif 
welchem  diese  Redaclionen  ^rorgenomtnen  und  der  Budd- 
histische  Canon  entworfen,  revidirt,.  erginzt,  feslgestellt  und 
geschlossen  sein  soil,  herrscbt  dagegen  nichi  diesetbe  Cin<» 
sUmmigkeit. 

Nach  den  Jahrbiichern  von  Ceylon,  die  faieriiber,  *wie  tiber 
die  altere  Gescbichte  der  Buddha-Religion  Qberhaupt  am.aus- 
fuhrlichsten  berichten,  sind  im  Ganxen  drei  allgemeine  Conoile 
abgehallen  worden,  das  erste  unmiitelbar  nach  dem  Tode  des 
Stiflers,  im  8.  Jahre  der  Regierung  Ajatasainis;  ^u  R-ad* 
schagriha,  der  HaupUtadt  Magadba's,  das  zweite  )00  Jabr 
spliler  zu  Vaisali  unler  dem  Schuize  Konigs  Kalosoka,  dM 
dritte  endlich  zu  Pattaliputra  (dem  Palrbolbra  des  ^  Me« 
gasthenes)  im  17.  -  Regierungsjahre' DfaannasoLa's ,  d«  b;  naoh 
der  Singhalesischeii  Aera  4m  Jabre  235  nach  dem  Heimgange 
des  Buddha*). 

Hiervon  weicben  nun  dieBerichle  der  nSrdliohen  Budd^ 
histen,  Wenigstens-  derXib^aner  und  Hongolen,  wesenliich  ab. 
•Diese  nehmen  zwar  ebenralls  Uberhaupl  drei  Conciie  an,  doch 
nur  hinsicbts  -des  ersten  stimmen  sie  mil  den  Shighalesen  der 
Hauplsache  nach  tiberein.  Das  zweite  dagegen  setzen  sie 
nicbt  iOO/sondern  110  Jafbr  nneh  dem  ersteren,  ein  VVider« 
sprueh,  der  freifich  bei  der  sonstigen  Unsicberfaeit  der  indi<* 
sdien  CtironcAogie  ifdn'  keiner  grofsen  Bedeulung  ist,  und  sieb 
auch  wohl  dadurcb  I5sen  lafsl,  dafs  man  die  erslere  Zahi  nur 
in  Pausch  und  Bogen  als  runde  Summe  nimmt**).    Als  Ver- 


*4~*- 


*)  Mahvanso  (bei  Tournour  p.  11  ond  14  —  20;  28  ff.,  beiUpbam  32  £f., 
.46,  71  ff.)-    Rsjarsli  188,  Raja-Ratnakati  »t^33.     Jonynal  of  tbe 

As.  80C.'o6  Ben^len  tor  1837,  U.  7Bff. 

**}  Nach  Nemnanm,  der  sicb  'dabei  anf  Aw  Annalen   der  Sai  beroft 

.     (ZcStscknft  fv  ^e  Kunde  des  Mongenlaades  HI.  p«  115)  setzen  aooh 

:    die  Cbiftesen  das  Goncil  von  Vaiaali  (Pi-sotie^li)  in  das  Jabr  100. 

^^idleictot  ist  die  Zabt  110  aus  einein  Missverstaadniss  bervorgegan- 

gen.      Kb  soil   namlicb  diese  zwei4e  YersamiBtang  nadh  den  Singha- 


252  HiitoffMl€h-J^ffignHiiis€ljf(;  Wi6f#ii8«haUcn. 

ankissief  titid  Pn>iec4#f  ctieser  Synode  nentien  sie  «bcr  Dichi 
KalasOka^  somleiritDharmftsoka.  Die  dritle Veriammkiiig 
MHllich,  die  von  Pattalipiiira  erwahneil  sie  gar  nicht*). 

Die  Fragey  welche  von  den  beiden  UeberKtferungen  den 
Yofzug  verdiene^  isl  nach  dena  Slandpunkte,  auf  welebetn 
die  Kenoi^lmb  der  indisehen  Ges^thiehte  schon  jHal  eteht,  nieht 
scbwer  zu  enlscheiden.  Es  ist  namlich  der  zuleUt  genannte 
Asoka,  so  sehr  er  auch  ats  LieMtngabeld  der  Leg mde  figurirt, 
doch  zugieich  eine  so  uobedingle  bistorische  PetsoBlichkeit, 
s6m  Zeitaller  ist  durch  seine  beriihmien  In»^ri(ten  so  sicher 
mid  unmderleglieh  —  frdlicb  nichl  auf  Jahr  undTag  —  fest- 
gesUlity  da(s  wk  in  ibm  und  seinen  GrobtalerCbandraguplay 
liber  vrdchen  aich  die  itfdischen  and  grieehisehcB  Nacbrichr 
telk  begegneUy  defn  erslen  feslen  Ptinki  sur  Anknupfung  einer 
buddhisliscbeii  imd  indisehen  Chronologie  besilzeo*  Nach  der 
Aera  dieMer  beiden  Koliige  kann  allein  cfie  Zetl,  in  welcher 
der  Buddha  gdebl  bat,  annakernd  beatimmt  werden,  und 
schon  durch  sie  fallen  die  gewohnlichen  Angaben  der  fiord- 
Hcheti  BuddbisteD^  die  den  Religionastifler  1000  und  mehr 
Jahre  vor  nnserer  Zeitrechnung  und  4och  aur  1 10  Jahre  vor 
jenem  vielgepriesenen  Konige  leben  lassen.  Hiemach  isl  nun 
aber  aucii  die  drilte  Synode^  die  von  Paitatiputra^  deren  die 
ndrdliehen  Buddhi$ten  nicht  erwahnen^  und  iiber  die  wir  in 
den  Jahrbucbern  von  Ceylon  ^e  omslandlichslen  Nachricblen 
besilzen,  dn  unbeatreilbares  historisches  Facluto,  eben  $o  un- 
bestreiibar  eiwa,  wie  das  Nicaanische  Coneil  a«  defigl.    Das 


fesen  berofen  worsen  sein :  iin  10.  Jahre  Kalasoka^s  und  im  lOO.  nach 
dem  Ninrana*  Aas  diesen  10  nnd  100  konnic  moglicher  Weise  110 
geworden  isein 
')  A^  Rm.  XX.  41  tt.  £170.  S«ming  ^etfen  (i>m  Sehmidt)  17  oad  315. 
Die  Mongolen  nennen  den'  K^nig,  nater  wtflolieHi  das  »wei«e  Coneit 
ab^haUen  sein  soil,  GtiM8aliiiig^Ug«i.NoiiiiiiiM0lHigaii|  wie  e»  icheint, 
«tfie  w5rtiiche  Uebertrtgmg  des^Natnens  IMuiraiaaofca.  Aecli  wird 
ausdracklicb  j«ncr  Chagan  als  firjriebter  der  tielen  Tanseiid  Tern- 
pchuiiileii  bezeielmet  (bei  Sebmidi  L  c.  2&7>,  wodarcb  jedet  Zwetfel 
an  dier  Identitat  beider  gebeben  wird. 


Ktnige  Worte  uder  den  Buddliumus.  253 

Eiiizigei  was  man  hiergegen,  und  uiu  die  Aiigaben  d«r  Tibe- 
taner  und  Mongolen  iiber  die  beiden  Versaminlungen  zu  retr 
ten,  einwenden  konnle,  ware  etwa  die  Behauplung,  das  so-; 
genannle  driile  Concil  falle  mil  dem  zweilen  ztisaminen,  die 
Singhalesen  hiiilen  milkin    aus  eiuer  und    derselben  Synode 
zwei  gemachty  wie   aus  eineni   einiigen    Asoka  zwei  iCouige. 
dieses  Namens.     Hiernach  miifsle   A  lies,  was   bis  jalzi  tiber 
die  Geschichte  Indiens  vor  Alexanders  Croberungszug  freiiich 
mehr  vorausgesetsi,   als    festgesetzl  isl,   aufgehoben  werdeii, 
und  z.  B.  der  Buddha,  dessen  Nirvana  ja  eben  110  Jahr  voc 
der  Synode  unler  Dharmasoka  verlegl  wiirdei  dem  Jahrhun- 
derie  des  Brobereres  angehoren,  was,  wie  gesagl,  mit^  der 
sonsligen  beiligen  Cbronologie  der  n5rdlichen  Buddhislen  docb 
anf  allerwenigslen  stimuli;  es  ist  aber  jene  Behaupiung  aucb 
aus  vielen  andern  Grunden  vdll%   unhallbar.     Denn  —  uip 
nur  einen  anzufiihren  —  es  isl  unmogfich,   geradczu  unmog- 
lich,  dafs  der  zahen,  feslgewurzellen,  ubermacbligen  Hierarcbie 
der  Brahmanen  gegeniiber  sich  der  Buddbismus,    der  jedes 
gewalteame  MiUel  der  Bekehrung  verschmihty  gleicb  dem  Is- 
lam, im  Lauf  eines  einsigen  Jahrhunderls  zu  jener  SUife  voo 
Ansehn  und  Gellung  und  ausgebreiteter  Anerkenaung  erboben 
haben  sollle,   auf  welcher  wir  ihn  mil  hislorischer  Gewifsbeit 
unter  der  Regierung  des  zulelzt  genannten  Konigs  wiederfin* 
den.     Die  Sache  verhalt  sich  daher  gerade  umgekebrt:   die 
Tibetaner  und  Mongolen  haben  die    beiden  Konige  gleiches 
Namens,  den^  schwaraen  Asoka  und  den  Asoka  des  G^seUes, 
und  mil  ihnen  zugleich   das  zweile  und  dritie  Concil  in  Eins 
zusammengeworfen  *). 


*)  Daher  tassen  aie  einerseits  das  zwette  Concil  zn  Vaisali  ablialten^ 
and  nennen  es  ,,das  der  SiebenhunderO*  —  ganiz  wie  die  Singhale- 
sen, andrerseiU  yerlegen  sie  dassi^lbe  in  die  Regierangszeit  Dbarma- 
soka^s  —  ond-  dies  ist  der  indischen  Tradition  aber  das  dritte  Con- 
cH  eatnommen.  Man  iann  daher  nicht  eigentlicli  sagen,  wie  z.  B. 
Lassen  u.  A.  dafs  das  letztere  ?on  den  nordlichen  Buddbisten 
nicht  anerkannt  wiirdcs 


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Binige  Worte  iiber  den  0uddltisiini«.  255 

selbe  wtrklich  schon  so  frUh  ehlworfen  und  feslgestelit  wo^*> 
den,  und  hat  er  sieh  bis  jetzt  unreranderk  erhalten?  Besilte'n 
^r  also  noch  die  Redaction  wenigslens  der  letzten  Ooncile? 
oder  giebt  ei  vielleichi  g<ir  Biiddhisttsche  Religtonsschrifteny 
deren  Ursprung  mil  Grund  auf  das  erste  und  sweite  zurUck*- 
gefiihrt  werden  konnte?  und  weleher  Sprache  bat  man  sich 
bei  der  Abfassung  derselben  bedient?  u.  8.  w.  Diese  Fragen, 
oder  viehnehr  diese  Fi-age  —  denn  sie  laufen  zdlettt  alle  i^ 
einc  einzige  tusainmen  —  lafet  sich  bis  jetzt  nur  Iheiiweise 
und  mit  anniihernder  Wohrscheinlichkeil,  doeh  nicht  mit  voll«^ 
standiger  Gewifsheit  bennlworten. 

Was  zunachst  den  Tripitaka  betrifTl,  die  Elnth^ilafig  in 
Sutra,  Vinaya  und  Abhidbtirma,  so  findet  sich  dieselbe 
bei  alien  Buddhislen,  obwohl  sie  nicht  iiberarU  so  slreng  fesk- 
gdiaiten  wtrd,  wie  dies  auf  Ceyton  der  Fall  zn  sein  scheini, 
sondern  die  einselnen  Afolheilungen  bisweilen  in  einander  v^» 
schwimmen,  oder  wie  z.  B.  itii  Kah-gyiir  und  nn  Canon  von 
Nepal  noch  andre  hinzutreten  *).  Es  ist  ferner  eine  langst 
ausgemachte  und  bekannte  Thatsache,  dafs  die  heiligen  Bii- 
eber  der  dhinesiselien^  Baddhislen,  wie  der  T^bfetaner,  so  weit 
sie  nSmlidi  als  Wort  des  Stifiers  gellen,  samirithch  aus  dem 
Indischen,  und  zwar  so  viel  wiv  bis  jetzt  wissen,  aas  dem 
Sanskrit  ubersetzl  sind  **)\  die  der  Mongolen  theils  unmitlel- 
b<)r  aus  dieser,  iheiis.  aus  der  tibetanischen  Sprache,  wobei 
der  fronune  Eafer  der  Uebersetzer. sieh  der  moglichaten  Treue 
und  'Wfirtiichkeit  befleifsigt  hat,  damit   afioh  kein   Titeichen 


'*')  Der  Trjpit^Jia  .heifiit  bei  den  QJiinesen.  $aii-tiang>  bei  4«ii  Mon- 
golen Gurban  aimak.  Von  den  7 .  Haapttbeiien  dea  Kabrgy^tr  entbalt 
der  eratff  ViD,aya  (Tib.  D»Iva,.13  voD^  der  zweite  P^adisc^hna 
parainila,  d.b.  AbhMbarma  (Tib.  Sober^h^btn  21  TOk),  der  funfte 
Satra  (Tib.  Mdo  dO  voK»).  Der  Canon  van  Ceylon  bei  Tumour 
(Kinleitong  a^.  Mabayanao  LXXV)  und  ,,Aa  epitome  o(  tbe.  bitlory  of 
Ceylon**  LXIi.  Ueber  den  Tripitajka  in  den-  Saaskritsckrifien  von 
Nepal  Buroouf  ^Introduction  a  I'Jiist.  du  Buddb.*'  46  ff. 

")  Indefs  bteibt  es-inoglicb,  daCis.die  Cbineseo  einzelne  iiirer  beiligen 
Buclier  anob  aus  den  spateren  indischen  DUleeien  ikbertragen  haben. 


256  Hittori80h-*ting;Qi8ti8cfae  Wissentehalten. 

des  unschaizbaren  Kleinods  der  Offenbarung  veriareii  gehe. 
Aucb  unterliegt  es  kaum  noch  einem  Zweifel,  dafs  wir  die 
Originale  eu  den  meisteti  jener  chinesischen,  libetaDischeii  und 
mongoliscben  Ueberselzungen  in  den  von  Hogdaon  aufgefun* 
denen  Sanskritschriften  von  Nepal  besilzen.  Von  einigen  der- 
selben  iat  dies  bereils  dureh  Vergleichung  unwiderieglich  dar- 
gelhan,  bei  ungleich  mehreren  isi  es  hocbsi  wahrscbeinlich  *). 
Und  diese  Uebertragungen  haben,  wie  wir  spater  sehen  wer* 
den,  wenigstens  in  China,  schon  in  einer  Zeit  begonnen,  die 
d&in  lelzten  Condley  dem  von  Kaschmir,  nicht  alizufern  lag^ 
in  Tibet  freilich  erst  im  7.,  bei  den  Mongolen  voUends  erst 
ifii  13.  Jahrhiindert. 

Am  wenigslen  ist  bis  jeizt  noch  das  Verbaitnifs  unler- 
sucht,  in  welchem  die  heilige  Liieratur  der  Singhalesen  zu 
detjenigen  der  ndrdlichen  Buddhislen  slehi;  gerade  dies  aber 
ist  der  intereasantesle  und  fur  die  friihere  Entwickelungsge- 
schichte  des  Buddhismus  wichtigste  Punkt**).     Denn  daCey- 


*)  Burnuofl.  c.  Sehott  ,,U«ber  den  Biiddhtsmiis  tn  Hocliasien  and 
ift  China*^  (AbhaRdh  der  biator.  Cfaiswn  der  Berl.  Akad.  v.  J.  1S44« 
p,  161).  I.  I.  Schmidt  in  Petenbnrg  erklirte  schon  1830,  daCs 
von  180  BuddiuBtiscben  Tractaten,  deren  VerzeichniCi  Hogd.son 
verd£fentlicbt  hatte,  die  meisten  ihm  in  mongoliscber  Uebersetzung 
vorlagen.  Hinsicbts  der  Genaaigkeit  und  Wortlichkeit  der  belrefifen- 
den  Uebersetzungen  benierkt  anter  anderh  A.  Renin  sat  (Melg.  As. 
i.  103):  Les  versions  qtt*on  on  a  &ites  li  d^  ^poqus  quo  rom  con- 
naissonsy  en  ehinois,  en  mongol  on  on  tib^tain,  v^lgte  avec  ootle 
fidelity  presqne  servile  qui  characterise  les  Orientanx,  representont 
si  exactement  les  textes,  qu^independemment  des  noms  et  des  mots 
sancrits  qu*on  y  a  laiss^  sabstituer>  on  y  recinnait  le  g6ne  indien 
et  jnsqu'a  la  phtas^ologie  .primitive. 

**)  E.  Barn  oaf  besthaftigt  sicfa  seit  einer  Reth^  von  Jahren  mit  dieser 
Untersnebang ,  zu  welchem  Behufe  er  eine  grofse  Mfenge  von 
Materialien  gesammelt  bat*  Die  Resottate  wird  er  Im  zweiten 
Bande  der  oft  ange^brten  ,,Introdact.**  etc.  darlegen.  In  dem  ersten 
bat  er  die  Sanskritschriften  von  Nepal  einer  durchgreifenden  kritischen 
Analysis  unterworfen,  und  aus  der  Spracbe ,  wie  aus  dem  Inbalt  das 
Alter  and  die  Aufeinanderfolge  der  verscbiedenen  Zweige  derselben 
zn  bestimmen  gesadit.    Ks  ist  dies  das  erste  Werk ,  dorcb  welches 


Bfitife  Woi^e  tiber  den  fioiMtiiMiiis.  33(7 

Ion  gleieh  nach  ilem  Concil  von  PuUalipuira  bekehrt  wDrden 
hif  und  in-  Folge  dieses  Concffa  die  Verbreilang  der  Lebre 
auiiserbalb  Indietis  und  damit  zugleich.  dieTrennung  dev  ntod^ 
lichen  and  siidlichen  Bnddhisten  anhebt;  so  kSnnen  dordk 
Vergleiehung  des  Singhalesischen  Tripitaka  mil  den*  heUigeii 
Biicbf rn  der  Chmesen  und  Tibetaner  und  ganz  besonders  der 
Nepalesen  —  da  diese  eben  die  Satiskriloriginale  aufbewahri 
haben  —  aus  der  eiwaigen  UebertinBitmmang  und  Abvrei** 
chimg  die  inannigfaltigsien  und  reicbhaltigslen  Resukate  ge* 
wonnen  werden;  ja  es  ist  diese  Vergleiehung  das  einsigeMib- 
tet,  urn  ganz  sichere  S^liisse  zu  ziehen  Ubef  das  Zeitalter 
und  die  Autencitilat  der  Bucher  selbsi,  d.  h.  der  Redactienen, 
der  Texte,  so  wie  auch  der  Lehre,  der  Dogmen,  der  Disd- 
plin,  des  Cuitus,  der  Melaphysik  ond  Kosmogonte,  der  relS- 
gidsen  «nd  theologisehen  Vorstellungen  jeder  Art.  Dean  was 
sioh  im  religi&seR  Codex  von  Ceylon  und  andrerseits  in  dem 
der  Chinesen,  Tibetaner  oder  Nepalesen  Genoeinschaftlielies 
vorfindet,  ist  beinahe  mit  Gewifsheit  als  uralt  und  ursprUng* 
lich  und  der  friihsien  Periode  des  Buddhismus  angehorend  za 
betrachten.  Soike  s.  B.  *-  was  freilieh  nicht  zu  erwarten 
steht  —  der  ganzeSinghalesische  Tripitaka  sich  in  den  entspre- 
chenden  Ablheilungen  des  Kah-gyur  unverandert  wiederfinden, 
so  wurde  daraus  sicher  gefolgert  werden  konnen ,  dafs  wir  in 
den  beiden  ubereinatimmenden  VeraioBen  die  su  Paiialiputra 
veranstallele  Sammlung  und  Redaction  der  heihgen  Schriften 
vor  uns  haben.  Dasselbe  wiirde,  jedoch  mit  einiger  Ein- 
schrankung,  auch  von  der  Uebereinstimmung  eines  eitizelnen 
Buches  gelten  ")• 


d«8  Dtiitkel,  das  b'lBhmt  auf  der  Jogendgescbiclite  des  Bad^htsmui 
iast«te,  slob  •inlgertnafiien  za  lichten  beg^uint.  0o^h  lind  iwturlich 
di*  melstea  Fragen  noob  offen  gelassen^  nitd  erst  wenn  die  beiligen 
ttacber  von  Ceyfoit  eine  abnliebe  Prnfiing  bestandeir  baben ,  kann 
das  entscheidende  Urtbeil  erfolgen. 
*i  Bs  vftire  dann  namlicb  iioeb  za  iititersacben ,  ob  dieses  Bach  nicbt 
etwa  za  denjenigen  gehorte,  die  spater  von  jenen  Reisenden,  die  um 


258  Histofkcli-lingaistisciie  WiBieniebflifton. 

So  iviel '  ist  sehoh  jetzl  bu  ersehen ,  dafs'  die  Zahl  odA 
Mass0  d^r  Werke,  weldie  ab  Wort  des  Slift^rs  vcrebl'i  w^^ 
den,  in  Norden  viel  gr5fser.  ist^  als  itn.  Saden  *),  und  dab 
dorky  wie  schon  oben  angedeiUet,  manches  in  den  Canon  auf* 
geuomtnen  ist,  woven  man  hier  gar  nichts  weiss.  E^  sind  dies 
namenllich  die  sogenannte  Tanlras,  die  in  Nepal,  wie  in 
China  und  Tibet  und  bei  den  Mongolen  den  Sutras  gleich, 
Oder  wohl  noch  hoher  geachtet  werden,  als  diese.  In  iha 
erscbeint  der  Buddbisnaius  mit  ElenEieiiten  versetst,  die  seiaen 
urspruhglicheo  Wesen  fern  Uegen,  den  rohesten  Vorslelliingen 
des  Schamanismus  und  Gotoendiensles.  Hier  erblicken  wir 
jen^i  wiisten  Cultus  inonstroser  Goiter  und  Gdttinneh,  die 
grdfsleniheils  dem  ScbivasdiefisUe  eritnomiDen  i»ind,  ni^i  alieila 
Zubehor  bis  zuiti  Linga  und  zur  Yoni  berab;  hier  wird  das 
Heil  nicht  inehr  gesetzi  und  g^suebi  in  Bufse  imd  Auf- 
opferungsfahigk'eil,  sondern  in  der  mecbantschen  Ausiibung 
gewisser  aufs^rer  Gebrauche,  Handlungen  und  Ceremonien, 
101  gedankenlosen  Harsagea  yon  fiinniosen,  oder  doch  un- 
verslandenen  Gebei*  und  2auberfbraieln  ( Dharaitb  oder 
Mantras)  **).   Bis  jetsi  hal  man  von  diesem  Zweige  der  Budd- 

die  Iieiligen  Biicher  za  sammeln,  niclit  bios  das  continentale  Indien, 
sondern  aach  Ceylon  besacbten,  von  dieser  Insel  nach  dem  Norden 
gebracbt-  worden  sind.  Ich  finde  zwar  ofter  and  zwar  yon  sehr  be- 
deatendes  Gelehrtcn  aosgesprochen,  daft  der  Codex  Ton  Ceylon  oder 
doob  einzelne  Tbeile  desselben  mit  chiBosisoban  and  tibetamtchen 
djem  Inbalte  nach  yoUkommen  Ubereinstimmten,  indeff  der  Beweis 
,  dafur  ist  dieines  Wis^ens  noch  nirgends  gefuhrt.  Nor  von  den  Vor- 
schriften  iiber  die  Disciplin  kann  man  vielieicht  scbon  jetzt  behanpten, 
dafs  sie  bei  den  nordlichen  und  siidiichen  Boddhisten  so  ziemlich 
dieselben  sind. 

*)  Dies  ergiebt  sich .  aus  einem  Vergleicb  des  Tripitaka  von  Ceylon  mit 
den  betreifenden   Tbeilen  des  Kah-gyor.      Der  erstare  .  bMteht  im 

i,  Ganzen  aus  ^\  Banden,.von  denen  10  dem  Sotrapitaka,  5'  d«m  Vi- 
nayapitaka  7  demAbhidharmapitaka  angehoreo,  walifenU  die  «ntspre- 
cbenden  Abtlieilungen  des  Kah-gyur  aus  64,  meistens  n^  stiirkeren 
Banden  bestelit. 

**)  DieTantras  beifsen  bei  den  Cbinesen  Tscbeii,  bei  dea  Ti6etanern 
R^jud.    ScUott  1.  c.  220. 


Blftife  Wort*  iiber  d«n  fiiiddliiftmtts.  2&9 

histisehen  Literirliir  in  Ceylon  noch  keine  Spur  gefunden, 
ejn  Umsland,  der  all«in  schon  den  Beweis  liefert,  dofs  sieh 
hier  die  Lehre  in  alterer  und  reinerer  G«6talt  erhalien  haf, 
als  im  Norden  *)^ 

Die  Spracbe,  in  welcher  die  OriginaUexte  der  heiligeii 
Bticher  abgefafst  worden  sind,  nenneti  die  Ckinesen  die  Spradbe 
von  Fan,  die  ubrigen  Baddhisten  naeh  dein  Heimathkiiide 
des  Stifters  die  Spraohe  von  Magadha;  beides  soil  nichis 
weiter  beifsen ,  als  Indtsch  sohlechthin  **).  Indels  ver stiehen 
die  nordbcben  im  Allgemeinen  darunler  Saaakrit,  die  siidli* 
chen  Pali,  und  es  enlslehi  hierbei  die  noch  uageloAte  Frage, 
in  welcher,  oder  in  welchen  Mundarlan  urspriinglich  and 
zuerst  das  Worl  des  Buddha  niedergeschriebeo  worden  isi.    . 

Noch  vor  einigen  swanzig  Jahren  waren  die  grofsten 
Sprach*  und  Sachkeaner  der  Ueberxeuguiig,  dies  sei  iin  San- 
skrit geschehen  uod  swar  nur  im  Sanskriti  und  wo  immer 
sich  Bttddhislische  Texte  in  einer  andern  Spracbe  vorCanden, 
musse  vorausgeseUt  werdeii>  dafs  dieselben  aus  dem  Sanskrit 
iibertragen  soienf).  Spater  dagegen  hat  man  enlweder  Pali 
fiir  die  Grandsprache  ausgegeben,  oder  angenotnmen,  die 
Bttddhisten  haUen  sich  von  Anfang  an  bei  der  miindlichen 
und  schrifllichen  DarsteHung  ihrer  Lehre  zugleich  mehrerer 
Mundarten,  und  aufscr  der  Gelehrlen-  gleichzeitig  der  Vul« 
gairsprache  bedient  Uiese  leUtere  Ansicht,  die  gegenwiirtig 
von  den  bedeutendsten  Forschern  gelheilk  wird,  hal  allerdings 
viel  Griinde  fiir  sich. 

Zunachsl  schon  den  Geist  der  neuen  Lehre  selbst,  und 
die  Umsiande,  unter  denen  sie  sich  Bahn  brach.  Der  Buddhis- 
mus  durchbrach,  wie  gesagt,  die  Schranken,  welche  dieBrah- 


*)  BoDrnoof  I.  c.  235. 
**)  Fan,  zusammengezogen  aas Fa- la-ma,  der  chinesischen  Aasspraclie 

van  „Brahdia.**  ^ 

t)  Sa  J.  J.  Schmidt,    W.  y«  Hamboldt,   A.  Remnsat.     Ka  ist  je- 

doch  zu  bemerken,  dafs  R^mosat  in  seinen   letzten  Jabren  das  chi- 

ntniscbf)  Fan  nicht  mebr  ausscbliefslich  fiir  Sanskrit  bielt*   Landresse 

in  der  Einleitong  zam  Foe  Kone  Ki  XXI. 


260  HMtoritcb-liiigiiifltiiche  WiMensohaften. 

manische  Hierarchie  um  die  Offenbarung  isnd  Wissenscbaft 
geiogen  haUe;  er  wandte  sich  an  Alle  ohne  Unlerschiedi  an 
das*  ganse  Voft;  er  hob  damil  im  Princip  nicfat  bios  das 
Hasten wesen,  sondern  selbst  den  Gegensatz  zwisehen  Pneater 
und  Laien  auff  indem  er,  ursprunglicb  wenjgalens,  jeden  ohne 
RScksieht  auf  die  Geburt,  auf  die  Kasle,  zum  Priesteribuni^ 
d.  h.  in  seiner  Sprache  zum  Biilserilmni,  sur  Ascese  belief. 
Er  war  demnach  in  einer  ganz  ahnlichen  Lage,  wie  der  Pro* 
teslantisinus.  Wie  dieser  halte  er  es  naeh  der  einen  Seite 
hin  mit  den  Prieslcrn  der  alien  Kirche  zu  (hun,  gcgen  diese 
sich  zu  wehren  und  zu  veriheidigen,  mil  ihnen  zu  streiben 
und  zu  dispuiiren,  ihnen  gegeniiber  seine  Salze  zu  entwickeln, 
zu  begriinden,  zu  rechlfertigen;  andrerseils  redete  er,  gleich 
diesen,  zum  Voike,  predigte  im  eig^nllichslen  Sinne  des  Wor- 
(es,  suchte  zu  belehren,  zu  iiberzeugen,  zu  erwecken,  —  denn 
er  verlangie  nicht,  wie  der  Brahmakmus,  Opfer,  Ceremonieii 
und  aufsere  Werkheiligkeit,  sondern  lebendigen  Glauben,  Er- 
leuchtung,  Wiedergeburt.  Wie  daher  Lulher  und  die  andem 
Reformatoren  zu  den  Gelehrien  laleinisch^  zu  der  Menge 
deutsch  redeten;  so  wurden  wahrscheinlich  durch  ganz  analoge 
Verhaltnisse  der  Begrunder  des  Buddhisnius  und  seine  Junger 
darauf  hingewiesen,  sich  zugleich  des  Sanskrit  und  der  Volks- 
sprache  zu  bedienen  *).  ' 

Es  sprechen  aber  aufsei*  diesem  innern  Grunde  auch  aus* 
druckliche  Zeugnisse  fiir  die  obige  Annahme.  Zuvorderst  er- 
sehen  wir  aus  der  Einleitung  des  Kah-gyur,  dafs  die  Tibeta- 
ner  selbst  daran  glaub^n,  ihre  heiligen  Schriflen  seien  anfiing- 
lich  theils  im  Sanskrit,  iheils  in  andren  Mundarten  aufgezeichnel 
vvorden,  und  dafs  die  vier  Schulen  der  Secle  Vaibhasika,  die 
fiir   die    alteste   unter    alien    gilt    und    unmittelbare  Sehiiler 


*)  Hugdson  in  der  „Note  oit  the  primary  langtiage  of  Buddhiuiiy**  im 
Joarn.  of  the  As.  Soc.  of  Beng.  VI.  692,  fiimmt  faiernach  an^  die  ptii- 
losopbiscben  Lehren  der  Buddbisiea  seien  in  der  heiligen  Sprache 
der  Brahinanen,  ala  der  dazo  geeignetsten,  die  popularen  in  der  Vnl- 
garsprache,  d.  h.  ip  Prakrit  Torgetragen  werden. 


Kinige  Woite  iil>er  den  BuddtiUmiu.  2j(>l 

des  Buddha  unier  ihreti  Griindern  neont,  sieh  hauplsachlich 
dui*cK  die  Sprachen,  unlerscheiden,  in  der  jede  von  ihnen  den 
„Sulra  der  Befreiung''  iiberiieferl.  Als  solche  werden  genaonl 
Sanskrit,  Prakrit,  Paischaki  und  Aphabhransa.  Auf 
dieses  Zeugnifs  ist  freilich  nichi  alUuviel  su  geben,  da  es,  wte 
Lassen  gezeigt,  zu  sehr  naeh  Systematik  schmeckt,  und  die 
vier  Mundarten  gerade.  in  der  Stufenfolge  aufgesiiblt  werden, 
welche  sie  nach  der  Lehre  der  indiseben  Grammatiker  und 
Rhetoren  einnehmen  *). 

Viel  wichiiger  ist  die  Naohricht,  da(s  der  erste  Bekebrer 
von  Ceylon,  Mahendra,  der  in  Folge  der  Beschliisse  des 
Concits  von  Puttaliputra  als  Nissbnair  dabin  abging, 
die  Lehren  ausdriickiich  „in  der  Sprache  der  Insel'* 
vorlrug  **) ,  in  weicher  Mundarl  sich  dieselben  lange  ZeU  er« 
hiellen,  ehe  sie  in  Pali  iibertrageQ  wurden,  was  entweder 
erst  etwa  400  Jabre  naeh  Buddha,  d.  h.  ungefahr  andert- 
hatb  Jabrhunderle  nach  der  Mission,  odei;  gar  erst  durch 
Buddhagoso,  im  5.  Jabrbundert  nach  Chr.  geschehen  istf). 
Wann  inimer  diese  Uebers^tzung  uniernomtnen  sein  mag,  wir 
sehen  an  diesem  Beispiele,  data  die  Buddbisten  iiberalli  wobin 
sie  kamen,  was  freilich  in  der  Nalur  der  Sache  lag,  in  der 
Landessprache  redeten  und  predigten  und  lebrten,  ein  Verfah* 
ren,  das  sie  wahrscbeinlich  doch  nichl  erst  seit  der  Mission 
und  der  Ausbreitung  des  „guten  Geaetzes'*  zu  fremden  Vol- 


*)  Vergl.  „Zeit8Glinlt  far  Kande  des  JVlorgenlandes''  III.  159,  IV.  491  ff. 
Indische  Alterthomskunde  II.  469  und  491. 

**)  Maliavanso  c.  14,  am  Ende. 

t)  Mahavanto  c.  24,  p.  219  (bei  Upban).  Davy  217.  Benfey  „Iii- 
dien'*  p,  200.  Lasse'h  „lndisclie  AlterthumskQiide"  11.  435.  —  Ben- 
fey nimmt  an,  dafa  400  nach  Buddha,  der  Tripitaka  in  Pali  abgefasat 
worden  sei.  Nach  den  QucUen  ist  damats  allerdings  nur  die  schrift- 
liche  Aufzeichnung  der  Lehre  erfolgt,  die  sich  bis  dahin  auf  Cey- 
lon miindlicb  forlgepfianzt  haben  «oU,  daher  aucU  Lassen  der  Ansicht 
iBi,  daiis  erst  viel  B(>ater  und  zwar  zwischen  410  und  432  nacb  Chr. 
die  beii.  S^riften  in  Pali  iibers^Ut  worden  seieii. 


262  Historiscli-lingnistisclie  Wiscenscliaften. 

kern  und  Baibaren,  sondern  von  Anfang  an  und  dchon  im 
Heimalhbnde  der  Lehre,  im  Gangeslbaie,  in  Magadha  beob- 
aoblet  haben.  DaAir  zeugt  unter  andren  aruch  der  Umsland, 
daEs  die  schon  friiher  angefiihrfe  Glaubensformel '),  die  sieh 
bei  alien  Buddbisiiachen  V5lkern  findet,  und  in  der  Avir,  vvie 
es  scheint,  eins  der  aUesten  Baddhistiscfaen  Spraebdenkmale 
vor  un»  haben,  anscheinend  zuerst  in  einem  der  Vulgiir-Dia- 
lieote  concipirt,  und  erst  aus  diesem  ins  Sanskrit  uberseltt 
wordcn  isf*).  Cndlich  —  und  das  ist  die  Hauptsache  — 
2ieigt  sieh  seibst  in  denjenigen  Buddhistiselien  Sanskrilwerken, 
welche  von  derKrilik  als  die  iiliesten  anerkaiint  worden  siad, 
ein  enlschiedener  Einfluss  der  Volk^sprache  des  mitlieren  h\- 
diens  auf  Charaktet  und  Ausdruck,  Haltung  und  GesLaltung 
des  gelelirten  Idioms,  wornus  man  eben  ersieht,  dafs  jene  den 
Buddhisten  sehr  gelaufig  gen^esen  -}-).  *  ' 

Da  zu  Dharnwifiokas  Zeit  -^  vi^ie  aus  den  Inscbriflen  zu 
ersehen  —  das  Sanskrit  nieht  einmiil  mebr  officielle  Sprache 
war,  so  darf  man  wohl  annehmeii,  dafs  es  schon  seit  Jahr- 
hunderten  aufgehorl  haite,  Volksspraebe  zu  sein,  milhin  schon 
der  Begriinder  des  Buddhismus  diese  in  den  Prakritdialecten 
vorfand.  Dafs  der  Dialect,  weicher  in  dessen  niichster  Hei- 
maih,  d.  h.  in  Magadha  geredet  wurde,  keinesweges  eigent- 
liches  Pali  tvar,  wte  die  sildlichen  Buddbisten.  glauben,  hat 
Lassen  gezeiglff);  auch  ist  schon  oben  erwahnt,  dafs  die 
Religionsschriften  von  Ceylon  erst  vie!  spaler  in*  die  lelzlere 
Mundarl  uberlragen  worden  sind. 


*)  Sie  laatet  nach  Lassen  Zeitschrift  i'lir   Kniid«  <1es  Mofgeiilandes  1. 
229  wortlich:  Quae  leges  sint  a  caussis   oriumlai',    earum  caassas 
dixit  Tathagatas,    ct   Quae  sit  eorum  restricHo,  perinde  eifatus   e»t 
magnus  Anachoreta.    Die  nnn  folgenden  zwei  Strophen  sel)«ineii  spa- 
tern  Crsprungs  zu  sein. 
**)  Indische  Alterthunisknnde  11.  492.     Benfey  I.  c.  202. 
+)  Ich  verweise  auf  Barnouf  I.  c.  16,  106  und  108. 
ft)  Zeitschrift  fur  Kunde  des  Morgenlandes  III.  172  if.  Ind.  Atterthums- 
kunde  II.  486  ff. 


Kinig^  Worte  iiber  ileti  Bii«ldtiiMndf.  263 

So  ^el  von  der  Sprnche. 

Was  nun  das  Alter  und  die  Urapriinglichkeit  des  gansen 
Buddhislischen  Codex,  die  Aufeinanderfolge  der  einielnen 
Zweige  desselben  und  der  einselnen ,  in  dieselben  vertheilten 
Biicher  betriffl;  so  liifst  sich,  wie  schon  in  der  Note  bemerkt, 
nichts  Sicheres  daruber  festsiellen,  bis  nicht  die  heilige  Lite* 
ratur  von  Ceylon  einer  ahnlichen  durchgreifenden  Kritik  un- 
terworren  worden  ist,  wie  die  von*  Nepal.  Die  Buddhisten 
selbst  haben  natiirlicb  keine  krilische  Gesebichte  ihres  Canons 
und  Texies  geschrieben,  da  eine  solche  bei  ihnen  schon  durch 
die  Tradition  und  den  Glauben  ausgeschlossen  war  *).  Bis 
jetzi  lafst  sich  daher  mit  Riicksicht  auf  die  Schriften  von  Ne- 
pal nur  ganz  im  Ailgemeinen  etwa  folgendes  urtheiien* 

Dafs  zuyorderst  gleich  nach  dein  Tode  des  Buddha  der 
ganze  ,,Dreikorb'*  entworf^n  worden  sei,  ist  schon  wegen  der 
Massenhaftigkeit  und.  Anzahl  der  darin  bcgriffnen  Werke  nicht 
glaublich.  Auch  behauptet  die  Ueberlieferung  das  selbst  nicht, 
indem  sie  Erganzung  und  VervoUslandigung  desselben  auf 
den  folgenden  Concilen  annimmt.  Das  Klosterleben^  kaum 
erst  im  Enlstehen,  konnte  unmoglich  schon  damals  so  weit 
vorgeschritten  sein,  dafs  wir  in  deniselben  jeue  ausgebildete 


')  Wenii  daher  z.  B.  (nach  Schmidt  I.  c.  115)  im  Mongoliacben  Schastir 
f/rschichola  Xereglektschi**  beriditct  wird,  im  eraten  Jahra 
nach^dem  Niryana  seien  die  erst  en  Worte  des  Baddha  gessmmelt 
worden  (d.  h.  die  Lehre  der  kleinen  Rrrettangsmittel  fur  Glaobige 
-von  beschranktem  Verstande),  110  Jahre  spater  die  mittlerea 
Worte  (die  Lehre  der  grofsen  Krrettungsmittol  fiir  Leote  von  mitt- 
lerem  Auffassungsvermogen),  300  Jahr  oach  dem  Nirvana  endlich  die 
letzten  Worte  (welche  ansschtieblich  den  tiefen  Sinn  der  grofiMB 
Krrettu^gsmittel  enthalten,  fur  die  glaubigen  Weisen  von  hohem  Ver- 
stande); <^  so  heifst  das  die  Geschichte  nnr  nach  einem  theolo- 
gischen  Schema  zurechtmachen,  ^ie  wir  sie  in  Dentschland  nach 
philosophischen  Kategorien  znrechtgfmacht  haben.  Btwas  Wahres 
bleibt  allerdings  anch  in  dieser  Scheraatisirnng,  dafs  namlich.die  eiii- 
fachste  and  allgemein  verataadlichste  Form  der  Lehre  anch  die  iUteste 
ist,  and  amgekehrt 

Ermans  Rosa.  Archiv.  Bd.  XL  B.  9.  18 


26(1  HMtorUch-lingiiiitbche  Wtssensobaften. 

Regel,  jene  unzahligen  Vorschriften  vorausseUen  durften,  wie 
0ie  in  der  Ablbeilung  Vinaya  enUialten  sind,  Vorschriften, 
welcbe  grofsentbeils  erst  entslanden  sein  konnen,  als  sich  be- 
reUs  ein  zahlreiches  Laieotbum  den  ^Beltlern'"  angescblossen, 
^ad  welche  meisiens  die  Beatimmung  %n  haben  scheioen^  den 
Clertis  von  den  Laien  scharfer  zu  sondern.  Aehnliches  gilt 
im  erh))blen  Maafse  von  der  Metapbysik  und  Philosophie.  Es 
hiefse  den .  eiofachen ,  ursprtinglichen ,  njenschlichen  Gharakter 
d«8  Buddhiamus  ganzlich  verkennen^  wenn  man  annehmea 
wojlte,  da&  iroU  der  pfailosophiscben  Anlage  der  Inder  ein 
Werk  von  dem  ungebeueren  Uinfange  der  PraUchn^  Para* 
mUa*)  und  zugleich  von  so  gnosUscher  UeberschweDglicbkeii 
und  verzweifeber  Speculation  und  Scbolastik^  —  so  zu  sa- 
gen  —  k^  dem  apostolischen  Zeitaller  desselben  entslanden 
sei.  Zwischen  diesein*Bucbe  und  den  einfachsten  Sutras  und 
Legenden  liegi  eine  grofsere  Kluft,  als  etwa  zwischen  dem 
Evangelium  und  Origines. 

Es  blieben  demnach  nur  die  Sutras  iibrigi  und  wirkUch 
iverden  diese  vorzi^gsweise  als  das  Wort  des  Stifters  verehrl, 
Doch  sind  dieselben  in  Sprache  und  Ausdruck,  Form  und  Ein* 
richtungsweisej^  so  wie  hinsichls  der  in  ihnen  herrschenden  re- 
ligiSsen  und  mylhologischen  Vorstellungsweise  so  verschieden, 
dats  sie'  schwerlicb  alle  dem  namlicben  Zeitalter  angehii- 
ren  k5nnen.  Man  unterscheidel  demnach  einfache  Sutras 
and  ausfyhrliche  oder  entwickelte,  welcbe  lelztere 
auch Sutras  „des  grofsenFuhrwerks**  genannt  werden  **). 
Die  ersteren  sind  schlicht  in  Aniagc  und  Slyl,  in  einer  zwar 
nicht  clas^ischpn,  aber  doch  einfachen  Prosa  verfafst,  die  nur 


*)  Sie  besteht  in  der  weitlaiiftigsten  Aosgabe  au9  100000,  ib  der  niitt* 
leren  ana  25000,  in  der  kieinsten  aas  8000  ArUkeln.  Diese  letzte 
liatte  Burnouf  (|).4a8)  zat  Hand. 

*)  Mahayana  Sutras,  gewohnlich  Satras  „der  grolsen  Ueberfahrt.** 
Lassen  erklarte  Mahayana  friiher  durch  y,groIise  Babn;"  hat  aber  spa^ 
ter  Bornonfs  Uebersetzong  ^grofses  Falirzeug.  oder  Fuhrwerk" 
(grand  yehicule)  angenommen. 


Etnige  Worte  iiber  <}en  Boddbismas.  2A6 

sellen,  wo  es  der  Gang  der  Darstellung  mii  sich  bringt^  durch 
poetische  Stelien  unterbrochen  \vird,  deren  Sprache  durchaua 
mil  der  Prosa  iibereinslinimt  Die  Gegenslande,  iiber  welche 
sich  der  Buddha  mit  seinen  Scliiilern  und  anderen  Personen 
unterredet  uod  iiber  welche  er  belehrt,  sind  mehr  moralischen 
als  metaphysischen  InhaUs;'es  sind  vor  allem  die  Buddhisti* 
schen  Tugenden:  Mitleid,  Keuschheit,  EnlbaltsancdLeit)  Ge- 
duld  a.  8.  w.  Der  Vortrag  ist  nicht  wissenschafUich,  dogma* 
tischy  sondem  practisch,  popular;  Gleichn^sse  und  L^eiideD 
werden  ersabli  und  die  Anwendung  daraus  gexogen.  Die 
Scene  ist  stets  die  Erde;  unter  den  Zuhorem  figuriren  aulser 
den  Menschen  nur  die  Brahmanischen  Devasailer  Art  **). 

Gans  anders  die  Sutras  y,des  grofsen  Fuhrwerks.**  Ihr 
Sty]  ist  breiter,  weitschweifiger,  verworrener^  die  Prosa  re- 
gelmiUsig  mit  Versen  gemischt,  und  zwar  so,  dais  die  poeli<« 
sehen  Parlien  nur  das  in  einer  anderen  Form  wiederholen, 
was  in  der  Prosa  scKon  gesagt  ist  Diese  versifizirten  Sliicke 
sind  nun  noch  dazu  in  eineni  von  der  letzteren  vollig  abwei- 
cbenden,  fast  barbarischen  Sanskrit  geschrieben.  Die  Scene 
spiel t  nicht  auf  der  Erde^  sondem  in  den  unsabligeni  phan* 
tasiischen  Buddhawelten,  und  in  den  Versammlungen,  welche 
den  Buddha  umgeben^  und  seinen  Worten  lauschen,  erblickt 
man  auch  Schaaren  von  Badhisatwas;  ein  Umstand,  der  in 
dem  einfachen  Sutras  niemals  vorkomml,  schon  debhslb  nichti 
well,  wie  es  scheint,  nach  der  alten  Lehre  nie  ein  Buddha 
und  Bodhisatwa  zugleich  auf  der  Erde  exisliren  konnen*^). 
Freilich  werden  auch  in .  den  gewobnlichen  Sutras  bisweilen 
Bodhisatwas  erwahnt,  namentlich  Mailreya,  ais  der  kiinftige 
Nachfalger  Schakyamunis,  aber  sie  werden  eben  nur  enviihnt, 
uad  treten  niemals  als  mithandelnd  auf.  Es  ist  femer  sebr 
charakteristisch  y  dafs  awei  Heilige  dieser  Gattung,  und  zwar 
die  im  Norden  gefeiertsten,  namlich  Mandschusrij  der  von 


*)  Bnrnouf  102  ff.    Zwei  einfache  Sotras  in  der  UebersetKung  eben- 

daselbit  74—98. 
*^)  Barnoaf  109. 

18* 


256  Historiscli- Unguis tisciie  Wistentcbaften. 

den  Chmesen,  Tibeianern  und  Mongolen  hochverehrte  Bod« 
hisatwa  der  Wissenschaft  und  Speculation,  und  Avalokiie-^ 
svara,  der  Beschutser  des  Glaubens  in  Tibet  und  bestandi* 
ger  Stetlverlreter  des  Buddha  auf  Crden,  nur  in  den  Sutras 
^ydes  grofsen  Fahrzeugs/'  abet*  nie  in  den  einfachen  genanni 

werden  *). 

Schon  aus  diesen  wenigen  Andeutungen  lafsl  sich  schlies- 
sen,  dafs  die  beiden  Arten  der  Sutras  nicht  gleichseitig  enl- 
standen,  sondem  Producte  verscbiedener  Entwicklungsphasen 
des  Buddhismus  sind,  und  dafs  die  einfachen  Sutras  eine  frii-* 
here  Stufe  desselben  reprasentiren,  als  die  enlwickelten.  Der 
Titel  selbst  deutei  darauf  hin,  —  und  er  isl  nichl  erst  von 
neueren  Gelehrten  erdacht,  sondem  findel  sich  bereits  in  den 
Handschriften.  Denn  was  soil  es  heifsen  „entwickelte*' 
Sutras,  wenn  dabei  nicht  unentwickelte,  d.  h.  einfache  voraus- 
gesetzt  werden«  Auch  der  andere  Titel  Mahayana-Sutra's, 
wie  der  Inhalt  selbst,  spricht  dafiir,  dais  sie  einem  Zeitalter 
angehdren,  in  welchem  die  Tri-yana,  d.  h.  die  drei  Miitel 
£ur  Ueberfahrt  aus  dem  Sansara  an  das  jenseltige  Ufer  dec 
Befreiung"^*),  oder  allgemeiner  gesagt,  hdhere  und  niedere 
Auffassungsweisen  der  Lehre,  je  nach  dem  MaaCie  der  FaUg* 
keiten  und  dem  Grade  der  Intelligenz  schon  unterschieden 
wurden.  Der  unmiUelbaren  Auffassung,  dem  einfachen,  so  lu 
sagen  — ^  historischen  Glauben  —  mufste  bereits  die  Gnosis, 
die  Pradichna  paramita,  d.  i.  die  transcendenlale Erkennt- 
niss  gegeniiber  getreten  sein,  und  ein  solcher  Gegensatz  des 
schlichten  Offenbarungsglaubens  und  des  philosophischen  Be- 
wufstseins  darf  den  Aiifangen  des  Buddhismus  so  wenig  vin* 
dicirt  werden,  wie  denen  des  Chris tenthums.  Wirklich  sind 
die  Solras  „des  grofsen  Fidirwerks''  durch  ihren  metaphysi* 
schen  Inhalt  sehr  nahe  der  Pradschna  paramita  verwandt;  ja 


•♦ 


•)  Ibid.  112  if. 
)  A.  Remusat  N.  Joarn  As.  VIll.  528.  Schott  I.  ts.  240.  Pie  schon 
oben  erwabate  Unterscheidang  der  ersten,  mittler^n  and  letz> 
ten  Worte  bedeatet  dasselbe  wie  die  Tri-yana. 


Binige  Worle  iib«r  d«n  Buddhknitu.  26T: 

es  ist  historisch  ausgemacht,  dafs  diejenige  Schule,  wdche 
dieselben  las  und  sich  der  grofsen  Ueberfahrt  befleifsigte,  tu- 
gleich  vorxugsweise  die  leUtere  verehrle.  Da2U  passen  auch 
die  in  jenen  so  haufig  auftretenden  und  den  einfachen  Sutras 
vollig  unbekannlen  Bodhisaiwas,  Mandsehusri  und  Avalokites^i^' 
vara;  denn  beide  und  ganz  besonders  der  erstere,  sind  fast 
nur  als  Personificationen  der  Pf adschna  anzusehen,  und  daber 
keinenlalis  alter,  als  diese  selbst,  d.  h.  als  die  Unterscheidung 
der  gemeinen  und  transcendalen  Erkenntniss  *).  Am  schwer- 
sten  falll  endlich  die  Sprache  ins  Gewichl;  sie  ist  der  Art, 
dafs  der  grofste  Spaeh-  und  Sachkenner  auf  diesem  Gebiete, 
aus  ihr  den  Schlufs  gesogen  hat,  die  entwickelten  Sutras,  na- 
mentlich  die  poeiischen  Theile  derselben  seien  gar  nicht  im. 
eigenllicben  Indien,  sondern  erst  in  Kaschmir  verfalst  wor«^ 
den'*). 

Haben  wir  daher  wirklich  noch  religiSse  Ut^unden,  welche 
aur  dem  ersten  apostolischen  Zetialter  des  Buddbismus  sU|m* 
men,  so  konnen  dies  allein  die  einfachea  Sutras  sein,  und  es' 
ist  nicht  unwahrscbeinlich,  dafs  einzelne  derselben  gleich  nach 
demTode  desStifters  von  seinen  Jiingern  aufgezeichnet  wor-- 
den  sind.    Dabin  gehdren  auch  jene  Legenden,  in  welchen 


*)  Schmidt  Memoires  de  Tacad.  de  Petcrsbourg.    VI.  s^rie.  T.  I.  99. 

4 

■  Fa-bfan,  der  chinesisclie  Reisend«  aiis  dem  Anfang[«  des  5.  Jahrliun- 
derts  n.  Cbr.  hebt  es  stets  mit  WolrigefalteA  hervot^  menn  er  aaf 
Kloster  trifft,  in  welclier  man  sich  der  grofsen  Ueberfabrt  beeifert, 
und  bemerkt  unter  andern  (Foe  Koue  Ki  p.  101):  Les  devots  aa  Ma 
ho  yan  (MahsLjana)  rendent  hommage  an  Pan  jo  pho  lo  mi 
(Pradjna  p4ra  mit£L)  k  Wen  tscha  sse  li  (Mandjusri)  et  k  Kou 
an  chi  in  (Mongoliscb  Chongschim  =  Araldkit^svara). 
**)  Burnonf  I.  c.  J'incHne  done  k  croire  qne  cette  partie  des  grands 
Sutras  doit  avoir  ete  r^digee  hors  de  Tlnde,  on  pour  m*exprimer 
d^nne  mani^e  phis  precise,  dans  les  contr^es  sitn^es  en  deca  de 
rindos  00  dans'leKachemire  par  exemple,  pays  ou  la  langue  satante 
dn  Br^bmaisme  et  da  Buddhisme  devait  dtre  cnltiv^e  av^c  moins  de 
succes  qne  dans  Tfnde  centrale,  p.  584  zu  vergl.,  wo  es  beifst:  C'est 
done  do  troisi^me  concile  qoMIs  emanent,  — -nicht  blots  die  versiiicir- 
ten  Stiicke,  sondern  die  ganzen  Sutras  des  grofsen  Fuhrwerkes. 


266  HistofriBch-lingnittiBche  WiMwiiBchaften; 

die  Anfange  der  Disdplin  nichl  systeouiibeh  enlwickeli,  son- 
dern  dorch  den  Gang  der  Erzahlung  yorgefiihrt  werden,  Le* 
genden,  die  von  deii  einfachen  Sutras  sich  so  wenig  unter- 
scheiden,  dab  z.  B.  in  Tibet  manche  von  Uinen  aui  in  die 
Abihdlong  D  o  (Sutra)  aufgenommen  warden  aind  *).  In  der 
That  9  was  konnten  onaiitlelbar  nach  dem  Tode  des  Meisters 
die' Jiingers  anderes  niederscbreiben,  als  dessen  Reden,  Ge- 
sprache  und  einzelnen  anecdotenahnlichen  Ziigen,  me  sieh 
dieselben  im  Gedachtniss  erhalten  hailen?  Die  Anecdote  anf 
dem  religiSsen  Gebiete  ist  ja  aber  eben  die  Legende.  Auf 
ahpliche  Weise  scheinen  die  Redeo  Christi,  %.  B.  die  Berg* 
predigl,  Unterhaltungeh  mil  den  JiiDgern  und  anderen  Ver- 
trauten  die  altesten  Cadres  der  Evangelien  au  sein.  Damit 
soil  jedooh  keinesweges  behauptet  werden^  wir  besafaen  jene 
altesten  Urkunden  noch  ganz  in  derselben  Fassiing  nnd 
Redaction,  wie  sie  im  L  Jafare  naeh  dem  Nirvana  zuRad- 
schagriha  aufgezeichnet  worden ;  es  bt  im  Gegentbeil  niii  Ge*^ 
wissheit  anzunehmen,  dafs  auf  den  folgenden  Concilen  sich 
der  Text  den  fortschreitenden  Veranderangen  der  Tradiliotty 
der  mythologischen  Vorstellungen,  des  Dogmas  und  weM 
auch  den  Auslegungm  der  berrschenden  Parte!  oder  Sehule 
hat  fiigen  miissen,  und  in  diesem  Sinne  umgestaltet,  revidirt 
und  intropolirt  worden  ist. 

Im  ersten  Jahrhunderte  nach  dem  Tode  des  Buddha  ist 
es  noch  zu  keiner  Spaltung  iiber  den  Lehrbegriff  gediehen, 
mithin  kann  bis  dahin  auch  von  Buddhislischen  Schulen  nichl 
die  Rede  sein.   Zwar  giebt  es,  wie  gesagt,  unter  diesen  solche. 


*)  Kb  yenteht  sich  von  selbst,  daf»  nicht  alle  Werke  dieserArt  fur  gleich 
^t  gelten^  and  dafs  einzelne  Ton  iboeii  erwiescner  MaaliMn  oniiH^ 
lich  auf  dem  ersten  Concile  aiifgezeicbnet  sein  konnen,  z.  B,  dieje- 
Qigen,  in  denen  Begebenlieiten  and  Personen  erscheinen,  oder  aach 
nor  propketisch  vorher  verkiindet  werden^  welobe  einer  spateren  Pe- 
riode  aageboren.  Wenn  z.  B.  in  einer  Legende  der  scbwaree  Asoka 
aaftritt,  in  einer  andren  Dbaroiasoka  die  Haaptrolle  spielt,  so  kann 
jene  oatarUch  erst  nach  der  zweiten>  diese  erst  nacb  der  dritten  Sy- 
node  ?erfa(st  worden  sein. 


Blaise  Worts  nbcr  den  Buddbuimii.  260 

die  uniirittell>a?e  Schuler  Sbakyftiminis,  ja  dessen  Solini  als 
ihre  Stifter  verehren ;  indeb  diese  Angaben  sind  gerade  so 
glaubwiirdig,  wie  die  Pratensionen  mancher  christlichen  Orden 
und  Insiitate,  welche  ihre  Cnlstehimg  auf  das  Paradies  oder 
auf  die  Patriarehen,  auf  die  Pr#pheten,  oder  doch  aiifChristus 
und  die  Aposkel  suriididaUren^  AiH^h  stehi  ea  mit  diirren  Wot« 
ten  in  der  ofi  angefiihrlen  Chronik  von  Ceylon,  dais  bia  sur 
Berufung  des  zweilen  Concils  nur  ein  einzigea  Schisma 
ausgebrochen  sei,  und  zwar  lediglidi  binsichls  der  Disci- 
plin  *),  und  e^  ist  an  aioh  naliiriicb,  dafs  man  iiber  die  praelische 
Seile  des  ,yg9ten  Geselzes''  friiher  in  Zwiespall  gerielh,  als 
Uber  die  bloa  theoreiiaefae.  Es  war-  in  der  cbrisUichen  Kirche 
ja  eben  so;  deon  bei  dem  ersten  Schisma  —  wenn  icb  es  so 
nennen  darf  — -  handelte  es  sich  in  dieser  ebenfalis  um  die 
Diseipiin,  d.  h.  um  die  Verbindlichkeii  des  judisdien  Ceremo- 
nialgesetses.  Zebntausend  Priester  —  so  heilst  es  —  batten 
am  Ende  des  ersten  Jb>hrhuhdeits  n.  B.  zehn  verbotene  Hand- 
limgen  fur  erlaubl  erillari,  z.  B«  berauscbende  Getranke  zu 
geniefsen,  goldnen  und  silbernen  Schmuck  zu  lragenu.dgl.  **), 
rait  dieser  Angeiegenheit  haiie  es  die  zweite  Synode  zu  &un. 
Sefaon  daduroh  wird  es  wahrscheinlichy  dafs  diese  Versamm*. 
lung,  gemals  dem  Zweeke  ihrer  Berufung  und  da  iiber  das, 
Dogma  selbst  ketnSireit  obwaltete,  sich  bei  der  Revision  und- 
Ei^phizung  der  heiligen  Schriften  vorzugsweise  mit  den  Disci* 
plinargesetzen  beschaftigte.  Doch  haben  wir  dariiber  auch  ein 
ausdriickliches  Zeugnifs.  Der  oben  in  der  Note  erwahnteFa* 
hi  an  berichtet  namlich:  100  Jahre  nach  dem  Nirvana  hat  in 
Vaisali  ein  Bhikschu  die  10  Normen  des  Wandels  zu- 
sammengestellt  und  sie  mit  den  Crklarungen  Badd- 
has  vers  eh  en.     Zu  derseiben  Zeit  haben  Archan>  seiche 


'}  MahaTanto  Cap.  V.  Dariag  the  first  century  after  tbe  dm^h  of 
Boddbo,  there  was  bot  that  one  schism  among  the  tii^ros.  It  was 
subsequent  to  that  Berioit  that  tlie  olber  schisms  ainong  tii^  preceptors 
took  -place. 

**j  Ibd.  C.  IV.     Lassen  II.  84.  ' 


270  Historisch-lingttiBtisehe  WiMentchafleii. 

das  Geselz  beobachielen  und  Bhikschu,  die  sammllieh  vor- 
iri^ffliche  Manner  waren  —  es  waren  700  Priesler  —  noch- 
mals  den  Behalter  der  Gesetze  unlersucbt  *). 

Erst  nachdem  zu  Vaisali  die  MSnchsregel,  wie  es  scheint, 
in  aller  Ausfiihrlichkeit  enlworfen  und  festgesiellt,  das  Kloster- 
leben  vollslandig  organisirl  und  damii  zugleich  der  Clerus  von 
den  damals  gewifs  scbon  zahlreichen  Laien  sirenger  geschie- 
den  worden,  begannen  die  dogmaliscben  Sireitigkeiten  und 
Parteiungen.  Zufolge  der  Singhalesischen  Annalen  sind  in 
dem  zweiten  Jahrhunderie  n.  B.  deren  nicht  >veniger,  als  sieb- 
zehn  bervorgelreten.  Die  Veranlassungen  ihres  EnUiehens, 
die  Grundsatze,  in  welchen  sie  bertihli  werden  freilich  nieht 
erwahnty  sondem  nur  die  Namen  genaant;  indets  kennen  wir 
wenigstens  einzelne  derselben  aus  anderweiligen  Angaben* 
Nach  der  Einieitung  des  Kah-gyur  sind  nainlich  die  beiden 
altesten  Buddhislischen  Seclen  oder  Scbulen  die  Vaibha- 
shika*s  und  Sautxantika's.  9,Die  ersleren'*  -^  so  laulet 
der  Bericbt  —  „siehen  auf  der  unterslen  Slufe  der  Specula- 
tion; sie  nehmen  Alles,  was  in  den  heiligen  Biichem  steht, 
im  allergewohnlichsten  Sinne;  sie  glauben  an  AUes  und  dis- 
putiren  iiber  Nichts.  Die  zweite  dagegen  besteht  aus  Anfaan- 
getn  der  Sutras;  sie  theiltsich  in  zwei  Schulen,  von  denen 
die  eine  AUes  durch  Stellen  der  heiligen  Bucher  beweiseo 
will,   wahrend    die   andere  dazu  die   Argumentation    anwen- 


*)  So.  nacli  Neamanns  Uebersetzong,  Zeitschrift  fur  Kunde  des  Mor- 
genlandes  III.  116.  Nach  A.  Rem'nsat,  von  dem  Neamann  bebaoi>- 
tet,  er  babe  die  Stelle  mifsyerstanden^  laiiten  die  Worte:  Cent  ana 
apr^a  que  Fo^  fot  entre  dans  le  Ni  huan  (Nirvana)  on  mendiant  de 
Pi  che  li  (Vaisali)  recaeiliit  ses  actions  et  toot  cte  qui  a  rapport 
aux  dix  defenses  de  la  loi,  en  les  accompagnant  de  paroles 
mdmes  de'Fo^.  Cest  ainsi  que,  dans  un  temps  pins  proohe,  ane 
reunion  d^Archans  et  de  mendiants,  qni  tenaient  les  preceptes  et  qai 
6taient  tons  docteurs,  en  tout  sept  cents  religieux  examin^ent  de 
noQvean  le  tr^sor  des  lois.  Das  y^c^est  ainsi''  —  ,,pliis  procbe**  giebt 
allerdings  einen  ganz  Verkebrten  Sinn. 


Einige  Worte  iihar  den  Buddliifmos.  271  ^ 

* 

del""  *)*  Die  Vaibhashikas*  serfielen  in  vier  HauptsweigOi  und 
zur  Zeil  des  lelsten  Concils,  des  lu  Kaschmir,  in  achUehn 
Unlerabtheilungen ,  deren  Namen  bekannl  sind.  Von  diesen 
finden  sich  nun  mehrere  unter  denen  wieder,  die  nacb  dem 
Geschichlsbuche  von  Ceylon  schon  in  dem  Zeitraum  zwischen 
der  sweiien  und  driUen  Synode  enteianden  sind,  namentlich 
die  Schule  Maha-samghika,  oder  die  „der  grofsen  Ver- 
sammlung/'  welche  als  die  aliesle  unler  alien,  bezeiohnet  wird, 
und  unmillelbar  in  Folge  der  Beschliisse  des  Concils  zu  V^i- 
sail  aufgelauchi  sein  soil  *').  Nach  derselben  Quelle  ist  auch 
die  Suira-Secle  (Sautrantika)  in  der  namlicben  Periode  enU 
staadenj*).  Dies  ist  freilich' AUes,  was  sich  nachweisen  lafst. 
Die  beiden  anderen  SchuleUi  welche  im  Kah-gyur  aufge&ablt 
werden,  gehoren  nach  dem  Zeugnisse  der  Tibelaner  selbsl, 
einer  viel  spaleren  Zeil  an. 

Es  ist  demnach  gewifs,  daCs  sehon  vor  dem  Concile  von 
Pattalipuira  und  vtfr  der  grofsen  Mission  Spaliungen  nnterden 
Glaubigen  iiber  die  AutoriUit  der  heiligen  Schriflen,  iiber  Aua- 
legung  und  Erklarung  derselben  ausgebrochen,  und  mannich-* 
faUige,  einander  widersprechende  Theorien  iiber  Auffassung 
und  Verslandnifs  der  Lehre  sich  eniwickeli  haben.  Da  wir 
nun  zugleich  wissen,  dafs  in  der  gedachlen  Periode  viele- 
Brahmanischen  Einsiedler  das  gelbe  Kleid  nahmen,  sich  unter 
demselben  in  die  Kloster  einzuschleichen  wufsten,*  und  mil 
den  Bhixu  zuisammenlebend,  Irrlehren  unier  diesen  verbreite- 


*)  A.  Ctoma  Korosi  ^Nodcei  of  the  different  tysteDis  of  Bnddbism** 
im  Joarn.  of  the  As.  lOO.  of  Bengal  T.  VIH.  142  ff.  Zeitschrift  fur 
Knnde  d.  Morgenl.  IV.  491.    Barnouf  1.  c.  447. 

**)  Mabayanso  1.  c.  Audi  die  Cbinesen  kennen  dieselbe  unter  dem  Na- 
men Mo  ho  aeng  tscbi.  Sie  bildet  die  zweite  Hauptabtbeilung 
der  Vaibbasbika.  Nocb  drei  Unterabtbeilangen  der  letzten  werden 
in  der  bezeicbneten  Stelle  des  Mabavanso  erwSbnt 

i*)  Idi  setae  dabei  Torans,  'dab  das  in  der  gedacbten  Stelle  des  Maba- 
▼anso  genannte  ^^Schisma  der  Sntias**  niebts  andres,  ab  die  Kntste- 
bung  der  Sautrantika  bedeute. 


272  Hittoilich-lingnifltisehe  Wissensehallen. 

ten^);  so  darfen  wir  wohl  annefamen^  dafs  diese  Irriehren  mil 
jenen  Spallungen  im  Zusammenhange  siehen.  Wie^grofs  oder 
gering  aber  auch  diese  Einfliisse  angesehlagen  werden  mSgeii, 
die  nach  der  innersten  Natur  des  Brahmaismus  vorwiegend 
pbilosophischer  Art  sein  mufslen  **)\  so  viel  scheinl  ausge- 
macbt :  entweder  bat  sicb  damais  uberbaupi  erst  das  specula- 
tire  Element  des  Buddbismus  von  dem  moraKsch^ascetiscben, 
mit  dem  es  in  den  Sltesten  Sutras  noch  innig  verschmolzen 
un'd  dem  es  gewissermafsen  unlergeordnet  ist  —  losgetrennt 
und  sicb  als  ein  besonderer,  dritter  Theii  der  Lehre  aussu- 
bilden  begbnnenf);  —  oder  wenn  der  Tripitaka  wirkUchschon 
friiber  vorbanden  war,  und  mitbin  die  Metapbysik  (Abhidharma) 
scbon  als  ein  eigener  Zweig  der  Offenbiarung  anges^n  wurde, 
so  ist  docb  ersi  in  dem  zweiten  Jabrbunderte  nach  B.  die 
pbilosophiscbe  Ricbtung  mebr  in  den  Vordergruod  getreien 
und  bat  sicb  in  die  Breite  bin  und  sjstematiscb  zu  entwickein 
angefangeii.  Gerade  der  Umstand,  dafs  He  beiden  alteslen 
Secteny  deren  Ursprung  bis  in  jene  Zeit  zurbckdalirt  werden 
mufsy  auf  der  untersten  Stufe  der  Speculation  steben,  zeugt 
dafiir,  dafs  es  erst  damais  zum  Conflict  zwiscben  dem  blofsen 
Autoritatsglauben  und  der  speculattven  Auffassung  gekommen 
sei.  Ganz  besonders  gilt  dies  von  den  Sautrantikas.  Dean 
nacb  der  Definition  eines  Nepalesischen  Commentars,  die  ety- 


*)  Mahavanso  V.  in  TomoDrs  Epitome  |>.  42.    Lassen  U  c  230. 

**)  Docb  tragen  sie  aoch  zor  Schwachung  der  Disciplin  bei,  namentlich 
warden  die  Fasten  nicht  mebr  beobacbtet,  was  eben  die  unmittelbare 
Veranlassong  znr  Bernfnng  des  dritten  Concils  wurde. 

f )  Ans  der  scbon  oben  angefabrteii  Stelle  des  MahaTanso  oKer  das  erste 
Concily  wie  aas  Tielen  andern,  die  man  z,  B.  in  G.  Tornoar^a  ,,Exa- 
mination  of  tbe  Pali  Baddhistioal  Annals"  im  7.  and  8»  Bande  des 
Joam.  of  the  As.  society  of  Beng,,  namentlich  im  S.  Stiick  aentreat 
findet^  lie&e  sicb  sehr  wobi  die  Behaoptnng  aaCstellen  and  vertbei- 
digen,  der  Buddbistische  Canon  babe  anfangs  nor  aas  zwei  Tbeilen, 
namlicb  Dharma  and  Vinaya  bestanden,  und  zwar  so,  dafs  d«r  er- 
stere  aafser  den  Satras  nnr  einige  srilgemeinere  Grandsatze  4ind  Glaa- 
bensformein  entbielt. 


Rinige  WoH^  iiber  dm  B«ddhiMniiff.  273 

iDologiscber  und  genauer  ist,  ak  J0B^  im  Kak*gyur,  benennl 
man  mil  diesen  Nameii  diejenige  Sede,  ,yWeldie  die  Sutras 
und  nicht  die  Biicher  (Abhidharma)  als  AutoritSt  anerkennt'^ 
Oienbar  ist  hiernaeh  diese.  Seeie  in  dem  Zeitpuncle  enlstaa- 
den,  in  welchem  man  ahfing,  philosophische  Werke,  welcbe 
bisher  nichi  far  iiis{Hrirt  gegolten  haiten,  fiir  Offenbarung,  fiir 
das  Wort  des  Stifters  auszugeben.  Der  betreffende  Coiqm«B«- 
tar  liefert  iiberdies  positive  Zeugnissey  dab  sogar  Buddhistische 
Gelehrie  und  BrklSrer  der  heil.  Scfariften  die  Bucher,  welcbe 
den  Titel  Abhidharma  fbbren,  nicbt  fiir  unmittelbares  Wort 
des  Buddha  gehalten  haben*^).  Endlich  —  und  das  ist  die 
Hauptsache  —  der  Inball  jener  BScher  beweist,  dafs  sie  von 
den  Sutras  abhangig,  imis  diesen  ausammepgetragen,  folglicb 
aocb  spSter  ais  diese  entworfen  worden  sind.  Denn  dieThe* 
sen  Yon  denen  sie  ansgehen,  die  Grundgedankea,  welcbe  sie 
enlwickeln,  haben  sie  wdrilicb  aus  denselben  enilehnti  und  sie 
selbst  sind  in  Wahrheit  nichts  Andres,,  als  weitlauUige,  syste- 
matisebe  Ausfiihrungen,  dialectiscbe  und  speculative  Begriin* 
diuigen  von  Dogmen,  metaphysischen  Satzen  und  Prineipienv 
die  sich  in  den  Sutras  zerstreut  linden  **). 


*)  Bornoof  41.  „Le  livre  qui  renf^Smie  la  m^tapbyiiqae  n^n  pat  M 
expofl^  par  le  Buddha"*,  beilM  ea  in  jenem  Commentar.  An  eiaer  aa* 
deren  .8taUe  aagt  der  Commentator  (p.  447):  „Tel  eat  le  aentiment 
de  ceux  qui  aoWent  TAbhidbarma;  maia  ce  n'est  pas  celni  de  nbaa 
aotrea  S4otr4ntikas.  La  tradition  nona  apprend  en  eifet  Texistence 
d*aateon  de  traitea  aor  TAbbidbarma,  comme  par  esempiey  TAfya 
Katjayani,  lo'  Slbavira  Vaaomitra  etc.  Qael  eat  le  aena  do  mot  S4a- 
triotikaa?  On  appelle  ainai  ceax  qvi  prennent  poor  antorite  leaSft- 
traa  et  non  lea  Uvrea*  Maia  a*ite  ne  prennent  pas  pour  autorit^  lea 
liTreS)  comment  doacadmetteot-ila  la  triple  division  des  iivres  en 
Sotra  pitaJsa,  Vinaya  pitaka  at  Abbidharma  pitaka?  On  parte  en  effet 
de  l*Abliidbarma  pitaka  dana  lea  S&traa,  k  Tendroit  ou  il  est  question 
d'un  Religienx  conaaissant  le  trois  pitakas  etc.  Pour  repondre  b 
cette  abjection  I'aotenr  dit:  C'est  qoe  PAbhidbarma  a  6t6  ex- 
poa^  par  Bhagavat  an  milieu  d'antres  mati^res. 

♦*)•  tbid,  454  ff. 


274  Hittoritch-Ungiibtische  WiMensehaften. 

Und  was  folgi  ans  diesem  Allen? 

Dafs  bei  der  dritlen  Redaction  der  heiligen  Biicher  zu 
Pattali{>utra  sieh  die  Thatigkeit  der  versamnielten  Valer  -vor- 
ziigHch  der  Abtheilung  Abhidharma  zugewandt,  und  eniweder 
diese  iiberhaupt  erst  geschaffen  oder  doch  darch  Auhahme 
neuer  Stiicke  in  den  Canon  wesentUcb  vemciehrt  und  erwei- 
iert  haben  mufs. 

Wir  dorfen  defshalb  jedoch  nichi  annebmen,  dafs  jene  so 
zaMreichen,  und  zum  Theil  massenhaften  Werke,  welche  bei 
den  nordlichen  Buddhisten,  namenilich  in  Tibet  zu  derselben 
gehoren,  sfimmtlich  schon  aus  dieser  Redaction  hervorgegan- 
gen,  und  dafs  andrerseits  die  Buddhistische  Speculation  sich 
schon  damals  zu  jener  scbwindelnden  H5he  erhoben  babe, 
auf  der  wir  sie  z.  B.  in  der  Pradscbna  paramila  erbKcken. 
DasErstere  ergiebt  sich  schon  daraus,  dafs  im  Singbaiesischen 
Canon  der  Abidharma  pitaka  an  Umfang  der  geringste  unier 
alien,  und  von  der  entsprechenden  Abtheilung  des  Kah-gyur 
unendiich  an  Starke  iiberlroffen  wird*)«  Andrerseits  fehtt  in 
demselben  die  Pradscbna  paramita,  die  ja  allein  schon,  selbst 
in  der  gedrangteslen  Ausgabe  eben  so  viel,  )a  wohl  mehr 
Raum  einnehmen  wiirde,  als  der  ganze  metapbysische  ,,Behal- 
ter  der  Singhalesen/'  Auch  das  in  ihr  entwickelle  und  auf 
sie  gesliitzte  System  der  transcendenten  Erkenntniis,  der  ,>gros- 
sen  Ueberfabrt*'  und  was  damit  zusammenbangt  schdnt  auf 
Ceylon  unbekannt  zu  sein^*),  ist  jedenfalls,  —  wenn  es  an- 


*)  Er  besteht  aas  7  sehr  sehwacben  Banden^  die-zaBammen  nur  613 
BIStter  zahlen;  aof  die  Seite  kommen  & — 10  Linien.  Ich  fcann  die 
Seitenzahl  der  21  Yol.  Sher-cbin  imKah-gynr  augenblicklfch  nicbt 
angeben,  docb  sind  sie,  so  Yiel  icb  mich  entsinne,  sammClicb  starker, 
als  jene.     Vergl.  Journ.  -of  the  As.  soc.  of  Bengal.  VTT.  527. 

*'*')  Ich  wenigstens  finde  in  den  mir  zn  Gebote  stebenden  Anseiigen  und 
Uebersetzongen  beiliger  B'dcher  keine  Spar  davon.  Der  bei  den  Sin- 
'  ghalesen,  wie  bei  den  nordlicbeh  Baddhisten,  gebrancbliche  Titel 
„k1eine,  mittlere  und  grofse  Sammlnng'*  fiir  Abtheilungen 
der  Sutras,  oder  drei  der  sogenannten  Agamas,  bat  nicbt  denselben 
Sinn,  wie  die  Dnterscbeidung  der  ^ersten,  inittleren  und  letz- 


Binige  Worte  iiber  den  BoHdhisiinis,  275 

ders  hier  vorkommen  sollle  —  wieder  eaiwickelt,  als  im  Nor<^ 
den.  Wenn  ferner  die  obige  Annahme  richtig  isl,  dafs  die 
aosfuhrlicheu  Sutras  erst  in  Kaschmir  enlstanden  sind^  so 
wiirde  schon  daraus  folgen,  dafs  die  Pradschna  paramita  nocb 
nicht  auf  dem  dritien  Concil  zu  Pattaliputra  aufgezeicbnet 
Oder  in  dem  Canon  aufgenommen  sei.  Denn  die  Verwandt-^ 
schaft  derselben  mil  jenen  in  Inhalt  und  Vorstellungsweise, 
wie  in  Styl  und  Sprache  ist,  wie  gesagt  der  Art,  dafs  sie, 
als  systematisches  Werk  wohl  spater,  aber  nicbt  friiber,  wi^ 
jene  verfafst  sein  kann,  beide  iibrigens  uiuthmaislicb  dernam- 
licben  Redaction  angehoren*).  Alle  diese  Annabmen  undVer«> 
molhungen  und  Folgerungen  erbalten  endlieb  in  letalev  instans 
ihre  Bestatigung  dadurch^  dafs  nach  der  scbon  erwahnlen 
Sielle  in  der  EinleituAg  zum  Kab*gyur  die  strong  philo* 
sophiscbe  Secte^  die  nocb  jelzt  in  den  boberen  Scbulen  von 
Tibet  berrscbt  und  sicb  ganz  auf  die  Pradscbna  paramita 
stiitzt,  erst  400  Jahre  n.  B.  von  den  beriibiiiten  Pbilosopben 
und  Kircbenvater  Nagardguna  von  Kascbmir  gesliftet  sein 
soil  ♦♦). 

Der  gegenwartige  Stand  der  Frage  iiber  dieConcile  und 
das  Alter  der  beiligen  Bilcber  ist  zum  Scblusse  kurz  folgen- 
der.  Es  ist  wabrscbeinlicb,  dafs  die  Singbalesen 
und  die  von  ibnen  abbangigen  Siamesen,  Birmanen 
in  ibrem  Tripitaka  wirklicb  die  Redaction  vonPat- 


tea  Wprte,"  die  nur  imNorden  Yorkomnit.  Aucb  die  beiden  schon 
oben  besprocbenen  Bodbisatwas,  die  za  dem  Mabayana  in  so  naber 
Beziebnng  steben,  Mandscbasri  und  Avalokiteayara,  scbeinen  auf 
Cejlon  nicht  einmal  dem  Namen  nach  bekannt  zu  sein. 
*)  Burnoof  438:  II  eziste^  qnant  k  la  redaction  et  au  style,  une  analo- 
gie  incontestable  entre  les  Sfttras  V4ipalyas  et  les  livres  de  la  Pr&djna 
p4ramit4.  Le  cadre  des  diverses  redactions  de  la  Pr&djna  eU  ex- 
actement  ceini  de  tel  des  Sutras  d^velopp^s  qu'on  youdra  choisiretc. 
)  Namllcb  die  Scbule  Madbyamika.  Die  Singbalesen  setzen  den 
Nagardgana  Toljends  erst  500  Jahre  nach  Baddba,  welche  Angabe 
Lassen  fiir  die  richtige  halt.  Ind.  Alterthumskunde  5S»  460*  Csoma 
Korosi  1.  c. 


*• 


^^  Hittoriflch-lingniatisclie  WUsenschaft^n. 

talipuira,  die  ndrdlichen  Buddhisten  dagegen  die 
von  Kaachmir  besitzen*),  mit  der  EinschriEnkong  jedoeh, 
dafsdie  letzleren  aucb  noch  spater  Manches,  s.  B.  die  Tmi* 
H'as  in  ihrem  Canoji  aufgenommen,  und  dais  die  Cbinesen 
aflem  Anscheine  nach  beide  Redactionen  gekannl  baben  **)• 
Gewifsbeit  hieriiber  ist  erst  von  kiinftigen  Untersuchungen  %u 
erwarten,  namentlicb,  wie  gesagt,  voil  einer  votislandig  dorcb- 
eufiifarenden  Vergleichung  der  heiUgen  Schriflen  von  Ceylon 
mil  denen  von  Nepal  f)» 

Es  ist  klar,  dab  auch  fiber  die  gesammie  innre  Eniwick-* 
hing  und  stufenweise  Ausbildung  der  Dogmalik  und  Mytho- 
logie  in  dieser  erslen  Periode,  mebr  oder  weniger  auch  des 
CuUus,  nur  aus  jener  Vergleicbung  und  iibnlichen  kriliscben 
Forschungen  sicbere  und  mannigfallige  Aufschlusae  gewonnen 
werden  konnen.  Ich  wende  mich  deCshalb  von  den  Concilen 
sogleich  zur  Gescfaicbte  der  Ausbreilung  des  Glaubens, 
der  Bekehrungen,  der  Missionen. 

Von  den  ersten  beiden  Jahrhunderten  des  Buddhismus 
ist  in  dieser  Beziebung  wenig'  zu  sagen.     Zwar  lesen  wir  in 


^)  Diese  Ansicht  hat  —  so  yiel  ich  weiss  —  zuerst  Jaquet  aosgespro- 
chen.  Journ  As.  III.  Serie  T.  IV.  p.  153^  170.  Sein  Versprecbenf 
dieselbe  ansfuhrlich  zu  begninden,  wurde  dnrcb  seinen  kiirz  daranf 
erfolgten  Tod  yerhindert  Er  88gt  unter  Andren:  II  suitt,  pear 
aatoriser  la  premiere  partie  de  cette  conjecture,  d^observer  que  lea 
Chinois  reconnaistent  expressement  que  la  redaction  des  ecritures 
bouddhiques  re^ue  k Ceylon  est  cette  de  rintronis^tion,  c*est 
a  dire  la  redaction  compilee  k  Pataliputra  sous  le  r^ne  de  Dhar- 
masoka, 

**)  K.  Jaquet  168. 

f )  Das  Endresultat  der  Untentichangen  Burnonfs  iiber  die  lelzteren  bin- 
siehts  ihres  Alters  ist^  dies  (597)  :^  Je  crois  que  la  yerit^  se  tronrera 
dans  Tadoption  simaltan^e  de  ces  deux  bipoth^ses,  savoir  que  nous 
poss^dons  h,  la  fois  et  d^anciens  livres  emanes  soit  de  la  premiere, 
soit  de  la  seconde  redaction  ^  niais  modific^es  pour  la  revision  des 
Religieux  contemporains  de  Kaniefaka  et  des  litres  toot  &  fiiit  nou> 
reanx  introduits  par  Teutorit^  souveraine  de  ce  dernier  ediNsile  ou 
m^nie  de  queique  sage  influent,  comme  N&gdrdjuna. ' 


Binlg«  Worte  uber  den  Buddliismus.  277 

den  Sulras  und  Legenden  vou  hSufigen  Bekeluungen,  Wi« 
der  Buddha  und  seine  Schiiler  einzelne  Konige,  Hunderte,  j« 
Tausende  von  Brahmaneii,  Kriegern,  Kaufieulen,  Handwer* 
kern  u  s.  w«,  fiir  das  geistliche  Leben  gewinnen;  wir  lesra 
von  mehr  ak  einer  Million  Priester,  die  sicb  sum  zweiten  Con- 
eile  versammelt  haben  sollen:  indeasen  dergleichen  Angaben 
wtrd  niemand  hislorischen  VVerlh  beilegen*  Ausgemachl  asi 
alleio,  daCs  die  neue  Lehrei  die  suvorderst  nur  fiir  eine  be- 
sondere  Species  der  Ascese  neben  vielen  anderen  gali,  sich 
von  Anfang  an  zwar  nicht  gans  ohne  Widerstandi  jedoch 
ohne  eigentlichen  Conflict ,  obne  blutige  Verfolgung  still  und 
gerauschlosy  aber  verhaltnifsoiarsig  schnell  und  in  sichereoi 
Forischritte  ausgebreitei  bal;  doch  scheini  sie  innerhalb  des 
angegebenen  Zeitraumes  nur  ihre  nachsie  Heimath,  namlich 
Bebar  und  Aude,  aber  noch  nicht  die  Grenzen  Hindostans 
uberschritten  zu  haben  *), 

Unterdess  trat  ein  Ereigniss  ein,  dafs  fur  die  Bildungsge- 
schichte  der  Inder  keinesweges  so  spurlos  voriibergegangen 
ist ,  als  man  oft  gemeint  hat  —  der  Eroberungszug  Alexan- 
ders **)•  Ich  behaupte  nun  zwar  nicht,  dafs  die  Einnahme  des 
Penjab,  die  Griindung- griechischer  Stadle  in  demselben,  das 
Entslehen  griechischer  Keiche  an  den  Grenzen  Indiens  unmit- 
telbar  dazu  beigelragen  babe,  den  freieren  Ideen  desBuddhis- 
mus  in  Hindostan  selbst  mehr  Eingang  zu  verschaffen  und  den 
Sieg  zu  erringen,  den  er  zwei  Menschenalter  nach  Alexander 
iiber  das  Brahmanenlhum  feierte;  aber  es  ist  historisch  aus- 
gemacht,  dafs  der  eroffnete  Verkehr  mit  dem  Wesien,  mit  der 


•* 


*)  Nar  ein  eiiiziges  Zeognils  -^  to  weit  meine  KenntniOi  reicbt  —  laliBt 
sich  hiergegen  anfuhreo.  Der  Cbinese  Ma-tuan-liA  namlich  be- 
richtet,  daOi  schon  im  Jahre  292  t.  Chr«  ein  BuddbittiBcher  Thnrm 
in  dem  Lande  :der  kleinen  Joetschi  gefanden  sein  soil.  A.  R^- 
mosat  N.  Melanges  As,  124.  Neomann  >,Pilgerfabrten  Buddhiaiiscber 
Priester  in  der  Zeitschrift  far  histor.  TheoIogie,.Bd.  HI.  122. 

)  Einzelne  geistreicbe  Andeutnngen  uber  dies  Thema  in  einem  nach- 
gelassenen  Atifsatze  E.  Jaqaets  iiber  die  indo-scythischen  Monzen 
im  Joorn.  As.  Ille  S^rie  T.  IX.  64  ff. 


278  Historisch-linguietische  WiBsenscbaften. 

griechisch-macedonischen  Welt,  vor  allem  mit  Alexandria,  zih 
ersi  den  Blick  der  Inder  iiber  ihr  Land  und  ihre  Nationalitat 
hinaus  erweiteri  und  so  in  ihnen  zuerst  die  Ahnung  der  all- 
gemeinen  Menschheit  und  Menschlichkeit  erweckt  hat.  Dafs 
diese  Erweiterung  des  Horizonts  dem  nichi  einmal  nationalen, 
8ondern  nur  kastenmafsigen  Brahmaismus  nieht  zu  gute  kom*- 
men  konnle,  verstehl  sich  von  selbst;  wohl  aber  mnlste  der 
Buddhismus  bald  dutch  sie  angezogen  werden,  in  dessen  in- 
nersten  Wesen  es  schon  an  sich  lag,  die  Scbranke  des  bios 
Volksthiimlichen  zu  durchbrechen,  und  in  so  fern  hat  aller* 
dings  der  Eroberungszug  Alexanders  und  die  Verhaltnisse, 
welche^sich  aus  demselben  entwickelten,  den  Buddhisti- 
schen  Missionen  den  Weg  in  die  westlichenLander 
gebahnt.  Ohne  den  Macedonier  wiirde  die  Idee  der  Mission 
zu  barbarischen,  nicht-indischen  Vdlkern  wahrseheinlich  erst 
Jahrhunderte  spater  aufgetaucht  sein. 

• 

(ForUeCzong  folgt.) 


Ueber  die  Bedeutung  der  alMavisehen  Gotsen* 
bilder,  welche  Wladimir  in  Kiew  aufstellte.  ♦j 


Die  Mylhologie  der  russiscben  Slaven  theill  sich  nach  ihmt 
Quellen  in  twei  von  einander  votlig  verschiedene  ^^jirra, 
die  GoUheiUn  des  Volksglaubens  und  die  Gdtzen  der  histari*> 
schen  Zeit:  die  einen  erhiellen  wir  auf  dernWeg^  miindlicher 
Ueberlieferung  in  Mahrchen  und  Liedern ;  die  anderen  wurden 
in  Chroniken  und  anderen  sehriftlichen  Denkmalem  aufbewahri. 
Die  Namen  der  bei  Netior  erwahnien  G5l£en  leben  nicht  im 
Munde  desVolkes,  wogegen  Schtschura,  Jaryla,  die  Ru* 
«alka's  und  der  Ljeschnji  (Waldgeisl)  den  alien  Urkunden 
fremd  sind,  obgieich  schon  die  Laute  dieser  Namen  fur 
ihven  einbeimischen  Urspruog  zeugen,  wahrend  Perkun, 
Chorg  und  Semagla  keinen  tlavischen  Laut  haben  und  an* 
deren  Volkern  erborgte  Namen  sind.  Zwar  findet  man  unter 
den  auslandischen  fieneimungeii  von  Gotzen  auch  daige  rns- 
sische,  wie  Dajbog,  Rod,  Rojeniza  u.  dergl.;  doch  leben 
auch  sie  nicht  im  Volke  und  sind  seinen  Ueberlieferungen  vol- 
lig  fremd.  VVenn  also  ein  Theil  dieser  Gotzen  wirklicb  volks- 
thiimlich  werden  -konnte,  so  geschah  es  nur  insoweit,  als 
sie,  ihren  auslandischen  Character  verleugnend,  der  Bedeu- 
tung alterer  einheimischer  Gottheiten  sich  anbequemten. 


*)  Nach  titnein  Artikel  der  Zeiteehrift  Motfkwitjanin  bearbeilet 
Brmans  Rubs.  Archiv.  Bd.  XI.  H.  9.  19 


250  Allgeniein  Literarisches. 

Bevor  ich  zu  einer  genauen  Unlersuehiing  iiber  Namen 
und  Character  derjenigen  Gotzen,  die  Wladimir  (der  soge- 
nannte  Grofse)  in  Kiew  erricKtet,  rnich  wende,  sei  esmir  ge- 
staltet,  einen  fluchligen  Blick  auf  Stellen  russischer  Chroniken 
zu  werfen,  an  welehen  derselben  gedacht  wird. 

Unter  den  vier  Stellen  der  Chronik  Nettors,  die  von  heid- 
nischen  Gottheiten  der  alten  Russen  handein,  ist  diejenige  die 
wichtigste,  wo  der  G5tzen  Erwahnung  geschieht,  die  Wladi- 
fDlftniU^v  ^afg^nciilclL  >  DaMiksl  vvird  Mr  ?«rnehinsleGott 
Parvn  v«on  den  iibrigen  Gotzen  durrh  Beschreibung  seines 
Standbildes  unterschieden ;  auf  ihn  folgen:  Chor«,  Dajbog, 
fi^tribog,  5emargla  und  Mokoschj  (Mokoscha),  von 
denen  die  beiden  letzten,  wegen  ihrer  Endung  und  weil  sie 
siileUt  genailol  sikid,  als  weibJicheGoUhcibeii  sichkun^  geb^i. 
Omdhft  Rdlitofolge  in  der  AufsShlang  gedachter  Gdtter  finden 
wir,  mit  «iehir  uawe6eD(lidb«n  Abweicbungen,  in  spiiteren  Chror 
niken  und  bei  dem  deotschen  Schriftsteller  Herbersiein,  aus 
welobem  sie  dann  zu  paintschen  Hisiorikem  iiberging;  spiiter 
komsDi  sie  mil  eimgeii  Veranderuogen  wteder  nach  Russland, 
wie  '  Miir  in  *dier  Folge  seken  werden.  fai  dcoeD  Werken, 
wekihe..ubec  <iie  veiigiosen  Meinongen  der  Siaven  im  Ganzen 
beiichUn^  fefall  die  Beschreibung  dcs  Perun.,  der  aber  darum 
nkht  wsnigeraueorst  genannl  wird*  Von  den  andema  Gottf  ^ 
hcitea  findefc  man  luwinlen  diejeingen  iibergangen,  wekhedie 
Vitrfasaer  fiir  minder,  wichtig  hielten^  In  der  Periade  des 
Bioflussss.  polhischcr  Chrdnisten  auf  die  russisehen  Schcift* 
staUer  fiitdsn  wir  ibei.diesen.  eme  ganz  andere  Reibe  bcidtti* 
scher.  Goitbr.  Perun  wird  an  die  Spilze  g^slellty  seiner  Be^ 
sobreibuflg  aber  haazngefogt,  dass  man  ibn  auf  hohen  Bergen 
angebetet  und  ihtn  zu  Ehren  Scheiterbaufen  angeziindei.  habe, 
d^ren  Ausloschung  bei  Lebefisslrafe  verbotcn  gewesen  sei. 
Die  zweitc  G6llheit  ist  Wolo*,  die  drille,  Poswis4,  die 
vierte,  Lado,  die  fiiofte,  Kupalo,  die  sechste,  Koljada. 
Dass  dieser  Gotterreigen  unmiltelbar  dem  Auslande  erborgt 
ist,  beweiset  klar  in  der  Gustin'schen  Chronik  der  Name  des 
Peruix  sdher,  der  .^n  dieser  Stelle  Perkon^is  heiftst,  wafarend 


Bedeotungr  aitelaviBober  Gotaeiibilder.  281 

wir  einige  Seitcn- voriler  in  derseiben  Cbronik  den  ungefalsch* 
feti  Text  des  Ne#lor  tiber  die  Aufslallung  der  Gl^Uenbilder 
defi  Wladimir  vorfinden. 

Ein  Gcrlt  Woto«  wird  bei  NeHor  unter  den  GolEenbildern 
des  WladkDir  nicht  erwabnt;  aber  ^us  dem  Vertrage  des 
^vjatotflaw  ersieht  man,  dass  er  unter  den  jtlavischen  GoU« 
hdlen  einen  wtehtigen  Kang  l)«kleidete  und  beinahe  deiii  Pe* 
run  gieich  war;  darmn  niiumt  ler  aueh  bei  polnisohen  Schrift- 
slellern  und  ihren  russischeft  Nackfolgern  die  erste  Sieile 
hinter  Perun  ein.  In  der  Sage  voni  hcil.  Grigorji  findcn  wir 
den  ralhselbaften  Namen  W 11  a  (Singular  unS  mannlichen  Ge- 
schlechtes)  mit  Chor^  und  Mokoschj '  zusaminen  erwabnt 
Diesen  bake  icb  kier  (iir  Wolof ,  weil  Wlla  im  oDgedruckten 
Tbeil  dieser  Sage  fdr  d^n  pbonicische'n  Baal  erklirt  %vird.  ^) 
Die  Wiia's  der  A^erben  sind  in  mssisdieir  Ueberliefi^rcmgeil 
nirgends  su  finden;  daber  kann  ui«'m  fiiglich  vomussetBen)  dast 
der  Verfasser  der  Sage  von  einem  g>ewis6en  ChrisloljubeB^ 
unier  dem  Einflusse  siidwesUicher  Schrifisleller  den  Nalnefa 
Wil  falsch  verstanden,  wehn  er  ibm  weiblicbe  Form^Wiln) 
gab)  uiid  erklarend  hinzufiigle:  es  seien  dreissig  Sehweslcnl 
die  also  biefsen.  Dies  ist  geradezu  ein  Wiederhall  ^erbiseher 
Tradition,  deVen  Gelprage  sicb  bei  jenem  Erzahler  in  tSeiner 
Sehreibung  des  Nameas  Perun^  den  erPeren  bena^st,  etv 
halten  hai.  Es  ist  bemerkenswerlb,  dass  Wolo«,  iiberall  wo 
seifier  MeUung  geschiehl,  nBe  Erkiarung:  „ein  GoU  desViehs^ 
(skotji  bog)  zurSeite  bat,  wahrend  der  Beruf  jedes  andeiren 
Goites  nirgends  in  ODseren  Cbroniken  angedeutet  wird.  Einen 
ganz  n^^reil  Sinn  kal  (in  der  Sage  void  Kriegszuge  des  Igor) 
Weie^,  Gro^svater  desBajan,  uikI  erinnerl  uns  unwiUkobr^ 
lidb  an  den  aqtii|[C}ischen  Apolie  — ^  Belis  oder  Betes,  ob* 
gieich  auf  dep  anderen  Seiie  :der  Nome  des  6djan(Bujaii?) 
ffeiber,  seiner  phileiogischen  Bedeuiong  nach;  ohne  ZweifeS(?) 
»»■« •■    <» '  •  -     •<  '  • 

*j  Dfe  Stelle  laiitet   „^y^   idol,    narizajeniy   Wll,  jego  je    po- 
^     gubi  Danjil  Prorok  w  Wawilonje,  d.  h.  es  war  ein  Gotzenbild 
genannt  Wil,  das  der  iPrdpliet  Daniet  in  i^abylon  Terniehtete. 

19* 


252  Allgemein  Literarisches. 

z«r  giemcinsomen  Wiirzel  des  Namens  Baal,  Bel  und  Wo- 
lot  gehorty  welcher  bei  den  Weissrussen  Bog  an  heissi.  Ich 
will  hier  erinnern,  dass  es  zu  Nowgorod  (den  Chroniken  za- 
folge)  Sirafsen  des  Wolos  und  des  Bojan  gab. 

Wolos  ist  tn.unserer  Mythologie  der  eirizige  Name,  wel- 
cher die  volksthumliche  Ueberlieferung  mil  den  Thatsachen 
unseres  heidnischen  Cullus,  wie  die  Geschichte  sie  wieder- 
giebty  verkniipft;  und  dieser  Uinsland  zeugt  gewiss  fur  den 
slavischen  Ursprung  dieser  GoUhert. 

1. 
Chora  oder  Korscha. 

Die  Abkunft  dieses  Go  ties  von  dem  Chursebid  oder 
Korschid  der  Perser^)  unlerliegt  c^ymologisch  kbinemZwei- 
fel  mehr;  daraas  kann  man-  aber  noch  nieht  folgern,  dass 
Chors  in  der  slavischen  Mythe  mil  seinem  dstlicben  UrbiUie 
yollkommen  gleichen  Character  gehabt;  und  urn  so  weniger, 
da  bei  der  Theilung  unserer  Mylhologie  in  zwei  ganz  ver- 
schiedne  Gebiete  —  allgemeine  Kosmogonie  und  hausliche 
Damonologie  ->  Chors  in  dem  letzteren  eine  andere,  neue, 
ausschiiefsend  heimische  Bedeulung  erhalten  mussle. 

So  scheint  es  denn  rathlich,  dass  wir  in  Chors  den,dop- 
pelten  Character  eines  von  aussen  zu  uns  gekommenen  Son- 
nengottes  ^  und  einer  heimischen  Gottheit  unseres  hauslichen 
Seins  ins^Auge  fassen.  Diese  meine  Ansicht  wird  sum  Theile 
dadurch  bestatigt,  dass  von  den  Wortern,  die  mil  Kors  glei- 
chen Ursprungs,  einige,  in  ganzlicher  Umformung  zu  uns  ge- 
langtOy  den  geheimen  Faden  fur  uns  verloren  haben,  der  ihre 
Bedeutung  mit  dem  Begriff  der  Sonne  verkniipfte;  wShrend 
umgekehrt  andere,  auf  unserem  heimischen  Boden  gebildete, 
uns  die  deutlicheq  Spuren  ihrer  Abkunft  von  Chors,  in  der 
Bedeutung 9  die'ihm  der  heidnische  Russe  gab,   aufbewahren. 

Tatischtschew  sieht  in  Chors  den  slavischen  Bachus; 
Leclerc  und  Popow  erklaren  ihn  fiir  einen  Aesculap;  Tschul- 


*)  So  beisst  namlich  im  Persischen  die  Sonne. 


Bedetitung  alUlavisclier  Gotzenbilcler.  2B3 

kow  nennt  ihn  emen  Goit  der  Krankheiten  und  Zufiille;  en4- 
lich  Sredowski  iibersetzi  den  mahrischen  Chrworsch 
(Ghrwoz)  mil  Typbon;  und  nacb  ihin  erklaren  ihn  deutsche' 
Gelehrte  fiir  dirGottheit  der  Siiiroie  und  zeratorenden  Winde«. 
Hit  starkerem  Grunde  stellen  ihm  neuere  deulsche  Schrift-^ 
siellerden  preuasisch-IiUauischen  Kurch6  und  den  sachsisch^ 
tflavischen  Krodo,  die  wirklich  gleiche  Abkunfl  und  gleichen 
Character  haben,  an  die  Seite. 

Kroda,  Cbrado,  Rado,  Krololf,  oder  SajLor  (5i- 
tiwral)  wird  von  Grimm  fiir  den  germanischen  Saturn  ge- 
halten,  welchem  der  siebenteTag  der  sachsischen  Woche  ge- 
widmet  war.  Er  tragt  in  alien  seinen  AUributen  die  deutlichen 
Merkmale  seiner  ostlichen  Abkunft  von  den  Gottern  der  Sonne 
und  des  Lichtes  uberhaupl.  Die  alaviscben  Mythographen 
haben.ihn  su  einer  Goltbeit  des  Ertrages  derFelder  gemaeht, 
da  er  doch  gegeniheils  in  Bdhmen  unter  dem  Namen  H la- 
dole  t  als  Gotl  des  Hungers  und  Miswachses  erscheint.  Diese 
Bedeutung  hatle  sum  Theil  auch  der  Kronos  des  alien  Grie- 
chenlands;  daher  es  sehr  nalurlich  isl,  dass  Hladolel  in  der 
bohaiischen  Sprache  zur  Benennung  des  Planeten  Saturn 
wurde.  Die  Gleichheit  des  Hladolel  mit  Krodo  ist  aber  iim 
so  weniger  zu  bezweifeln,  als  ei  auch  bei  den  BdhmenKrda 
(Krla,  Kir  la)  heisst  Ist  er  aber  ein  Saturn  in  dessen  feind* 
seliger  Bedeutung,  so  hat  er  ohne  Zvireifel,  wie  Kurcho,  den 
Begriff  des  Winters  und  der  Wintersonne  personiGcirt 

Hierher  gehort  noch  der  scandinavische  Windgott  Kari, 
Vater  der  Kalte,  des  Scfanees  und  Eises,  ferner  der  sud«la- 
vische  Koratschun  oder  Kratschun,  bei  deii  Kumunen 
Krulschun,  und  bei  den  Ungarn  Karatson,  welcher  am 
Tage  vor  dem  Weihnachlsfeste  gefeiert  wurde;  *)  und  dessen 
ehemaliges  Vorhandensein  in  Russland  augenscheinlich  ist)  da 
man  aus.  Mahrchen  einen  Stein  des  Korotschun  kennt; 
und  in  Chroniken  die  Weinacbtsfasten  zuweilen  Korotschun 
genannt  wird.    Endlich  hat  man  unter  dem  russischen  Voike 

*)  Nocli  j«tzt  beisst  im  Ung^rischen  das  MF«inacb4afesi  Karatson. 


2g4  AUgemein  Lkevaritchesi 

T>#cb  eiii  Spfiiihworl :  ,^tn  Kdratochan  gd»en/'  d.  i.  schlagen 
ubd  ersoMfilg^n.  Die  tnll  der  jahrlichen  Begehung  seiner  Feier 
bei'den  kiirntimelitn  iSiaven  verbiindenen  heidnisehen  Ge- 
brittshe  eeigen  ihi9  deoiiich^  diiss  er  wdlMid  SomiengoU  ge- 
vs^sen,  aber  itn  haosiicben  Gdlzendieinste  eutn  Beschikaer  des 
Viehes  und'  del*  Haosthierey  oder  vielmehr  sum  Geite  des 
Viehst^rbtns  herabgesunken^  der  Gebel  und  Opfer  veriangei> 
soli,  um  Seucben  abzuwenden.  Atif  diesen  damonischen  Cha- 
rabCer  des  Golsen^  deulet  soM^ol  die  Zeit  seiner  Feier,  ds  sein 
Synonjm  bei  Serben  und  Tschernogorzeii  — *  Bjetiai  oder 
Bjedowy.  *) 

Aof  den  Grtmd  aller  dieser  Mulbtndbitngen  und  Z«saiD-> 
mensl^llungen  konnen  vvir  dreist  den  Schinss  bauen,  dass  de# 
wohlthaiige  E^nfluss  des  Cbors;  ab SennengOttes^  in  unse*- 
read  heidnischen  Glaiiben  durch^us  keinen  Cingang  gefunden, 
als  WO  er  nur  in  der  verderbUeben  Einseiiigkeit  der  Winter- 
Sonne  oder  auch  wol  des  WintergoUes  sich  kond  giebt;  daher 
auch  seine  Feier  itn  gansen  Norden  auf  den  Tag  der  Winler- 
wende  fallt.  Indem  Chors  solchergeslalt  die  Kalle  und  die 
todte  Rube  symboKsirte^  kam  er  naturgemUfis  unler  die  bosen 
Geistor  des  Verdefbens  und  Todes.  Ueberhaupt  sind  in  den 
mythisciieii  Voreiellangen  der  Volker  die  B^riffe  des  ttBgiin- 
sligen  WeUeh*s  and  der  Seuchen  von  ^irlander  nichi  geschieden. 

2. 

Oajtog. 

Obschon  der  Name  dieser  GoUheil  rein  ^laYiseh  tst,  findet 
er  ilich  doch  weder  in  den  vaierl^ndischen  UeberKeferungen 
unsete^  Volkes^  noch  in  den  heidnischen  Meinungen  der  i^^ 
gen  »la¥i8chen  St&mme.  Auf  die  Bedeuiung  gestiitflt,  haben 
Popow,  Kaisarow  und  Leelerc  den  Dajbog  mm  russisohen 
Phitus  gemacht,  einem  Gotte  der  inl  Erdenschofs  verborgenea 
Schatze,  und  erst  seit  Enldeckung  der  Ipatiewsehen  Chrdaik 
ist  utis  sein  wahrer  Beruf  klar  geworden.    Hier  steht  an  einer, 


*)  Ru8s.  bjeda  mis^ia. 


BedeiiiuBg.attclavnckief  >GpUQ*bilder.  266 

m^or  bulgorisohen.:Gbrono(g[rapi)eli  in  seiner  Ueberaetanng! 
des  byzantinischen  SchriftsteUers  MdaJa  enllebn(en  SteUe  dca^ 
Niime  Dj)/bog  als  (Jebers^Uung  oder  Erkliirung  d«s  griechi- 
schen  HeiioB  od^r  lateinischeo  Sol  DiesetText:  gi«bt  dea» 
ProfessoY  BodJMMkji  VeraolassuDg,  Oi^'bog  fiir  Ueberael&iHig 
di^6  auslilndiscben  Namens  Chors  %u  erUihreD,  um  so  mtebn 
da  in  einigen  Chroniken  O^og  iMittiilUlbar  hinterCh^a  g^H 
nannl  wird.  Aber  noch  abgeseheu  davon,  dass  dieaa  Nainen 
an  vielen  Stellen  aucb  gel^ennt  stehen ;  so  ist  die  Annaherung 
beider  in  der  Aufsahlung  das  Werk  Ne«tor*s,  aus  welchem 
alle  iibrigen  russischen  Chroniker  (wie  wir  oben  gesagt)  die 
N«a»eA  dfir  GiUzeribilder  von^  Kiew  uii(  Beibebaliung  d^rsel- 
beli^  Ordauog  ausgcocKrioben. 

Eifie  wiqbtig^ Nachi icbt  ub^rDajbog  jief^pi  iu»a.dii»Sdgt 
v^>m  Kri^|g99uge  des  Igor  in  der  S^elie:  ,^es  geiU  unl^rda^ 
Leben  ides  Enkels  (wnaJLa)  Oa/bog'a'',  wo  die  SoiM>e  alfl 
Gro&valer  .de8  riisaischeu  Volke^  sick  kund.  gid>l.  liiriQ  abn« 
liche  Vorslellung  von  der  Sonne  findei  aieh  aiich  euweikii  19 
unaeren  Volkaliedernj  suiu  Beigpiel: 

Grofevileriein  (djedttsehka)  Sorih;,- 
Blick  aus.  dMeni  Feiuterlain  ( 
VeluA  KM«r  vrei^fi» 

Sie  flehen  uui  Traok  nod  .S|>eUe. 

Aua  der  angefiihrliaii  Slelle.  unserer  alien  Sage  folgeri 
^olowjeWy  dasfy  iveno  die  £laven  ilir  Bnkel  dea  Dajbog  gait 
ien,  die  nx  apsereu  Liadern  vorkoimnenden  Namen  Djeda, 
Dida^  Lardy,  Leli,  Ujuli  u.  s.  w.  nichts  anderes  seia  miisr 
MSI,  als  verachiedne  Nainen  der  Sonne.  Wir  kdnnen  nail  die<^ 
ser  Folgerung  nicht  gans  einverstai^deii  sein.;  eher  glaubeh 
wjft  daas  der  hmdnisdbe  ^ave  aiite^HaupUpharen  seines  Volkst 
lebens,  zwei  Hauplgegeo&ianik  seinar  Liebe  and  Verebnmg  *^ 
Natur  und  Paoiitte  ausammenparte.  Auf  diese  Weise  iiberr 
Irug  er  die  Verg5Uerung  des  abstracten  Begriffes  einea  Valets 
und  einer  Muller  (Djed  und  Baba,  Rod  und  Rojaniza) 
auf  die  Hiinuielskorper,  wie  er  andererseiis  die  Namen  der 
Himnielskorpcr   aiif  die  Familie  iibertrug:  ,,der  Mond  —  so 


286  AUgomeiM  Utenirischef. 

htiiBt  es  ID  einem  Volksliede  —  ist  unser  Hausvater,  die  Sonne 
isi  sein  Weib,  ond.die  Sterne  mnd  ihre  Kindlein". 

(Jnd  sofiach  M  man  weii  entferni  gewesen,  Dajbog  fur 
eintn  wirklichen  Grofsvater  der  Nation  zu  halten;  sein  Bei-. 
name  djeduschka  war,  nach  unserer  Meinung,  nur  aliego* 
ritcher  Ausdruck  des  tiefgefilhllen  Bewulstseina  der  Wobllha- 
ten  der  Sonne,  als  eines  Leben  und  Fruclitbarkeit  spondenden 
Gestimes. 

3. 
A>tribo^. 

Unter  den  Gdtten  des  Teiufpels  von  Kiew  wird  Aribog 
liaufiger  als  die  iibrigen  in  den  alten  Vereeichnissen  der  #la- 
vischen  Gottheiten  auageiassen;  daher  man  voraussetzen  kann, 
dass  or  unter  denselben  eine  sehr  unmerkliche  Stelle*  eiivge* 
nommen;  was  iibrigens  darin  seine  Erklarung  Gndei,  dass 
Chora,  ebenfalls  Personifieation  des  Windes,  leicht  mit  Siribog 
zusammenfliefsen  konnte. 

Das  kiare  Zeugnifs  von  der  Bedeutung  iSlribog^s,  als  Got- 
tes  der  Winde,  in  der  Igor-S^go,  hat  unsere  Mythographen 
des  vorigen  Jahrhunderts  ausser  Stand  gesetat,  ihm  irgend 
einen  anderen  Character  willkiirlich  beizulegen;  doch  ist  die 
Ableitung  seines  Namens  ein  noch  ungelostes  Problem.  Einige 
\irollen  ihn  von  derWurzel  at  rem  (heftig  treiben,*  fortreissen, 
nach  etwas  streben)  ableiten,  mit  der  unter  anderem  das 
adverbium  compositum  atremglaw  kopfiiber,  jahliags  (worl*' 
lich  Treibekopf)  zusammengesetzt  ist;  andere  werfen  das  s 
ab,  und  erhalten  so  einen  Tribog  (Dreigott),  entsprecheiid 
dem  pommerschen  Triglaw  (Dreihaupt,  dreikopfiger  Gott),*^) 
und  dem  mahrisch-tcbechischen  Tribek,  Trscfaibek,  auch 
5trschibek  und  iStrigon,  dem  Gotte  derSeuchen,  welcher 
in  der  That  wabrscheinlich  mit  unserem  Aribog  idontisch  ist, 
und  zwar  nicht  bios  wegen  des  Einklanges  der  Namen,  son-p 


")  Verewigt  in  dem  Namen  dea  preussiscben  LandtagsfreAners  t.  Thad-' 
den-Triglaff.  Anm.  d.  Ueben. 


Bedentoair  aMftfiMbeff  GotHMbllder.  287 

dern  aadi  darnn,  well  in  der  •iBvischen  KosmogoDie  die  Be- 
griffe  der  anaieckenden  Seuche  und  des  Windea  fasl  unzer* 
trennlich  verbunden  sind,  was  aus  der  Bedeuiung  des  russi* 
schen  Wortes  powj^trie  klar-hervorgeht  *)  Kaslorski  eriSiich 
ieilet  den  Naaoen  Stribog  von  einetn  mMhrisehen  Worle  siri 
Luft;  diese  Erklafung  hatie  freilich  das  meisie  fiir  sichy  wa- 
ren  nichi  leider  alle  unsere  Beniufaungen»  das  Worl  in  irgend 
einem  slavischen  Dialecte  au&uiuiden,  bis  jeUi  ohnt  Erfolg 
geblieben. 

Wenn  wir  nan  mil  Recht  vorausset&en,  dass  Chors  im 
heidnischen  Russland  auch  die  Bedeuiung  des  Windes  gehabft, 
so  enUieht  hier  die  Frage:  was  fiir  ein  Untersehied  inochte 
zwischen  ihm  und  5tribog  obwalten?  Diese  Frage  findet  ihre 
befriedigende  Antwort  in  der  betreffenden  Slelle  der  Sage  von 
Igor:  y,die  Winde,  Sliribog^s  Enkei,  sUirmeD  vom  Meere  her 
(raseh)  wie  Pfeile  gegen  die  tapfern  Heerhaufen  Igor's**.  Hier 
ist  die  sudoslliche  Richtung  des  Windes  vom  Schwarzen 
Meere  angedeutel,  als  Gegensatz  zu  der  westlichen  Rich- 
tUBg  des  Unbeil  briogenden  Chors;  und  wenn  gleich  aus  die- 
sen  Worten  schwer  zu  entscheiden  ist,  ob  die  nEnkel  5tri^ 
b0gV*  zum  Heile  wehen»  so  kann  man  docb  aus  der  Eigen* 
schafi  des  siidlichen  Windes  und  der  Bedeuiung  des  Siidens 
und  Oislena  in  der  Mythologie  yoraussetzen,  dass  5tribog  fiir 
eine  woUthatige  Gottbeit  gehalten  ward. 

Ausaer  <8tribog  und  Chors  erscheint  unt^r  den  slavisc^en 
Goilheiten  noch  ein  driller  WindgoU  PoswisQ  oder  Poch- 
wi«t^  weidber  vorzugsweise  den  polnischen  Ueberlieferungen 
angehorty  imd  aus  diesen  auch  in  spMtere  schriftliche  Denk- 
maler.  der  Russen  iibergjng;  daher  man  ihn  nichl  ohneWahr- 


*}  Kft  bedeutet  Seoche,  bachstSbltcb  Anwindang,  Anwehong. 
Daneben  hat  man  pdwjeter  nnr  in  der  Bedeotang  gunstiger 
Wind.  Im  polnischen  ist  powietrsze  Luft  und  Pest  zugleich. 
Der  polnische  Schriftsteller  Woycicki  sagt,  die  Pest  werde  in  Volks- 
mahrehen  als  eine  weisse  Jangfran  Jiiit  Namen  Powietrsze  darge- 
steUt  Aiini.  d»  Uebers.  ' 


288  Allgemein  LitocftriwheK. 

scbeinlichketl  fur  die  nabenal-^obiisehe  B^neoHHiiig  4cs  Ch^ra 
eder  iStriba  halt  Der  serbische  Aotor  DaitiiairaMritscb  .erklirt 
den  Po9wisd  sehr  befriedigend  alar  GpU  des  Westwindei ,  als 
VerEiinder  der  Somm«rfroaden:  und  OeiiutKJiiora*^,  dtr  G4^U 
till  des  Sommers.  Es  verdwnl  noch  BecnerioHig,  duss  der 
jiingere  Sohti  Wladimir's  des  Groiaen;  welcbam'  Woiyoien 
als  Erblheil  zufiel,  den  Chroniken  aofolge,  Poswiad  gtfaei(seii> 
'Dieses  FaHuiti  beweisl  no€h;  dias  dieser  Bektaase  dea  Ghora 
damals  in  Russiand  existirte,  und  erklart  zum  Theii)  warum 
<er  in  W<»lynito  itnd  Pokn  seinen  ursprunglichen  NauMQ  voll- 
komosen  verdrangt  baU 

Simargla  od^  Sima  uod  Kegla. 

Einer  der  riStk^lbaftesleH  Goisen  der  ataTisehen  Mvtbo* 
logie,  von  welchem  eben  nichU  als  der  Nam^  au-  ana  gekom* 
men  und  zwar  in  den  ver^chiedenen  Formen:  Simargla, 
<9eniargla,  <Smargla,  <Shniaergla  (bei  Herbersiein),  Si- 
manrgia,  und  endlich  iSma  und  Kgia  (oder  Sima  ^ind 
Regia).  Polnische  und  deuiscbeGelebrtebaben,  acD  fiir  diese 
Goitheit  irgend  ein  alaviachea  Etymon  au  finden,  ihrtii  Naoseii 
noch  mehr  verdorben,  und  are  in  eine  ge^^aeStmaerla  ver* 
wandelt,  eineGoUin  des  Fruhiinga/)  welche  sicb  miiderZeit 
in  seltsamer  Weise  von  ^S^imargta  geaondert,  und  nooh  jeM 
bei  deutschen  MLythologen  fiit*  eine  besondere  GSttin  voll  An- 
muth  und.  Grazie  gilt.  **>  - 

Einige  Gelehrte  sehen  4n  ;Shnargla  eine  der  inaiMtigfaehan 
Formen  von  Mora,  Mara  oder  Marena,  einer  aligemeia- 
alavisehen  Gdltin  des  Schiafes  und  Todes,  des  Winters  and 


*)  A118  den  Worten  sima  ^Wiater)  and  «terla  (sie  hat  abgewiscbt, 
afisgerieben);  also  etwa  far  simn  steria  (hiemem  deUvit,  oder, 
mit  aofgedrungener  passi^er  Bedeatang  der  activen  Verbalform:  biems 
deleta  (abacta,  fngata)  est! 
'**)  Man  lese  nnr  die  Beschreibung  dteser  angcbNchen  Simierla  in  einem 
1849  gedruekten  Werke  des  Professors  Bckerniann. 


Bedentimg'  alMtmihor  6oU^bileer.  289 

der  Unfrochlbafkaii.  Von  diem  SmvskriUscbeii  mri  {Ski  mat) 
ausgehend,  erbali  sfiob  der  Sianicii  dieses  Nam^ns  in  alien  m-* 
disch^europiischen  Spraelieii.  Mii  Hiilfe  der  ^lavischen  For- 
men  ^inert,  ^a^erbsoli^  ^tnere  (mors),  des  gleichbed^ulen- 
den  persischen  mivrg  oder  merg^,-  «nd  des  marla  (merla) 
der  Zigeuaer  kann  ein  Philologe  freilich  tuieer  Siuargla  con- 
struiren;  aber  \ve  bleibt  aueh  nur  der  Beweis,  dass  diese 
Wortforni  iiberhaupl  in  irgeiid  einer  Spraehe,  der  jlavisoheii 
ganz  zu  geschvveigen,  den  Tod  bftzeicbnet  hat? 

Ein  spaterer  Gelehrter  bemuhie  fiieii,  «Stfnargla  mil 
<Sefnnia,  der  letliseken  Erdgottitiv  ui  id^niificiren.  Wir  woW 
len  unsere  Leser  iiber  den  Werih  dieser  Unterstetlung  durch 
ausgetogene  Slellen  des  leliisehen  Wocterbuehs  selbilt  urlhei*- 
ien  Jassen: 

demma  Erde.  seem  a  Winter* 

reeclis  (weibl.  reecia)  bose,^reecla  seewa  bosea 
*  Weib,  Hexe;  reecia  seeina  bdser  (kailer)  Winter. 
SeUt  msin  nun  reecia  hinier  seema  (Winter)  oder  semma 
(Erde),  so  entslehl  eiwas^  Aebnlickes  wie  Semargla:  iin 
ersten  Fatt  bekonmien  wir  terra  mala  (boser  Moment  der 
Erdgoltin,  Winter?),  iman^ereii  hiems  maia* 

Endlkb  im  Jahre  1641  warf  der  'veratorbene  Professor 
Freiss  ein  neue^  Lioht  auf  diese  Frage,  indem  er  iSima  und 
Regla  (auf  den  Grttnd  der  Orkhographie  efnes  gewissett  Chri- 
stoijubet  uod  derArdidngelschenChroink)  mit  den  assyriseheB 
Gottkeiten  A  s  i m a  (Achima)  undNergal  verglicfh,,  die  sdMO 
im  6.  Jiahrh.  vor  Gbr.  bekanni  wurdeti  und|  na'ch  seiner  Mei«- 
nung,  auf  der  bosporischen  Inschrift  der  Kdnigin  Komosaria 
sich  wiederfinden,  %vo  der  Name  Sinerges.aus  Asi  (Asa, 
Achima)  und  Nergal  (Ergel)  gebildet  sein  soil.  Zur  Be- 
kraftigung  seiner  Meinung  citirt  Freiss  die  Leseart  <Simaergla 
bei  Herberslein ;  aber  noch  auffallender  in  dieser  Beziehung 
ist  die  Les«art  Simahrgla  (iSima-Nrgla)  in  der  Nikonow- 
schen  €hronik. 

Wie  soihe  aber  die  unbedeutende  und  fast  unbekannVe 
pJ)6nid8che  Goktheit  Asima  bis  in  Russland  eiogedrungen  aein? 


290  "AUgemein  Litemrisches. 

Dazu  komml  noch,  dass  auch  die  angezogene  inschrift  von  ihr 

nichts  Weiss;  denn  nach  Aschik*s  Ueberselxung  lauteC  sie  also: 

„Komosaria,  Tochler  des  Gorgippos  und  Gemalin  des 

Periaades,  errichtete  dies  Monument  aufolge  einem  Ge- 

Uibde  den  machtigen  Gotibeiten  Sanerga  und  Askarka." 

Hier  ist  Sanerga  augenscheinlich  nur  Name  einer  GoU- 
heil^  die  man  ausserdem  mannlich  gedacht  hat,  da  sie  der  v^eib- 
lichen  Astarta  gegeniiber  stebL    Und  wirklich  wissen  wir  aus 
der   Myihologie   der   vorderasiatiseben   Voiker,    dass    Nergal 
(Mars)  als  Gott  des  Feuers  und  Gemal  der  persischen  Arte- 
misy  d.  h.  der  Gottin  Anaitis  oder  Tanais  verebrt  wurde,  welche 
identiscb  ist  mit  der  phonicischen  Astarle  Milita  (Karthagischen 
Dido)«    In  obiger  Inschrift  liest  Raoul  Rochette  den  Namen 
des  Nergal:  Anerga,  Bockh  aber  Sanerga,   da  in  Persien 
alle  Namen,  welche  Glanz  und  Grofse  beseichnen,  mit  San 
anfangen. 

Ferner  mdchte  Preiss  die  phonicische  Astarte  unserer  In- 
schrift mit  dem  Gotzen  Mokosch  zusammenbringen,  iodem  er 
behauptet,  dass  man  unter  den  verschiednen  Namen  dieser 
Gottin  einige  Verwandtschaft  mit  Mokosch  auffinden  konne, 
wenn  man  letzteren  seiner  ^laviscben  Endung  osch,  welche 
eine  Person  anzeigt^  entkleide.  in  diesem  Falle  ware  es  wol 
zweckmafsiger,  unter  den  Benennungen.  der  Astarte  einen 
Einklang  mit  dem  Namen  5i ma  zu  entdecken;  <denn  will  man 
in  iSimargIa  eine  Verschmekung  der  Namen  iSma  und  Regla 
annehmen,  so  ist  dies  keine  Zulal%keit,  sondern  es  giebt  sich 
darin  eine  androgyniscbe  Vereinigung  des  miinnlichen  und 
weiblichen  Elements  der  Fruchtbarkeit  zu  erkennen,  welche  die 
vornebmste  Grundlage  der  slavischen  Kosmogonie  bildet, 

« 

5. 
Mokosch  (Mokoscha). 

Nach  Perun  und  Chor«  findet  sich  dieser  Name  in  unse- 
ren  Chroniken  hiiufiger  als  die  andern  Gotzen  des  Pantheons 
von  Kiew,  was  auf  die  ganze  Wichiigkeit  seiner  Bedeutung 
in  den  aberglaubischen  Ueberlieferungen  unserer  Vorfabr^i  hin- 


Bedentang  alUfevischer  Gotzenbilder.  291 

weist^  obwol  der  Name  bei^  Nealor  ganz  am  Ende  seiner  Liste 
steht.  Dies  erklarl  sich  aber  befriedigend  aus  dem  Umstande^ 
dassy  zufolge  der  genauen  Orthographic  dieses  Namens:  Mo- 
koschj  (MoKouib)  und  Mokoscha  (im  DativMoKoniH  Mo- 
koschi),  er  augenscheinlich  weiblichen  Gesehlechtes  ist; 
was  auch  durch  den  Text  des  heiUgen  Grigorji  (in  der  Pat- 
jevv^ker  Sammlung)  bestiiligt  wird;  denn  hier  finden  wir  den 
Namen  zwischen  zwei  anderen,  leider  ganz  unbekannten,  und 
wahrscheinlich  verstiimmelten  Namen  von  Gdiiinnen:  5ka- 
dia  und  Malakia. 

Unter  den  Erklarern  des  Namens  scheint  uns  Kollar  auf 
richligem  Wege  zu  sein:  dieser  verweist  auf  die  ^lawische 
Wurzel  mok  odermotsch,  wohermokry  nass,  feucht,  mo- 
is  c  hi  tj  nass  machen  u.  s.  w.  Auch  im  Sanskrit  ist  maddj 
(fiir  mak)  aqu^  hauriri, '^)  wohclr  magna  submersus,  makva 
(b&hmisch  maischar)  gewasserter  Fiseh.  Wirklich  erseheini 
bei  Sredowski  eine  Mokoschia  unter  den  mahrischen  Gott- 
beiten,  mil  derErklarung  „pluvia,  pluviae  dea'*.  BeiPopanek 
wird  sie  fiir  Neptun  erklart  Jungmann  behaupiet;,  ihr  Bild 
sei  halb  Fisch^  halb  Mensch  gewesen,  und  Hanusch  setzt  hinzu^ 
man  babe  sie  als  Gottheit  der  Nllsse  und  Feuchtrgkeit  ver* 
ehrt,  und  in  Zeiien  der  Diirre  ihr  geopfert.  Leider  halien  es 
beide  Gelehrle  fiir  iiberfiiissigy  davon  Rechenschaft  zu  gelfen, 
woher  sie  diese  Naehriehien  haben,  ob  es  heidnische  Ueber* 
lieferuDgen  der  Tsehechen  und  Mahren  sind,  oder  ob  sie  auf 
den  Mokosch  yon  Kiew  sich  heziehen. 


*)  YgL  den  aoddeutschen  Ausdmck:  ^,einenMatscli  aus  etwas  ma^ben/* 
d.  h.  in  eine  dorchnasste  Masse  verwandeln.  Verwandt  ist  auch  die 
zartere  lateinische  Wurzel  mad  in  mad  ere  und  madid  am. 

(Fortsetzung  in  einem  nachfolgejiden  Hefte.) 


294  Pliytil[alt8oh«-itiatbeinati8clie  Wissensohaft^n. 

Stelle  kam  und,  wie  man  aus  dem  Jakuftker  Archive  ersiehl, 
da^elbsl  eine  Hiiile  anlegte  die  bis  1779  in  Wirksamkeit  blieb. 
Es  fehit  zwar  durchaus  an  Angaben  iiber  die  Art  und  Weise 
dieser  Arbeiien  und  iiber  den  Grund  ihrer  Einslellung.  In- 
sofem  man  aber  iiberhaupt  in  der  in  Rede  stehendeti  Gegend  dne 
Hiitte  angelegl  hatie,  konnle  diese  Einstellung  wohl  kaum 
dem  Uebermafs  an  ortlfcben  Scbwierigkeiten  sugeschrieben 
werdeu,  denn  diese  wiirde  man  schon  nach  einem  Jahre  und 
hicbt  erst  nach  funfen  bemerkt  haben.  Es  war  vielmehr  anzu- 
nehmen  dafs  man  die  Arbeiien  nur  aufgab  weil  die  ausgebraeh- 
ten  Erse  anfingen,  armer  zu  sein. 

Nahm  noan  hierzu  noch  den  Reise-Berichl  des  Ober*Hb(- 
ien-Verwalter  Slabin*^),  nach  welchem  jene  Arbeiten  nur 
wegen  des  Widerwiliens  aufgegeben  wurden,  den.  die  Jakulen 
des  Werchojaner  Kreises  dagegen  an  den  Tag  leglen  und 
zum  Thetl  auch  noch  jeizl  empfiadeni  so  inusste  man  an^ 
nehmeii:    * 

1)  dafs  das  Endybaler  Silber*  und  Bleivorkommen  sum 
Siidabhange  des  Werchojaner  Gebirge  gehore  und 

2)  dafs    die    Erze   an    demselben    sich    lohnend  zeigen 
wurden. 

Die  Reisegeselbchaft  haUe  sich  demnaeh  mil  den  nothi- 
gen  Geralh  zu  einein  Bergbau  zu  versehen^  der  mogiicher 
Weise  auch  in  sehr  harte  und  nur  durch  Scfaiefsen  zu  be- 
waltigende  G^steine  reichen  wiirde* 

Die  auf  anem  gaozen  Sommer  ausreichenden  Vorraihe 
von  Lebensmittein  mussten  in  der  StadI  Jakuzk  fiir  die  ge- 
sammie  Reisegesellschaft  besorgt  werden  und  zwar  bia,  zu 
dem  dortigen  Eintreffen  der  Arbeilsmannschart ,  welches  auf 
den  13.  Juli  festgeseUt  war.  Das  Miethen  dieser  Matoschaft 
zeigte  sich  ziemlich  schwierig^  weil  in  Jakuzk  selbst  durchaus 
Niemand  zu  findcn  war,  der  von  der  fragh'chen  Oerllichkeil 
h'gend  etwas  gewusst  hSlte.    Mit  besserem  Erfolge  erkundigfe 


•)  Aaa  deiD  Jahre  1829.    Yergl.  Erman  Reise  nm  die  Bitie  Abthl.  I. 
Bd.  2.  S.  222,  Q.  in  d.  Arch.  Bd.  IV.  S.  177. 


Bine  bergmauiUche  Expedition  in  das  WerdKhJansket  Gebifge.  295 

into  sich  darauf  in  den  Bezirk  der  Nama-Jakuteri,  dean  laan 
fand  den  AeliesLen  derselben^  Philipp  Rochleaow,  bereit  die 
Expedition  au  fiihren  und  erfuhr  von  iiim,  dafs  die  Endybaler- 
Anbriicbe  an  dem  Flusa  Endybal,  einem  der  Quellsufltisse  der 
Jann  liegen  und  dafs  man  den  450  Werst  langen  Weg  von  der 
Miindung  des  Aldan  bis  zu  denselben,  unier  den  gUnstigslm 
Umslanden,  nichi  schneller  als  in  HTagen  und  nicht  andera 
als  mil  Saumpferdeo  auiiicklegen  konne« 

Diese  Nachrichlen  lautelen^  Bamentlich  in  Beziebung  auf 
die  Transportmittel  ao  verschiedeny  von  den  zuerat  erhallenen, 
dafs  der  uraprilngliche  Plan  durcbaus  abgeanderl  werden 
mussle.  Man  beschless  nun  AUes  was  man^anLebeosimUeln 
und  sonstigen  Lasten  milzunehoien  haUe,  gleicbzeitig  oder 
doch  hoehslens  in  zwei  Malen  zu  Iransporiiren;  denn  der 
nachsle  Punkt  der  zur  Niederlegung  von  Vorrathen  dienen 
konnle»  die  Miindung  des  Aldan,  war  nun  docb  zu  enlfernt, 
um  AUes  was  man  gerade  bediirfen  wiirde,  von  dori  zu  ho- 
len.  —  Da  nun  ausserdem  durch  Regenwetter  in  der  Quell- 
gegend  des  Aldan  die  Bergslrome  anschwelien»  und  dadurch 
die  Dauer  der  Hinreise  bis  auf  einen  ganzen  Monat  veriangert 
werden  konnte,  so  schien  es  unumganglich^  gleich  beim  ersten 
Male  Lebensmiitel  auf  zwei  Monate  fiir  die  ganze  Gesellschaft 
^und  ausserdem  die  nSlhigsten  Bergmannsgerathschafien  mil 
sich  zu  nehmen^  ausserdem  aber  Jemanden  aus  der  Mannschaft 
mil  dem  spateren  Nachbringen  der  iibrigen  Ladung  zu  beauf- 
iragen.  Man  hatle  somit  20  Pferde  auf  einen  ganzen  Som* 
mer  und  46  andre  zum  Transport  der  genannlen  Gegenstande 
zu  mietben,  und  zwar  aus  den  zunachst  an  dem  Beslimmungs^ 
orle  gelegenen  Niederlassungen  (ulu^i)  der  Jakuten.  Da  aber 
die  Aufforderungen  zu  dieser  Lieferung  in  einer  zu  spaten 
Jahreszeil,  in  der  der  Uebergang  iiber  die  Lena  bereiis  unsi- 
cher  geworden  war^  erfolglen,  so  meldete  sich  zu  denselben 
nor  ein  Unlernebmer^  Juna  Winokurow  aus  dem  Nama»* 
Ulu«,  und  dieser  machte  so  hohe  Forderungen,  dab  der  An^ 
fuhrer  der  Expedition  beschloss,  die  ganze  Miethsangelegenheit 

Rmana  Bua.  AteUw.  Bd.  XL  B.  %.  3D 


296  PiiyslkaMseh-matlieinAtische  WiMeiuchaften. 

den  Riisrfschen  L6kalbehBrden  zu  uberlassen  und  sicb  spjUer 
mil  dieseti  amlali  mit  den  Unternehmera  absufinden. 

lAan  suchie  unterdessen  einige  muBdliche  und  daher  oiclil 
genugsam  zuverlassige  Aufscliliisse  tiber  die  mineralogischen 
Reichthiimer  des  umgebenden  Landes  zu  erhalten  und  nament-  - 
lich  liber  das  Vorkommen  von  Sieinkohlen,  Sleinsatz,  Wilui- 
Grossularen^  Chalzedonen ,  Carneolen  und  Opalen  am  Wilui- 
flusse,  Man  erfuhr  bei  dieser  Gelegenheit  nur,  dab  Jaknzker 
Privatleute  zu  verscfaiedenen  Zeiten  an  den  kleinen  Zuflfissen 
der  Lena  (auf  diese  Gegenslande)  gescbilrfl  hallen ,  jedocli^ 
nach  dem  was  von  den  dabei  beobachtelen  Umsiaaden  erzihit 
wurde,  meist  an  sehr  unpassenden  Stellen. 

Am  17.  Juui  vvaren  alle  Vorbereilungen  geiroffen  und 
die  ganze  Gesellschaft  schiffte  sich  auf  einem  Fabrseuge  auf 
der  Lena  slromabwaris  ein,  gelangte  jedoch^  wegen  widriger 
N.W.winde,  erst  am  21.  desselben  Monats  nach  der  Miindang 
des  Aldan^  wo  die  Wassersirabe  endet.  Es  wurden  daselbst 
in  einem  holzemen  Gebaude  iOO  Pud  Zwieback  aus  Roggra* 
meU  unter  der  Aufsicht  der  benachbarten  Bevdlkerung  nie- 
dergekgl,  denn  von  denPferden  die  man  bier  erhalten  soUie, 
Waren  ein  belrachllicher  Tbeil  schon  lange  vor  der  Ankunft. 
der  Reisenden  zu  Transporlen  nachOchozk  und  nach  andren 
Richtungen,  iheils  an  die Regierung,  Iheils  anPrtvaileule  ver-.^ 
miethel  worden. 

Von  dem  rechten  Ufer  des  Aldan  bis  zu  den  Vorbergea 
des  Wercho- Jansker  Gebirges,  fand  man  die  Wege  ausser- 
ordenllich  beschwerlich,  indem  auf  dieser  30  Werst  langeii 
Sirecke  iiberall  ein  lehmiger  Boden  von  sumpfiger  Beschaffen- 
heit  vorkam«  In  Folge  eines  Waldbrandes,  der  anbaliendem 
Regenwetter  vorherging,  und  durcb  die  hofaen  Friibjahrsiem- 
peraiuren  der  Lufi,  war  der  gewobnlich  schon  in  10  bis  15 . 
Zoil  Tiefe  gefrome  Boden  weil  tiefer  aufgethaui^  so  dafs  die 
Saunipferde  gleich  anfangs  mehr  als  2  Fufs  lief  einsankea 
und  ^sich  aus  Mangel  an  einer  fesien  Unterlage  alien  Anstren- 
gungen  zum  Trolz  nicht  frei  machen  konnien. 

Man  ward  demnach  genoihigt  sie  voUsland^  zu  entladeni 


Eine  bergmanitlsclM  Rxp^Aition  in  dafc  WeithojJintkW  6eblrg«,  297 

wobei  man  sich  «u  hiiten  batfte^  dab  nieht  die  oitiidneil  6e* 
genstande  und  nameailich  die  eisernen  Gerfithacbaften  in  dtll 
Sumpf  versanken  und  verloren  gingen;  demnaohat  >  aber  alia 
Laaten  selbat  zu  tragen  und  die  Pferde  ainzeln  su  fiifaren« 
Diese  Arbeit  gtng  so  iangsam  von  Stalten  dafa  in  der  MiUe 
des  SumpfeS)  trots  aller  Anatrengunlfen  der  reiaenden  Mann«* 
schaft  und  der  Jakutischen  Fubrer,  in  14  Siunden  nUr  Ifi 
Werst  (d.  h.  kaum  iiber  |  geogr.  Meile)  auriickgelegl  wurde;  ---^ 
Die  Pferde  die  scbon  bef  der  Fahrt  von  dem  Nama^Ultta  bia 
sur  Aldanmiiirdung  gehungert  batten,  fanden  nun  anch  bier 
k^n  geniigendes  Futter  und  ermatteten  daher  eo  aebr,  dab 
zur  Zuriicklegung  der  genannten  Streeke,  zusammen  mit  den 
ndlbig^n  Ruheslunden,  nieht  weniger  als  7  Tage  gebraucbl 
wurden.  Diese  temporaren  Sebwierigkeiten  acbeinen  erwab* 
nungdwerlh,  denn  bei  ihrei'  Rilckkehr  fanden  dieselben  Rei^ 
senden  den  von  ihnen  ausgetretenen  Weg  durcb  eben  diese 
Tundra,  imLaufe  desSommers  so  vollstandig  troeken  gewor- 
den,  dafs  er  von  ibnen  selbst  in  4^  Stunde  und  von  den  Saum^ 
pferden  in  7  Stunden  zuriickgelegt  wurde. 

Der  klein^  Fluss  5uordacb  entspringt  an  dem  Sildab- 
bange  -des  Werobojaniscben  Gebirges  und  ergiebt  sicb  in  den 
Aldan,  ganz  nabe  bei  dessen  Mundung  in  die  Lena.  Man 
blieb  60  Werst  weii  in  dem  Tbale  desselben,  in  dem  wieder 
andere  Sebwierigkeiten  zu  iiberwinden  waren.  In  Folge  der 
liaufigen  Kriimmungen  und  der  ziemKcb  starken  StrSmung 
dieses  Flusses,  mu^sten  ibn  die  Arbeiler  sebr  oft  und  in  sebr 
mbbsamer  Weise  durehwaten  und  eben  so  aueb  die  Zufliias^ 
desselbto,  die  unmittelbar  von  den  bdchsten  Und  oft  nocb  mil 
Sebnee  bedeckten  Tbeilen  des  Gebirges  herabkamen.  —  Da» 
Wasser  dieser  letzteren  balte  daber  Temperaturen  von  nie 
mebr  als  7^  R.,  war  aber  ofl  hocb  betracbllicb  k£lter  durcb 
Eisscbicbten  und  Eisbtigel  (sogenannte  nakipi,  d.  i.  Aufkocbun- 
gen),  die  sicb  in  dem  Thale  selbst,  in  Folge  des  Austritis  der 
Wasser  im  Herbsl  (?),  gebildet  batten. 

Dergleicben  nakipi  oder  Eisanhaufungen  fanden  aidi  an 
alien  ZuflOssen,  die  sicb  in  eiwas  weiteren  Tbalern  bewegen, 

20* 


298  Pbyaikftlitdi-infttlieinatischie  Wittentehtften. 

wie  der  Bailyk,  Suordach,  die  Ncra,  der  Sjaman  uod  grofse 
Bndybaly  and  «ie  haiten  tiberall  eine  Dicke  von  7  bis  10  Engl. 
Fu&.  Sie  etvtrecken  aieh  meisl  swei  bis  drei  WersI  weit  und 
grobe  Massen  von  ihnen  stiirzen  sich  oft  mil  ausserordentli- 
chem  Gerausoh  in  das  Beite  des  Zuflusses,  von  dem  sie  all* 
mfilig  imterwasdien  werden.  Von  der  Ob^flSche  eines  sol- 
chen  bei  den  Jal^iiten  sogenannten  Taryn  oder  Ejsberges, 
ergiefsen  sich.  Wasserfalle  in  den  Bach  und  entziehen  ihm 
fbrlwHhrend  die  Warme,  die  er  von  den  Sonnenstralen 
empfiingt. 

Die   vielen   Kriinmiungen   des   Suordach  werden   durcfa 
mehr  oder  weniger  abgerundete. Sands tein-Geschiebe  veran- 
tassi,  mil  denen  das  Thai  desselben  gefiilil  ist    BeimAusIriU 
seiner  Wasser  wird  ausserdem  feiner  Sand  abgesetst  und  da« 
durch  der  Grund  zu  Insein  gelegl,  die  in  fast  undurchdring- 
Keher  Weise  mil  Pappeln,  Weiden  und  andrem  Slrauchwerk 
bewachsen  sind.    Mil  eben  so  dichtem  Geholse  sind  audi  die 
Berge  bedeckl  welchc  dieses  Thai  umgeben,  auf  deren  Abhan- 
gen  •  aber  noch  ausserdem   iiberall  Larchen ,  seltner  Tannen 
und  Fichken  und  stellenweise  auch  Birken  und  Zirbelfichlen 
(P.  Cembra)^  die  in  diesen  Gegenden  sich  auf  den  Boden  la- 
gem  >  vorkommen.    Ueber  die  Abhange  konnle  man  wegen 
ihrer  Steilheit  und  der  SchuUhaufen,  die  oft  an  dieselben  an- 
gelagerl  und  mil  Moofs  bewachsen  sind^  nicht.  gehen.    Der 
demnacbsl  versuchte  Weg  iiber  die  Insein  zeigle  sich    aber 
gleichfalls  beschwerlich)  vermoge  der  dichlen  Bewaldung  auf 
demselben,  und  vorsUglich  durch  die  Ablageruogen  von  Treib- 
hois  die  oft  10  bis  15  Puis  hoch  waren.   Es  blieben  demnach 
ak  gangbar  nur  die  Ufer  des  Flusses  und  diejenigen  biselo, 
dorch  deren  Gehdlze  sich  mil  nichi  allzu  grofser  Mtihe  ein 
Durcfahau  herstellen  lids.  ~  DieMannschaft  wurde  demnach 
in  mehrere  Wachcn  von  je  12  Mann  getheill,  die  sich  (ag- 
licb  ablSsten  und   von  denen  dann  immer  je  vier  Mann  mil 
der  Aufnahme  des  Weges  und  8  mil  dem  Durchhau  desselr 
ben,  beschSfligl  waren. 

Die  Pferde  verwuodelen  sich  die  Fiifse  —  \veil  (?)  die: 


Eine  bergmaimiiciie  Expedition  in  chM  Werebo'SjAiMket  Gebir^.  299 

Jakuten  sie  nach  ihrer  Gewohnheit  utid  Irolz  der  VorsteUon- 
gen  dtr  Reisenden  nicht  beschiagen  hailen.'  In  Folgie  xiein- 
lich  starker  Hitze  und  Trockenbeil  fanden  sich  auf  dem  gan* 
zen  Hihwege  nur  wenig  gute  W«ideplStze.  Die  Pferde  mussten 
vielmehr  meisiens  auf  Slellen  iibernachleo,  iiie  tinr  init  Vacci«* 
ilfen  iiberwacbsen  waren.  —  Sie  wtirden  indesseii  auch  bei 
reichlicberer  Nahrung  kaum  weniger  von  Kraften  gekommen 
sein^  weil  Wolken  von  Inseklen,  durch  die  das  Jahr' 1860  be- 
senders  au^ezeichnel  war,  nicbl  blofs  beiTage  iiber  sie  herr« 
fielen,  sendera  auch  in  den  Nacbten,  die  so  hell  wares  wie 
die  Tage. 

Als  man  sich  der  Quellgegend  des  Flusses  naherte,  faon 
den  sich  die .  Geschiebe  immer  grdber  und  ersehwerien  die 
MSrscfae,  die  auch  ohnedem  nicht  iiber  15  WersI  in  eiaem 
Tage  betnigen. 

In  FoJge  aller  genannten  Umstande  imissten  die  Jakuieo 
oft  von  dem  Nachtlager  zuriickreiten,  um  Theile  der  Laduog 
KU  holen,  welche,  wihrend  des  vorhergehenden  Tagematr 
sches,  wegen  ailzu  grofiser  Ermiidung  der  Pferde,  zuruckge« 
lassen  worden  waren.  Im  Verlaufe  von  8  Tagen  hatte  dm 
Gesellschaft  endlieh  den  5uordach  bis  zu  seiner  Quelle  auf- 
warts  verfolgt,  war  durch  eine  Schlucht  in  das  Thai  des  Bai- 
lyk  hinabgestiegen  und  in  diesem  bis  zu  einem  138  Wevst 
von  der  Aldan -Mundung  entfernten  Punkte  geblieben.  An 
dieser  Stelle  veranlasste  die  Langsamkeil  der  bishetigefi  Reise 
and  die  Unmogfichkeit  sie  in  der  Folge  zu  bescbleuntgetii  zu 
besonderen  Klafsregdn  fiir  die  Verpflegung  der  MannschafL 
Es  wurde  nauilich  ein  Mitglied  derselben,  Namens  Larion 
Jephimow,  nach  Jakusk  zuriickgeschickt,  mh  daselhst  geho* 
rigen  Ortes  iiber  die  Beschwerden  der  bisherigea  Reise  zu 
berichten  und  um  sodann  die  am  Aldan  zuriickgelassenen  Le- 
bensmiltel  moglichst  schnell  herbeizuscbaffen. 

Die  fernere  Reise  erfolgte  unter  ganz  ahnlicbl^n  Umslan-^ 
den,  wie  die  bisher  erwahnten,  und  sie  endete  am  17.  Juli 
mit  der  Ankunft  in  der  zu  untersuchenden  Oertlichkeit.  Einige 
fernere  Bemerkungen  iiber  die  Beschaffenheit  des  durchrmsten 


300  PliyiiMiMb-iiiatberaatlsclie  WittcMcbftfleB. 

Landsiriches  schtinen  aber  bier  am  so  ndthiger,  da  sie  auch 
bei  der  Frage  nach  der  Braachbarkeit  der  Endybaler  Anbriidie 
in  Belrafehl  kommen. 

Der  turSckgelegte  Weg  war  im  Miitel  nach  N.  30®  O. 
gerichteL.  E^Iag  yon  der  Miindung  des  Aldan  ohue  Ausnahme 
in  Flussthalern  und  belrug,  von  diesem  Punkte  an,  323  Werst 
Der  felsige  Bbden  jener  Thaler  machi  die  Anl^ung  einer 
Sommerslrafse  durchaus  unmoglieb,  un3  vermdge  der  Sleil- 
heit  der  Abhiinge,  is(  vielmehr  niir  an  einen  Pfad  fur  Saum*- 
pferde  zu  denken.  Der  Weg  selbsl  hatte  aber  Uberall  nnr  so 
geringe  Neigungen,  dafs  er  zur  Schlittenfahrl  aussersl  gee^** 
net  schien. 

Die  Vegetalion  isi  iiberall  wo  genugsam  macbtige  An- 
sohwemmungen  den  Felsboden  bedeckl  haben,  belriiehtlich 
enlwickelt  So  namentlich  an  den  Ufern  des  Aldan,  die  mil 
eaner  gemischlen  Waldung  bedeckl  sind,  von  welcher  man 
ein  Fiinftheil  als  Bauhols  benuteen  kann.  In  dem  Werebo- 
jansker  Gebirge  selbst  ist  aber  dann  freilich  ein  der  klimati* 
schen  Bedingung  entsprechender  Holswuchs,  nur  auf  die  In- 
sein  in  den  Flussthalern  ond  die  sanfteren  Bergabhange  be- 
achrankt  Auf  den  Inseln  stehen  ausserordentlich  schlanke 
Larehen,  deren  Dicke  nicht  Qber  18  bis  22  Engl.  Z.  betriigt. 
Der  junge  Nachwuchs  derselben  wird  meist  durch  bewunde^ 
rungswiirdig  dichies  Unlerholz  erstickt,  und  es  bleibi  daher  die 
Dichlheil  der  Nadelwaldung  ekwas  geringer  als  eine  mittlere. 

Auch  die  Bergabhange  sind  milLarchen  beseUt,  die  dber 
nieinals  ihre  voile  HShe  erreichen:  offenbar  nur  wegen  des 
steinigen  Bodens  auf  dem  sie  wurzeln,  da  sie  in  den  Tfaalem 
vdllig  ausgewachsen  vorkommen.  Auf  den  Abhangen  werden 
die  Stamme  nichi  uber  18  EngL  Fufs  hoch  und  5  Zoll  dick. 

Unter  den  Thalern  des  siidlichen  Gebirgsabhanges,  in 
denen  die  Vegetation  im  Allgemeinen  begiinstigter  ist,  ist  da^ 
des  Neraflusses  besonders  holzreich.  An  dem  Nordabhange 
findel  man  dagegen  durchweg  nur  armlichen  Pflanzenwuchs 
und  zum  Theil  auch  ganz  nackte  Stellen. 

Eigenthche  Wiesen  giebt  es  nur  auf  den  Inseln,  ui^d  auch 


Bine  bergmMmisciie  Bxpedilioii  in  dai  Werclio*laBilctr  Gebirge.  901 

■ 

auf  diesen  so  wenig,  dafs  bis  jelzl  an  die  Anl^;iing  von  Hm^ 
vorralfaen  fiir  den  Winter  kaum  %u  denken  isl.  Es  giebt  in* 
dessen  in  den  Thalern  der  Fiiisse  Saordach,  Bailyk  and 
Nera  viele  Stellen  die  sich  durch  Abbrennung  in  Wiesen  ver- 
wandeki  liefsen. 

Diese  Angaben  iiber  die  Vegetation  und  Terrainverhalt- 
nisse  geniigen  zii  dem  Beweise,  dab  die  Verpflegung  der 
Mannsebaften  die  sieh  an  dem  Endybal  niedei-xulasaen  faktlen, 
wenn  man  diedertigen  Erse  bearbeiten  wolUe,  nur  im  Win^ 
ler  gescbehen  konnte. 

Zu  den  wesentlichsten  Hindemisten  gehoren  ubrigens  der 
Mangel  an  Holz  und  die  Nothwendigkeit,  dasseibe  auf  einem 
betraebllichen  Raume  su  sammeln^  so  wie  auch  der  Mangel 
an  Kaik  auf  der  gansen  Strecke,  welche  die  in  Rede  stehende 
Reisegeselischaft  durchschritten  hat  Die  genaure  geognostische 
Untersuchung  hat  bewiesen,  dais  die  Werchoiansker  Berge 
ausschliefslich  aus  Sandslein  und  Thonschiefer  bestehen. 

Bei  den  Endybaler  Anbriichen  suchle  man  suerst  die  Art 
des  Vorkommens  der  Erse  und  dessen  Beziehung  tu  den 
umgebenden  Gebirgsarten  zu  erforschen,  reinigte  sodnnn  einige 
alte  Oerter,  uniersuchte  die  Anschwemmungen  in  dem 
Thale  durch  einen  Schurf  und  veranslaltete  eine  geognostische 
Aufnahme  der  zunaehst  angranzenden  25  Quadrat  Wersl.  — 

Der  Erzfuhrende  Berg  enthalt  5  Bleiglanzgange,  von  de* 
nen  4  schon  frulier  bekanni  waren.  Sie  sind  nicht  iiber  4,5 
Zoll  machtig.  Die  EntblSfsungen  und  alten  Baue  liegen  alle 
an  dem  S.W.-Abhange  des  Berges,  der  dort  ateil  und  felsig 
ist,  —  Eine  nahere  Untersuchung  zeigte,  dafs  dieses  ganze 
Vorkommen  fur  eine  Folge  des  Durchbruches  des  Feldslein* 
porphyr  durch  die  Scbjchten  von  Thonschiefer  und  Grauwak- 
kensandslein  zu  erklaren  ist.  Da(s  die  einzelnen  Gange,  ver- 
moge  ihrer  geringen  Abstande  von  einander  und  der  Ueber- 
einstimmungen  in  ihrem  Fallen  und  sonsligen  Eigenschaften, 
wie  Triimmer  von  einerlei  Hauptmasse  erscheinen,  dafs  diese 
eine  belrachlliche  Ausdebnung  besUzt,  indeni  der  Eiscnglanz 
imd  der  Schwefelkies,  welche  die  Silberhalligen  Bleierze  be- 


302  Plijwiluliiob-matlieinatiiolie  Wltteiifcluiteii. 

gleileoy  auch  an  dem  Ostabbange  dessdben  Berg«ige$  su  Tage 
g^heiii  und  dais  endlich  die  Breite  des  ErzfiihrendeD  MiUeb 
nur  durcb  die  Eiiiwicklung  des  genanolen  Porpfayrs  bedingi 
iakf  welcber  in  derUmgegend  derAnbriicbe  in  sechs  mil  eirn 
ander  parallelen  Ziigen  auftriit..  —  Diese  unlen  naher  %n  enU 
vvickelnden  Tbatsaohen  raachen  das  Endybaler  Vorkominen  ku 
einem  hochst  bauwiirdigeii. 

An  Bauholz  feblle  es  so  entschieden,  dafs  inan  die  nolh^ 
wendigslen  Siiicke  xur  Zimmerung  aus  betraelUlieheii  Gnlferr 
nungen  herbeischafifen  inussle^  und  da  man  ^usserdem  aueb 
keinen  Kalk  besafs,  so  wurden  die  Versuchsarbeiten  nur  in 
kleinem  Mafsslabe  auf  folgende  Weise  ausgefiihrt:  man  fing 
damit  an  einen  Versuchsschacht  an  Hiem  Siid-Ende  des  Berges 
absuteufen,  und  beabsichligte  ihn  so  weil  fortzuselsen,  vvie  ^ 
die  unterdessen  unternommene  Aufsuchung  von  BauhoU  ge- 
staiten  wurde.^  Bei  gunsUgemv  Autfali  dieser  leUteren  sollte 
er  durch  das  feste  Gesieia  gefiihri  werden  und  wUrde  dann. 
in  9  5ajen  (63  EngL  F.)  Teufe,  den  einen  der  Gauge  durch- 
scbnitlen  haben.  Im  entgegengesetzien  Falle  wollte  man  di^ 
Arbeit  nur  bis  zur  Erreiehung.  des  fesien  Gesleines  forlsetzen, 
so  dafs  sie  nach  Art  eiiies  Schurfes  die  Madit^keit  und  die 
Be^chaffenheit  der  angeschwemmten  Massen  kennen  lehde. 
Der  gefrorne  Boden  und  die  machtigen  Gescbiebe  und  Trtimr 
mer  die  man  dabei  aniraf^  erschwerlen  die  Ausitihrung  dieses 
Voihabens  in  dem  Maafse,  daCs  man  nach  12Tageo  nur  eine 
Tiefe  von  3  Sajen  erreichte.  Man  hatle  das  Zimmerungsbolz 
aus  Enlfernungen  von  300  bis  400  5a^en  herbeiscbaffen  miia- 
sen.  Das  Abteufen  selbst  geschah  iheils  'durch  Feuer,  Iheils 
mil  Keilen. 

In  den  Anschwemmungen  fanden  sich  nur  von  den  nachst- 
gelegenen  Gebirgsarlen  Bruchslucke ,  zum  Beweise  daCs  das 
Goldsuchen  in  jener  Gegend  vollig  erfolglos  jsein  wiirde  *). 


*)  Dabei  wird  natiirlich  vorausgesetzt,  dafs  der  noch  naher  zu  beschrei- 
bende  sogenannte  Feldsteinporphyr  nichC  zu  den  goldbringenden  Ge< 
steineD  gehort.  D.  Uebers. ' 


Bine  bergmanniieh^  EvpediliMi  in  dM  Wercho-Jmk^  Gebirge.  gQS 

Die  B^fiichligutig  der  alten  Baue  war  gleichfalls  selir  !>€•« 
sehwerlich,  denli  sie  besfcehn  dus  emer  grofsenZahl  vonStol^ 
(en,  die  in  so  verschiedetier  Hdhe  angesetit  sind,  dafs  man 
nicbt  vorhersehen  koDn|e»  wekher  von  ihneti  iiber  die  Nalur 
des  Vorkommens  Aufsohliiase  geben  wiirde.  Da  sie  ausser- 
dem  gauK  init  Cis  geiulll  waren,  so  koDDte  man  sogar  ihit 
AasdehnuBg  uur  naeh  einigen  vorliegenden  HaMen  beur- 
Iheilen. 

Die  Verfolgung  der  alien  Lagerstalle  bis  eur  Auffin?- 
^  dang  von  neuen,  hSUe  atis  folgenden  Griinden  ebenso  be- 
trachUiche  Hindetnisse  gefui^den.  Der  Feldsteinporphyr 
gehl  an  der  Oberflache  eines  flaehen  Berges  zu  Tage,  indem 
er  die  Tlwnschichten  60  bis  75  Sejtn  hoch  durchselzt  Mao 
kann  daher  sehr  leicht  durch  einen  oberflachlichen  Scburf  die 
eioxelnen  Adem  dieses  Gesteines  auffinden  und  verfolgen,  die 
sich  an  den  Abhangen  gegen  BacliesseUuchten  xu  erkennea 
geben.  Erwagi  man  aber  dafs  die  Erze,  die  sich  in  Folg^ 
eiiier  natiirlichen  Enlblofsung  bei  75  5^'efien  Teufe  seigen, 
nur  Schniire  bilden^  wahrend  machligere  und  bauwilrdigere 
Eruniltei  erst  unler  den  Thalaohlen  tu  erwarten  sind,  so  ist 
kJar,  dab  niir  Zufalligkeiien,  wie  die  besondere  Tiefe  odev 
siarkere  Auswaschung  eines  der  umgebenden  Thaler  zu  neuen 
Anbrdchdn  fiihren  konnle,  dafs  aber  ausgedehnteres  Schiirfen 
iiber  Tage  (iir  ganz  unniitz  gellen  mnsste  *). 

Von  den  seit  1779  verlassened  Bauen,  die,  wie  schon  gef^ 
sagty  mil  Eis  vollstSndig  geftiilt  waren,  warden  nur  einige 
letcbier  zugangliche  aufgerauml  und  fuhrien  zu  folgenden 
Vorslellungen  iiber  die  dabei  verfolgte  Ansichi  und  iiber  den 
Grund  ihres  endlichen  Aufgebens: 

Von  den  5  kleinen  Gangen  oder  Trumen  waren  im  vo- 
r^en  Jahrhundert  nur  4  bekannl,  die  man  demnachsl  in  ver* 
scbiedenen  Tiefen  anzufahren  suchte.  Man  findel  daher  eine 
grofse  Menge  von  Stollen,  die  in  den  verschiedensten  Hdhen 


*)  Warom  dieses  niclit  an  passeQden  Steileii  der  Thalsohle  gescbehen 
konnle,  ist  vroid  eben  nicht  klar.  D.  Uebers. 


304  PhyslkaUioh-inallieiiiaCliek^  WiMeiitelHilteB. 

Kwischen  dem  Niveau  der  Thaisohle  und  27  Sajenen  iiber 
derselben  angeselzl  und  roeisl  hornontal  gefiihrt  sind.  Nach- 
dem  Umfange  der  ausgebrachlen  Halden  sind  sie  meiai  von 
geringen  Dimensionen;  auch  konnten  vide  von  ihnen  dena 
Draeke  des|  Berges  nicht  wideratehen.  Man  aidil  ferner, 
dafs  diese  Baue  alimalig  im  Verlaufe  der  funfjafarigen  Arbeil 
immer  liefer  angeseUI  wurden,  indem  man  dem  Fallen  der 
Trumme  folgle,  ofane  jedoch  jemals  unler  die  Thalsohie  su 
dringen.  — 

Die  Steiiheil  der  natUriidien  EntblaisUngen  des  S.W.-Ab- , 
hanges  erschwerte  die  wohl  urspriinglicfa  gewiinselile  Ausfdh- 
rung  von  hoch  gelegenen  Oertem,  anch  hat  man  ant  ausser- 
mrdenllicher  Anslrengung  einige  dergleichen  £u  Slande  gebracht 
Bis  zu  fast  20  5a;enen  H5he  sind  namlich  Slufen  in  die  Feb- 
wand  gehauen,  auf  denen  die  Arbeiier  bis  m  dem  .Niveau 
einer  jetzt  verslUrzlen  Slollensohle  aufstiegen.  Sie  baben  aber 
durch  diese  Anslrengungen  Nichts  als  Schwefelkies  gef&rderl. 
Der  einadge  Schaefat  unler  diesen  Bauen  war  fast  auf  dem 
Gipfel  des  Berges  angesetzt* 

Es  ist  klar,  dais  man  mit  diesen  Aniagen  nicht  im  Slande 
war,  die  Tiefe  von  35Sajenen  zu  erreichen,  in  welcfaer  docb 
erst  die  Silberhaltigen  Bleierze  vorkommen.  Wahrscheinlicb 
ist  aber  als  sicher  angenommen  und  als  Richtschnur 
fur  die  Bearbeitung  gebraucht  worden,  dais  man  die  Erse 
immer  bauwiirdiger  finden  wiirde,  wenn  man  sie  in  einer  ho* 
rizontalen  Richtung  weiter  verfolgle.  Erst  spater  hat  man 
dann  wohl  bemerkt,  dafs  die  zu  Tage  liegenden  Anbriicbe 
gegen  den  Horizont  der  Thalsohie  reicher  werden  und  hat 
hierauf  den  letzten,  offenbar  aber  ebenfalls  erfolglosren  Ver- 
such  begriindet,  bei  welchem  sich  die  Leiter  dieser  fiinfjahri- 
gen  Versuchsarbeiten  wohl  endlicfa  iiberzeugten,  dais  uber 
dem  Flussniveau  nichts  Bauwiirdiges  zu  erwarten  ist  und  das 
Tiefbaue  in  den  Lokalverhaltnissen  zu  grofse  Scbwierigkeilen 
finden  wiirden. 

Die  Angaben  iiber  allmahlige  Verschlechteruug  der  Oerter, 
waren  offenbar  unwabr.  wiewohl  das  Aufgeben  der  Arbeilen 


Eine  bergiaiiiiiltolie  Bxpedilioii  in  <lu  Wcrclio*laMktr  Gebirge.  3Q5 

sich  anderweitig  voUstandig  rechlfertigen  Bell.  .  Nur  hallen 
die  damaKgen  Uoteraucher  nichi  5  Jahre  gebrauchen  soUeo, 
um  die  Unmoglichkeit  (?)  eines  Berg-  und  Hiitlanbelriebes  un- 
ler  Verhkilnissen  wie  die  dorUgen,  dnsusehen. 

Die  Ucberreste  von  Obdachern,  die  nur  sum  Schula  ge- 
gen  Un wetter  im  Fnihjahr  und  im  Sommer.  eingeriehtet  sind, 
beweisen  genugaam,  dafis  ^  Mannichaft  beim  Anbruch  des 
Winters  nach  anderen  WohnplSlsen  absog.  —  Das  Material 
jener  holsemen  Gebaude  und  dafs  der  Zinunerung  in  den  al- 
ien Gruben  beweist,  dafs  auch  damals  cin  Slamm  von  9  ZoU 
Durchmesser  zu  den  Seltenheiioi  xiihite.  Der  Name  eines 
Hiittenwerkes,  den  die  Eingebornen  den  Endybaler  Aniagen 
sowohl  damab  als  aueh  noch  jetsti  in  Foige  miindlieher  Ueber- 
iieferungen,  zu  geben  pfiegen,  ist  offenbar  theils  dureh  die  da- 
sdbst  eingerichtete  Schmiede  entslanden,  theiis  auch  blob 
durch  den  Umstand,  dafs  die  dortigen  Arbeiten  fiinf  Jahre 
lang  dauerten. 

Die  Resultate  der  neuen  Untersuchung  im  Werchojaner 
Gebirge  lassen  sich  demnach  folgendermaaben  zusankmen* 
fassen : 

1)  Da  das  Endybaler  Vorkommen  bis  jetst  nur  m  Tru- 
men  oder  Auslaufen  von  einer  Eramasse  besteht,  die 
unter  dem Niveau  derThalsohle  liegt,  so  ver- 
dienl  sie  bis  jetzt  auch  nur  den  Namen  von  bauwUr* 
digen  Anseigen. 

2)  Der  Mangel  an  Bauhola,  an  Brennmalerial  und  an 
Wiesen,  machen  die  Bearbeitung  derselben  unmSg* 
lich;  auch  wurde  ausserdem  die  Aniage  daer  Hiltte 
dureh  den  Mangel  an  Kalk  und  an  guten  Gestellstei* 
nen*),  selbst  wenn  das  Breniihob  ausreichen  soUte» 
bedeutend  erschwert. 


*)  Manche  der  von  dem  Verfasser  fiir  aniiberwindlicb  erklarteh 
Scliwierigkeiten  werden  gewiss  oicbt  allgemein  and  £ar  immer  als 
6olcb«  anerkannt  werden ,  vor  allem  aber  nicht  die  zoletot  erwalmte, 
denn  da£i  aicb  in  4er  freilicb  sebr  feMspatbreichen  Grauwacke  und 


306  PliyilkAlltoh^inatlkeinatiMha  Witteuclyitea. 

3)  Die  Ausfuhr  von  LebensiniilelD  und  anderen  Erforder- 
nisse  von  der  Miindung  des  Aldan  kann  nur  im  Win- 
ter  geschdien* 

4)  Einen  HiiUenbetrieb  hat  es  in  dieser  Gegend  Jiiemals 
gegeben,  und  die  fiinfjahrigen  Versuehe  in  den  sieb- 
siger  Jahren  des  vorigen  Jahrhundeiis,  beacbrftaklen 
sich  vieimehr  aul  die  Bane  deren  Plan  bier  beigege- 
ben  wird. 

5)  Obgleich  die  Ansicht  von  der  Bauwiirdigkeil  des  ge- 
nannicn  Vorkommens  aiif  geognoslischen  Beobachtun- 
gen  von  betrSchklicher  Ausdehhung  begriindei  ist,  so 
bleibt  die  Auffindung  neuer  Anbriicbe  doch  ioinier  ein 
Werk  des  Zufalls,  weil  die  Anschwemnmngw  in  der 
dorligen  Gegend  selir  machtig  sind, 

6)  In  der  Miite  und  an  dem  S.W.*Abhange  des  Wercho- 
janer  Gebirges  sind  durchaus  keine  Anaeigen  von  edlen 
Melallen  vorgekommen. 

Die  Rtiekkehr  (nach  Jakuik)  wetche  die  Reisegeseilschafi 
in  Folge  der  Anordnungen  des  Generalgouverneur  von  Osts 
5ibirien  am  3.  August  antral,  und  bei  der  sie  keine  weiteren 
Geschafte  halte>  konnte  dennoch  voraussichtKch  in  nichi  we- 
niger  als  einem  Monat  voiisogen  werden,  weil  das  spariiche 
Putter  in  der  Umgegend  des  Endybal  nicht  verniocbt  hatte, 
den  Pferden  ihre  verlornen  Krafle  wiederzugeben. 

Herr  Meglizkji  halte  erfahren,  dafs  in  dem  Thale  des 
Sineiflusses,  der  200  Werst  oberhalb  Jakuzk,  von  der  linken 
Seite  in  die  Lena  mttndel,  Silberhaltige  Bleierze  vorkommen 
soUen,  und  wiinschle  demnach  sowohl  diese  Oerllichkeit  ais 
auch  das  Thai  des  Botamaflusses,  an  dem  die  Jakuten  Eisen 
schmelzen^  zu  besichiigen.  Er  ubertrug  daher  dem  Unter- 
schichtm^eister  Wakarin  und  den  Steigern  die  Anfiihrung 
der  Mannschaft  wahrend  der  Riickkehr  und  reiste  mit  dem 
Topographen  Schtschetschilin  voraus  nach  Jakuzk. 


den  daza  gekorigen  Schiefern  nicht  dennoch  c'tnige  genogsam  feoer- 
bestandige  Schicliten  linden  sollteni  ist  unwahrscbeinlicb.  K. 


Rine  beri:mliniiiiche  Bxpedilioii  ia  dM  W«lrGho-JlMisk«r  Gebirge.-SOQT 

Die  Kunde  von  den  Ersen  aih  iSkiei  war  rdn  den  dorii* 
gen  Eingebornen  ausgegtogen,  und-  konnte  demnach  auch  jelst 
nur  mit  ihrer  Hulfe  vervollslandigi  werden..  Da  sie  aber  die 
direkte  Anfrage  eines  dabei  betheiligten  Bergbeamlen  vielleicht 
zur  Verheimlichung  ihres  Wissens  veranlasst  haben  wiirde,  so 
wurde  bescfalossen-  eine  vorlaufige  Untersocbuiig  den  Ortsbe- 
horden  zu  uberlasaen.  Herr  Meglizkji  besiehiigie  unierdes- 
sen  das  Ebenvorkommen  an  der  BaiaAia  oder  Botoma. 

Der  kleine.  FIusb  dieses  Nainens  falll  103  Werst  ober* 
halb  Jakusk  Von  der  rechlen  Seiie  in  die  Lena.  Er  fliefet 
von  Siiden  nach  Norden  und  weadel  sich  nur  era!  nahe  bei 
seiner  Mundung  gegen  Westen.  Sein  Thai  ist,  so  weii  mail 
es  besichtigl  bat,  ausserordentlich  reich  an .  WaldbSumen  und 
anderweitiger  Vegetation.  Larchen-Geholze,  in  denen  viele 
Stamme  bis  zu  2,2  Engl.  Fufs  im  Durchmesser  haben  ^  und 
Fichtenwaidungen  bedecken  die  Oberflache  der  Berge,  die  zu- 
sanimen  das  flache  Hochland  an  der  Sudseiie  der  Lena  aus- 
machen.  Oiese  erbohle  Masse  zeigl  sich  in  der  Thai  iiberall 
zwischen  der  Bolania  und  Lena ,  als  eine  wellige  Oberflficbe 
von  nichl  mehr  als  250  Fufs  Hohe  iiber  den  Thalern,  gegen 
welche  sie  iheils  sanfle,  reich  bewacbsene  Abhan^ge  kebrti 
Iheiis  auch  nackte  senkrechte  Felswande. 

Die  geognosiische  Beschaffenheit  dieser  Bergmasse  isi 
sehr  einfBrmig.  Sie  beateht  durchweg  aus  horizonlalen  oder 
welligen  Sckidhlen  eines  derben  Kalkes  von  hellgrauer  Farbe 
und  muaehlickein  Bruch.  Diinne  Zwischenlager  eines  griin-* 
lichen  Schieferihones,  trennen  die  Kalkscbichien,  die  hier  keine 
Versleinerungen  enlbalten.  Herr  Meglizkji  uberxeugte  sich 
aber  von  der  Ununterbrochenheit  dieser  Formation  bis  zur 
MtlBdung  des  ^neiflusses,  und  fand  an  derselben  in  ihrPflan- 
zenresie,  die  ihn  veranlassen,  sie  zum  Steinkohlengebirge  zu. 
redmen* 

y,Die  wellige  Oberflache  welche  diese  Kalkbildung  schon 
bei  ihrer  Ablagerung  annahm,  \eranlassle  spatere  Wasserbe-* 
deckungen  sich  in  Becken  zu  vereinigen,  und  in  diesen  haben 


306  PhTSikaUfech-mathemQUache  WtiieniehiifMfB. 

steh  dann  die  BisenenB  fiihronden  Lager  abgeselzl,    welche 
Jetzl  vQii  den  Jakuten  bearbeitet  werden.*" 

Diese  Lager  <von  jtlngsler  Enlstehung  zeigen  folgende  An* 
ordnung:  unmiUelbar  unfer  der  Dammerde  findet  luaa  etne 
gant  lockere  Schichi  von  Quaresand  in  dnem  Thone,  der  nur 
schwach  mit  Eiaenoxyhdydrat  gefarbl  ist  Unter  dieser  UAgen 
als  Hangendes  die  eigentKcfaen  Eiseniager^  eine  Sduchl  von 
weisaen,  abgerundeten  Quarzgerollen  in  einem  eisenschiiasigen 
Bindemittel.  Die  Einschiiisse  dieser  Sefaicht,  wechselti  von 
eigenllichen  SandkSmem  bis  zu  Gerdllen  von  l,8ZollDurcb- 
messer,  imd  seine  Structur  ist  demnach  bald  die  eines  feiii* 
kSmigen  Sandsteines,  bald  eines  groben  Conglomieralen. 

Die  eigeniliche  Erzschicht  besleht  zu  grdfstein  Theil  aus 
einetn  meist  derbtn,   bisweilen   aber   auch    blastgen   Braun^ 
eisenstein,   dessen  Holungen   im  letzterert  Falie  mil  gdbetn 
Thone  gefulit  sind.    Nicht  seiten  kommen  aneh  adrigeAbson** 
derlingen  desselben  vor,  die  sich  durch  dunkelbraune  Fiirbang 
von  dem   (umgebenden)  Thoneisenstein   unterscheiden.     Die 
MSchtigkeit  dieses  Lagers  ist  sehr  veranderlich,  soil  aber  nach 
den  Aussagen  der  Eingebomen,  nicht  iiber  3,5  Engl.  Fub  be- 
tragen.    Dagegen  sind  Verschniirungen  desselben  sehr  hatifig 
und  so  ausgezeichnety  dafs  oft  zwischen  zweien  neslarligen 
Anschwellungen   nur  eine  2  bis  2,5  Zoll   dicke  Verbindung 
Qbrig  bleibl.    Das  Liegende  des  Eisensteinlagers  besteht  tbeils 
aus  dem  beschriebnen  Conglomerati  theils  und  Sfler  aus  eioem 
gegen  2,3  Fufs  machtigen  Lager  von  gelben,  sehr  bindenden 
Thon,  der  unmittelbar  auf  dem  Kalk  des  dorligen  Lenalhales 
(Kohlenkalk)  ruht.    Der  beigegebene  Durchschnili  elites  Thei^- 
les  der  flachen  Bergmasse  zwischen  der  Botoma  und  Lena 
zeigt,  dab  die  Erze  nur  an  deren  Obeiilache  vorkommen  und 
das  welllge  Ausgehende  des  Kalkes  beweisl,  dafs  ,man  nach 
Erschopfung  der  jetzt  vorhandenen  Anbriiche  ohne  besondere 
Muhe,  deren  mebl'e  finden  wird.  Aus  einem  mehr  detaillirten 
Durchschnilt  des  sogenannten  Schesljakower  Anbruches  ersiehl 
man  femer,  dafs  die  Machligkeit  dieser  jungen  Bildung  niohl 
iiber  1,5  5ajenen  (10,5  Engl.  FuDs)  betragt,  und  dafis'die  be- 


Rine  bergmaiMisehe  fixpedilioft  In  dtuk  Weroho-lantker  Gebirge.  309 

deckende  Schicht  von  lockrem  Sande  sellen  mehr  als  3^6  E.  P. 
betragt.  Die  Forderung  der  Erze  ist  daber  eine  auAserst 
leichle.  Der  Transpori  derselbeti  nach  iiigend  einem  der  be* 
nachbarlen  Orle  wiirde  durch  Aniage  eines  Weges  uber  die 
Qache  Bergmasse  zu  bewirken  sein,  da  ein  einfacher  Durch* 
hau  durch  die  dorlige  Waldung  hinreicht,  denn  die  sai^ea 
Abhange  der  Wdien  auf  jenem  Plateau  bedurfen  keiner  Ver<- 
anderung. 

Das  bisher  Gesagle  besieht  sich  auf  die  £wei  Anbriiehey 
die  die  Jakuten  gegetiivariig  bearbeiten,  und  von  denen  der 
eine  der  Schestjakower,  nach  aeinem  Enldecker  benanni  iat, 
weleher,  vne  man  behaaplel;  in  detn  dorligen  Thale  Gold 
gesucht  hat  Dieser  und  der  zweiie  (unbenannte?)  Anbruoh 
sind  von  vollig  gleicher  Beschaffenheit,  und  sogar  in  den 
Wechselni  welche  die  Machtigkeii  der  Lager  erleidet,  durch* 
aus  ubereinstimmend. 

Herr  Meglizkji  hal  eine,  25  Werst  von  der  Miindung 
der  Botonia  in  die  Lena  gelegene  Ebene^  von  50  Quadrat* 
werst  aufnehmen  lassen,  welche  ihm  zur  Aniage  eines  Wohn-* 
platzes  und  der  nolhigen  Fabrikgebaude  besonders  giinsiig 
schien.  Die  Botama  beschreibt  innerhalb  derselben  einen  nahe 
halbkreisforqdigen  Bogen,  dessen  convexe  Seite  nach  Nordeli 
gekehrt  ist.  Der  Fluss  granzt  dort  zu  seiner  Linken  an  senk- 
rechte  Kalkfeben;  init  der  rechten,  d.  h.  concaven  Seite  sei* 
nerBiegung  aber  an  eine,  gegen  600  Sajen  breitei  Thalsohle* 
Abwarts  von  dem  Flusse  erhebi  sich  die  dorlige  Ebene  gam 
alloiablig  zu  eiiier  hiigUchen  Oberflache  und  es  giebt  auf  die* 
sem  Raume  zum  Heuschlag  geeignete  Triften,  Wiesen  und  Ak- 
kerland)  deren  (Jmfang  durch  Lichtung  der  Waldung  noch 
betrachllich  vermehrt  werden  kdnnle.  Die  Breite  des  Fliiss- 
chens  ist  innerhalb  jenes  Bogens  sehr  gleichmafsig  und  seine 
Tiefe  beiriigl  bis  zu  4  Fub. 

Die  Jakuten  betreiben  ihre  Eisenfabrikation  im  Herbst  und 
im  Winteri  in  der  Nahe  der  Erzlager.  Es  beschafligen  sich 
mit  derselben  nur  wentge  von  ihnen,  an  den  Niederlassungen 
Kat8chikat»  Oklem  und  Muitto  des  Vlus  von  Kangalag. 


310  PhyiikaUiidi-tnatlbematische  Wisaenlcbaften. 

Sie  eiitnehmen  dieErte  aus  Tagegruben,  die  selUn  mehr 
krfs  1,5  Sajen  lang  ilnd  I  5ajen  breil  sind,  indem  sie  diis' 
Aosgehende  der  Ertschichien  sur  Seiie  eines  solchen  Schach* 
tes  anhaufen.  Diese  Arbeilen  werden  durch  die  geringe  Co* 
hision  der  belrefienden  Massen  betrachllich  erschwert,  ver* 
mttge  deren  die  Erze  nur  init  einem  DurchschniUe  des  Schur* 
feSy  der  halb  so  breit  ist  wie  dessen  Mundloch  zu  erreichen 
sind.  Die  geforderlen  Erze  werden  an  Ort  und  Stelle  in  so- 
weit  sortirty  dafs  man  die  ConglomeraUiiicke  aasiiesL  Die  alien 
Schurfe  werden  von  den  <^earbeitern  mii  laubem  Gesieioe 
ausgeseUt  und  nach  Maf^abe  des  Bediirfnisses  deren  ueue 
angelegti  so  dafs  daseibsl  bereils  eine  aosserardenlliche  Zabl 
Von  scheinbar  regellos  verlheilien  und  wieder  zugeschiilielen 
Lochern  dieser  Art  zu  sehen  isU  Die  Erzf5rderung  wird  ge- 
wohnlich  im  Herbst,  nach  Beendigung  der  Feldarbeiten  vor* 
genommen  und  zwar  meist  nur  von  2  bis  3  Mann,  welche 
von  der  Gemeinde  gemielhet  werden,  weil  sie  keinen  eignen 
Haushalt  besilzen.  Die  iibrigen  Jakulen  sind  mil  dtr  Vieh- 
zucht,  mit  der  Heubereilung  fiir  den  Winter  und  mit  andren 
bauslichen  Arbeiten  zu  sehr  beschaftigt,  um  diesen  Bergbau 
grobartiger  zu  betreiben;  obgleich  sie  die  Nachlheile  der  von 
ihren  Vorfahren  iiberkommenen  Melhode  sehr  wohl  einsehen. 

Der  Transport  der  sortirten  Erze  wird  nach  dem  ersten 
Scfaneefall  auf  Schlillen  voilflihri,  die  von  Ochsen  gezogen 
werden  und  mit  Kaslen  versehen  sind. 

Die  Erze  werden  darauf  gerostet,  indem  man  einen  Scbeit* 
haufen  von  3,5  Fufs  Hohe  bei  7  Fub  Lange  und  elwas  liber 
5  Fufs  Breite  aniegt,  auf  dessen  Oberfiache  so  viel  Erz  schut- 
tei  als  Platz  findet(?)  —  und  ihn  dann  anziindet.  Das  Ge- 
rSstete  wird  zu  Haselnuisgrofise  zerkleinerl,  gesiebl  and  ge- 
scbmolzen. 

Die  Schmelzvorrichtungen  der  Jakuten  sind'  kieine 
Oefen,  von  dehen  ein  jeder  aus  einem  abgesonderten  parallel- 
lopipedischen  Aussenbaue  besteht  Dieser  ist  gezimm^ri  un4 
hat  3|3  Fuls  H5he  iiber  einer  recbtwinklichen  Basis  von  nabe 
an  7  Fufs  und  5  FuCs  Seite.     Der  Boden  unter  demselben 


Bine  bergmiUuuMli«  Expedition  in  das  Wercho-lanaktr  Gebirge.  3(1 

wird  fest  geslampft,  sein  Inneres  aber  mil  feuerfestem  Thon 
gefiillt  und  in  diesem  an  der  Vorderseite  der  Herd  und  dm 
Arbeitaloch  angebracbt.  Die  Diinensionen  dieses  Heerdes  sind 
wie  folgt: 

die  Hohe  2,20  Engl.  Fufs 

die  Breite  des  Gewolbes  0,80    - 

die  Breiie  des  Rostes  1,20    - 

die  Hoke  des  Arbeitsloches       1,10    - 

die  grofsle  Breite  desseibeo      0,66    - 

die  Hinlerwand  voo  dem  Ge- 
wdlbe  bis  sum  Arbeilsioch  4,50  - 
AUe  Oefen  dieser  Art,  die  Herr  Meglizkji  gesehen  bal^ 
waren  in  voliig  gutem  Zusland  und  doch  noch  nie  ausgebes- 
serl;  in  Folge  des  vortrefllichen  Thones  aus  dem  sie  bestan- 
den/  DieKohien  mil  denen  man  in  denselben  feuert,  werden 
von  jeden  Schmelzer  in  den  dazu  bestimmten  Ldchern  nach 
Mafsgabe  der  ErzfSrderung  geschwiilt  Sie  sind  aber  nicht 
sehr  gut,  sondem  zu  klein,  mil  vielen  Spallen  und  meist  im* 
mer  iiberbrannt,  weil  die  Jakuten  sie  mil  Wasser  oder  Schnee 
zu  loschtn  pflegen,  naohdem  sie  zu  brennen  angefangen  haben. 
Sie  fiillen  den  Herd  bis  zum  Gewolbe  mil  Kohien,  sleeken 
diese  an  und  selzen  dann  das  Arbeilsioch  mil  Steinen  zu,  die 
sie  lufldichl  verschmieren,  so  dab  nur  in  dem  Bodensleine 
eine  Oeffnung  bleibl,  in  die  eine  Uionerne  Form  geselzt  wird. 
Die  Diise  eines  Handbalges  wird  dann  durch  diese  eingefuhrl 
und  wenn  der  Ofen  durch  die  Wirkung  desselben  in  Brand 
ist,  das  Erz  aus  Messkaslen  welche  die  beiliegende  Zeichnung 
darslelll,  aufgegeben,  und  mil  den  Kohien  bedeckl.  Nachdem 
man  den  Inhall  eines  solchen  Kaslen,  den  Herr  M.  nichi  ge- 
nau  beslimmen  konnle,  siebenmal  aufgegeben  hat,  wird  die 
Scbmelzung  fiir  beendigl  erklart.  Man  lasst  den  Ofen  abkiih- 
len  und  nimml  die  gewohnlich  20  Pfund  schwere  Luppe 
h^raus.  Sie  wird  noch  heiss  in  zwei  Sliicke  zerschniUen  und' 
in  diesem  Zustande  Iheils  an  die  Schmiede  des  Kangalaker 
Ulu^es  verkauft,  Iheils  (an  die  Russen)  in  Jakuzk. 

Eine  solche  Luppe  ist  immer  rund  von    elwa  12.Zoll 

EnnaDa  Busa.  Arcbiv.  Bd.  XI.  H.  S.  21 


312.  Pliysikalisch-matkeinatische  Wiuenschaften. 

Durchinesser  und  2,5  Zoli  Hohe.  Ihre  Oberfliiehe  isl  sehr 
uneben  und  vol!  Blasen,  die  bisweilen  auch  ini  Innern  vor* 
kommeai  Sie  ist  ein  Mittelding  z^vischen  Roheisen  und  Slab- 
eisen*).  Herr  M.  fand  keinen  der  Oefen  im  Gange  und  er- 
hielt  daher  iiber  die  ^ur  Anfertigung  einerLuppe  ndtbigeZeit 
nur  unvollkommene  Aufschliisse.  Man  s^te  ihoi^  dafs  deren 
im  Veriaufe  eines  langen  Herbstiages  4|  oder  zusammen  2 
Pud  des  genannlen  Eisens  gemacht  werdeh  konne.  Bei  der 
Umarbeiiung.  desselbea  in  Schmiede-Eisen  geht  selbst  von 
gulen  Luppen  die  Halfie  verloren^  so  dafs  jedes  Pud  dersel- 
ben  nur  2Q  Pfund  schmiedbares  Eisens  liefert.  Die  Giite  die- 
ses Eisensr  scheink  alleia  von  der  Behandlung  in  den  Schmiede- 
essen  abhangig^  auch  wissen  die  Jakuten  selbst  daraus  ein 
vortrefilic^s  Material  zu  gewinnen,  aas  welchem  sie  Biich- 
sen,  Sensen  und  Bandeisen  machen.  Sie  verkaufen  die  nie- 
drigen  Sorten  bedeutend  billiger.  Herr  M.  fuhrt  aber  nur 
von  der  besten  Sorte  und  von  den  Gegenstanden  welche  die 
Jakuten  selbst  mit  ihren  hauslichen  Mitteln  daraus  darstellai, 
Mgende  Preise  an: 

1    Pud  Jakulisd^s  Band-Eiaen  kostet:  3^70  Silber-RubeJ; 

sur  Anferiigung  von  16  Sensen  gehort 
1  Pud  Eisen  oder  4  Luppen  die  zu 
0,285  Silber-Rubel  eine  jede,  kosten:  1,140 

das  Arbeitslahn  zu  0,085  S.-R.  fiir  jede 

Sense  betragt 1,360        - 

und  somit  der  Preis  von  16  Sensen       .    2,560  SiIber*Rubel 

Oder  0,1562  S.-R.  fur  1  Sense. 

Die  Beschrankuog  der  Erzforderung   und  der  Schmelz- 
arbeiten  auf  die  Herbst-  und  Wintermonate  veranlassf  haufige   ^ 
Veranderungen  dieser  Preise.    Die  Jakulischen  Schmiede  ha- 
ben  selten  Luppen  im  Vorralh,  sondern  kaufen  sie  vielmehr 
nur  (von  ihren  Landsleulen),  wenn  sie  Bestellungea  erbalten. 

•)  Ob  hier  an  ein  Gemenge  aus  beiden  oder  an  eine  Uebergangsatufe 
zwiacken  ihnen  gedacht  werden  soil,  ist  aus  dem  Rossisch.  Aasdruck 
nidit  zu  ersehen ,  welcher  vielmehr  wortlich  „  ein  Robefsen  -  baftes 
Schmiedeeiaen"  bedeotot.  D.  Uebers. 


Eine  bergiatuiiiiicb«  BxpedUioa  in  das  Wenho-Jansker  Gebiige.  313 

Bs  komml  daher  dafs  beim  Aufgehen  der  Lena  die  Preise  der 
Eisenarbeilen  sinken:  weil  dann  neues  Material  ana  dem  Uliu 
von  Kangalag  eintrifll.  Nach  ofGciellen  Angaben  sollen  die 
Jakuten  jahrlich  1000  Pud  Eisen  znm  Werth  von  1000  S.-R. 
darstellen ,  urn  damit  das  gesammle  BedUrfniss  der  StadI  Ja* 
kuzk  und  der  Umgebungen  derselben  zu  befriedigen.  Ea  fehlt 
aber  durchaua  an  Nachweisungen^  (iber  das  in  dem  Ulna  aelbat 
zu  eignam  Gebrauche  verarbetteten  Ei^ns. 

Bei  seiner  Riickkebr  nach  Jaknzk  wo  unterdesaen  auch 
die  Mannscbaft  vom  Endybal  eingelroffen  war,  erhielt  Herr  M. 
von  der  OrtsbehSrde  drei  Stnfen  von  Sitberhalligem  Bieiersy 
welche  der  Assessor  des  Jakuaker  Landgericbts,  Herr  Rja* 
sanskji;  eingesendet  halte.  Man  hatte  sie  bd  einem  der 
Bewohner  der  Orlschaft  ^Snej  gefiinden  und  ein  von  ^sen 
Besitzern  und  von  dem  Tungusiscben  Haaptling,  Wasiiji 
Pawlow,  unlerschriebenes  Doeumeni  htnzugefiigt,  welches 
besagle,  dafs  dergieichen  Erze  an  einem  40  WersI  von 
der  Mfindnng  des  5lnei  gelegnen  Punkte  vorkommen*  Der 
Untersteiger  Petrikow  wurde  hierauf  mil  Iwcaen  Arbeilem 
nach  diesem  Flusse  abgesandt,  mit  dem  Auftrag,  die  genannle 
Oerilichkeil  voriaufig  za  unlersuehen,  wShrend  die  iibrige  Mann- 
schaft  die  nSlhigen  Vorbereitungen  zu  ihrer  Riickkehr  nach 
Jakuzk  treffen  wiirde. 

In  eben  dieser  Zeit  bemerkte  noch  Herr  M.  in  einer 
Sammlung  von  Naturalien  aus  der  Jakuzker  Provinz,  ein  Sliick 
sehr  Silberreichen  Bleiganzes,  welches  nach  der  Aussage  einea 
Herrn  Atlaaow  von  den  Lena4J(erni  aus  derNabe  derMttn* 
dung  des  Wilui  herslammte.  Die  Prilfung  dieser  Angabeil 
wurde  indessen  aus  Mangel  an  Mu&e  der  OrtsbehSrden  en- 
pfohlen  und  iiberlassen. 

Bei  ihrer  Riickkehr  von  dem  Werchojaner  Gebirge  halte 
die  Mannscbaft  betrSchiliche  Schwier^keiten  gefunden.  Ihre 
Pferde  halten  immer  mehr  Krafte  verloren  und  endHck  so 
vollslSndig  den  Dienst  versagt,  dafs  man  sicb  genSlhigl  sah, 
138  Werst  vor  der  MUndung  des  Aldan  einen  Theil  der  eiser- 
nen  GerSthsehaften  and  die  Jakulischen  Fihrer  zu  deren  Be-^ 

21* 


g|^  Physiliarigcb-tnaiheinatiflche  WiflseiKcliafleii. 

aufsichligung  zurtickzulassen.  Herr  M..  Iraf  die  nolhigeh  An- 
ordnungen^  daaoit  diesen  Fuhreni  der  JeUte  Theil  dcs  ihnen 
yersprochenen  Geldes  erst  nach  Auslieferuog  dieser  Gegen- 
stMnde  gezahlt,  und  diese  selbsi  dann  an  das  betreffende  De- 
partem,  der  Ost-^birischen  Regierung  wiedergegeben  warden. 
Am  20.  September  verliefsea  die  Reisenden  Jakusk  auf 
drei  Kahnen  (Lodki),  in  denen  sie  bei  der  Ortschaft  5inei  auch 
den  Untersteiger  Petri kow.  und  die  ihm  beigogebenen 
drei  Mann  mit  aufnahmen.  Dieser  hatte  seinen  Auftrag  un- 
t0rdessen  ausgefiibrl  und  befichtete,  dafs  er  die  Gebirgsarten 
an  den  Ufern  des  Flusses  Sinei  aufmerksam  beobachiety  an 
denselben  aber  durctiaus  keine  Verschiedenbeilen  gefunden 
babe.  Es  erstrecken  sieh  vielmehr,  wie  er  angab,  einerlei  ho- 
risonlale  Kalkschichten:,  ununterbrochen  bis  zu  der  Stelle,  die 
der  zum  Fiihrer  genommene  Tungusenhauptling.  Wasiiji 
Pawl  0,  w  f  be%eielutele.  In  -  diesen  Kalkscfaichten  habe  er  Nichts 
als.Sehwefelkies^-Knpllen  von  v.erscbiedener  Grolise  gefunden, 
in  denen  die  Eingebornen  Silbererze  su  erkennen  geglaubt 
batten.  Die  mathtigen  Scbuttwallei  die  in  jener  Gegend  an 
den  Tbalwanden  liegen,  batten  keine  Spuren  von  den  Erzen 
die  Hr.  Rjasanskji  eingesendet  babe,  entbalten,  und  man  miisse 
daher  vermuthen ,  dafs  diese  Stiicke  vielmehr  von  den  verlasnen 
Anbriichen  stammen,  die  zwischen  den  Staiionen  Tit-Aryn 
und  Jelan  in  der  That  vorhanden  und  bekannt  seien.  Die 
Beschaffenheit  dieser  letzteren  Anbriiche  konnten  iibrigens  die 
Reisenden  ebenfalls  nicht  untersucben,  weil  dieselben  durcb 
angelagerten  Scbutl  sebr  bedeckt  sind,  ihre  Zett  aber  auf 
Ausbesserung  der  Kahne  verwendet  werden  musstCi  die  durch 
Untiefen,  uberschwemmte  Klippen  und  schwimmendes  Eis, 
baufige  Beschiidigungen  erlitten. 

"  Am  11.  October  musste  man,  bei  der  Ryliner  Station,  der 
Schifffahrt  ein  Ende  macben,  weil  das  sdiwimmende  Eis  da- 
aelbst  anfing  die  Lena  vollstandig  zu  bedecken.  Die  Kafane 
lyurden  der  dortigen  Dorfbehorde  zur  Aufbewahrung  (iber- 
geben  uQd'dafrauf  zu  Lande  nacb  Irkuzk  weiter  gegangen! 
Am  2,  November,  traf  die  Geseliscbaft  daselbst  ein,  mit  Aus- 


Eine  bergm&nnitebe  Bxpeiliffon  in  das  Wei^6*Jutker  G«birge.  315 

nahme   sweier  Bergleute  aus  dem  Nertschinsk^r  Besirki  did 
Kraiikheitshatber  id  Kifensk  geblieben  waren. 

Herr  M.  erklart  schlierslicb^  dab  die  angeblich  voda  Wi- 
lui  herstammenden  Erzproben,  thals  nichts  als  Schwefelkies 
gewesen  seien^  theils  in  der  Tbal  Silbcrhaltiger  Bleiglatiz,  der 
aber  offenbar  ram  Endybal  gebracbt  and  nur  durch  Ver- 
wechselung  zu  den  Wiluisker  Probeslucken  geraUien  'stu  — 
Er  siellt  dann  noch  einmal  die  Bergmannischen  Resultaie  der 
von  ihoi  geleitelen  Expedition  folgendermais  lusammen: 

In  dem  grdfslen  Theile  der  bereislen  (Lenaer  u.  Jakozker) 
Provinz,«fehle  es  so  sehr  an  Phitonischen  Massen,  und  die 
geschichtelen  zeigen  so  geringes  Fallen,  dafs  die  Auffindung 
bauwiirdiger  Blei  -  und  Silbergange  jiufserst  unwahrscheinlich 
werde  und  man  eher  Steinkohlen,  Eisenerze  und  Steinealx 
erwarten  diirfe.  In  dem  Werchojaner  Gebirge  babe  man  bau- 
wiirdige  Vorkommen  vorzugsweise  in  dessen  dsUicher  HaUlte 
zu  suchen,  weil  diese  der  Erhebungsaxe  naher  und  reicher 
an  plutoniscben  Massen  sei. 


Von  den  beigegebenen  Zeichnungen  stellen  dar: 
Fig.  1.    Den  Weg   der  Reisegeselischaft   von   der  MQndung 

dea  Aldan  bis  zu  den  Endybaler  Anbrochen. 
Fig.  2.  Einen  DurchschniU  dee  Werchojaner  Gebirges,  Tor 
welchen  sich  der  horizoniale  Mafsstab  zum  vertikalen 
verhalt  wie  1:5. 
Fig.  3.  Eine  Eniblsrsung  am  S.W.-Abhange  des  Erzrdhrenden 
Berges.  —  Die  dieser  Figur  urspriinglich  beigefiiglen 
Zahlen  enlsprechen  den  gleichen  Bezeichnungen  feiner 
Sammlung  von  Handstucken  der   doriigen  Gebirgs- 

arlen. 
Fig.  4.    Die  geognoslischen  Verhaltnisse  in  der  Nahe  jenes 

ErzvorkomOiens. 
Fig.  5.^  Einen    DurchschniU   des  Werchojaner  Gebirges    fur 

welchen  der  Langen-   und  Hohenmafssiab  einander 

gleich  sind. 


316  Phyrikattich-iiiatlieinatltche  Wisieiiidiafton* 

Fig.    6.  Den  ISngs  der  Botoma  giBnommenen  Weg. 

Fig.    7.  Das  Vorkommen  von  Eisenercen  an  der  Botoma; 

Fig.    8.  Einen  Durchschnitt  der  flachen  Bergmasse  zwischen 

der  Bolonia  und  Lena. 
Fig.    9.  Desgleichen  von  einem  Tbeile  derselbeo. 
Fig.  lO.^Einen  DurchscbniU  des  Vorkommene  der  Eisenerze. 
Fi^.  11.  Einen  Gnindriss  V  von  den  Umfangswanden  der  Ja- 
Fig.  12.  Eine  Ansicht       \  kutischen  Eisenofen. 

Fig.  13.  Einen  Durchschnitt  derselben. 
Fig.  14  Desgl.  nach  der  Liiiie  oft  des  Gnmdrisses. 

Fig.  15.  j  pj^  Jakulischen  Messkasten  fiir  Erze.      ' 
Fig.  16.  S 


GeogDostische  Bemerkungen  iiber  das  Wercho- 

janer  Gebirge  und  iiber  das  Vorkommen  von 

SilberhaltigeD  Blderaen  an  doiu  Fiusse 

Endybal. 

Nacb  dem  Kussischen 
von 

Heirn  Me  gli  z  kji  *). 


J^iach  deo  ubereinsUminenden  Angaben  mehrerer  neuer  Rei- 
senden  iiber  dasjenige  Gebirge,  welches  (gegen  die  Oslkusie 
voti  Nord-Asien)  die  VVasserscheide  zwischen  dem  Qrofseil 
Ocean  und  dem  Eismeere  ausmacht,  hat  roan  das  Werchoja* 
ner  Gebirge  offenbar  nur  als  ein  antergeordnetes  lu  betrach- 
ten.  Zu  den  vorauglichsten  Erhebungen  gehort  dagegen  wohl 
sicher  diejenige  Verlangerung  des  Jablonoi  Chrebet,  welche 
unler  dem  Namen  Stanowoi  Chr.,  von  der  Nordostlichsten 
Granze  des  Nerlschinsker  Bezirkes,  Oslwarts  fortsetzt.  Diese 
verzweigt  sich  aber  sodann  auf  eine  hier  etwas  naher  zu  er- 
wahnende  Weise. 

Das  Udathal  scheint  durch  eine  erste  Verzweigung  die- 
ser  Art  entstanden,  in  Folge  deren  ein  Gebirgstheil,  unter  Bei- 
behaliung  des  urspriinglichen  Streichen,  Meerwarts  fortsetzt 
und  sich  in  den  Schantarischen  Insein  wiederum  zeigt.  Ein 
zweiter  Hauplzweig  des  Gebirges  slreicht  dagegen  zwischen 


*)  Gorny  Jurnal  1851.  No.  5. 


31g  Pbysik^lUch  -  mathematische  Wissenscbaften. 

N.  und  O.  und  umgriinzt   au(  diese  VVeise    die  Kiislen  des 
Ochozker  Meeres  *). 

In  der  Breite  von  Ochozk  (also  bei  60°  Breile?),  erfolgt 
eine  abermalige  Thieilungy  indem  ausser  dem  Hauplzweige 
der  mit  dem  friiheren^  Streichen  die  Wasser  des  Eismeeres 
und  des  Ochozker  Meeres  zu  theilen  forlfahrt,  ein  wesUich 
gewandter  die  H5hen  zwiscben  den  Quellen  der  Jana  von 
den  Zufliissen  (des  unleren  nach  WNW.  gerichtelen  Theiles) 
des  Aldan  trennt.  Es  ist  dieser  das  VVerchojaner  Gebirge, 
welches  man  demnach  als  eine  Eriiebung  von  niederer  Ord- 
nung  zu  betrachten  haL  Freilich  fehlt  noch  zur  ^eognosd- 
schen  Bedeutung  dieses  Verhaltnisses,  dafs  man  enlscheide, 
in  wie  weit  die  in  Rede  slehenden  Gebirgstheile  von  gleich- 
arliger  und  gleichzeitiger  Entstehung  sind. 

Das  eigentlich  so  ■  zu  nennende  VVerchojaner  Gebirge, 
streichl  also  etwa  NW.  zwiscben  den  Meridianen  von 
127''^  und  136  0.  v.  Paris  *).  Es  bildet  auf  dieser  Strecke 
die  Wasserscheide,  zwiscben  dem  rechten  Ufer  des  (dort  nach 
WNVV.  fliefsenden)  Aldanes  und  den*  Zuflussen  der  Jana.  Bei 
der  Mundung  des  Aldaues  in  die  Lena,  beginnen  dagegen  wa- 
ders streiohende  Berge,  welche  unler  dem  Namen  der  Orul* 
ganischen,  den  Lauf  der  Lena  bis  zum  Eismeer  begranien. 

Die  in  Rede  stehende  Uniersuchung  des  VVerchojaoiscben 
Gebirges,  geschah  nun  langs  eines  nach  N.  37®|5  0.  gerich-r 
leten  Weges,  welcher  das  Slreichen  dieser  Kelte  und  der  zu 


'*')  Es  ist  dasjenige  Gebilrge  gemeint,  welcbes  icb  iiberall  onier  dem 
Namen  des  Aldanischen  Gebirges  bezeichnet  babe,  weil  man  aaf  dem 
Wege  nacb  Ocbozk  leinen  wesUicben  Abbang  nacb  Ueberachreitnng 
des  etwa  NNO.licb  gericbteten  Aldanflasses  erreichen,  and  welcbes 
den  Namen  eines  nntergeordneten  den  Herrn  M.  ibm  geben  wiU, 
deswegen  nicbt  verdient,  weil  es  bochst  wabrscbeinliob  in  die  rocky 
moontains  and  die  Anden  iibergeht.  Vergl.  in  d.  Arcb.  Bd,  V.  S.  222, 
Bd.  VII.  S.  743.  Erman, 

••)  Vergl.  meine  Geognost.  Skizze  von  Nord-Asien  za  diesem  Arcbive 
Bd.  II.,  aaf  welcber  die  Werchojaniscben  oder  Werchojansker  Berge 
in  der  Tbat  aaf  diese  Weise  angedeotet  sind.  Erman. 


Geognostische  Bemerkangen  iiber  das  WerchojaRer  Gebirge  etc.     319 

ihr  gehSrigen  Gebirgsarten  unler  7&®  durchschneidet.  Ge- 
nauer  genommen,  streicht  oamlich  dieselbe  in  jener  Gegend 
nach  N.  37^,5  W.,  wie  man  es  vermoge  der  Trenming  ihrer 
Bergmasse  in  einselne  kleinere  Ketlen  s«hr  beslimmi  erkehnt. 
In  den  Vorbergen  die  dem  Aidanfiusse  zunacbst  liegen,  findet 
man  abgerundele  Farmen-  und  sehr  langsam  wachaende  Hd-^ 
hen,  bis  dafs  plotzlich,  und  namentlich  in  dem  Bailyk-Thalej 
felsige  und  sehr  sleiie  Serge  an  ihre  Stelle  (reten,  deren  ge« 
genseiiiger  Zusammenhang  jenes  aben  genannle  Streich^n 
verralh.  Es  gilt  dies  iibrigens  nur  von  der  gegenseitigen  Lage 
der  hochsten  Punkke,  wahrend  swischen  denselben  untergeord- 
nete  Verbindungskeiten  von  geringerer  Hdhe  und  schwaehe- 
rer  Neigung  der  AbhSnge  Jiegeo.  Diese  Hdheti  zweil^r  Ord* 
nung  sind-  dennoch  von  gans  gleiehem  Bau  mil  den  Haupt- 
bdhen,  und  verdanken  das  Ansebn  von  Selbstetandigkeil  nur 
dem  mehr  oder  weniger  siarken  Fallen  der  Sehichien,  welches 
den  Angriff  der  Tageswasser  an  verschiedenen  Stellen  in  un^ 
gleicbem  Maa&e  begiinsligl.  Eben  deshalb  sind  diese  HShen 
aia  wahre  Uebergange  der  abgerundelep  Gipfel  in  die  felsi- 
gen  Keiien  der  Mitle  des  Gebirges  su  betraehten. 

Zum  Beweise  des  machligen  Einflusses  der  Atmosphari- 
lien  auf  die  Gestall  des  in  Rede  stehenden  Gebirges,  sieht 
man  an  den  Abhanlgen  sammllicher  zu  ihnen  gehSrigen  Ket- 
ten,  Triimmerhaufen  angelagert,  die  sich  durcb  die  fortschrei-* 
lende  Zerstorung  ibrer  Gipfel  gebildet  haben,  so  wie  auch 
Felssaulen  auf  dem  zur  Seite  des  Bailyk-FIusses  gelegenen 
Kammen. 

Ein  Durchschnitt  des  siidlichem  Abhanges  des  Wercho- 
janischen  Gebirges,  wiirde  wellenformige  Schichten  zeigen^  die 
bald  steil  begranzt  sind,  bald  durch  weii  ausgedehnle  Abhange. 
Verfolgt  man  diese  Welienlinien  genauer,  iddem  man  in  Ge- 
danken  die  durch  Verwitterung  schon  verschwundenen  Hiigel 
wieder  erganzt,  so  zeigt  sich,  dafs  die  urspriinglich  steiler  fal* 
lenden  Schichten  einen  slarkeren  Angriff  erfahren  haben  als 
die  sanfter  gepeigten.  Aus  diesem  Grunde  6ndet  man  jetzt 
auf  den  hochsten  Punkten  theils  horizontale,  theils  schwach 


320  Physikaliscfa^mathematbcfae  Wlssenschafien. 

faiiende  Schichtung,  welche  durch  Verwillerung  nur  da  un- 
terbrochen  worden  isi,  wo  VertikaJkluften  die  Wasser  und 
ieren  spaltende  Binwirkung  durch  G«frieren  zugelassen  haben. 
Hohe,  mil  nackten  Klippen  versehene  Kamme,  sind  auf  diese 
Weise  namentiich  in  demjenigen  Theile  der  Siiddeile  des  tie- 
birges  entstanden,  die  aus  Sandsteinsdiichlen  besteht,  undzei* 
gen  sich  seltener,  wenn  man  sich  der  MiUe  des  Systemes 
nahert. 

Das  Thai  derNera,  welches  iibeFail  innerhalb  des  unter- 
suchten  Bezirkes  zwischen  steil  fallendeo  Sehichlen  ei&es 
schwarzen  Thonschiefers  liegt,  isi  zu  beidenSeiten  von  hohen 
Bergen  begranzt,  die  zwar  massiger  sind,*  (ils  die  aus  Sand- 
stein  bestehenden,  aber  immer  bewachsene  Gipfel  zeigen. 

Die  Festigkeit  des  Thonschiefers,  welche  dem  Angriff  der 
Wasser  widerstand,  hatdaselbstdieZertrummerungbeschrankt; 
wahrend  durch  urspriingliche  Zerkliiftung  und  sleiles  Fallen 
die  Zersfioning  der  Gipfel  begiinstigt  wurde.  Auch  dorl  smd 
die  Abhange  mil  Triimnaern  bedc^kt,  aber  die.  Vegetation  die 
auf  denselben  vorkommt  beweist,  dafs  die  zersi<lrenden  Ein* 
wirkungen  in  der  gegenwartigen  Peribde  entweder  aufgehort 
Oder  doch  aufs  ausserste  abgenommen  haben.  In  dem  Sand- 
steindistrikt  ist  es  dagegen  grade  die  aOjahrlich  erneuerte  Zer- 
triimmerung  der  Oberflaehey  welche  jeden  Pflanzenwucfas  ver- 
hindert 

Bei  ausserordentlicher  Einfachheil  des  geognostiscfaen 
Baues  in  diesem  Gebirge,  wiederholen  sich  in  demselben  auch 
iiberall  die  eben  g^nannten  Formen  seiner  Theile.  EineAus- 
nahme  machen  zunachst  nur  gewisse  Berge,  in  denen  fein- 
schiefrigerThonschiefer  und  ein  sehr  zaherGrauwackensandsleiu 
der  langsam  verwitterti  wechsellagern.  Diese  Bedin- 
gung  und  die  mil  ihr  gleichzeitig  vorkommende,  fast  hori- 
zontale  Lage  der  Schichten,  verursacht  Treppenahnliche  Ab- 
hange, an  welchen  der  feste  Sandstein  Vorspriinge  aus  dem 
zersetzbareren  Thonschiefer  bildet. 

Eine  Zerkliiftung  ist  besonders  in  dem  Schieferbezirke 
auffallend  und  von  bedeutendem  Einflusse  auf  das  Aeussere 


Geognostiflche  BenMrkangen  uber  das  Werobajftner  Gebirge  etc.    821 

der  Berge.  So  findet  man  oft  in  den  Schluchten,  welche 
Bache  oder  auch  nur  Quellen  enlhaUen,  ungeheure  Massen 
der  genannten  Gebirgsart,  die  man  aiif  den  ersten  Biick  fiir 
das  Ausgehende  von  Sehichlen  halten  wUrde,  obgieich 
man  sich  demnachst  durch  ihr  Fallen  und  Streiehen  iiber- 
zeugl,  dafs  sie  nur  von  den  umgebenden  Abhfingen  losge- 
lost  sind.  Eine  dergleichen  Masse  in  der  Nahe  der  Endyba- 
Jer  Anbrilche  ist  40  5a;en  lang  und  10  Sajen  hoch  und  hat 
sich  in  Folge  des  sleilen  Fallens  der  ongrSnzenden  Schichten 
voUstandig  iiberstiirzL 

Attf  dem  von  den  Reisenden  befolgten  Wege  Tallt  die 
Wasserscheide  9  die  sie  bei  dem  See  5uluntsehak  erreichten» 
mit  der  Verbindungslinie  der  Hauptgipfel  des  Gebirges  keines- 
wegs  susammen.  Die  letslere  liegt  vielmehr  siidlicher  und 
namentlich  bei  dem  Flusse  Bailyk.  Herr  Meglizkji  hat  aus 
Mangel  an  Instmmenten  durehaus  keine  Hohe  gemessen  *). 

Alle  ThSler  des  Wercbojansker  Syslemes  sind  durch  He* 
bungen  entstanden  und  durch  atmospharische  Einfliisse  Dur 
etwas  umgestahet  worden.  In  dem  durehscbrittenen  Theiie 
desselbeUi  haben  die  einzelnen  Strecken  der  stets  gewundenen 
Thalsohlen  Richtungen,  die  zwischen  SSO.  und  SSW.  varii- 
ren  **).  Die  Breite  der  Thater  die  nur  von  steilen  G^feln 
umgeben  sind,  wechselt  bei  den  grofseren  von  400  bis  600 
Sajeaeay  betrigt  aber  in  d^  Seitenschluchten  bbweilen  nur  2 


')  Sein  SchlQss,  dafs  keiner  der  dortigen  Gipfel  die  Hohe  Yon  3800  F. 
iiber  dem  Meere  erreiche  ,,weil  keiner  ?on^ihnen  mit  Schnee  bedeckt 
sei  and  weil  die  Schneegranze  zwischen  64"  and  65"  Br. 
injener  Hohe  liege**,  ist  natnrlich  dorchans  anbegrandet,  da 
man  an  eine  Abhangigkeit  der  Hohe  der  Schneegr&nze  Yon  der  Breite 
aUeifl,  nan  wobl  endltch  za  glanben  aafgehort,  and  grade  aus  jener 
Gegend  der  Brde  so  entschiedene  and  so  merkwardige  Widerlegon- 
gen  dieser  beschrankten  Ansicht  erhalten  hat  K. 

*)  Mit  dem  oben  angegebenen  Streichen  des  Gebirges  bilden  aber  diese 
beiden  Richtangen,  Winkel  von  respektive  60"  and  15",  so  dafs  man 
nicht  recht  weiss  ob  Herr  M.  jene  Thaler  als  Queer-  oder  als 
Langen thaler  betrachten  will.  B. 


322  Phystkaliieh  -  mathematitche  Wistensehaften. 

bis  3  SajJi  In  den  HaupUhalern  kommen  weder  so  belrachtliche 
Verengerungen  noch  auch  uberhaupt  dergieicben  vor;  wah- 
rend  man  in  den  Quellscfaloehten  immer  auffallende  Erwei* 
teruhgen  und  gleichzeitig  eine  geringere  Neigung  der  Sohle 
findet,  in  Folge  deren  in  denselben  stehende  Wasser,  dorch 
welche  die^Quellen  genahrl  werden,  sicfa  den  gansen  Somaier 
iiber  erhaiUn.  Die  von  solchen  Steilen  ausgehenden  Bache 
fliefsen  dann  in  ausserst  steilwandigen  Felsschiuehlen,  derei\ 
Boden  mit  Gesieintriimmern  bedeckt  isL 

In  den  grofsen  Thalern  ist  die  Sohle  mit  einer  ununter- 
brochenen  Schicht  von  Rollsteinen  bedeckt  >  deren  Dimensio- 
nen,  nach^Mafsgabe  der  Annahenmg  an  die  Gipfel  des  Gebir- 
g€S|  zunehmen.  Die  mineralogische  Beschaflenheit  dieser 
Gerdlie  ist  ausserordentlieh  einf5rmig,  und  dieselbe  wie  die 
der  nachst  gelegenen  Berge.  -  Da  aber  ihre  Abirundung  oft 
auf  Anschwemmung  aos  belraditlicher  Feme  deatet,  so  ersieht 
man  dab  tier  Niederschlage  aus  ein  und  derselben  geologi- 
schen  Periode  iiber  grofse  Riiume  verbreitet  sind  Die  slarke 
Verwitterbarkeit  der  Sandsteine  erUart  auch  die  Sandan* 
schwemmuogen,  die  man  in  den  grofeen  Tbalern  an  vielen 
Steilen  findeL  Da  aber  aus  vielen  iderselben  der  Sand  durch 
die  periodischen  Anschwellungen  der  Gebirgswasser  bis  in 
den  Aldan  und  in  die  Lena  geschwemmt  wird,  so  bleiben  an 
ihren  Wanden  nur  die  grdfseren  GeroUe  und  Feistniami^  su- 
riicjcy  auf  denen  jede  Vegetation  fehlt.  —  Wo  dagegen  die 
Stromung  wahrend  jener  Anschwellungen  durch  ortliche  Ver- 
haltnisse  vermindert  wird,  bilden  sich  bleibende  Sandbanke, 
die  dann  schnell  durch  Weiden  und  andres  Strauchwerk  be* 
festigt  werden.  Alle  Thalweitungen  sind  auf  diese  Weise  mit 
kleinen  Inseln  versehen  worden. 

Zu  den  bemerkenswerthen  Eigenthiimlicbkeiten  dieser  Ge* 
gend  gehoren  auch  die  Eisanhaufungen,  welche  die  Russen 
Nakipi  und  die  Jakuten  Taryn  nennen.  Sie  bilden  nicht  sel- 
ten  eine  Schicht,  die  das  Thai  seiner  ganzen  Breite  nach  ein- 
nimmt  und  durch  welche  die  Flusse  sich  dann  ihren  Weg  zu 
bahnen  haben.    Herr  M.  der  es  fiir  wahrscheinlich  halt,  dafs 


Geognostische  Bemerkangen  iiber  das  Wercho|ftner  Gebirge  etc.    323 

ihre  Entstehung  mil  dem  Anschwclien  der  Wasser  im  Herbsle 
zusammenhange,  fand  sie  in  den  Thalern  fast  ailer  betrachtli- 
chen  Fliisse  des  in  Rede  stehenden  Systemes.  Sie  beslehen 
uberall  aus  v5Uig  horizoniaJen  Schichten,  von  etwa  2,2  E.  Z. 
Dicke  und  sind  selbsl  von  8  bis  9,5  E.  FuCs  machlig.  (Jnlei* 
der  schmeizenden  Einwirkung  der  Sonnenslrahlen  und  .des 
Regens,  biiden  sich  an  der  Oberflache  dieser  Eismassen  pris- 
matische  Theilongen.  Das  Jabr  1850  war  in  jener  Gegend 
ungewdhnUch  arm  an  Regen  und  halte  einen  nur  mafisig 
warnien  Somsier.  Die  in  diesem  Jahre  vorgekommene  Scbmel- 
zung  der  Taryn,  kann  daher  nicht  fur  mafsgebend  gelten,  da 
sie  aber  an  den  meislen  Stellen  jenen  Eismassen  eine  Dicke 
von  10  bis  1 1  Zoll  gelassen  halie,  so  darf  man  wohl  schlies- 
sen,  dafs  dieseiben  da  wo  aie  durch  Berge  vor  den  direklen 
Sonnenslralen  geschiilzt-sind,  nur  etwa  in  sehr  heissen  oder 
sehr  regnerischen  Sommern  volislandig  verschwinden.  —  Uire 
Enlsiehung  isi  im  Zusammenhange  mil  dem  Austrili  der  Was- 
ser  im  Fruhjahr*),  welche  dann  die  ganze  Thalsohle  be« 
decken.  Zahlreiche  Anschwemmungen  von  Baumstammen, 
die  den  Reisenden  viel  Beschwerden  verursachten ,  beweisen 
dafs  Damme,  die  in  diesen  Thalern  durch  ungewShniich  hohe 
Fluthen  enistanden  sind,  den  haufiger  vorkommenden  spaieren 
Anschweliungen  der  Thalwasser  widerstehen  **).  Der  Unter- 
schied  zwischen  Tag-  und  Nacht-Temper<iiuren,  die  hier  durch 
benachbarie  Gebirgsgipfel  noch  vermehrt  wird,  macht  die  in 
den  Monaten  Marz,  April i  September  und  October  austreten-* 
dem  Wasser  gefrieren,  und  verwandelt  sioi  der  Natur  des 
Herganges  nach,  in  geschichtetes  Eis. 


*)  So  slebt  in  der  That  an  dieser  Sti^e  des  Rttssaadien  Anftatzet,  und 
eben  so  entscbieden  wird  an  mebreren  fr'dheren:  „dem  Anscbwel- 
len  Oder  dem  Austritt  der  Wasser  imHerbst**,  dasselbe  zii- 
geschrieben  was  bier  die  Friihjabrswasser  tban  sollen,  bis  dais  end- 
lich  drittens  etwas  weiCer  onten  an  eine  gleichartige  Wirkung  bei- 
der  Jabreszeiten  provozirt  wird.  D.  Uebers. 

**)  Dieses  scbeint  etwa  der  Sinn  der  etwas  nnklaren  Steele  des  Russisch. 
Anisatzes.  D.  Uebcvs* 


324  Physikaiisch-mathematische  Wiasentchafteii. 

Die  Hohe  der  pcriodiscben  Anschwellungen  ersiehl  man 
durch  gewisseSeen,  die  in  alien  grolseren  Thalern  noch  aus- 
ser  denjenigen  vorkommen ,  welche  die  Quellen  speisen  und 
nieinals  austrocknen.  Die  ersteren  entstehen  namlich  offen- 
bar  nur  durch  dasAustrelen  des  Flusswassers.  —  Der  groCsie 
uM  merkwiirdigste  unter  den  ielzteren  ist  der  drei  WersI 
lange  jSuIontschak ,  der  auf  der  Wasserscheide  liegt  Er  war 
am  IL  Juli  zu  grfifslem  Theiie  mit  Fas  bedeckt 

Seiner  geognosUschen  Beschaffenheil  nach  bal  man  das 
Werchojanische  Gebirge  in  drei  Unterabtheilungeii  zu  belrach- 
ten  namlich: 

1)  die  plutonischen  Formaiioiien, 

2)  die  geschichteten  von  alter  Enlslehung  und 

3)  die  geschichteten  von  neuer  Entstehung. 

Zu  den  ersteren  gehoren  Granit,  Feldsteinporphyr 
und  die  Erzgange  vom  Endybai. 

Der  Or  an  it  der  aus  sehr  gleichmassig  vertheiltem  Quarz, 
Feldspalh  und  einem  bisweilen  durch  Hornblende  erselzlen 
Glimmer  besteht^  ist  im  Werchojaner  Gebirge  oflenbar  sehr 
selten,  denn  trotz  angelentlichen  Suchens  hat  man  ihn  nur  an 
sehr  wenigen  Punkten  getroffen.  Er  bildet  nirgends  eioe 
selbstandige  Ketle  von  Berggipfeln,  sondern  zeigt  sieh  nur  in 
der  Mitte  des  Systemes  an  einigen  Stellen,  an  denen  ihn  die 
Wasserspiilung  auf  eiiiige  Quadratfaden  entblofst  hat! 

I3ei  seinem  gang^rligen  Austritt  in  die  umgebenden,  bti 
weitem  massenhafteren  Schichten,  hat  er  daher  auch  deren 
Lage  durchaus  nicht  geandert.  Haufige  Brudie  und  Biegun- 
gen  in  diesen  letzteren,  so  wie  auch  die  steile  Stellung,  ihrer 
Schichten  beweisen  dafs  sie  dennoch  die  starksten  Einwirkun- 
gen  hebender  Krafte  erfahren  haben. 

Es  ist  schon  oben  erwahnt  worden,  dafs  die  Anschwem* 
mungeh  in  den  Thalern  von  auffallend  gleichartiger  Beschaf- 
fenheil mit  den  umgebenden  Bergen  sind.  Herr  M.  hat  aber 
iinter  diesen  Trummermassen  gar  keinen  Granil  bemerkt  und 
belrachtei  dieses  al$  einen  neuen  Beweis  fiir  die  geringe  Aus- 
dehnung,  welche  diese  Gebirgsart  an  der  Oberflacbe  einmmmt 


Geognostisclie  Beinerkungen  Uber  das  Wercliojaner  Gebirge  etc.    325 

und  sagt  endlich,  dafs  man  die  Slellen,  an  denen  er  ihn  an- 
slehcnd  gesehen  habe,  wohl  als  Auslaufer  einer  eirizigen  (un- 
lerirdischen?)  Hauptmasse  sii  betrachlen  habe*).  Mii  dieser 
Ansicht  lasse  «s  sich  auch  vereinigen,  da(s  der  Thonficbiefer 
zu  beiden  Seiten  jener  kleineren  granitischen  Enlblfifsungen 
ein  and  dasselbe  Fallen  besitze.  Die  ThaUache,  dafs  der 
Granit  trotz  seiner  (wahrscheinlichen)  Einwirkung  auf  die 
Schichtensiellung  nur  so  wenig  an  die  Oberfliiche  getreten  ist, 
sei  dann  auch  in  lechnischer  Beziehung  wichlig,  indem  sie 
die  Hoffiiung  auf  Blei-  und  Silbergiinge  in  diesera  Theile  des 
Gebirges  bedeulend  verringere. 

Der  Feldsteinporphyr  bildet  bei  den  Endybaler  Blei* 
anbriichen  und  in  deren  Uoigebung,  eine  Reibe  von  GSngen^ 
die  offenbar  mil  der  Erzbildung  eng  zusammenhangen.  Seine 
uiineralogische  Beschaffenheit  ist  in  eben  jenen  Gangen  die* 
selbe.  Er  bestehl  aus  einer  derben  gelblichen  und  bisweilen 
schwach  roihlichen  Hauplmassey  in  welcher  weisse  durch- 
sichtige  Quarzkrystalie  liegen.  Diese  Gebirgsart  ist  an 
sich  iiusserst  Test  Durch  Verwitlerung  wird  aber  ihre  Haupt- 
masse in  einen  wassen  Thon  verwandelt.  Die  Gauge  dieses 
Porphyrs  sind  7  bis  18  Fufs  mcahtig.  Sie  streichen  sehr  iiber- 
einstimmend  und  gleichmafsig  auf  betracbtliehe  Strecken  nach 
N.75^0.  Ihr  Attsgehendes  isl  mii  Reibungsconglomeraten  um* 
geben  und  in  der  Niihe  des  Thonschiefers  findet  man  in  dem 
Feldsteinporphyr  Bruchstucke  dieses  gesctuchteien  Gesleines. 
Einige  dieser  Gange  steben  so  gut  als  seiger  und  die  iibrigen 
haben  ein  zwischen  75®  und  85®  betragendes  Fallen.  Zu  bei- 
den Seiten  derselben  lassen  sich  die  Thonschieferschichten  in 
gonz  ungeanderter  Lage  verfolgen  und  es  scheint  daher  als 
sei  hier  jene  feuerfliissige  Gebirgsart  auf  schon  ferligen  Kliif- 


*)  Es  ist  sehr  bemerkenswertb,  dafs  dordiaus  Aehnltches  iiber  die  Ver- 
haltnisse  des  Granits  in  dem  Aldauischen  Gebirge  von  Krman  beob- 
acbtet  and  aosgesprochen ■  worde  in:  Reise  urn  die  Erde  Abthl.  I.  Bd.  2. 
S.  361,  366,  360  and  „  iiber  die  geognostischen  Verhfittnisse  Ton 
Nord-Asien"  in  d.  Arch.  Bd.  III.  S.  17§. 


326  PliysikalUoh  -  matheniatitche  Wissenschaften* 

(en  liervorgedrungen,  obgleich  sie  bisweilen  ein  Systeoi  von 
seitlichen  Spallen  in  dem  Thonschiefer  veranlasst  hat. 

Die  gleichzeitige  Untersuchung  der  Porphyrg&nge  und 
der  Anbriiche  der  Silberhalligen  Bleierze  hat  gezeigt,  dafs  diese 
lelzteren  nur  durch  jene  Gesteinsgange  bedingi  sind  und  dafs 
sich  daher  der  Erzgehait  des  Werchojanischen  Gebirges  grade 
so  weit  erstreckt,  wie  dessen  Gange  von  FeJdsleinporphyr. 
Man  hat  dieses  noch  besonders  aus  dem  (Jiustande  geschlos* 
sen,  dafs  die  Crzgange  als  untergeordnete  Bildungen  iiberall 
anstehen,  wo  einige  Porphyrgange>  wenn  auch  von  ganz  un- 
betrachtlicher  Erstreekung  sichtbar  sind  und  dafs  auch  unter 
diesen  Verhiillnissen  das  Streichen  und  Fallen  der  ersleren, 
von  der  Lage  der  ausgehenden  Thonschieferchichten  gans  un- 
abhSngig  bieibt.  Eine  andere  Bestaligung  jener  mehrerwahn- 
ten  Abhangigkeii  liegt  darin,  dafs  diejenigen  Erze,  die  in  eiwas 
grSfserer  Enifemung  von  den  Porphyrgangen  .vorkonamen, 
eines  ihrer  ausgezeichnetsten  Merkmale  verlieren,  indem  diese 
nach  Streichen  und  Fallen  sich  wie  wahre  Zwischenlager 
des  Thonschiefers  verhalten. 

Der  Berg  der  das  mehrgenannte  Erzvorkominen  am  kiei- 
nen  Endybal  enthalt,  bildet  zwischen  dem  linken  Ufer  dieses 
Flusses  und  einem  seiner  Zufliisse  ein  Dreieck,  von  dem  ein 
spitzer  Winkel  gegen  Sikien  gekehrt  ist.  Der  S.W.-Abhang 
dieses  Berges  ist  eine  fast  senkrechle  Felswand,  die  sich  2,5  . 
Worst  weit  erslreckt  und  iiberall  60  bis  75  5aj.  boch  ist  Der 
Ost-Abhang  ist  ebenfalls  sehr  felsig,  wahrend  der  SiidSstliche 
sich  mil  einer  Neigung  von  nur  30®  bis  32®  an  die  Ebene 
anschlielst. 

Die  Oberflache  dieses  Berges  ist  flach  bis  auf  eine  von 
Siiden  nach  Norden  gerichlete  Reihe  von  Hiigeln.  —  Er  be- 
steht  seiner  Hauptmasse  nach  aus  schwarzem  Thonschiefer* 
und  aus  Grauwackensandstein,  deren  wechsellagemde  Schich- 
ten  sehr  bestandig  nach  N.  26®  W.  streichen,  und  auch  in 
ihrem  Fallen  nur  sehr  allmahlige  Wechsel  zeigen.  Die  Ge- 
sammlmasse  dieses  Berges  ist  nach  dreien  Richtungen  von 
Spalten  durchsetzl.     Zwei  dieser  Richtungen   begranzen  die 


Geegnostiscbe  Bein«rkung:en  aber  das  Werobojaner  Gebirge  etc.    337 

Eralager  und  die  dritle  nach  N.  30®  W.*),  liegl  dem  Laufe 
des  Endybal  parallel  und  hat  zur  Bildung  des  S.W.^Abhanges 
beigelragen,  dessen  Oberflache  daiin  auch  mit,  zTim  Theii  erst 
kiirzlich  abgelosten,  Triimmetn  bedeckt  ist.  —  Bei  der  aus- 
schliefslichen  Beziehung  der  Erzgange  auf  zwei  jener  Spal- 
lungsrichtungen^kann  man  behaupten,  dafs  die  drilte  nach  N. 
30®  W.,  weit  spater  eingetreten  ist  und  vieUeiclil  auch  noch 
jeizt  zu  wirken  forifahrL 

Von  jenen  Erzgangen  sind  5  gefunden  Worden,  deren 
Mdchligkeit  von  1,8  bis  4,4  Engl.  Zoll  betragt.  Zwei  dersel- 
ben  liegen  am  S.W.-Abhange,  nahe  bei  dem  Siid-Ende  des 
Berges  und  die  drei  iibrigen  an  demselben  Abhange  gegen 
1,8  Werst  von  Jenen  und  unmilielbar  neben  einer  Suite  von 
Pcrrphyrgangen.  Einige  Ve'rschiedenheiten  zwischen  beiden 
Gruppen  sind  erwahnungswerth,  weil  sie  wahrscheinlich  in 
veTschiedenen  Bedingungen  des  Auslretens  derselben  ihren 
Grund  haben. 

Die  ersteren  von  den  Porphyrgfingen  enlfernteren  Erz* 
gange  sind  2,6  bis  4,4  Zoli  machtig,  sireichen  nach  N.26®0. 
and  fallen  unler  15®  nach  0.26® S.  In  der  Nahe  derThalsohle 
bestehcn  sie  (fast)  ausschliefslich  aus  Bleiglanz,  der  durch  die 
E^nwirkung  der  Atmosphare  oxydirt  wird.  Schwefelkies  von 
dem  der  Bleiglanz  eine  geringeMenge  eingeschlossen  enthait, 
wird  in  Eisenoxydhydrat  verwandelt,  und  so  entstehen  ochrige 
Erze,  die  ausser  den  Hydraten  des  Blei-  und  des  Eisenoxydes 
noch  etwas  Quarz,  Kalkspath  und  Bitterspath  entbalten,  von 
denen  kleine  Mengen  in  den  Gangen  vorkoitimen.  Eine  be- 
sondere  Regelmafsigkeit  in  der  Ablagerung  dieser  Bestand- 
theile  der  Gange  ist  in  dem  Horizonte  der  Thalsohle  nicht  zu 
bemerken;. 

Der  Bleiglanz  und  die  ocherigen  Erze,  welche  die  Haupt* 
masse  ausmachen,  entbalten  den  Schwefelkies  und  die  iibrigen 
Mineralien  nach  Art  von  zufalligen  Einschliissen.  Eine  Ver- 
gleichung  des  Hangenden  und  Li^enden  dieser  Gange  zeigt, 


*)  Abo  doGb  so  gQt  als  identisch  mit  dem  Streicben!  E. 

Ermans  Rass.  Archiv.  Bd.  XI.  H.  S.  22 


028  Phytlkalisch-iiiathematische  Wissentchaften. 

dafs  dieselben  bei  ihrem  Durchgange  durch  Thohscbiefer  und 
durch  Grauwacke  nach  Mafsgabe  der  Dicbtheil  dieser  Gebirgs* 
arlen  mehr  oder  weniger  scharf  begranst  sind.   So  kann  man 
z.  B.  an  einem  der  Gange  der  im  Hangenden  an  einen  sehr 
(esten  Thonschiefer  granzi,  in  diesem  durchaus  keine  Spuren 
von  Erzen  wahrnehroen,  wahrend  sein  aus  Grauwaekensand* 
slein  bestehendes .  Liegende   mil   belrachtUchen   Mengen    von 
Bleiglanz  und  Schwefelkies  durchsetzt  ist.     Uebrigens  fiodet 
sich  die  beschriebne  Zusammensetzung  an  dem  oben  erwahn* 
ten  Gange  nur  innerhalb  einerHohe  von  einigen^  Fulsen*    Sie 
wird  oberhalb  dieser  Granze  eine  vollig  andere.    Eisenglans 
der  zuerst  in  geringer  Menge  hinzutrilt,  verdrangt  bald  deii 
Bleiglanz  vollsliindig  und  fiilit  dann  ausschiieislich  alle  Neben- 
trume,  welche  von  dem  Gange  selbst  nach  alien  Richtungen 
auslaufen  und  sich  verschniiren. 

Die  rhomboedrischen  Krystalle  des  Eisenglanzes  sind  aus^ 
serordenllich  schon  ausgebildet  und  zeigen  alle  mSglichen 
Uebergange  von  3  bis  4  Linien  Seilenliinge,  bis  zu  mikrosko- 
pischer  Kleinheit.  Ihre  Grolise  ist  durch  die  des  Raumes  in 
dein  sie  sich  gebildet  haben  und  durch  die  Abkiihlung  die  in 
demselben  vorkam,  bedingl  worden,  und  so  sind  denn  die 
engsten  Spalten  mit  fein  kryslallischem  oder  auch  dicht  schei- 
nendem  Eisenglanz  geriillt,  wahrend  Krystalle  von  ausgezeich-* 
neter  Schonheit  und  belrachllicher  Grdfse  in  Hohlungen  des 
Hauptganges  vx)rkommen. 

Eine  andre  Suite  von  Erzgangen,  die  unnailtelbar  mit  dem 
Austritt  des  Feldsteinporphyrs  zusammenhangt,  unterscheidet 
sich  von  der  eben  beschriebn^n : 

1)  durch  ihr  Streichen  und  Fallen; 

2)  durch  ihre  Beziehungen  zu  den  umgebenden  Gebirgs- 
arlen; 

3)  durch  ihre  mineralogische  Beschaffenheit  und 

4)  durch  die  Anordnung  ihrer  Bestandtheile. 

Sie  streichen  nach  N.  22°  0.  und  fallen  so  steil  und  so  ab- 
weichend  von  den  Schiefern,  dafs  eben  dadurch  ihre  ganz- 
liche  Unabhangigkeil  von  diesen  umgebenden  Gebirgsarten  und 


Geognostiscbe  Bemerkangen  iiber  das  Werchojaoer  Gebirge  etc.    ^9 

ihre  Entstehung  durch  die  Porphyrgange  bewiesen  wird.  ^^ 
Von  den  Gangen  des  erstenZuges,  dieLagern  ahnlicber  sind, 
uhterscheiden  sich  die  in  Rede  stehenden  durch  hauGge  Er- 
weiterungen  und  Verengerungen.  Im  Miltei  ist  ihre  Mach- 
tigkeit  so  wie  die  zuvor  erwahnle  und  sie  besiehen  an  den 
iiefslen  Funiclen  (die  man  erreicfat  hat!)  aus:  Bleiglanz  und 
Schwefelkies  und  in  ihrem  Ausgehenden  ausschiiefslich  aus 
dem  letzteren.  Wo  beide  genannte  Erse  zusammen  und  in 
gleicher  Menge  vorkommen,  findet  man  sie  immer  bandfdnnig 
abgelagert  Der  Schwefelkies  liegl  dann  zu  beiden  Seiten  zu*- 
nachst  am  Nebengestein,  wahrend  derBleiglanz  und  die  oxy* 
dirten  Erze  allerniren  und  die  Miilen  der  Gange  einnehmen. 

Alles  bisker  Beschriebene  findet  sich  auf  einer  Strecke 
von  weniger  als  2  Werst,  und  da  innerhalb  dieser  die  zwei 
Ziige  oder  Systeme  von  Gangen  in  ihrem  Streichen  und  Fal« 
len  sehr  verschieden,  in  ihrer  chemischen  Beschaifenheii  aber 
iibereinstimmend  sind,  so  hat  man  sie  offenbar  als  Auslaufer 
ein  und  derselben  Hauptmasse  zu  betrachten.  Ihre.Abhangig* 
keit  von  dem  Austritt  des  Feldspathporphyrs  beweist  aber, 
dais  jene  grdfsere  Erzmasse  doch  zu  klein  war  um  selbstSn- 
dig  zu  Tage  zu  kommen(!!). 

An  dem  Ostabhange  des  Berges  zeigt  sich,  dafs  die  Eisen- 
glanz-Tmme  oder  Schniire  dem  Streichen  des  Thonschiefers 
ununterbrocfaen  auf  einer  Strecke  von  1^  Werst  folgen.  Die- 
ser Eisenglanz  bildet,  wie  aus  allemGesagten  hervorgeht,  den 
zuverlassigslen  Wegweiser  bei  der  Untersuchung  des  Endy- 
baler  Vorkommens. 

Yon  eigentlich  meiamorpbischen  Gebirgsarken  isi  im  Wer- 
chojanlschen  Gebirge  nichls  zu  sehen.  Die  machtigen  Thon- 
scbieferschichten,  welche  die  Mi  tie  desselben  einnehmen,  sind 
zwar  ohne  Versteinerungen,  gehen  aber  so  allmlAlig  und  fasi 
untrennbarer  Weise  in  palaozoische  iiber,  dais  man  sie  kaum 
metamorphisch  nennen  kann. 

Ihrer  mineralogischen  Beschaffenheit  nach  sind  die  Thon^ 
schiefer,  die  zusammen  mit  Grauwackensandstein  den  ganzen 
Raum  von  den  Quellen  des  Bailyk  bis  zu  den  Endybaier  An** 

22* 


330  PhysikalUch^mathematiscbe  Wiisenscbaften, 

briichen  einnehmen,  meist  reine  Tafeischiefer.  Sie  siodl  iiberall 
dunkelgrao,  von  ganz  verflossenem  oder  ausserst  f^nkdrnigein 
Gefiige  und  sehr  ieicht  irennbar  nach  den  SchieferungsQachen. 
Zu  den  Eigenihumfichkeiten  dieses  Gesteines  geboren  kugiiche 
Absonderungen  von  0^  bis  i  Zoll  im  Durchinesser^  die  ein 
Hornsleinahnliches  Ansehn  haben^  wahrscheinlich  aber  dennoch 
Bur  durch  modi6^rie  Mollekularwirkungen  aus  der  Hauplmasse 
des  Schiefers  enistanden  sind. 

Ausserdem  finden  sieh  nieht  selien  an  beiden  Abhangen 
des  Gebirges  SchwefelkiesknoUen,  die  auf  den  SchidhtenabJo- 
sungen  in  dem  Thonschiefer  eingelagert  scheinen*  Die  durcli 
Verwittei'ung  aus  ihnen  gebildeteSchwefelsaiire,  hat  oft  neue 
Verbindungen  veranlasst^  welche  theils  auf  den  Kliiftetf  des 
Thonsehiefers  auswittern,  theils  auf  Siimpfen  und  in  stehenden 
Wassern  als  Eisenocher  erseheinen. 

Der  Grauwackensandstein  ist  fast  ebenso  verbreitei 
wie  der  Thonschiefer.  Man  find«t  ihn  (auf  dem  in  Rede  8te«- 
henden  Weg)  zuerst  bei  den  Quelien  des  Bailyk.  Er  zeigt 
stch  meistens  als^  ein  feinkorniges  Gemenge  von  Quarzkornlsm 
mit  feinen  Bruchstucken  von  schwarzem  Schiefer.  Diese  bei- 
den  Bestandtheile  scheinen  in  den  versehiedenen  SchichteD 
ganz  regellos  vertheilt.  Bisweilen  ist  der  Qi^arz  so  gut  als 
alleinherrschend  in  einem  gelblichen  thonigen  Bindemittel  ein- 
geschlossen.  Der  Sandstein  erreicht  dann  seine  grSlsieHarte 
und  eine  heUgraue  Farbung.  An  anderen  Stellen  Wird  dnreh 
den  Zutrilt  von  Schiefer  diese  Farbe  erst  dunkelgrau,  dann 
griinlich-  und  endlicfa  schwarz,  wahrend  das  Gefiige  von  dem 
feinkfirnigen  ins  dichte  iibergeht  In  einigen  Schiobten  dieses 
Sandsteines  finden  sich  auch  Glimmerblatter,  aber  nur  als  sehr 
untergeordnete  Beimengung,  auch  findet  sich  bisweilen  ein 
wenig  Kalk  in  dem  thonigen  Bindemittel,  dessen  M^ige  oft 
durch  die  der  Quarzkorner  in  dem  Gesteine  eng  begranzt 
wird.  — 

Dieser  Grauwackensandstein  ist  nun  iiberall  zwischen  dem 
Schiefer  regelmafsig  eingelagert,  so  dafs  beide  gleichmafsig 
nach  N.  37^^  W.  streichen,  und  unler  Winkein  von  50^  bis 


Geognottiaebe  BcMerfciugen  fiber  da*  1¥f rehojaner  ^birge  etc.    331 

75^  nach  der  Ost-  oder  nacb  der  W6st-Seite  dieses  Sireicben 

faHen.    Die  glnchzeitige  Ealseining  dieser  beidetiGebirgssften 

unterliegi  demnach  keinen  ZwetfeL  —    Der  Sandslein  unler* 

scbeidel   sicb  noch  durch  weit  grS6ere  Fesligkeil  von  desi 

Thonscbiefer,.  der  meisi  von  ^aken  durebsttal  und  in  kleine 

Siiicke  gcibeilt  isL     Es  kommt  daber,  dafa  das  Ausgehende 

sleii  fallender  Schicbten,  so  wie  &•  B.  an  dem  See  5uhinlsehak| 

parailele  hervorragende  Riicken  bildel^  die  diirch  Scblucbten 

mit  sanften  Abbangen  geUrennl  sind.     Dureh  densdben  Um^ 

stand  entsieben  aucb  stufenabnlicbe  Vorragungen  an  den  Berg- 

abbangen,  wenn  die  Scbicblen  flaober  fallen.      Dieses  xeigi 

aieb  namentlicb  in  der  G^end  der  Endy baler  Anbriicbe,  wo 

man  die  Zabl  dieser  Slufen  slets  mil  der  der  Grauwacken^ 

scbicblen  iibereinslimniend  findet. 

An  dem  See  Suluntscbak  fanden  sieb  imGrauwacken- 
sandslein  Versteinerungen,  die  lu  Productus  und  Rbo- 
docrinus  geboren.  ,,Da  nun  diese  organiscben  Einseblusse 
,^fur  die  mil  dem  Bergkalke  gleicbseiUgen  Gebirgsarten,  cba- 
y,rakieristiscb  sind,  so  scbeini  aucb  der  Name  Grauwacken- 
„sandsiein,  der  dieser  Gebirgsarl  nur  nacb  ibrer  mineraiogiscbeh 
^Bescbaffenbeit  gegeben  wurde,  genugsam  gerecbtferligt.** 

Aucb  in  den  Tbonscbiefern  kommen  Versteinerungen 
vor:  leider  aber  solcbe/  die,  ehva  liiil  Ausnabme  der  eigentlieb 
Siiuriscben  Scbicbteki,  aus  alien  Giiedem  der  palaosoiscben 
Gruppe  bekannt  sind.  Diese  organiscfaen  Resle  sind  immer 
auf  diinne  Zwiscbenlager  awiscben  anderen  Versleinerungs- 
leeren  Scbicblen  besdirankl,  so  a.  B.  in  den  Schiefem  v6m 
liiiken  Ufer  des  Baches  Sjaman-Urjacb,  wo  Crinoideen,  und 
die  Gallungen  Po8idonomia(?)  undTerebralula  geseben 
wurden.  — 

Bei  dem  Urspnuig  des  Flusses  Suluntsch  fand  man  ein 
diinnes  Zwiscbenlager,  welcbes  fasl  ausscblieblieb  ausUeber- 
resten  von  Brachiopoden '^)  besleht 


^)  Ob  and    weslialb  diese   nicht  naher  zu  bestimmen  sind,  wird   nicht 
gesagt.  D.  Uebers. 


332  PkyBiMifch-mathematitcte  Wlnenidiafteii: 

Obgleich  nun  die  gefandeaen  Versteineriingen  wie  schon 
gesagly  jauek  in  den  akesien  palaOKoiachen  Formationen  vor- 
kouuneDy  ao  glaubi  Herr  M.  dennoch,  die  fragliohen  Scbichteo 
mil  einiger  Wahrscheinlichkeit  sur  Periode  des  Bergkalkes 
rechnen  zu  k5nn«n«  i»Einige  (nichi  naber  besiimmte)  aarie 
Pflansenabdriicke,''  die  Kuaammen  mit  jenen  Veraleinerungen 
vorkamen,  aoUen  diese  Ansichl  unierstulsen. 

Zu  gam  jungen  FloUbildungen  gehoren  fiusaerst  miich* 
lige  Sandsteine,  welche  beinab  swei  Driitel  des  Siidabbanges 
des  Werchojanischen  Gebirges  einnehmen.  Sie  bealehen  aus 
feinen  Quarskornern  in  einem  Ihonigen  BindemiUel,  erhallen 
aber  sehr  verschiedenarligea  Ansehen  durch  Beimengungeu 
von  Glimmer,  Sleinkohlen  und  verkohUen  Pflansenreslen. 

Sie  sind  ausserst  reicb  an  vegetabiliscben  Resten,  doch 
bescbranken  sich  diese  auf  dermalsen  undeuUiche  Abdrlicke, 
daCs  durcbaus  keine  Bealimmung  dei*selben  geiungen  iat  Von 
Blaiiem  sind  aur  gewisse  gegen  2  Zoll  iange  und  1,5  bis  2 
Linien  breite  bemerkt  worden. 

DieFarbe  dieser  Sandsleine  istmeisiens  hellgelb,  die  aber 
durch  Aendrungen  in  dem  ihonigen  Bindemittel  in  grau  und 
durch  Zulritt  von  GlimmerblaUem  in  dunkelgrau  ubergeht 
Das  Gefiige  bleibt  stets  komig  und  eben  desbalb  aBe  Pflan- 
Kenabdrucke  undeuliclK  Das  Sireicben  und  Fallen  die* 
ser  Schichten  ist  von  dem  der  bisher  beschriebe- 
nen  Schiefer  kaum  verschieden. 

Es  wurde  schon  oben  bemerkt,  dab  ein  QuerscfaniU  des 
S.W.-Abbanges  des  in  Rede  slehenden  Gebirges,  Wellenlinien 
von  sehr  betrachtlichen  Dimensionen  xeigen  wiirde.  Dem- 
gemafs  findet  man  nun  auch  an  den  Sandsteinsehichlen  bei 
fast  constantem  Streichen  nach  N.  37^5  W.  bis  N.  45^  W. 
bald  ein  sehr  schwaches  Fallen  naeh  der  siidweslUchen, 
bald  ein  starkes  nach  der  nordosliichen  Seile  dieser  Linie. 
Zwischen  den  Sandsteinsehichlen  bemeikt  man  nicht  selten 
diinne  Zwischenlager  von  Steinkohle,  die  aber  gegen  die  ein- 
schlielsende  Masse  zu  unbedeutend  scheinen  um  das  Gesiein 
desbalb  zur  Koblenformaiion  zu  rechnen. 


Geegnottische  Bemerkvngtn  liber  dM  Werchoj«i«r  <a«birge  ete.  333 

Die  Sandsleine  die  den  ganzen  S. W.-Abhang  des  Wercho- 

janischen  Gebirges  einnefamen,  bilden  auch  dieUfer  der  Lena 

und  des  Aldanes.   Von  den  Orauwackensandsteinen  und  Thon- 

schiefern  der  Mitie  des  Gebirges ,  Irennen  sie  gevvisse  Schie- 

ferthone,  die  gleichfalls  mit  Sandsleioen  weehsellagern.    Man 

fand  diese  scbon  friiher  an  den  Fliissen  S^uordach  und  Kljug, 

von  denen  der  letolere  in  den  Bailyk  miindet    Der  Scbiefer- 

thon  enihalt  PflansenabdrQckei  die  den  zuvor  erwahnien  un- 

deuUichen  ganz  ahniich  sind  und  deren  Bestimmung  keinen 

Z weifel  uber  das  Alter  der  Schichten ,  in  denen  sie  vorkom- 

men,  lassen  wird  *).    Diese  sind  zwar  ihrer  Lagerung  zufolge, 

alter  als  die  Sandsteine  am  Bailyk  und  von  den  Ufem  der 

Lena  und  des  Aldan:  es  bleibt  aber  doch  nicht  zweifelhaft, 

dais  sie  sich  zu  diesen,  nur  wie  Unierabtheilungen  ein  und 

derselben  Formation   verbalten.      Wechsel    mit  Schieferthon 

finden  sich  auch  noch  in  den  untersten  Schichten  der  jUnge- 

ren  Ablheilung  dieser  Sandsteine   und   verschwinden   gegen 

das  Hangende  so  allmahlig,  dafs  man  auf  ihnen  keine  scharfe 

Trennung  zweier  Schichiencomplexe  begriinden  kann. 

Von  neuesten  Bildungen  findet  man  Thon  und  Sandstein- 
schichten,  die  durch  Zertriimmerung  aus  den  Gesteinen  des 
Werchojanischen  Gebirges  entstanden  sind.  Dais  diese  zu 
den  jiingsten  Tertiar-Schichten  gehoren,  ersieht  man  aus  den 
Mammuttahnen,  die  sich  oft  an  den  aus  ihnen  bestehenden 
Abhangen  zeigen.  Diese  Zahne  sind  so  schlecht  erhallen^ 
dafs  sie  keinerlei  technische  Anwendung  zulassen. 

Der  Verfasser  wiederholt  nun  seine  Ansichlen  uber  die 
im  Werchojanischen  Gebirge  und  dessen  Umgebungen  beob- 
achteten  Bildungen  noch  einmal  in  folgender  Zusammen- 
stellung : 

*)  Ob  Herr  M.  dergleichen  Abdriicke  mitgenoromen  bat  und  wohin  die- 
selben  dann  gekommen  sind,  ersiebt  man  dorcbaus  niclit! 

D.  Uebers. 


334  Ph78ilL«liioh->jnlitliematiBehe  WiMmscbaften. 

I.    Palaozoische  Periode. 
A.    Bergkalk-Formalion. 

1)  Tbonschiefer  und  Grauwackehsandstein  ohne  Verstei- 
herungen  von  den  Endybaler  Anbrochen. 

2)  Tbonschiefer  und   Grauwackensandstein   welcbe  ent- 
halten: 

Rbodocrinus  verus,  Productus  relicularis   und  Po- 
^sidonomia  miniita(?). 

£f.    Steinkobleo  Sandsteio. 

3)  Sandsteine  mil  Scbiefertbon  und  Pflanzenabdriicken 
bis  zum  Bailjkfluss. 

4)  Sandstein  mit  Scbieferihon,  Conglomeraten  und  Stein- 
koble  von  dem  Flusse  Suordach. 

IL     Tertiar-Periode.     . 
I)  Junge  terliare  Ablagerungen  am  Aldanflasse. 

III.    Neueste  Bildungen. 

1)  Die  Anscbwemmungen  in  den  Tbalern  des  Wercho- 
janischen  Gebirges^  so  wie  die  Insein  an  der  Miindung 
des  Aldan  und  in  der  Lena. 

IV.     Plutoniscbe  Gesteine. 

1)  Granii,  Feldsteinporpbyr  und  Gange  von  Silberhalti- 
gen  Bleierzen. 

Obgleicb  die  von  unten  wirkenden  Gesteine  nur  ala 
Gange  in  die  alteren  geschichteten  gedrungen  sind,  so  be- 
vsreist  docb  das  Streichen  dieser  letzteren,  dafs  jene  Einwir- 
kung  eine  gleichartige  auf  bedeutenden  Streeken  des  Werdio- 
janischen  Gebirges  gewesen^  und  dafs  dieses  nacb  der  Bildung 
der  Steinkohlengruppe  gehoben  worden  ist. 

Der  Folds teinporpbyr  scheint  zwar  da  wo  er  sich 
zeigi  eine  eigene  Erhebungsaxe  zu  bilden,  jedoch  diirfle  er 


Geognostische  Bemorkmigvii  Ubw  das  W«rciiojan«r  GeMrge  etc.    335. 

wohl  spaler  als  der  Granit  hervorgetreieb  seiii.  U^ber  die 
Zeit  seines  Brscheinens  ist  aber  durchaus  keine  Andealang 
vorhanden. 

Den  Erzgangen  hal  man  wegen  iibereinslimmenden 
Slreichens  eine  mit  der  des  Porphyrs  gleichzeitige  Entslehung 
KUi^uschreiben. 

Was  die  Annafatne  einer  dtni  Feldsteinporphyr  enl* 
sprechenden  besonderen  Erhebungsaxe  betrifft,  so  wiirde  sie 
bei  der,  auf  einige  Gange  beschrankten  und  daher  sehr  gering- 
fugigen  Masse,  die  sich  uber  Tage  von  diesem  Gesteine  zeigt, 
ziemlich  unbegriindet  erscheinen,  wenn  nicht  das  Streichen 
des  Thonschiefer  in  der  Umgegend  des  Endybal  fiir  sie 
sprache.  Man  sieht  aus  der  beiliegenden  Wegkarle,  dafs  die- 
ses Streichen,  nachdem  man  es  langs  des  ganzen  Gebirges 
constant  nach  N.  37^,5  W.  gefunden  hat,  sich  um  die  Por- 
phyrgange  der  eben  genannten  Gange  platzlich  in  ein  nach 
N.  26^,25  O.  gerichtetes  andert;  grade  als  ob  der  spaterher- 
vorgetretene  Porphyr,  die  bereits  durch  den  Granit  be- 
dingte  Lage  der  Schichten  geandert  hatte.  — 

Zum  Schlusse  bemerkt  nochHerrM.,  dafs  ihni  das  Vor- 
handensein  einer  besonderen  Erhebungsrichtung  zwischen  dem 
Wilui  und  der  Lena  nicht  wahrscheinlich  vorkomme.  Na- 
mentlich  deswegen  nicht,  weil  die  in  das  Unke  Ufer  der  Lena 
miindenden  Zuflusse,  nicht  viel  Gerolle  von  krystallinischen 
Gesteinen  fiihren. 

„Die  bekannten  Granaten  vom  Wilui  konnten  wohl  fur 
nur  lokale  vulkanische(!!)  Erscheinungen  sprechen.** 


336  Phytikalitch-mathematitehe  Wistentehaften. 

Um  dem  TbateachUchen  InHemiMeglizkjlB  Aafsatz  in  keiiMrWeiie 
za  nabe  za  treten,  sind  in  der  Tontehenden  Bearbeitnng  aadi  die  theore- 
tiscben  Ansicbten  nnd  Folgerungen  des  Verfassert,  von  denen  man  jenes 
Tbatsachlicbe  oft  kaum  batte  trennen  konnen/wiedergegeben.  —  Ich  be- 
balte  mir  aber  Tor  bei  einer  andren  Gelegenheit  zu  zeigen,  wie  die  wirk- 
licben  Beobacbtangen  bei  dieser  Reise  sich  ansebliefsen  an  das  was  frii- 
bere  Untersacbangen  ans  von  dem  Aldaniscben  Gebirge  gelebrt  baben  (in 
diesem  Archive  Bd.III.  S.  165  a.  f.,  IV.  S.330,  VL  S.229,  XI.  S.'106),  so 
wie  aoeb  von  dessen  gegen  den  Marekan  nnd  das  Ochozker  Meer  gericb- 
(eten  Ausbreitongen  nnd  von  plntoniscben  Gesteinen  aaf  Kamtscbatka,  die 
mit  dem  dicbten  Feldspatbporpbyr  der  ostlicbsten  Gebirgsziige  des  Con- 
tinents in  genetiscbem  Zusammenbange  scbeinen. 

Erman. 


I 

I 

I 

1 
1 


Die  Stadt  Turuchansk. 

Nach  dem  Russiscben 
von 

Herm   Kostrow  *)- 


Oie  Griindung  von  Turuchansk,  einer  der  nSrdiichsten  Stadte 
yibiriens  (denn  es  liegl  unler  66*  55*  N.  B.  u.  85*  18^  O.  v.  P.), 
tallt  in  das  17.  JahrhurderL  Als  im  Jahre  1598  zu  dem  Za- 
ren  Fedor  Iwanowitsch  das  Geriicbt  gedrungen  war^  dafs  im 
fernen  Norden,  nahe  am  Ob»  das  Land  der  Samojeden  lage, 
so  ward  in  demselben  Jahre  zur  naheren  Erforschung  dieser 
Gegend,  ein  gewisser  Fedor  Djakow  abgeschicki^  welcher  bis 
zu  dem  Jeni^ei  vordrang.  Der  einmal  angeregte  Gedanke^  sich 
dieses  Slriehes  zu  bemachtigen,  wurde  auch  in  der  Folge  von 
der  Regierung  nicht  aufgegeben,  zumal  da  von  Zeit  zu  Zeil 
Geriichte  iiber  den  Reichlhum  dieses  Landes  nach  O!*obol«k 
drangen.  Unter  dem  Zaren  Boris  Fedorowitsch  wurde  im  Jahr 
1600  an  dem  Fiusse  Ta«  ein  Sladtchen  Namens  Manga«eja 
gegrundeL  Nachdem  man  sich  hier  befestigt  hatte,  wurden 
nach  alien  Richtungen  bin  Kosakenabtheilungen  zum  Einlrei- 
ben  des  Ja«ak  ausgesandt  Nach  einigen  Tagereisen  ostlich 
von  Manga^eja  kamen  die  Kosaken  an  den  Fluss  Turuchan, 
und  gelanglen  ferner  bis  zo  seiner  Miindung  in  den  Jeni«ei, 


*)  Moskwitjanin.    Jnli  1851. 


338  Pbysikalisch  -  raaChematische  Wissenschaften. 

der  hier  breiter  wird,  sich  in  einige  Arme  IheiU,  and  eine 
ziemlicli  grofse,  mit  kleinen  Fichlen  und  Birken  bewachsene 
Insel  bildet.  Die  Lage  derselben  schien  den  Kosaken  zu 
einem  Wachposlen  sehr  geeignet,  und  dem  zufolge  ward  hier 
im  J.  1609  ein  Winlerlager  unler  dem  Namen  des  Tuiuchans- 
kischen  errichlet.  Kurz  nachher  ging  Manga^eja  in  Flamtnen 
auf,  und  ward  wegen  des  dortigen  ungesunden  Klima's  und 
des  sumpfigen  Bodens  nicht  wieder  aufgebaut.  Auf  Be- 
fehl  des  Zaren  Alexei  Michailowitsch  vvurden    die  Bewohner 

■ 

nach  dem  Turuchaner  Winlerlager  ubergesiedelt  und  bier 
eine  Siadt  unter  dem  Namen  Neu-Manga^eja  oder  Turu- 
chansk  erbaut. 

Diese  1414  Wer&l  v(m  Kra^nojar^k  u.  1084  Wersl  von  Jeni- 
9ei«k  liegende  Stadt  wird  sellen  besucht,  und  sogar  nur  mo- 
natlich  einmal  von  der  Posl,  zuinal  da  auch  die  unzuverlassige 
P(ihrfc  auf  dem.  Jeni^^i  die  Verbiudung  nicht  erleicfatert^  denn 
die^^r  fost  immer  unruhige  Fluss  zwingl  oft  die  aus  Krasno- 
j^r^k  oder  Jeni»ei«k  nach  Turuchansk  fahrenden  Barken  der 
Kaufleute  Wocben  laog  unterwegs  liegen  zu  bleiben,  bis  sich 
der  Wind  gelegt  hat.  Am  Jeni^ei  entlang  von  Jeni^eisk  bis 
Turuchansk  liegen  in  einer  Enlfernung  von  25 — 30  Werst 
vofi  eioander  eine  B#ihe  armseHger  kieiner  Dorfer,  hier  nimmt 
^ich  jede  Barke  einen  Lootsen  um  den  Sandbanken  auszu- 
weichen*   • 

Die  ganze  Bev6lkerung  von  Tuinichansk  belauft  sich  auf 
^iSeelen  mannlichen  Geschlechts,  darunter  sind  45  Kosaken. 
I)\^  Arfi:iu(h  der  dortigen  Bewohner  liegt  hauptsachlich  in  ihrer 
Fau]heity  denn  nur  wenige  beschaftigen  sich  niit  der  Jagd  der 
Pebthiere.  Die  Thatigkeit  der  Kosaken  wird  bedeutend  in 
A|ispruch  gefiooimen.  Sie  werden  gewohnlich  zu  Auf&ebern 
c|0r  Getreidemagazine^  die  in  der  Turuchansker  Gegend  zer- 
s.tf'e^t  li^gen^  eraaniU,  und  beschaftigen  sich  hauptsachlich  mil 
iem  Gelreidetransporl  auf  der  unleren  Tungu^ka,  die  sehr 
reissend  und  mil  gefahrlichen  Schnellen  angefuUl  ist.  An 
diesem  Fiusse  liegen  vier  Distrikte^  die  von  den  nomadisirenden 
Tungusen  und  anderen  Stammen  besucht  werden<    Jedes  Jahr 


Die  Stadt  Tarachansk.  339 

im  August  fahren  2  oder  3  Barken  mil  ISKosaken  den  Fluss 
hinauf,  und  verkaufen  Gelreide  an  diese  Nomaden.  Sie  fah- 
ren auf  diese  Weise  mebr  als  1200Werst  strotnaufwarts,  und 
da  die  Tungu^ka  sehr  friih  cufriert,  gewobnlicb  schon  im  Octo- 
ber, so  geschiebt  es  sebr  oft,  dass  die  Kosaken  irgendwo  am 
Ufer  iiberwintern,  und  nicbt  frbher  als  im  Juni  nach  Turu- 
chansk  zuriickkebren;  wobei  sie  die  1200  Werst  in  6  oder  6 
Tagen  zuriicklegen.  Im  August  macben  sie  sicb  scbon  wie- 
der  auf  den  Weg. 

Die  ganze  Stadt  besteht  aus  einer  krummen  Strafse  und 
einigen  zerstreut  liegenden  Hausern.  Ende  Mai,  wenn  der 
Schnee  schmilzt,  gleicht  Turuchansk  einem  Moraste  der  aucb 
den  ganzen  Sommer  iiber  nicbt  austrocknet,  und  durcb  die 
grofse  Warme  scbadlicbe  Ausdunstungen  erzeugt,  so  wie  aucb 
Myriaden  lastiger  Fliegen  und  Miicken,  gegen  die  man  sich 
durch  Ranch  oder  Nelze,  welcbe  aus  Pferdshaaren  angefer- 
tigt  sind,  scbiitzt.  Durcb  diese  starke  Hitze  versiegen  auch 
die  Flussarme,  welcbe  die  Insel  bilden,  auf  der  die  Stadt  liegt. 
Den  ganzen  Sommer  iiber  ist  es  bier  fast  ununterbrochen  Tag. 
Mitte  November  beginnen  die  beftigen  Scbneestiirme,  welcbe 
die  niedrigen  Hauser  fast  verscbiitten  und.  die  Kalte  steigt  bis 
auf  40  Grad  und  nocb  bober. 

Ein  reges  Leben  berrscht  in  der  Zeit,  wo  die  Kaufleute 
aus  Jenitfeitfk  und  Kra«nojar«k  nach  Turuchansk  kommen,  ge- 
w5hnlich  Mitte  Juni.  Dieser  Markt,  der  auch  nocb  den  Juli 
bindurch  dauert,  wird  aucb  von  den  Ostjaken  und  Tungusen 
besucht  Die  GeQcbafie  auf  demselben  sind  aber  nicbt  mebr 
so  bedeutend  wie  sie  Stepanow  in  seiner  Bescbreibung  des 
Jeni«eischen  Regierungsbezirkes  scbildert.  DieNomadenstamfrae 
kiagen  iiber  die  von  Jabr  zu  Jabr  empfindlicbere  Abnahme 
des  Wildes,  so  dafs  sie  jahrlicb  immer  weniger  Pelzwerk  zu 
Markte  bringen,  was  zur  Folge  bat,  dass  auch  weniger  Kau- 
fer  nach  Turuchansk  kommen.  Einige  von  diesen  kaufen 
wahrend  der  Zeit  ibres  dortigen  Aufenthaits  sebr  vortbeilhaft 
Fische  auf,  salzen  sie  ein,  und  versenden  sie  zum  Verkauf 
nach  Jeni«ei«k,  aber  nicbt  nach  Kra«nojar«k,  das  schon  von 


n 


340  Physikaliseh-mathematiiohe  WiMenscbaften. 

Toin«k  aus  hinreichend  mil  Fischen  versorgt  wird.  Auf  die- 
sem  Jahrmarkle  versehen  ^sich  die  Bewohner  von  Tumcban«k 
mil  den  nSthigen  Bedurfnissen:  Getreide,  Leinwand,  Tucb, 
Leder,  Thee,  Zucker  u.  s.  w.  Wie  stark  hier  der  Verbrauch 
von  Branntwein  ist,  geht  daraus  hervor,  dab  von  den  150  Sil-  \, 
berrubeln,  den  jahrlicben  Einkiinflen  der  Stadt,  120  aus  dem 
Verkauf  dieses  Getrank*s  gelosi  werden. 

W.  Depaubourg* 


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Drnck  von  Georg  Reimer. 


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Archiv 


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wissenschaftliche  Kiinde' 


von 


R  u  s  s   1  a  n  d. 


Herausgegeben  . 
von 

Am     E  r  in  a  n« 


Elfter    Band. 


D  T  Itt  em   Heft. 


Berlin, 

Verlag  von  Georg  Reimer. 

18  5  2. 


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Literatur  in  Kasan  *"}. 


^ufser  den  rein  wissenschaftlichen  Arbeilen  der  UniversitfiU- 
mitglieder^  werden  in  Kasan  hauptsachlich  Werke  herausge- 
geben^  die  der  orienlalischen  Linguislik  gewidmet  oder  fiir. 
die  muselmanniscbe  Bevolkerung  Russlands  beslimmt  sind. 
Es  erscheinen  alljahrlich  in  Kasan  iiber  vierzig  Biicher  und 
Broschiiren  in  tatarischer,  arabischer,  tiirkischer  und  persischer 
Sprache.  Sie  sind  meistens  geisllichen  Inhalls  und  bestehen 
aus  dem  Koran,  Gebetbiichern,  frommen  Gedichten  u.  dergl. 
Nur  wenige  von  ihnen  sind  Originate ,  die  iibrigen  sind  Ab- 
driicke  constantinopoUtanischer.und  bucharischer  Manuscripte. 
Mitunter  erscheinen  indessen  auch  Werke  nicht-geisllichen  In- 
halls, als  Marchen,  Erzahiungen  u.s.\v.  So  wurde  vor  Kur* 
zem  in  Kasan  eine  tiirkische  Ueberselzung  der  unter  dem 
Namen  Tuli  Name  (Erzahiungen  eines  Papageis)  bekannlen 
persischen  Fabeln  herausgegeben.  Sie  ist  von  Herrn  Mach- 
mudow,  einem  gebornen  Tataren,  verferligt,  der  die  Steile 
eines  Lehrers  der  orienlalischen  Calligraphie  an  dem  erslen 
Kasaner  Gymnasium  und  der  Universitat  bekleidel. 

Das  Feld  der  orienlalischen  Phiiologie  wird  vorzugsweise 
von  Herrn  Professor  Kow^Iewskji  bebaul,  dessen  Name 
sich  einer  europaischen  Beriihrnlheil  erfreul.  Im  verflossenen 
Jahre  (1850)  vollendele  er  den  Druck  des  drillen  und  ielzlen 


*)  Sj^wernaja  Ptachelk  yom  26.  and  31  Oet.  (a.  St.)  1851. 
Ennans  Rota.  Arotahr.  Bd.  XI.  H.  3.  23 


342  Allgeinein  Literariscbes. 

Bandes    seines    niongolisch-russisch-  franzosischen    Lexicons, 
der  Frucht  zwanzigjahriger  Arbeilen,  wofiir  er  den  vollen  De- 
midowschen  Preis  und  sowohl  von  seinem  Kaiser  als  von  dem 
Kfinig  von  Preussen  Orden ,  Medaillen  u.  s.  w.  erhallen  hai  *). 
In  diesem  Augenblick  ist  Herr  Kowalewskji  mit  zwei  wichli- 
gen  Arbeiten  beschafligt,  einer  Geschichle   der  mongolischen 
Lileratur  und   einer  Unlersuchung   iiber  die  Geschichte  des 
Buddhismus,  wozu  er  durch  die  asialische  Gesellschaft  in  Pa- 
ris veranlafsl  warden.     Die  mongolische  Ablheilung  der  Ka« 
saner  orienlaiischen  Lileratur  erhielt  unlangst  auch  einen  er- 
freulichen  Zuwachs  durch  eine  linguislische  Arbeit  des  Herm 
Bobrownikow,  Baccalaurens  der  dortigen  geisllichen  Aka- 
dtmie,  in  welcher  seit  einiger  Zeit  mehrere  orientalische  Spra- 
ehen  sur  Ausbildung  van  Missionarea  g«lehrt  werden.    Die 
Petevsburger  Akademle  der  Wissensehaflen  hat  der  von  Hm. 
Bobrownikow  \erCa(iBten  Grammatik  der  mongolisch  •  kalmyki- 
aohenSpvache  besondre  Aufmerksamkeit  geschenkt  und  ihr  auf 
EmpfehluMg  Kowalewakji's  den  halben  Demidowschen Preis 
suetkannt.    Der  bekannte  Orientalist  Beresin  gieU  gleichaei- 
ti^  eine  persiache  Grammatik,  die  Gnadenbriefe  (jariyki)  der 
tatari$chttn  Chane  und  eine  ^^Bibliothek  orientalischer  Schrift- 
steller**  heraua,  die  unterAndrem  fur  die  rusaiscbe  Geschichte 
von  nicht  geringem  Nutzen  sein  wird.    Der  erste  Theil  die* 
sea  verdienstvoUen  Werkes,  der  die  Scheibaniada^  eine  Ge- 
schichte der  Mongolo-Turken  in  cl/agataischer  Mundart,  nebst 
rusabcher  Uebersetzung  enthait  und  mit  vielen  Anmerkun- 
gen  und  Beikigen  versehen  ist,  hat  bereits  bei  competenten 
Riebtern  gunstige  Aufnahme  gefunden  **).  —    Der  zweite 
Theil  ist  schon  sum  Drucke  fertig  und  wird  nachslens  von 
Herm  Be  resin   veroffentlicht  werden.     Er  entbalt  die  Ge- 
schichte der  Mongolen,   eine  um  die  Zeit  Boris  Godunow^s 
abgefafsle  tatarische  Uebersetzung  aus  dem  Persischen.    In 


*)  Vergl.  fiber  dieses  Lexicon  in  diesem  Archiye  Bd.  VflL  I&.6&1— 666. 
*)  Desgl.  Bd.  IX.  8.  ^51  —561. 


Diier  LitcfffttAr  ift  Kataii.  348 

der  Vorredle  lu  diesem  Werke  wird  man  eioige  iateretsafate 
Details  iiber  Boris  Godunow  finden,  die  von  dem  zdtgenSad-^ 
schen  laiarischen  UeberseUer  initgelheili  werden.  Die  rus- 
sische  Version  des  von  Herm  Beresin  faerausgegebenen  UtK- 
rischen  Manuscripts  ist  von  Herrn  Iljinskji,  Baccalaoreua 
der  geistliohen  Academie  xu  Kasao,  angefertigt,  der  in  Kur* 
aem  eine  wissenscbitftliGhe  Reide  nach  dem  Osten  antrelen 
wird.  — 

Die  jyReise  im  Osten**  (Putesehestwie  po  Woatoku)  des 
Herrn  Beresin  ist  der  russischen  Lesewelt  bereits  vortheil- 
haft  bekannt*).  Der  erste  Theil,  der  die  Beschreibung  von 
Dagestan  und  Transkaukasien  eDthall,  ist  namtich  in  einer 
sweilen  Ausgabe  erschtenen.  Im  xweiten  Tiieil  wird  Herr 
Beresin  das  nordlicbe  Persien  scbildem,  w&hrend  das  e&dliobe 
das  Thema  des  dritten  Theiles  bUdet  Man  sieht  hteraus, 
nach  wdehem  umfassenden  Plan  dieser  OrienfaUst  seiae 
Reisebeschreibung  angelegt  hat^  die  in  ihrelr  ganzen  Aosdeli* 
nung  siebai  bis  aebt  Bande  einnehmen  wird.  Unter  den  No- 
vitaten  der  orientalischen  Philologie  bemerken  wir  noofa  die 
Herausgabe  einer  arabischen  Handsohrifl  unter  dem  Titd  „die 
reine  E^senz**  — *  Chttla*#ate*ul-cha)ise  —  geschrieben  von 
Ali,  dem  Sohne  Machmud^s.  Ihr  InhaU  bestebt  aus  den  Sit^- 
ienspriichen  verschiedener  orienfalischer  Weisen  iiber  Gegen* 
stittde  der  Moral  und  der  Religion.  Der  Herausgeber  dieses 
niitzlichen  Buches  ist  der  Professor  Gottwald.  Hier  mils* 
sea  auch  <&e  ^^ethnographischen  Untersochungen  iiber  die  V5l* 
kersdiaften  (inorodsy)  des  Gouv^mements  Kasan**  erwMhnt 
werden  I  wovon  der  erste  Theil,  Notiscn  iiber  die  Tscbuwa- 
schen,  schon  im  Druck  erschienen  ist  und  deren  folgenden 
Tbeile  Bemerkungen  Uber  die  Tscheremisen,  Tataren  und  Wo*- 


*)  Einen  Auszug  aos  den  vorlaufigen  Bericht  dieses  Reisenden  gaben 
wir  tcfaoti  Bd»  V.  S.  377— 380  des  Arcbits  nacb  den  „I7tscbonyja 
Sapitki"  der  UsitersHat  Kasan. 

23* 


346  AUgenein  Litemrlsches. 

tjaken   eiltiiaiien   werden.     Ihr  Vcrfasser  ist  Herr  5bojew, 
ehemaliger  Adjunct  der  Kasaner  Universilat 

In  der  gdehrten  Thaligkeit  der  Universitat  nimtnt  die 
malheinalische  FacuUal  schon  seit  Griindung  der  Hochscbule 
die  erste  Slelle  ein.  Auf  den  erslen  Seilen  ihrer  Geschichte 
glanzen  die  Namen  Liltrow*s,  des  nachherigen  Directors 
der  Wiener  Stern warle^  B artel's,  welcber  spater  nach  Dor- 
pat  verset&t  ward,  und  Bronner*s,  der  itn  Lehrstuhl  der 
Phy^k  den  bekanntenPetersburger  Akademiker  Kupffer  zum 
Nachfolger  haile.  Unler  der  Leitung'so  ausgezeichneler  Leh- 
rer  bildeten  sich  die  Kasaner  Professoren  Lobatschewskji 
und  iSimonow.  Dem  Ersteren  folgte  als  Professor  der  rei- 
ntn  Maihemaiik  Herr  Popow,  dessen  Schriflen  in  russischer 
und  franzoMscher  Sprache  zum  gr5islen  Theil  in  den  Memoi- 
ren  der  Universilat  erschienen  sind  und  der  vor  Kurzem  einen 
bemerkenswerthen  Vortrag  iiber  die  gelehrten  Verdienste  Pois- 
son's,  veroffenilichte.  Die  Astronomic  erbielt  nach  der  Emen- 
nung  des  Herrn  iSmonow  zum  perpeluellen  Rector  der  Uni- 
versilat einen  wiirdigen  Vertreter.  in  der  Person  des  Herrn 
Kowalskji,  der  mit  grofser  Auszeichnung  an  der  von 
der  geographischen  GeseUschaft  unternommenen  Ural-Expedi- 
tion iheilgenommen  hat.  Der  erste  Band  der  Beschreibung 
dieser  Expedition,  welcher  jetzt  in  Petersburg  gedruckt  wird, 
ist  ausschliefslich  den  astronomischen  und  magnetischen  Beob- 
aehtungen  des  Herrn  Kowalskji  gewidmet  Aufserdem  hat 
derselbe  eine  Schrift  unter  dem  Titel  ,,Theorie  des  Neptun 
und  Eittflufs  dieses  Planelen  auf  die  Bewegung  des  Jupiter, 
Saturn  und  Uranus'*  voUendet,  dessen  Druck  nur  durch  die 
Abreise  des  Verfassers  nach  Berdjansk,  zur  Beobachtung  der 
SonnenCnsterniGs ,  verzogert  worden  ist.  Herr  5aweljew, 
Adjunct*Professor  der  Physik,  veroffentlicht  jetzt  die  Resultate 
seiner  vierzehnjahrigen,  in  Ni/nei-Nowgorod,  iSaratow  und  Za- 
rizyn  vorgenommenen  meleorologischen  Beobachlungen. 

Den  Lehrstuhl  der  Chemie  nimmt  gegenwartig  in  der 
Universilat  von  Kasan  der  Professor  Klaus  ein,  der  vor- 
nebmlich  durch  seine  Untersuchungen  iiber  das  i^latinerz  be- 


Die  LitM«l«r  is  Kanft.  347 

kannt  isl,  and  skb  zu^eicb  mit  der  Botanik  beschiUitigt  Sdion 
frilh  gab  er  eine  Beschreibung  d#r  5ergiewsker  Mineralwasser 
heraus,  and  im  vorigen  Jahr  vollendete  er  ein  Manuscript 
bber  die  Flora  der  Wolgalander,  dem  die  Petersburger  Aka- 
deinie  der  Wbsenscbaften  den  halben  Demidow*schen  Preia 
suerkannle. 

Aufser  dem  Lehrsluhl  derChemie  giebt  ea  in  Kasan  aucb 
eine  Professur  der  Technologies  der  bis  win  Jahr  1848  Herr 
Sinin,  einZSgling  dieser  Universilat,  der  sich  spater  in  Gits* 
sen  unter  dem  berilhmlen  Liebig  ambiMete,  vorstand*.  Als  er 
im  genannlen  Jahr  einen  Ruf  als  Professor  der  Chemie  an 
der  medicinisch-chirurgischen  Akademie  in  Petersburg  erhielti 
wurde  Herr  Kittary  sein  Nachfolger,  dessen  naturhistorische 
Schriften,  worunter  namentlich  eine  analomische  Unter- 
suchung  %weier  Arten  der  Tarantel  (5olpuga)  Erwah- 
nung  verdienty  in  deutscher  Sprache  im  Bulletin  der  Mos- 
kauer  Gesellschaft  der  Naturforscher  und  in  russischer  in  aen 
Memoiren  der  Kasaner  Universitat  erschienen  sind.  Vor  kur- 
zem  ver5ffentlichte  Herr  Kittary  ein  hdchst  interessantes 
Work  iiber  die  Kasaner  Seifenfabriken ,  in  welchem  er  viele 
merkwiirdige  historische  und  statistische  Nachrichten  ubet* 
diesen  Gewerbszweig  mittheilt  und  die  Ursachen  auseinander- 
setzt,  die  den  Verfail  der  einst  in  ganz  Russland  beriihrnten 
Kasaner  Seifenfabrikation  herbeigefiihrt  haben.  In  einer  Ab- 
Iheiiung  seines  Werkes  schlagt  der  Verfasser  eine'  neue  Me- 
thode  zur  Herstellung  der  Seife  vor,  welche  die  dazu  erfor- 
derliche  Zeit  und  die  Kosfen  ftir  Brennmateriai  urn  die  Halfte 
verringert.  Herr  Kittary  hat  bereits  im  kleinen  Mafsstabe 
einige  Versuche  mit  dieser  Erfindung  angestellt,  welche  hochsl 
befriedigend  ausfielen,  und  es  steht  zu  hoffen,  dafs  die  Ver- 
breitung  dieser  MelhocTe  mit  der  Zeit  den  Erfolg  haben  wird, 
den  Preis  der  Kasaner  Seife  um  dieHSIfte  zu  vermindern  und 
ihre  G&le  zu  verdoppeln. 

Zum  Schlufs  bemerken  wir  noch  die  Erscheinung  des 
zweiten  Theiles  der  ^yNaturgeschichte  des  Landes  Orenburg** 


346  Allgemein  LitenurkthM* 

(Ertectwemiaja  Istoria  Orenburgakago  Kraja),  der  die  Beschrei- 
bung  der  SMugelbiere  enihab*  Der  Verfasser,  Profesaor 
Eversmann,  einer  der  kimdigslen  Naturforscher  nichk  nur 
in  Kasaiiy  sondern  in  Russland  iiberhaupt,  hat  sich  dureb  seine 
firiiberen,  meisiehs  in  laleiniscber  Spracbe  geschriebenen,  wis- 
senschaftlichen  Arbeiten  einen  ehrenvollen  Namen  erworben. 
Oas  neue  Werk  dieses  verdienstvollen  Gelehrlen  ist  swar 
nicht  reich  an  literarischen  Vorzugen^  enlhalt  aber  wie  seine 
Vorgfinger  eine  Menge  Bemerkungen ,  die  fUr  das  Siudium 
der  Naturmsienschaften  von  grofaer  Wicbligkeii  aind. 


Die  Flachsbftumwolle  auf  der  Londoner 

Ausstellung. 

« 

EinVortrag  des  Akademikers  Ha  me  I  in  der  Petersburger 

Akademie  der  Wisseoschaften  *). 


MAn  den  GegeDstanden  welche  auf  der  Londoner  Ausiteilong 
ein  besonders  gro&es  loteresse  erreglen,  geh5ri  die  von  Herm 
Claussen  ausgestelJt  gewesene  und  sehr  mannichfalUg  in 
Schriften  und  dffenilichen  Blaltem  gcpriesenei  sogenannte 
BaojnwoUe  aus  Flachs  (Flax  coUon;  British  cotlon). 

Bedenkt  man,  daCs  die  Baunawoile,  diese  sarlen  HSrchen 
oder  Fadcbeo,  die  der  Schopfer  den  Samen  der  Gossypium* 
Pflaoae  gleichsaai  zum  Bet&e  in  ihren  Kapaeln  gegeben  hat, 
jelxt  das  Malerial  der  riesenbaftesten  menschlichen  Industrie 
bildet,  dais  alleio  in  Grofsbritlanien  an  jedem  Arbeitsloge  wei( 
mehr  ale  zwei  Miliionen  Pfund  dieser  Pflansenfaserchen  fiir 
die  besiehenden  Fabriken  ndthig  sind,  dafs  die  lechnisehe 
Bearbeiiung  derselben  dprt  jeist  eines  der  Lebensprincipe  isl, 
und  dafs  vorziiglich  von  der  Aufrechierlialtung  dieses  Zwei- 
g«3  der  Gewerbtbatigkeifc  das  to  be  or  not  to  be  der  hohen 
Steliung  und  der  Wohlfahri  Englands  mit  abhangt,  dafs  aber 
dieF&serchen  selbstnicht  in  Grofsbritanien,  ja  nieht  ip  Europa 
von  derNatur  erseugt,  sondern  aus  ferneo  Landern  eiogefiihrl 
werden,  dafs  die  vegelabilischen  Harehen  eintn  bedeutenden 
Einflufs  auf  die  politischen   und   diploniatiscben  Verhaiinisse 


*)  Aof  Her  Petenbinrgef  Zeitang  1851.    No..  855. 


348  Industrie  and  Handel*. 

und  Beauehungen  zwischen  Grofsbritanien  und  Amerika  baben, 
indem  sie  bei  Beriicksichtigungen  des  Schicksals  von  Staaten 
uod  ganzen  Menschenklassen  in  Betracht  kommeni  so  wird 
man  sich  leichi  vorslelien,  da(s  kein*erosier  Beobachter  auf 
der  Londoner  Aussteilung  einein  stall  der  Baumwolle  in  Eng- 
land kunsllich  bereiielen  Surrogal  vorbei  gegangen  sei,  ohne 
demselben  eine  besondre  Aufmerksamkeit.gewidmel  in  haben. 

Dem  Publikuin  wurde  angeseigt,  dafs  der  Flachs  durch 
Kunst  in  Harchen  oder  Fadchen,  die  auf  den  Gossypiuin-Saa- 
men  naliirlich  wachsenden  voUkommen  gleichen,  verwandeli 
werden  konne.  Da  nun  Flachs  eine  in  Europa  kullivirte 
Pflanze  ist,  und  da,  wenn  der  Versicherung  gemafs  Flachs  zu 
einem  voUkommenen  Ersalzmiitel  der  BaumwoUe  gemacht 
werden  kann^  seine  Kultur  einen  ungeheuren  Aufschwung  er- 
haUen  mUfste,  so  ist  in  dieser  Angelegenbeit  der  LandwirUi 
eben  so  stark  wie  der  Fabrikant  interesnrl. 

Die  wSbrend  der  Aussteilung  untcfrClaussen'sNamen  iaS 
Auflagen  erschienene  Broschiire  iiber  diesen  Gegenstand  fiibrt 
den  Titel:  Die  Flachsagitation  und  ihre  Natioiiaiwichligkett 
(the  Flax  movement  and  rts  national  importance).  Da  der 
Flachsbau  bei  uns  (in  Russland  E.)  seit  laoge  ein  otme  Vergleich 
wiehtigerer  Artikel  der  erzeugenden  Industrie  ist,  als  in  Irland, 
Schottland  und  England,  und  da  man  auch  bei  uns  verleitek 
worden  ist  zu  glauben,  es  kdnne  durch  die  vonClaussen  vor- 
geschlagene  und  empfohlene  Sache  fur  Russland  Nulzen  er- 
zielt  werden,  weswegen  mir  denn  eine  Anfrage  um  meine 
Meinung  noch  in  London  zukam,  so  will  ich  hier  EriSutenm- 
gen  iiber  dieselbe  geben. 

€laussen  schlagt  vor,  den  Flachs  so  vonubereiten,  dafs 
er,  jener  vegetabilischen  WoUfaser,  der  BaumwoUe,  voUkom- 
men glach  geworden  (was  jedoch  unerreichbar  ist),  auf  den 
zum  Spinnen  der  BaumwoUe  und  der  SchafwoUe  bestebenden 
Maschinen  zu  Garn  verarbeitet  werden  kSnnle. 

Zu  diesem  Zwecke  wiU  er  den  Flachs,  das  heifst  die  vom 
hfilzemen  Theil  des  Pflanzenstengels  abgesonderten  Fasem,  in 
kurzen  Enden  von  der  Lange  der  FSden  (des  „ staple")  der 


Die  Flaohtbaumwolto  auf  der  Londoner  Anattollnng.  349 

Bamnwolie  zerschnitten  habeii.  —  Es  bedarf  woM  nicht  Ian- 
gen  Nachdenkens,  um  diesen  Vorschlag  Claussen^  geradeiu 
su  verwerfen,  sogar  wenn  es  wirklich  mdglicb  wiire,  die 
Flacbsfaser  den  Faden  der  Baumwolle  gleicb  zu  machen. 

Der  Haoplvorzug  des  Flachses  vor  der  BaumwoUebe* 
stehl  in  der  so  bedeutend  grolaeren  Lange  der  Fasem  des 
ersteren,  worauf  haopUScblich  die  groCiere  Starke  der  aus 
deiBselben  angelertigten  Game  and  Gewebe  begrihidek  ist; 
nicht  ztt  gedenken,  dafe  die  Harchen  die  den  SamenhfiUtm 
des  Gossypiums  enlsprieben,  aus  einer  der  scbwachsten  Pflan* 
zensubstanzen  gebildet  sind^  wahrend  die  Flacbsfaser  sich 
ihrer  Natur  nach  schon  mehr  der  starksteni  namlkh  der  ligno- 
sen,  nMbert. 

Claussen  beabsichtigt  also  gradezu  ein  gutes,  festes,  star« 
kes  Fabrikationamaierial  in  ein  schlechteres  nnd  scbwScheres 
umzuwandeln,  blob  um  es  auf  Maschinen,  die  nicht  fiir  das*- 
selbe  bestimmt  lind  eingerichtet  sind^  verarbeilen  zu  kSanen. 
Gr  will  Flachsfasern  auf  Kraiz-  und  Spinnmaschinen »  die  fiir 
Baumwolie,  fiir  ThierwolJe  und  fiir  Flockseide  berechnet  sindi 
zuGarn  roachen,  imd  um  dieses  Ihun  zu  kSnnen,  zerhackt  er 
den  schSnen  langen  Flachs  in  kurze  Endcben.  Er  verstiimmelt 
werihvoUen  Flachs  suHeede,  und  giebt  dieser,  wenn  bearbei- 
let,  den  Namen;  briiische  Baumwolle. 

Man  glaube  nicht,  dafs  Claussen  ein  Fabrikant  sei,  der 
solche  britische  Baumwolle  fabrikm^fsig  bereite,  um  sie  an 
Spinner  zu  liefero  oder  der  sie  vielleicht  selbst  auf  einer  gros* 
sen  Fabrikanslalt  zu  Gamen  und  zu  Zeuge  verarbeiten.  Nein, 
er  scbeint  dieses  auch  gar  nicht  im  Sinne  zu  hikben.  Er 
sucht  auf  kiirzerem,  weniger  miihsamem  und  schwerem  Wege 
zu  Geld  zu  gelangen,  auf  dem  Wege  namlichi  der  so  oft  in 
England  und  aucb  anderswo  eingeschlagen  wird.»  Mdn  lafst 
sich  fiir  irgedd  Etwas  ein  Patent  geben,  lalst  die  Erfindung 
vielfallig  durch  die  Presse  als  hSehst  niitzlich  anpreisen,  dtirt 
dannittese  Artikel- wieder  selbst  und  lockt  so  Leute  an,  das 
Patenlrecht  fiir  eine  namfaafte  Summe  su  kaufen,  was  nicht 


350  '    Indattrie  and  Handel. 

selien  nur  in  der  Absicht  vom  Kirafer  geschiathty  um  es  wie^ 
der  anderen  fiir  einen  hfiheren  Preis  zu  iiberbsBeD. 

Herr  CJaUssen  scheint  keine  Miihe  gespari  su  haben^  um 
seine  Angelegenheit  in  ZeiUingen,  z.  B.  im  Morning  Chronicle 
und  anderweitig  rfihmen  zu  lasaen.     Auch  die  Ackerbau-Ge- 
selischaft  ist  ihin  niilzlich  geworden.   Am  12.  Februar  vorigen 
Jahres  wurde  im  Conseil  dieser  Gescllschaft  eine  dergleicfaen 
Anf)rei8ung  des  Claussen^schen  Projekts  vorgeleaen.    Sir  James 
Graham 9  der  eugegen  gewesen  war,  erkliirie  am  dsurauf  fol* 
genden  Tage  im  Pariament,  er  kSnne  sich  keine  gnadigere, 
barroherzigere  Lenkung  der  Vorsehong  denken  (for  my  part 
1  cannot  conceive  any  dispensation  ef  Providence  more  mer* 
ciful)  als  die,  dafs  es  der  Wissenschaft  und  der  Kunsti  wie 
man  guten  Grund  zu  glauben  habe^  gekmgen  sei,  die  Faser 
des  Flachses  so  zu  bearbeiten,  dads  aie  mit  Baum»,  Scfaaf-  und 
Setdenwolle  gesponnen  werden  kdnnoi  wodurch  Englaiid  in 
grofsem  Maafse  unabhangig  von  fremder  Zufuhr  werden  und 
fiir  die  inlandiache  Fabrikation  sowohl  ala  fiir  den  Landbau 
eine  sebr  grolse,  mitVorfheil  verkniipfte  Anregung  erwachaen 
miisae.  ^^  Man  applaudirte,  undClausaen  imterUefii  nun  nichl, 
Graham's  Rede  so  vieifaltig  als  nur  moglich  uoter  das  Pubti* 
ktim  zu  bringen. 

Ich  halte  es  fiir  nolhig,  hier  die  Bemerkmig  zo  macheiii 
dafs  naeh  meiner  Ansicht  und  Erfabrung  ^chichliiche  Nach- 
forschungen  iiber  die  Entstehung  eines  Vorschlags  zu  Neoe- 
rungen  imGebiete  der  Technik  immer  nUtzUeh  sind>  um  iiber 
den  Worth  desProjektes  richliger  aburlbeilen  zu  konoen.  Da 
aber  solche  Forschungen  mitlVIiihe  verknUpft  siod,  so  werden 
sie  gewdhnKch  vemachiassigt  und  es  entsteben  Irrungen  mit 
schiimmen  Folgen,  welche  halieo  konnen  vermieden  we]:den. 

Ich  babe  noir  die  Miihe  gegeben,  auszufiodeai  wie  das 
Claussen*sche  Flachsbaumwolie-Projekt  entstanden  ist.  Das 
ResuUat  meiner  Nachforschungen  isl  F^olgendea: 

Herr  Peter  Ciaussen  ist  von  Geburt  ein  Dane,  der  sich 
von  1816  bis  1843  moistens  in  Brasilien  aufgehaiten  hat,  we 
er  in  der  hochgelegenen.  Gold  und  Diamanten  fiihrenden  Pro- 


Die  FlachsbanmwoUt  aitf  der  Londoner  Aiifstellong.  35 1 

viiiK  Mines  Geraea,   Rich  Tortiiglich  mil  bergmanniseher  la- 
dusirie  beschaftigte. 

Er  hat  ein  Memoire  iiber  die  genannte  Provine  geschrie* 
ben,  auch  ein  KSrtchen  angefeitigt,  welches  das  Geoiogische 
des  von  ihm  naher  gekannten  Theiles  von  Minas  Geraes  eei# 
gen  soli;  ferner  ist  in  Briissel  im  Jahre  1845  von  ihm  ein: 
Essai  d'une  nomenclature  et  classification  des  rodies  gedruckt 
worden.  Im  avant  propos  erklart  er  uns  in  wenigen  Zeilen 
die  Entstehung,  nicht  nur  unserer  Erdkugel,  sondern  des  gan- 
sen  Sonnensystems.  Er  ist  Ritter  des  brasilisehen  Christus-* 
Ordens,  Mitglied  des  brasilisehen  Instituts,  so  wie  auch  eini<« 
ger  wissenschaftiichen  GeseUschaften  in  Paris  und  anderwarts* 
An^  Brastlien  hat  er  getrocknete  Pfiamen  an  Decandoliey  ail 
den  Jardin  des  planles  in  Paris,  an  das  British  Museum  in 
London  und  an  den  botaaischen  Gartoi  hier  in  St.  Petersburg 
gesandt  Bine  Banisteria  und  eine  Jacaranda  sindnaeh  ihm 
benannt. 

Wie  Ctaussen  dasu  gekommen,  nach  Verlassung  der  Berg-* 
werke  in  Minas  Geraes,  Fiachs  in  England  zu  einer  Goldmine 
machen  en  wollen,  ward  dem  englischen  Pnblikmn  am  I.Aug, 
im  Morning  Chronicle  also  mitgetheilt: 

Die  Brfindung  der  Verwandehmg  des  Flachses^  in  Baum- 
woHe  war  das  Resoltat  ,,iridukliver  Forschung^'  und  nicht  des 
Znfalls.  Als  eines  Tages  Claussen  langs  dem  Ufer  eines  der 
Flitase  in  Brasilien  lustwandelte,  wurde  seine  Aufmerksamkeit 
auf  eine  weifee  flaumartige  Subsianx  gerichtet,  welche  sich 
im  Flusse  an  die  Aesti&  eines  vom  Ufer  her  iiberhangenden 
Baames  festgesetzt  hatte*  Als  eifriger  NatarfoUBcher  sei  Clans-r 
sen  entseblossen  gewesen,  die  Herknnft  dieser  Snbstanz  auf* 
zafinden  und  es  habe  sich  ergeben,  dais  es  Fasem  von  Flaehs 
waren ,  der  hdher  oben  am  Ufer  des  Flussea  gel^en  hatia 
und  beim  wiederholten  Austreten  desselben  dureh  die  Wiricong 
des  Wassers  zersetzt  worden  war.  Da  sei  Claussen  auf  den 
Gedanken  gekommen,  Fiachs  kiinstlich  in  eine  Art  vom  Baum- 
woHe  zu  verwandeln. 

Dieser  Erzahlimg  hat  England  vollea  Glauben  geschenkt. 


352  fndostrie  and  Handel. 

Man  faak  ne  recht  natiirlich  gefimden  und  daher  die  Claiis* 
sen'sche  Flachsbaumwolle  wirklich  ais  das  Reaultak  „indiikli- 
ver  ^Ferschung'*  anerkannt.  Niemand  hat  sich  die  Miihe  ge- 
gebeiii  su  priifen  ob  nicht  vielleicht  andere  Aniasse,  ob  nichk 
gerade  Das,  woven  der  Verfasser  des  Artikels  im  Morning 
Chronicle  abzuleiten  sucht,  namlich  der  ZuCali,  Ciaussen  der 
Flachsbaumwolle  in  England  sufiihrte.  Meine  eigenen  For- 
scl^ungen  haben  das  Lelstere  gezeigl. 

Ich  kann  mich  bier  nicht  darauf  einlassen ,  eine  Ueber- 
sichl  aller  friiheren  die  Flachsverfeinerang  belreffenden  Vor-- 
schlage  zu  geben.  Ich  besehranke  mich  darauf,  der  Akadeinie 
ein  Individuam  vorsufiihren,  dessen  Bemuhungen  in  diesem 
Fache  in  gans  direkler  Beaehung  lu  den  Claussen^schen 
slehen. 

Heinrich  Gottlieb  Ladwig  Ahnesorge,  geboren  zu  GUick* 
stadt  in  Holstein,  hatle  erst  zu  Itzehoe  beim  Farbermeister 
und  Bleicher  Christian  Furste  und  sodann  in  Hamburg  bei 
einem  Schonfarber,  Namens  Michelmann,  das  Bleichen  und 
die  verscfaiedenen.  Zweige  der  Farbekunst  erlemt,  nachher  5 
Jahre  auf  Reisen  zugebracht ,  ^m  sich  ausgedebntere  Kennt- 
nisse  in  seinem  Kunstfache  zu  erwerbeo,  und  sich  sodann 
selbtt  als  Farber  und  Bleicher  in  Gluckstadti  bald  darauf  aber 
in  dem  Dorfe  Kaltenkirchen,  etablirU  Da  bier  fast  jeder  Bauer 
so  viel  Flachs  erzeugt,  als  er  braucbt,  so  hatte  Ahnesorge 
dicht  vor  seiner  Thiire  Flachsfelder,  durch  wdcheii  Umstand 
er  verleitet  wurde,  Versuche  anzuslellen,  um  die  gewShiiliche 
bekannliich  in  mehrfacher  HinsichI  tadelhafte  und  unangenishme 
RSstiing  des  Flachses  beseitigen  zu  kdnnen.  Im  Verfolg  jei* 
her  Experimente  fand  er,  unter  Anderem^  dab  durch  Kochen 
des  Flachses  in  alkalischen  Laugen  seine  Fasem  unter  sich 
theilbarer  gemacht  und  denselben  ein  seidenartiges  Ansehen 
gegeben  werden  kann. 

Im  Jahre  1836  war  er  so  weit  gediehen,  dafs  er  glaubte, 
durch  seine  Ermittelungen  der  Flachs-Industrie  in  Holstein 
Nntzen  bringen  zu  kSnnen.  Er  gab  daher  bei  seiner  naeb- 
slen  Behorde,  namlich  auf  dem  Amte  Segeberg,  das  Projekt 


Die  Flachsbauniwolle  avf  der  Laadoner  Ansfttellang.  353 

ein,  auf  Rechnung  der  Regierung  irgendwo  in  Holslein  eine 
Musieranstalt  (iir  verbesserle  Bearbeilung  des  Flachsstrohes 
.zu  begrUnden.  Es  erfolgte  aber  auf  seinen  Vorschlag  keine 
Aniwort. 

Ahnesorge  wendete  nun  seine  Aufmerksamkeit  mehr  aus- 
schiiefslich  auf  den  Gegensland,  der  auch  friiher  ihn  stark  be- 
schaftigt  hatte,  namlich,  er  suchte  den  fast  werthlosen  Abfall 
des  FJacbses^  die  Heede,  in  ein,  der  Baumwolle  ahnliches, 
Material  zu  verwandein,  urn  sie  wie  Bautnwoile  kratzen  und 
spinnen  zu  konnen. 

Um  die  Baumwoli-Maschinerie  nSher  kennen  zu  lemen^ 
unternahm  Ahnesorge  im  Sommer  des  Jahres  1838  Reisen, 
und  kam  sogar  nach  St.  Petersburg.  Der  damalige  dSnische 
Gesandte  Graf  Blome  verschaffte  ihm  Zulritt  zu  der  Alexan- 
drowskisehen  Manufaklur.  Die  Herren  Schmidt  und  Mtiller 
in  Hambufg  hatlen  geschrieben,  dafs  ,>Herr  Ahnesorge  im'Be- 
sitz  einer  neuen  Methode  sei,  aus  Heede  durch  chemische 
Bearbeitung  eine  Art  Baumwolle  zu  sehaffen.**  Auf  der  da- 
maligen  Liiderfschen  Fabrik,  auf  der  Wiburger  Seite,  fertigte 
er  wirklich  gegen  zwolf  Pud  Heedebaumwolle  an. 

Im  Jahre  1839  legte  Anesorge  Proben  seiner  Heedebaum- 
wolle einigen  Naturforschern,  wie  Pfaff  in  Kiel,  Mitscherlich 
und  Link  in  Berlin  vor;  im  Jahre  1840  sandte  er  auch  Pro- 
ben davon  zur  Industrie- Ausstellung  nach  Kopenhagen.     . 

Im  Jahre  1843  zog  Ahnesorge  nach  Neumiinster,  wo  er 
die-Leitung  der,  Herrn  Sager  gehdrigen  TuchfSrberei  als 
Broderwerb  iibernahm,  nebenbei  aber  immerfort  die  Flachs- 
heede*Bearbeitung  zu  vervollkommnen  suchte. 

Als  er  nun  eines  gulen  Erfoigs  seiner  Bemiihungen  sicher 
zu  sein  glaubte,  enlschlofs  er  sich,  durch  das  Amthaus  zU  Neu« 
miinsier  beim  Ministerium  in  Kopenhagen  um  eine  Geldunter- 
stiitzung  zur  Anlage  einer  Fabrik  anzuhallen. 

Das  Amlhaus  forderte,  unterm  19.  Dezember  1845,  das 
Handelshaus  W.  L.  Renk  &  Comp.  (zu  Neumiinster)  auf,  ihm 
seine  Meinung  liber  den  Worth  der  Ahnesorge'schen  Produkte 
zu  geben. 


354  Industrie  aiid  Uaadel. 

DUms  Haus  berichtete  unierai  21.  Januar  1846|  dafeAh* 
neiorge'd  verfeinerte  und  gebleichie   Flachsheede  nicbks    zu 
wUnschen  iibrig  lasse.   Man  babe  aua  derselben,  mit  gans  or- 
dinairer  jiitscher  Wolle  vermischty  Garne  spinnen  lassen,  und 
obgleich  die  Verarbeitung  nur  mil  der  Hand  gescbehen,  sei 
sie  voUstaadig  gelungeD,  und  ^wir  diirfen  mit  Sicherheit  aus- 
spreehen,  dafs  luer  ein  MiUel  gefunden  worden  ist,  der  ante- 
ren  Volksklasse  ein  dauerbafleres,  wohlfeiieres  und  xugleich 
warmeres  Beldeidungsinaterial  su  acbaffen^  als  es  durch  Baum- 
woUe  allein  oder  durcb  Wolle  allein  *)  moglicb  sein  mufsle. 
Wir  diirfen  feraer  es  aussprecben,  <Uls  eben  bei  der  Billigkeit 
der  Sloffe  aich  eine  Fabrik  millelsl  eioes  nichi  aehr  bedeuten- 
den  Kapitals  wird  etabliren  lassen.    Herrn  Abnesorge's  Proben 
scbeinen  uns  die  Moglicbkeii  su  gewahreOi  der  Flachsbeede 
ihr  Rechl  su  geben,  und  es  liegt  die  Zeit  vielleicbi  oicbt  gans 
fern,  wo  dieselbe  nichi  als  A b fall,  sondem  als  der  wertb- 
yoUere  Bestandibeil  (des  Flachses)  angesehen  werden  mochte, 
da  eben  bier  noch  sicb  sehr  wobl  Sorlirungen  denken  lassen, 
die  die  feinsten  Sorlen  Stoffe  liefem   diirften,   welcbe  dem 
BaumwoUenfabrikanl  in  mancher  Hinsicbl  den  Rang  ablaufen 
mocbten,  da  bei  dem  hohen  Preise  der  BauonwoUe  und  bei 
den  niedrigen  Preisen  der  Heede  das  Fabrikat  vielen  Arbeits- 
lohn  entbalten  darf,  um  billigere  Produkie  su  erzeugen.    Die 
hiibsche  Losung  der  Aufgabe,  ohne  Verscblechlerung  des  Fa* 
brikats  und  obne  der  Spinnfabigkeit  su  scbaden,  die  gebleichte 
Heede  su  verarbeil^n,  OkScfale  dieselbe  selbsl  su  geoiischten 
Stoffen  in  Verbindung  mil  Wolle ,  vielleicbi  auch  mil  Seide, 
su  verarbeilen  fahig  maehen/* 

Der  Bericht  endel  folgendermaCsen,  um  das  Ganse  susam- 
men  zu  fassen: 

„Es  isl  versuebt,  den  unteren  Volksklassen  ein  wohlfeiles, 
mit  ordinarer  Wolle  gemiscbtes,  also  warmeres  Fabrikat  su 
liefern,  als  Baumwolle  und  Flacbs  einerseits  und  Wolle  an- 
dererseitSi  es  su  geben  im  Stande  sind.  Dies  scfaeint  uns  voll- 


*)  Das  Letztere  iat  in  Bezag  aaf  Warme  unrichtig.  H. 


Die  Flachsbaumwolte  aul^  Uer  .Londoner  AuMtellung.  355 

kommen  erreichbar.  Es  isl  die  Bahn  gebr^hen^  dem  feineren 
Besiandlheil  des  Flachses,  der  Heede,  welche  vorher  als  Ab- 
fall  fast  werlhlos  erschien>  eine  SlelluDg  in  der  Maaufaktur- 
Iiidostrie  ansuweiseo,  welcbe  von  grofser  Wichtigkeil  werden 
diirfte.  Es  ist  die  Moglichkeii  nachfi;e\viesen  wordeUi  Heede 
und  Flachs  vor  der  Verarbeilung  zu  farben  und  zu  blmheUi 
(^ne  der  Spinniahigkeit  Abbruch  su  ihiin»  und  \vir  kSnnen  dem 
Koniglichen  Aoilhause  deshalb  mil  Vergniigen  den  Ralh  eribei- 
len,  den  Antrag  des  Herrn  Ahnesorge  auf  das  MogUchsle  «i 
uaierstiiUeny  zumal  da  der  Anirag  von  einem  Manne  geschieii^, 
der  wahrend  der  Zeit  seines  Aufenlhaltes  in  Nettmiinsler  aus- 
dauemden  Fleifs,  mit  grofser  Sparsamkeit  verbiinden,  bewiesen 
hat  Will  dasi  Konigliche  Amtbaus  ein  Mehreres  thun>  so 
xiinvde  sich  dasselbe  ein  Verdiensi  urn  die  Landes- Industrie 
erwerben^  wenn  es  das  Konigliche  Gewerbsoilkammer-  und 
Kommerz^Kollegium  bevvegen  konnte,  Herrn  Ahnesorge  eine 
Anleibe  von  mindeslens  tausend  Speziestbalem  zu  gewahren^ 
mit  zwei  Prozent  Zinsen  und  zwei  Prozent  Abtrag  und  so, 
dais  der  Abtrag  naeh  fiinf  Jahren  etwa  eintrate,  eine  Beriick- 
skhtigtmg,  die  Herr  Ahnesorge  wobl  verdient  hat,  da  er  viei 
Muhe,  Arbeit,  Kosten  und  Reiseauslagen  bereits  gehabt  und 
s«in  kieines  Vermogen  fast  ausschlie&lich  verwendet  hat  '* 

Das  Amtbaus  zu  Neumiinster  maehte  die  hier  erbetene 
Vorstellung  nach  Kopenhagen  und,  nadi  Einsendung  der  ver- 
langleB  Proben,  wurde  ihm  die  unterm  3.  Juni  (i846)  erfolgie 
Resolution  des  Konigs  von  Danemark  in  Bezug  auf  diese  An- 
gel^enhett  nutgethoiU.  Sie  lautete :  y^Wir  wolien  d&ai  Farber 
Ahnesorge  in  Neumiinster  zur  Fortsetzung  der  Versuche,  aus 
Heede,  oder  aus  Heede  in  Verbindung  mit  Wolle  oder  Baunk- 
wolle,  ein  wohlfeiles  und  zweckmafsiges  Bekleidungsmalerial 
herzastellen,  und  eventualiter  zur  Einrichtung  einer  derfaUigen 
Fabrik  eine  Summe  bis  zum  Betrage  von  eintausend  Tfaalern 
aua  der  diesjahrigen  Budgetsumme  zur  Forderung  der  Industrie 
unter  der  Bedingung  bewiUigl  haben,  dafs  diese  Summe  dem 
Fabrikkontroleur  in  AJtona^  Dr.  Paulsen,  angewieaen  und  un- 
ter dessen  Auisichl  verwendet  werde." 


356  Industrie  and  Handel. 

Nach  Anschaffuog  der  benothigten  Maschinen  sum  KraUen 
und  Spinnen   der   veredelien  Heedei  fing  Abneaorge  g^gen 
Ostern  dea  Jahres  1847  an,  aus  derselben  in  VerbinduDg  mit 
Baumwolle,  oder  mil  Wolle,  Kleidungsstoffe  su  weben,  wmu 
er  in  Neumunster  eine  Fabrik  eingeri(ihlet  hatie.    Den  AfasaU 
der  ferligen  Fabrikate  iibernahm  Herr  Holler  inr  Rendaburg, 
Besilser  des  Eisenwerkes,  genannt  Karlshiitte,  welchen  Dr» 
Paulsen  ersucbl  halle,  Ahnesorge  bebiilflich  su  aein.    Noch  in 
demselben  Jahre  sandte  er  Proben  von  veredeltem  Flach^ey 
Vim  Hanf  und   von  Heede,   gebleichi  sur  Vermischling  mit 
Seidoi  und  auch  verschiedenUich  gefarbi,  so  wie  endlich  schon 
ferlige  Webseuge  aur  Indusirie-AuiMtellung  nach  Aliona. 

Der  bald  darauf  ausgebrochene  unglUckliche  Krieg  mii 
Dinemark  hinderte  Abnesorge  mit  der  begonnenen  Industrie 
fortsufahren;  seine  Arbc»ter  mubten  Soldaten  werden. 

Um  nicht  an  den  Bettelstab  su  kommen  oder  gar  ge* 
swungen  zu  werden,  gegen  Dinemark  zu  fechten,  reiste  er 
am  7.  Oktober  1848  von  Rendsburg  nach  England. 

Am  18.  Oktober  in  London  angekommen>  erkundigte  aich 
Ahnesorge  sogleich,  wie  er  es  su  machen  habci  um  ein  Patent 
far  seine  Baumwollebereitung  aus  Heede  su  bekommen. 

Man  verwies  ihn  an  einen  der  vorsiiglichsten  Agenten 
fiir  Patente,  Herrn  Robertson ,  dessen  Bureau  sich  No.  166, 
Fleetstreet  befindet.  Dieser  sagte  Ahnesorge,  er  kenne  Je- 
mand,  der  wahrscheinlich  seine  Erfindung  geme  aufnehmen 
und  ihm  sur  Ausfuhrung  derselben  in  England  behulflsch  sein 
werde.    Er  schlug  eine  Zusammeiikunft  mit  diesem  Herrn  von 

Als  Ahnesorge  am  folgenden  Tag  zu  Robertson  kam,  fand 
er  Herrn  Claussen  auf  ihn  wartend.  Dieser  war  erfreut  iiber 
den  Vorschlag  Heede  in  BaumwoUe  su  verwandeln.  Er 
wlinschte  Ahnesorge's  Methode  zu  acquiriren  und  ein  Patent 
dariiber  zu  nehmen.  Man  kam  wegen  der  kommerziellen  Be- 
dingungen  uberein,  welche  am  23.  und  noch  bestimmter  am 
30.  Oktober  schriftlich  abgefafst  wurden. 

Ahnesorge  fing  schon  am  erst  erwMhnten  Tage  seine  Ar- 
beit an  im  Hause  No.  34,  Great  Charlotte  street  in  Biackfriars 


Die  Flacbsbaamwolto  auf  der  Lpndoaer  Aaistellang.  357 

I         road,  wo  GUussen  sirkulaire  patentirte  Slrickae^sUlhle  im 

I         Gang  ka&te  untl  wo  «r  seibst  wohnte.    Hier  war  es  abo  wo 

die  ersien  Quaniitaim  von  Flaehs-  und  Hatifheede^  so  wie 

auch  von  langen  Flachs*  und  Hanffaserni  von  Ahnesorge  nach 

seiner  Meihode  in  England  bearbeitet  wurden* 

Ein  Theil  der  von  Ahnesorge  zu  London  verfeinerten 
Flachsheede  wurde  lum  Verspinnen  mit  Welle  gemiacbt,  nach 
dazu  geeigneien  Fabriken  versandt  und  aodann  weiter  an  Zeug 
verarbeilet.  Auch  erhielten  die  beriihmtM  Flachsapinner,  Ge^ 
briider  Marshall  zu  Leeds,  von  Ahnesorge  eine  QuanUlai  dea 
von  ibm  in  London  zubereitelen  Flaofaaes,  welchen  sie  rcclii 
gut  fanden,  wie  ich  seiches  von  ihnen  seibst  vemomaaen 
habe.  — 

Zu  einer  fabrikmatBigen  Bearbeiiang  der  Heede  und  des 
Flachses  kam  es  in  London  nicfai,  weil  es  am.  ndlhigen  Kapi- 
tal  f^lte;  sie  wurde  spaler  in  Yorkshire  versucht. 

Herr  Ahnesorge  war  namlich  dem  Herm  August  Quitsow, 
dnem  gebornen  Hamburger,  von  dem  Hause  QuiUow,  Schle-* 
singer  und  Coinp.  zu  Bradford,  durch  den  oben  erwahnten 
Herrn  Holler  in  Rendsburg  empfohlen  worden  *). 

Dieses  Handelshaus  erstand  miltelst  Meistgebotes  ein  ein* 
gegangenes  Fjirberei*Etablissement  su  Apperley  Bridge,  zwi- 
aeben  Bradford  ond  Leeds  gelegea  **),  um  Ahnesorge  4lort  ara 
beschMftigen.  Er  soUte  sogenannies  berliner  WoUstickgam, 
mit  welchem  Artikel  jenes  Haus  Handel  treibi,  farben  und 
Heede  <sowohl  als  Flachs  naoh  seiner  Methode  bearbeiien. 

Im  Jahre  1850  batten  sich  zwei  Umstande  ereignet,  wetche 
dem  Vorschlag,  ein  Surrogat  fiir  BaumwoUe  aus  Flachs  zu 
liefein,  sehr  giiAslig  schienen. 


*)  Das  Haus  Quitzow,  Scblesinger  und  Comp.  zu  Bradford  bat  di9 
Agentur  des  in  der  Nahe  dieses  Ortes  befindlichen  grolsen  Eisenwer* 
kes,  genannt  Low  Moor.  Es  liiag  in  Angelegenheiten  dieses  Eisen- 
werkes  gewesen  sein,  dafs  Herr  Quitzow  das  Bisenwerk  Karlshattd 
btti  K«nd«btirgbesoebte,  dessen  Benitzer  Berr  Holler  iat. 
««>  fis.batte  frqitier  Nidley  und  Tborpe  gebort. 

firmans  Buss.  Archlv.  Bd.  XI.  H.  3.  24 


358  Induttfie  und  H»ndel. 

Der  me  war  ckr  damalige  aiifoerordenliich  hohe  Preis 
der  Baumwolle,  so  dafs  ein  Projekt,  dieselbe  theilweise  durch 
Flachs  zu  ersetzen,  viel  Anziehendes  haben  roufste.  Der  an- 
dere  war  die  angekiiDdigte  Wellindustrie*Ausstellung,  welohe 
die  yorlreflflichste  Gdegenbeit  darboi,  die  Flachsbaumwollewdt 
und  breii  au  eropfehlen  und  ein  fiir  ihre  Anferligung  genom- 
menes  Paienl  zu  einer  ergiebigen  Goldmine  zu  iiiachen. 

AIs  nun  Herr  Quilzow  gegen  Bnde  des  genannien  Jah- 
res  die  Bereilung  dea  BaumwoU-Surrogats  aus  Flachsheede 
durch  Ahnesorge  ernstlich  betreiben  lassen  woHte,  fand  es 
sich,  dafs  Herr  Clauasen  eine  Eingabe  um  ein  Paleni  liber 
diese  Sacbe  gemacbi  batle;  es  mufate  also  erst  eine  Ueber* 
einkunft  mil  ihm  gelroSen  werden. 

Nachdem  dieses  gesehehen^  bearbeitete  Abnesevge  zu  Ap* 
perley  Bridge  viel  Heede  und  Flachs  nach  seiner  Weise  mil 
Soda,  bleichte  sie  und  Qirbte  einen  Theil.  Das  Publikam  hal^ 
ohne  es  zu  wissen,  seine  kiinslliche  Baumwolle  geseben.  Alle 
die  Musier^  welohe  sowohl  unter  des  Rilters  Ciaussen,  ab 
unler  Quitzo>w,  Scblesinger  und  Comps.  Namen  fm  KryniaU^ 
Pallast  zur  Schau  ausgelegt  waren,  sind  von  Ahnesorge  zu 
Apperley  Bridge  angeferligl  worden.  Unler  Claussen*s  Namen 
waren  seine  Produkte  auf  der  sudwestiichen  Gaiterie  outer 
No.  105  von  Klatse  IV  ausgestellt;  jene  unler  dem  Namen 
Quitzow,  Scfalesinger  und  Comp.  befanden  sich  unten  in  Klasse 
Xli  u.  XV  unler  No.  178.  Besonders  gefielen  dem  Publikum 
die  verschiedenllich  gefarbten  Nualer  dieser  Ahnesorge'schen 
Wolle.  Niemand  er{uhr  aber,  wer  der  geschiekle  Anfertiger 
derselben  war. 

Auf  Herrn  Claussen*s  Verlangen  mufste  Ahnesorge  zu  Ap-* 
perley  Bridge  auch  gu(en  langen  Flachs  zerschneiden  und 
bearbeiten,  denn  hierauf  sollte  vorziiglich  der  Vorschlag,  die 
damals  so  theure  Baumwolle  zum  Theil  zu  ersetzen,  begriin- 
det  werden,  um  zum  Kaufen  des  im  Februar  des  Jahres  1851 
spezifizirten  Palentes  anzureizen. 

Die  oberste  Handels^Behorde  in  England  (the  Board  of 
Trade)  hatle  von  dem  Flachsprojeki  schon  friihzeitig  Kunde 


Die  Ftachsbaumwolle  aaf  der  Londoner  Ausstellung.  359 

erhalten.  Der  S^krelair,  Heri*  Porter ,  hielt  in  der  Torletzten 
VeHBammlung  der  British  Association  bu  Edinburg(l850)  einen 
Vofirag,  in  welchen)  er  sagte,  man  sei  beschaftigt  zu  unter- 
suchen,  ob  nicht  der  Flaehs  ein  Surrogate  oder  wenigstens 
ein  theiiweises  Ersatzmaterial  filr  die  mangelnde  Baumwolle 
abgeben  konne^  was  um  so  wichtiger  sei,  da,  seit  Abanderung 
der  Korngeselze,  Flaehs  vortheilhafler  wie  zuvor  in  dem  Ver- 
einigt^A  Kdnigreiche  gesogen  werden  konne. 

Damii  Claussen  eine  Geiegenheit  habe  zu  seigen,  dafs 
sieh  der  von  ihm  vorgescbiagene  Berscfamttene  Flaehs  aiif 
BaumwoH-Masehinen  kratzen  und  spinnen  lasse,  empfahl  ihn 
der  erwahnie  Herr  Porter  dem  Prasidenten  derHandels-  und 
Fabrik-Kammer  zu  Manchester,  Herrn  Thomas  Bazley  jun., 
einem  vortrefffichen  Manne,  der,  mit  Herrn  Gardner  zusam* 
men,  Eigenthiimer  der  Baumwollspinnerei,  genannt  Dean  Mills, 
ohnweil  Bolton,  ist  und  auch  einer  der  Kdnigl.  Kommissare 
fiir  die  Londoner  Ausstellung  war. 

Da  auf  dieser  Fabrik  blofs  bohe,  feine  Nummern  gespon- 
nen  werden,  so  adressirte  Herr  Bazley  den  Ritter  Claussen 
an  Herrn  John  Bright,  den  als  Parlamentsglied  so  bekannlen 
Quaker,  weil  er  sich  erfrigst  um  die  Abanderung  der  Korn- 
gesetee  bemiiht  hatte,  und  welober  mit  seinen  Briidern  zu- 
sammen  bei  Rochdale  unter  derFirma:  John  Bright  and  Bro^ 
ihers  eine  Baumwollspinnerei ,  Weberei  u.  a.  m.  (Fieldhouse 
Mills)  besitzt. 

Da  hier  gerade  eine  Spinnerei  mit  alien  Maschinen  stille 
stand,  so  iiberlieCs  der  liberate  Herr  Bright  dieselbe  Herrn 
Claussen  gans  zur  Anstellung  seiner  Versuche  und  hier  war 
er  mehrere  Monate  beschaftigt;  man  spann  die  vonAhnesorge 
zu  Apperley  Bridge  bereitete  FlachsbaumwoIIe  sowohl  fiir  sich 
aHein  als  mit  wirklicher  Baumwolle  gemiseht 

Als  ich  den  Herren  Bright  meinen  Besuch  machte,  zeig- 
ten  sie  mir  das  Lokal  und  mehrere  der  auf  ihren  Maschinen 
erzeugten  Produkte,  von  denen  sie  jedoch  keinesweges  eine 
vortheilbafte  Meinung  batten. 

Zu  Apperley  Bridge  hatte  Ahnesorge  Anfangs  eiiie  Zeit 

24* 


360  Industritt  HimI  H»ndeL 

lang  nach  seiner  eigenen  Melhode  gearbeilet-,  er  i^ochte  natn- 
lich  den  Flaehs  in  einer  Losung  von  kohlensaurein  Natron, 
zuweiien  auch  in  mebr  oder  weniger  enlkohlensauerler  sol- 
cher  Lauge.  Die  zu  Flachsbaumwolle  bestiminte  Heede  wurde 
bier  immer  mil  kauslischer  Lauge  behandelt*  Hierauf  legte 
man  die  Heede  sowobl  als  den  FlacIiB  in  init  ScbweieUaure 
verseUles  Wasser.  , 

Nun  wurde  von  Ahnesorge  verlangt,  aach  jene  Prozedur 
auszuuben,  weiche  Cioussen  in^  die  Spezifikalion  seineaPalen- 
tes  aufgenommen  hat^  und  welcbe  das  Wander  ganz  voUkom- 
mener  Baumwollebildung  aus  zerschniltenem  Flacbse  bewirken 
soUle. 

Nach  der  Behandlung  mil  kauslischer  Lauge  wurde  der 
Hackerling  ibit  einer  Lfisung  von  stark  kohlengesaueriem  Na- 
tron (Bicarbonat  oder  wenigstens  Sesquicarbona()  getrankt  und 
dann,  ohne  Auslaugung,  in  verdiinnte  Schwefelsaure  gebrachL 
Das  hier  erfolgende  Aufbrausen  nannle  man  den  Spalluags- 
Prozess  (splitting  process)  und  den  angereisten  Beachauern 
wurde  durch  Claussen's  damaligem  Agenten,  Herrn  Thomas 
Graves 9  erklarti  der  Hacksel  werde  in  dem  Augenblicke  des 
Aufbrausens  in  eine  Unzahl  von  tauter  gleich  starken,  unter 
sich  vollkommen  iihniichen  und  den  Baumwollefadchen  ganz 
analogen  Fasern  zerspalten  *). 

Ein  soiches  Experiment  war  am  26.  Februar  des  vorigen 
Jahres  in  der  Versammlung  des  Konseiis  der  Ackerbau-Ge- 
selifichaft  gemachl  worden.  Die  ,,splitting  (coltonising)  opera- 
tion/* namlich  das  Aufbrausen,  wurde  als  „a  most  beautiful 
discovery"  bewundert  und  im  fiericht  uber  die  Sitzung,  wel- 


'*')  Za  Apperley  Bridge  vorden  durcb  Hrn.  Grafes  auf  den  Boden  einet 
Ziibers  einige  Kupfer-  nnd  Zinkplatten  gelegt,  om  aaf  galvanische 
Wirkong  beim  Termeinten  Spalten  des  HackseU  hinzudeuten.  Man 
«ehe  den  Morning  Cbronide  vom  27.  Februar,  —  Dieses  gescLab 
wabrscheinlich,  weil  Claussen  in  der  Spezlfikation  semes  Patentes 
gesagt  bat,  das  Aafspalten  der  Flacbsfaseni  konne  dnrcb  elektrisehe 
Wirkoog  erreiobi  werden« 


Die  FlachibanniWtolto  anl  der  Londoner  AoMtetlang.  361 

cher  nachher  dem  Pubttkum  wieder  vielfaltig  vorgelegt  wurde, 
stand,  das  die  Erfindang  erlaulernde  Experiment  babe  geschie- 
nen,  ein  neues  Beispiel  nalbrlicher  Magie  su  lielern. 

Auffallend  war  es  inir,  auch  sehr  kenninifsvoile  Manner 
in  England  dieses  Aufbrausen  als  elwas  Wichliges  ruhmen  eu 
hbren  und  es  gait  noch  bei  nieiner  Abreise  bei  dem  Haufen 
fiir  das  Miraculum  der  Baumwollebildung  aus  Flachshackerling, 
In  einem  ganz  kiiraiich  erschienenen  VVerke  des  Herrn  William 
Digby  Seymour  iiber  Runkelrubeii-,  Flacbs*  und  Cicborien- 
Kullur  in  Irian d>  sagt  der  Verfasser  auf  Seite  120,  im  Besug 
auf  den  ErGnder  des  splitting  process:  „ Verily,  Chevalier 
Claussen  is  a  Deux  ex  machina/'  Und  hinsichllich  des  Nutsena 
schreibi  er:  ,,der  BaumwoUmarkt  und  der  Wollmarkt  sind 
jetzly.wie  der  Flachsmarkt,  dem  Flachsbauer  geoffnet.  Durch 
die  , extraordinary  invention'  des  Chevalier's  Claussen  wird 
der  aite  Rival  der  FlachspQanze  auf  der  letzteren  eigenen 
Feidern  gescblagen,  und  der  Flachs,  statt  der  Baumwolle 
Weg  zu  machen,  ist  in  einen  ahnlichen  Stoff  verwandelt'* 

Da  von  Herrn  Quitzovv  die  Flacbs*  und  Heede-Bearbei- 
lung,  die  ihm  sehr  bedeutende  Auslagen  verursacht  haben 
mufe,  ganz  aufgegdien  worden,  Ckussen  aber  ein  Projekt  zur 
Bildung  einer  Flacfaa-Kompagnie  (Ciaussen's  patent  flax  Com- 
pany) deren  Kapital  sich  von  250000  bis  auf  500000  Pfund 
belaufen  soUte,  veroffentlicht  hat  und  sein  Patentrecbt  zu  veN 
kaufen  wiinscht,  also  Geiegenheit  braucht,  seinen  ,,Spaltpro-» 
seas''  und  das  Bieichen,  an  Personen,  welcbe  Mitglieder  der 
Kompagnie  zu  werden  oder  das  Privitegium  theilweise  zu 
kaufen  wiinschen  mochten,  zu  zeigen,  so  hat  er  am  Ost-Ende 
von  London,  in  Stepney  Green,  ein  Gehaude,  the  Old  Farm 
House  genannt,  das  friiher  zu  einem  Armenhaus  gehorte,  ge- 
mielhet. 

Hier  wird  in  den  Kesseln  der  gewesenen  Kiiche  der  Flachs 
oder  die  Heede  vorlaufig  unter  Herrn  Abnesorge's  Leitung  in 
Sodalauge  gesotten  und  wenn  kauflustige  Besuchende  kom- 
men,  so  wird  von  dem  so  vorbereitetea  Material  eine  gewisse 
Quanlitat  in  einen  Korb  gelegt  und  dieser  auf  eine  Zeit  in 


3^  iHduttrid  and-  HftttdvL 

ien  boUenien  Kasten  niit  tier  AuffSsung  von  doppelt  koMen* 
saurem  Natron,  datin  aber  vor  dtn  Augen  der  Anwesenden 
in  den  daneb^n  befindlichen  Kasten  mii  Schwefeisatire  her- 
iibergehoben.  Da  entsteht  nun  durch  die  entweichende  Koh- 
lensaure  das  Brausen  und  Dr.  Ryan,  gewesener  Lektor  am 
polytechnischen  Institut,  ein  Mann  von  hiibschen  Kenntnissen, 
erklart,  wie  friiher  Herr  Graves  zu  Apperley  Bridge,  dab  so 
ebeo  der  ,, splitting  process"  vor  sich  gefat.  Nun  wtrd  der 
Korb  in  eine  schwache  Sodalosung,  von  da  aber  in  die  Bleich- 
fliissigkeit,  aus  Chlorkalk  und  Bitlersah  bereitet,  daon  in  Was- 
ser  mii  Schwefelsaure  und  xuletzt  in  reines  Wasser  beriiber 
gehoben. 

Vor  meiner  Abreise  aus  London  war,  in  Folge  der  viel* 
failigen  Bemiihungen  Claussen's  und  seiner  Geliatfen,  fiir 
Amerika  das  Patentrecht  von  dem  Londoner  Hause:  Macfar- 
lane  and  Stapley  (No.  133,  Cheapside)  gekauft  worden.  Audi 
waren  „ Licenses"  fiir  einzelne  Orie  in  England  genoimnen 
und  einige  Herren  gingen  mil  der  Idee  um,  das  Patentrecht 
fur  Schof tland  zu  eratefaen.  Die  Konigliche  Flachs-Gesellschaft 
in  Irland  scheint  fiirs  erste  an  der  dorl  seit  mebreren  Jahren 
durch  den  verstorbenen  Sehenck  eingefiihrlen  Melhode,  nach 
welcher  bekanntlich  der  Flachs  durch  erwarmtes  Wasser  zur 
weiteren  Bearbeitung  vorbereitet  wird,  fest  halten  zu  wollen. 

Ich  habe  die  vorhergehende  Auseinandersetzung  bberaom- 
men,  urn  die  Wahrheit  in  Bezug  auf  die  Claussen'schen  An- 
preisungen  aufzudecken.  MeineUeberzeugung  ist,  dafs  Russ^ 
land  des  Ritters  Claussen  patentirte,  verin«nte  Verwandlung 
von  Flachs  in  Baumwolle  nicht  braucht. 

Wir  wollen  unseren  langen  Flachs  nicht  zerhacken,  son* 
dem  ihn  lang  bleiben  lassen,  und  ihn  dann  auf  dazu  geeigne- 
ten  Maschinen  spinnen.  Mit  vieler  Freude  sah  ich  bei  William 
Higgins  and  Sons  in  Salford  bei  Manchester  und  bei  Herrn 
Peter  Fairbain  in  Leeds  solche  Maschinen  in  bedeutender  Zahl 
fiir  Russland  anferligen  und  es  werden  wirklich  jetzt  in  Russ- 
land  an  mehreren  Orten  Flachspinnereien  angeiegt,  was  nicht 
zu  sehr  gelobt  werden  kano,  denn  bis  jetzt  ging  der  auf  rus- 


Die  FlacbsbaumwOlte  «uf  «ter  Londoner  AiiMtellang.  3Sg 

siveh^m  Boden  erseogle  Fiachs  nach  GrofabriCaanieft  ubd  Ir- 
land,  um  AoH  geaponnen  zu  warden.  Herr  Mertwago  etaUirte 
dia  erate  Spint^erei  ohnw«ii  Moskau. 

Die  Ciaussen'sche  Behauptung,  daft  l>ei  dem  Eintauchen 
von  mi  kohlensaurein  Nalnim  getranktem  Flacha  in  Scbwe- 
felsaure  derselbe  in  Fas^n,  wdche  denen  der  Baumwolie  vell- 
kommen  ahnlich  sefen,  gespalten  werde^  ist  eine  Tiiaschung. 
Der  Bast  des  Flachaslengels  kann  bakannllich,  dorch  chemische 
Beihiilfe,  vermittelst  sorgfaltiger  mecbanisclier  Bearbeitinig  in 
feine  Fasern  sertkeiil  werden.  Immer  aber  werden  diese  in 
Bttiag  aruf  Durchmesaer  and  aufaere  Farm  mehr  ader  wetii- 
ger  von  einander  verachieden  seini  und  nie  werden  sie  die 
voHkommeiie  Homogeneitat  derBaumwolleniaden  haben,  welcbe 
das  Erzeugnifs  unnacbahmbarer  achaffender  Naturkraft  sind. 

Sollte  man- in  Husaland  fein  bearbeiiete  Flachaheede  mil 
Baumwolie  miachen  nnd  ate  dann  zu  Zeugen  verarbeiten  woU 
len,  wie  solchea  Ahnesorge  zu  Neumtinaler  tbat,  so  karni  ea 
leichl  geacbehn  und  wir  braucben  daau  Claussen^s  Hulfe  nickt 
Wfr  haben  in  Russkmd  iSngat  verstanden^  Heede  in  einen  fei- 
n^h,  gewisaermafsen  seiden*-  oder  baumwoltartigen  <  Sloff  zu 
verwandeln.  Sthon  vor  inehr  als  vierzig  Jabren  schlug  ein 
eiflgebornei  Russe  vor,  dieses  durch  Behandlung  wok  kau8ti« 
scher  Aschenlauge  und  Seife  zu  thun.  Wir  verstehen  auch, 
Flachsheede  nicht  weniger  gut  als  anderswo  zu  bleichen. 

Flachs  liefert  Gewebe,  die  zu  Bekleidungen  verarbeitet, 
von  alien  hiezu  gewohnlich  gebrauchten  Stoffen,  das  Warme 
ableitende  Vermogen  im  grofsten  Maafse  besitzen,  wenn  nicht 
etwa  die  Faser  der  Urtica  (Boehmeria)  nivea,  des  sogenannten 
chinesischen  Grases,  noch  besser  leitet,  was  ich  bei  Gelegen- 
heit  zu  untersuchen  wunsche. 

Aus  diesem  Grunde  istLinnen  im  schwiilen  Somn>er,  Baum- 
wollenzeug  aber,  das  schon  weniger  gut  ableitet,  bei  kuhlerer 
Witterung  die  angemessenste  Bekieidung.  Ein  Gewebe  aus 
einer  Mischung  von  Flachsheede  und  Baumwolie  mufs  im  Be- 
zug  auf  das  Warmeableitungsvermogen  zwischen  beiden  stehn. 

Schaf-  und   andere  Thierwolle    leilen  die   Warme   weit 


364  Indoitrie  and  Handel. 

schlecbter,  als  Fladbs  und  BaumwoUe.  Stoffe  aus  veredelier 
Heede  mil  Thierwolle  gemischt,  zu  verfertigen,  wie  es  ebien* 
falls  Ahnesorge  vorschlug,  kann  swar  fur  gewisse  Zwecke 
geschehen^  ist  aber  eigentiich  doch  nichl  empfehlungswerth. 
Eben  weil  die  Wolle  ein  schlechier  Warmeleiter  ist,  vvird  sie 
uhs  80  niiizlich,  denn  wirhuUenuns,  wenn  in  der  Almo^hare 
der  Warmestoff  nur  sparlich  vorhandeti  ist,  in  StofTe  aus  die- 
sem  schlechten  Letter  ein,  um  uns  die  in  unsrem  Qrganisaius 
erzeugle  Warme  nicht  schnell  entziehen  zu  iassen.  Ist  aber 
die  Thierwoile  bedeutend  mit  Flachsfasern  vermischt,  welehe 
gute  Warmeleiter  sind,  so  entschliipft  langs  diesen  die  Warme 
aus  dem  Korper  in  die  uns  umgebende  Atmosphare.  Sie 
rnufs  es  thun,  weil  ihr  das  Gesetz  vorgesehrieben  ist,  sich, 
wo  es  angeht,  gleichmaCsig  zu  veribeilen. 

Ich  glaube  hinianglich  dargetban  zu  haben,  dafs  dasjenige, 
was  von  der  Flacbsbaumwolle,  welobe  wahrend  der  Londoner 
Aus&tdlung  so  grotses  Aufsehen  erregte,  elwa  anweadbar  sein 
mSchte,  schon  friiher  von  Andem,  in  England  aber  ganz  neoer« 
dings  von  Herm  Ahnesorge,  vorgeseUagen  worden,  daCs  aber 
die  von  dem  Rilter  Claussen  patentirte  Zerstiickelung  werth- 
vollen  Flachses,  weder  in  Russland  noeh  anderswo  eingefiihrl 
werden  mufs. 


Baltische  Skizzen  oder  vor  fanfzig  Jahren*}. 


Cine  lievlandische  Volkskammer. 

Die  Miigdeslube,  das  Spinozimtnery  die  Aotichambre  fUr 
Bauern,  die  Valkskammeri  haite  vor  funfeig  Jahren  etwaa 
Urspriingliches ;  es  war  ein  Sliick  esihnisGhen  Lebens  in  einem 
deulschen  Hause.  Wie  Penelope  auf  Ithaka  unter  ihren  Mag- 
den,  BO  safsen  auch  in  Lievland  die  adeiigen  Dameti  in  der 
Volkakammery  umgeben  von  Cord  en.  Dies  sind  durchaus 
keine  maihemaiische  Figureni  sondem  sonennlman  dieFrohti- 
magde.  Wenn  diese  das  Vieh  beschickl  hatlen,  mufsien  sie 
in  die  Volkskammer  und  hier  spinnen,  nSheUi  stricken  oder 
Gam  wickdn  von  hoben  Garnwinden  mit  Radern  nach  alleki 
vier  Weligegenden,  Die  gnadigeFrau  fiihrte  selbsl  dieOber- 
aufsichty  schUef  aber  wohl  mitunter  dariiber  ein  und  das  be- 
nulsten  die  diebischen  Cordon  und  slopften  sich  von  der 
herrschaftlichen  Woile  in  ihre  Siriimpfe,  was  das  Zeug  hielt 
Die  Volkskammer  im  Hause  meiner  Grofseltern  hatte  in  der 
Thiire,  die  su  den  WohQsimmern  fohrte,  ein  bysantinisch  ge* 
formtes  Fensterchen  und  ein  Was-isl-das.    Sie  dienlen  sum 


*)  Brachstiick  atiB  einer  SAimnlang  von  ethnographitchen  Noyellen  aat 
den  RuMiachen  Oataee-Profinzen.  Peterabarger  Akadem.  Zeitong 
1852.  No.  51. 


366  Hifitortsch-lingaistiscbe  Wistentchaften. 

Ueberwachen  und  zu  miindiichen  Mitlheilungen ,   denn  beitn 
Oeffnen  der  gansen  Thur  drang   ein  unangenehmer  Geruch 
von  Schafswoile,   Gansefedern  und  Pergelqualm  herein  und 
Katzen  und  Hunde,  Amor  und  Nenzi,  Kranzi  und  Moppa  be- 
nutzten  immer  die  geoffnete  Thur,   sprangen  herein   und   be- 
schmutzten  die  Dielen,  was  meiner»  in  Beziehung  auf  Reiniich- 
keii  hollandiseh  gesinnten,   Xante   die  grofsie  persdnliche 
Beleidigung  war  und  in  ihren  Augen  iiberhaupt  zu  den  schwar* 
zesten  Verbrechen  gehorte,  dessen   Mensch  oder  Thier  fahig 
seid  kanti.    ,,Ktfinkl  thich  sonsi  ttte  ibr  wolU  ^  sptach  tie 
zu  uns  Knaben   mit  bewegter  Stimme  —  aber  wischt  immer 
eure  Fiifse  ab   eher  ihr  hereinkommt!    Ihr  seht,  mii  meinen 
Thranen  wasche  ich  die  Dielen!"     Gewaschene  Dielen  ge- 
horten  in    Lievland    zu   den    meralischen    Eigenschaften    der 
Hausfrau.     Man  legte  durch  alle'  Zimmern  von  Thiir  zu  Thiir 
eine  lange  Leinwand,  so  dafs  man  in  den  Zimmern  sich  Wege 
bildete^    von  denen  Niemand    bei  Verm^idang  schrecklicfaer 
Schelte  zur  Seile  weichen  durfte.     Hiefs  es  nun  y^Premden 
kommen/^  so  rannte  dneMagd,  ats  ob  ihr  derKopf  bmnnte, 
und  rollte  die  sehmuizigen  Leinwandslrafsen  im  Pluge  auf; 
und  Irat  der  Besuch  herein,  so  sirahHe  ihm  eine  blefudend 
reine  Fufsdiele  entgegen.    Dafs  man  auf  Leinwand  absicbtlieh 
treten  solle,  begreift  ein  B^uer  sehwer.    Wir  waren  bei  un- 
seretn  Onkel  zom  Besuch,  als  ein  Bole  mit  ganz  durchnMfdten 
Ftifden  ankam.     Er  sollle  seinem  Herm  einen  Brief  abgeben, 
aber  wie  soHte  er  zu  ihm  gelangen?     Das  Zimmer  war  eng 
und  von  der.  Thiir  bis  cu  des  Onkels   Schreibetisch  lag  tkm 
die  schonste  Leinwand  im  Wege.  —    },Nun,  her  damit!**  rief 
mein  OnkeL     Der  Bauer  sann  hin  und  her  und  endlick  fiel 
ihm  ein  Mittel  ein.    Er  kam  springend  herbei,  indam  er  iiber 
die  ziemlieh  breite  Leinwand  naeh  rechts  mid  links  abwech- 
seind  ftirchterliche  Satze  nahm.     Da  mm  seitie  Fttfse  sehau- 
derhafi  schmulzig  waren  und  wie  nasse  Schwamme  agirten, 
so  kann  man  sich  leicht  den  Schrecken  der  Frau  vom  Hause 
denken,  die  dazukam.   ^Es  ist  um  dieCrepance  zu  kriegen/' 
rief  sie  aus.     Der  ungliickliche  Bote  wurde  mit  Sehimpf  und 


Bftltiiehe  Skissen  oder  for  tatik^g  Jahren.  S6t 

Schande  hinausgejftgt,  aber  wir  Kinder  lachlen  tlber  dte  Bddcs^ 
spHinge  des  feinseinwoHenden  Eslhen. 

In  der  Volkskammer  safs^n  unsere  MSgde  um  tme  drei 
Fufs  hohe  Stange,  „die  Fenerhand''  auf  Eathnisch  gebeis* 
sen.  Sie  sieht  auf  einem  Kreuzholz  oder  Klolz  befesHgt  und 
besilzt  oben  an  ihrer  SptUe  ein,  wie  ein  liegendes 'Fragesei* 
ehen  gebogenes,  Etsefiblech.  In  diese  Feuerhand  steokte  man 
min  des  Abends  lange  bremiende  Pergel*)  und  erhdiUe  die 
Stube  ziemlich  gut,  obtvohl  mit  ungleichein  und  flackerndeni 
Lichte.  AUe  fiinf  Minuten  elwa  mufste  eio  anderer  Pergel 
genemiuen  werden  und  zu  dem  Behiif  lag  dn  ganzes  Bund 
neben  der  Fenerhand.  Diese  Erleuehtung  herrscbt  durch  gans 
Liev-  und  Esthland  und  ist  gewifii  die  tbeuersie  Mielhode,  da 
aie  die  gewdhnliche  Veranlassung  zu  Feuersbrimsteii  abgiebt 
Wir  Kebten  sie  aber  sefar.  An  eineoi  Talglicki  giebl  es  h8ch« 
stens  mitunier  Diebe,  Briefe,  Trauernachrichten  und  blumen*' 
ariige  Formationen,  aber  das  Schauspiel  der  Pergelflamme  isi 
ein  bei  weitem  reicheres.  Da  isi  bald  eine  kleine  Expfosien 
des  Aetna,  baid  ein  Thai  Solfatara  mii  wirbelnden  Rauchsau^ 
ten,  bald  ein  Feuerwerk  mit  prachtigen  roihen,  gelben,  griinen 
und  blauen  Flammen,  bald  ein  unerklarlicher  Irrwisch,  der 
einen  Zoli  entfemt  vom  Pergel  mitten  in  der  Luft  iSnaeil;. 
Und  das  kniltert  und  knatterfc^  platzt,  winselt  und  singt,  als 
ob  tausend  Salamander  etnen  Hexraaabbath  in  ihrem  lufligen 
Blemente  auffiihrten. 

Unter  den  Figuren,  die  sich  meinem  Oedachtttib  aas  jener 
Zeit  noch  erhalten  haben,  sehe  ich  noch  lebhaft  ein  toUes 
Weib:  Do  lie  Anno  genannt,  eine  Vagabundin,  die  gewobn* 
lieh  im  argsten  Wetter  umherlief  und  dann  und  wann  bei 
ans  vorspracb,  wobei  sie  von  menief  Grofsmutter  ersi  geapeisi 
nnd  getriinkl  und  dann  gleich  ans  Wollekratzen  gesetat  wurde. 
Da  safs  die  unheimliehe  Wahnsinnige,  die  wie  Niobe  alle  ihre 


*)  Pergel'  sind  geschmeidige,  lineal- abnliche^  diinne  Brettohen  von 
Kienbolz,  einen  balben  Klafter  lang.  Sie  dienen,  angezundet,  znr 
Rrlencbtung.    Man  hat  aiieh  Pergel- tor  trockenem  Birkefibolze. 


368  Hlftorttcb-UngaiitbclM  WiiMnaohalteti. 

Kinder  verloren  haUe,  aber  nicht  durcb  die  Pfeile  Apollo*^, 
sondern  durch  die  barbarische  Behandlung  ibres  Mannes,  der 
sie  durch  forlwahrende  Mi&bandlangen  umgebracbt  hatle^  Die 
Kranke  war  von  einer  fixen  Idee  gequSlt;  sie  sah  iroikier  ^wie 
ihre  Kinder  geschlagen  wurdcn,  und  gegen  diesen  Wahn  iafc 
Paskals  Abgrund  eine  Wobltbat.    Oft  hielt  sie  mitien  in  der 
Arbeit  inne,  borchte  angstlich  an  der  Wand  und  rief  wiithend 
aus:  ^^Andres,  schlag'  nicht  die  Kinder!**    Nie  lachte  sie,   eia 
ewigerGram  lag  in  ihreoi  wie  gefrorenen  Gesicht;  eio  angst- 
licberBUck  sals  in  den  tiefen,  grauen  Augen  und.beide  Brau- 
nen  waren  durch  feste  Runseln  verbunden.   Sie  sah  so  elend, 
so  kummervoll y  so  grau  aus,  dafs  wir  Kinder  sie  immer  mit 
Mitleid  und  Furcht  betrachteten,  besonders  wenn  sie  ankam 
oder  fortlief  schauten  wir  ihr  gern  durcha  Fenster  nach  um 
zu  sehen,  wie  sie  heftig  gestikulirend,  mit  den  Raben,  mit  dem 
Winde  und  den  Wolken  zankte  und  schrie.    Doch  lassen  wir 
die  dolle  Anno  im  dunkeln  Winkel  sitzeo  und  nahem  wir 
una  der  Pergelflamme  und  dem  Magdekreis.    Die  eine  spinnt 
am  schiiurrenden  Woek;  die  andere  rasselt  am  WebestuhJ; 
Liao,  die  Sauhirtin,  rupft  eine  Gans  und  erschreckt  uns  Kin-> 
der  damit,  dafs  sie  das  todte  Thier  schreien  lafst,  indem  sie 
ihm  die  Brust  lusammendriickL     Jene  hackt  Kohl  mit  einem 
Eisen,  das  wie  ein  romischesS  gebogen  und  an  einem  langen 
Stiel  befeatigt  ist,  eine  andre  schiittelt  wie  eine  Verftweifelnde 
eine  Bouteille  Schmand,    die  nicht  zu  Butter    werden  wilL 
Gehl  die  Kiichenlhtir  auf,  so  erblickt  man  die  Kochin  und  ihre 
Gehiilfin  mit  nackten,   blutigen  Armen   Wiirste  fuUend  oder 
schwarsen  Kek  (Griitz-Blut-Kuchen)  backend  oder  gegoroes 
Hafermehl   durch    einSieb    pressend   zu   dem   gallertartigen 
esthnischen  beriichtigten  Gericht  Kihsell  genannt,  das  der- 
mafsen  nach  Ranch  riecht^  schmeckt  und  aussieht,  dafe  man 
versuchl  ist  es  fiir  gefrorenen  Ranch  zu  halten.     Aber  moge 
dieses  Gericht  immerhin  Turken  und  Heiden,  Christen  nnd  Chi- 
nesen  grauenvoll  scheinen,  so  machtig  sind  unsere  Jugend- 
eindrucke  und  Gewohnheiten,  dafs  ich  nach  Kihseli  eine  Sehn- 
sucht   empGnde  wie  der  Gronlander  nach  seinem  Wallfisch- 


Baltitdbe  Skisxen  od«r  Tor  l^nfsig  Jftbn«ii.  8^ 

thran.     Nur  lievlandische  OfengriiUe  kanii   aich  inii.  KihseU 

messen. 

Alle  diese  Gerichie  konnen  nur  verstandea  werden,  wenn 
man  sie  aucb  auf  lievlandisch  iCst,  d.  h.  mil  Zucker  und  mit 
Schmand;  indem  man  den  heifsen  Ofenbrei  mit  eiskalier  sau- 
rer  Milch ,  siifsem .  Schmand  und  Zucker  ibl,  enUteht  eine 
gana  neue  Kombination  von  Gesohmacken,  Warm  und  kalt, 
sauer  uod  siifs  wird  gemeinsam  empfunden  —  es  ist  fiir  die 
Zunge  das,  was  eine  Fuge  von  Bach  fur's  Ohr  isl ;  zerreifeeod 
fiir  den  Laien,  himmlisch  fiir  den  Kenner.  —  Der  Schmand 
isl  das  Element  der  lievlandiachen  Kiiche,  Alles  wird  damit 
angerichtet:  Erdbeeren,  Waffeln,  Krebse,  Rietschen,  Wild,  Ge- 
miise  und  Sallat  —  kursum  alle»  Efsbare  aus  Luft,  Wasser. 
und  Erde  geralh  zuletftt  nach  dem  Durcbgange  durchs  vierle 
Element,  das  Feuer,  in  das  fiinfte  lievlandische  Element  — 
den  Schmand  und  dessen  Milcbsebwester  —  die  Butter. 

Aber  welch'  ein  heller  Ton?  Glockcben  bimmeln;  die 
Hunde  bellen!  Die  Magde  sehen  einander  an  und  werden 
roth.  Ist  es  doeb  urn  die  W^ibnacbtseit  und  des  Abends  md 
aUe  Straisen  voller  Freier.  Man  hort  die  Klinke  an  der  Voiks- 
thiire  gehn;  Jemand  scharrt  und  rauspert  sich  in  der  Kiiche; 
endlich  geht  die  letzle  Thiir  auf  und  der  stattliche  Reinh#ld> 
Birkhuhn,  ein  Bauer  in  seinen  besten  Jabren  und  seiliem 
besten  Rock,  trilt  herein.  Das  Erste  was  er  thut,  ist,  sich 
tuchtig  ausausi:hneutzen  und  den  ErfoJg  seines  Man6vers 
rait  dem  Pastel  zu  vernicbien.  Darauf  sagt  er  zu  den  Mag- 
den:  Terre,  terre!  Die  Aniwort  im  krabenden  Diskanl 
laulel:  Terre  ju.mmal  imine!  —  Das  beilst:  —  Ja!  was 
heifst  das  eigentlicb?  —  Niemand  kennt  den  eigentlicben  Siqn 
der  eslbnischeti  Begriifsungen.  Terre  —  soil  Thor  sein  (?); 
imme,  bebaupten  tiichtige  Gelehrte,  ist  das  Futurum  vom 
Verbum  sein,  hiefse  also:  wird  sein.  Der  GruOs  sei  eine 
Nennung  des  alten  Gottes  Thor.  Der  Gegengrufis  lautet: 
terre  Jummal  nimme.  —  Da  es  ungewifs  ist,  ob  die  Al> 
terthumaforschf^r  upd  Linguisten  diesen  Streit  in  dcin  nacbsten 
tausend  Jahren  schlichten  werden,  so  fahre  ich  indessen  in 


870  Hlitorisdi-imgttistiiche  WiMeDseikalba* 

meiner  Ereahlung  fori.    —   Langere  Pause.    Der  Esthe  fmdel 
es  notbig  sich  nochmals  und  init  einem  noch  trompelenarl^ 
gereti  Ton  zo  schneutsen.  —    Die  Magde  fabren  fort  6msig 
Wolle  su  kraizen  und  die  Bouteille  Scbmand  wird  mtt  ei&er 
Wuih  geschiitlell   die   in  Personlichkeilen    auszuarten    drohh 
Die  Spinnrader  drelien  sich  mii  der  Schnelligkeit  von  Radern 
einer  Lokomotive  von  Stephenson  und  das  WeberscUffehen 
fliegt  durch  den  Aufschlag  ktirrend  und  schwirrend  vi^ie  Odys-» 
seus  Pfeil  dureh  die  swolf  Ringe.    Endlicb  fragt  das  Birkhuhn, 
ob  es  die  Frau  Probstin  sprecben  konne.  —    Keine  von  den 
Magden   macfat  Anstalten   seinen  Wunscb   zu   reaiisiren,  sie 
affektiren  alio  eine  ungeheure  Gleichgiiltigkdt  und  sebeinen 
mit  ibrer  Arbeit  verwaebsen  zu  sein    wio   die   damesischen 
Zwiilinge.    Endlicb  wtrd  die  Gansefederpfluckerin  LisOy  ci  de« 
vant  Saubirtin,    abgesandt  und  baid  tritt  die  Frao  Propslin 
mil  deok  Strickslrun^pf  herein  and  griiisl  berablassend ,  und 
an  ihrem  Rocke  bangt  ibr  Enkelcben  und  merkt  sich  alles 
fiir   das   Feuilleton   der   St.  Petersburgiscben  Zeitung.     Die 
Prau  Prdbstin    riecht   den  Braien  gleieh,  denn    sie  hat   eine 
feine  Nase  -*-  sie  iafst  sich  aber  nicbls  merken.    Guten  Abend 
Birkhubn^s  Rdnboid !  (vor  fiinfzig  Jahr  hatten  dieBauem  keine 
FaaiiUennamen,  der  Name  des  Gesiades  wurde  nur  im  Gene- 
tiv  dem  Taofnamen  vorgesetzl). 

„Gegrufst  seien  Sie,  gnadige  Frau  des  Propstesl" 

„Es  ist  wobl  rechl  schlechtes  Wetter  draufeen?'' 

„Das  Wetter  und  das  Geschaft  fragen  nicht  nacfa  ein- 
ander." 

Hier  wiirden  gew5hnlicbe  Frauenzimmw  in  dieFalle  ge* 
gangen  sein  und  hfitten  gefragt:  Was  fiir  ein  Geschaft? 

Aber  die  Frau  Pr5bstin  ist  eine  ungew5hnlich  klugeFrau; 
sie  begnligt  sich  daher  zu  sagen: 

„Wie  gebt  es  deinem  Weibe?" 

Der  Bauer  erzShlt  nun  eine  Dorfgeschichte  naoh  der  an- 
deren,  bios  um  unvermerkt  auf  seinen  SchUtzling  zu  kommen, 
seinen  Nachbar  Keskulla  Pertel  —  d.  b.  Bartel  mitlon 
a  us  demDorf.  —  Jetzt,  da  der  Name  mit  kitentioii  genanal 


^BalCiteke  l^he^en  od«r  yt/r  ftrnfeig  hUstth.  37 1 

ist,  begrcfifen  aile  MMgde  wer  draufsen  bei  den  Pferden  A-ierl; 
eine  Ton- ihn^n  aber,  Leno  (Helene),  wird  purpurroth.  Die 
Frau  Pri)bslin  scheini  nicht  das  geringste  Interesae  an  Kes* 
kiilla  Pertel  eu  iiehmen,  «ondern  fragt: 

„Icfa  denke  dil  fahrot  ah  den  Strand  naeh  Fi^chen,  du 
kSnntesi  mir  dort  bei  Ralmo  Thomas  Bracfasen  bestellen?** 

„Nein  gniidige  Frau,  naeh  Fischen  fahr  ich  nicht,  ieh 
suche  eine  Kuh,  die  sich  verlaufen  hat!** 

Diplomatiseher  KnalteflTekt!  Zarter  and  sinniger  konnte 
das  grofse  Gebeimnifs  nicht  an  derl  Tag  kommen.  Die  MSgde, 
die  bereits  purpurroth  waren,  zeigen  eine  noch  h5here  his 
jetat  noeh  nnbekennle  Nuance  ven  Roth.  Leno  lauft  schon 
ins  Biaue  an.  ths  Birkhuhn  ist  ako  riehtig  ein  Freiwerber, 
aber  wer  von  ihnen  ist  mil  dem  sinnigen  Biide  eirrer  Kuh, 
dieser  Gefahrtin  des  civiiisirten  Menschen,  gemeinl? 

„War  es  eine  rothe  oder  schwarte  Kuh?**  fragte  die  Frau 
PrSpstin. 


Der  WMbrwolf. 

P6liaKarel  war  eine  von  den  Figuren,  die  einem  gansew* 
Kirchspiel  zwanzigJahr  lang  zn  reden  geben,  und  die  sich  in 
die  Traume  der  Kinder  mischen.  Es  war  ein  schwarzhaari- 
ger,  gewaltiger,  athletisch  gebauter  Esthe,  der  mit  demKopfe 
und  der  halben  Brust  tiber  allem  Volk  emporragte.  Sein 
Haupthaar,  das  wie  eine  Steinkohle  gl^nzte,  fiei  gescheitelt  zu 
beiden  Seiten  des  dunkelbraunen  Gestchts  nieder,  und  Ilofs,' 
wie  ein  Pferdeschweif  so  grob,  aof  die  Schulter  und  den  Nak- 
ken.  Betrachtet  man  das  blonde  und  friedsame  Esthenvolk 
von  heut  zuTage,  so  sind  es  nur  solche  seltene  Gesialten  in 
wailendem  Bart  und  mit  einem  funkelnden  Blidce  aus  kleinen, 
tiefen,  viereckigen  Augenh(^hlen  zwischen  mSchtigen  breilen 
Backenknochen  und  einer  Mtene  voll  Ironic  undTficke^^—  so 
sind  es,  sagen  wir,  nur  solche  Ge^talten,  die  uns  in  Liv!ands 
Vorzeit  auruckyersetzen  und  sie  uns  venslehen  lassen.  Solche 
nordisehe  Riesen  waren  es,  die*  den  Schwerdtrittern ,  Danen 


I 

[  374  HiitorUch-lingnistische  Wissenschaften. 


>di«  Hirten  und  Hunde  erreichten  ihn  fast,  da  liefs  das  Thier 
tids  Schaf  los  und   kroch   zahnefletschend  ins  Gebtisch;    alles 

9 

dfangle  ihm  nach  und  fiel  mitPnigeln  iiber  ihn  her;  plotzlicfa 
fiei  eine  Stimm«:  Ich  bin  es  ja,  was  schlagt  ihr  mich,  ihr 
{barren!  -^  Erstaunt  sahen  sich  die  Hirten  an;  unter  ihren 
Priigeln  halte  sich  dor  Wahrwoif  verwandelt  und  PdJIa  Karel 
eeigte  ihnen  lachelnd  seine  weissen,  spitzigen  Zabne. 

Die  Phantasie,  dieses  Kind  ini  Menschen,  w>rd  nie  alter; 
4!S  bleibi  sich  in  alien  Landern  und  zu  alien  Zeiten  gleich. 
(Was  „der  Verstand  der  Verstandigen"  nicht  sieht,  das.  eben 
^rsctieinl  ^dem-  kindlichen  GeDfiiilh.'^  Funfzig  Jabr  zuriick  oder 
heute  macht  keinen  Untel^chied  im  Giauhen  an  eine  Welt  jen- 
seits  unserer  filnf  Sinne.  Die  Wahrwolfe  laufen  in  der  Phan- 
tasie  des  Landvolkes  1850  ebenao  gut  herum  wiie  1800  und 
in  dieser  Beeiehung  miisste  die  Erzahiung  heissen:  So  war  es 
Ufid  so  ist  es  noch. 

Der  geistreiche  Landrichler  S.  von  H.  hatie  uns  mit  sei- 
ner allerliebsten,  atherischen,  in  einem  Doftineer  von  Jean 
Pauischen  Ideen  und  Esprit  Pompadour  einherschwebenden 
Gatlin  besucht,  und  nach  dem  Thee  begaben  sie  sich  ion 
Kulschschlitten  auf  den  Riickweg  zu  dem  nahgelegenen  Her- 
renhof.  Der  Wcg  von  der  Propstei  ging  bis  zur  grofsen  Heer- 
fitrafse  und  weiler  hinilber  in's  Land*  Der  Hof  aber  1^  an 
der  Strafse  nur  zwei  VVerst  vom  Kreuzwege;  die  ganze  Fahrt 
lEonnie  in  einer  Viertelstunde  abgemacht  sein.  Aber  es  war 
anders  in  den  Sternen  beschlossen  -r-  diese  umflorlen  sich 
4iiit)li€h  plot^lich,  eine  dunkele  Wolke  flog  iiber  die  weite 
4»aui«ilose  Ebene,  und  wie  Federn  aus  einem  zerrisseoeB  Pfiihl 
^priihte  nun  ein  diehter  Schneefali  daher;  die  Kalte  war  dabei 
^sig,  der  Sturm  hob  den  l6s«n  Schnee  von  den  FeMern  und 
toUte  Pferde  und  Schlilten  in  eine  Schneewoike  ein*;  man 
sah  nicht  eine  Pferdsiange  vor  sich;  die  Pferde  aber  spitzten 
die  Ohren  und  sohauderten  und  der  Kutscher  erbltckte  ein 
paar  feurige  Augen,  die  immer  neben  dem  Schlitten  sich  gleich- 
schneli  fortbewegten.  Es  war  ein  Wolf.  Nachdem  der  Kut- 
scher und  die  Pferde  dieses  gieichsam  konstatirt  batten,  nam- 


^-1 


BaltisdM  Skitoen  oiler  vor  fianfsig  Jahren.  975 

lich,  daffi  nur  ein  einsiger  Wolf  da  war,  selzlen  sie  die  Fahrt 
vollkomnien  heikr  fori,  denn  in  Lievland,  wo  im  Jahre  1814 
allein  in  unsereni  Kirchspiel  fUnfundswansig  Kinder  von  den 
Wolfen  aufgefressen  warden  —  in  Lievland  hat  ein  Wolf 
luchls  8U  4agen.  Man  Mrgert  sich  nur,  dab  man  nie  eine 
Flinte  bei  sich  bat,  w<enn  der  „6niurock"  oder^Langschwans''*) 
sich  an  unsere  Geselischaft  anaohliefrt,  and  ims  etne  Streoke 
lang  naeh  Hundeart  begieitet.  Indess  hatte  diesmal  Isegrimn 
doch  den  KutS4;ber  aus  dem  Konaept  gebradht;  dieser  rneinte 
schon  iiber  den  Kreuxweg  hiniihergefahren  zu  tiein  tod  war 
daher  ungewiss  ob  er  umwenden  solUe  oder  nicht,  ak  plotsr 
lieh  die  bohe  Gestalt,  wie.  es  scbien,  von  Pdlla  KireU  am 
Schlitlen  Mand.  .  Er  aah  aua  wie  der  steineme  Gaat  im  Dmi 
Juan.  Sein  schwarser  Eslhenrack,  seine  schwarzen  Loeken 
and  die  schwarze  Pelzmiilse  mit  den  fufshohen  Puchsfellen  bu 
beiden  Seilen,  alles  war  mit  Schnee  inkrustirt.  Man  batie 
ihft  fiir  einen  riesenhalten  Schtieemarm  halten  kofuittn.  ,,Siiid 
wir  auf  unserem  ricfaiigen  Wege?^'  rief  der  Kutscher  dem 
Hexenmeister  zu.  — >  ^Freilieh  auf  dem  richtigem  Wege  zum  -^ 
Gakkuk!  —  Fahrt  nur  zu!'*  rief  dieGestalt  mit  unheimiiehem 
Lachen* 

Der  KuLicher  wuaste  nicht  recht  was  er  zu  der  dop|>elr> 
sinnigen  Rede  sagen  solkoy  fuhr  indess  auf  Gerathewohl  wei- 
ter.  Sie  befanden  sich  nun  im  argsten  Schneegestober  auf 
ciner  weiten  und  kablen  Ebene,  wo  weder  Busch  noch  Baum 
stand,  wie  ein  Boot  ohne  Kompass  auf  offenem  Meere.  Kein 
Stein,  nicht  einmat  die  gespensiischen  Stengel  der  Scbafgarbe 
uberragten  <lie  Schneedecke  als  Merkzeichen  des.Wegs.  Die* 
ser  versehwand  bald  unter  den  Fiifsen  der  Pferde,  cKe  dea 
Sohiitfen  miifasam  durch  den  tiefen  Schnee  zogen,  und  die 
Lage  wurde  bedenkiieh.  Die  Kalte  war  empfindtich  und  die 
zarte  Frau  schauderle  vor  Frost.  Der  Landrichter  rief  end- 
lich  dem  Kutscher  zu,  die  Jaglinien  (Leinen)  den  Pferden  zu 
iiberlass^.  —  >,Wir  sind  vielleicht  nur  ein  Paar  Schritte  vom 


*)  Halj  kmib,  ptik  sabba. 

25 


376  Historisch-lingnistische  Wissenschaften, 

Gute/*  sagte  er,  „e8  ware  zu  loll  die  Nacht  auf  offenem  Felde 
subringen  zu  miissen!"  —  Kaum  hatte  derKutscher  die  Lei* 
nen  schlaff  hangen  lassen,    als  die  Pferde  still  standen,  im 
Winde  schnaubten  und  dann  wie  von  einer  gemeinsamen  Idee 
belebt,  eine  ganzHch  verschiedene  Richtung  querfeldein   nah- 
men.    Der  Kutscher   beobachteie  dies  Mandver  ebenso  ver- 
wundert  wie  ein  Knabe    einem  Taschenspieler   zusiehl,   der 
Werg  verschlingt,  und  erwartete  den  Ausgang  mit  Spannung. 
Nach  einiger  Zeit  standen  die  Pferde  still,  senkten  die  Kdpfe, 
kralzten  OEiit  den  Vorderhnfen  im  Schnee,  machten  beide  zu- 
gleich  einen  machiigen  Sprung  und  —  siehe  da  derSchlitten 
war,  iiber   einen  verschneiten  Graben,  wieder  giiicklich  auf 
einem  festen  Wege  angelangt!  Ein  Stein  fiel  dem  altenPferde- 
lenker  vom  Herzen ;  er  war  zugleich  sehr  stolz  auf  seine  ZSg- 
linge  und  schrieb  sich  zuletzl  selbst  und  seiner  Crziehung  zu 
Gute  was  nur  der  Instinkt  vermocht  hatte.     Nan  fuhr  nun 
auf  dem  unbekannten  Wege,  der  doch  irgend  wohin  rdhren 
mufste,  lustig  weiler  und  endlich  standen  die  Pferde  in  einer 
wiisten  und  hiiglichen  Gegend  vor  einem  vereinzeiten   Blok- 
hauschen  still.  —    „Nun  —  rief  der  Landrichter  —  wo  sind 
wir  denn?*^  —    „Das  geht  nicht  mit  richfigen  Dingen  zu  — 
meinte   der  alte  Kutscher  —  wir  sind  auf  dem  Teufelsfelde, 
hier  stehi  der  <Saunn  von  Pdlla  Kirel.*'  —  „Nun  gut,  wecke 
ihn,  dafs  er  uns  den  Weg  zeigt"  —   „Wecken?    Weiss  der 
<  Himmel  wo  er  jetzt  im  StOhm  sich  umhertreibt  und  wessen 
Schafstall  er  umschleicht;   er  war  ja  am'  Kreuzwege!  —    In 
dem  AugenbUcke  winselte  die  kleine  Thiir,   ein  Peuerschein 
quoU  aus  derSpalte  und  hell  beleuchtet  von  einer  flackenden 
Pergelfiamme  stand  Pdlla  Kirel  reisefertig.  in  der  Mutze  und 
mit  einer  Peitsche  in  der  Hand  da.    „Wir  miissen  uns  schon 
entschliefsen ,  ma  chere,  in  des  Hexenmeisters  HShle  zu  tre- 
ten  —  sagte  Herr  viin  H.  zu  seiner  Frau,  —  sie  miissen  sich, 
meine  Liebe,  erwarmen.'*     Die  arme  Dame  konnte  vor  Frost 
nicht  sprechen,  und  der  Mann  nahm  sie  in  seine  Arme  und 
trug  sie  in  die  Hutte,  wo  es  ganz  warm  war,  aber  schwarz 
wie  in  einem  Ofen.    Herr  von  H.  sah  sich  nach  einem  Stuble 


Baltische  Skizzen  oder  vor  funfzig  iahren.  377 

Oder  einer  Bank  urn,  es  waren  aber  keine  anderen  Sitze  da 
als  ungeheure  Feldsteine  die  aus  der  Erde  hervorragten  und 
die  nicht  in  die  Hiiite  gewSlst  waren ,  sender n  uber  welche 
diese  mii  Vorbedachi  gebaut  war  urn  gleich  einige  Mobel 
zu  haben !  Von  der  Lage  herab  hing  ein  ausgeweideies  Schaf 
wie  bei  einem  Schlachter.  Ein  Knabe,  spSrIich  in  Lumpen 
gehiilh^  lag  neben  zwei  Schweinen  in  einer  Ecke  und  alle  drei 
schUefen.  Der  Esthe  blieb  in  seiner  (roUigen  Sftellung  und 
blickte  spSUisch  auf  die  frierende  Dame,  Seine  Lippen  be- 
wegten  sich  ais  ob  sie  etwas  still  vor  sich  hinredeten 


Arbeiten  der  Rossischen  Geographischen  Gesell' 

schaft  iiu  Jahre  1851. 


Am  11.  October  1851  hielt  die  Russische  Geographische  Ge- 
sellschaft  ihre  erste  Herbst-Versainmlung,  womit  sie  zugleich 
in  das  siebepte  Jahr  ihres  Beslehens  (rat.  Der  Vice-Prasident, 
General -Lieutenant  Murawjew,  legte  hierbei  einen  Bericht 
iiber  die  neuesten  Arbeiten  und  Unternehmungen  der  Gesell- 
schaft  vor,  aus  dem  wir  Folgendes  entnehmen. 

Zu  Irkuzk  hat  sich  eine  5ibi  rische  Abtheilung  gebildet, 
die  durch  Reichsraths  -  Beschiuss  vom  18.  Juni  1851  bestaligt 
worden  und  der  die  Regierung  einen  jahrhchen  Zuschuss  von 
2000  S.  R.  bewilligl  hat. 

Der  Grofsfiirst  Thronfolger  hat  der  Gesellschaft  die  Mog- 
lichkeit  gewahrt,  den  Professor  Wallin  zur  Untersuchung  des 
inneren  Afrika's  abzusenden,  indem  er  die  Erlaubnifs  des  Kai- 
sers dazu  erwirkt  und  Herrn  Wallinyvunter  Beibehaltung  sei- 
nes Gehalts  als  Professor,  eine  Summe  von  1000  S.  R.  aus 
den  Geldern  der  Alexanders-Universitat  ausgesetzt  hat.  Herr 
Wallin  wird  wahrscheinlich  seine  Reise  im  kunftigen  Jahre 
antreten. 

Die Zuriistungen  zurKamtschaiischen  Expedition  wer- 
den  eifrig  fortgesetzt.  Durch  eigens  dazu  niedergeseizte  Com- 
missionen  sind  astronomische,  physikalische ,  topographische, 
geologische,  botanische,  zoologische  und  ethnographische  In- 
structionen   ausgearbeitet    worden;    eine    landwirthschafUiche 


, J 


Arbeiten  d«r  RoMisoheii  Geographiscii«n  GeselUcUaft  ipi  J.  1851.   379 

ivird  noch  erwarlet.  Diese  umfangreichen  Arbeilen,  w^lcb^ 
die  Gesellscbaft  vornehrnlieh  den  Herren  Oserskji,  Nad^dinr, 
Grigoijew,  Reinecke,  Kupfer^  Brandt,  Fischer,  Meier  uod  Ru-^ 
precht  verdankt,  warden  nuninehr  gesaminelt  und  ditirch  den 
Druck  veroffenllichty  um  ^llen  Freunden  der  Erdkimde  dio 
Mogliehkeit  zu  gewahren,  der  Gesellscbafi  ihre  Bemerkungen 
und  Zusalze  uiiUutheiLen.  Audi  diese  Expedition  wird  hof^ 
fentlich  ihre  Wirksamkeit  im  nach^leu  Jahre  beginnen.; 

Bis  dahin  ist  ebenfails  die  Beendigung  der  Untersuehun- 
gen  uber  die  devonische  Region  nu^geselzt  worden,  welche 
voriges  Jahr^von  Herrn  Helinereen  begonnen  Wurdeo.  D^r 
Bericbt  uber  dieselben  konule  v^egen  einer  Reise  Heluier^ens 
ins  Ausiand  der  Gesellscbaft  noeb  nichl  vorgelegt  werden;; 
der  Pbin  der  kiinfligen  Untersudiungen  isi  jedoeh  deip  Con^ 
seil  nutgelheilt  wcrden. 

Die  Bibliolbek  und  das  Museum  der  Geselisdiafl  werden 
forlwahrend  bereicbert.  Besonders  zu  erwahnen  sind  eine  in* 
teressanle  Sammlung  kalmykiscber  CostUaie,  ein  Geschei\k 
des  Beherrschera  des  Choscboniower  Ulusses,  Fiirsten  Tju* 
menew,  eine  von  Herrn  Diwow  eingesandte  bedeutende  Kar- 
tensamoilung,  die  zabireichen,  von  dem  Correspondenten  der 
Geseilscbaft,  Hieromonach  Makarji,  mitgelbeillen  Materialien, 
und  endlich  die  der  Gesellschafl  iiberreicbten  Arbeiten  der 
belgischen  Akadeoiie  und  des  Herrn  Quetelet. 

Die  kartograpbiscben  Unlernehmungen  der  Gesellschafl 
sind  im  besten  Fortgang  begriffen.  Der  Ailas  des  Gouverne* 
ments  Twer  wird  zu  Moskau  in  ebromobtbographiscbein  Druck 
unter  Aufsicbt  des  General-Major  Mendt  berauisgegeben.  Der 
statislische  Atlas  von  Russland  erscbeini  in  Petersburg  unter 
der  Leitung  des  Cooapilators,  Herrn  Miljutin.  Djer  e^huogra- 
phische  Atlas  von  Russland  ist  voUendet  und  erwartet  zu  sei- 
ner Herausgabe  nur  den  erkl^renden  Text  des  Herrn  Happen. 
Die  Situation  der  Karte  des  nordlicben  Ural  ist  schoh  ge- 
stochen  und  es  wird  jetzt  zu  den  Or(snani<en.  geschritten.  Der 
Direktor  des  Geograpbischen  Instituts  m  Weimar,  Herr  Fro- 
riep,  bat  die  ibo  ubersabdlen  Bemerkungen  zur  Correctur  der 


380  Physikaliseh- matbeinatitdie  WiMentchafteib 

im  Auflrage  der  Geselischafi  verferligten  Generalkarle  von 
Asien  empfangen.  Von  dem  durch  die  Herren  Boloiow  und 
Chanykow  zusamtnengestelileD  Atlas  des  nordwesUichen 
Asiens  sind  die  vier  nordlichen  Blatter  feiiig;  die  beiden  slid- 
lichen  werden  jetzt  vorgenommen.  Von  der  Karte  des  Kas- 
pischen  Meeres  ist  das  nordliche  Blatt  beendigt;  das  siidfiche) 
an  welchen  jetzt  gearbeitet  wird,  soil  zur  Grundlage  der  von 
Herrn  Chonykow  entworfenen  Karte  des  nordlichen  Persiens 
dienen. 

Die  von  der  Gesellschaft  unternommenen  Publicationen 
befinden  sich  in  folgender  Lage:  Die  vierte  Nummer  des 
Anzeigers  (Wjestnik)  ist  zur  Ausgabe  fertig;  der  secfasie 
Theil  der  Memoir  en  (Sapiski)  wird  zum  Druck  voii>ereitet; 
fiir  den  zweiten  Theil  des  statistischen  CollectaDeums 
(5bornik)  liegen  schon  viele  Arlikel  vor.  Der  Druck  des  «r- 
sten  Theiles  des  ethnographisehen  CoUectaneums  ist 
durch  die  Abwesenheit  des  Vorsitzenden  der  ethnographisehen 
Abtheilung  ins  Stocken  geralfaen,  wird  aber  hoffentlich  bald 
nach  seiner  Riickkanft  beendigt  werden.  Das  Conseii  hat 
sioh  mit  der  Pariser  Soci^te  Geographique  in  Verbindung  ge* 
setzt,  um  die  Arbeilen  der  Gesellschaft  auch  fraozosisch  her- 
auszugeben,  wogegen  die  deutsche  Version  eingehn  soU.  Von 
dem  erslen  Bande  des  Reiseberichts  der  uralischen  Expedition 
sind  bereits  zwanzig  Bogen  gedruckt  Der  deutsche  Text  des 
zweiten  Bandes  ist  im  Manuscript  fast  beendigt,  und  man 
sucht  jetzt  einen  zuverlassigen  Uebersetzer  ins  Russische,  in 
welcher Sprache  derBericht  zuerst  veroffenllicht  werden  soli; 
unterdessen  wird  zum  Xithographiren  der  zum  Werke  geho- 
rigen  Zeichnungen  geschritten. 

Was  das  geographiscbe  und  statistische  Lexicon  von 
Russland  betrifft,  so  wird  Herr  Frolow  einen  ausfiihrli- 
chen  Plan  dazu  voriegen.  Die  Uebersetzung  der  von  der  Ge* 
sellschafl  beslimmten  Theile  der  Ritter'schen  Geographic  ist 
bereits  in  Angriff  genommen. 

In  Folge  des  von  der  Gesellschaft  im  Mai  dieses  Jabres 
versandten   Rundschreibens,   haben  die  stadlischen   Behdrden 


Arbeiten  der  RusMichen  Geograpliischen  GeMlbchalt  im  J.  1851.  381 

viele  Maleriaiien  asur  UebersichI  des  irineren  Bandels  einge>> 
liefert,  die  dem  Redacteur  dieser  Schrift,  G.  P.  Nebokin,  zur 
Verfiigung  gestelU  werden. 

Die  gleichfalls  von  der  Geseiischafl  erbetenen  Nachrich- 
ten  iiber  kiimatische  Verhahnisse  gehen  ohne  Unterbrechung 
eiD  und  werden  dem  Herrn  Porosehin  verabfolgt,  der  die  aus 
denselben  gezogenen  Resultate  kunftiges  Jahr  zu  verSffentiiw 
ehen  verspricht  Unterdessen  hat  das  Conseil  Mafsregeln  ge- 
troffen,  den  Beobachtern  die  nothigen  Anweisungen  zukommen 
zu  lassen  und  ihnen  die  Erwerbung  gut  reguiiHer  Instrumente 
zu  erieichlern.  Bericfate  iiber  Beobachtungen  der  Sonnen- 
finsternifs  durch  die  von  der  Gesellschaft  dazu  ausgeriisteten 
Personen  sind  von  den  Herren  Sawitsch  und  Semenow  ein- 
gegangen  und  werden  von  Herrn  Schweizer  erwartet.  Ausser- 
dem  hat  die  Geseiischafl;  in  Folge  des  von  ihr  erlassenen 
Rundschreibens  eine  Menge  Bemerkungen  iiber  die  Sonnen* 
finsternifs  von  verschiedene  Personen  erhalten,  deren  Durch- 
sicht  Herr  fi^awitsch  iibernommen  hat. 

Vm  die  Ausarbeitung  des  WSrterbuchs  der  geographi- 
schen  Terminologie  zu  beschleunigen,  hat  das  Conseil  den  un- 
ter  Leitung  des  Herrn  J.  W.  Chanykow  damit  bescbafttgten 
Personen  fiir  das  kiinfUge  Jahr  eine  Geldsumme  ausgesetzt. 

Die  Abtheilung  der  physischen  Geographic  hat,  unabhan- 
gig  von  ihren  anderen  Arbeiten,  den  Plan  eines  eigenen  Col* 
lectaneums  der  physischen  Geographic  in  Erwagung  genommen. 

Die  ethnographische  Abtheilung  hat  beschiossen,  ausser 
dein  ethnographisehen  Collectaneum ,  zur  Bearbeitung  und 
Veroffentlichung  von  Materialien  zur  Geschichte  der  altrussi- 
schen  geographischen  Ideen  und  geographischen  Sprache  un- 
ter  der  Redaction  der  Herren  Nadejdin  und  5resnewskji  zu 
schreiten.  F^mer  gedenkt  diese  Abtheilung  Berichte  iiber  die 
bedeutendsten  ethnographisehen  Materialien  abzustatten,  welche 
von  der  Gesellschaft  erworben  werden. 

Die  Anzeige  der  geographischen  und  statistischen  Auf- 
satze  in  den  Journalen  werden  dieses  Jahr  beendigt  werden. 

Die  Gesellschaft  ist  im  Be^itz  vieler  wichtiger  Arbeiten, 


382  PhyBikalisch-Diathematisohe  WisfeBsehaiten, 

die  sie  zu  veroffenllichen  gedenki,  und  nameuilich:  Beschrei- 
bung  des  nordlichen  Persiefls,  von  Blaremberg;  Untersuchung 
des  Petschorischen  Landes,  von  Latkin ;  Uebersicht  des  'nord- 
lichen Ural,  von  Jurjew;  meleorologische  Beobacbiungen  in 
Beresowy  von  Abramow;  Beschreibung  Californiens,  von  ^- 
oienow;  Untersuchungen  iiber  die  Nogajischen  Tataren  und 
Turkmenen,  von  Archipow;  Bericht  iiber  die  VerleUiung  der 
Jukowschen  Pramie  im  Jabre  1850,  vonPoroschin;  Uebersicht 
des  Kjachtaer  Handed  von  Samoilow ;  Bestimmung  der  oiiltle^ 
ren  Lebensdauer  in  Ru^sland,  von  i$pa«tfkji ;  Reiseuoliien  uber 
Kleinrussland,  von  Sementowskji;  AbschaUung  desGrundeigen* 
(hums  in  Lieiland,  von  Waiujew;  Notizen  iiber  die  Kronbaueni 
des  Gouvernemenl  Charkow,  von  Petrowskji;  Notiz  iiber  den 
Solikamsker  Kreis,  voa  Lukanin;  iiber  die  Creditansialten  in 
Russiand,  von  Lamanskji;  uber  den  Zustand  der  Krondomai* 
nen  und  BauerUi  von  We^eiowskji;  Tagebuch  einer  Reise 
naeh  Persien,  Buchara  und  Chiwa  in  den  Jahren  1720  und 
1725  von  Florio  Beneveni;  Untersuchung  des  osllichen  Ufers 
des  Kaspischen  Meeres  in  den  Jahren  1832.  bis  1836  von 
Kareiin. 

Ausserdem  siiid  der  Gesellschaft  folgende  ArbeileKi  ver* 
sprochen  worden:  Bericht  iiber  eine  Reise  naoh  dem  ^iidlicben 
Ural,  von  P.  J.  NeboUin;  Skizze  einer  Untersuchung  d^r  5i- 
birischen  Kirgjaen  *  Steppe  und  der  westlichen  Abzweigwg^Q 
des  Tcbanscb^n,  vop  S^hrenk;  Bericht  iiber  die  vorlauiige 
Untersuchung  der  devonischen  Region,  von  Heknerseo;  Phy- 
sisehe  Skizze  dep  Kaukasus  und  Transkaukasiens,  von  N.  W. 
Chanykow;  Bericht  iiber  eine  Reise  nacfa  Sudan,  von  Zen- 
kovvskji;  statistische  Nachrichten  von  dem  Konigreich  Polen, 
von  Malkowskji;  Blick  auf  die  mythische  P^riode  der  volks- 
thiimlichen  Kussischen  Geographic,  von  Nadejdin;  Monographic 
des  Fiirsienthuuss  Bjelo-Osero,  vonKorkunow;  iiber  die  Now- 
goroder,  P^kower  und  Bjeloserer  Registerbiicher,  von  Newo- 
lin.;  iiber  das  Registerbuch  der  Stadt  Kasan,  von  Miijutin; 
iiber  die  Bucher  der  alten  Landinessung  (^oschnoje  pi«uio), 
von  Bjelajevv;  Beschreibung  der  Stadte  des  eheinaiigen  Gou- 


Arbeiten  der  Riissischen  Geograpliisdien  Gesellscbaft  im  J.  1851.  383 

vernemenis  Moskau  und  seiner  Kreise  in  den  Jahren  1775  bis 
1777,  von  Iwanovv;  uber  die  Kennzeichen  der  Russischen  Na* 
tionalilat,  von  Kawelin;  (iber  das  Hausgerath  des  Russischen 
Volkes,  von  Jegunow;  Zusammenslellung  von  ethnographischen 
Nachrichten  uber  die  Tschuwaschen ,  von  Saweljew;  Ueber- 
sicht  des  Russischen  Handels  in  MiUelasien,  von  NeboUin; 
Reise  des  Rilters  de  Lanoy  in  die  Oslseelander,  von  Sawel- 
jew; iiber  die  vegelabilische  Staiistik,  von  Schichowskji;  die 
Ebtie  und  Ftu^  im  W^rs^n  M^eri  vm  Talysip;  ^r  ilas  Re* 
sultak  dcir  UUten  Y^^^^^^Mung  in  Rus^I^nd,  von  G^wskji; 
iiber  die  geodatischen  Arbeiten  unter  der  Regierung  Peler  I., 
von  Iwanow;  Uebecsicht  der  historischen  Enlwickelung  der 
geographischen  Kennlnisse  in  Russland,  vom  9.  Jahrhundert 
bis  2uf  Regierung  Peters  L,  von  Bjelajew;  JNd^rmaiprebe  <te$ 
Getraideg  in  den  ruasiseben  Stiidlen  im  18.  JaitrboDdert,  voo 
Bjelajew;  kriiiscjte  UebersidM  dier  Werke  Hyakiatb  Bildchu* 
rin^s  iiber  die  VoikeracbafUn  MiUdarsiienB,  von  Grigorjew;  Be-* 
rieht  iiber  4ie  TriaBguialion  ia  den .  PolnischeD  Landern  und 
den  dreieehfeiten  Baftd  der  M^ok^iren  deS'  militohriscb'^Uipogrd^ 
phiscben  Depots,  voa  Boiolow, 

Alb  Schiiisse  der  Verbanrfluiigen  Iheilte  der  Gehiilfe  des 
Vorsil&eoden  in  der  ethnographicohen  Abtheilung,  Herr  5re^, 
newskjv  der  Gesellicbaft  eine  inienessanbe  Uebersichi  der  hiaio* 
risohftn*  S«bicksale  'utfd  «ationdleii  Liieratur  der  Transkarpt- 
Ibisehen  Ruasinen  mit,  die  hauplMehlieh  auf  seina  personlioheii 
BeobachHmgco  imd  Unlersiiichuligefi  gegrundai  isfc  und  eioeo 
Theil  aeines  groCsen  Werkea  iiber  die  Gee>gfaphie  d«s  Rci$»^ 
schen  Spcaebe  biUet 


Ein  Rossisches  Urtheil  fiber  die  Russische  Ab- 
theilung  der  Weltausstellung  von  1851  *). 


Die  8p8ie  Erdffnung  der  Navigation  auf  dem  Baltischen  Meer 
war,  wie  bekannt,  Ursache,  dafs  die  vorziiglichsten  Gegen- 
stande  der  russiscben  Industrie^  die  jeizi  im  Krysiallpalast  dea 
Hydepark  dem  Uriheii  der  Welt  unterworfen  sind,  erst  spat 
von  St  Petersburg  nach  London  kamen,  und  da  die  russische 
Abtheilung  (ebenso  wie  einige  andre)  nicht  sum  I.Mai  be^i- 
digt  werden  konnte,  erregte  die  Aufstellung  der  grSfaem  Ar- 
likel  und  das  Aufhiingen  der  Stoffe  um  so  mehr  die  Neugier 
der  Besttcher.  Wenn  in  alien  Zweigen  der  vaterliiodischen 
Industrie  unsere  Fabrikanten  sich  an  der  Londoner  Weltaus- 
stellung batten  betheiligen  wollen,  so  hatten  einige  Journal- 
korrespondenten  sicherlich  nicht  Ursache  gehabt  una  denVor- 
wurf  zu  machen,  dafs'unsre  Abtheilung  nicbt  ein  volktandiges 
Bild  unserer  Nationalihatigkeit  giebt  Eine  kurte  Uebersicht 
der  verschiedenen  Gegenstande,  welche  unsere  Tbeilnafame  an 
diesem  Weltbasar  bekunden,  wird  jedoch  hinreichen,  sowohl 
die  einseitigen  Ansichten  zu  berichtigen,  als  auch  die  giinsti- 
gen  Urtheile  des  grofsten  Tbeiles  der  aufgeklarten  Manner, 
welche  unseren  Leistungen  voUe  Gerechtigkeit  wiederfahren 
lassen,  zu  rechtfertigen.  —  Der  mehrmalige  Besuch  der  rus- 
sischen  Abtheilung  von  Seiten  Ihr.  Maj.  der  Konigin  Victoria 


*)  Petersburger  Akademische  Zeitung  1851.  Augost  1  u.  f. 


Gin  Rusfl.  Urtbeii  iiber  die  Rasa.  Abtheilang  der  WeUausstellung.  385 

und  des  Prinzen  Albert,  wie  der  verwiUweten  K6nigin  der 
Fransosen  und  der  Herzogin  von  Orleans,  und  die  Sorgfalt, 
mil  welcher  die  hohe  englische  Aristokralie  die  russischen 
Waaren  gepriift  hat,  wie  auch  das  Interesse,  welches  das 
Publikum  ftir  dieselben  unausgesetzt  zeigt,  das  sich  jeden  Tag 
in  dieser  Abtheiiung  einfindet,  und  endiich  das  richtige  Urlheil 
welches  Kenner  und  selbst  unsre  sonstigen  Nebenbuhler  iiber 
sie  fallen,  niachen  es  uns  zur  angenehmen  Pflicht  unsere  ab- 
wesenden  Landsleute  mit  dem  wahren  Stande  der  russischen 
Industrie  auf  diesem  Sammelplata  der  Erzeugnisse  aller  6e- 
genden  der  Welt  bekannt  zu  machen. 

Die  Gesammtzahl  der  russischen  Aussteller  in  London 
iibersteigt  nicht  363.  Wenn  diese  Zahl,  im  Vergleich  mit  an- 
dern,  Russland  zunachst  liegenden  Manufakturiandetn,  beim 
ersten  Ueberblick  auch  ziemlich  unbedeutend  erscheint,  so 
darf  doch  nicht  iibersehen  werden,  dafs  die  Nummern  der 
andern  Lander  nur  dadurch  sich  so  sehr  vermehrt  haben,  weil 
Erstens,  eine  Menge  Artikel  eingesandt  worden  sind,  die  we- 
der  den  Manufakturen  noch  der  Landwirthschafl  angehSren, 
undZweitens,  dafs  darunter  auch  Baumaterialien  (!)  sind,  deren 
Transport,  bei  uns,  aus  weiter  Feme  bis  zum  Baltischen  Meer, 
mit  grofsen  Schwierigkeiten  und  ungewdhnlichen  Unkosten 
veikniipft  gewesen  ware.  Beriicksichtigt  man  dies  alles,  so 
wird  man  zugeben  miissen,  dafs  der  in  diesem  Betracht  uns 
gemachte  Vorwurf,  ungerecht  ist  Die  Einladung  zur  Theil* 
•  nahme  an  der  Wellausstellung  annehmend,  zog  es  Kussland 
vor  statt  einer  maafslosen  Ansammlung  aller  seiner  Produkte, 
die  in  der  ihnen  zugemessenen  Abtheiiung  nicht  einmalRaum 
gdfunden  hatten,  nur  solche  Gegensiande  einzusenden,  welche 
im  Stande  waren  von  dem  gegenwartigen  Standpunkt  seiner 
Industrie  einen  Begriff  zu  geben;  und  wenn  Einige  meinen, 
dafs  das  Vermissen  der  Tuluaer  Schwarzkunst  aufSilber  und 
der  Kleidertrachten  der  vielen  verschiedenartigen  Vdlkerschaf- 
ten  unsers  ausgedehnten  Vaterlandes  ein  grolser  Mangel  sei, 
so  kann  dies  nur  relativ  wahr  sein.  Aefanliche  Vorwiirfe  kann 
man  aber  mehrern  andern  Landern  auch  machen,  wenn  man 


386  fiKlutlrie  uml  Handel. 

fleren  gelieferie  Saehe  init  der  Lage  ihrer  Landeser&eugnisse 
and  ibrer  eignen  Bedurfnisse  genau  vergleicht.  So  seh^i  wir 
in  der  osierreichischen  Ablheilung  ebenfalis  nicht  di6  Trach- 
ien  der  verschiedenen  Volker  dieses  Kaiserihums  (nainiicJi  der 
Kroaten,  Dalinalier  and  anderer). 

Wenden  wir  uns  sp^ziell  den  in  der  russischen  Ablhei- 
lung der  Weltaasstellung  befindlichem  Gegenstanden  zuy  so 
glauben  wir  toerst  bemerken  su  mOssen,  dafs  Rusaland  in 
inehrerer  Hiosicht  dem  von  der  Konigl*  Kommission  suersl 
als  Leilfaden  fur  die  Aussieller  aufgeslellten  Kiassensystem, 
gefolgt  ist. 

In  d«r  ersten  KJasse,  d.  h.  unter  den  Mineralien  nnd  Me- 
'  (alien,  hat  Rusaland  25  Aussteller,-  meist  aus  5ibirien. 

Tn  der  zweiten  Klasse,  d.  h.  in  den  Chemikalien  und  Farb- 
stoffen,  haben  22  lussiscbe  Produzenlen  die  verschiedenen  Ge- 
genslande  ausgeslellt,  welche  die  gegenwartige  Sl^ellung  Russ- 
lands  in  diesem  fiir  die  Industrie  so  wichtige  Zweige  der 
wissenschaftlicben  Kennlnisse,  sich  befinden. 

In  der  dritten  Klasse,  welohe  die  zur  Nahrung  be^timm- 
ten  Sloffe  eoihalty  haben  45  russische  Gutsbesitzer,  Kaufleute 
und  Bauern,  und  die  Gorygoreekische  Musterferme,  die  rus- 
sische Abtheilung  der  Ausstellung  mit  verschiedenen  Getraide- 
arten  auf  dem  Halm,  und  als  Saamen,  Mehl  und  Griitze,  dann 
allerlei  Samereien,  Fleiscbbouillon,  Runkelriibenzucker,  Ka- 
viar  u.  s.  w.  ausgestattet. 

In  der  vierten  Klasse,  welche  die  In  Fabriken  undManu-* 
fakturen  verwendeten  Produkte  des  Pflanzen-  und  Tbierreichs 
umfafst,  sehen  wir  mehr  als  50  Aussteller,  welche  den  5ud- 
theii  der  russischen  Abtheilung  mit  Hanf,  Flachs,  Borslen, 
Thierhaar,  Wolie,  Seide,  Baumwolle  und  Holtarten  angefuUt 
haben. 

Die  fiir  Equipagen  bestimmte  funfleKlasse  ist  von  unse- 
rer  Seite  sehr  schwach  vertreten,  indem  hier,  aufser  der  Hof- 
Equipagenfabrik,  nur  drei  Privat-Wagenbauer  an  der  Ausstel- 
lung  Theil  genommen  und  zwar  nur  solche  Equipagen  (vvie 
Drosehk'en  und  leichte  Schiitten)  eingesandt  haben,  die  weder 


Hill  Russ.  Urtbeil  iiber  die  Rum.  Abtfaeilang  der  Weltausstellung.  387 

von  unsern  Bedurfnissen  noch  von  der  Bedeutung  des  Wagen- 
baues  in  den  Hauptstadten  Russiands  einen  BegriEf  geben 
konnen. 

Dasselbe  muss  auch  von  der  sechslen  Klasse  gesagt  wer^ 
den,  zu  weicher  die  Maschinen  und  Werkzeuge  gehoreo,  und 
in  der,  ausser  vier  kleiner  Maschinen  aus  der  Kaberliehen 
Alexandrowschen  Manufaktur  und  einem  grofsen,  vom  War- 
schnuer  Fabrikanten  Hekj^e  gelieferten  Apparal  zum  Zueker- 
sieden  im  luftieerem  Raum,  nichis  Bedeutendes  aus  Russland 
vorliegl,  wahrend  die  Mechaniker  Riegel  und  Hopper,  die 
Schepelewsche  Fabrik  und  mehrere  Elablissements,  diese  Klasse 
nichl  weniger  als  der  Zoilverein  und  Oesterreich,  mit  gros- 
sen  und  kleinen  Mascfainen  uod  Apparaieo  batten  ausstatten 
konnen. 

Blanke  Waffen  und  Feuergewefare  der  Siatoustovvscben 
Gewehrfabrik,  wie  aus  den  Fabriken  von  Kuschwinsk,  Baran- 
tschinsk ,  Nijne  i«etsk  und  Kaukasien  (in  Allem  von  10  Fabri- 
ken), zieren  die  russisehe  Abtheilung  in  der  achten  Klasse  der 
Weltausstell|ing. 

In  der  neunien  Klasse  hat  nur  die  eine  Kronsfabrik  zu 
Artinsk  Sensen  eingesandt,  und  es  isl  zu  bedauern,  dafs  weder 
die  Gebruder  Batenop  und  Wilson  in  Moskau  noch  mehrere 
der  siidrussischen  Gutsbesitzer,  die  sich  schon  seit  einer  Reihe 
von  Jahren  durch  Herstellung  vortrefflicher  Ackergerathe  aus- 
zeichnen,  von  ihren  Produktionen  etwas  ausgestelll  haben, 
welche  gewiss  die  Aufnaerksamkeii  derKenner  auf  sich  gezo- 
gen  hatten. 

Fiir  die  zehnte  Klasse  haben  7  russiache  Fabriken  maihe- 
maiische,  physikaliscbe,  musikalische  und  chirurgische  Insiru- 
mente  eingesandt;  unter  diesen  haben  insbesondere  die  matbe- 
tnatisoben  Instrumenie  der  Admiraliiatsfabrik  zu  I^ora,  und  die 
Recbenmaschine  von  Abraham  Staffel  zu  Warschau,  die  Zu- 
friedenheii  der  Experten  und  Sachkenner  sich  erworben. 

In  der  elften  Klasse  haben  die  Fabrikanten  Popow  in  Schuja 
und  Nottbeck  in  Finnland,  Ersterer  Mitkal,  und  Letzterer  Miikal 
und  Baumwollengewebe  sehr  guter  Qualitat  ausgesiellt. 


366  Indastrie  and  HandelJ 

In  der  zwolften  Klasse,  zu  der  Wollengarn^  Tuche  und 
andere  Wollen-Fabrikate  gehdren,  haben  20  russische  Fabri- 
kanten  sich  bei  der  Ausstellung  betheiligt^  und  das  nicht  bios 
mit  Artikein  die,  wie  Einige  behaupten,  nur  die  Bediirfnisse 
der  Miltei-  und  hochsten  Klassen  befriedigen,  sondern  auch 
init  solchen  welche  zuni  Gebrauch  der  nkderen  Volksklasse 
bestimiDt  sind,  wie:  Bauerntuch  aus  dem  Gouvemement  Ra- 
dom  des  Konigreichs  Polen^  Tuch  fius  Kameelhaar  von  den 
Gutem  des  Geheimeralhs  Dnra^ow  im  Gouvernement  Oren- 
burg, Wollenkamlot  oder  die  sogenannle  Armjalschina  der  Na- 
gai-Tataren  und  grobe  Tuche   von  Transkaukaaien.    —   Im 
Allgemeinen  haben  die  meislien  unserer  Tuche  and  Wolien- 
zeuge,  sowohl  vom  Pubhkum  ala  von  Kennern  Lob  eingeem*- 
tet    Letztere  lassen  nicht  nur  den  Herrn  Fiedler  in  Opatowka 
und  Tscheiwerikow  in  Moskau  voile  Gerecbligkeii  wiederfah- 
ren,  sondern  auch  mehreren  unserer  Klinzower  Tuchfabrikan- 
ten,  wie:  bajew  undAk^enow.    In  Belreff  derKammwoIIwaa- 
ren  is!  es  angenehm  zu  erfahren,  wie  ailgemein  die  einstimnuge 
Aeufserung  isi,  das  man  im  Ausland  sich  durchaijs  keine  Vor- 
siellung  habe  machen  konnen   von  dem  rasch^i  Forlschritt, 
den  dieser  wichtige  Theil  der  Wollenltfduatrie  bei  una  gemacht 
habe.    Die  Gebriider  Gutschkow  und  Wolner  in  Moskau  ha- 
ben das   hiesige  Publikum   durch   die  VoUkommenheii  ihrer 
Metinozeuge,  ihrer  Tibets,  ihrer  Kaschemire  und  Mousseline* 
de-Laine,  in  Erstaunen  geselzt    Die  Armjatschina  der  Nagai- 
Tataren  und  das  dazu  verwendete  Kameelhaar  und  Gam  daraus, 
von  den  Baschkiren  eingesandt,  ziehen  forlwahrend  die  Auf- 
merksamkeii  der  Kenner  auf  sich,  welche  versicherni  daft  man 
ahnliche  Erzeugnisse  in  Europa  noch  nicht  gesehen  hat    Das 
von  den  Orenburgischen  Kosakenweibem  gesponnene  Ziegen- 
haar  ist  gleichfalls  Gegenstand   des  ungeiheiiten  Lobes  des 
Publikums  und  der  damil  handelnden  Kaufleute. 

Unsern  golddurchwirklen  Stoffen,  besonders  denen  der 
iSapojnikowschen  Erben  in  Moskau,  und  den  (zur  dreizehnten 
Klasse  gehorenden)  Seidenzeugen  wird  auf  der  Weltausstel- 
lung  voile  Anerkennung  gewShrt     Von   den  13   rusaiscben 


Bin  Russ.  Urtlieil  iiber  die  Rtiss.  Abliieilung  d.  WelUuistellung.    S&9 

Ausstellern  in  diesei*  Klasse,  konnen  sich  die  ineislen  dea  all- 
gemeinen  Lobes  riihmen.  Die  Lyoner  Pabrikanten  bewundem 
die  Vollkommenbeit,  und  was  wicbtiger  ist,  die  Wohlfeilheit 
der  russischen  Brokale  und  fiihren  als  besonderea  Verdienst 
derselben,  den  Glanz  des  Gold-  und  Silbergewebes  und  die 
Originalilat  und  den  ausgezeichneteu  Geschmack  der  Desseina 
an.  Die  vortrefllichen  Farben,  das  tuchtige  solide  Gewebe 
und  der  feine  Geschmack  der  Desseins  an  den  Seideneeugen 
unseres  ausgezeichneteu  Pabrikanten,  des  Manufakturraths  Kon* 
draschew,  hat  seine  Lyoner  Rivalen  so  in  Erstaunen  geaetxt, 
dafs,  da  sie  ihn  nicht  niedriger  als  sich  selbst  stellen  kSnnen, 
sie  doch  vvenigstens  in  einigen  seiner  Zeuge  eine  Nachabmung 
und  selbst  eine  sebr  gluckliche  Kopie  ihrer  Muster  beraas* 
gefunden  haben,  als  ob  ein  in  einem  fremden  Lande,  2000 
Werst  von  Lyon  lebender  Pabrikant,  an  das  in  Prankreich  und 
fiir  dasselbe  allein  gellende  Gesetz  der  Musterproprietat  ge* 
bunden  ware.  —  Der  Moskausche  Pabrikant  Laptew,  welcher 
Fabrikate  aus  russischer  Seide  ausstellt,  ist  ebenfalk  nicht  un* 
beachtet  gebiieben,  obgleich  seine  Parben  durchgangig  dunkel 
und  die  Muster  nicht  neu  sind. 

Von  den  zur  viersehnten  Klasse  gehorenden  Tauen,  Strik- 
ken  und  verschiedenen  Leinwandsorten  ist  leider  nur  wenig 
von  Russland  geschickt  worden;  das  Segeltuch  der  Kaiserlichen 
Alexandrowschen  Manufaktur  findet  zwar  verdiente  Anerken- 
nung,  allein  ihre  Nachbarschaft  wirft  einen  Schatten  auf  die 
gleichartigen  Erzeugnisse  anderer  russischen  Pabrikanten.  Im 
AUgemeinen  kimn  man  sagen,  dais  von  den  12  Einsendern 
(aufser  der  Alexandrowschen  Manufaktur),  nur  das  ausgezeich- 
nete  Tafellein  des  General-Majors  von  Mengden,  belobt  woo- 
den ist 

In  der  funfzehnten  Klasse,  welche  Pabrikate  verschiede* 
ner  Art,  und  insbesondere  Shawls  und  kleine  Tiicher  enthalt, 
sieht  man  einen  von  den  verabsehiedeten  Garde- Rittmeistem 
Merlin  eingesandten  sehr  schdnen  Shawl  von  ausgezeichnetem 
Gewebe  und  (iberaus  geschmackvoUem  Dessein;  man  bedauert 
dabei  nur,  dafs  dieses  aufserordentliche  Erz^ugnifs,  das  nicht 

Ermans  Russ.  Arcliiv.  Bd.  XI.  H.  3.  26 


^90  Industrie  und  HandeU 

Produki  der  Maoufaklurinduslrie  ist,  nicht  seinem  ganzen  Werih 
nach  geschatzt  werden  kann.  Ein  unler  den  Arbeiten  der 
Orenburgschen  Kosakenweiber  befindlicbes  Tuch  aus  weiOsem 
Ziegenhaar,  erregie  nicht  nur  wcgen  der  Feinheii  des  Fadens 
und  des  vortrefflichen  Gewebes  die  Bewunderung,  sondern 
war  auch  so  aufserordenilich  billig  laxirt^  dafs  er  gleich  den 
Tag  nach  Eroffnung  der  russischen  Abtheilung  verkauft  wurde. 
Ein  anderes  von  den  Fraulein  Bondarewky's  verferligtes  Tuch 
au3  Z^iegenhaar,.  das  den  abnlicben  scholUschen  Tiicfaero  weil 
Yorgezogen  wurde,  ware  ohne  Zweifel  ebenfalls  verkauft  wor- 
deOy  wenn  der  Preis  angesetzl  gevvesen  ware. 

Fur  die  sechzehnte  Klasse,  in  welcher  Leder,  Felle  und 
Pferdege3chirr  ausgesleilt  sind  und  an  der  skh.  35  russische 
Induslriellen  b^theilig^  haben,  verdienen  wir  den  uns  geaiach- 
ten  Vorwurf,  dafs  sehr  wenig  Juflen  und  Safiane  eingesandt 
worden  3ind,  die  einen  Hauptzweig  uuserer  Gewerblhaligkeit 
und  einen  der  wichligslen  G^genslande  unseres  in*  und  aus- 
landiscben  .HandeU  bilden.   —    Die  Gleichgulligkeit  mil  der, 
xvie    es  scheixtl,    un^ere   l^ederfabrikanlen  die  Einiadiuig  zur 
Beschickung  der  Londoner  Weltaus&tellung  aufgeaommen  ha* 
bj&n,  hat  in  Europa  der  falschen  Ansichl  Raum  gegeben,  als 
sei  diese  Industrie   bei  uns  in    ganzlichem   Verfall,   wahrend 
gerade  das  Gegentheil  am  Tage  hegt,  denn  die  fort\yahrende 
Befriedigung  aller  iin  ganzen  weilen  Reiche  an  diesen  Artikel 
gem^chten  Anforderungen,  wahrend  bis  zum  Anfang  des  neuen 
Jahrs  hohe,  dem  Verbol  gfeiche  Zolle  auf  fremdes  verarbei- 
letes  Leder  lasteien  und  die  Einfuhr  des  Pferdegeschirrs  ganz- 
hch  verbolen  war,  beweist,  wenn  auch  nicht  die  VoUkommen- 
heit,  so  doch  wenigstens  die  erforderliche  Giite*  und  den  Um-^ 
fang  dieser  Produktionen  in  Russland.     In   dieser  Abtheilung 
baben  nur   die  gegerbten  Kalbleder  und  jene  aiit  dem  Fell- 
haar    (Rawdugi)    des    Fabrikanlen   Skworzow    in    Moskau 
und  Miillers  Sliefel  aus  War^chau,  Anerkenpung  beim  PubU- 
kum  gefunden.    Aufmerksamkeil  erregten  auch  die  gegerbten 
S.chaffelle,  die  daraus  verfertigten  Tuluppen  und  die  ^ibirischen 
Zyobeirelle. 


Kin  Russ.  Urtheil  iiber  die  Buss.  Abtlieilung  d.  WeltaaMtellung.    391 

Unter  den  in  Russland  wohlbekannlen  Papierfabrikanten^ 
welche  Papier  ohne  Ende  verferligen,  haben  Drei,  Aristarchow, 
der  Staatsrath  5oIenikow  und  der  Kaufmann  Wargunin,  ihre 
Fabrikate  nach  London  geschickl,  die  der  Londoner  Klassifi- 
cation  sufolge  zur  siebsehnten  Klasse  gelidren,  in  welcher  auch 
die  von  Herrn  Dreger  in  Moskau  verferligten  chromo-lilho- 
graphirten  Zeichnungen  russischer  Allerthiimer  aufgeslelll  wor- 
den  sind.  Diese  letzteren  erregen  sowohl  vvegen  der  Sujets 
als  auch  der  vortreffiichen  Darstellung  derselben,  allgemeines 
Interesse  und  ziehen  in  einem  fort  die  Aufmerksamkeii  der 
Besucher  des  Glaspalastes  auf  sich,  die  es  sehr  bedauerni  dais 
nur  ein  Exemplar  dieser  in  ihrer  Art  gewifs  einzein  dastehen- 
den  (durch  wohlwollende  Cntersliilzung  des  Grafen  S.  T.  Stro- 
ganow  be(orderten)  Ausgabe  da  ist,  ieider  ohne  Preisangabe, 
da  mehrere  sich  das  Werk  zu  verschreiben  wiinschten.  — 
Das  Papier  ohne  Ende^betrefl'end,  wird  das  Schreibpapier  ho- 
herer  Nummern  aus  der  Aristarchowschen  Fabrik  einstimmig 
seiner  Qualitat  wegen  belobl  aber  zu  Iheuer  gefunden,  wes- 
halb  man  dam  Papier  des  Kaufmanns  Wargunin  den  Vorzug 
giebt,  das  verhalinifsmafsig  biiliger  ist.  Die  nach  SelPs  Me- 
thode  praparirlen  Schreibfedern  des  Herrn  Rjabzewitsch  in  St. 
Petersburg,  ziehen  trotz  des  slarken  Gebrauchs  der  Metall* 
feder  in  England,  viele  Kaufer  an. 

In  der  achtzehnten,  vorziiglich  den  gefarblen  und  gedruck- 
ten  Stofien  gewidmeten  Klasse,  haben  7  Moskausche  und  2 
Petersburgische  Fabrikanten  mit  ihren  vortrefilichen  Produktio- 
nen  die  russische  Ablheilung  der  Ausstellung  bereichert.  Das 
Urtheii  der  Kenner  ist  uns  noch  nicht  bekannt,  denen  diese 
Theilnahme  unserer  Fabrikanten  wie  Wasser  zam  Meere  tra- 
gen  vorkommen  mufs^  allein  wir  haben  selbst  einige  Verglei- 
chungen  dieser  Produktionen  mit  ahnlichen  anderer  Nationen 
angestelU,  und  konnen  dreist  versichern,  dafs  die  von  Rabenek 
und  Moltschanow  ausgeleglen  Adrianopelrothen  Game,  Ku- 
matsche  und  Jiicher  die  Koukurrenz  der  oslerreichischen, 
schweizerischen  und  belgischen  Fabrikanten  voUkomnren  aus- 
halten '  konnen.    Was  die  eigentlichen  gedruckten  Sachen  be- 

26* 


392  Industrie  and  Haadel. 

Iriffl)  so  vverden  vielleichl  die  Desseins  vom  vorigen  Herbst 
und  Winter  nicht  mehr  neu  sein,  alien  Anforderungen  dieser 
von  den  Russen  ausgestelUen  Fabrikate  aber  ist  init  alleni  Fleifs 
und  sehr  befriedigend  entsprochen. 

In  Teppichen^  ausgenahten  Sachen  und  Broderien,  welche 
zur  peunzehnlen  Klasse  geh5ren,  haben  9  russische  Industriel- 
ten  ihre  Ai*beiten  dein  Urlheil  des  Publikums  vorgelegt.  Un- 
ter  ihnen  ziehen  die,  alle  Auslander  inleressirenden  Waaren 
der  Siadt  Tor/ok  die  allgeipeine  Aufmerksamkeit  auf  sich,  be- 
sonders  aber  ein  mit  Gold  brodirles  Sammetkissen  einer  Tiflis- 
ser  Naberin>  <S6pbia  Popinow. 

Zur  zwauzigsten  Klasse,  die  in  dem  englischen  Kalalog 
die  sehr  unbestimmle  Aufscbrift  ^^Gegenatande  des  personlicben 
Bedarfs'*  fiihrt,  haben  russischer  SeiU  14  Industrielle  beige* 
sieuerL  Hier  inleressiren  am  meislen  das  Publikum  und  Hlie 
Cxperten  die  gewalkten  Striiuipfe  aus  den  Gouvernements 
Nijegorod  und  Archangel,  das  aus  Filz  gemachte  Hausgeschirr 
von  Bartowskji  in  St.  Petersburg,  die  translcaukasischen  Filz- 
miintel  (Burki)  und  die  Tabatieren  Lukutins,  dem  man  in  Hin- 
sicht  der  schonen  Malerei  auf  denselben  und  der  glueklichen 
Nachahmung  der  schottischen  Dosen  vollkommene  Gereditig- 
keit  wiederfahren  lafst,  nur  wird  deren  Preis  (bios  im  Ver- 
gleich  mil  den  Baierischen  Dosen)  uber  die  Maafsen  hoch 
gefimden. . 

In  der  ein  und  zwanzigsten  Klasse  ziehen  die  vorlreffli- 
cben  Messer  und  Gabeln  aus  der  Fabrik  der  Frau  Jakowlew, 
im  Gouvernemenl  Rjasan,  die  Aufmerksamkeit  des  Publikums 
und  der  Kenner  auf  sich.  Diese  Fabrik  war  sonsi  bei  uns  un- 
let dem  Namen:  die  Graflich  Brogliosche  bekannt 

Wir  wenden  uns  jelzt  zur  Durchsicht  derjenigen  Erzeug- 
nissei  welche  in  Wahrheil  die  Zierde  der  Ausstellung  genannt 
werden  konnen.  Diese  von  uns  selbst  ausgesprochene  Mei- 
nung  wird  Vielen  wahrscheinlich  als  zu  kiihn  erscheinen. 
Viele  werden  es  fiir  unmoglich  halten,  daf^  unser  Vaterland 
es  anderen  Landern  zuvorthun  oder  sich  ihnen  gleichslellen 
konne,  besonders  Frankreich,  dem  Gesetzgeber  im  Gebiel  des 


Etn  Rats.  Urtbeil  liber  die  Ruts.  AbtheilQng  der  Weltaasstellung.  393 

Gescbmacks  und  der  Mode :  allein  unsere  Ansicht  and  Ueber-' 
^eugang  ist  nicht  Ausfluss  palriolischer  Eigenliebe,  die  jedoch 
immerhin  sehr  verzeihiich  ware.  Die  Gewifsheit  unsers  Vor* 
rangs  sliiUt  sicb  auf  das  Zeugnifs  des  PublikumS)  das  immer 
aufs  Neue  zu  unsern  Malachiten^  Jaspissteinen,  Mosaiken,  Bron- 
zeOy  Porzellain-  und  Silbersachen  und  zum  ausgeleglen  Bril* 
lanischoiuek  gezogen  wird.  Mit  Stolz  baben  wir  den  Dank 
und  die  GluckwUnsche  des  Publikums  und  selbsl  der  Mitglie- 
der  der  Koniglichen  Kommission  vemommen,  welcbe  behaup- 
ten,  dafs  wir  viel  zum  Erfolg  der  Aussteilung  beigeiragen  ba- 
ben. '  Und  dieser  Erfolg,  wir  brauchen  es  nichl  zu  verheblen, 
ergiebt  sich  aus  mehrern  Tausend  Pfund  Sterbng  welcbe  die 
EintriUseinnahme  vergrofsert  baben.  Und  in  der  Tbat  ist  im 
nordlicben  Tbeil  der  russiscben  Abtbeilung,  der  insbesondere 
die  sogenannten  objels  d^arts.enlbalt,  jedes  einzelne  Stuck, 
jedes  Erzeugnifs,  eine  Perle  der  Aussteilung.  Aber  wie  scbwer 
ist  es  doch  dem  Gescbmack  und  den  Anforderungen  Aller  zu 
entsprecben,  besonders  den  Journalisten  es  recbt  zu  macben? 
Wabrend  diese  unsern  Kunsterzeugnissen  voile  Gerecbtigkeit 
wiederfabren  lassen,  linden  sie  dieselben  viel  zu  scbSn  und 
viel  zu  grofsartig  und  nur  gemacbt  um  Kaiserlicbe  PalSste 
auszuscbmucken,  nicht  furPrivalwobnungen;  diese  Leute  wis- 
sen  nicht,  oder  woUen  nicht  wisseti,  dafs  nicht  bios  die  rus- 
siscben Herrscbaften,  sondern  auch  unsere  wobibabendre  Kauf- 
leute  sich  bequemer  und  grSfser  einrichten  als  vie'le  englische 
Lords  und  Gentlemen. 

In  der  drei  und  zwanzigsten  Klasse,  in  welcbe  die  Sil- 
berarbeiten,  Edelsteine  und  vergoldeten  Bronzen  hingeboren, 
haben  wir  9  Aussteller:  3  Branzearbeiter,  4  Silberarbeiter  und 
2  Juweliere. 

Die  zwei  Bronze -Kandelaber  yon  Krumbugel  in  Moskau 
zeichnen  sich  durch  die  OriginaHtat  des  byzantinischen  Styles 
aus,  mit  dem  jetzt  zum  erstenmal  das  englische  Publikum  be- 
kannt  gemacht  wird.  Die  Gaste  des  Glaspalastes  lassen  ibnen 
voile  Gerecbtigkeit  wiederfabren.  Die  Reinbeit  der  Zeichnung, 
die  Einfachheit  des  Gescbmacks  ziehen  sie  an,  nachdem  das 


394  Industrie  nnd  Handel. 

krause  Gewirr  dea  franzosischen  bronse-rococo  sie  saUsam  er- 
iQiidel  hat.  Der  Kandelaber  von  Stange  mit  «la\vischeii  Krie-* 
gern,  in  deinselben  Slyl  komponirt,  hat  gleichfalls  die  Augen 
des  Publikums  auf  sich  gesogen,  das  sich  nach  Ansicht  dieser 
beiden  Kunstprodukle  iiberzeugt  hat,  dafs  wir  imn  nicht  mehr 
dem  fransosischen  Geschoiack  sklavisch  foigen^  sondern  un- 
sere  Kun$t  in  eine  Epoche,  die  des  russiscben  Sty  Is,  geireten 
ist.  Eine  in  Silber  ausgefuhrte  Gruppe  von  ^asikow  hat  die 
Vergleichung  mil  den  beslen  Produklionen  der  franzosischen 
und  englischen  Silberarbeiter  gliickiich  ausgehalten.  Die  Ex- 
perten,  welche  einen  so  ausgeseichneten  Fabrikanleo  iiiRuss- 
land  nicht  ervvarteten,  der  Genie  und  Talent  des  Kiinstlers 
mil  der  Meisterschafl  des  Handwerks  in  sich  vereinigt,  sind 
von  der  Schonheit  dieses  Slucks  iiberra^cht,  um  so-mebr  ats 
sie  erfuhren,  dafs  diese  Gruppe  von  dem  -  Fabrikanten  selbst, 
mil  Hiilfe  eines  russischen  Kiinstlers  entworfen  worden  isL 
Die  Neuheit  des  Styls^  die  Eleganz  der  *Zeichnung,  die  Pra- 
vision  in  der  Ausfiihrung  der  kleinen  Details  haben  <Sasikaw's 
europiischen  Ruf  begriindet. 

Dafs  die  silbernen  Arbeiten  Werchowzow's  aus  Si.  Pe- 
tersburg wirklich  getrieben,  und  nicht  gegossen  sind,  und  dafs 
sie  iiberhaupt  das  Werk  russiseher . Arbeiler  sind,  will  hier 
Niemand  glauben. 

Die  BriUianien  der  Uerren  Kammerer  und  SaEligen  ge- 
fallen  durch  den  edien  und  reinen  Geschmack  auGserordentlichy 
und  Kenner  bevvundern  die  gluckliche  Wahl  der  Rubinen, 
welche  einen  der  Grafin  Woronzow-Daschkow.  gehorenden 
Schmuck  unigeben.  Die  von  Bolin  ausgestelUen  Priizioseo, 
welche  denen  von  Kammerer  und  Saftigen  im  Geschmack 
nachstehen,  uberlreffen  dagegen  in  der  Fassung  Alios,  was  auf 
der  Ausstellung  dem  ahixlich  ist,  selbst  das  Diadem  der  Ko- 
nigin  von  Spanien  nicht  ausgenommen,  das  der  beriihmte  Pa- 
riser  Juwelier  Lemonier  ausgestellt  hat.  Hoop,  der.Erste 
unter  den  Kennern  in  dieser  Parlie,  der  die  beste  Sammlung 
von  Edelsteinen  in  England  besitzl,  hal  gleich  am.Tage  nach- 
dem  Bolin's  Arbeiten  ausgestellt  vvaren,  eine  seiner  Armspan- 


Bin  Ross.  Urtheil  iiber  die  Russ.  Abtheilnng  der  Weltausstellnng.  395 

gen  gekaufU  Das  Urlheil  eines  solchen  Richlers  ist  gewifs 
das  beste  Zeugnifs,  welches  fiir  Herrn  Boliu's  Leisliingen  ab<> 
gelegt  werden  kann. 

Die  Poreellanvasen  und  ein  Tisch  der  Kaiserlicben  For-* 
zellanfabrik  sind  die  einiigen  Vertreter-  dieser  russisehen  In- 
dustrie  in  der  iunf  und  zwanzigsien  Klasse  und  fessein  das 
Auge  des  Pubiikums  durch  ihre  schone  Malerei  und  dieGrofse 
der  Dimensionen.  Die  Kopie  eines  Gemaldes  von  Berghem 
auf  einer  Porzeliantafel  isl  ein  wahres  Meistersliick.  Des-- 
wegen  hat  die  Jury  diese  Tafel  unter  die  dreifsigste  Klasse 
gebracht,  in  welche  nur  die  schonen  Kiinste  gehoren« 

Die  sechs  und  zvvanzigsle  Klasse  isl  von  uns  wurdig  re* 
prasentirl,  ungeachtet  der  geringen  Zahl  der  AuSsteller.  Miil- 
ler's  Parket*s  iinden  im  Ptiblikuin  grofsen  BeifaJl  und  die  Btl^ 
ligkeit  derselben  setzt  Alle  in  Erslaunen.  Dieser  Umstand 
alkin  reichle  hin  das  Publikum  zti  (ibei^eugen,  dafs  sie  nichl 
van  Belgiern,  sondern  von  Russen  gemacht  sind.  Viele  aus-f 
serten  den  Wunsch  ihre  Wohnzimtner  zu  parketiren,  was 
ihnen  jeUt  wegen  der  Theurung  der  englischen  und  belgischen 
parketirten  Fufsboden  unmoglich  isl.  Es  ware  wunschens- 
werlh,  dafs  Herr  Miiller  hierauf  RUcksicht  nehmen  mochie, 
was  ihm  einen  neuen  Absatzkana)  eroffnen  k(^nnle.  Ein  all«r- 
liebsles  kleines  Arbeitstischchen  von  Scfaonfeld  fand  gleich  am 
Tage  nach  Croffnung  der  Ausslellung  einen  Kaufer.  Ein  Schrank 
des  Herrn  Ganibs  ziehl  taglich  durch  seine  schonen  Medallions 
mil  Porzellanmalerei  und  durch  reiche  Bronzeverzierung  Jeder- 
manns  Augeii  auf  sich«  —  Die  Wiirschauer  Tapeken  der  Her*, 
ren  Vetter  und.  Rahn  fallen  sogar  neben  den  Malachiten  auf, 
was  ihre  Wiirdigkeit  hinlanglich  bezeugt. 

Die  Malachitarbeiten  der  Demidowschen  Fabrik,  vielen 
Pelersburgern,  die  sie  vor  ihrer  Absendung  nach  London  ge* 
sehen  haben,  bekanni  und  von  ihnen  gehorig  gewiirdigt,  seizen 
die  aus  alien  Gegenden  der  Welt  versammelten  Beschauer  in 
Verwunderung;  haufenweise  drangt  man  sich  nach  der  russi^ 
schen  Abtheilung  um  dieses  Wunder  des  Glaspalasles  zu  se- 
hen.    Ein   Uebergang  von   der  kleinen  Brosche,   welche  der 


396  Indostrie  und  Handel. 

Melachil  als  kostbarer  Stein  zierl,  bis  zu  kolossalen  Thiirfld- 
geliii  schien  ganz  unmoglich;  man  wollte  nichi  glauben,  dab 
diese  ThiirflUgel  aus  demselben  Materia],  das  bisber  als  Sei- 
tenbeil  betrachlel  wurde,  gemacht  seien.  Die  kleinen  Sachen 
derselben  Fabrik-  haben  eine  Menge  Kaufer  gefunden.  Unter 
diesen  erwiihnen  wir  bios  der  Bronze-Abgiisse  der  Pferde  des 
Baron  Klolh  auf  einem  Piedestiii  von  griinem  Marmor.  Einer 
der  ersten  Kunslkenner  Englands,  Lord  Ellesmere,  hat  sie 
gekaufl. 

In  der  steben  und  zwanzigsten  Klasse  sehen  wir  wenig 
Vertreler  der  russiscben  Industrie;  hier  aber  tritt  der  reelle 
Werth  an  die  Stelle  der  Menge.  Uie  kolossalen  Produktionen 
der  Jekaterinburgschen  Schleiffabrik  und  der  Kolywanschen 
Fabriken,  die  mit  ihren  Dimensionen  alles  verdunkeln,  was 
das  klassische  AUerthum  uns  binterlassen  bal,  sind  dem  euro- 
paischen  Publikum  hinreichend  bekannU  Die  Jaspis-Vasen 
und  Schalen  der  genannten  Fabriken  haben  die  Erwartungen 
des  Publikums  nicht  getauscht,  das  an  ihnen  alle  Vollkommen- 
beiten  wiederfand,  welche  diese  Produktionen  immer  auszeich* 
nen.  Kenner  behaupteten,  dafs  das  Dessein  an  den  Vasen  und 
die  Zwischenraume  zwischen  den  Figuren  und  Pflanzenblattem 
mit  einem  Diamatit  geschnitten  und  poJirt  seien,  und  wir  wa- 
ren  gen5thigt  ihnen  eine  lange  Vorlesung  tiber  das  Verfahren 
der  Fabriken  zu  balten,  ehe  wir  sie  von  ihrem  Irrthum  be- 
freien  konnten. 

Eine  wahre  Zierde  aber  der  russischen  Al>theilung  ist  eine 
Schatiille  mit  Mosaik  in  alto  relievo,  aus  der  Kaiserlichen  Pe- 
terhofschen  Schleiffabrik.  Urn  dasEntziicken  aller  Weit  tiber 
dieses  Meisterstiick  auszudrucken,  miifste  man  ein  ganzes  Wor- 
terbuch  der  Lobspriiche  schreiben.  Diese  SchatuUe  ist  der 
Gegenstand  des  Tagesgesprachs  und  wird  dem  Publikum  zu* 
gleich  mit  den  ubrigen  Wundem  des  Glaspalastes  in  dauem- 
dem  Gedachtniss  bleiben.  Mehrere  Personen  brachten  den  gan- 
zen  Tag  vor  diesem  Kunstwerk  zu  und  betrachteten  es  bei 
allem  moglichen  LichtefTekt,  Morgens  und  Mittags  bei  voller 
Sonncnbeleuchtung,  deren  Strahlen  den  todten  Steinen  Leben 


Kin  Russ.  Urtheil  liber  die  Ross.  Abtheiluftg  der  Weltansstellung.  397 

zu  geben  schi^nen.  ,,I  should  like  to  eat  them'^  sagte  der  Prinz 
von  Wales  als  er  die  safligen  Trauben  an  dem  amethystenen 
Zweiglein  sah  und  dieses  ungektinstelte  Entzucken  des  K5nig- 
lichen  Kindes  isl  das  beste  Lob.  Es  ware  unbillig  iiber  das 
Kunstwerk  den  Kiinstler  zu  vergessen,  sein  Name  isi  Kakowin. 
Er  selbst  isi  hier,  als  redender  Beweis  der  unerreichbaren 
Vielseiligkeit  des  russischen  Nachahmungstalents^  das  alle 
Zweige  der  Industrie  und  Kunst  selbst  die  der  florentinischen 
Mosaik  nichi  ausgenommen  umfafst. 

Per  Graf  Tolstoi  ist  der  einzige  Vertreter  unserer  scho- 
nen  Kiinste,  in  der  dreifsigsten  Klasse.  Die  Erzeagnisse  die- 
ses Kiinstlers  ersten  Ranges  sind  schon  hinlanglich  in  Europa 
bekannt  Die  Zeitgenossen  haben  sie  wurdig  geschatzt  und 
ganz  Europa  hat  den  Palriotisinus  des  Mannes  voile  Gerech- 
tigkeit  wiederfahren  lassen,  der  mit  unsterblichen  Griffel  die 
Weltbegebenheiten  einer  grofsen  Epoche  den  Tafeln  der  Ge- 
schichte  ubergeben  hal.  Dem  kunstlerischen  Wertb  der  Ge- 
daehtnifstafeln  des  Grafen  Tolstoi  hat  Niemand  den  Ruhm 
versagt  Rivalen  hat  dieser  Kiinstler  nicht(?!);  sein  Name  ge* 
hdrt  der  Nachwelt  an. 

Vom  TreSlichen  dahingezogen,  haben  wir  die  neun  und 
zwanzigste  Klasse  bbergangen.  Diese  umfafst  AUes,  was  un- 
ter  die  andern  nicht  klassifizirt  werden  konnte.  Von  den  rus* 
sischen  Erzeugnissen  sind  bier  Waehs-  und  Stearinliehter  und 
Seife  ausgestellt,  Gegensiande,  die  dem  Urtheil  des  Publikums 
nicht  unterliegen,  und  in  der  That  ist  es  sehwer  den  Werth  der- 
selben  nach  dem  blofsen  AeuCsern  zu  taxiren.  Dennoch  haben 
Kenner  den  Wachslichtern  von  Sapelkin  in  Moskau  und  den 
Stearinlichtern  von  Pitancier  in  Odessa  und  Matthiessen  in  St. 
Petersburg  den  Vorzug  gegeben. 

Nachdem  gleicb  im  Anfang  dieser  unserer  Durchsicht,  in 
der  Kiirze  die  Zahl  der  Personen  und  Fabriken ,  die  sich  mit 
rohen  und  halbverarbeiteten  Produkten  aus  dem  Mineral-, 
Pflanzen-  und  Thierreich  an  der  Weltausstellung  belheiligt  ha- 
ben, angegdben  worden,  glauben  wir,  dais  es  unsern  Lands- 
leuten  interessant  sein   wird   auch  zu    erfahren,   in  vvelchem 


398  Indailrie  vnd  Handel. 

Umfang  und  in  welcher  Diversitat  man  diese,  die  solidesle 
Quelle  unsers  Nationalreichihums  bildende  Prodifkle,  dem  Ur- 
iheil  des  Publikums  vorgelegl  hat. 

Die  rohen  Produkte,  die  nach  der  Einlheiliing  der  Konig* 
lichen  Konmiisston  (eugleich  mit  den  chemischen)  in  die  ersle 
Gruppe  verselzt  worden  sind^  befinden  sich^  getrennt  von  den 
Fabrikaten,  in  der  Siidhalfte  der  russischen  Ablheilung  der 
Ausslellung,  zwischen  den  Departemenlen  der  Vereinigten  Staa- 
ten  von  Nordamerika  und  des  Deutscfaen   Zollvereins.     Fiir 

9 

dieFreunde  der  Landwirthschaft  erhebt  sich  hier  eine  aus  den 
reichen  Gaben  des  fruchtbaren  Bodens  Kusslands  erbautePy* 
ramide.  Die  Tische  iangs  den  die  russische  Abtl^ilung  be- 
granzenden  und  mit  Segeltuchen  drappirten  Wanden,  sind  mit 
verschiedenen  Proben  unsers  Hants  und  Flachses  belegt  Vor 
der  Pyramide,  welche  die  Englander  mit  dem  Namen  y,Tro- 
phee**  beehren,  sind  Wollenfliefse  ausgelegt;  die  Produkte  des 
Mineraireichs  erfiillen  das  iiufserste  Ende  dieser  Abtheilang. 

Schon  ein  fltichtiger  Ueberblick  der  Ausstellung  unserer 
Naturprodukte  wird  einen  jeden  Besucher  des  Glaspalastes 
von  dem  Reichlhum  und  der  Mannigfaltigkeit  der  Erzeugnisse 
iiberfijhren,  mit  denen  die  giitige  Vorsehung  unser  Vaterland 
gesegnet  hat.  Sehet  diese  Getraide-Trophee^  ihr  findet  daran 
dieFriichie  alter  Kiima.  VomGipfel  neigt  sich  derDonischen 
Kosaken  blaulichschillernder  Waizen  in  voilen  Garben  herab, 
und  der  Sachverstandigen  Haupiaugenmerk  ist  auf  sie  gerich- 
tet.  Den  Korper  der  Trophee  (iillt  eine  reiche  Sammlung  von 
Gelraidearten  und  Futterkrautern  aus  dem  nordlichen  Russ- 
land,  welche  unser  bekannter  Freund  der  Landwirthschaft,  Graf 
Kuschelew,  von  seinem  Gute  bei  St  Petersburg  geschickt  hat 
Diese  Kollektion  erfreut  sich  der  allgemeinen  Anerkennung 
und  zeugt  von  den  in  unserem  LandJ^au  seit  den  lelzleu  15 
Jahren  eingefuhrlen  Verbesserungen,  die  wir  den  aufgekliirten 
Bemilhungen  des  Uerrn  Ministers  der  Reichsdomainen  zu  ver- 
danken  haben.  Der  Untertheil  und  die  Stufen  der  Pyramide 
sind  milVasen  beseizt,  welche  die  Getraidekorner  und  andern 
Samereien  und    vegelabilischen   Produkte    cnlhalten,   die  zur 


Kin  Ross.  UrtbeH  iiber  dra  Rum,  At^tbeUang  der  WelCaasstellting.  399 

Nahrung  dknen  oder  in  Fabrikea  verarbdtet  werden.  Auch 
bier  findet  der  Beobachter  P^odukle  der  versehiedensten  Klir 
mate,  des  Nordens  Roggen,  Uafer  und  Gerste  heben  Mais, 
Reiss^  Saflor,  Safr-aa  und  BaumwoUe  des  Sutacrslen  Sildens.  — 
Kenner  haben  besonders  den  Hafer  des  jaroslawschen  Guls^ 
besiUers  Karnowitsth  beitoeiit,  wahrend  sich  das  grofaere 
Publikum  mehr  fiir  die  grUnen  Erbsen  der  Bauern  Mjagkow, 
Chochlokow  und  Grigorjew  im  GouvernemenI  Jaro^law,  m* 
teressirt  und  deren  Biiligkeit  und  die  einfache  Art  sie  su  kon- 
serviren,  bewundert  Die  Fleicbboaiilon  des  wologdaerBaiiers 
Je/ow  und  der  Kaviar  der  Herren  VV^ewolo/ski  sind  Gegen* 
stand  wiederholter  Fragen,  wie,  wann  und  womil  der  Kaviar, 
trotz  seiner  schwar^eii:  Farbe  gegessen  wird  und  wie  theuer 
die  Bouillon  wobl  sein  vviirde,  ^enn  oian  sie  von  Je/ovv  ver-^ 
schriebe* 

Unser,  den.Englandem  langst  bekannte,  Flaehs  undunser 
Hanf  Ziehen  Kenner  und.  Kaufleule  immer  aufsNeueaOy  welche 
die  in  der  russischen  Abtheilung  befindLichen  ausgeaseichneten 
ProbeQ  dieser  Materiale  bewundern,  obgleich  hier  und  da  das 
Bedauern  gehorl  wird,  dafs  diese  Produkte  nicht  immer  in  der 
Gute  ihnen  von  Russiand  zugefuhrt  werden 9  wie  die  Proben 
hier  gewahit  sind.  —  Unsre  WoUe,  besonders  die  Vliefse  der 
Gorygorezkischen  Musterferme  und  der  Guter  Schlofs  Trikalen 
und  Bargam,  werden  den  besten  Clektoralwollen  gleichgestellt. 

Noch  befriedigender  und  reicher  erscheint  unsere  Ausstel- 
lung  in  der  Abtheilung  der  Mineralien.  Einige  der  Kronsberg- 
werke  haben  sehr  lehrreiche  geologische  und  metallurgische 
Sammiungen  eingesandi,  die  durch  systematische  Aufstellung 
die  Aufmerksamkeit  der  Fachgelehrten  auf  sich  ziehen  und  es 
ist  keinem  Zweifel  unterworfen,  dafs  diese  KoUektionen,  nach 
dem  Schlufs  der  Ausstellung,  einen  ehrenvollen  Platz  in  den 
Museen  Englands  einnehmen  werden.  Das  Plalteneisen  und 
Kupfer  inTafeIn  unsrer  Privathiitten  stehen  unter  den  gleich- 
arligen  Artikeln  anderer  Lander,  oben  an.  Das  Plalteneisen 
der  Frau  Ponomarew  hat  ein  voUslandiges  unbestrittenes  Lob 
geerntet  und  die  kolossalen  Kupferplatten  der  Herren  Demi- 


400  Indnatrie  and  Handel. 

dow  seUen  darch  ihre  Grofse  Jedermann  in  Erstaunen.  Fiir 
ihre  Ausslellung  verdienen  die  Herren  Demidow  den  aufrich- 
iigsten  Dank  Russlands.  KeineMiihe^  keineAusgabe  scheuend, 
haben  sie  sich  mii  ihren  koslbaren  Produktionen,  ak  die  edlen 
Slreiter  fiir  Russlands  Ehre,  demUrlheil  derWeli  dargestelli. 
Die  sahllosen  Besucher  des  Glaspaiastes  bewundern  die  Man- 
nigfalUgkeit  der  von  den  Herren  Demidow  ausgeslellten  Ma- 
teriale  Und  Indusirieerzeugnisse  und  erstaunen  iiber  den  Reich- 
thum  des  russiscben  Bodens  und  iiber  die  Gewandibeit,  mil 
welcher  der  Russe  die  Gabon  der  Vorsehung  ku  benulzen 
verstebt  *). 

Unsere  chemischen  Produkte  haben  wir  in  Gesellschaft 
des  Herrn  Chevreuil  durchgesehen.  Die  beilMiligen  Aeiiliserun- 
gen  dieses  Chemikers  von  europSischem  Rufe  liber  einige  in 
der  russiscben  Abtheilung  befindlichen  Chemikalien,  konnen 
unseren  chemikalischen  Fabrikanten  als  scbmeichettrafte  Auf- 
munterung  su  weiteren  Fortschritten  in  diesem  bei  una  nocli 
jungen  Indusiriezweige  dienen. 

SchliefsHch  konnen  wir  versichem,  dab,  ungeacfateb  Kiirze 
der  Zeii  und  physische  Hindemisse  das  Beschicken  derWelt- 
ausstellung  erscbwert  haben/  unsre  Industrie  dennoch  in  einer 
sehr  wiirdigen  Art  reprasentirt  worden  ist. 


*)  Von  deoi  Uralisclien  Bulat,  wegen  deuen  Wurdigaog  wir  friiber  aof 
die  Londoner  Aasstellang  verwiesen  Iiaben  (in  diesem  Archive  Bd.  IX. 
S.  535)  scbeinen  gar  koine  Proben  dahin  gelangt  zu  sein!  B.     ^ 


Nachrichten  iiber  die  sogenannten  Schwarzen 

Kir^sen. 


Die  heutzutage  vob  den  Schwarzen  Kirgisen  eingenommenen 
Lander  sollen  ehemak  latarische  (nogajische)  Stamme,  die  an* 
geblich  sesshaft  waren,  zu  Bewohiiern  gehabt  haben.  Als  Be- 
weis  fiir  die  Wahrheit  dieser  Ueberlieferung  fiihrt  man  Triim- 
mer  alter  Befestigungen  an,  deren  Spuren  noch  sichibar 
Cinige  Schwarze  Kirgisen  leiien  ihre  Abl^unft  von  den  Noga-- 
jern;  Andere  behaupten,  ihr  Stammherr  Kirgis-Bai  habe  mil 
zwei  SShnen,  Alygen  und  Togai,  und  vielen  ibm  untertbani- 
gen  Geschlechtem,  urn  vor  den  Bedruckungen  des  Nogajer- 
haupUings  Mana«  und  seines  Sohnes  Sametei  sicher  zu  sein, 
von  den  Ufern  des  Ui  in  die  Be'rge  gen  Stiden  sich  gezogen. 
Der  altere  Sohn  des  Kirgis-Bai  bemeisterle  die  Lander  im 
Quellengebiete  des  Amu-Darja,  5yr-Darja  und  einiger  minder 
bedeuiender  Fliisse,  die  dutch  das  Land  Kaschkar  fliefsen; 
der  jiingere  aber  nahm  mit  den  ihm  untergebenen  FamiUen 
das  Land  um  den  See  I^i-Kul  in  Besiiz. 

AUe  zu  dieser  Horde  gehorenden  Stamme  nennen  sich 
schlechlhin  Kirgisen.  Kara-Kirgis,  d.  i.  Schwarze  Kir- 
gisen werden  sie  von  den  iibrigen  Horden  und  nahen  Nach- 
barn,  z.  B.  den  KokanderUi  KaschgarerUi  sogar  von  den  Chi- 


402  Historisch-linguistisclie  Wissenschaften. 

nesen  geoannt.    6ei  den  Russen  hcissen  sieDikokamennye, 
d.  i.  wildsleinige,  wildfelsige.  *) 

Politisclier  Zustand  der  Horde.    Eine  geringe  Zahl 
Schwarzer  Kirgisen,    die  in   den  Bergen    bei  Karatigen   und 
Kaschkarien nomadisiren,  bekennen  sichals Unterlhanen Chinas; 
doch  bat  die  ganxe  Horde  bis  1843  den  Chanen  von  Kokand 
Tribut  entrichlet;  nachdeni  aber  ini  Jahr  1842  die  Bucharen 
den  Muhammed-Ali-Chan  gelodlet^  und  in.  Kokand  Unruhen 
ausgebrochen,   haben    die  uin  den  I««i-Kul  weidenden  vor- 
nehmsten  Geschlechler  der  Schwarzen  Kirglsen  sich  unabhiin- 
gig  erklarly  und  die  Kokander  aus  den*  kleinen  Forts  mit  Be- 
satzungen  von  40  —  60  Ma^n  vertrieben,  welche  an  den  Fiiiss- 
chen  Karakol,  BaAaun  und  Konur-Ulen  errichtet  .waren,  urn 
die  Handelskaravanen  zu    beschiitzen   und   der   Einsammlung 
des  Tributs  Nachdruck  zu  geben. 

Eintheilung  und  Regierung.  Die  ganze  Schwatfte 
Horde  zerfalU  in  viele  Geschlechler,  von  denen  Bogu,  5ary- 
Bagysch,  Sulty  u.  A.  die  vornehmsten  siad.  Jedes  Geschlecht 
regierl  ein  Manap,  der  mit  Stimroenmehrheit  gewahlt  wird. 
Diese  Wiirde  ist  nicht  erblicb,  sondern  kommt  vorzugsweise 
an  Sohne  oder  sonstige  Blutsverwandlen  eines  au^etretenen 
Manap,  wenn  Reichtfaum  und  personliche  Vorziige  sie  ehr- 
vtriirdig  machen. 


*)  Aucb  Dikie  (Wilde)  oder  K  am  en  n  ye  (Felsige,  Felsenbewolmer) 
allein,  ?erstebt  sicb  immer  mit  dem  Zusatze  Kirgisy.  Nacb  Pater 
Hyacinth  nennt  ein  Stanim  sicb  selber  Kara-Kirgis,  Der  Natio- 
nulname  Kirgisen,'  welcber  dem  bier  besprocbenen  Volke  allein 
zukommt^  hi  falscblicb  aucb  auf  ihre  (una  viel  besser  bekannten) 
nordliclien  Naehbarn  itbertragen  worden,  die  meh  selber  Kaftak 
nennen.  Diese  heissen  bei  den  Chinesen  Ha-sa-ki,  jene  aberKi- 
li-ki-sfe  Oder  Ki-ki-sXe.  MitErsteren  baben  die  Cbioesen  nicht 
friiber  als  unter  der  beatigen  Dynastie  Bekanntschaft  gemacbt,  Lez- 
tere  aber  (die  wabren  Kirgisen)  waren  ibnen  scbon  bekannt,  ebe  sie 
ibre  ost^ibiriscben  Ursitze  (zwiscben  der  'Selenga  and  dem  Jeni^ei) 
verlassen  batten. 


Nachricbten  uber  die  sogenannten  Schwarzen  Kirgisen.  403 

Zahl  der  Bevolkerung.  Uiese  ist  unbekannt,  da  die 
Kirgisen  selber  sie  nur  annahernd  berecbnen.  Die  Manap^s 
Urman,  D/antai  und  D/ankaralsch,  welche  1847  den  Wunsch 
ausserten,  russische  Unterlhanen  zu  werden,  berechiien  die 
ihnen  uniergebnen  Kirgisen  auf  40000  Jurlen ;  das  Gescblecht 
Bogu  aber  (unter  dem  Manap  Buroni*Bai)  soil  10000  Jurten 
zahlen  und  100000  Pferde. 

Grenzen.  Auf  Karten  bezeichnet  man  gewShnlich  die 
Schneegebirge,  welche  den  See  h^i-KuI  umziehen,  als  Gren- 
zen der  Schwarzen  Kirgisenhorde;  allein  die  Kirgisen  erken- 
nen  diese  Grenzen  nicht  an  und  nomadisiren  unbehindert  osl- 
warts  voni  b«i-Kul  bis  zur  chinesischen  Piquetstrarse  (von 
Kuldja  nach  Akxu),  sudwarls  bis  zu  deu  unabhUngigen  kleinen 
Slaaten  Badachschan  und  Karatigen^  west  warts  bis  Kokand 
und  Taschkendy  und  nordwarts  bis  ins  Gebirge  Kungi-Ala-Tau 
und  am  oberen  Laufe  des  kleinen  Flusses  Tscharyn. 

Berge.  Die  nicht  groCse  Laudstrecke  auf  welcher  die 
Schwarzen  Kirgisen  hausen,  wird  .in  verschiednen  Richtungen 
von  Bergketten,  nicht  selten  schneebedeckten ,  durchschnilleni 
welche  im  Norden  Abzvsreigungeu  des  Belur-Tag  sind. 

Die  erste  Schneekette,  vom  Kaschkar-Dawan  abgezweigt, 
ziehl  nordwarts;  sie  kriimmt  sich  um  ein  Quellengebiet  des 
Amu-Darja,  4as  Alai  heisst,  wo  sie  unter  dem  Namen  Te- 
rekty-Dawan  bekannt  ist;  alsdann  zieht  sie  ostwarts,  und 
nimmty  sich  verzweigend,  von  den,  ihren  Fufs  bespulenden 
Fltissen  verschiedne  Namen  an,  als  Ton^Burun,  Toin-Tau 
und  Kogortyk « Tau.  Die  zweite  Schneekette,  mit  dem  Ge* 
sammtnamen  Kirgisnyn-Ala-Tau  (Alatau  der  Kirgisen),  nimmt 
eine  westliche  Ricfatung,  und  zwar  mit  den  verschiednen  Be* 
nennungen  Ketmen-Tube,  Karabura,  Kendyr-Tau,  Boroldai; 
sie  endet  mit  den  Bergen  Kara-Tau,  bei  der  Stadt  Akmet* 
schet.  Ostwarts  theilt  sich  dieser  Hohenzug,  nach  seiner  Ver- 
einigUBg  mit  dem  Kungi-AIa-Tau,  in  viele  Zweige,  welche 
das  Quellgebiet  des  Hi  umziehen  und  den  gemeinschafllichen 


404  Historitch- Unguis tische  Wissenschafteri. 

Nainen  Musard-Dawan  (Eis-Gebirg)  fiihren.  *)  Einer  die- 
ser  Zweige  giebt  sieben  FItissen  ihr  Dasein  und  ist  unier  dem 
Namen  Ala-Tau  (bunter  B^erg)  bekantit.  Die  driUe  KeUe  Kungi 
Ala  Tau  vereinigt  sich  ostwSrts,  auf  dem  Queliengebiete  des 
kleinen  Flusses  Tup,  mit  dem  Kirgisnyn-Ala-Tau,  und  endet 
im  Westen  mil  unbedeulendeh  Hiigeln,  welche  das  rechte  Ufer 
des  Flusses  Tschu  ausmachen. 

Die  Abdachungen  der  vornehmsten  Bergriicken  sind  zu- 
weilen  mit  Schnee  bedeckt,  im  Sommer  aber  sehr  tippige 
Weideplalze  und  gewahren  angenehme  Zuflucht  vor  der  Hilze. 
Besonders  merkwurdig  ist  die  sudliche  Abdachung  des  Kirgis-^ 
nyn-Ala-TaUy  welche  den  allgemeinen  Nanien  <Syrt  (Riicken) 
oder  5ary  Jas  fiihrt,  und  auf  welcher  viele  Slamme  der 
Schwarzen  Kirgisen  sogar  dep  ganzen  Winter  hindurch  no- 
madisiren,  * 

Alle  die  aufgeziihllen  Bergketten  haben  naturlicbe  Durch- 
gauge  oder  vertiefte  Einschnitte,  die  A«u  heissen.  In  diesen 
Vertiefungen  (allt  der  Schnee  schwach  uiid  schmilzt  bald,  da- 
her  man  in  jeder  Jahreszeit,  sogar  mit  schwerem  Gepacke, 
durch  die  Bergketten  reisen  kann. 

Seen.  Den  Mittelpunkt  des  Gebietes  der  unabhangigen 
Schwarzen  Kirgisen  bildet  der  mehrerwahnte  Im-Ku1  (heisse 
See).  DieserSee  liegt  in  einer  ausgedehnten Ebene,  die  von 
den  Schneekelten  Kungi  und  Kirgisnyn-Ala-Tau  umgeben  ist 
Er  hat  Ueberfluss  an  Fischen  und  eine  sehr  fruchtbare,  von 
vielen  Fliisschen,  die  mit  Waldern  und  Gebiischen*  gerSndert 
sind,  bewasserle  CJmgegend.  Von  alien  Seiten  durch  Schnee- 
berge»  geschirnit,  gewahrt  der  I««i-Kul  seinen  wilden  Anwoh- 
nern  ein  sicheres  Asyl,  und  die  Fruchtbarkeit  des  Erdreichs 
macht  es  zur  Winterweide  sehr  geeignet.   Der  See  hat  seinen 


')  Daw  an  (far  Dabagan)  ist  eigentlich  niclit  Gebirg  oder  Bergkette, 
sondern   Bergpaas,   Bergstrafse,   wie    das   chinesUche    J:: 
Ling. 


Nftchricliten  iiber  die  sogenannten  Scbwarzen  Kirgisen.         405 

Namen  daher,  weil  er  niemals  cufriert  Seinen  Umkreia  be- 
rechnel  man  ^uf  450  WetsI,  die  Lange  auf  2iX)y  und  die 
grSIsle  Breite  auf  80.  Er  hat  niedrige,  sandige  und  dieilweiae 
aumpfigei  mii  Rdhricht  bewachsene  Ufer.  Das  Wasser  dee 
Sees  ist  im  Friihling  und  Sommer  wenig  cum  Gebrauch  ge- 
eignet^  im  Herbst  und  Winter  nimmt  es  einen  schlechten  Ge- 
ruch  an;  dasu  ist  es  bitter  und  der  Gesundheit  scbadlich. 
Die  Tiefe  des  Sees  isi  unbekannt,  man  hUlt  sie  aber  tiir  be- 
deutend.  Viele  ersShleni  ein  Theil  vom  SsUichen  Ufer  des 
Imi-KuI  set  zur  Zeit  der  Nogajer  mit  einigen  Dorfem  dieses 
Volkes  in  ansehnlicher  Ausdehnung  in  den  See  gestiint;  und 
hieraus  will  man  die  schiechte  Beschaffenhat  desWassers  er- 
klSren.  Uebrigens  hat  diese  Tradition  etwas  itlr  sicb;  denn 
nach  heftigen  Stiirmen  pflegt  der  See  allerki  biiusliche  Ge* 
rathscbaften  aussuwerfen;  so  s.B.  warfen  seine  Wellen  im  J. 
1842,  an  der  Siidseite  des  Sees,  nicht  weit  vom  Vorgebirg 
«Kara  Borun  (Sdiwarxnase)  einen  ungeheuren  kupfemen  Kes- 
«el  ans  Ufer,  welehen  Beamte  von  Kokand  in  Beschlag  nah« 
men  und  an  den  Hof  schickten.  Im  vergangenen  Sommer 
fand  man  am  nordlichen  Ufer  des  Sees^  bei  der  Mtindung  des 
Fliissehens  Ak-Su,  nadi  rinem  Sturme,  einen  anderen  Kessel, 
der  kleiner  war  als  der  erste,  und  jext  von  dem  Stamme  Sary 
Bagyscb  aufbewahrt  wird. 

Fiiisse.  In  den  See  Issi-Kul  miinden  viele  kleine  FliissOi 
aus  den  oben  erwiihnten  Bergketten  entspringend;  die  grSs- 
sesten  haben  einen  Lauf  von  nur  70 — 90  Werst  Sie  sind 
im  Allgemeinen  rei^send,  haben  steiniges  Betle  und  in  ihrem 
QuellengeUet  steile,  mit  Tannenwaldung  bewachsene  Felsen- 
iffer.  Sie  lassen  sich  zu  jeder  Jahreszeit  durchwaten.  Im 
FriihUng  enthalten  sie  sebr  viele  Fische,  welche  die  Kirgisen 
mit  Stficken  schlagen  und  in  seltfdrmigen  Sacken  fangen.  Die 
vomehmsten  dieser  Fiiisse  sind:  Tup,  Irgalang,  Karakol,  Irtyk, 
Kysyl-5u,  Juvki  oder  Souvki,  Baskaun,  Djlty-Ugus  (?),  Schar- 
pyldak,  Tong,  Konur-Ulen,  Ak-5^u  etc.  Von  diesen  haben  Ir- 
galang und  Kysyl-iSu  in  ihrer  Queilgegend  heisse  Quellen,  die 

EnMDS  Run.  Archhr*  Bd.  XI.  B.  3.  27 


406  HistorisGh-lingaiatlflche  Wittenschaftei)* 

Ara«an  hasaen.  *)  Das  Fiusscheo  Juvki  isi  beiueikenswertJi^ 
well  die  vornehmsien  Karawanen#lrafsen  iiber  <ta^elbe  nach 
Kaschkar  und  Kokand  gehen.  An  verschiednep ,  in  den  I«#i* 
Kul  mundenden  Fliitscben  habeo  die  Kirgisea  gegen  25  Was- 
sermublen  errichtet. 

An  den  nordlichen  Abhangen  des  Sehneegebirgea  Kirgis* 
jiing«-Ala-Tau  enUpringi  der  groiise  Flusa  Tachu,  welcher  aua 
den  kleinen  Fltissen  Kotscbkar-iSwiy  D/uiiigal*Schaniai  undKa- 
rakotschir  entsteht.  Indem  dieser.Fluss  die  Schneekette  durch*- 
achneidel^  empiangl  er  an  der  rechlen  Seile  ^inen,  aus  dem 
lii^i-Kulatrooienden  kletnen  Flusa  Kutemaldy,  ,Der  Lauf  des 
Tschu  iat  oberhalb  sehr  reissend.  Ufer  und  Beite  $ind  stei- 
iug;  uhierhalb  atroiut  er  durch  etne  sand^e  Elbene  uad  hat 
immer  Uriibes  Wasaer.  VonFisdien  enihSU .  ^r  Welae,  Zander, 
den  Karpfen  Sasan  u.  s.  w. 

Am  linken  Ufer  des  Tscbii  liegen  %!^e\  kokaodiscJie  Dif- 
fer: Tokmak^Kurgan  und  Piscfapek,  das  erstere.  250,  das  aor 
dere  360  Werst  voa  der  Quelle.  Nach  Pi^cbpek  komml  aU- 
jahrlich,  im  Friihling  und  Herbste,  eiiie  Abiheilong  Kiptschaker, 
um  von  den  behachbarten  Kirgisen  Tribui  einziisammeln. 
Die  bestandige  Garnison  dieses  Ories  ist  nichl  bedeu(end»  dock 
etwas  starker  ak  die  der  iibrigeft.  Man^versieheri,  iias  in 
Pischpek  slehende  Detachement  sei  iin  vorigen  Sommer  (1850) 
10000  Reiter,  mit  einigen  auf  Kameelen  trabsporlirten  Ge* 
schiitzen,  stark  gewesen.  Von  Pischpek  an.  werdcA  die  Ufer 
des  Tschu  sandig;  die  .Lange  des  Flusses  j^chatst  man  auf 
900  Werst.  • 

Der  FIuss  Tatas  ehtspringt  in  drei  Quellen,  die  Utsch* 
Kosch-iSai  heissen,  aus  der  Sehaeeketie,  wekfae  diesen  Fluss 
von  dem  Tschu  abscfaeidet.  An  seiriem  linken  .Ufer»  nahe  den 
Schneebergen,  und  75  Werst  vom  Uraprung,  baben  die  Ko* 


•)  Dieses  Wort  erinnert  an  arsian,  wie  die  Mongolen  jedes  minera- 
lisclie  Heilwasscr  nennen,  arsprunglich  aber  das  geweihte  Wiasser  in 
Tempeln.  —  Zam  Grande  liegt  Sanskrit,  ra^^jana  ein  Trank  der 
Unsterbliebkeit.  A.  d.  Uebers. 


Nachriditeli  nber  die  aot^aannteii  Sckwinen  Kirg:i8en.         407 

kaadcr  eiiie  Fcstung  Auvlie-Ta  errichtel,  dercn  kltioe  Garni- 
son  die  nach  Kokand  il  8.  w.  al^ehenden  Karawanen  vor  den 
Ueberfallen  der  Schwarzm  KirgiseB  beackaizen  soU.  Der 
Tala«  drinigt  in  reissendem  Laufe  aus  den  Bergen »  slrftmi 
dutfeh  sandige  Steppen,  und  falit  in  den  See  Kara^KuL 

Der  Fluaa  Tschirischik  enlstrdmt  dem  Schneegebirge 
Ketmen-Tiibe  und  nimmt  eine  westUche  Ricbiung*  Aaf  aei- 
nem  linken  Ufer,  seiner  Quelle  beniicbbart|  sleht  ein  kleiner 
kokandiacher  Kurgan  >  zmn  Schutae  der  Karavanen  und  aur 
Eintreibung  dea  Tributes  von  den  nomadiBchen  Kirgisen.  M4n 
sagti  dieser  Fluss  babe  goldhalligen  Sand|  und  das  Gold  werde 
miUelst  ins  Wasser  gesenkien  Teppichen  eingesaaiiilell* 

Der  Fluss  5yr-Darja  entspringt  an  den viudweslKcben 
Abhangen  der  Schneeberge  und  entstebt  aus  den  drei  Fliis- 
sen  Naryn^  Gulisehan  und  Um.  Der  ersle  kommt  in  Tie* 
lei^  Queilen,  die  Taragai  beissen,  aus  dem  Gebirge  Kirgis« 
ning'Ala^Tauy  unweit  des  Im-Kul,  und  ninunt  eine  wesUicbe 
Richlung.  Sem  Lauf  ist  retssend*  An  der  VereiAigung  der 
Karavanenwege^  oberbalb  des  kokandiscben  Kurgans  Kurtka 
110^120  Werst  vom  Ursprong,  hat  man  eine  Balkenbrfickt 
iiber  ihn  geachlagen,  die  jedoeh  zu  Uebersetoung  bedeUtender 
Lasten  wenig  verlasslich  isl,  Der  Narya  hat  ungefahr  450 
Werst  Lange  und  his  150  iSa^en  Breile.  In  seiner  Quellge* 
gend  ist  Ueberflusa  an  Banhols,  und  am  unteren  Laufe  haben 
die  Kirgisen  gtotse  Ackerlelder.  Der  Gulisehan  entspringt 
den  Schneeketten  Ton-Burun  und  Toin-Tau,  flieist  ebenfalls 
gerade  nach  Westen,  vereinigt  sicb  bei  der  Sladt  Usch  mit 
dem  Urn,  und  15  Werst  oberhalb  der  Stadt  Namangan  mit 
dem  Naryn.  So  entstebt  aus  den  drei  Fliissen  Einer,  der 
von  jeAt  ab  iS'yr-'Darja  heisst.  Die  Lange  des  Gulisoban  be- 
tragt  260  Werst,  seine  Breite  bis  150  Sajen;  der  Strom  ist 
sebr  reissendy  das  Bette  steinig. 

Die  Ufer  des  Gulisehan  und  Naryn  sind  steil  und  un- 
fruchtbari  die  Ebenen  an  ihrem  Laufe  aber.  lehmig  und  firucbt- 
bar  an  Getreide.  Fast  in  alien  Wohnorlen,  die  an  diesen 
Fliissen  Uegen,  kann  man,  gegen  einen  beslimmten  Preis,  auf 

27* 


40g  Historisch-lingaistisohe  Wissensdiaften. 

Kahnen  iiberfahren;  an  unbewohnlen  Ufern  aber  werden  die 
Ueberfahrten  durch  Kirgisen  unterhalten. 

Der  Hauptfluss  von  Kaschgar,  Kara-Darja,  hat  zwei 
Ursprunge:  denTumen-5u  (10000  Gewasser),  welcher  durch 
die  Stadt  Kaschkar  strfioit,  und  den,  die  gleichnamige  StadI 
durchatrSmenden  Ak-5u  (Weiaswi^ser).  Der  Ak*&i  ist  aus- 
serordentlich  reissend;  er  hai  keineFufarten;  dasBette  ist  mit 
gewalligen  Sl^nen  angefUlU,  dafaer  zur  Schififahrt  nicht  geeig- 
net  Der  Tamen-Su  hat  an  seinmn  oberen  Laufe  Fuhrten; 
oberh|db  der  Sladi  Kaschkar  sind  an  demaelben  zwei  Wach- 
poaten  zum  Schutze  der  Kara vanen  erricfatet:  ein  chmesischer 
und  ein  kokandisdier ;  der  Abstand  zviachen  beiden  belragl 
nur  16  Werst 

An  der  iinken  Sette  fftlit  in  den  TUmen-Sd  das  Fiussch^ 
A«lyn*Arty8ch,  an  welcheai  die  Stadt  Ariysch  (Asret-Ailtan) 
iiegt,  und  nahe  der  Mfindung  das  Dorf  Maral  -  Bascbi^  merk- 
wbrdig  darum,  weil  hier  in  den  Jahren  1847  und  1848  chir 
nesisphe  Truppen  sich  zusammemogen  und  iiber  die  rebeUi* 
scben  GhodjVs  von  Kaschkar  einen  Sieg  erkampften.  Dieses 
Dorf  liegt  auf  dem  Wege  von  Ak-/Sa  nach' Kaschkar;  seine 
Oei tlichkeit  isi  so  beschaffen,  dass  pan  die  geraumige  Ebene 
kiinstlieh  unter  Waaler  setzen  und  so  die  Bewegung  eines 
feindlichen  Heeres  wider  Kaschkar  verhindem  kann.  Unter 
den  ZuflOssen  des  Ak-5u  sind  die  bemerkenswertheslen: 
recht^r  Hand  das  Fliisschen  Kakschal,  an  welchem  die  Stadt 
Turpan  (Utsch-Turpan)  erbaut  ist;  linker  Hand  der  Musard, 
an  welchem  6  chinesische  Wachposten  in  der  Richtong  von 
Kuldja  nach  Ak-Su  errichtet  sind. 

Die  Ufer  des  Ak^5u  sind  steinig,  abschfissig  uitd  fast  bis 
zur  Mtodung  ausserordentlich  hoch.  Dagegen  ist  das  Land 
zu  beiden  Seiten  des  Tiimen-iSu  mehr  eben,  lehmig  und  stel- 
lenweise  salzhaltig;  man  kommt  auf  Kahnen  bintiben 

Von  den  nordlichen  Abhangen  der  Schneekette  Kungi- 
Ala*Tau  stromen:  derTschilik^  Torgon,  Talgar,  UCsch-Almaty, 
Ka«kelen  und  Kurtu;  aus  den  Bergen  Teke«*Tau:  derTscha* 
ryn   mit  seinen  Zufliissen   und   der  Tekea.    Alle  haben  die 


Nachrichten  iiber  die  togenannlen  Sehwaraen  Kiiigisen.         409 

Ricblung  von  Siiden  nach  Norden  (den  Teke^  ausgenommen) 
und  fallen  von  der  Hnken  Seite  in  den  Fluss  Uja  (tli).  In 
ihrer  Quellgegend  giebt  es  Tannenwalder  und  Obstbaame; 
Urjuk  (eine  Art  Apricosen)  und  wilde  Rebbn.  Ihre  Gewas- 
ser  sind  reich  an  Fischen,  die  Thaler  an  Wiesen  zur  Hm- 
amdte.  Das  Bette  aller  dieser  Fltisschen  ist  steinig;  dieUfer 
sind  am  Ursprung  felsig,  am  miUlerenx  und  unteren  Laufe 
mehr  abgeflachL  SteUen  zum  Durchwaten  finden  sich  in  jeder 
Jahreszeit.  Von  der  Miindung*  des  Flusschens  Tsdbaryn  er- 
slreckt  sich  bis  zur  StadI  Kul4/a  (am  oberen  Ili)  eine  Keltic 
chinesischer  Colonieen  und  Wachposten. 

Verbindungswege.  Aus  dem  Lande  der Sieben Fliisse 
(Semirjetschinskji  Krai)  fiihren  alle Karavanenwege  nach 
Kaschkarien  iiber  den  Bergpass  iSentasch,  und  treffen  ztisam- 
men  an  dem  Kurgan  Kysyl-Ungur.  Auf  diesen  Wegen  kann 
man  ohne  Gefahr  durch  alle  Gebirgspasse  kommen,  und  die 
Lasten  auf  Bauer wagen  (teljegi)  bis  zum  Kysyl-Ungur^  wel- 
ter aber  auf  Packthieren  schafifen.  Das  Durchwaten  der  klei* 
nen  Fliisse  ist  nicht  beschweiiich. 

Der  Weg  nach  Kokand  fiihrt  iiber  die  Kurgane  Pisch- 
ken,  Merke,  Auvlie-Ta  und  die  Stadt  Namangan.  F&r  schwer^ 
Fuhrwerke  ist  er  grofstentheik  ungeeignet,  und  im  Winter 
selbst  filr  LasttMere  beschwerlich,  ob  des  tiefen  Schnees  ih 
den  Bergpassen. 

Von  Kokand  nach  Kaschkar  fiihrt  die  kiirzeste  Strafse 
durch  die  Stadte  Margelan  und  Usch.  Auf  derselben  giebt 
es  nur  12 — 15  Uebergange;  aber  der  eine  davon  (uber  den 
Terekty-Davan)  ist  aussersi  beschwerlidi ,  und  oft  werden 
ganze  Karavanen  durch  Schneelavinen  verschultet  Um  sol- 
cher  Gefahr  zu  entgehen,  Ziehen  viele  Karavanen,  wenn  sie 
dieses  Gebirg  erreicht  habeui  iSngs  demselben  siidwarts  bis 
Tallyk-Asu,  wo  ein  gefahrloser  Pass  ist,  und  wenden  sich, 
nachdem  sie  diesen  zuruckgelegt,  der  bisherigen  Stralse  wie- 
der  zu.  Dann  gehl  es  tiber  die  Kette  Ton  -  Burun,  und  von 
da  langs  des  Flusschens  Tiimen*&u  nach  der  Stadt  Kaschkar. 
Der  Umweg  erfordert  10  Uebergange  mehr. 


410  Hittoritch-Unguistitobe  Wissenaehafteii. 

Vmi  Kaschkar  nach  Ak«u  isi  der  VVeg  ziemlich  bequem 
und  mift  14  cbinesischen  Wachposten  besest;  aber  von  Ak«u 
nacfa  Kuldja  ist  er  ^ausaerst  beachwerlich.     An  dieser  Strabe 
haben  die  Chinesen  16  Wachposten  errichtet,  von  denen  4 
im  Gebirge  Musard*Davan  stehen.    Die  Besatziuigen  der  Pi« 
quels  im  Gebirge  haben  die  Verpflicbtung,  nach  jedem  Un- 
wetter,   die  Strafee  von  Schnee  und  Eis  su  aaubeiDy   auch 
reis^nden  Wiirdentragern  und  Karavanen  das  Geleite  zu  ge- 
ben ;  doch  siehen  letztere  selten  diesea  Wegea,  und  Kaufleu- 
im,  die  nicht  chinesische  Unterthanen  sind^  ist  er  aogar  ver- 
bolen;  daher  reisen  sie  von  Kasc&kar  nach  der  Stadi  Kara- 
Schar,  und  erai  von  dort  aus  nach  KuMja  oder  Urumd^a^  ein 
u«i  das  doppelte  langerer,  aber  eboner  Weg. 

Ausser  den  KaravanensCralsen  durchschneiden  mehr  oder 
minder  bequeme  Nomadenwege  das  Gd>}et  der  Schwarsen 
Kirgisen  in  versehiedenen  Richlungen. 

Klima  und  Naturerzeugnisse.  Zur  Sommerzeii  ist 
das  Klima  bei  den  Schwarsen  Kirgisen  weit  gemafsigieri  als 
in  den  Steppen  des  Landes  der  Sieben  Fliisse;  das  Getreide, 
welches  in  der  GroCsen  Horde  in  hocbstena  4  Monaten  reift, 
hat  bei  den  Scbwansen  Kirgisen  wenigstens  6  Monale  zur 
Reife  nothig.  Auch  der  Winter  ist  nur  im  Gebirge  voa  Frost 
begleitet;  um  den  Issi-Kul  steht  die  Temperatur  immer  ilber 
Null.  Schnee  fiillt  im  November  und  schmilzt  im  Beginn  des 
Marz;  Regen  erfrischl  den  Boden  vorzugsweise  im  Friihling, 
daher  die  Viehseuche  den  Kirgisen  beinabe  unbekannt  ist. 

Waider  von  Bauholz,  die  Tanne  ausgenommen,  wacfasen 
an  den  Abhangen,  die  von  den  Schneebergen  Kungi  und  Kir* 
gisnin-Ala-Tau  in  versehiedenen  Richlungen  ausgehen«  Der 
Transport  des  Holzes  in  Fuhrwerken  ist  slellenweise  sehr  be- 
quem;  zu  Wasser  aber  kann  es  nicht  fortgeschafft  werden, 
da  die  kieinen  Fiusse  mil  grofsen  Steinen  angefullt  sind. 
AUerlei  Obstarten,  als  Aepfel,  Pfirsiche,  Apricosen,  Weintrau- 
ben  und  Strauchbeeren,  wachsen  wild. 

Von  wildem  Gelhier  giebt  es:  Hirsche,  Gemsen,  Stein- 
bocke,  wildeSchafe,  Anlilopen,  Tiger,  Panlher,  Baren,  Wolfe, 


Nachrichlen  iiber  die  sogenannlen  Schwarsen  Kirgisen.  4|| 

Fiiohse,  Marder,  Luchse,  Vidfr^e,  OUern  and  Haden^  von 
GevSgel  aber:  Fasanen,  Goldadler,  H^bichte,  Falken  und 
Andere. 

Einige,  in  den  I«ti-Kul  milndende  Flilsscheni  b^Bonders 
der  Irgalan,  soilen  goldhaltigen  Sand  haben,  was  jedoch  un* 
erwiesen  ist  —  Ciaen,  zur  Anfertigung  von  Waffen  und  Haus- 
geralh^  verschaffea  sich  die  Kirgisen  in  kleinen  Stiicken  uhd 
mil  sehr  groben  Werkteugen,  aus  schwarsem  dickk8niig«m 
Sande,  der  an  den  Ufern  des  Im-KuI  gesammelt  wird.  «- 
Blei  kaufen  sie  vorzugsweke  von  chineaischen  Sclaven,  die 
Tschanpan  heissen,  und  das  Bleierz  am  Ursprung  des  Fliiss* 
chensKigin,  unwdt  Kuldja,  ausschiirfen.  Auch  auf  den  Weide* 
plStoen  der  Schwarzen  Kirgisen  soil  Bleierz  sich  vorGndeny 
aber,  vermuthlidi  aus  Unwissenheit,  unbearbeitet  bieiben.  — 
Salz  erhalt  man  vom  Ursprung  der  FlUsse  Tseharyn  un4  Tschu, 
auch  an  dem  FHisschen  Kelmen-Tiibe. 

Die  Berge,  auf  welehen^der  Schwarze  Kirgise  weidet, 
haben  wahrscheinlich  Ueberfluss  an  edlen  Steinen;  aber  die- 
ses Volk  Mrdlss  ihren  Werlfa  nicht  zu  schatzen.  Im  Jahr 
1840  soil  man  in  dem  Fliisschen  Ton  einen  durchscheinen- 
den  blauen  Siein  gefunden  haben,  der  von  Hand  zu  Hand 
ging,  bis  ihn  ein  kokandischer  Wiirdenirager  fiir  1000  Til 
kaufte.  *) 

Alterihiimer.  Als  Alterthiimer  kann  man  die  Triim- 
mer  alter Festungswerke  and. die  in  ihnen  gefundenen  Miinzen 
und  anderen  Dinge  betrachteu.  Im  Jahre  1847  fand  man  in 
solchen  Triimmern  langs  des  Fliisschens  Kara-Kol  %  vergra-* 
bene  Silbermiinzen,  von  der  Grdlse-  eines  halben  Rubelstucks, 
mil  tatarischer  Inschrift;  und  noch  vor  Kurzem  wurde  im 
Flttsschen  Schamai,  das  unweit  des  kokandiscfaen  Kurgans 
Tokmak  m  den<-Tschu  miindet,  onter  den  Ruinen  eines  alien 
Tburmes,  der  Munar  heissi,  ein  irdener  Krug  v^\l  Miinzen 
von  der  Gr5fee  einer  Silberkopeke  enideckt. 


*)  Til  heisst  eine  Goldiniinze  yon  y^  Loth,  die   12  —  13  Ra^e!  werth 
ist. 


412  Hiftorit€b*lingiiistiselie  WistenscbaAw.   < 

Lebensweise,  Sitten  und  Beschaftigungen.  Die 
Schwarzen  Kirgisen  fuhren,  wo  nicht  gewisse  Einwifkungen 
Kokand*8  cu  bemerken  sind,  in  jeder  Beziehung  die  Lebens- 
weiee  der  ubrigen  Horden.  Ihr  Oberkleid  ist  au&  kaschkari- 
8chen  Stoffen  genaht,  das  Unterkleid  aus  kokandischem  und 
chin^dischem  BaumwolIenseUg,  die  Fubbekleidiing  aus  rolh- 
gefarbtem  russischem  Leden  IhreWaffea  sind:  eineArlBeile 
Oder  Slreitaxte^  Sabel,  Piken  und  Flinien*  Die  Flinlen  erhal- 
ten  aie  aus  Kokand;  sie  haben  eine  ansehnliche  LSnge  und 
Schwere,  aber  Lunten  stall  der  Schioaser.  Hieb-  und  Stob- 
waffen  werden  Iheils  gekauft,  llieils  von  den  Kirgisen  selbsi 
verferiigt  Aoch  bereilen  sie  Sehiefspulver,  das  al>er  so  scUecht 
ist,  dab  sie  lieber  in  den  benaehbarten  Sladten  von  Kokand 
und  Kaschkarien  um  theueren  Preis  diesen  Arlikel  kaufen. 

Fast  alle  Schwarzen  Kirgisen  beschafligen  sich  mit  Ge- 
treidebau,  und  zwdr  in  boherem  Grade,  als  die  Pseudo*Kir* 
gisen  von  der  GroCsen  Horde.  '  Die  Erndte,  wenn  aucb  nichl 
ergiebig,  ist  fiir  die  BediirJEnisse  der  ganzen  Bevolkerung  bin- 
reichend.  Die  Umgebungen  des  Ira-Kul,  eben  so  die  Thaler 
der  Fliisse  Tschu,  Talas  und  anderer,  sind  mil  Triften  bedecki 
und  vorzugsweise  frudilbar  an  Getreide.  Die  Kirgisen  saea 
Weisen,  Gerste  und  Hirse.  Aus  dem  Weisen  bereilen  sie 
Brod;  die  anderen  Getreidearten  dienen  als  Speise.  Aus  der 
Hirse  machen  sie  auch  Busa  und  Branntwein.  Arme  Leute, 
die  keine  eignen  Aecker  haben ,  nehmen  bei  den  Reichen 
Dienste  und  erhallen  (iir  die  Arbeit  eines  Sommers  4  bis  6 
Sacke  Kom. 

Zum  Betriebe  einer  ausgedehnten  Viehzucht  ist  scbon  die 
Oertlichkeit  giinstig:  das  gebirgige  Land  gewahrt  den  Noma- 
den  in  den  heissen  Sommermonaten  KUhlung  und  gesuode 
Lult  Das  Vieh  ist  im  Ganzen  von  bester  Zucht;  die  Pferde 
sind  stark  und  an  Bergreisen  gewohnt.  Hammel  werden  viel 
gezogen;  dieKaufleute  erhandein  sie  um  bedeutende  Summen 
und  schicken  sie  nach  Kokand.  Die  russischen  Kaufleute 
liefern   den   Kirgi3en    mit    Vorlheil    gegen    ihre   Rauchwaa- 


Nachrichten  liber  die  sogeoannleii  Schwanen  KirgUen.         413 

ren    russischen    Nankin ,    Zita,    giisseiserne    Kessel^  'TOlben 

Die  Sohwareen  Kirgisen  machen  keine  anderen  Arbeiten 
ab  F]l£e>  Pferdedecken,  Saitei,  und  gewisse  unenlbehrliche 
hausliche  Gerathschaften.  Ihr  Handel  besteht  baupUaehlich 
im  Tauscb  ihres  Vieben  an  KattflcMle  aus  Kascfakarien,  RiM<- 
land,  Kokand  und  China.  Sie  sind  im  Ganxen  woblbabender 
als  jhre  Nacbbarn  von  der  Grofsen  Horde.  Viele  beguterte 
Leute  ertauscben  allj&hrlicb  im  Chinesischen  Reiche  Sificke 
Silber,  die  Jamba  heissen,  *)  und  welcbe  sie  nicbt  wieder 
veraussern,  sondern  fur  sicb  bewabren.  Der  Arme  leidet  bier 
keine  solcbe  Noib,  wie  in  den  iibrigen  Horden,  da  er  im- 
mer  fur  die  malsigste  Arbeit  von  den  Reicben  Brod  erbal- 
ten  kann. 

Abgaben.  Die  um  denb^-Kul  weidenden  Stamme  der 
Kara-Kirgisen  enlricbtelen  dem  Cbane  von  Kokand,  ebe  sie  sicb 
frei  gemacht  batten,  von  je  40  Stuck  ihres  vorbandenen  Vie- 
bes  eines  als  Abgabe.  Die  ubrigen,  innerbalb  der  Grenzen 
Kokands  und  Tasebkends  weidenden  StSmme  mussten  friiber 
und  miissen  noch  jelit  ein  Stuck  von  25  abgeben,  doch  mit 
Ausnabme  der  Kameele.  Diese  Steuer  oder  Sakjat  wird 
durcb  kokandiscbe  Wiirdentrager  eingetrieben, '"^)  die  ausser- 
dem  nocb,  in  ibren  Recbten  auf  das  Siegel  des  Cbans  ge* 
stiitzt,  von  jeder  Jurte  einen  Hammel  fur  sicb  fordem.    Die 


*)  Dieses  Wort  ist  obiie  Zwelfel  eine  Verderbung  des  chinesisch. 


jasn-pko,    wie  die   grolsen  Stiicke   dieser  Art   genannt 

werdea.  Anm.  d.  Uebers. 

**)  Sakj4t     ist     nacb    tiirkbcher    Aasspracbe     das    arablsche    olij 

sak4t,  was  eigenttich  e\ii  frommes  Werk,  dann  ein  im  Koran  vor- 
geschriebenes,  den  40.  Theii  der  Einkiknfte  ausmachendes  Aloiosen 
bedeatet.  Fiir  weltliche  Abgaben  scheint  es  nur  bei  den  ostlichen 
Tiirken  gebraacht  zu  werden. 


414  Hiftorltch-Ungiiiidsche  WiMemefaaftea. 

Einlrdbung  geschieht  ohne  Rii^kstcht  auf  die  Miltel  jedes 
Kirgiseiii  daher  die  Armen  ihres  letzten  BesiUes  beraubt  wer- 
den,  suweilen  auch  ihrer  Kinder,  die  sie  entweder  den  Rei- 
chen  zu  KnechtsdiensteOy  oder  den  Wiirdentragern  des  Chans 
ala  Unterpfand  iiberlassen.  In  jedem  Herbste  eracheinen  an- 
dere  Wiirdenlrager,  die  von  je  dner  Jurte  zwei  Hammel  fiir 
den  Hof  des  Chans  in  Enipfang  nehmen.  Jede  Eintreibung- 
isi  mit  Erpressungen  verbunden. 


Ein  tatarisches  Lustspiel. 


Der  K  a  w  k  a  s   iheill  in  seinen   Feuillelons  zwei  Lustspieie 

mity  die  von  dem  Mirsa  Feth-AliAchundow  in  tatarischer 

Sprache  geschrieben  und  von  ihm  se\hai  ins  Russische  iiber- 

setzt  worden  sind.     Der  Mirsa  Achundow  ist,  wie  wir  aus 

dem  genannten  BlaUe  erfahren,  ein  geachteier  tatarischer  Ge- 

lehrter  und  thSliges  Mitglied  der   kaukasischen  Section  der 

Russischen  Geographischen  Gesellschaft,  von  der  ^r  unter  An- 

derem  beauftragi  wurde,  einen  von  Herm  Chodsko  verfafsten 

inslructiven   AufsatK   Uber   die  Sonnenfinsternifs  am  28.  Jali 

V.  J.  ins  Tatarische  zu  iibertragen.    Seine  beiden  Lustspieie 

sind  hSchst  merkwiirdige  Beitrage   zur  Sittengeschichte   der 

orientaiischen  V5lkerschaften.     In  dem  ersten^   Welches  den 

Titel:  Molla  Ibrahim  Chalil,  der  Besitzer  des  Steins 

der  Weisen,  (iihrt,  ist  die  Hauptperson  ein  Betriiger,  der 

ein  Elixir  entdeckt  zu  haben  vorgiebt,  welches  gepragtes  Kup- 

fer  in  Silberbarren   verwandelt,  und   dem  eine  Gesellschaft 

aus  J^ucha  (in  der  Provinz  Scheki)  einige  Tausend  Rubel  in 

Kupfer  darbringt,  in  der  Erwarlung,  mitSilber  beladen  heim* 

zukehren.     Der    tatarische  Paracelsus   schipkt  die  BittsteHer 

fort,  mit  der  Weisung,  in  dreifisig  Tagen  wieder  zu  kommen 

und  ihr  Geld  in  Empfang  zu  nehmen.    Am  dreifsigsten  Tage 

finden  sich  die  Nochiner  wieder  bei  dem  MoUa  ein,  den  sie 

bei  der  Zubereitung  des  Elixirs  treffen,  erfahren  aber  zu  ihrem 

Schrecken,  dab  sie  durch  ihre  allzu  friihe  Riickkehr  die  Wirk- 


416  Historisch-Iingaistische  Wissenschalten. 

samkeit  desselben  zerstort  haben.   „Aber  wir  sind  ja  nur  Euren 
Befehle  nachgekommen*^,  jammern  die  Armen,  ^heule  isl  ge- 
rade  der  dreifsigste  Tag.''   —    „Ich  sagte  Euch :  in   drei&ig 
Tagen,"  erwiedert  der  Alchymist;  „in   dreifsig  Tagen  hei&t 
aber  so  viel  als  nach  dreifsig  Tagen,   mithin  battel  Ihr  erst 
am  einunddreifsigsten  kommen  solien.    Dadurcb,  dafs  Ihr  scfaoiT 
am  dreiCsigsten  erschienen^seid,  ist  Alles  verloren.'*    Es  gebe 
nur  noch  ein  Miitel>  ihre  Fehler  wieder  gatzumachen;  sic 
miiCsteny  bis  der  Verwandlungsprocefs  des  Meialls  voUendet 
sei,  sich  durchaus  enthalten,  ,,an  einen  Affen  zu  denken'';  die 
Gestalt  dieses  unreinen  Thieres  d&rfe  sich  ihrer  Einbildungs- 
kraft  nicht  vorstellen,  wenn  das  Elixir  seine  Wirkung  nicht 
unwiederbringlich  verlieren  solle.    NatUrlich  wird  es  den  Ge- 
foppien  gerade  durch  das  Verbol  unmoglich  gemacbti  nicht 
an  ASfen  zu  denken:  ,^ie  Volksstamme  des  Kaukasus/'  ruft 
einer  von  ihnen  aus,  ,»von  dem  kleinsten  bb  zam  gro&len, 
haben  sich  in  scheulsliche  Affen  mil  langen  Schwanien  ver- 
wandelti  die  sich  durch  meine  Phantasie  dr&ngen,  vor  meinen 
Augen  herumtanzen;''  der  Zauberkessel,  in  welcbep  derMoUa 
heimlidi  ^^ein  gewisses  Krau^  wirft,  springt,  das  Elixir  geht 
zu  Grunde  und  die  ungliicklichen  Nochiner  miissen  unverrich- 
leter  Sache  nach  Hause  wandem. 

Wenn  schon  dieses  kleine  Lustspiel  einen  wahrhaft  Aristo- 
phanischen  Humor  eniwickelt,  so  ist  das  zweite  Stiick,  wel- 
ches gleichfalls  in  Transkaukasien  spielt,  noch  interessanter, 
indem  der  Verfasser  in  eben  so  kiibner  als  originetler  Weise 
die  Pariser  Februar*Revolution  benulzt,  urn  die  Ka- 
lasirophe  herbeizufiihren.  Wir  glauben  daher,  bei  der  ganz 
neuen  Seite,  von  der  sich  hier  die  orientalische  Literatur  dar- 
steUty  keiner  Entschuldigung  zu  bediirfen,  wenn  wir  es  unsem 
Lesem  voUstandig  wiedergeben. 

Es  hei&t: 


Bin  tatarisobes  Lntlspiel.  417 

Monsieur   Jourdan,   der  Botaniker,    und   Mast^Ali* 
Sqbach,  der  beruhmie  Hexenmeisler. 

Personen: 

Monsieur  Jourdan,  Botaniker  aus  Paris,  40  Jahr  alt. 
Gatam-Chan-Aga,  Gutsbesitzer  in  Karabag,  65  Jahr  alt 
Schachrabanu-Chanum,  seine  Frau,  45  Jahr  alt 
Scharaf-Ni«a-Chanum,  seine  Slteste  Tochter,  16  Jahr  alt 
Gultschegre,  seine  jungere  Tochter^  9  Jahr  alt 
Schachbas-Bek,  sein   Neffe    und   BrSutigam    der    aiteren 

Tochler,  22  Jahr  alt. 
Chan  Peri,  Amme  Scharaf-Ni^a-Chanum's,  40  Jahr  alt 
Der  Derwisch  Mast-Ali-Schach,  beruhmter  Hexenmeister 

aus  Persien,  50  Jahr  alt 
Gulam-Ali,  dessen  Schuler,  30  Jahr  alt 

J. 

(Das  Stuck  spielt  in  Kariibag  im  Jahr  1848,  im  Winterlager 

Takle-Muganlu.) 

Scharaf-Ni^a-Chanum,  in  der  zweiten  Kammer  des 
Hauses,  kaount  WoUe  und  weaot ;  neben  ihr  spielt  ibre  kleine 
Schwester  Giiltschegre. 

Gultschegre.    Schwesterchen !  Wamm  weinsi  du? 

Scharaf-Ni^a-'Chanum  (stofst  sie  fonsick).   Geh*  fort 

Gultschegre  (ludringUcb).  Schwesterchen!  Um  Got^ 
teswillen,  sage,  warum  weinst  da? 

Scharaf-Nitfa-Chanum.  GdiVfort,  sag'  ich  dir;  lab 
mich  arbeiten. 

Gultschegre.  Du  thust  ja  nichts,  du  weinst  nur.  Sage 
mir,  waruoi  du  weinst  «  .  .  •  Du  willst  nicht?  Dann  ruP  ich 
die  Mutter.  Sage,  warum  weinst  du?  (Sie  zieht  der  Schwester 
den  roUien  Schleier  vom  Haupte.) 

Scharaf-Nif  a*Ohanum  (giebt  ihr  einen  hdftigen  Stofs). 
Geh*  fort,  Narrin!    Sei  still  und  lafs  mich  meine  Arbeit  fertig 


418  HUtoriscMiagnktiscbe  Winenscbaften. 

inacheD«  (Giilischegre  falli  auf  den  Riicken^  steht  mil  Gefichrei 
wieder  auf  und  ISufl  zur  Mailer.) 

Scharaf-*Ni«a*Cfaa0iiin  (allein).  Ach!  das  tlumme 
Kind  geht  imd  sagt  es  der  MuUer.  GoU!  wenn  sie  kommt 
und  frSgt,  warum  ich  weine,  was  soil  ich  ihr  antworlen  ?  Neio, 
nie  werde  ich  ihr  von  meinem  Herzleid  erzahlen ;  lieber  leugne 
ich  es  und  sage,  dafs  ich  nicht  geweint  habe.  (Wischt  sich 
die  Augen  mit  einem  Tuoh.  In  diesem  Augenblick  oSfnei  sich 
die  Thiir  und  Schachrabaau-Chanum  tritt  mit  ihrer  jiingeren 
Tochler  ein.) 

Schaehrabanu-Chanum*  Scharaf-Ni«a!  Warum  bast 
du  dieses  Kind  gestofsen  und  es  auf  die  Erde  geworfen? 

Scharaf^Nisa-Chanum.  Moge  dies  Kind  durch  die 
Erde  sinken!  Es  horle  nicht  auf  Mulhwiilen  au  treiben  und 
lieCs  mir  keine  Ruhe;  ich  konnte  nicht  zwei  Biischel  Wolle 
auskammen  —  immer  irieb  Giiltschegre  Possen:  bald  riss  sie 
mir  die  WoUe  aus  der  Hand,  bald  zog  sie  mir  den  Schleier 
vom  Haupte;  endlick  verier  ich  die  Geduidi  stiels  sie  eiwas 
von  mir,  und  sie  fing  an  zu  weinen  und  ging  zu  dir,  sich  zu 
beklagen.    Was  ist  da  das  Ungjiick? 

Giiltschegre.  Ich  schwore  dir,  Mutter,  sie*spricht  nicht 
di«  Wakrheilb  Sie  beschaftigte  sich  gar  nicht  daniit,  <Ke  Wolle 
zu  kammen,  sondem  *weinte  uDaufhSrlich.  Ich  sagte  zu  ibrt 
weine  nicht,  sie  aber  stiefs  mich  von  rich  und  warf  micb  zur 
Erde.    (Wisebt  sick  die  Augen  mit  der  Hand  und  weint) 

Scbachrabanu-^Cfianum.  Scharaf-Ni^a,  vearum  hast 
du  geweint?  Was  ist  dir  zugestofsen,  dak  du  weinen  solllest? 
Gott  sei  Dank,  dein  Vater  lebt,  ddne  Mutter  lebt,  ein  sefao- 
ner  und  junger  Brautigsm  stelii  dir  vor  Augen ;  du  leidest  an 
nichts  Mangel,  weder  an  Speise  noch  an  Kleiduog:  iiber  was 
hast  du  denn  zu  weinen? 

Seharaf-Ni«d.  Ich  sebwore  es  dir,  MfttterciieTi,  ich 
habe  nicht  geWeint.  (Kneift  GUlfcsch^re.)  M5ge  die  Erde 
dich  verschlingen :  wann  habe  ich  geweint?  (Giiltschegre 
stdfsl  ein  Schmerzensgeschtet  aus«^    leb  sebwfire  es  dir,  Mut- 


EIn  tatarUcl^B  LoalipieK  419 

ler,  ich  habe  nicht  geweint.  GoCt  ^i  Dank,  mein  Vater  lebky 
nieine  Multer  lebt:  warum  sollle  ich  dean  wdnen? 

Schachrabanu-Chanum  (lachend).  Warum  fiigst  du 
Dichi  hiniu,  dalis  du  auch  einen  Brautigam  in  Aus9icht  haat? 

Scharaf-Ni^a-CbaDttm.  .Welehen  Bfauligam? 

Schachranu-Chanum.  Weldien BrSutigam?  Uqd  der 
Sohn  dein^s  verslorbenen  Oheims,  SohachbasrBek,  wesson 
Brautigam  ist  er  denn?  Dein  Vater  Iiat  die  Absicbt^  «o  Gott 
will  9  in  zwaniig  Tagmi  eine  solche  Hochieit  ku  veranslalti^m 
dafs  ganz  Karabag  vod  ihrer  Pracht  reden  soil.  Vorgcstern 
hat  er  seinem  Freunde  Kurban-Bek  you  Savdab  gesc^rieben, 
einige  Bajaderen  aus  Sehemacha  zur  Hoohtdl  konlmesD  zu 
hissen  und  sie  ohne  Saumen  hierher  zu  schickeik 

Scharaf-Ni«a-ChaDum  (iaist  die  Uuteflippe  hSngetiX 
Bij!  Mutter,  was  sprichst  du?  Sehabbaa-Bek  reist  in  tehn 
Tagen  fort,  uad  ich  wei&  nidit  urn  wdcbe  Hoch&eit  der  Va- 
ter sich  bemiiht* 

Schachrabanu-Chanum  (erataunl).  Schaohbas  Heist 
fort?  Wohin  reist  Schachbas?  Mit  wem  reist  er?  Was 
sprichst  du?  (Jm  GotteswiUen,  ersinne  keine  falsehm  Ge^ 
rtichte.  Jetzt  i)eh'  ich,  da(s  du  in  der  That  geweint  hast  Man 
hat  Recht  zu  sagen,  dafs  Madchen  keinen  Verstand  habeti, 
soadem  nur  Thranen  in  Ueberflusa.  Sprich:  wer  hat  dir  ge* 
sagt,  dafs  Schachbas  fortreist? 

Scharaf-Ni«a-Chanum  (die  Augen  senkend).  Er 
selbst. 

Schaehrahaii:U*iChattum.    Gut!  Wohin  feist  er  deim? 

Scharaf-Nita-Ghanum.  kh  wails  nieht,  ob  nach 
Frangi,  ob  nach  Paris:  moge  der  Name*  verachwinden ,  ich 
kaan  ihn  nicht  aussprechen. 

SchachrabanuoCbanum.  Gut!  Mit  worn  reist Schadi* 
bas  nach  Paris? 

Scharal-Niaa*Chanum.  Mit  unaerem  Gaste,  Mosje 
Jourdan. 

Schaachrabanu-Chanum.  Mil  dem  Franzosen,  der 
hier  iiberaU  Rrauter  und  .Pflansen  sanamelte?     Was  will  er 


420  Historiscli-.liAguUtwche  Wisaenschftften. 

mii  dem  ?    Was  hat  er  in  Frankreich  xu  suchen  und  weicher 
von  aeinen  Hunden  hat  sicb  dort  verirrL 

Scharaf-Ni^a-Chanum.  Ich  weifo  nicht  MuajeJour- 
dan  hat  es  ihm  in  den  Kopf  gesetzt,  dafs  ii^  Paris  alle  Frauen 
und  Madcben  mit  unbedecklem  Gesii^ht  in  Geselkchaft  gehen, 
und  nochVieles  hat  er  ihm  gesagt*  Jelst  gebehrdet  sich  der 
jimge  Mensch  wie  ein  Wahnsinniger  und  s|Micht:  Ich  mtifs 
durchaa»  nach  Paris. reisen;  erst  bilte  ich  den  Onkel  um  die 
Eriaubnifs,  iitid  wenn  er  sie  verweigerti-  so  spring*  ich  aufs 
Pferd,  setze  iiber  den  Araxes,  treffe  mit  Musje  Jourdan  su* 
sammen  und  trete  mit  ihm  die  Spazierfahrt  nach  Paris  an. 

Schachrabanu-Chanum  (sur  jiingeren Tochler).  Gul- 
tschegre!  6eh*  in  die  andere  Sakia  und  rufe  Schachbas  zu 
mir.  Ich  will  doch  sehen,  wie  es  mit  dieser  Geschichte  ist 
(Giiltschegre  lauft  hinaas.)  Ich  habe  dem  Gatam  -  Chan  •  Aga 
gesagt^  die  Hochzeit  bald  anzuordneny  weii  sich  bei  diesem 
Schachbas  stets  eine  oder  die  andere  Grille  im  Kopfe  seigfe; 
er  hat  aber  nicht  aaf  mich  gehdrt,  sSgerie  und  sSgerie  —  und 
jetzt  haben  wtr  die  Bescherung^  (Die  Thiir  offnet  sich,  und 
Schachbas^Bek  tritt  ein  mit  Giiltsehegre.) 

Schachbas«BeL  Xante,  was  isl  geschehen?,  Etwas 
Gtites? 

Schachrabanu-Chanum  (runselt  die  Stim).  Schach- 
bas! Man  sagt,  du  reisest  nach  Paris.  —  Was  ist  das  fiir  ein 
Gerucht? 

Schachbas-Bek.  Was  ist  dabei,  wenn  ich  reise,  liebe 
Tante?  Ich  werde  reisen  und  wiedersurfickkehreny  und  ftir 
Scharaf-Ni^a-Chanum  solche  Mtitzen  mttbringen,  wie  sie  von 
den  franzSsischen  Jungfrauen  getragen  werden. 

Scharaf-Nisa-Chanum.  Mir  sind  die  Miitzen  der 
franzSsischen  Jungfrauen  nicht  nSthig ;  kaufe  sie  in  Paris  und 
setze  sie  auf  die  Haupter  der  franz&sischen  Madcben,  fiir 
welche  du  schneller  als  der  Wind  aus  Karabag  hinfliegen 
wiUst 

Schachrabanu-Chanum.  Ja,  sie  spridit  die  Wahr- 
heit:  sie  hat  die  Mutzen  der  franiosiscben  Mfidchen  nicht  no* 


Kin  tatarischei  f<astspiel^  421 

thig;  wenn  du  sie  kaubt,  so  knnnst  du  sie  audi  den  franzS- 
sischen  Madchen  selber  schenken.  Sage  ipir  jedoch:  bisi  du 
selbstandig,  hast  du  keinen  aheren  Verwandlen,  dcr  bei  dir 
Vaterstelle  verCriU? 

Schachbas-Bek.  Verstehl  sich,  ohne  die  Erlaubiiife 
des  Onkels  werde  ich  nicht  reisen.  Mmje  Jourdan  selbsi  vrird 
ihm  urn  seine  Zustimmung  biUen. 

Schachrabanu-Chanum  (sornig).  Sehr  gut!  Du  bisI 
ganz  verderbt  worden  undkennst  wederMafs  nochZiel  mehn 
Geh'  nur;  ich  lasse  sogleich  Gatam-Chan-Aga  rufen  und 
werde  sehen,  was  fur  ein  Mensch  dieAer  Mu«je  Jourdan  ist, 
der  unseren  Neffen  verfiihrt  hat  und  ihn  mit  nach  Paris  nimmt. 
Ich  schwore  zu  Gott|  ich  werde  ihm  ein  solches  Stiick  auf- 
spielen,  dafs  er  nicht  wissen  soil,  woher  er  gekommen  ist,  und 
Paris  selber  vergifst.  Ich  rufe  sogleich  Gatam-Chan-Aga  und 
werde  sehen,  wie  so  du  nach  Paris  reisest,  wahrend  nur 
zwanzig  Tage  bis  zu  deiner  Hochzeit  bieiben. 

Schachbas-Bek.  Wir  bieiben  nur  zwanzig  Tage  bis  zu 
meiner  Hochzeit?  Ich  bin  noch  jung;  ich  will  nicht  so  bald 
Hochseit  machen  und  mich  hauslich  niederlassen.  Man  wird 
doch  nicht  niit  Gewalt  •  .  .  • 

Schachrabanu-Chanura  ^schreiend).  Ja  wohl  mitGe<» 
wak!  Pas  ist  unveroieidlich :  deine  Hochzeit  hitte  schon  vor 
twei  Jafaren  stattGnden  soileUy  ware  nicht  Scharaf-Niaa  noch 
zu  JMng  gewesen.  Ihr  jungen  Leute  verlallt  bei  ehelosem  Le- 
ben  in  alleriei  Lasler  und  gebt  euch  dem  Raube  und  dem 
Diebdtahl  hin.  > 

Schabbas-Bek.  Aus  Hunger  und  Durst  wird  man 
wohl  zum  Dieb  oder  Rauber;  ich  aber  leide,  Gott  sei  Dank, 
an  nichts  Mangel. 

Schachrabanu-Ghanum  (spSttisch).  Ja,  gewifs,  ea 
sind  nur  Bottler,  welche  rauben  und  pliindem.  Um  Gottes- 
willen ,  raisonnire  nicht;  du  hast  dich  ganz  vom  Wege  ver- 
irrt  — -  Gefae  an  deine  Geschafte.  (Schachbas-Bek  geht  mit 
gesMnktem  Haupte  ab.) 

Schachrabanu-Chanum  (fiir  sich).  Sind  etwa Gatam-> 

Brmaos  Rnss.  Arcbiv.  Bd.  XI.  H.  3.  28 


^22  Hittoriscli-liiigiiifitMcke  Wisteaachaften. 

Ohan-Aga  und  Schnchrabaiia-Chanum  nichl  inchr  da,  dafs 
der  ersle  beste  Frapzos  den  Schachbas  veriiihren  und  mil  sich 
nach  Parift  schleppen  sollte?  (Zur  Tochlen)  Sage  mir,  Seha* 
raf-Ni«a,  ich  habe  vergessen:  mil  welchen  Worien  hai  jener 
Sammler  von  Krautern  und  Pflanten  unscrn  Schachbas  be- 
rUckt  und  zur  Reiae  nach  Paris  beredet? 

Scharaf-Ni«a-Chanum*  Er  sagte  ihm,  dafs  in  Paris 
die  sch5nen  Jungfrauen  mil  uoverhiilllen  Gesichtern  in  Ge- 
svUschafi  gehen. 

Schachrabonu-Chanuui.    Wat  noeh? 

Scbaraf«-Nifa*Chanum.  E>  sagte  m>cfa,  dafs  iqParis 
die  Madcben  und  Frauen  mit  den  jungen  Maanern  tanzen, 
sprechen  und  lachen. 

Schachrabanu-Chanum  (unwiliig),  Ei!  das  sind 
itnmer  die  namlichen  Worte!  Was  hat  er  sonst  noch  ge- 
sagl? 

Scharaf-Nisa-Cbaoum.  Andere  Worte  sind  nicUt  in 
meineu)  Gedachlnifs  geblieben;  ich  weib  nichl,  waruin. 

Schachrabanu-Chanum.  Grofser  GottI  NeineToch- 
ler!  Wie  soli  ich  Gatam^Chan^Aga  sageo,  dafo-  sein  Neffe 
Schachbas -Bek  sich  in  die  Pariser  JungfraiMn  und  Sch$neD 
verliebi  hat  und  mit  Mujje  Joiirdan  aus  KariSbag  nieich  Paris 
reisen  wili^  und  dab  seine  sechzehnjahrige  Tochter  Scharaf- 
Nisa-Chanum,  auf  Schachbas  eifersiichtig »  vor  seiner  Abteise 
ihren  Thranen  freien  Lauf  la&t  und  Trauer  unlegt? 

Scharaf-Nisa*Cbanuni.  Grofser  Gdtt!  Asche  auf 
mein  Haupt:  was  spricht  die  Mutter!  Die  Erde  verscfawin- 
det  unier  ineinen  Fiiben!    Ich  eile  von  hinnen.    (Lauft  fori.) 

Schachrabanu-Chanum  (zur  jungeren  T4»chier).  GiiU 
Ischegre!  Geh',  sage  dem  Vater,  dafs  er  gleich  zu  mir  kom- 
men  inlige ;  icb  bedarf  seiner  wegen  einer  wichligen  Angele- 
genheit  Er  spricht  fainter  der  iSakla  mil  den  Hirten.  (Gul- 
tschegre  lauft  hinaus.) 

Schachrabanu-Chanum  (allein).  Was  fur  ein  un- 
dankbares  Volk  sind  diese  Franzosen!  Nidii  die  mindeste 
Dankbarkeit   haben   sie   fiir   erzeigte  Wohlthaten.     Und   ich, 


Bin  tataritcbet  Lufttpiet.  423 

Th&rin,  bereiiete  jeden  gesegneten  Tag  Sahne  und  Butter 
zum  Miltagbrod  fur  Muaje  Jourdan,  Pilau  und  Braten  zum 
Abendessen  fur  Mu«je  Jourdan,  auf  daHs  er  nach  seiner  Heim- 
kehr  in  sein  Vaterland  nicht  sageu  mochle:  die  Weiber  des 
Karabager  Nomadenstammes  seien  rohe  Geschopfe,  die  ihre 
Gaste  nicht  zu  ehren  wissen*  Und  dann  soil  man  den  Leu- 
ten  Gutes  thun:  alle  meine  Wohlthaten  hat  der  Wind  fort- 
geweht.    (Gatam-Chan-Aga  Jritt  ein.) 

Gatam-Chan-Aga.  Zum  Guten,  Frau?  Was  giebt's? 
Warum  hast  du  mich  so  eilig  rufen  lassen? 

Schachrabanu-Chanum  (mit  gerunzelter  Stim).  Was 
kann  es  Gutes  geben?  Komm  her  und  sieh:  jener  Sammler 
von  Krautern  und  Pflanzen,  wegen  dessen  du  so  lange  besorgt 
warst,  hat  deinen  Neffen  beriickt  und  entfuhrt  ihn  mit  sich 
naeh  Paris. 

Gatam-Chan-Aga.  Wie!  Miuje JourdajinimmtSchach- 
bas  mit  nach  Paris!    Wer  sagt  das? 

SchachrabanuoChanum.  Ich  sage  es.  Er  hat  es 
selbst  Scharat^iM  und  mir  bekannt. 

6atam«>Chan-Aga  (lacheod)*  Ho,  ba,  ha!  Sehachbas 
weifs,  dab  deine  Tochter  ein  zartliches  Herz  bat;  er  macbfce 
sich  lustig  liber  sie,  imd  sie  ist  wahrscheinlich  durch  seme 
Worte  in  Kummer  versetzt*  Ha,  ha,  ha!  Mutter  usd  Toch^ 
ier  haben  zusammen  nichi  Ar  einen  Heller  Verstand  und  ge- 
rathen  bei  jeder  Nachricht  aufser  sich. 

Schachrabanu-Chanum.  Da  selbst  hSltst  AUes  fiir 
Narrheiten.  Er  ist  jnng;  vielleicht  hat  dieser  Franzos  ihm 
allerhand  Marchen  eriahlt  und  seinen  Geist  verwirrt,  Dn  hist 
ein  Mann :  wird  es  Blutvergielseii  geben,  wenn  du  Beide  ri^ 
und  frags t:  was  ist  das  fur  ein  Geriicht? 

Gatam-Chan-*Aga.  Gaoz  wohl,  Frau!  Schreie  jDieht, 
wenn  du  Allah  liebst.  Ich  lasse  sie  diesen  Augenbliek  tufefi 
und  Irage  sie  in  deioer  Gegenwart  aus.  VerNere  nur  nicht 
die  Geduld! 


28* 


424  His  tori  sch-lingiiistisclie  WiBsentchaften. 

II. 

(Die  Scene  verwandell  sich  in  das  ersle  Gemach  des  Hauses. 
Auf  dem  Fufsboden  sind  Matlen  und  Teppiche  ausgebreitel; 
in  einer  Ecke  liegen  Sacke  mil  Mehl,  in  einer  anderen  Kriige 
mil  Oel,  in  der  drilten  Kisten  mil  Wolle.  In  der  iSakIa  silzen : 
Galam-Chan-Aga ;  seine  Frau,  Schachrabanu-Chanum,  den  un- 
leren  Theil  ihres  Gesichts  mil  demSchleier  bedeckl;  Schach* 
bas*Bek,  auf  den  Griff  seines  Kindjal  gesliilzl;  Monsieur  Jour- 
dan^  auf  einer  Kiste,  mil  gekreuzlen  Beinen,  eine  Cigarre 
rauchend.  Hinler  dem  Vorhang,  der  vor  dem  Belle  hangl^ 
verbirgl  sich  Scharaf-Ni«a*Chanum,  welche  gekommen  ist,  um 

das  Gesprach  zu  behprchen.) 

« 

Galam-Chan-Aga.  Hakim  Sahib  (Herr  Doctor!)  Man 
sagl,  dafs  Ihr  Unseren  Schachbas  mil  nach  Paris  nunmt  Was 
ist  das  fur  ein  Geruchl? 

Monsieur  Jourdan.  Ja,  Galam-Chan-Aga,  ick  war 
selbsl  willens,  Euch  dies  miUulheilen,  weil  es  scfaade  isl,  dafs 
ein  so  aufgeweckler  junger  Mensch  wie  Schachbas -Bek,  der 
andere  Sprachen  gelernt  hal,  nichl  auch  Franzosisch  weifs. 
Ich  verspreche  ihn  nach  Paris  milzunehmen,  ihm  dorl  die 
franzosische  Sprache  zu  lehren  und  ihn  dann  zu  euch  zurtick^ 
zuschicken.  Er  brennt  vor  Verlangeni  diese  Sprache  zu  er<^ 
lerneui  und  ich  bin  daher  itberzepgl,  dab  er  rasche  Forlschritte 
machen  wird,  um  so  mehr,  weil  er  durch  den  Umgang  mil 
mir  schon  einige  Phrasen  kennl. 

Galam-Chan-Aga  (zu  Schachbas -Bek).  Schachbas! 
1st  es  wahr,  dafs  du  nach  Paris  reiseii  wUlst? 

Schachbas-Bek.  Ja,  Onkel  Wenn  Ihr  die  Erlaubnife 
gewiihri,  so  reise  ich  mil  Mn«je  Jourdan  und  kehre  wieder  zu 
Euch  zuriick. 

Galam-Chan-Aga.    Wozu  will  mein  Sohn  reisen? 

Schachbas-Bek.  Um  die  franzSsische  Sprache  zu  er- 
lernen,  Onkel. 

Galam-Chan-Aga.      Wozu   soil   dir    die   franzSsische 


Bin  teterisches  LasUpidL  425 

Spr/iobe  dienen,  Lieber?  Fiir  dich  sind  die  arabische^  per- 
nsche,  talarische  und  rtissische  Sprache  nolhwendig,  die  du, 
GoU  sei  Dank^  schon  in  den  Scbulen  erlernt  ha$t  und  weifst 

Schachbas-Bek,  Onkel!  Die  fransosische  Sfuracfae 
ist  fur  micb  sehr  nolhig;  denn  ais  ich  vor^ges  Jahr  in  Tiflis 
war,  wohki  ieh  auf  Euren  Befebl  ging»  um  die  Ermacbtigung 
ton)  Graben  eines  Canals  su  erhalten,  wurde  in  alien  Gesell* 
schaflen  Tarwerdi-Bek,  Sohn  des  AI]awerdy*Bek,  der  in  War- 
schau  FranzSsisch  gelemt  hatle,  weil  meihr  g^ehrt,  ais  icb, 
obgleich  er,  aufeer  Franz5siscb  und  Taiariseh,  keine  andere 
Sprache  verslehi. 

Galam-Chan-Aga.  Mein  Sohn!  Du  hist  no^h  ein 
Kind:  aUes  dies  iat  Narrheit  Dem  Menscben  isl  Verdienst 
nothig:  durch  die  Kenntnifs  von  einer  Sprache  mehr  wird 
setn  Verstand  nicbi  grofser,  tind  welche  Sprache  er  auch  re- 
del,  er  mufs  vor  AUem  \vissen^  was  in  der  Welt  vorgeht,  die 
Sili^i  und  Gebrauche  der  Menscben ,  wenn  auch  our  eiwas, 
kennen,  und  seine  eigenen  Geschafte  zu  fubren  versiehen.  - 

Schachbas-Bek.  Zu  den  Menscben  gehoren  aber  auch 
die  Pariser;  nach  Euren  Worien,  Onkel^  isi  es  also  nothig, 
auch  ibre  Sitten  und  Gebrauche  kennen  zu  lemen* 

Gatam-Chan-Aga.  Was  ist  dar^in  Tadelnswerthes? 
Leme  auch  ibre  Sitten  und  Gebrauche  kennen ,  wenn  du 
wilkt 

Schabbas-Bek.  In  diesem  Fall,  wenn  ich  nicht  nach 
Paris  gebe^  wie  soil  iel)  aie  kennen  lernen? 

Gatam-Chan*Aga.  Sehr  l^cht:  eben  so,  wie  ich  sie 
kennCi  indem  ich  Mu^je  Jourdan  sab  und  seine  Reden  horte^ 
obgleich  ich  selbst,  au&er  in  Karabag,  sonst  nirgends  ge- 
wesen  bin. 

Schachbas-Bek.  Ich  verstebe  nicht,  Onkel,  wie  Ihr 
die  Sitten  und  Gebrauche  der  Pariser  kennt. 

Gatam-^Chan-Aga.  Ich  wiU  es  dir  sogleicb  erklareti, 
mein  Sohn.  Jch  bin  iiberzeugt,  dads  das  Gegentbeil  unserer 
Sitten  und  Gebrauche  die  Sitten  und  Gebrauche  derEinwoh- 
ner  von  Paris  darstellt*     Zum  Beispjeh  wir  farben  uns  die 


426  HistorSseh'Uftgaistitdie  WisBeiitchaften. 

H8nde  mit  China,  und  ste  nicht;  wir  seheartn  uns  dieKopfe, 
and  die  la^sen  die  Haare  wachsen;  wir  siteen  £u  Hause  mil 
der  Miitie  auf  dem  Haupt,  nnd  sie  ohne  Mtitze;  wir  essen 
mil  dtn  Handen,  ttnd  sie  mit  L8ffein;  wir  nekmen  SSenllich 
Gesehenke,  und  die  heimlich;  wir  glauben  AUenii  und  sie 
glauben  an  Niehts;  unsere  Fraoen  tragen  l^urse  Gewander, 
und  die  ihrigen  lange;  bei  uns  herrachl  die  Vielweiberei,  ,und 
in  Paris  die  VieliB8nneret. 

Sehachbas<^Belc.  Onkel!  Das  babe  ioh  nichl  ver- 
standen« 

Gatani-Chan-Aga.  Warum  nicht  rerstanden,  mein 
Sehn?  Die  Vielweiberei  bedeutet,  dafe  ein  Mann  stch  nicht 
mit  ehter  Fran  begnOgt,  und  die  Vielmannerei  bedeutet,  dafs 
die  Frau  sioh  nicht  mit  einem  Manne  begnfigt  Die  erslere 
Silte  herrschl  bei  uns,  und*  die  letstere  in  Paris,  oaoh  den 
Biiohern  tn  urtheiien,  deren  Infaak  uns  Musje  Jourdan  den 
gansen  Winter  Uber  enulhll  hot.  Das  Uebrige  beuitheile 
nach  derselben  Rege),  und  lafs  die  unnutEe  Reise  aach  Paris. 

Monsieur  Jourdan  (sp&ttisch).  Ha,  ha,  ha!  Gatam- 
Chan-Aga!  Ich  bewundere  Eure  LogiL  Wie  gebt  es  au, 
dafs  ein  so  kluger  und  scharbinniger  Greis  nkht  sehon  Mil- 
glied  irgend  eines  Raihs  ge^vorden  isl !  Obgleich  ich  aber 
keine  Wideriegung  der  von  Euch  auseinandergesetaten  R^el 
versuchen  kann,  so  wiinschle  ich  doch  mein^rseits  etwaa  vor- 
subringen,  wenn  Ihr  erlatd>t. 

Gatain«Chan-Aga.  NachEurem  Wilien,  Hakim  Sahib. 
£ure  Worte  sind  uns  angenehm* 

Monsieur  Jourdan  (ernst);  Gatam^Chan^Agai  Ich 
wtinschte  Schachbas-Bek  mil  naeh  Paris  zu  nehnsen,  dor t  per- 
s5nlich  fiir  seine  Erziehung  Sorge  zu  tragen,  ihm  die  frmsS- 
sische  Sprache  und  so  viel  als  mSglich  von  den  Wissenschaf- 
ten  zu  lehren,  ihn  alsdann  dem  Kdnig  vorzusteUen  und,  zum 
Lohn  fjir  die  mir  von  Euch  erwiesene  neunmonatliche  Gast- 
freundschafl,  ihm  von  dem  Konig  ein  Geschenk  zu  erbitten  und 
ihn  Euch  dann  wieder  zuriickzusenden.  Dies  steht  in  meiner 
Macht,  dieweil  ioh  Doctor   und  Mitglied .  der  Akademie  der 


s 


Kill  tateriidiet  LMtepM.  ^27 

Wissensehaften  bin,  die  sich  unler  dein  peraonlichen  SchuUe 
defi  KttiMgs  befindei  and  defi  Wahlwolleni  Seiner  Majesliii  go- 
niefftt.  Da^  es  nun  aus  Eurer  Krklarung  hervorgehl,  dab  Ilir 
den  Nttlsen  des  Reisens  Jeugnet,  so  halte  ich  es  nicht  fur 
iiberflOssig,  Euch  desst-n  Vorlheile  dilrch  ein  augenachctQliehes 
Bsispiti  su.  beweisen.  Wenn  iob  oicbt  nach  Karabag  gdtooir 
vim  wUre  (er  nimmt  aus  seiner  Tasche  ma  Heft ,  Sftiet  es 
und  seigi  auf  einige  sorgsam  prapairirie  Blatter  and  Pliant 
fleif)  -*  wenn  ich  nichi  nach  Karabag  gek#iiinieB  >wace,  so 
w&rde  ich  nichI  wissen^  dafs  in  den  hiesigen  Bergen  dieae 
Kr&ttUr  Qffd  Gewiehse  exisliren.  Bisber  baben  unsere  Na- 
turforscher  und  Bolaniker,  die  Herren  Linnd,  Touvnefori  and 
Jossieu,  angenommcn,  dafe  man  diese  Krauter  nur  in  dtn  Ai- 
pen,  in  Amerlka>  Afrikaimd  dco  Bergen  der  Scbwelz ^)  lui- 
del;  ieh  aber  kano,  in  Folge  meiner  za  wiasenschaftlicben 
Zweeken  utttemoauBcnen  Reiae  naoh  Karaliag,  der  Pariser 
Akademie  fafweisen,  dafs  jene  Herren  gans  im  Irrthuoi  sind, 
indem  dine  Krauter  and  Pflansm  in  grofeeoi  Ueberfiufa  un- 
ier  den  Bergen  von  Karabag  •  angetneffen  werden.  Nachdem 
ich  so  ihren  Ursprung  erforscht  uod  stini  Nuti&en  der  Aers^le 
ilire  EtgtnscfaaQen  durch  Experiment  iestgesetsft,  gedeoke  ich 
^n  neues  Werk  darHber  beraussugeben  und  der  Welt'  vor- 
auiegen.  Dieses  Kra«t,  sum  Beispiel  (er  aeigt  auf  eines  voir 
seinen  KrSulem),  ift,  naoh  deo  von  our  angesteUlen  Versu- 
chen,  aufserordentUch  wirksam  gegen  Leibseboi^rsen.  Nach 
Herm  Linne  gehirt  es  zisr  dritlen  KiAsse,.naoh  Herm  Tour- 
nefori  Kur  vierten,  ich  aber  theiie  es  d«r  sMveilen  zu.  Und 
bier  diese  Pflanae  ist  aubetist  niitalich  bei  Augenfistehi*  Herr 
Linni^  reofaneisie  zur  siebenten,  .HerrTournefort  »ur  seehsten 
Klasse,  uod  ich  werde  sie  in  die  zehnte  veraelzen.  Okaes 
Kraut  dagegen  schBefrt  ein  einaiges  Miitel  gegen  Zabnscboier- 
zen  in  sich.  Herr  Linne  weist  ihm  einen  Platz  in  der  fiinf- 
len,   Herr  Tournefort  in  der  dritten,  icb  aber  in  der  achten 


*)'Wir  erinnern  bei  dieser  tatariscben  Dantenung  enropaischer  Gelebir- 
sanikelt,  dafs  wir  iiberairwertlich  6bsrsetzen. 


42B  HistoriMA-tiiigvittiMlM  Wisseiwchftfteii. 

Kiiwse  an.    Aber  hier  ist  ein  aufserst  interessanles  Graschen ; 
es  war  bisher  in  Europa  nicbt  bekannt  und  gali  fur  ^  rame* 
rikanisches  Gewachs ;  bu  meiner  grdfsten  Freude  enldeckle  icb 
ea  jedocA  im  Gebit^e  von  Karabag:  es  ist  uogenieki  ntilz-- 
lich  bei  ErkSltungen.     Ich  werde  es  der  vierten  Klasae  zu- 
Iheilen  und  von    alien    dieaen    Pflanzen    eine  Besclireibuiig 
anfertigen  und  verSffenttichen;    dann    wird  mein  Ruhm  dea 
Ruhm  der  Herren  Unne  und  Brovm  verdunkeln   und  mein 
Verdienst  um  die  Wissenschaft  das  Verdienst  uberlreffen,  wel- 
ches sich  jene  gelehrte  Societal  Gernianiens  durch  die  Enl- 
deckung  und  Uniersuchung  der  Kartoffetkranklieit  ooi  das  Va- 
terland  erworben  hat. 

6  a  la  m -Chan*  A  ga.  Ich  habe  auch  nicht  ein  Wort  von 
diesen  Allen  verstanden,  Hakim-Sahib!  Brafiu,  Lonc^  Tufar  — 
weshalb  haben  sie  sich  die  Muhe  g^ebea ,  die  Pflansen .  in 
Klassen  eintutbeilen?  Wer  ist  Kermanie,  wer  ist  der  Karlu- 
fal^  woven  ist  er  eri^rankt  und  was  ist  er  fur  ein  grofaer  Mann, 
dafs  man  so  ang^icfa  besorgt  ist  nm  sein  -WoUsein  und  si»n 
langes  Leben?  (Monsieur  Jourdan  lachU)  Wojltlbr,  Hakinae 
Sahiby  auch  meinem  Neffen  dergleichen  Raibsel  lehren? 

Monsieur  Jourdan.  Ich  bin  scbuldig,  Gatam^Chan- 
Aga!  Ihr  redet  die  Wahrheii;  jetst .  begreife  ich»  w^  fiir 
eine  Art  Beispiel  ich  Eueh  vorlq;en  mufs.  Nehmen  wir  also 
jenen  Gliicksritter,  deasen  Namen  ich  vergessen  habe  .und  der 
vor  einem  Monal  auf  einem  Karabager  Heng^  aus  dem  Ge- 
seblecbte  Al*etniasa  zu  Each  kam  und  von  Euch  bewirthet 
wurde:  wenn  er  nicht  nach  Karabag  gekemmen  ware,  wie 
hatte  er  so  grofsen  Reichthum  erwerben  koonen? 

Gatam-Chan-Aga.  Das  ist  klar  und  v^rstandlich;  Uir 
sprecht,  Hakim -Sabib>  die  lautere  Wahrheit.  Wenn  er  nicht 
hierher  gekommen  ware,  so  hiitte  er  nie  solohen  Reichthum 
erworben. 

Schachbas^Bek.  Tbeuerster  Oheim,  ich  flehe  Eudi 
an,  ich  win'de  mich  um  EuerHaupt:  erlaubl  mir,  Mu#je  Jour- 
dan ^u  begleiten.  Wenn  Ihr  mein  Gliick  vvollt,  so  wjrd  sich 
eine  so  giinstige   Gelegenheit  vielleicht  nie  vvieder  darbieten, 


Bin  tataritebw  Loatspk^L  429 

um  so  mehr^-als  Uir  und  der  Hdiim- Sahib  Euch  jeUt  ver- 
standigi  habt  und  Beide  den  NuUen  der  Reisc  anerk^nnt 

Gatam-Cban-Aga  (nadh  kursein  Bedeokeo).  Herr 
Doctor!  In  wie  viel  Zeit  kann  Schachbas-Bek  nach  Paris 
gehen  und  auriicuehren? 

Monsieur  Jourdan.  In  einem  Jabr,  nicbl  mehr,  baii 
er  sicb  aber  weniger  als  ein  Jahr  dort  auf,  so  wird  der  Zweek 
der  Reise  nichi  voUsiandig  erreichl,  da  sein  Hauplwunseh  ist, 
die  fransosische  Spraohe  au  erlernen. 

Gatam-Cfaan-Aga  (surFrau).  Frau!  Was  isi  da  wei- 
ier  au  Ihun?  Mdge  er  reisen:  ehe  mam  die  MiiUe  uaidreht, 
isi  ein  Jabr  verronnen.  Wenn  Schacbba^  an  solcbes  Kind 
ist,  dafs  er  durchaus  nach  Paris  reisen  und  jene  Siadt  sehen 
witty  so  sei  es  darunu  Hakim-Sahib  isi  auch  ein  yersiSftdiger 
Mann,  bei  dem  er  einige  Kenntnisse  o'werben,  Gules  und 
Schlechtes  sehen  wird;  von  demKdnige  wird  er  etnGeschenk 
erhallen,  am  Ende  eines  Jahrs  hierher  zuriickkehren  und  wie- 
der  zu  uns  koromen,  bis  dahiu  aber  beschaftigen  wir  uns  mit 
den  Vorbereilungen  zur  Hochzeit  und  feiern  diese  sogleich 
nach  seiner  Ankunft 

Schachrabanu*Chanum  (mil  Geschrei  aufspringend). 
Was  Taselsi  du,  Mensch!  Wo  sind  deine  Gedanken?  Ich  will 
nicht,  dais  er  nach  Paris  geht,  dafs  er  dort  Kenntnisse  erwirbt 
und  von  dem  franzSsischen  Konig  beschenkt  wird.  Diese 
Worte  sind  nur  ein  Voifwand.  Nicht  deshalb  will  Schachbas 
nach  Paris  reisen,  sondem  um  ibit  den  dorligen  Hadehen,  die 
sich  mil  unverhiilltem  Gesicht  in  Geselischaft  zeigen^  spa^ie- 
ren  zu  gehen,  sicb  lu  unterhallen,  zu  lachai- — ond  weiter 
ntcbts. 

Ga tarn-Chan* A ga.  Ei,  Fraiu,  gefnug!  Um  Gotteswil- 
,len,  schreie  nicht.  Was  soli  ich  ttiun?  Wenn  dii  kannat,  so 
lafs  ihn  nicht  rmen«  Eben  so  gut,  wie  man  den  beschwiog- 
ten  Vogel,  der  durch  die  Liifte  fliegt,  auflialten  kann,  wirst 
du  auch  den  Schachbas  mit  Gewalt  zuriickbalten  konoen; 
wenn  ich  ihm  die  Edrlaubnifs  versage,  so  springt  er  auPs  Pferd 


430  UiftoriiGli-^lliigoistisebe  WiMeiuchaften. 

und  iibenBchreilet  den  Araxes.     Wo  soilen  wir  ibn  dann  aof^ 
suchen?    Du  weifst  ja,  wie  halsstarrig  er  ist 

Schax^brabanu-Chanum  (mil  nocb  beftigerem  Ge- 
scbrei)*  leh  bin  nocb  balsstarriger  als  er.  Nie  werde  ieb  lei- 
den;  das  er  fortreisst.  M5ge  dieser  Scbleier  niebi  mir,  son* 
dern  einer  Bajaderc  gebdren,  wenn  ich  den  Scbaebbas  nach 
Paris  reisen  lasse! 

Sebaebbas-Bek  (spSlliscb).  lob  weifs  nicbi,  mit  wel- 
cben  Wacben  micb  die  Tanle  gefangen  haken  wilL 

SebachrabanU'-Cbanum  (scbreii  nodi  lanter).  •  Wir 
werden  seben!  Du  enlsagst  deinem  Pbirie  nicbi?  Gul!  Ich 
bleibe  aucb  bei  dem  meinigen.  Es  wird  sich  sdiM  leigen! 
(gebl). 

Gatam-Oban-Aga.  Unglttek  mil  den  Weibem!  (Mon- 
sieur Jourdan  sebwetgt  votler  Verwundtrung,  Scbacbbaa»J3ek 
voil  Unwillens.)  * 

(Die  Scene  ist  an  demselben  Ort   Schachrabanu-Chanum  siizt 
in  der  iSakla;  neben  ihr  Scharaf-Ni«a-Chanum,  Wolle  kam- 
mend;  die  Tbiir  offnel  sicb  und  die  barfufsige  Ainme  Scbaraf* 
Ni«a-ChanumV^  Chan  Pari,  Iritt  ein.) 

Chan  Pari.    Aalam-melik ! ^ 

Scbacbrabanu-Cbanuni.  Aleikessaiam !  Chan  Pari, 
weibl  4lu,  wio  »cb  die  Saeke  geendigi  bat?  (Scbaraf- Ni#a- 
Chanum  bSrI  auf,  die  Wolle  zu  kaaimen.)  DieSacbe  ist  da- 
mit  beoDdety  dais  Scbaebbas  uftfeblbar  naeb  Paris  reist  Jelzl 
bab*  ich  dich  rufen  lassen,  damit  du  biergegen  deinMtitel  an- 
wendost^  weiin  du  eities  bast.  Du  weifst,  Was  Gatam>-Cban- 
Aga  fiir  ein  Mann  ist:  «o  weieh  wie  Teig;  anfinngs  sprach  er 
gut}  wurde  aber  plSlzlieb  scfawacb  und  darcbeinige  unsinnige 
Worte  Mu^je  Jourdan's  und  Sebacbbas-Bek's  selbst  von  Sin- 
nen  gebracbt.  Jetzt  nMifs  ich  sterben  oder  Scbacbbas  von 
dieser  Reise  zuriickhalten ,  denn  icb  konn  niobt  gleicbgiiHig 
auf  Scharaf-Nisa  blicken,  welche  Tbranen   vergiest.     Wird 


Goil  es  leiden^  dab  Schaolbas  zu  seiueai  VergiU^en  niiek 
Paris  reist,  wahrcnd  hier  ndn  seohidinjahriges  Kind  nit  ror 
sigen  Wangen  achzet,  Blut  hustel,  so  gelb  wie  eine  Quille 
und  dtinner  als  ein  Faden  wird? 

Chan-Part.  Chatrnm!  (Md  dasMillel,  von  deal  ich  dir 
langst  gesprochen  habe?  WaruniGataiii»Chan-*Aga  oder  ir- 
gend  eioen  andern  bitlen:  sclucke  in  das  benaobbarie  Dorf 
Agjiebedi  za  dem  aus  Persien  dort  ang^kommeDen  Derwisch 
Masl-Alt-Sehacfa ;  m5ge  der  konimen  und  die  Sache  nach  dei- 
nem  Gefailcn  ^  ordnen*  In  seiner  Zauberkanai  liegl  timo  sokhp 
Macht,  dab  er,  wenn  er  ^rallte,  meinen  Alten  atigenblicklieh 
dazu  brihgen  konnte,  skh  ron  mir  seheidett  au  lassen^ 

Schachrabanu-Chanum.  Cban  Paril  Auchichhabe 
von  seiner  Zauberkraft  gehSrl,  bm  aber  noeh  iavner  unent- 
scUossen.  Erzahle  mir  etwas  van  seiMn  Thalen^  wenn  du 
kannst;  ich  wiU  sehen,  ob  mein  Hen  Glauben  faaatn  kann, 
denn  nnsere  Angelegenhett  ioi  eine  sehr  schwierige. 

Chan  Pari.  Chanun^!  Hat  er  nicht  die  Frau  des  Ke- 
rin-Kewcbi  von  Ag;;eb6di  von  ihrem  Manne  getrennt  und  mit 
ihrem  Liebhaber  vemeiaigt?  Hat  ec  nicht  die  ToclUer  des  5a- 
far-Ali  von  Mugan  mit  ihrem  Geliebten  verheirathet,  indem  er 
ihreh  Valer  tSdtete,  deraich  der  Ehe  widersetzte?  Hat  er 
nicht  den  Gatten  ScbadiMnom's,  der  Tochter  des  Kerbalai- 
Kenber  von  D^wasch,  voa  Reiner  jahrelangen  Reise  zuriick- 
gebrachti  damit  sich  diese  nicht  in  seiner  AbwesenheR  zum 
zweiten  Mai  verebeliche?  Nichta  kann.  aus  seiaen  Handen 
enUchllijifen. 

Schachrabanu-Chanum.  In  diffaen  Falte,  Cfaan-Paci, 
mein  Auge!  sonde  alig  deio^  Sohn  AU.Mordan  in  daa  Dorf 
Agjebedi  zu  Mast-Ali-Schach;  lafe  ihm  sagen,  dafs  ieh  ihn 
erwwte^  verspfich  Uim  Aiks,  was  er  veriangt —  mit.einem 
Wort,  Mast- All -Schach  mob  hier,  in  diesem  Gemacfa.,  sain, 
ehe  das  Licht  angeziindet  wird. 

Chan -Pari.  Sogleich  schicke  ieh,  Chanum!  doch  unter 
der  Bedingungy  dafs  Ga tarn- Chan -Aga  und  Schachbas  *  Bek 
nichts  von  dem  Besach  Mast^  Ali-Schach's  wissen  m^gen.    Der 


432  Historisoh-liiigiilstiMhe  Wusenscbaften. 

Himmel  vechitte^  dafs  Schachbas-Bek  ihn  hier  (inde:  er  wiirde 
ihn  lodtschlagen  und  aueh  mich  nicht  uiiier  den  Lebendigen 
iassen. 

Schachrabanu-Chanum*  Das  verstehl  sich!  leh 
gehe  jetot  gleich  and  schicke  Gatam-Chan-Aga  und  Schach* 
bas ,  nach  den  Ressheerden  su  sehen  ^  und  sage  ihnen ,  sie 
mSchien  bei  ihrer  Riickkunft  sicb  in  das  zweite  Geoiach  ver- 
fiigen,  wo  der  ArbeiUtisch  Scharaf-Nwa's  stehli  und  sich  dorl 
schlafen  legen,  um  keinen  Preb  aber  in  dieses  Geinack  kom- 
men,  wo  ich  die  ganse  Nacht  fiber  der  Scharat-Nisa  das  Haupl 
waschen  und  sie  baden  wolle.  Duaber,  Chan-Pari,  steh'  auf 
und  schicke  deinen  Sohn  zum  Derwiscb.  (Gban-Pari  gebl  ab, 
ihr  nach  Schachrabanu-Chanum.) 

Scharaf-Nisa^^Chanum.  O!  Dank  dir ,  Herr,  fur  deine 
Gnade:  Man  Herz  beruhigt  sich  ein  wenig.  MSge  das  Land 
untergehen^  in  welchem  es  keine  Zauber*  und  HeKenkiinsie 
giebi!  Ohne  den  Derwisch,  von  dem  meine  Amme  spriehl, 
wiirde  Musje  Jourdan  den  Schachbas  imfehlbar  mil  sich  forl- 
gefuhri  und  meine  Tage  in  schwarzen  Trauerfior  gebiilll  ha- 
ben.    (Die  Thiir  dffnel  sich,  und  Scfaacfabas-Bek  triU  ein.) 

Schachbas-Bek.  Scharaf^Nisa!  Dein  Schmeri  ist 
der  meinige.  Weifst  du,  wekhen  Scandal  die  Xante  beut  an- 
gerithtel  hai?  In  Gegenwart  von  Muqe  Jourdan  begann  sie 
den  Onkel  anzuschreien,  so  laul  sie  konnte,  und  auch  mir  zu 
drohen. 

Scharaf-Nisa*Chanuiii.  Schachbas!  Du  selbst  weifst 
nicht,  was  du  thust,  und  das  Geschrei  deiner  Tant^  ist  dir 
nur  so  vorgekommen. 

Schachbas-Bek.  DeinSdmiers  ist  der  meinigei,  Scha- 
raf^Nisa!    Was  hab*  ich  gethan? 

Scharaf-Nisa-Chanum  (lauft  zu  ihrem  Arbeitstisch 
und  nimmt  einige  Blatter  heraus).  Schachbas!  Wer  hat  mir 
diese  Bilder  gebrachl?  Hast*  du  sie  mir  nicht  gebracht  liiit 
den  Worlen:  Das  sind  die  Bildnisse  Pariser  Jungfra|ien. 
Sieh,  was  es  in  Paris  fiirSchones  giebl!  Diese  Madcfaen  und 
Frauen  •  nehmen  mit   den  Junglingen   an   den  Gesellschaflen 


Kin  tatarweliei  LQHspiel.  433 

1 

t 

Theil!  —  Aus  Schaam  hab*  ich  sie  deiner  Xante  noch  nichi 
gezeigt. 

Schachbas-Bek.  Bij!  Scharaf-Nua,  wie  kindisch  du 
urlheilsl!  Diese  Bilderchen  waren  iwischen  den  BlaUern  von 
Mu9je  Jourdan^s  Biichern.  Einst  imiersuchie  und  diirchbliii* 
lerle  er  seine  Bocher,  sah  auf  eioooal  diese  BilJer  und  sagie 
mir,  indem  er  sie  aus  den  Biichern  nahm:  Hierninun  sieniit» 
zeige  sie  deiner  Braui  und  sage  ihr,  dafs  in  diesem  Jahr  die 
Pariser  Frauen  undM&dchen  sich  so  kleiden;  im  vorigenJahr 
haben  sie  sich  anders  gekleidet,  und  kiinftiges  Jahr  wird  ihre 
Tracht  wieder  eine  andere  sein:  denn  alle  Jahre  verSndem 
sidi  in  Paris  die  Moden.  leh  brachte  sie  mit  und  gab  sie  dir: 
was  soil  hieraus  folgen? 

Scharaf-Ni«a*Chaiiuni.  Es  folgt  daraus,  dafs  du  aus 
Liebe  zu  diesen  Jungfrauen  von  hier  nach  Paris  fliegst,  leich* 
ter  als  der  Wind. 

Schachbas^Bek;  Scharaf*Ni«a|  was  sprichsi  du!  Mo- 
gen  alle  Madchen  in  Paris  das  Opfer  eines  deiner  Haare 
sein!  Mil  einer  so  schdnen  Braui  wie  du  hist)  wiirde  ich 
selbst .  die  Houri  des  Paradieses  nicht  beachlen.  Ich  mochie 
ohne  dich  nichi  einen  Tag  leben. 

Scharaf-Niaa-Chanum*  Genug,  um  Gotteswillen! 
Verschone  mich  mit  soichen  falschen  Veraicherungen:  Ein 
junger  Mensch,  der  nichi  einen  Tag  ohne  mich  leben  kSnnie, 
wiirde  nichi  von  hier  nach  Paris  forlreisen.  Du  liebsi  mich 
nichi  im  Oeringsten! 

Schachbas-Bek  (siiirzi  auf  sie  zu,  schlingi  seine  Arme 
um  sie  und  kiilsi  sie).  Scharaf-Ni^a!  Du  hasi  einen  sehlim* 
men  Verdacht  auf  mich.  Es  ware  besser,  dafs  du  einen  Pfeil 
in  mein  Herz  schdssest,  als  mir  solche  Worte  zu  sageo! 
Wanim  frags t  du  nichi  ersi,  aus  welchen  Griinden  ich  nach 
Paris  reise? 

Scharaf-Ni«a-Chanum  (machi  sich  aus  seiner  Umar- 
mung  los,  mji  Thranen).  Warum  soli  ich  fragen:  ich  weifs 
selbst  recht  gut  die  Grunde  deiner  Reise.  Hier  sind  ihre 
Griinde  und  ihre  Urheberinnen.     (Drucki  die  Zahne  zusam- 


434  Historigeh-HiigoiBtisdie  "Wissentcbaften. 

men,  zerknittert  die  Modebilder  in  den  HSnden  und  wirfl  sie 
zu  den  Fiifsen  Schachbas-Bek*s.) 

Schaclrbas*Bek.  Ich  schwdre  dii^s^  dicse  sind  nicht 
die  Urheberinnen.  Du  weiCrt  es  nichi:  inetne  Gefahrten  ha- 
ben  alle  durch  Kenntnisse  und  Verdienste  Ehre  und  Achtung 
erworben  und  ihrGliick  genuK^hi,  ieh  allein  bleibe  unbeachtet 
in  der  Dunkelheil. 

Scharaf-Ni^a-Chanum.  Erstens  ist  dieses  nichi  die 
Wahrheit.  Wer  von  unseren  Leulen  hatte  etwa  durch  Kennt- 
nisse  und  Verdienste  sein  Gliick  gelnacht?  Die  GliickHchen, 
die  vnv  sehen ,  sind  es  Alle  auf  anderem  Wege  geworden  *). 
Zweilens,  wenn  du  dienen  willst,  so  geh*  nach  Tiffis  und  dann, 
wenn  es  dir  gefallt^  nach  Moskau  und  Peietsburg,  wofain  un** 
sere  Hand  dich  erreichen  und  woher  Nachricbten  von  dir  zu 
uns  gelangen  kdnnten;  nach  Paris  aber  gehl  keioer  von  uns 
und  Niemand  kommt  von  dort  zu  uns. 

Schachbas-Bek.  Du  redest  die  Wahrheii;  aber  jedes 
Ding  wiU  einen  Vermittler  haben.  In  Tiflis  und  jenen  ande* 
ren  Sladten  kennt  midt  Niemand:  wer  wird  mir  also  dieGe* 
legenheit  geben,  in  Dienst  zu  ireien?  Dieser  Franzos  binge- 
gen  ist  ein  guler  Mensch,  der  mich  liebt  und  meine  Familie 
kennt;  er  wird  mich  nach  Paris  nulnehmen,  in  der  franzSsi- 
schen  Sprache  unterrichten  und  dem  KSnige  v<M*steIlen:  ich 
werde  Bekanntheit  erlangen  und  nach  meiner  Ruckkunft  iiber* 
all  eiiien  Plato  finden  k5nnen. 

Scharaf-Nisa-Chanum.  Alle  diese  Wovte,  so  konst-^ 
reich  erdacht^  sind  nur  Blendwerke,  um  mich  leichter  zu  tau- 
schen.  Ist  es  wahrscheinlioh,  dafs  ein  so  schckier^  tapferar, 
edler  und  khiger  jungar  Mann ,  wie  do  bisl,  nicht  in  'tiflis 
eiiten  Dienst  finden  kSnne? 

Schachbas-Bek.  Nach  meinet*  Riickkehr  aus  Paris 
bin  ich  willens,  nach  Tiflis  zu  gehen  und  dort  in  Dieaste  zu 
treten. 


*)  Wie  man  sieht,  ist  der  Miraa  Achnndow  ein  feiner  Satiriker/   Obige 
RepFik  ist  fcostlicli. 


Bia  toteriedies  LnilipieU  43^ 

Scharaf-Nisa-Chanum  (die  zur  Erde  geworfenen 
Bilder  mil  Pufsen  trelend).  In  Paris  wird  ein  jqngec  Mann, 
wie  du,  sich  nicht  von  dem  EiDflufs  dieser  Verflihrerinnen 
losmachen  konneOj  um  na€h  seiner  Riickkehr  eip  ordentlicfaea 
Leben  zu  fiihreo.  Aber  du  Mirsi  nie  nach  Paris  gehen^  wemi 
du  geh^ii  so  ruhme  dich  desseo,  und  nicht  jeUt  (Man  hort 
die  Slimme  des  Gatam-Chan-Aga,  der  den  Schachbas  rufi, 
welcfaer  schnell  ai^ebt.) 


IV. 

(Ebendaselbst.     In   der  Sakia   sitzen  Schachrabahu-Chanum; 
Scharaf-Nisa-Chanum  und  die  Amme  der  ietzteren,  Chan-Pari. 

Zehn  Dhr  Abends.) 

Schachrabana-Chanum  (unruhig),  Chaa-Paiiy  was 
isl  vorgef alien?    Der  Derwisch  kommt  nicht 

Chan-ParL  Machi  Euch.  keine  3orge,  Chanum!  er 
wird  gleich  hiersein.  (Die  Tbiir  ofoet  aicfa,  und  Masl-Ali- 
Sehaeh  triti  ein.) 

Nasi-AIi-SchMh.    <Selamuin-aJleikuni! 

Schachrabaau-Chanum*  AJeikessalam^  6aba  Der- 
wisch!   S^d  willkomtteDi  s«tsi  Euck 

iy}a8t*Aii-Scha€h  (seizt  sich).  Chamiin!  WekKeBe- 
fehle  Uir  mir  geben  werdei,  ich  biik  mil  JSJopi  mkiS^\e  her 
reili  sie  zu  erfiUIen. 

Sohachrs^baBU-Ch^inuDi.  Baba  Derwisch!  Wegetn 
etaer  sebr  gaingen  und  leicht^n  Sache  habe  ich  dich  beuar 
mhigt  und  m  4ir  ^schickt  .  Die  Angelegenheit  ist  dieses 
Unser  Schachbas  hal  sich  ganz  vom  Hchtigen  Weg«  ai>ge* 
wendet;  wir  haben  einen  Franzosen  alsGast  bei  uns,  dem  er 
sich  anschliefsen  und  mil  welchem  er  nach  Paris  reisen  wiHi 
mein  rosenwangiges  Kind>  seine  Braut,  die  in  zwanzig  Tagen 
die  Hochzeit  erwartete^  in  Thranen  und  Leid  zuriickla^send. 
So  sehr  ich  und  Gatam-Chan-Aga  ihn  auch  bajtePi  Alles  war 
vergebens!     Jetzt    bilt*  ich   dich^   mache  es  so,   dafe  unser 


436  Historigcb-linguifititche  Wissenscbaften. 

Sehachbas  nicht  nach  Paris  reisen  kann  und  dafe  Mu«je  Jour- 
dan  seine  Absichl,  ihn  milzunehmen,  aufgiebt. 

Masf-AH-Schach.  Chanum!  Dies  ist  keinesweges 
eine  geringe  und  lerchle  Saohei  sondern  im  Gegenih«ii  eine 
sehr  wichiige  und  miihsame  Sache.  Die  Wirknng  nieiner 
Zauberkunst  muss  sich  entweder  auf  Paris  oder  auf  Mu#je 
Jourdan  erslrecken. 

Schachrabanu-Chanum,  Ich  versiehe  nieht^  Baba 
Derwisch!  Warum  mufs  die  Wirkung  deiner  Zauberkunst 
sich  entweder  auf  Paris  oder  auf  Mujje  Jourdan  ersttecken? 

Mast-*Ali-Schach«  Weil,  wenn  kh  Schacfabas-Bek 
beriihre>  ich  einem  der  Teufel  befehlen  mufs,  sich  seiner 
Seele  zu  (leoiaehligen  und  den  Gedanken  von  der  beabsieh- 
tigten  Reise  ihm  aus  den  Kopf^  hii^auszuwerfen.  Aber  Sehach- 
bas-Bek  ist  noch  sehr  jung,  und  ein  solches  Beginnen  kann 
i|in  so  erschreeken,  dafs  es  eine  Erschiitlerang  in  seineni 
Verstande  hervorbringt,  oder  er  kann  davon  erkranken  und 
zuofi  KrUppel  werden. 

Schachrabanu-Chanum^  Urn  Gotteswilten,  Baba 
Derwisch,  rede  nichi  solche  Worte!  AUe  unsere  Sorgen  sind 
nur  dahin  gerichtet,  dafis  Sehachbas  sich  nicht  auf  einen  ein- 
zigen  Tag  uns  aus  den  Atigen  entfernt.  Wie  kSnnen  wir  zu- 
geben,  dab  ein  Teufel  sieb  seiner  Seeie  bemSchtige? 

Mast-AlioSehach.  In  diesemFalle,  Chanumi  mufs  ich 
den  Teufehd  und  Gelstem  befehlen,  Paris  zu  zersloren,  dort 
dasOberste  zu  unterst  zu  kehren;  damit  Sehachbas-Bek  seine 
Absicfal,  dahin  zu  reisen,  aufgebe;  oder  ich  myfe  dem  Stern 
Merrich'^)  befehlen,  Mujje  Jourdan  den  Kopf  abzuhauen,  da- 
mil  er  den  Sehachbas  mclit  nach  Paris  fahren  mSge.  Anders 
ist  diese  Sache  in  keiner  Weise  zu  eriedigen. 


*)  Es  ist  dies  ein  Stern,  der  ini  Osten  anter  der  Gestalt  eines  Menschen 
bekannt  isi,  welcber  einen  blofsen  Dolcb  in  der  Hand  bait.  Er  wird 
oft  fon  d^n  Zanberern  angerofen,  am  ihre  farcbtbaren  Plane  za  er- 
fiinen.  Anm.  d.  Verf. 


Bfn  taCariitcbifts  Lattspiel.  j^^ 

Schachrabanu-Ohanufii.    Isl  das  aber  moglich/Baba 
Dcrwisch?    Konnt  Ihr  es  wirklich  ausfiihren? 

Mast«Ali*-Schach.  Das  ist  tneine  Sache^  Chanuitf! 
Was  ist  da  zu  zweifein?  Habtlhr  nicht  gehSi^^  wie  ieh  eini-^ 
gen  Geistem  befoMen  ha€e,  in  d^r  Festung  Schuscha  Strei^ 
tigkeiten  und  Intriguen  unter  den  MuUa's  der  Secten  U«uli 
und  Scheichi  anzuschiiren  und  ihnen  nimmer  Ruhe  zu  gd>eti^ 
well  sie  sieh  unferstanden  haiten,  dem  Volke  mit  lauter  Stimoi^ 
von  den  Kanzein  «u  predigen,  dars  es  nicht  an  Zauberer  uint 
Hexennieisier  glauben  m5ehte?  War  ich  es  denn  nicht,  de^ 
die  Seele  des  Teulfels  Keile/an ,  welcher  unverg^eicfalich  ist 
in  Ranken  und  Bosheiten,  in  den  Kdrper  des  Aga  Well -AH- 
Kuli-Ogly  versetzle  *  und  ihn  nach  Siilgan  schickte  zum  Ufl^ 
gliick  der  dortigen' CinWohner,  die  jetzt  aus  Farcht  vol*  Iseider 
b6sen  Zunge  lind  seinen  Schelmenstreichen,  weder  Tag  noch 
Nacfat  in  ihren  Hausern  schlafen  konnen?  Aber  hierdurch 
hab'  ich  mich  noch  zu  wenig  an  den  Saijanern  gerMcht^  die 
micb  voriges  Jahr  von  sich  trieben,  mit  der  ErktarUng,  dab 
ihre  Heimath  der  Wohnplatz  frommer,  rechtglaubiger  Leute 
sei,  und  dafs  ich,  ein  Derwisch  und  Hexenmeister,  sie  nrcht 
betreten  diirfe.  Allein  was  erzahle  ich  £uch  dies?  Ich  kann 
noch  ganz  andere  Beweise  meiner  Macht  anfuhren.  HSrti 
was  ich  vor  elf  Jahi'en  unweit  der  Bezirke  Nachitschewan 
und  Sckarur  gethan  habe:  Ich  kam  an  das  Ufer  des  Araxes, 
wollte  Uber  den  Fluss  selzen  und  nach  Eriwan  gehen,  aber 
die  Bewohner  jener  beiden  Distrikte  hinderten  mir,  indem  sie 
erklSrten,  dafs  ich  keinen  Pass  habe,  ia(s  ich  folglick  ein 
Landstreicher  sei,  und  dafs  es  gesetzlich  verboten  ware,  der- 
gleiehen  gute  Leute  in  ihr  Land  hereinzulassen  —  und  da- 
bei  sind  sie  selber  AUe  ofFenkundige  Spttzbuben.  So  viel  ich 
auch  bat  und  beschwor,  «ie  schenkten  mdnen  Bitten  kein 
Gehbr,  bis  ich  endKch  die  Geduld  verlor  und  den  Teufein  und 
Geistern  befahl,  alle  Hauser  der  Bezirke  Nachitschewan  und 
Scharur  zu  zerstSren  und  sie  der  Erde  gieich  zu  machen. 
Der  Schlag  war  sq^  slark,  data  von  ^er  Erschutterung  ein 
Theil  des  Berges  Ararat  einsturztc  und  das  Dorf  Arguri  ver* 

finnans  Russ.  Archiv.  Bd.  XI.  H.  3.  29 


436  Hi8toriscli«-Uigui8UBGlie  Winsenichaften. 

$chuttete*)>  desften  uoschuldige  Binwohner  das  Vergeben  ih- 
rer  b5sen  Nachbarn  bii&en  musslen^  Mil  einem  Worte  — 
ivenn  tcb  d«m  Miraw*^)  befehle:  stiirze  ein!  wie  kann  er  da 
i^ht  eins4urzeny  und  wenn  ich  d«in  Araxes  befehle:  h5r*  auf 
aai^flief9.m!  wie  kann  er  da  seinen  Lauf  forUeUen? 

SchachrabanU-QhaAum  (voll  Ersiaunen).  Golt!  Be- 
hiite  una  vor  aolchein  Ungluck! 

Masl-Ali-Schach.  Chanum!  Die  Nachi  vergebt,  es 
isi  keine  Zeii  su  vertieren;  sagei  mir,  wann  Mu^je  Jourdan 
abreist? 

Schacbrabanu*Chanum«    Ii|  aiebn  Tagen* 

Masi-Ali-Schach.  Sehr  wohl,  Cbanum!  Sogleich 
.werd'  ieh  vor  Euren  Aagen  das  Bild  der  $tadl  Paris  aufstel- 
l^n  und  9s  zerslSren,  den  DSmonen  und  Teufeln  aber  befeh- 
ten,  da(s  sie  auf  dieses  Signal  im  selben  Moment  das  wirkiiche 
Paris  Kersiorea  und  dem  Mu^je  Jourdan  die  Nachiicbl  bier* 
von  binnen  10  Tagen  zukonunen  lassen,  damit  er  seine  Ab* 
sichiy  Sahachbas-Bek  hinzufQhren,  aufgebe..  Oder  ich  werde 
einen  gesunden  Hahn  nehmen,  ihn  Mui|e  Jourdan  nennen  und 
ihm  dea  Kopf  abscbneideui  indem  ich  den  Stem  Merrich  be- 
auflrage,  dem  Muirje  Jourdan  in  gleicber  Weise  den  Kopf  ab-* 
^uhauen,  um  Scl.achbas-Bek  von  ihm  zu  befreien.  Jelst  mo- 
gen  Eure  Gnaden  mir  nulr  befehlen:  wiinscbt  Ihr,  dafs  ich 
Paris  aerstoren  oder  dem  Musje  Jourdan  den  Kopf  abschnei- 
den  ladse? 

Chan -Pari.  Sowohi  das  eine,  als.das  andere,  Baba 
Derwisch:  was  sollen  wir  die  Frankea  und  ibr  Valerland 
schonen? 

Schachrabanu -Cbanum.  Bij!  Wetb!  isl  dein  Hen 
Von  Stein?  Was  haben  uns.die  aituen  Pariser  gethan>  dais 
wir  die  Hauser  iiber  ihren  Kopfen  zersioreq,  dafs  wir  Tau- 
$ende  von  Menachen  dem  Uniergange  weihen  sollten?  Die-' 
$es,Trubsal  hat  nur  jener  Sammler  von  Kriiutern  und  Pflan* 


*)  Dies  geschab  wirklich  dtirch  das  ErHbebea  r^m  Jahr  1837. 
'-*'^>  Kin  liober  Berg  in  Kara(>ag. 


Km  tataritches  f.vsttpiel.  ^g/f 

ten,  hitisje  Jonrdan  iiber  ans  gebracht  (su  Masl-Ali-'ScKaeh) 
Baba  Derwisch!  Thu  mit  ihm,  was  dit  vermagst:  sohlieide 
hier  dem  Hahne  den  Kopf  ab,  und  dann  befiehl  dem  Stern 
Merrich,  auch  Mu«je  Jourdan  unmiUelbar  nach  seinem  Ueber- 
gang  iiber  den  Araxes  eu  enlhauplen,  damit  Scbachbaa  aileiil 
bleibe  und  nach  Hauae  kehre  Cs  iat  viel  beaser,  dafs  eitt 
Sehuldiger  das  Leben  verliere,  als  dafs  Tausende  Ton  Un« 
scfauldigen  ausgerotlel  werden. 

Scharaf-Ni«a»Chanuni.  Mutter,  meine  Seeb!  rede 
nicht  also.  Mu#je  Jourdan  dauert  mich,  er  ist  ein  aehr  guter 
Mensch;  wShrend  des  ganien  Sommera,  ais  ^r  aich  im  Ge^ 
birge  aufliielt,  sandte  er  mir  taglich  durch  Schachbaa  Straus- 
ser  von  verschiedenen  Blomen  und  Gewachseni  iadem  er  ihm 
sagte:  Nimm  diese  StrBufser,  gieb  sie  dciner  Braui  und  frage 
sie,  ob  sie,  so  viele  Jahre  sie  im  Gebirge  war,  je  solche  BIu^ 
men  und  Pflansen  angetroffen  habe?  Ausserdem  schenkle  er 
mir  einen  Spiegel,  auf  dessen  Ruckseite  Blumen  und  Pflan*- 
ten  einer  gewissen  ,>neuen  Welt^'  abgebildet  wareUi  die  im 
Pariser  Garten  der  Seitenheiten  wachsen.  Mit  einem  Worte^ 
er  liebte  mich  wie  eioe  leibltche  Tochter.  tch  tSdte  micfa^ 
ehe  ich  zugebe,  dafs  man  dem  Muaje  Jourdan  den  Kopf  ab«* 
schneide.  Moge  lieber  Paris  suGrunde  gehen:  was  kiimmert 
das  una?  Wenn  die  dortigen  Madefaen  und  Prauen  nicht  AuC^ 
wieglerinnen  waren,  wenn  sie  nicht  mit  entblofsten  Oesich- 
tern  gingen,  so  ware  es  Schachbas  nie  eingefallen,  dahin  su 
reisen.  M6ge  Paris  zerslort  und  die  Pariserinnen  ausgerottet 
werden ! 

Schachrabanu-Chanum.  Ich  schwor's,  ich  weisa 
nicht,  wozu  ich  mich  entschlieCsen  soil!  Uebrigens  redet  Scba* 
raf-Nisa  die  Wahrheit:  es  ist  Schade  um  Musje  Jonrdan  >  er 
ist  ein  guter  Mensch  und  nor  darin  schuldig,  da(s  er  Schach*> 
has  vom  reeblen  Wege  abgebracbt  and  ihm  den  Gedankm 
iMn  der  Reise  nach  Paris  in^s  Gehim  legte»  Es  ist  aber  bf- 
fenbar,  dafs  in  Paris  viele  lasterhafte  Menschen  lebeni  und  daa 
Sdneksat;  bat  uns  den  Baba  Derwisch  sugesandt,  um  sie  durch 
seine  Zauberkunst   zu  bestrafen  und  zu  Grunde  au  richten* 

29* 


440  Historiseb-linguistische  Wissenscbaften. 

(Sieb  zu  Mast-All-Schach  wendend.)  BabaDerwisch!  Befiehl 
den  Geistern  undTeufeln,  Paris  zu  ergreifen  und  dasOberste 
^u  unterst  zu  kehren. 

Masl-Ali<*Schach.  Ich  slehe  mil  dem  Kopfe  dafur, 
ChaBum.  Augenblicklich!  (Zu  Chan-Pari.)  Chan- Pari,  geh* 
hinaus  und  sage  meinem  Schiiler^  Gulam-Ali,  dafs  er  meinen 
Sack  sogleich  von  dem  Pferde  nehmen  und  bierher  bringen 
moge.  (Chan-Pari  geht  hinaus.)  Cbaniani'Wo  befinden  sieh 
jetsii  G«tam-Chan*Aga  und  Scbacbbas-B«k  ? 

Scbachrabanu-Chanum.  Sie  scbiafen  in  der  andern 
iSiikla,  ermiidei  van  dem  Beaufsichtigen  der  R^ssherden. 

,Masi-Ali-Scbacb.  Voa  diesem  Geheinmi^s  miisseii 
weder  sie,  nocb  Andere  jetet  oder  in  Zukunfl  etwas .  erCabren, 
wenn  der  Zauber  nichi  alle  seine  Kraft  verUerensoiL 

Scbacbrabanu-Chatium.  Ueber  diesen  Punkt  sei 
mhig,  Baba  Derwisch.  (Die  Thiir  oSbet  sicb,  und  Guiam-Ali 
triU'dn  mii  dem  Sack;  rait  ihm  Cban-Pari.) 

G  u  1  a  m  -  A 1  i.    Selamun-aldkum ! 

Mast-Ali-Schach.  Aleikeasalam !  Lege  den  Sack  auf 
4ie  Erde,  binde  ihn  auf  und  nimm  daraus  die  klemen  Btetter 
mit  verschiedenen  Abbildungen. 

Gulam-Ali  (leis6  zu  Mast-Ali-Sebaeh).  Was  willst 
du  thun?  (Er  spricbt  Persiscb,.  damit  die  Anderen  ttm  hicht 
verslehen.) 

Masi^Ali^Schacb.  Ich  wilLeine  Abbildung  von  Paris 
aufstellen  und  den  Teufeln  und  bosen  Geistern  befehlen>  diese 
Sladt  in  einem  Nu  zu  zerstoren,  wie  ich  vor  den  Augen  die-' 
ser  Dame  (nach  Schachrabanu-Ckanum  blinzebid)  die  Abbil- 
dung derselben  zerstSren  werde. 
.      Gulam-Ali.    Warum? 

Mast-Ali-Schach.  Urn  hnndert  neueTomans,  dk  ich 
sogleich  dafiir  von  dieser  Chanum  bekommen  werde. 

Guiam-Ali.  Sehr  wohl!  Welcbe  Feindschaft  hat  diese 
Dame  gegen  die  fi*anz5sische  Sladt  uiid  deren.Bewohner? 

Mast«Ali>Scbach.      Das    ist  eine  lange  Geadiiefate;^ 


Ein  tatari0oh4»  LasUpieJ. 


j€tst  ki  nidit.dieZeitt  sie  zu  ertShke.   Nimm lieber db film- 
ier aus  dem  Sack. 

GulaiU'^Ali.  Sogleich;  aber  in  keiner  Weise  kann  mein 
Verstand  es  begreifeo,  dafs  ^ine  so  fichwierige  Sftche  gelihg^ 
k&nne.  Schen&est  du  etwa?  Paris  in  eiDem  Augenbliek  aeN 
atoren!    Das  vcrsteh'  ich  mcfat. 

Mask*A]i*Schacfa  (Idse  und  mil  einem  Lachelo)*  Wie 
so  verst^hsk  du  nioht?  Diese  ehrenwerihe  Chanum  giebt  mir  f&t 
diese  Airbeit  hunderl  neue  Tomans;  eine  Frist  von  aebn  Ta«« 
gen  ist  festgesetzt,  bis  der.Erfolg  meines  Zaubers  kund  wird. 
Naehdem  ich  die  Tomans  erhalten,  werden  meine  Hande  und 
Fiifse  nichl  gebunden  sein:  sollte  ich  vor  zehn  Tagen.  nichfc 
iiber  den  Araxes  setzen  konnen,  und  wer  wird  Hiid)  da  auf- 
suchen?  Wenn  ich  in  Sicherheit  bin,  moge  danh  gesoheben 
was  geschieht.  Sollte  Paris  binnen  zehn  Tagen  zerstorl  wer** 
den,  so  werden  die  Tomans  olme  Streit  und  Zank  „im  Ma- 
geh  verdaut  werden  bis  zur  vierten  Verdauung*^  *);  Und  wie 
kannst  du  wissen:  vielleicht  wird  Paris  bisdahin  durcft  irgend 
einen  seltsamen  Zafall  wirklich  zerslori.  Geschefaen  etwa  in 
der  Welt  nicht  manche  ungewdhnliche  Eretgnisse? 

Gal  am- All  (die  Bretter  aus  dem  Sack  tiehmend).  Diese 
leiztere  Voraussetzung  will  mir  durcbaus  nicht  in  den  Kopf. 
Es  isl  ein  unmoglicher  Traum. 

Mast-All-Schacb.  In  diesem  Falle  wird  dein  Ver- 
stand  die  erate  Voraussetzung  fassen;  Geld  zu  bekoni- 
men.  Du  wirst  doch  nicht  sagen,  dafs  auch  dies  ein  leerec 
Traum  ist? 

> 

Gulam-AIi.  0!  was  das  Geld  betrifft,  so  ist  keinZwei- 
fel  vorbanden. 

Mast-Ali^Schach.  Gut!  Rege  also  meinenGeist  hieht 
mehr  mil  unniHzen  Fragen  auf,  sondern  gehe  zu  den  Pferden 
und  erwarte  mich.     In  einer  Stunde  werde  ich  nach  vollen* 


')  PerewaijaUja  w*  jelodkje  do  tschetwertoi  perewarki  ~  wanrschein- 
lich  ein  tatarisches  oder  persisches  Sprichwort,  nach  welchem  man 
dort  die  Verdauung  bei  den  Menschen,  mit  der  bei  den  Wieder- 
fcaaern  vergleicht. 


443  Hifltorbdi-lincBUliMske  Wisieaiehafiea. 

detem  Gesehaft  su  Hr  kommen :  vnr  setsan  una  daim  eu  Pfenle 
vnd  reiten  fort    (Gulam-AIi  geht  ab.) 

Mast<-AIi-Schach  (zu  Chan-Pan).  Tante  Chan-Pari! 
aleh'  auf  und  riegle  die  Thur  fesi  su»  dala  keiaer  herem 
koaime  (bei  Seiie,  wahrend  Chaa-Pari  ifie  Thur  verriegell)« 
Dieses  weiblicfae  Geschlecht  ist  too  wunderbar  klagHcher  uad 
einfaltiger  Natur;  ohne  alle  Ueberlegang  und  Beurthmlung 
glaubl  es,  dab  ieh,  in  Karabag  siixend,  in  emem  einugen  Mo- 
ment die  Stadt  Paris  aersloren  oder  dafs  mein  MerriiAi  dem 
Mu^e  Jourdan  den  Kepf  abschneiden  kann! 

Schachrabanu*Ghanum.  Was  sagal  du^  Bab«l>ep- 
wisch? 

Masl-Ali^Schach.  Ich  lese  einen  Talisflimii  Cfaanom, 
urn  den  Erfolg  des  Unlernebflaeoa  su  sichem  uad  die  Teufel 
und  Geisler  von  meiner  Absicht  zu  unterrichlen.  (Niinoil 
einen  Stab  von  der  Erde  und  siehl  damit  einen  Kreis.)  Das 
isi  der  Umkreis  der  Stadt  Paris.  ( Alsdann  legt  er'  die  Bretter 
eins  aurdas  andere.und  baui  so  zebn  oder  zwSlf  kleineHiu* 
ser  zusammen.)  Dies  ist  die  Abhildung^ler  Hauser  und  Ge- 
bSude  der  Stadt  Paris.  Chanuml  Ist  es  Euer  Wille,  dais  ich 
den  Teufeln  und  Damonen  befehle,  Paris  in  nichts  m  ver- 
wandeln  und  das  Oberste  zu  unterst  zu  kehren? 

Schachrabanu-Chanum.  Ja!  was  anders  ist  zuma-^ 
chen,  Baba  Derwisch?  Moge  Gott  den  Urheber  vxm  allem 
diesen  bestrafen^  mit  ^m  Feuer  von  trockenem  Reisig,  untcar 
vrelchem  auch  das  nasse  brennen  mufs.  Die  armen  Pariser 
haben  uns  nichts  Boses  gethan;  moge  diese  Siinde  auf  das 
Haupt  ihrer  Frauen  und  Miidcben  iailen,  welche  es  sich  er- 
lauben/in  Gesellschaft  mit  enlblofstetn  Antlitz  unter  den  jun* 
gen  Leuten  zu  verweUen,  mit  ibnen  zu  schwatzen  und  siq 
vom  geraden  Wege  abzulenken  .  .  .  Baba  Derwisch!  Fiihrt 
Euer  Werk  aus. 

Mast-Ali-Sch.ach.  Chanum,  beliebet  den  Teufeln  eine 
Belohnung  fiir  ihre  Miihe  zn  schenken. 

Sch^chrabanu-Chanum.  Wqzu  4en  Teufeln  eine  Be- 
h)hnung,  Baba  Derwisch? 


Kill  toteriaelMt  lituttpM,  443 

Masi-Ali-Scbaeb.  Ciianwii!  Sind  deini  meiae  IHeu^ 
fel  persische  Sarbasen,  dais  sie  ttmaonat  dietiai  9ollen,  uad 
bin  ieh  etwa  Had/i-Mirsa-Aga«  *),  dafs  ich  Hinen  nichts  geben, 
sondem  sie  nur  scbellen  und  in  Furcbt  jagen  sollie? 

Schacbrabanu*Chanum.  hi  es  mdglich,  Baba  Der- 
wisch,  dafs  liad/i-Mirsa^Agaai  den  Sarbasen  niehte  gab,  son^ 
dern  sie  nur  schalt  tind  in  Furcbt  jagle? 

Mast-Ali-Sciiach.  Ich  scfawor'  es,  Chanuni!  EinsI 
sah  ich  es  in  Teheran  mil  eigenen  Augen,  wie  Had^-Mirsa- 
Agasi  auf  dem  PlaUe  des  Arsenals  die  Kanone  in  Augenschebi 
nahm,  die  Minvarid  (die  Perle)  heifst,  und  pldt&lieh  von  sie* 
benhundert  Sarbasen  umringt  wurde,  die  ihren  Lobn  forder-* 
len.  Had/i-Mirsa-Agatfi  bdckte  sich  augenblicklich  nieder,  zog 
von  dedn  einen  Fufse  den  Panloffei  und  warf  sich  mft-  taosend 
scbeltenden  Keden  und  Schimpfworlen  wie  ein  Geier  auf  die 
Sarbasen;  diese  aber  flogeui  gleich  einer  Schaar  von  Wach- 
tfeln,  vor  ihm  auseinander  und  zerstreuten  sich  nach  alien 
Seilen,  so  dafs  Had;1-Mirsa-Agasi  ntchi  Einen  von  ihnen  fan«- 
gen  konnlei  lu  seiner  Kanone  zuriickkehrte  und,  sich  an  die 
dort  steheiklen  Chane  wendend,  sagle:  „Meine  Herren,  habt 
Ihr  gesehen?  Mil  einem  so  furchteamen  Heere  weiis  ich  nichty 
wie  ich  Herat  nehmen  soil  Es  ist  gat,  dafs  ich  mieh  nicht 
nnit  dem  Sabel  auf  sie  warf,  sons!  kann  man  nicht  wissen, 
wo  sie  auf  ihrer  Flucht  zum  Stehen  gekommen  waren.  Uebri** 
gens  isl  dies  nicht  ailein  ihrer  Feigheit  aususchreiben :  sie  wur- 
den  mil  Zagen  erfullt  durch  jene  Rustam  ahnlichs  Unerschrok- 
kenheit,  mil  der  ich  mich  plotslich  auf  sie  slurzte.  Die  Kuhn- 
beit  des  Feldherrn  schliefst  eine  grofse,  geheimnifsvolle  Kraft 
in  sich!"  .  .  .  Nun  also  Chanum!  Hir  miiisst  nicht  glauben, 
dafs  ich  meine  Teufel  nur  mit  Fabeln  fiiltere  und  out  Pan- 


*)  nad/i-Mina-Aga«i,  det  persische  Mazarin  oder  Fleiiry,  war  eln  Der- 
wiscli  aus  Briwan  und  der  Hofmeister  und  nachherige  aUmilchtige 
MtnfaCer  des  verstorbenen  Schacbs  Muhammed-Mirsa.  Unter  seinen 
Aaspieien  fand  die  angluckliche  Expedition  nach  Herat  (1838)  stott, 
welobe  den  Zng  der  Knglfinder  nach  Afganistan  her?orrief. 


444  Historiscb-  lingniBtu^ike  WisMtiehafteii. 

toffein  in  4ie  Flucfat.  jage;  im  G^genlbeil  mu(s  ich  sie  bewir- 
then^  sie  liebkosen  und  ihnen  wegen  ihrerThateto  sdimeichehn, 
bis.  sie  nichi  durch  die  Sehigabi-iSakib  erschlag^B  und  vertilgt 
werden*).  .  . 

Schachrabanu-Chanum.  Bis  sie  nicht  durch  die 
Schigabi-5akib  verlilgi  werden?  Was  redest  du,  Baba  Der* 
wisch:  werden  sie  d^nn  in  der.Thai  diirqh  die  Schigabi-*<Sakib 
vertilgt?,  ,  .  ' 

Masl-Ali*Sehach»  Das  ist  eine  schone  Frage!  Wie 
k;ann  es  denn  anders  sein:  die  Teiifel  und  b&$eriQeister  stiir* 
zen  so  viele  unschuldige  Opfer  in*s  Verderben,  j^rstoren  ohne 
Ursache  die  schonste  Stadt,  und  fiir  eine  so  gro{se  SUode  soli- 
ten  sie  nichl  durch  GoUes  Zorn  besirafi  werden? 

Sohachrabanu-Chanum.  Sebr  vvohli  Baba  Derwisch: 
ist  dies  aber  der  Fall,  warum  fiirchlen  «ie  denn  Jiicbi  fur  ihr 
Leben  und  entschliefsen  sich  zu  einer  solch^i  Handlung?, 

Mast-AIi*Schach.  Er^lens,  weil  ich  es  ihnen  befehle, 
und  zweitens  weil  sie  dumm  sind  und  weil  es  ihreNatur  mil 
sich  bringty  tjebles  zu  begehen.  Gabe  es  keine  Damonen,  so 
waren  in  der  Weli  k^ine  Lasier,  und  Nieroand  wurde  die 
Nachkommen  Adani*s  zu  bosen  Handlungen  verfubr^n. 

Scbacbrabanu*Chanuin.  Du  sprichsl  4ie  Wahrbeili 
Baba  Derwisch.  Wie  viel  isi  es  nothig,  den.TeufeIn  als  Be- 
lohnung  zu  geben? 

Mast-Ali-Schach.  Mehr  verlang*  ich  nicbt,  als  Ihr 
versprochen  habt:  hundert  Tomans. 

Schachrabanu*Ghanuin.  Wiirde  das  nicht  viel  sein, 
Baba  Derwisch? 

Mast-Ali-Schach.  Das  ist  vorlrefflich!  Ihr  lafst  eine 
Sladt  zerstSren,  die  tausendmal  Tausend  Tomans  w^rlh  ist> 
und  iindei  es  zu  theuer,  dafur  hundert  zu  geben! 


*)  Sch]gabi-<Sakib  beifsen  die  Sternschnnppen ,  die^  nach  dem  Glauben 
der  Musel manner,  indem  sie  vom  Himniet  hegrabfallen ,  die  Teufel 
und  bosen  Geister  ergchlagen,  welcbe  sich  gegen  den  WiUen  Gottes 
auflehnen.  Anm,  d.  V:erf. 


1 


Eki  tatarilidies  Ltisti^teh'  445 

SchachrabanurChanum  (zur Tochter).  Scharaf#Ni«a f 
Hole  das  KSsiehen  mii  Geld  und  gieb  es  mir.  (Scharaf-^Nia^ 
springt  aaf,  h6ll  das  Kiislchen  aus  demBeli  Aind  giebi  es  der 
MuUer,  welche  hunderl  Tomans  herausnimmt^)  Mein  Kindy 
Soharaf-Ni^a!  Fixr  die  HochseiUnUnkosten  l>leibt  dano  kein 
Geld  iibrig. 

Sjcharafv^Nisa.  Thut  nicbU,  MiiUertheii^  vvir  i^rkau- 
fen  noch  etnige  hundert  Hammel,  und  es  wird  wieder  Geld 
da  sein.  ' 

Schachriibahu-Chanum.  Du  sprichst  die  VVahrheil, 
mein.  Kind:  moge  di6  Nase  und  das  Ohr  uhtergehen^  um  den 
Kopf  zu  reiten.  (Zu  Mast- Alt- Sdiacb.)  Hier^  nithni)  Baba* 
Derwisch! 

Masi-Ali-Schach  (nimmt  das  Geld ,  steckt  es  in  die 
TaiBche,  zieht  ein  Buch  aus  demSack,  blalterl  darin  und  halt 
hek  einigen  mit  Figuren  bemalien  Seilen  an).  Richtig!  Paris 
Iregt  unter  dem  Zeichen  des  Scorpions  ...  Es  ist  eine  ab* 
gemachte  Sache:  daher  konnle  diese  Stadt  demUngiiick  nicbt 
entgehn;  das  kommt  von  dem  Einfluss  des  Sternbildes.  (Er 
sieht  daiin  auf,  nimmt  einea  grofsen  Stock  in  die  Hand  und 
wendet  sich  zu  Schachrabanu  -  Chanum  und  ihrer  Tochler.) 
Chanum!  erscbreckei  nicfat  Macbt  Eueh  das  Herz-  fest! 
(Nimmt  eine  strenge  Miene  an  uod  singt  mit  lauter  Slimme): 
Degdegacha  Filendi,  Tubbel  Kera  Kirendi^  Tubbei  Kuma  Ku- 
mucha^  Biendi,  Jundi,  Jandi.  (Hierauf  blast  er  nachrechts 
und  nach  lint^s,  ruft  mit  furchtbarer  Stimme  die  Geister  und 
Teufel  beim  Namen  und  ertheilt  ihnen  seine  Befefale.)  Jame^ 
licha,  Jaselieha^  Jabelicha!  Erbebt  Paris  von  seinem  Platze 
und  wirft  ea  sogleich  zur  Erde,  wie  ich  mit  dieseih  ScUage 
dessen  Abbild  z^erstore.  (Tritt  einen  Scbritt  zuriick,  sliirat 
dann  mit  wilder  Gebehi'de  auf  den  mit  Hauserchen  beseli^ttB 
Kreis  und  schlagt  sie  mit  einem  jgewaltigen  .Streicb  seines 
Sloekes  in  Slucke.)  Chanum!  Seid  Ihr  jetat  mit  mir  zu* 
frieden  ? 

Schachrabanu-Chanum.     Ja,  Baba  Derwisch,  sehr 
2^ufrieden;  es.  ist  nur  zu  wiinsch^,  dafs  die  Kunde  von  dem 


446  HistorifeMingiiiftische  Wiiteiitchaften. 

Unlergang  von  Paris  bei  Zeiien  zti  Huije  Jourdan  gehnge, 
damii  er  fur  gich  selbst  sargen  mid  unsera  Scbachbas  in  Rohe 
laasen  mSge.  Uebrigen  weiss  ich  nicht,  wer  ihin.  die  Nadi- 
richt  so  schnell  aus  Paris  bringen  koimte. 

Mast-Ali-Schaeh  (lacbeod).  Ha,  faa,  ha!  Ghanum! 
Ein  Mann,  der  von  bier  aus  in  einem  Augenblick  Paris  das 
Obeirste  w  untersi  kebri,  kann  er  nicbt  in  einer  Mimite,  in 
einer  Stunde,  in  einem  Tage,  binnen  sehn  Tagen,  die  Kunde 
hierher  kommen  lassen?    Was  Iraumi  Ibr? 

Schaehrabanu-Cbanum.  Du  redest  die  Wahrbeil, 
Baba  Derwiseh;  aber  wie  angenehm  war*  es,  weiin  dicNach- 
richi  gleich  su  Musje  Jourdan  gelangte  und  wir  von  Vhm  be- 
freit  wiirden. 

(Es  wird  plStzfich  heflig  an  die  Thur  geklopft;  dann  horl 
man  die  sitlemde  Stimme  Monsieur  Jourdan's.  Mast^Ali- 
Schacb  rafft  schneli  seine  zersciilagenen  Bretterchen  aosam- 
men,  legl  sie  in  den  Sack,  wirfi  ihn  ^er  die  Schulier  and 
verstecki  sich  hinler  den  Vorhang.) 

Monsieur  Jourdan  ((ahrt  tori  imnter  befiiger  an  die 
Tbiir  zu  klopfen  und  schreit):  Gaiam-Cban-Aga!  Scbachbas- 
Bek!    Oeffnet  die  Thiir! 

Schachrabanu^Ghanum  (springt  erscbrocken  auf,  gebt 
furchlsam  an  die  Thiir  und  SAfiei  sie;  Sckariaf-Ni^a  siUert 
wie  Espenlaub). 

Ghan-Pari.    Wai,  Vaierchen!    VVai,  MuUercben! 

Monsieur  Jourdan  (IriU  ein).  Wo  isK  Gatam-Ghan- 
Aga?    Wo  isi  Schachbas-Bek? 

Schachrabanu-Gh'anum  (hirchtsam).  Ste  seh/afen 
beide  In  der  niicbslen  5akla;  heule  haben  sie  die  Rossheer- 
den  besichiigt,  waren  sehr  mude  und  leglen  sich  fruhzeitig 
schlafen* 

llllonsieur  Jourdan  (laui,  mil  zitterhder Stimme):  Gha- 
num! Man  muss  sie  augenblickiich  wecken.  Ich  reise  ab  und 
darf  nicht  zogern.  Wehe  iiber  Paris!  Wehe  uber  die  Tuite- 
rien!  Wehe  iiber  die  schone  Hauptsladl!  Wehe  iiber  das 
schSne  Konigreich!  Mii  Frankreich  ist  ein  Ungldck  geschehen. 


Bill  MiriiiA«i  bmiipiel.  447 

Sehachrabana«*Ghiiiui».  HakimSalitbl  WasgtebtV? 
Was  bt  Yorgefallen? 

Monsieur  Jourdan.  Paris  kl  TerwbsieM  Die  Tuile* 
rien  sind  scrMdrt!    Frankreioh  bt  su  Giuiide  gerichtet! 

Schachrabaiiu*Chaauiii.  Dank  dir,  0  Herr!^  Das 
bdEil,  ich  woUle  si^n:  GoU  sehiUse  uns  vor  Unglilek. 

Monsieur  Jourdan.  Die  sch5ne  Haupisladt  isi  in 
einem  At^nUtck  «u  Grande  geridilei!  «  .  .  Die  Monarchie 
ist  verschwunden !  .  •  .  Der  Versland  begreifi  ea  nieht:  es  ist 
wie  durcii  Zauberei. 

Schacbraba&ti«Ghanuni.  Welcfae Zauberei?  Ist  denif 
Paris  durek. Zauberei  serstori  worden,  Haium  Sabib? 

Monsieur  Jourdan.  Verstekt  sick  durcb  Zauberei. 
Ein  unglaubliehes  Breigniss:  in  einem  Augenblid^  wird  die 
alle  Ordnung  der  Dinge  vernictilet,  Paris  tib^r  den  Haufen 
geworfen* 

(Bei  diesen  VVorien  fangi  Scharaf-^Nisa-Chanum  an^  noeh 
hefliger  zu  zittem,  ohne  die  Augen  von  dem  Vorhang  abfeu- 
wenden,  hinter  welcbem  sich  der  Derwiscb  Mast^Ali-Schach 
versteckt  hal.) 

Ckan-Pari  (leise).    Wai,  Vaterdien!    Wai,  Miillerchen! 

(Au£  den  Larm  eilen  (j^ani*Cban-*Aga  und  Scbachbas- 
Bek  herein.)  < 

Monsieur  Jourdan  (sich  zu  ihnen  wendend).  Ach, 
Galam-Chan-Aga!  Schachbas-Bek!  Urn  GoUeswillen  sehait 
mir  schnell  Pferde:  ieh  muss  sogieicb  reisen  und  darf  nicht 
saumen.  lek  bUle  Euch^  mir  das  Geleit  lu  geben  und  iiber 
den  Araxes  aelzen  zu  kelfen. 

Gatam-Chan*Aga  (ersiaunt).  Hakim  Sahib,  was  ist 
vorgefellen?    Was  isl  dieUrsacfa  einer  so  plSlzliehen  Abreiae? 

Monsieur  Jourdan.  Paris  ist  verwaskel,  die  Tuilerien 
zersiorl,  die  franzdsische  Monarehie  vernichiet,  der  KBtiig 
¥ieifjagi.  Diesen  Augenbliek  braehle  mir  Euer  Bezirks- Asses- 
sor ein  Schreiben  von  dem  englischen  Consul  in  l^aurisj  der 
mil-  diese  Botschaft  miliheilt  nnd  hinzufiigt,  dais  eben  jeizt 
ein  Courier  mit  Depeschen  nach  London  abgeht    Er  erwar« 


448  Historisch^t-littgulstiBdhe  Wistenslchafteii. 


let  iDioh  am  Ufer  des  Araxes::  bis  zwSK  Ubr  mots  ick  ihti 
erreichen,  sonst  reisl  er  ohne  mich,  und  nachher  wetde  idi 
allein.  nichi  so  sdmeli  torn  Koaig  •  gelangen  kihinetk  Louis 
Philipp  ist  oach  England  entfiohen.    0  GoU!    Mein  fioUl 

Gaiaia^-Ckaa-Aga  (mit  B«ellir£ung).  HiHuni  Sahib! 
Wer  hat  Paris  verwtlsiet,  wer  die  frusostscbe  MonavcUe 
z^rslort? 

Monsieur  Jour  dan  (in  der  grofeten  Verzw«iAiMig).  Der 
Teufell  Saianas!  Dainone!  B6sewtchier!  Wie  soil  idi  sie 
nennen?  Um  GoUeswillen ,  Gatani*Chan'*Aga,  lafst  schnelt 
Pferde  saiteln:  ich  habe  keine  Zeii  su  veriieren. 

(Bei  diesen  Worten  sleigi  das  Erstaundn  Gi^m-Chan- 
Aga's  bis  zum  hochsten  Crrade;  Scharaf-Nisa-Chanum  zittert 
iapinier  heftier;  Schackbas'^Bek  bemerkl  ihren  Zuatand,  wnn- 
deirt  sich  dariiber  und  naheri  sich  ihr.) 

S^rhachbas-Bek.  Warum  siUersl  du?  Ach  doSchel- 
min!  Am  Ende  hast  du  Paris  zerstoren  lassen,  dannl  idi  nicht 
hinreisen  mochte? 

Scharaf-Ni«a«Chanum    (mit    leiser  und    bebender 
Stimme,  ohne  die  Augen  von  demVorhang  absuWenden,  hin- 
iex  welchem  der  Derwiseh  versteckt  isl)^  Neini  ich  schvvore! 
Ich  Bchwor^s  beim  Koran,  bei  der  Seele  meines  Oheims  —  , 
ich  weifs  von  nichts,  ich  bin  an  nichts  schuldig!- 

Schachbas-Bek  (lachelad).  Seht  nur,  wie  hiibsch  sie 
sichrechtferiigt:  warum  zittersi  du  denn? 

Schachrabanu^Chanum (zu  Monsieur  Jourdan).  Hakim 
3ahib!    Wirst  du  auch  unseren  Schachbas  milneiiinen? 

Monsieur  Jourdan.  Was  reden  Sici  Madame!  Ich 
weife  selbst  nicht  wohin  ick  gehe :  wie  soUte  ieh  jel^t  Schach- 
bas-Bek mitnehmen  woUen?  ...  Gala m*<  Chan -Aga!  Selzet 
Euch  scihneU  ui  Pferde  ^  be^Ieilet  mieh:  vor  Tagesanbruch 
muds  ich  tinfehlbar  am  Araxes  emtreffen. 

Gaiam*ChaiirAga.  Gehen  wir,  Schachbas!  Was  fur 
ein  Ungliick  ist  dies! 

(Sie  gehen  beide  ab,  ihneh  nach  Monsieur  Jourdan; 
hierauf  springi   der  Derwiach  Mast^Ali^Sebach   aus' seinem 


Bin  tatarisches  Lostopiel. 


449 


Versteck  hervor  und  iauft,  ohne  auf  Jemand  Acht  zu  geben, 

davon.) 

SchachrabanU'Chanum.    Chan-Pan!  sahest  du»  was 

sich  zugetragen? 

Cban-ParL  Ich  sagte  dir  ja,  dafs  nichis  aus  den  Han- 
den  dieses  Derwisch  enlschliipfen  kann.  Ich  fiirchie  nur, 
dafs  yon  der  Erschiitterung  des  Schlages,  welcher  Paris  iiber 

den  HaulisB  waif,. 0ui^  afi^rei^tUte^  ill' fK^;f«i^f^  wer- 
den»  wie  der  Theil  des  Ararat,  der,  nach  der  Erzahlung  des 
Derwisch,  von  der  Erschutteriing  des  Schlages  einstiirzte, 
durch  welchen  die  Besirke  Nachilsohewan  und  Scharur  zer- 
stori  wurden. 

Schachrabanu-Chianum.  Ja  wohll  Isi  es  hiemach 
nicht  wunderbar,  dafs  die  Manner  uns  immer  wiederholen: 
Glaubt  nicht  an  Hexerei  und  Zauberkunst!  Wie  isi  es  denn 
mliglich,  nichi  zu  glauben,  wenn  man. mil  eignen  Augen  sdiche 
Dinge  sieht? 

Chan -Pari.  Ei,  Chanuni!  Wenn  die  Mfinner  Versland 
haiteii,  wie  wurden  wir  sie  auf  jeden  Schrilt  lausendmal  bin- 
ter's  Licht  fiihren  und  thun  kSnnen,  was  uns  bdiebt? 

(Scharat-^Nitfa*Chanuiii  spricht  kein  Wort,  von  Purcht  und 
Schreeken  ergriffen.) 


Einige  Worle  fiber  den  Bnddhismus. 

Von 
Herrn  C.  F.  Koppen. 

(Vergl.  in  dietem  Bande  S.  51  and  250») 


liiin  grofser  Umschwung  in  den  SteaUrerhaltiiissm  Indians 
isi  unmiilelbare  Folge  von  Alexanders  Eroberungazuge  gewe- 
sen,  upd  diese  poliUsohe  (Jmgestabung  isl  nicht  ohiie  ent- 
schiedenen  £i«Qu8s  nuf  die  kircblieh  -  religioseo  Zustmde  ge- 
blieben.  Jeoer  Umscbwung  kniipft  sich  an  den  Namcn 
Tschandraguptasi  den  die  Griecben  gewthnlich  San- 
drakottus  nennen.  **)  So  wenig  nun  auch  die  Beriefaie  der 
letzieren  iiber  ihn  mil  den  indischen  ubereinstimaien,  da  er 
in  der  Erinnerung  seiner  Landsleute  sum  sagenhafien  Heros 
geworden  ist,  so  laCst  sich  doch  aus  beiden  der  Hauplsache 
nach  dasselbe  entnehmen,  da£s  er  namlich  als  kiihner  Banden- 
fiihrer,  emporgekommen  durch  personliche  Tiichligkeit,  gehal<> 
ten  und  getragen  von  dem  Nationaihafs  gegen  die  fremden 
li^roberer,  den  Macedoniern  und  ibren  Creaturen  die  Herrschaft 
im  Penscbab  entriss,  und  von  bieraus  die  Gangeslander  sich 
tinterwarf,  namenllich  jenes  Reich  der  Prasier>  von  welchem 
Alexander  am  Hyphasis  gehort  haUe.    Seine  persSnliche  Stel- 


*)  Doch  finden  sicb  aach  die  dem  Sanskritisciien  Namen  mebr  annah- 
rendeii  Formen  2avSq6xv7nog  and  XavSqonvtxos,  TmPali  heifst  er, 
Diit  Wegfall  des  r,  Chandagatto* 


Einigt  Worte  iiber  ilen  Bo<1dbiMiQS.  451 

lung  und  Wirksamkeil,  wie  die  VerhaUnisse  des  durdi  ihn  ge^ 
grundelen  Reichjcs  muklen  aber  den  Fortsghrillen  des  Biidd«' 
hismus  in  hehem  Grade  giinalig  sein.   ZuvSrderst  war  er  kein 
Kschalrya^  iiberhaupl  kein  Zweimalgeborener,  sondern  .wahr« 
scheinlich  &n  Sudra/)  seine  Herrschaft  also,  nach  Brahioani* 
scben  Begriffeny  nicht  bios  illegitim,  sondern  schlechthin  gott<« 
losy   daher  er  selbsi  und  die  von  ihra  gegriindele  Dynastie 
natiirlich  darauf  hingewiesen,  j«ier  neuen  Lehre  Vof schub  xu 
leisien,  die  das  Kastenwesen  verwarf.    Sodana  dehnte  sich 
das  Reich  desselben  iiber  alle  Lander  zwischen  Windhya  und 
Himalaya  >  von   Guzerate  bis  osUich  su  den  Miindungen  des 
Ganges  und  Godavery  aus,  ein  Reich  von  einem  Umfange, 
wie  bisher  Indien  noch  keins  gesehen,  nach  indischen  Vorslel- 
lungen  nnd  Herkommen  eine  Art  von  Weltreich.     Es  ging 
milhin  iiber  die  Grenzen   des  Gebietes  lunaus,   in  welchem 
ausschlieblich   Brabmnniscbes   Geselz   und  Kaslenthum  gait 
Auch  dieser  Umstand  isi  ohne  Zweifel  dem  Wachslhum  des 
Bttddhismus  fdrderlich  gewesen;  denn  in  einem  Staale,   der 
bedeuiende  nichl  Urabmanische  Volkerelemenie  enthieli,  konnie 
unmSglich  der  bios  nalionale,  alles  Fremde  verachtende  und 
verabscheuende  Brahmaismus  einzige  und  exelunve  religiBse 
Grundlagen  bleiben.    Die  Entslehung  groGser  Rdche  schwSchl 
ja  iiberhaupt  und  lodtel  zuleUl  das  nur  Slamm-  und  Volks- 
ihtimlichey  und  bricht  allgemeineren  Besiehungen  und  Prinei- 
pien  und  Geislesriehlungen  die  Bahn.    Die  positive  Sale  die* 
ses  Salzes  hat  sich  in  Tsohandraguptas  Reiche  ganfz  beson* 
ders  durch  die  fortwiihrende  Verbindung  mil  dem  Griechenthum 
und  mil  dem  Weslen  iiberhaupt  bewiesen.     Nidit  limsonst 
batten  Alexander  und  Nearchus  die  Strafsen  des  VSlkerver- 
k^rs  erdffnet:  Indien  trat  aus  seiner  bisberigen  Einseitigkeit 
und  Abgeschlossebeit  beraus.     Ein  lebhafler  Handel  beganUi 
namentlich  mit  Alexandria:  vSlkerrecbtlicbe  und  freundscbaft<» 


*)  Homili  genere  natas  heifst  er  beim  Justin  XV,  4.  In  dem  inclischen 
SehsQtpiele  Miidr4-R4xaM  wird  er  geradezn  als  Sudra  bezeichnet 
Vergl.  Laimen  I.  c.  11,  196  ff.    Benfey  ^Indien**  OS  if. 


452  Hittori8di<^Iingiii8tisoli«  WiisenseliaDteii. 

licjie  VerhliUniss^  warden  mit  den  griecbisch-maeedonischen 
Dynaiten  angekniipft.  Die  znverlassigsten  Naehrichten  uber 
Tschandraguptas,  sein  Heer,  seine  HauptsiadI  verdanken  wir 
bekanntlich  dem  Megasthene&i  Gesandten  des  Seleukiis  Nika* 
ter,  der  l^gere  Zeit  am  Hofe  des  grofsen  Prasierkdniges  bu 
PaUaliputra  verweille;  Desgleichen  finden  wir  bei  dessen 
Nachfolger  Botscbafter  von  Antiochua  Soter  und  Plolemaits 
Pbilade^hus,  indiscbe  Gesandte  dagegen  in  Babylon  u.8.w.  *) 
Diese  neubeginneiHle  Ricblimg  naeh  Au&en,  nadi  dem  Wesien 
war  esy  die  gemats  der  Eigenlhumlichkeit  und  religiSaen.  An* 
lage  des  indischen  Gdsles  in  der  bald  darauf  begianoiden 
BaddbialisGliett  Mission  ibren  reinsten  Ausikuck  und  ibre  voII« 
konunenste  Befriedigang  finden  soUie. 

Mansiehty  dieaufseren,  poliliscb-soeialen  Bet£ngungen,  die 
den  Sieg  des  fiuddUsmus  herbeifjihren  und  sidiem  konnien, 
waren  vorhanden;  es  kam  nur  darauf  an,  die  Folgerungeo 
au^  denselben  zu  Ziehen. 

Dies  hat  Tscbandragupta'sEnkelDharmashoka  gelhan. 
Er  irat  Menllich  znm  Buddbismus  iiber  und  erhob  diesen  da* 
duceh  .zur  Hof-  und  gewissermaaben  zur  Staalsreligion.  Da^ 
nut  beginnt  eine  andere  Periode  der  Buddhistiseben  Kirchen- 
geschichte.  Das  Uebergewicbl  der  neuen  Lehre  tiber  die 
Brahmaniscbe  war  bierdurch  enlscbieden*  ein  Ueiiergewicbl,  das 
sie,  wenn  man  auf  ibre  welUiistoriscbe  Wirksamkeil  und  die 
Zahl  ibrer  Bekenner  siehi^  bis  auf  den  beutigen  Tag  behafup- 
tet,  Jm  Heimathlanda  selbsi  aber  nacb.  etwa  neunbunderi  Jah- 
ren  verloren  hat  Die  Buddbistiscbe  Kircbe,  bis  dabin  kaum 
mehr  als  eine  Bulsersekte  neben  vielen  aaderen,  wurde  nun 
zur  bevorzugten,  zur  berrschenden  Kirche,  veich  ausgestaltet 
mit  irdiscben  Giitem  und  begabt  mil  politischem  Einfids* 
Dharmashoka  hat  daher  in  der  Buddhistiseben  .  Kirchenge^ 
schichie  genau  dieselbe  Sleilung^  wekhe  Constantin  der  GvoOse- 
in  der  christlichen  einnimml:  er  ist  der  erste  machlige  Schirm- 
vogt  des  »guten  Gesetzes"*,  oder  —  um  buddbistiscb  zu  re* 


— r 


•)  Plin.  VF,  21,,  3. 


Einige  Worte  iiber  den  Budilliisinus.  453 

den  ^  ^der  erste  „Rad  umdrehende'*  Grofskdnig  gewesen* 
Daher.  ist  er  und  2war  in  noch  hoherem  Maafse  ak  sein 
christliches  Ebenbild,  Lieblingsheid  der  glaubigen  Historiker 
und  Legeiidenschreiber  geworden.  Sein  Name  lebt  im  M unde 
aller  Yolker)  zu  denen  die  Lehre  Schakjaoitinis  gedrungen 
ist,  der  Singhalesen,  Tibelaner,  Mongoien,  Ghinesen,  Japa* 
ncr  u.  s.  w.      " 

In  der  Thai  schekil  Ashokas  Eifer  fiir  die  neue  Religioii 
und  seine  Freigebigkeit  gegen  die  Diener  derseiben  grenzen* 
los.  gewesen  zu  sein.  Reiehliche  Alinosen  wurden  den  Bet- 
telmonchen  gespendet  —  60000  soil  er  taglicb  gespeist  har 
ben,  —  zabllose  Kloster  und  Thurme  oder  Tempelpyramiden 
(Slhupa's)  erbaut,'^)  ja  er  soil  dreimai  sein  ganses  Land  den 
Prieslern^  geschenkl  und  es  dmmai  fiir  alle  ^eine  SchaUe  und 
Kieinodien  von  diesen  zuriickgekauft  haben.  **)  Er  liefs  einen 
sein^  Sohne  zum  Priesler  und  eine  Techier  zur  Nonne  wei^ 
hen,  selzte  ~-  vvie  wir  uns  ausdrilcken  wiirden  —  ein  eige- 
nes  Minisleriuiii . der  Bekehrjuagen  ein,  und  erliels  mehrfache 
Edikle  binsichts  der  Beobachlung  des  Geselzes,  die  gesammell 
und  in  Stein  gehauen,  in  den  verschiedenslen  Gegenden  In* 
diens  aufgestelU  wurden.  Diese  Inschriflen,  von  denen-  einige 
vvieder  aufgefunden,  entzifferl  und  gedruckt  worden  sind,  ha- 
ben  nicht  bios  ein  palaographisches  und  linguislisches,  sondern 
ein  grofses  hislorisches  Inleresse.  Sie  sind  die  iilleslen,  wirk- 
lich  geschichllichen  Urkunden  Indiens,  die  bis  jelzt  enldecki 
worden,  und  ein  wesenlliches  Ilulfsmitlel  zur  Ankniipfung  und 
Constituirung  eini^r  indischen  Chronologie.  Was  den  Inhalt 
derseiben  betrifft,  so  weht  in  ihnen  —  ganz  anders  wie  in 
den  Ediklen  Constanlins  —  noch  der  alle  praclische,  mora- 
lische,  auf  da^  Hell  der  alhmenden  Wesen  gerichtele  Geist 
desBuddhismus:  nichls  von  Mythologie  und  abslruser  Dogma- 
tik;  wenige  eiiifache  Vorschriften  uber  den  Cullus.    Dagegen 


*)  Vonden  letztern  81000,  die  bekannte  Lieblingszalil  der  Baddbisten. 
**)  Foe  Koae  Ki  255.    Dieselbe  Angabe  findet  sich  nach  Klaproth  aach 

in  dem  nocli  iiicht  beraiisgegebenen  Hiuan  tbsang. 
Ermans  Ruaa.  Archiv.  Bd.  XI.  H.  3.  30 


454  Historiicli-lingQUtische  Witsenscbaften. 

lesen  wir,  wie  Ashoka  Heilanstalten  fiir  Menschen  und  Thiere 
anlegen,  Wege  bahnen,  mil  Baum^i  bepflanzen,  und  Karawan- 
seraien  versehen  lafst  u.  dergl.  "J 

Kauin   halle    der  Buddhismus   ini    heiinalfaiiclien   Indien 
diiese  Erfolge  errungen,  so  begannen  auch  die  Missionen.    Wir 
wissen  aus  dem  Friiheren,  dais  die  dritte  allgemeine  Synode 
unter  Dharmashokas  Schutz  %u  Pattaliputra   abgehalten  wor* 
den  isl,  und  auf  derselben  wurde  von  den  versammellen  Va- 
lern  der  Beschluss  gefafst,  die  Lehre  des  Buddha  zu  fremden 
Vdlkem  su  verbreiten.    Giaubensbolen  wurden  zu  diesem  Ende 
in  alle  Nachbarllinder  abgeordtfet.     Daiuals  wurde  vor  alleoi 
Ceylon  bekehrl,  die  altesie  Techier  der  BuddhisUsehen  Kirche 
und  die  treusle  Bewahrerirr  ihrer  religidsen  Urkunden,  wobin 
Ashokas  Sohn ,  der  zum   Sthavira  geweihle  Mahendra  nebst 
vier  Unterpriestern   gesandi  wurde.    Desgleichen  Kasehinir 
und  Kandahar  durch  den  Sthavira   Madhjantika  und  „yon  ^ 
der  Zeit  an  bia  auf  den  heuligen  Tag  —  heifst  es  im  ^Maha* 
vanso'  **)  —  hai  das  Volk  von  Kaschmir  und  Kandahar  im 
Glauben  festgehalten  und  geglanzi  in  gelben  Kleidem.^'    Das- 
selbe  bezeugt  die  ,,Chronik  von  Kaschmir'*,  bekaonilich  nichi 
BuddhisUsehen,  sondern  Brahmanischen  Ursprungs»f)    Beide 
Punkte  sind  sehr  wichtige  Stationen  for  die  femeren  Missionen 


*)  Der  Ruhrn^  diese  Inschriiten  entziffert  und  gedruckt  au  Laben,  ge- 
"bubrt  vor  Allen  J.  Prinsej);  neben  ihm  Lassen,  Wes^ergaard  u.  a. 
Vergl.  Zeitscbrift  fur  Kunde  des  Morgenlandes  U\,  173  If.  und  Las- 
sen Alterthumskunde  215  ff.  Neben  den  Insohrifton  ist  die  am 
wenigaten  legendenbafte  Quelle  fur  Asbokas  Geschichte  der  Maba- 
vanso  c.  6.  Eioe  Nepaleaiscbe  Legende  dber  ihn  und  das  Bruchatiick 
einer  zweiten  hat  Burnouf  iibeisetzt  Introd.  It  riiist.  du  Euddhitme 
p.  358ff. 

••)  c.  12.    In  der  Epitome  etc.  von  Tumour  p.  60. 

t)  RAtdjatarangini ,  histoire  des  rois  de  Kascbinir  ed.  Troyer  t.  If,  p.  12. 
Sie  zabit  den  Ashoka  unter  den  Konigen  Kaschmirs  auf,  woraos  man 
wobi  den  Scbluss  gezogen ,  dais  dieses  Land  mit  zu  dem  Reicbe  je- 
nes  Konigs  gebort  habe^  nnd  sagt  von  ibm,  dafs  er.  die  Religion  des 
Buddha  (la  religion  de  Djina)  angenonimen. 


Einige  WoHe  uber  den  BaddhifmDS.  455 

geworden,  namentlich  war  Kaschmir  die  Briicke^  uber  vvelcfae 
der  Buddhismus  zu  den  nordosllichen  Vfilkern ,  nach  der  ho- 
hen  Tarlarei  und  von  dorl  nach  China  vordrang.  —  Ei 
wurden  ferner  von  Pattaliputra  Missionaire  ausgesandt 
nach  dem  Himavat,  d.  h.  nach  den  Gegenden  des  Hi«* 
malaja,  vielleicht  nach  Nepal  oder  Butam,  aber  v(^ohl 
noch  nichi  nach  Tibet,  denn  dafs  schon  damals  die 
„ Sonne  der  Heligion'*  uber  das  Schneeland  aufgegangen  sei, 
davon  weifs  wenigsteus  der  Lamaismus  selber  nichts;  ebenso 
nach  Wan  awaso,  worunler  vermulhlich  die  bergigen  Gegen^ 
den  in  der  Mitle  des  Dekhan  su  verstehen  sind,  nach  Apa- 
rantaka,  dem  wesUichen  Grenzlande,  zu  den  Mah ratten 
im  Siiden,  in  das  Land  der  Yon  a  oder  Yavana,  d.  h.  der 
Griechen,  endlich  nachSowanabhumi,  dem  Goldlande,  ver- 
muthlich  ebenfalls  im  Westen  und  Mahisamandaia,  von 
dem  sich  nicht  mil  Bestimtntheit  nngeben  lafst,  wo  es  zu  su- 
chen  ist.  *)  Alle  diese  Lander  sollen  damals  den  Buddhismus 
angenommen  habeii,  —  die  Zahl  der  in  jedem  einzelnen  der* 
selben  Bekehrten  wird  auf  viele  Tausende  angegeben,  —  In* 
dessen  ob  wirklich  uberall  bei  den  genannten  V5lkern  die 
neue  Heilslehre  fesle  Wurzein  gefafst  und  wie  lange  sie  sich 
dort  gehalten,  dariiber  fehlen  uns  i^^here  zuverlassige  Anga- 
ben.  Nur  iiber  Ceylon  und  Kaschmir  besitzen  wir  in  dieser 
Hinsicht  ausflihrliche  Naohridhlen.     Unler  den  Yavana*s  sind 


*)  Im  MahaTanso  c.  XII  wird  die  ganze  Mission  folgendermaafseo  za- 
sammengefarst:  He  deputed  the  thero  Majjhantiko  to  Kasniira  and 
Gandliara,  and  the  thero  Mahadevon  to Mahiamandala.  He  depu- 
ted the  thero  Rakkhito  to  Wanawasi,  and  similarly  the  thero  Yona- 
Dhammarakkhito  (also  einen  Griechen)  to  Aparantaka.  He  de- 
puted ]the  thero  Maha  Dhammarakkito  to  Maharatta;  the  thero 
Maharakkhito  to  the  Yona  country.  He  deputed  the  thero  Maj- 
jhimo   to  the  Himawanta  country;    and    to    Sowanahhumi  the 

'  two  theros  Sono  and  Uttaro.  He  deputed  the  (hero  Maha-mahindo 
(den  Sohn  Ashokas),  together  with  his  disciples,  Ittiyo,  Uttiyo,  Sam- 
balo,  Bhaddasaloy  saying  unto  these  five  theros;  y^Kstablish  ye  In  the 
delightfnl  land  of  Lanka,  the  delightful  religion  of  the  vanquisher.** 

30  ♦ 


^gg  Historiscli-lingnistiscke  Wissenschaften. 

hier  wohl  nur  die  Griechen  am  Paropamisus  zu  verslehen, 
obwohl  aus  den  gleich  anzuftihrenden  Insdiriflen  Ashokas  er- 
helU,  dafs  er  auch  die  gleichzeilige  griechisch^macedonischen 
Dynaslien  des  Weslen  mit  seinen  Missionen  nicht  verschont 

habe.  — 

Dies  fiihrt  uns  auf  die  Besliniiiiung  der  Zeil,  bei  der  wir 
einen  Augenblick  zu  verweilen  haben,  ehe  wir  in  der  Ver- 
breilungsgeschichte  des  Baddhismus  fortfahren.  Denn  Tschan- 
draguptas,  iiber  den  sich  die  indischen  und  griechischen  Be- 
lichte  kreuzen  und  Ashoka  mit  seinen  Inschriflen  sind,  wie 
schon  friiher  bemerkt,  die  einzigen.  Hallpunkte,  an  die  sich 
mit  einiger  Sicherheit  der  Faden  der  Buddhislischen  Chrono- 
logie  anknijpfen,  und  nach  welchem  sich  der  Anfang  derselben 
wenigslens  annahernd  bestimmen  lafst. 

Die  Singhalesen,  deren  Zeilrechnung  hier  alJein  in  Betracht 
kommen  kann,  setzen  Tschandraguptas  Thronbesteigung.  ge- 
vvohnlich  in  das  Jahr  162  nach  dem  Tode  des  Buddha  (543 
vor  Chr.),  d.  h.  in  das  Jahr  381  vor  Chr.  *)  Wenn  nun  ihr 
Tschandraguptas.  und  der  Sandracottus  des  Megatshenes 
wirkUch  eine  und  dieselbe  Person  ist,  so  stellt  sich  hierbei  so- 
gleich  ein  handgreiflicher  Fehler,  ein  Fehier  vpn  mindestens 
60  Jahren  heraus.  Denn  erst  nach  Alexanders  Tode  isl  San- 
dracottus emporgekommen^  ja  der  Anfang  seiner  wirklichen 
Herrschaft,  seines  Konigthums  ist  nach  der  schon  oben  ange- 
fiihrten  Stelle  kaum  iiber  die  Aera  der  Seleuciden,  die  be- 
kanntlich  mit  dem  Jahre  312  beginnt,  hinaufzuriicken.  **) 
Also  Eins  von  Beiden:  entweder  Tschandraguptes  ist 
nicht  identisch  mit  Sandracottus,  oder  die  Rechnung  ist 
falsch. 


.  ♦)  Vergl.  nnter   Andren  Tumour  I.  c.  91   iind  100.     In   der  Attfaakata 

findet  sich  Has  Jabr  172. 
•*)  Sic  acqaisito  regno  Sandracottus    ea  tempestate,  qda   Seleacus 

fatarae  magnitadinis   fandanienta  jaciebat,   beifst  es  bei  Jastin  I.  c 

Die  Annahmen  iiber  das  erste  Jahr   der  Regiernng  des  Sandracottas 

schwanken  etwa  zwisehen  312  ond  317  v.  Chr. 


VAnige  Worte  iiber  den  Baddhismas.  457 

Derselbe  soil  nach  ubereinstimmenden  Berichten  der  Brah* 
manen  und  Buddhisten  24  Jahre  regiert  haben/)  sein  Sohn 
und  Nachfolger  Bindusara  28,  so  dafs  Dharmashokas  Tbron- 
besteigung  ins  Jahr  214  nach  dem  Nirvana  zu  verlegen  ware. 
Dies  Resultat  ergiebt  sich  auch,  wentl  man  die  Regierungs* 
jahre  der  sammtlichen  Konige  von  Magadha  von  dem  8.  Jahre 
Ajatasalru's  an ,  in  welchem  der  Buddha  gestorben  sein   soll^ 
wie  sie  in  der  oft  erwahnlen  Chr6nik  von  Ceylon  angegeben 
werden,  bis  aiif  jenen  Ashoka  ziisammen  zahlt.  *'^)     Nun  heifsl 
es   zwar   eben   dort  ausdruckiich ,    der   Regierungsantritt   des 
leUleren   sei  im   Jahre  218   nach   Buddha    erfolgt,  f)   indefs 
dieser  scheinbare  Widerspruch  hebt   sich  dadurch,   dafs  der 
„goUergeIieble"  Konig  sich  erst  im  vierten  Jahre  seiner  Herr- 
schaft,  nach  der  Annahme  des  guten  GeseUes,  kronen  hefs 
und  auch  von  da  ab  seine  Thronbesteigung  datirte.     Dieses 
Datum  —  Ashoka's   Kronung  218  n.  B.  —  isl  eins   der  be- 
kanntesten  und  gebrauchlichslen  in  der  Buddhistischen  Chro- 
nologic und  gewissermaafsen  als   Anfang  einer  eigenen   Aefa 
zu  belrachten.     Das  Jahr  entsprichl    deln  325<  vor   unserer. 
Zeitrechnung,  und  da  er  im  Ganzen  37  Jahre,  also  nach  sei- 
ner feierlichen  Kronung  noch  33  geherrscht  haben  soli,    so 
mtifste  er  292  v.  Chr.  gestorben  sein. 

Dagegen  erhebt  sich  nun  ein  sehr  wichliges  und  interes- 
santes  Zeugniss  in  zweien  der  Inschriften  jenes  Konigs.  In 
der  einen  wird  ein  Bijndniss  mit  dem  Javana-Kdnige  Ant- 
jiaka  und  den  ihm  benachbarten  Konigen  erwahnt;  in 
der  anderen  erfahren  wir  die- Namen   der  lelzteren;    denn   es 


*)  fn  Mabavanso   I.  c.  stelit  34^  doch  ist  dies  nach  Lassen  If,  62  eine 

falsche  Leseart. 
**)  In  der  Atthakata  konimen  224  Jahre  heraas. 

t)  Mahavanso  V,  p.  21.  Be  it  known,  that  from  the  period  of  the  death 
of  Bnddhjo,  and  antecedent  to  his  installation,  two  hundred  and  eig- 
theen  years  had  elapsed.  In  the  fourth  year  of  his  accession  to  his 
sole  sovereignty,  this  illustratiousiy  endowed  ruler  caused  his  own 
inauguration  to  be  solemnized  in  the  city  of  Pataliputto« 


458  Hifttorisch-lingaiatische  WiiseiuicliAften, 

heifst  dmin:  ^^Der  K3nig  der  Javana  und  weiter  die 
durch  ihn  vier  (werdenden)  K9nige  Turamija,  Anli* 
gona  und  Maga  befolgen  iiberall  die  Gesetzvor-- 
schrift  des  goUergeliebteo  KonigSv  ")  Ueber  die  Na- 
men  herrschl  kein  Zweifel  mehr:  **)  es  sind  die  griechischen 
KoDige  Anliochusy  Ptolemaus,  Antigonus-und  Magas, 
die  hier  —  und  zwar  amllich  —  als  Zeil-  und  Bundesgenos- 
sen  Ashokas  aufgefuhri  worden.  Es  fragt  sich  nur,  von  wel* 
chen  Konigen  dieses  Namens  hier  die  Rede  ist.  Was  zuvor- 
derst  den  erslen  unter  ihnen  betrifft,  so  kennt  die  Geschichte 
keinen  Konig  dieses  Namens  vor  Antiochus  Soleri  der  im 
Jabre  281  seinem  Vater.  Seleucus  Nicator  folgle,  mitbin  erst 
11  Jahre  nach  dem  angeblichen  Tode  Ashokas  zurRegierung 
kam,  wodurch  allein  schon  die  Singhalesische  Zeilrechnung 
umgestofsen  wird.  Da  sich  beide  Inschriflen  erganzen^  so  sind 
offenbar  diese  vierKonige  als  gieichzeilig  vorauszusetzen  and 
nur  ein  einzigesroal  erscheinen  in  den  griechisch-alexandrini- 
schen  Reichen  vier  .Konige,  die  jene  Namen  tragen,  als  Zeit- 
genossen,  namlich:> 

in  Syrien:  Anliochus  I.  von  281—262 
in  Syrien:  Antioehus  11.  von  262 — 247 
in  Aegypten:  Pioleinaus  IL  von  284 — 246 
in  Gyrene:  Magas  von  308—258 
in  Macedonien:  AntigonuaL  von  278 — 277 
und  zum  zweitenmale  von  266 — 240. 
Der  Zeitraum,  in  welchem  das  in  den  Inschriflen  erwahnie 
Biindnifs  geschiossen  sein  konnle,  reducirte  sich  demnach  auf 
die  Jahre  278 — 274  und  266 — 258,  in  welchem  Magas  von 
Gyrene  starb.    Ein   anderer  Magas,  der  Sohn  dcs  Ptolemaus 
Euergetes,  auf  den  man  wohl  den  betreffenden  Namen  in  der 
zweiten  Inschrift  hat  beziehen  wollen,  is(  niemals  Konig  ge- 


*)  Joarnal   of   the  Asiat   scl.  of  Bengalen   1838  p.  156  ff.     Lasicn  11, 
p.  241. 

)  Friiber   las    oian   den   mittleren   Namen    im  zweiten   Edicte  anders. 
Vergi.  Benfey  71. 


Kfinige  Worte  iiber  d«ii  BoddliuiMt.  459 

wesen,  and  gesetzt,  dafs  er  gemeint  sein  konnle,  so  wiirde 
jener  Vertrag  niir  noch  um  einige  30  Jahre  spaler  zu  daliren, 
und  miikte  zwischen  224  und  221  abgeschlo^en  sein,')  mii- 
hinv  den  Fehler  in  der  Singhaiesischen  Zeilrechnung  nur  ver* 
grofsern.     Wolile   iibrigens  jemand    dieae  leUtere  -*•  quand 
meme  —  retten,  so  rnSchte  er  vielleicht  einwenden,  dafs  ge« 
gen  den  Anschein  und  gegen  unsere  Vorausaetzung  die  bei*> 
den  genannten  Edicte  nichls  uiit  einander  gemetn  hfiUen,  und 
dafa  unler  den  im  zweiten  au^eflihrten  Konigen  Plolemaus 
Lagi,  nicht  Ptoletnaus  Philadelphus ,   ferner  nicht  Antigonua 
von  Gonnoi,  sondern  jener  Anligonus,  der  bei  Ipsus  gefal- 
len,  endlich  der  schon  erwahnle  Magas,  der  308  Konig  von 
Cyfene  gevvorden,  zu  verslehen  waren,  die  ja  alle  drei  in  der 
Periode  gelebt,   in  welche  die  GeschichCsbiicher  von  Ceylon 
den  Ashoka  verselzen,  und  dafs  foiglich  jenes  Abkommen  mil 
ihnen  zwischen  308  bis  301,  d.  h.  bis  vor  der  Schlacht  bei 
Ipsus  getroffen  sein  nitifste.     Aber  wo  bleiben  wir  dann  mit 
dem  Antijaka   der    ersteren  Inschrift?     Setzt   er  allein  der 
herkSmmiichen  Chronologie    nicht   dieselben   Schwi^rigkeilen 
entgegen,  wie  in  Verbindung  mil  seinen  drei  CoUegen?    Und 
miissen  wir  nicht  schon  seinetwegen  ein  Stiick  aus  derselben 
herausschn  eid  en  ? 

Es  giebt  kein  anderes  Mitlel,  und  Ashoka  kann  eben  so 
wenig  zum  Zeitgenossen  irgend  eines  Antiochus  werden,  seis 
des  I.  oder  11.  oder  III.,  wie  Tschandraguplas  zum  Zeitgenos- 
sen  des  Seleucus  Nikator,  ohne  dafs  den  Singhalesen  etwas 
in  ihrer  Rechnung  geslrichen  werde.  Mit  anderen  Worten: 
wir  stofsen  hier  wiederum  auf  denseiben  Fehler  in  derselben, 
den  wir  schon  bei  der  Festslellung  von  Tschandraguptas'  Re- 


*)  Die  Ja^ana-Konige,  mit  welchen  er  abgesclitossen,  waren  dann  nam- 
lich : 

Ptolematis  III.  von  240—221 
und  desseR  Sohn  Magas, 
Antigonog  II.  von  233*- 221  and 
Antiochns  der  Grofse  von  224—  176. 


460  Hittorisch-lingnistische  WiBsensebaften. 

gierungsseil  hervorgehoben  haben.  Denn  damil  mcfal  bios 
Ashoka  mii  einem  Antiochus,  sondern  beide  zugleich  mil  den 
anderen  drei  Javana-Konigen  zusammengebracht  werden  kon- 
nen,  miissen  wiederutn  einige  sechzigJahre  wegfallen,  diesei- 
ben  s^chzig  Jahre,  welche  nach  der  BuddhisUschen  Zeitrech- 
nung  den  indischen  Tschandraguplas  von  dem  griechischen 
Sandracottus  trennen.  Die  Summe  derseiben  ganz  genau  bis 
auf  ein  oder  mehrere  Jahre  bestimmen  zu  wollen,  ist  aller- 
dings  mifslich,  doch  der  ganze  Kaiserschnitt,  ais  solcher,  durch- 
aus  nolhwendig  und  gerechlferttgt.  *) 

Der  einzige  Einwand,  den  man  dagegen  macben  konnle  — 
und  man  hat  ihn  gemacht  **)  —  ware  folgender:  ,>Der  my- 
thische  Tschahdragoptas  der  Inder  und  der  bislorische  San- 
dracottus derGriechen  sind  zwei  ganz  v^rschiedei^e  Personen, 
und  der  blofse  Anklang  der  Namen,  wie  einige  hochst  ober- 
flachliche  und  allgemeine  Uebereinstimmungen  in  den  beider-' 
seitigen  Berichten  iiber  sie,  bcrechligen  uns  nicht,  sie  als  iden- 
tisch  zu  selzen  und  auf  so  ioosem  Grunde  chronologische 
Gebiiude  ^aufzufuhren.  —  Gewiss  nicht^  obgleich  die  blofse 
Aehnlichkeit  jener  Namen,  an  sich  werthlos,  immer  noch  eben 
so  viel  werth  ist,  als  die  meislen  indischen  Chronologieen 
mit  ihren  priesterlich-vvillkurlichen  Einschaltungen,  und  Aus- 
lassungen,  ihren  syslematischen,  nach  der  Schablone,  oft  nach 


*)  Tumour  undBqnfey  Imben  zuerst,  so  viel  icli  weifs,  unabhangig  von 
einander  nachgewiesen ,  dafs  in  der  Aera  von  Ceylon  ein  ganz  ent- 
scbiedener  Fehler  von  60  —  70  Jahre  steckt.  Lassen  niinmt  66  Jahr 
an,  indem  er  die  Thronbesteigung  Tscbandraguptas  315  vor  Cbr. 
setzt.    Danacb  stellten   sfch  folgende  Zablenverbaltnisse  heraus: 

Tsdiandragnptas  (247)  von  315—291  ▼.  Cbr. 

Bindusara  (287)  von  291—263  v.  Cbr. 

Dbarmasboka  (377)  von  263  —  226  v.  Cbr. 
*)  z.  B.  Troyer  in  seinem  Comnientar  znr  Cbronik  von  Kascbmir  (.  11^ 
der  in  nnerscbiitterlicbem  Glauben  an  die  Konigsverzeichnisse  dieser, 
seiner  Cbronik,  wclcbe  ja  nur  bis  2448  v.  Cbr.  binaufgei^en ,  den 
Buddba  1546  v.  Cbr.  stcrben  und  Asboka  1436  zur  Rt^gierung  gelan- 
gen  lafst.  p.  399 -457. 


Einige  WorCe  iiber  den  Boddhismns.  461 

dem  Decimalsysteme  entworfenen  Zeitbeslimmungen  u.  s.  w. 
Aber  was  hiUt  es,  den  Tschandraguplas  wegzuschaffen  und 
sein  Verhaltnifs  zu  Seleucus  aufzuheben,  so  lange  nichl  des- 
sen  Enkel  Ashoka  mit  seinen  Inschriflen  uud  seiner  Verbin- 
dang  mil  Antiochus  und  <3onsoi'ten  beseitigt  ist?  Beide  ste^ 
hen  und  fallen  naliirlich  mit  einander.  —  Auch  dazu  findet 
sich  Rath.  ,,Jene  Inschriflen^'  —  so  argumenlirt  man  weiler  — 
,,ruhren  gar  nicht  von  dem  vielgepriesenen  Ashoka^  iiberhaupl 
von  keinem  Ashoka  her.  In  keiner  einzigen  erscheint  dessen 
Name,  sondern  der  Konig,  von  dem  so  viele  Edikte,  in  den 
verschiedenslen  Gegenden  Indiens  auf  Saulen  und  Felsen  ge- 
graben  aufgefunden  worden  sind,  nennl  sich  in  seinen  Inschrif* 
ten  selbslPijndasi  „der  Li ebe voile.''  Indeis  abgesehn  da- 
von,  dafs  der  Inhall  jener  Edicle  nicht  bios  im  Allgemeinen, 
sondern  in  gant  speciellen,  einzelnen  Beziehungen  und  That* 
sachen  mil  dem  iibereinstimml,  was  wir  in  den  Legenden  und 
Geschichten  von  Ashokas  Wirken  und  Thun  lesen,  abgesehen 
davon,  dafs  in  den  Inschriflen  selbst  die  Thronbesteig^ung  Ko- 
nig  Pijadasi'S  in  das  beriihmte  Jahr  von  Ashokas  Kronung 
(218  n.  Buddha)  verlegt  wird,  *)  isl  die  idenlital  beider  durch 
eine  Steile  aus  dem  altesten  Geschichtsbuche  Indiens,  dem 
Dipavanso  unwiderleglich  nachgewiesen. '^*) 

Wenn  nun  aber  Pijadasi  nar  ein  B«iname  Ashcka's  ist, 
wenn  mithin  der  „Hebevolle''  Konig,  der  drillen  Generation 
nach  Alexander  dem  Grofsen  vindicirt  werden  mufs;  so  ist  da- 
mit  nicht  bios  die  Falschheit  der  Singhalesischen  Aera,  die 
sich  unler  alien  der  Wahrheit  am  meisten  naherl,*dargelhan, 
sondern  ein  posiliver,  hislorischer  Grund  und  Boden  fur  die 
wirkliche,  nicht  mylhische,  priesterlich-gemachte  Feststellung 
vom  Zeilalter  des  Buddha.  Denn  wenn  irgend  eine  Zahl  in 
der  alteren  einheimischen  Geschichte  der  Inder  feslsteht,  so 
ist  es  die,  dafs  Dharmashokn,  in  runder  Summe,  zwei  Jahr- 


*)  z.  B.  in  der  insclirift  von  Girnar. 

**)  Von  Turnour  im  VII.  Bande  des  Jonrnal    of  tlie  As.  s.  of  Bengalen. 
VU,  790. 


462  HUtoritch-lingaistitche  Wissenscbaften. 

hunderte  nach   diesem  Zeitalter  gelebt  hat.  *)    Um  kurs    su 
sein  —  er  selbst  hat  in  seinen  Regierungsacien —  seine  Kro* 
nuDg  218  nach  Buddha  datirt;  er  konnte  sich  dabei  vielleicfii 
um  ein  oder  mehrere  Jabre,  aber  bei  der  verhiillnirsniarsigeii 
KiirEe  des  Zeitraumes  unmoglich  um   ein  oder  gar  um  z^vei 
Menschenalter  irren.    Demnach  ist  das  Nirvana  jedenfalis   in 
das  letste  Drittel  des  5.  Jahrhunderls  v.  Chr.  lu   verlegen, 
d  h.  in  das  Zeitalter  der  Perserkriege. 

So  weit  von  der  Chronologie. 

Mit  dem  Concile  von  Pattaliputra  und  der  grofsen  Mis- 
sion ^etwa  zwischen  250  und  240)  beginnt  die  Trennung  der 
nordiichen  und  siidlichen  Buddhisten.    Indem  wir  dieAusbrei- 
tung  der  Lehre  nach  Nordwest  hin   verfolgen,   k5nnen  wir 
nicht  ferner  aus  den  Jahrbuchern  von  Ceylon  schdpfen,   die 
sich  seit  jener  Epoche  ledigKch  auf  die  Geschichte  ihrer  Insel 
beschranken*     Die  Griechen   aber  sind,   trotz  des   lebhaften 
Handelsverkehres  y   seit  Alexanders    und  Megasthenes  Tagen 
in  der  Kenntnifs  Indiens  wenig  oder   gar  nicht  vorgeschrit- 
ten.  **)    Vergebens  wiirden  wir  bei  ihnen  in  den  Jahrhunder- 
ten>   die   um  Christi  Geburt  herumliegen,   Nachricbten  liber 
die  religiosen  Zustande  der  Ostbarbaren  suchen.    Daher  sind 
es  —  aufser  einigen  Angaben,  die  aus  der  Ghronik  von  Kasch- 
mir   oder  aus  Werken  von  Nepal  und  Tibet  zu  entnehmen 

*)  Die  Legende  too  Nepal  bef  Barnouf  setzt  ibn  200  Jahre  nach  dem^ 
Ninr&na  p.  4S2 ;  in  der  vorhergehenden  ist  er  offenbar  mit  Kalaahoka 
Terwecbaelt.  Die  Singbalesiscben  Angaben  iiber,  seine  Thronbestei- 
gung  schwanken,  me  gesagt,  zwiscben  224,  218  and  214  n.  Baddha. 
Dafs  aber  Ashoka  imJ.  218  n.B.  geboren  sei,  wie  man  bei  Upbam 
(The  Sacred  and  Historical  Books  of  Ceylon  t.  I,  p.  53)  lesen  kann, 
dieses  angebliche  Datum  lindet  sich  nirgend,  als  nnr  in  der  Upbam- 
scben  ^Uebersetzang"  des  Mahavanso,  and  ist  ein  Beweis  (unter 
handerten),  mit  welcher  bodenlosen  Liiderlicbkeit  Upham  aiid  seine 
Gehalfen  die  heiligen  nnd  historischen  Biicher  Ceylons  —  wie  sie  es 
nennen  '—  iibersetzt  haben. 
**)  Daraber  klagt  bekanntlich  schon  Strabo  im  Anfange  des  15.  Bucbi. 
Er  sagt,  die  Kaafleute,  welchd  zo  seiner  Zeit  iiber  Aegypten  and 
den  Arabischen  Meerbusen  gingen,  seien  iinwissende  Leute. 


Binige  Worte  ober  den  BudiUiisiiiot.  463 

sein  mochten  —  die  Chinesen  die  Einzigen^  welche  una 
Kunde  geben  von  der  ersten  weitere  Verbreiiung  desBudd* 
hismus  in  nordwesUicher  Richtung,  und  diese  ers.ie  Periode 
der  Ausbreitung  erstreckl  sich  bis  zu  dem  Momente,  in  wel* 
chem  derselbe  von  Islam  nach  Oslen  bin  zuruckgeworfen  oder 
ausgeroUel  wird.  Sie  geben  uns  zwar  meislens  nur  diirre  geo« 
graphische  und  chronikalische  Noiizen,  aber  diese  Noiizen  haben 
den  unschalzbaren  Vorzug,  dafs  sie  ihalsachlich,  meisl  sogar 
amilich  und  andrerseiU  genau  chronologisch  festgestellt  sind. 
Neben  ihnen  kommen  die  Buddhistischen  Bauwerke  in  Be* 
tracht,  die  in  Landern,  welche  seil  einem  Jahrtausend  unun- 
terbrochen  die  Herrschaft  des  Muhammedanismus  unterworfen 
sind,  handgreifiiches  Zeugnifs  ablegen  fiir  das  fruhere  Vorhan- 
densein  des  Buddhiskiscben  Cultus. 

Die  femere  Mission  scheint  sich  gieich  anfangs  mil 
iiberraschender  Schnelligkeit  und  Consequenz  entwickelt 
zu  haben.  Denn  scfaon  im  Jahr  217  vor  Christi,  also  kaum 
dreibig  Jahre  nach  dem  Concile  von  Pattalipulra,  erschien 
der  Sanianaer  Sche  H  fang  mil  achlzehn  anderen  Glau- 
bensboten  bei  dem  beriihmten  Kaiser  Schi  hoang  ti|  der  die- 
selben  einsperren,  indefs  durch  ein  angebliches  Wamder  er- 
schreckt^  wieder  in  Freiheit  setzen  liefs,  —  eine  Angabe^  die 
nichi  wohl  bezweifell  werden  kann,  da  sie  ein  von  den  Chi- 
nesen seibsi  erlebles  Factum  betriffl.  *)  Jene  Priester  kamen 
aus  den  westlichen  Gegenden,  d.  h.  aus  der  hohen  Tartarei 
und  Koko  Noor,'^*)  woraus  folgt,  dafs  diese  Lander  schon 
einige  Zeit  von  den  Missionen  heimgesucht  waren,  ehe  die 
lelztern  es  wagen  konnten^  den  langen  und  gefahrvollen  Weg 


*)  Foe  Kooe  Ki  p.  41. 

**)  Dies  wird  aosdrncklich  bericlitet;  auch  gab  es  keinen  anderen  Weg 
zwiscbeo  Indien  and  Schen  si  im  nordiichen  China,  in  welcber  Pro^ 
vinz  eben  jene  Glaabensboten  anftraten.  Indien  war  den  Cbinesen 
bis  dabin  voUig  nnbekannt.  Erst  bandert  Jahr  spater  wurde  eine 
Gesandtsohaft  i||>gescbiokt^  um  dasselbe  anf  dem  Siidwege  zu  errei- 
cben,  maiste  aber  wegen  aniiberwindlicher  Schwierigkeiten  wieder 
nmkehren.     Pauthier  im  Joiirn.  As*  IH.  s^rie  tVIlI,  p.  261. 


r 


464  Ilistoriflch^iinguistische  Wiasefiscbaften. 

nach  dem  fernen  Ostreiche  einzuschlagen.     Wir  wissen  frei- 
lich  nicht,   ob  und  wie  weit  schon  damais  der  neue  Giaube 
bei  den  Tartarenvdlkern  feste  Wurzeln  gescMageti  hat,  und 
ob  die  Juetschi,  die  spater  als  eifrige  Anhanger  desselben  er- 
scheinen^   sich  schon  zu  demselben  bekannt  haben,   ehe    sie 
ihre  Wandrinig  nach  dem  Westen  begannen;  doch  unwahr-' 
scheinlich  isi  dies  durchaus  nichl.    So  viel  steht  fest,  dafs  ein 
Jahrhundert  spater,  als  unler  dem  Kaiser  Wu  ti  der  Vertil- 
gungskrieg  gegen  die  Hiiingnu  und  damit  zugleich  die  gros- 
sen  Eroberungs-    und  Entdeckungszuge    gegen    den  Westen 
begannen,  die  sich  zulekzt  bjs  zum  Caspischen  Meere  aasdehn- 
ten,  Buddhistischer  Cultus  in  den  Westlandern ,  selbst  schon 
am  Oxus  vorgefunden  wurde.     Damais  (126 — 122  vor  Chr.) 
erfolgte  von  Seiten    des   Kaisers  die  benihrnte  •  Sendung  des 
Generals  Tchangkhian  zu  den  Juetschi,  die  von  den  Hiu- 
ngnu  gedrangt,  nicht  lange  zuvor  ihre  Wohnsilze  am  oberen 
Hoango   aufgegeben  und  sich  4)ach  Vertreibung  der  Ta  hia 
(der  Dahae  der  Griechen  und  Romer)  Transoxaniens  bemach* 
tigt  batten.  *)    In  seinem  Berichte  erwahnte  dieser  des  Buddha 
und  Indiens^  als  von  woher  die  Ta  hia  mil  Seidenstoffen  ver- 
sorgt  wurden.  **)    Im  folgenden  Jahre  (121  v.  Chr.)  brachle 
der   General   Hou   khiu   ping   von    seinem    Zuge   gegen    die 


*)  Klaproth  Tableaux  historiqaoB  de  TAsie  p.  57ff.  A.  Remasat  N. 
Mclang.  As.  T,  221. 
**)  Foe  Kone  Ki  I.  c.  Neumann  in  der  Zeitsclir.  f.  K.  d.  Morg.  Ul,  124. 
Panthier  1.  c.  260:  Oa  fait  observer  que,  selon  la  relation  de  bar- 
bares  du  snd-ouest,  la  premiere  des  annees  Youan  cheou  (122  v. 
C),  le  lieutenant  general  Tscliangkian  dit,  que  lorsqu*!!  fut  envoye 
chez  les  Ta-hia,  il  y  vit  des  dtoffes  de  coton  de  Cliou  (Ste  tcbuan). 
II  demanda,  d'on  parvenaient  ces  objets.  On  lui  r^pondit  que  c'etait 
des  royaumes  du  Chin-tou  (Indien),  sud-est,  d*ou,  en  fatsant  quel- 
ques  miiliers  de  11,  on  pouvant  atteindre  le  pays  de  Cliou.  Hiernacli 
ware  es  niclit  die  Expedition  des  Tchangkfiian ,  wie  Rlaprotfa  I.  c. 
,  bebauptet,  sondern  wahrscbeinlich  die  Buddhistigijche  Mission,  w«lcbe 
dem  Seidenhandel  zuerst  den  Weg  nacb  dem  Westen  gebabnt  Jiat. 
Vergl.  A.  Rennisat  bistoire  de  la  ville  de  KJiotan  p.  53>. 


Kinige  Worte  iiber  den  Buddhiflmus.  465 

Hiongnu  aus  einein  Lande  wesUich  vom  Beluriag  eine  goldne 
Slalue  mit,  vor  welcher  der  KQoig  jenes  Landes  Weihrauch 
anBus&iinden  pflegte.  Uiese  Biidsiiule  wird  von  den  chinesi- 
schen  Geschichtschreibern.  fiir  ein  Bild  d«s  Buddha  gehalten. 
Zwei  Jahr  vor^  Chrisli  Geburt  schickten  die  Juetschi  Budd- 
hislische  Schriften  nach  China;  „dorl  war  damals  —  wie  es 
in  den  Annaien  heifsl  —  die  Lebre  des  Fo  wohi  bekannt, 
aber  man  glauble  nicht  an  sie."  *)  Ihre  offlcielle  Einfiihrung 
auf  Befehl  des  Kaisers  Mingti  erfolgte  erst  65  Jahre  nach 
Chrisli. 

Unlerdess  batten  die  Jueischi,  oder  —  wie  sie  von  den 
Griechen  genannt  werden  —  Indoscythen  in  dem  letzten  Jahrh. 
vor  Chris4i  Kabul,  Kophen,  Kandahar  und  Kaschinir  erobert, 
also  jene  Gegenden^  aus  denen,  wie  es  scheint,  schon  vor 
inehreren  Generationen  die  ersle  Kunde  des  Buddhisnius  2u 
ihnen  gedrungen  war. 

in  Kaschmir  selbst  halte  die  neueingefiibrte  Lehre  —  wenn 
wir  der  oben  erwabnten  Chronik  dieses  Landes  Irauen  diir^- 
fen  —  gleich  unter  Ashokas  unmittelbaren  Nachfolger  eine 
Niederlage  eriebt,  durcb  die  eben  vielieicht  die  Priester  der- 
selben  zahlreich  zu  den  nord-westhchen  Volkern  getrieben 
wurden,  von  welcher  sie  sich  indefs  schon  unter  deniselben 
Konige  wieder  erholten.  '*) 

Von  nun^  an  nicht  mehr  angefochten  gelangte  sie  bald  zu 
aufserordentlicher,  wenn  auch  nur  kurzer  Bliilhe  unter  den 
so  genannten  Turuschakonigen ,  d.  h.  unter  den  Konigen  der 
Jurtschi,  namentlich  jenem  vielgenannten  Kanischka,  in 
dessen  Regierungszeit  das  vierle  Concil  fallt,  das  die  siidli- 
chen  Buddhisten  nicht  erwahnen,  und  auf  welchen  eine  neue 
Redaction  der  heiligen  Schriften  veranslaltet  sein  soil,  %400 
Jahre  nach  dem  Tode  des  Buddha,  f )  Aus  den  vielen  in  den 
Sthupas  gefundenen  Miinzen  dieses  Konigs  hat  man  schliefsen 


*)  Foe  Koue  Ki  Introd.  XXXVIII. 
*•)  Histoire  des  rois  de  Kachmir  p.  13,  17. 
t)  Nor  die  Mongolen  setzen  es  300  J.  nach  dem  Nirvana.     Vergl.  oben, 


466  Hittoriioh-lingmstische  Wiflsensdiaften. 

zu  diirfen  geglaubt,  dafs  er  nicht  ganz  ein  Menschenaller  vor 
Chrisli  Geburt  den  Thron  bestiegen,  was  mil  der  obigen  all- 
gemein  gehaitonen  Zeitberechnung  der  Chinesen  und  Tibeta- 
ner  und  der  von  uns  aufgestelllen  Chronologie  inn  Ganzen 
stimmen  wiirde. ") 

Unter  diesem  Kdnige  soli  aufser  dem  Vasumi  tra,  Voh- 
sitzenden  jenes  Concils,  auch  der  beruhmte  Kirchenvater  und 
Heiiige  Nagardschuna  gelebt  haben,  der  auf  die  Ge- 
slaltung  des  ndrdlichen  Buddhismus  sowohl  .  hinsichts  der 
Doclrin,  als  der  Hierarchie  den  entschiedensten  Einfluss  ge- 
iibt  zu  haben  scheint,  und  den  wir  bereits  als  Begrunder  der 
abslraclesten  Phiiosophenschule  kennen  gelerat  haben.  Die 
Tibelaner,  Nepalesen  und  Chinesen  setzen  ihn  400,  die  sud^ 
lichen  Buddhisten,  welche  ihn  ebenfalls  kennen,  500  Jahre 
nach  dem  Nirvana,  welche  Angaben  sich  allenfalls  vereinigen 
lassen,  wenn  wir  von  der  jetzteren  die  60 — 70  Jahre  abiie- 
hen ,  welche  die  Aera  von  Ceylon  iiberhaupt  zu  viel  hat  **) 
Was  fur  VerMnderungen  des  Dogma's,  der  Diseiplin,  desCul- 
tus  u.  8«  w.  damals  im  Einzelnen  durdi  ihn  und  durch  das 
das  Concrl  vorgenoinmen,  dariiber  fehlen  uns  freiiich  .positive 


*)  Lassen  I.  c.  411  ff.  In  der  Cbronik  yon  Kascbmir  II,  19  beilst  es: 
Alors  cent  cinquante  ans  s*toient  ^cortes  depuis  remancipation 
da  bienbearenx  ^^^i^sinba  etc.  Ancb  dies  wiirde  noch  so  ziemlicb 
stimmen,  wenn  man  voraussetzen  diirfte,  der  Cbronikscbreiber  babe 
angenommen,  da£B  die  Rinlabrung  des  Bnddhismns  in  Kasclimir  and 
das  Nirvana  der  Zeit  nacb  zusammenfallen.  Rine  abniiche  Sage 
konimt  ja  nocb  bei  Hioan  Tbsang  vor,  nach  welcbem  der  oben  er- 
wabnte  Apostel  Kascbmirs  Madbjantika  (bei  den  Chinesen  Mo  tian  ti 
kia)  za  einem  Sobuler  Anandas  gemacbt  wird.  Foe  Koae  Ki  p.  381. 
Es  waren  aisdann  za  jenen  150Jabren  noch  die  235  binzozoreolinen, 
die  nach  der  Aera  Asbokas  seit  dem  Nirv4na  bis  zur  Mission  yer* 
ffossen  sind,  woraos  sich  ebenfalls  beinabe  400  Jahre  ergeben 
warden. 
**)  Barnonf  447,  559,  571  a.  a.  Lassen  I.  c.  and  57.  Br  beiat  aocb 
Nagasena.  Die  Chinesen  nennen  ibnNiga  kotbona  oderLoan^.  Foe 
Koae  Ki  159  a.  162. 


Kinige  Worte  uber  den  Bttddbiimut.  467 

Nachrichlen,  doch  so  viel  scheint  im  Aiigemeinen  schon  jetst 
behaupUt  werden  zu  konnen,  dafs  eben  in  jener  Epoche  der 
Dordliche  Buddhismus  seine  spezifische,  vom  siidlichen  unter- 
schiedene  Geslalt  und  Farbung  erhailen  babe,  die  sich  spater 
in  Tibet  zuin  Lamaismus  entwiekelte.  Dies  durfte  sich  auf 
folgende  drei  Hauptpunkie  reduciren  lassen:  1)  das  System 
der  „grofsen  Ueberfahrt^',  als  dessen  Urheber  eben  Nagarad- 
schura  bezeichnet  wird,  und  das  jedenfalls  in  der  eigentlichen 
Heimath  der  Lehre  zu  Ashokas  Zeit  —  wenn  es  iiberhaupt 
schon  existirle  —  noch  wenig  hervortrat,  ward  damals  zur 
bevorzuglen,  zur  herrschenden  Schule.  2)  Schivaistische  Vor- 
stellungen^  Gebraucbe  und  Ceretnonien  fingen  an  in  denBudd* 
hisiBUS  iiberzugeheny  und  sind  mil  den  altesten  Tanlras  viel- 
leicht  schon  ausdriickich  von  jeneniConcil  adoplirt  worden/) 
3)  Zum  erslen  Male  scheini  in  dem  gedachten  Zeitpunkte  die 
Idee  eines  Palriarchenihums  aufgetaucht  zu  sein.  Bis  dahin 
halle  in  der  Buddhislischen  Kirche  eine  Art  von  Fresbyle- 
rial*  oder^  wenn  man  lieber  will,  Episcopal -Verfassung  ge* 
herrschty  —  das  stellt  sich  in  der  Geschichte  der  drei  allge^ 
meinai  Concile  unzweifelhafl  heraus,  —  und  es  brauchi  Uer 
nicht  wiederholt  zu  werden,  dafs  die  Verzeichnisse  der  an* 
geblichen  Buddhislischen  Patriarchen,  sowohi  das  Chinesisch- 
Japanische  wie  das  Singhalesische,  die  iibrigens  auch  nicht 
einmal  mit  einander  libereinstimmea,  in  einer  spateren  Zeit 
gemacht  worden  sind,  gemacht,  um  den  ununterbrochenen 


*)  Dariiber  dafs  die  Vereinigung  Ton   SohiTa'ismas  ond  Buddhismas  in 

Kaschinir,  wie  im  nordwestlieken  Indien  oberhaopt,  Tor  sich  gegan- 

gen,  Burnoof  647  ff.    In  der  „CbroBik  von  Kaachmir""  wird  mehrmabi 

erwfihnt,   wie  Buddbisticcbe  Konige   zagleich  dem   Scbivas  Tern  pel 

und  Bilder  errichten.   DaOi  iibrigens  in  demselben  Mumente  dieHerr- 

schaft  der  speculativen  Scbnle  und  des  Sbivautischen  Gotzendienstes 

beginnt,  darin  liegt,  wie  die  Erfabrang  oftniato  gezeigt  bat,  keinet- 

weges  ein  WiderapracJu    Im  Mittelaiter  z.  B.  entwickeln  sicb  die  ab- 

atra^oate  und  abatroMtte  Scbolaatik  nnd  der  roheste  Abei^laabe  and 

Ceremoniendielist  in  der  katboUachen  Kircbe  gleiehzeitig  Md  gleich- 
mafsig. 


468  Historiscli^linguistische  Wiisenschaften. 

Fortgang  der  Inspirdtion  in  einer  stiiUgen  Reihe  von  Nachfoi- 
gem  des  Buddha  darzuslellen.    Von  einem  allgemeinenOber- 
hauptey   von  einer  monarchisehen  Spkze   der   Hierarchic  ist 
daher  wahrend  der  ersten  Jtkhffaunderte  in  der  Buddhbtischen 
Kirche  so  wenig  die  Rede,  wie  in  der  christlichen ,  sondern 
die  Synoden^  und  auf  ihnen  die  hohere  Geistlichkeil,  die  Stha-^ 
viras  und  Archats   iibten  die  lelzte  EnUcheidung.     Sehr  na* 
liirlich  mag  sicfa  nun  aber  durch  die  Ausbreilung  der  Missio- 
nen  das  Bediirfniss  nach  grofserer  Einheit  und  Concentration 
in  der  Leitung  der  kirchlichen  Angelegenheilen  gezeigt,  ande- 
rerseits  die  Konige  der  Juetschi^  deren  Maoht  sich  bald  itber 
dasganze  westlicheHindostan  ausdehnle^  dieselbe  aus  politischen 
Griinden  begiinstigthaben;  genug,  Nagardschuna,  der  ja  auch 
in  jenen    Verzeichnissen    der    angeblichen    Uberhaupter   der 
Buddhislischen  Kirche  seine  Slelle  gefunden  hat,  scheint  in 
Wirkiichkeit  der  Erste  zu  sein,  den  man  mit  einigem  Rechte 
den  Namen  eines  Buddhistischen  Palriarchen  boilegen  k&nnte/) 
Ob  und  in  wie  weit  seine  sogenanntcn  Nachfolger  bis  auf  je* 
nen  Bodhidharma,  der  zu  Ende  des  5.  Jahrhunderts  n.  Chr. 
seinen  Sitz  von  Indien  nach  China  verlegt  haben  soil,  histo- 
rische  Personlichkeilen  sind,  hat  die  Porschung  erst  noch  zu 
ermilteln. 

Schon  unter  dem  Konige,  der  nach  Kanischka  als  Na- 
gardschuna^s  Zeilgenosse  aufgefuhrt  wird,  scheint  eine  heftige 
Reaction  des  Brahinanenthums  gegen  den  BuddhisuHis  einge- 
treten  zu  sein,  die  mit  vdHiger  Verlreibung  der  ^^Betller"  ge- 


*)  In  der  Chronik  von  Kavclimir  lieifst  es  von  ihui  S.  173:  Ensuite 
(150  Jabr  nach  Buddha)  Phenreux  N4g4rdjuRa  fut  souverain  de  ce 
pays  etc.  S.  177:  Dans  ce  temps  les  Booddhas  obtinrent  Tasoendaflt 
dans  les  pays,  proteges  par  le  sage  Ndgdrdjona  qui  etait  on  Bodbi- 
sattwa.  Troyer  zahlt  ihn  desbalb  zu  den  Konigen  Kaschmirs,  doch 
dagegen  streitet  scbon  der  Zusamincnbang  jener  Stellen*  Jedenfalls 
erscbeint  Abbimanyu  in  der  zweiteir  als  der  Konig,  unter  welchem 
Nagardschnna  Beschotzer  der  Bauddbas  gewesen.  „ Souverain"  ist 
bier  die  UeberseUung  fur  fibamiswara,  Herrn  der  Krde  (pbntifex 
maxim  us).     Vergl.  Zeitscbr.  fiir  K.  des  Morgenl.  Ill,  122. 


Binige  WorCe  iiber  den  Biiddliittnds.   '  469 

endigt  So  wenigstens  berichiet  die  erwahnte  Chronik.  *)  Ob 
diese  Vertreibung  wirklich  so  schnell  vof  sich  gegangen,  ob 
tlie  Aus(4lgung  der  Kelzerei  wirklich  so  radical  gewesen^  wie 
der  rechtglSobige  Verfasser  derselben  es  darstelit,  iSfsl  sich 
indess  b«zweifeln ; *'*)  wenn  man  auch  zirgestehen  muss,  dafs 
die  Blothezeil  des  Buddhistischen  Cultus  in  Kaschmir  friiher 
aafgehort  habe,  als  in  den  Nachbarlandern. 

Denn  in  Penschab  und  zwar  in  detijenigen  Gegenden, 
welche  onmittelbar  jenes  Alpenthal  begrenzen,  mufs  derselbe 
wenigstens  noch  bis  in  das  4.  -  JahHiandert  foHgedauert  ha- 
ben;  das  ist  aus  den  Monzen,  welche  in  den  Sthupas  zwi- 
schen  Indus  und  Hydaspes  gefunden  worden  sind,  bis  zur 
Evidenz  erwiesen.  f )   Noch  ianger  erhielt  er  sich  in  den  Nat^h* 


♦)S.  179— 186. 

**)  Vergl.  S.  199  u.  120,  wo  es  erzalilt  wird,  wie  nach  140  Jahren  nach 
der  Torgeblicfaen  gShzltdien  Ansrottong  noch  1000  Buddhistuche 
Kioater  rerbratint  worden.  MahaTanso  c.  12'lafat  die  Kaschmirer  bis 
aufaeine  Z^it  (qdi  600  n.  CJir.)  in  „gelben  Kleidern  prangei|**> 
und  ein  Chinese,  der  den  Dschinggiscbaniden  Hulagu  anf  seinenFeld- 

.  z'dgen  begleitete,.  nennt  noch  ini  13.  Jahrhanderte  Kaschinir  „Ie 
royaume  de  Fo**  and  fiigt  binzn:  „C*est  Ik  qu'^on  voit  des  bommea 
qui  passent  pour  les  successenrs  de  Chakia;  lenr  air  antique  et  t^- 
B^rable  les  fait  ressembler  h  ces  figures  de  Tha-^ma  (Bodhidharma, 
dea  letzlen  angeblichenPatnarcben)  qu*oft  yeit  pieintet  en  diff^rents 

,  Ueax.**  A.  Remnsat  N.  M^ang.  As.  I,  170*  Jener  Chineae  sprinht 
allerdings  nicbt  als  Augenzeoge.  MogUch,  dais  in  spateren  Jabrbon^ 
derten  der  Buddbisnins  zuni  zweitenmale  in  Kaschmir  eingedran|;en 

'  ist.    Diese   Fragen  werden  sich  erst  beantworten  lassen',  wenn  der 

'  langersebnte  Reisebericht  desHiuan  thsang  erschienen  sein  wird,  der 
Kasebmir  (im  7.  Jahrhanderte)  besuchte,  and  so  vie!  wir  jetzt  schon 
wiisen ,  dbrt  •  noch  vier  von  Asboka  gebante  Sthupas  toriand.  Foe 
KooeKip.361. 
t)  Die  romischen  Miinzen,  welche  in  den  beiden  sogenannten  Manikyala 
Topea  ansgegraben  worden,  aind  freilicb  der  Zett  napb  alio  aus  dem 
Bnde  der  Repoblik,  keine  apat^  als  aus  Augustus  Zeitaller.  Die  an- 
deren  sind  griechisch-baktrische,  indo-scytbische  und  Sassani- 
diache,  bei  welchen  letzteren  die  firklamng  zwiscben  Sapor  If. 
Ermans  Russ.  Archly.  Bd.  XI.  H.  3.  31 


^70  Hisioriscb-lingobtiscbe  WissAnsdiaftfii. 

barlandern  westUch  vom  Indus,  die  densdben  zugleidi  mil 
Kaschmir  oder  von  doriher  erhallen  hait^n,  in  Kandahar, 
Udyana,  Kophene,  Kabul,  kurz  iin  gancen  heutigen  Afgha- 
nis&aot  wie  im  osUichen  Beludachistan.  Den  SasaamdeOi  wdche 
im  3.  Jahrhunderi  n.  Cbn  diese  Lander  den  Juelscbi  entris* 
sea,  scheinl  es  qie  gdungen  tu  sein,  ihren  Feuerdienst  hier 
zur  Volksreiigion  %u  machen,  obwohl  der  Verfall  des  Budd- 
hismus,  den  wir  tiberall  tu  Anfang  des  7.  JabrhunderU  wahr- 
nfhmen,  diei^seiU  des  Indus  woht  hauplsachlich  dem  Bekeh- 
rungseifer  jener  Konige  und  nicht>  wie  im  eigenllichen  Indien, 
d^m  Fanatismua  der  Brahmanen  aiisuschreiben  isi.  Erst  den 
lidLenqerii  des  Islam  sind  die  Jonger  Shakyas  hier  yettig 
wUrfegen. 

Kandahar  (Chinesisch  Kian  tho  we'i  oder  Kian  tho  io) 
war  einer  der  besuchtesten  und  gefeiertsten  Wallfabrsorte  aus- 
serhalb  Magadhas.  Hier  und  in  seiner  Umgebung  zeigte  man 
viele  heilige  Slallenn  welche  der  Fufs  des  Buddba  belreien, 
wo  er  naeh  der  Legendeeine  Taube  in  Freiheit  seUte,  wo 
er  als  Bodhisatwa  sich  aufgeopfert,  um  das  Leben  einer  haib 
verhungerten  Tigerinn  und  ihrer  Jungen  su  fristen,  wo  er 
sich  ein  Auge  ausriss,  um  es  einem  Blinden  zu  geben;  hier 
zeigte  man  ferncr  Fufstapfen  desselben,  ein  Stiick  von  seiner 
Hirnschaale,  einen  Fetzen  seines  Gewandes,  einen  seiner 
Zabne,  Haare  u.  s.  w.,  seinen  Schatten  in  einer  Groite,  den 
man  nur  aus  dfr  Fefne  sehen  konnte  and  der  versehwand, 
sdbald  man  sich  naherle,.  endlieh  sein  Almosengefafs,  bis  die- 
ses  von  dem  letztcn  indischen  Patriarchen  nach  China  mit- 
genommen,  laut  einer  anderen  Version  (vielleicht  von  den 
Sassanidischen  Eroberern)  nach  Persien  entfiibrt  wurde.  *) 
Aber  schon  im  Anfange  des  6,  Jahrhunder Is ,  als  es  von  den 
Chinesiachen  Beisenden  Sung  yun  tse  nndHeek*  seng  besucht 


(31O--380)  tind  Chotra  Parviz  (589)  Mtiwankt.    Vergl.  Ritter  in  den 
MonatsberiuhCen  der  Beiiiiier  AlUidemie  der  Wisw^niehaften  Ton  1837 
p.  15. 
♦)  Foe  Koae  Ki  p.  63,  83,  351,  353  e«c. 


Rinigfe  Worte  iiber  den  Baddhitimi8.  47 1 

wurde,  zeigie  sich  4iese  Glorie  im  EriSschen;  denn  damala 
herrschte  dort  ein  K5nig,  der  selbsigereeht  nor  seinem  McilhD 
und  seiner  Nacht  vertraute,  das  Geseiz  des  ¥o  und  die 
Priester  verachtete*  Neben  Kandahar  gllmzte  die  Stadt  und 
das  Kdnigreich  Udyana  (Chinesisch  U  Uahang*),  das  heu- 
lige  Piscfaawer  und  Kafristan,  durch  Buddhistische  Herritehkeit 
und  U^figkeit.  In  den  Tagen  seiner  Bliithe  soil  es  1400 
Kldster  und  18000  Geislljch«  gezahit  haben,  deren  Menge 
sich  jedoch  zur  Zeil  der  Tsang  (seil  618  naeh  Chr.)  bereits 
sehr  vemrindert  hatte.  Ueber  Kai>ul  endiich  legen  bis  auf 
den  heuligen  Tag  die  vielen  Sthnpas  Zeugniss  ab,  weiehe  in 
sieiner  Umgebung  auf  beiden  Seiten  des  Stromas  bis  su  den 
Passeingangen  des  Hindu-Kuh  entdeckt  worden  sindh 

Von  Kaschnyr  aus  ist  die  hohe  Tarlarei  bekehrt  worden, 
folglith  nicht  spater  als  in  den  ersten  chrisUichen  Jahrhnnderten^ 
wahrscheinlieh  aber  s<;hon  langst  vor  Christi  Geburi^  niimli^ 
bald  nach  dem  Beginnen  der  Mission.  Hier  wurde  Khotan 
(ChinesisGh  Yu  thiao  oder  Ku  sta  na)  zur  Metropole  der  Re^ 
ligion.  Wir  besiUen  ober  cBeselbe  ziemKth  umstSndliobe  chi* 
nesisehe  Relaironen, ")  unler  ihnen  Legenden,  in^weicben  die 
Erinnerung  anfbewahrt  wurde  ^  wie  der  Dienst  des  Buddiia 
von  Kaschmir  nach  Khotan  gebrachl^  worsen  sei. '"^)  Die  Be-* 
richterslatter  werden  nicht  aiiide,  von  der  Menge  und  Grofse 
der  KiSster,  der  Pracht  des  Cultus,  dem  Glanze  der  Tempel, 
von  Festen,  Proeessionen,  Weihungen,  Heiligenbildern,  Wun* 
dem,  Reliquien  u.  dergl.  zu  erzaUen,  Fa  hian^  der  urns  Jahr 
4U0  die  Stadt  besucfate,  schatzt  die  damalige  Zahl  der  Priester 
im  Koni^eiche  Yu  thian  auf  mehrere  10000,  f)  von  denen 
viele  der  ,|grofsen  Ueberfahrf'  sich  befleifsigten.  Die  Menge 
der  Kloster)  sei  nicht  zif  zablen'/der  grfiiseren  gebe  es  vi^ 
zehn,  eins  voA  diesen  beherberge  9000  M4tnche.     An  einem 


*)  Gesammelt  tor  A.  R^musat  in   der  sefaon  erwaknten  Hi6t(^re  de  la 

ville  de  Khotan,  lir^  des  anmiles  de  la  Chine.    Paris  1820. 
•♦)  Ibid.  p.  23,  40,  45. 
f)  „P!a8iears  foix  dix  mille  religieux.*'    Foe  Koae  Ki  p.  10; 

31* 


472  HiatorUch-iingui&tische  Wisaenichaften. 

ahdreli  sei  von  drei  Konigen  80  Jahre  king  gehaui  wotdeii: 
man  sehe  dorl  die  prachligslen  Bildwerke  und  Venierongen 
in  Gold  und  Silber  etc.  In  einem  spiileren  Berichte  (v.  541), 
isl  nur  noch  von  100  Kloalern  und  mehr  als  5000  Monchen 
die  Red^;  aus  einem  andren,  der  erst  im  Jahre  938  abgefaCst 
worden,  er^ehen  wir,  dafs  iioch  zu  dieser  Zeit  Budjdhiatisoher 
Culius  in.  Khotan  bestand^^)  Wirklich  i$l  dort  und  in  ^en 
benaehbarlen  Gegenden  der  Islaoi  noch  jeUt  ^mit  starken  Budd- 
histischen  Elementen  varselzt.  **) 

Aus  denselben  Betichten.  erheilt,  dafs  dier  Bmddhismus 
einst  iiber  die  ganze  kleine  fiuebarei  oder  sogenannte  Tarla-* 
rei'  auagebreitel  war,  wesllieh  bin  bis  Kascbgar  und  Yarkand, 
ostlich  iiber  den  Lopsee  nach  Turliaa  und  bis  Hami;  mit  ihm 
indiscbe  Scfarift  und  CuUur.  Auf  diesem  Y^ege  ist  er,  wie 
g^agl,  naeh  Cbina,  andererseils  iiber  den  Thianseban  sum  Hi 
yorgedrungen.  Iiii  4  Jahrhunderte  —  heifsl  es  *-  sei  ein  Ko" 
Qjg  von  Kouei*lseu,  das  man  wohl  fiir  das  heutige  Biscbbalik 
halt^  auf  einem  Kriegszuge  bis  nacfa  Yarkand  gekommen,  habe 
dort  die  Religion  des  Fo  kennen  gelerniund  angenommen. 
W^Y,  in  der  ^Dsungarei  ist  dieselbe  wohl  nie  roUig  unlerge- 
g^geni  denn*  noch  in  der  Mille  des  13.  Jahrhunderte  fand 
Hulagu^  als  er  von  Karakorum  aus  gegen  den  Oxus  und  von 
da  nach  Chorosan  und  endlich  nach  Bagdad  zog,  bei  den 
Hoei-he  oder  Uiguren  am  Ili  viele  Buddhistische  Tempel;f) 
bald  nachh^  aber  begann  ja  nach  Chubilais  Bekehrung  die 
weite  Verbreitung  des  Lamaismus. 

Auf  der  andern  Seile  halte  der  Buddhismus  bereiis  vor 
dem  Anfange  unserer  Zeitrechnung  denHindu*Kuh  uberschrit- 
ien  und  sich  am  Oxus  und  Jaxartes  eiabilirt.  Schon  dieAb- 
gesandten  des  Kaisers  Han  wu  U  soUen  ja  Spuren  davon  in 
jenen  Gegenden  angelroffen  habeo.     Wie  weit  er  in  dieser 


*)  Histoire  de  Kliotan  p«  80< 

**)  A.  R^musat  Recherches  sar  lea  langaes  tarlares  299* 
t)  Melang.  As.  175.    Sableanx  histor.  de  TAsie  124.    Reeh^rcli.  sur  lea 
Tart.  290  if. 


Binige  Worte  iiber  den  Buddbismas,  473 

wesilichen  Richtung  seine  friedlichen  Eroberungen  aosgedehnt, 
und  ob  er  wirklieh  die  Nordkfisle  des  Caspischen  Sees,  ja 
das  Schwarze  Meer  erreicht  habe/)  wetfs  ich  nicht  zu  sa^ 
gen;  so  viel  aber  isi  historisch  erwiesen,  dafs  er  sich  in  ganz 
Baclrien  und  in  Sogdiana  eine  Reihe-vort  Jahibunderlen  be^ 
hauptet,  und  dafs  er  aoch  hier  ersl  vom  Islam  iiberwunden, 
verdrangl  oder  ausgeroUet  word^n  ist.  Aus  Ma  tu  an  lin's 
zusammengetragenen  Notizen  ersefaen  wir  z.  B*  dab  Tokha* 
res  tan  (Thu  ho  lo)  sudlich  vom  Oxus  (U  biu  oderWei)  urn 
516  buddhislisch  war;  desgleichen,  dafs  in  Samarkand  (Khang, 
auch  Sa  ma  eul  kan)  noch  hunderl  Jahr  spater  Budd&istiscber 
CuUus,  mii  Schamanismus  vei'selzt,  neben  Chrisilicben  be-^ 
stand. '^*)  Hiuan  Ihsang,  der  zwischen  628  —  545  diese  Lan-^ 
der  bereiste,  um  heilige  Schriflen  und  Reliquien  zu  sammeln, 
und  dessen  Reisebericht  bis  jetzt  nur  aus  diirftigen  Ausaiigen 
bekannt  i«t,  {and  z.  B.  in  Badakschanr  (Fo  ko)  noch  100 
Kidsler.  t)  Weitere  Aubchliisse  werden  vermuthlich  dieSlhu- 
pas  geben ,  die  in  der  Nabe  von  Balkh  und  Samarkand  enl- 
deckt,  iadefsy  so  viel  ich  weifs^  noch  nicht  er5ffnet  worden 
siad.  ff)  Unter  den  erateren*,  die  von  grofsen  Umfange  sein 
sollen,  diirfte  man  vielieicht  den  untren  Theil  oder  doch  einen 
Ueberrest  von  jenem  ungeheuren  Thurme  wiederGnden^,  von 
dem  die  Chinesen  behaupten ,  dafs  er  schon  292  y.  Ghr.  er- 
baut  aei.  fff ) 


*)  Wie  dies  B.  Jaqaet  behaaptet  J.  As.  HI.  s.  t.  IV,  p.  150  ff. 
**)  N.  M^lang.  As.  I,  224,  228  ff.    Mir  scheint  wenigsteni,  dafs  dit;  fol- 
gendetiWorte  avf  christlichen  Coltas  in  Samarkand  zo  beziehen  sind: 
lis    adorent  l^esprit    diyin   etc.     Its  racontent  q a e  I e  f il s  d  e 
Dieo  est  mort  k  la  septidine  lUTie,  et  qae  »en  ossenienis  ont 
M  perdot.    Sle  Ziehen  dann  hapfig  (in  Proceition)  am,  nm  die  Ge« 
beine  von  Gottes  Sohn  za  suchen. 
t)  Foe  Koue  Ki  878. 
tt)  J.  A».  III.  s.  tyil,  402  ff. 

ttt)  Nenmann  „Pilgerfalnrten  Buddhistiseber  Priester**  in  der  ^Zeitscfarift 
far  histor.  Theologie*'  3.  Band  p.  122.  N.  llt^L  As  224.  Foe  Koue 
Ki  84.    Er  maafs  350  Fnfe  im   Umkreise  und  war  80  Klafter  liach. 


474  Historiich-linguifttiicbe  WiMentcbaften. 

Wie  weil  Buddhislische  Missionen  in  das  weslUche  Iran 
und  in  die  Euphratlander  sur  Zeit  der  Pariher  mid  spaler 
unler  den  Sassaniden  eingedrungen  sind,  iafst  sieh  bis  jeUl 
nichk  entacheiden.  *)  Haben  die  griechiscb  -  aiexandrinischen 
Konige^  namenilich  Piolemaiia  imd  Antiochus  dieaelben  in  ih- 
ren  LSndern  zugelassen,  wie  Asbeka  in  seinen  faischriften  be« 
hauptel?  Haben  in  Alexandria  Buddbiatiscbe  Kliater  beatan* 
den?  **)  Haben  Buddhislische  Ideen  niitgewirii^t  sur  Bildung 
des  ^testen,  vorchristlicheo  Uimchsordens  im  Occident,  des 
TherapeukenordeiUi  iler  an  der  Wiege  des  Chmlmthums  ge- 
standen  hat?f)  Sind  in  den  gnostiscfaen  und  manichaischen 
Systemen  Buddhistische  Lehrsatse  wiederauerkennen?  —  diese 
und  ahnliche  Fragen  kann  man  vor  der  .Hand  weder  bejahen, 
noch  unbedingt  aurickweisen.  Nur  die  Thataache  alebt  feal, 
dafs  es  vor  Clemens  von  Alexandrien  imd  Prophyrius  keinen 
abendlandischen  Schriftateller  giebt,  bei  dem  eiae  un^wciCei* 
hafte,  vor  jeder  Kriiik  haltbare  Erwahniing  des  Buddha  t  aeU 
ner  Lehrer  und  seiner  Anhanger  ansUtreffen  ware. 

In  China,  wo  der  Buddhismus,  wie  erwabn^  vooa  Kaiser 
Mingli  eingefahrfty  gewann  derselbe  ungeachtei  dea  Widerslan- 

'I  I'll!  1 

Aof  die  Zeitbestimmang  seiner  Urbaoung  ist  nicbts  za  geben,  denn 
die  Chinesen  baben  bierbei  nor  die  Aassage  der  Ueinen  Juetscbi 
niedergeschrteben.  Diese  aber  konnten  selbst  nnnioglieb  so  geoan 
wissen,  wie  alt  jenes  Gebaade  sei,  da  sie  erst  im  5,  Jabrb.  ■•  Gbr. 
also  etwa  700  Jabre  nacb  der  angeblicben  Erricbtung  jenes  Tbormes, 
Balkb  eroberten.  Jedenfalls  erbellt  bieraus,  dais  der  Baddbisdlus 
ISngst  Tor  deoi  5.  babrhandert  in  BaUb  Eingang  gefanden  batte* 

*)  Bei  Ma  to  an  lin  wevden  Buddbistisobe  Teropel  und  Pyramiden  bei 
den  Pos  se»  d.  i.  den  Persern  erwabnt.    N.  MeU  As.  I,  248. 

**)  Bei  einer  Tempelweibe  auf  Ceylon  in  der  Mitte  des  ^  Jabrbonderts 
ft.  Cbr.,  erscbeint  eine  Deputation  aus  A  lasiadi,  welcbes  Lassen 
fiir  Alexandria  bait  t.  If,'  434.  Welcbes  Alexandria  ist  aber  gemeint, 
das  Aegyptische  oder  das  am  indiscben  Kanbasus  etc.? 

t)  Lebten  wir  noch  in  der  Schelling-Creuzer'scben  Zeit»  so  ware  die 
Aehnlichkeit  des  Klanges  von  ^Talapeaaen**  and  ^TeTapeaten" 
yollg&ltiger  Beweis»  dafs  der  Terapeotea-  und  Essener-^^rdeA  (denn 
beide  sind  Eins),  mithin  aocb  das  Cbristentbam  aas  den  Biiddbis- 

'    roos,  Oder  yielmebr  aus  der  Uroifenbarung  bervorgegaagen  sei. 


Ginige  Worte  tiber  den  Buddiiismas.  475 

des  von  Setien  der  y^Gelehrten"',  immer  weiteren  Boden,  utid 
erhieJt  sich  nicht  nur  trotz  einer  bluligen  VerfoJgung  (vom 
J,  446)  sondern  erlebte  nach  derselben  eine  seiner  glanzend- 
sten  Perioden.  *)  Von  hieraus  drang  er  iin  4.  Jahrhundert  nacb 
Korea/*)  wahrscheinlich  nichl  viel  spaler  nach  Laos  und 
Kambodja^f)  streifend  auch  wohl  schon  nach  Japan,  ob- 
gleich  er  bier  erst  im  9.  Jahrhunderte  grofsere  Fortschritie 
machte.  £r  umfafste  demnach  schon  in  diesem,  seinem  erslen 
Zeilalier  welches  die  beiden  Perioden  der  Concile  und  der 
MidsiMiQR  in  9kh  begreift^  eiti  Getftet,  das  yoiit  gelbmi  Ikkens 
bis  zum  Caspischen,  vom  enllegensien  Theile  Hinterindiens 
bis  zur  Kirgisensteppe  reichle.  Im  7.  Jahrhunderte  aus  den 
westlichen  Besitzungen  durch  die  Bekenner  des  Propheten  zu- 
ruckgeworfen,  und  in  Indien  selbst  durch  wiithende  VerfoJgun- 
gen  fast  vemichtet,  grundet  er  einen  neuen  Mittelpunkt  sei- 
ner Herrschaft  in  Tibet  und  erlebt  eine  zweite  Auflage  ini 
Lamajstnus. 


*)  ScboH  U  c.  p.l79.    Giittlaff  .^Gescblcbl*  toii  CyAli'*  121,  ]72ff. 

*)  Tableaux  bist.  de  V^sie  77.  Nacb  dem  sudosilicbeii  Korea  erat  im 
Jabre  528. 

^)  Die  Zeit  lafst  sich  nicbt  genader  bestimtnen.  Nor  so  viel  berichten 
die  Cbinesen,  dafs  er  im  J.  617  dorC  sdioli  tiete  Anhaifger  zabtte. 
Aracan  waf  lanrgst  tdnlhdieif  aos  bekelirl;  j^tam  efbielt  dieLeffre 
etBt  698  Toii  C«yIofi>  aus,  Ifte  tfiigetttllcli  BiYmaitiseben  9lfiMiiie  des 
innerem  6ebirgslft*des  sitidi  cfrst  im  12.  Jabrbuaderte  Boddhiateni  ge< 
worden.  Crawford  „Tagebach  der  Gesandtscliaft  an  die'Hofe  von 
Siaoi  ond  Kochincbina''  p.  506^  565. d.  Uebers.  N.  Mel.  As.  I,  81  o. 
83.     Stobr  „Religionssysteme"  etc.  290  if. 


Bfdtisehe  Skizzen  oder  funfzig  Jahre 


Der  Wahrwolf). 


PoUa  Kar^l  —  sprach  der  Landrichler  —  dte  E^re 
hattest  du  dir  nicht  traumen  lassen/  mich  heule  bei  dir  su 
seben?  Der  Eslhe  behielt  seine  Miitae  auf  dem  Kopf  und 
lachte  hfihnisch:  „Beiin  Regen  reitet  der  Sacbse '^*)|  imNebel 
Irabl  der  Wolf."  Frau  v.  H.  zupfte  ihrenMann  beim  Aerme], 
und  machte  ihn  auf  den  wilden  Blick  des  Lostreibers  auf- 
merksam.  Die  Augen  des  Esthen  leucbteten  kaizenb^ft;  der 
Mann  war  in  groiser  Bew^ung  imd  zitlerle  fortw&brend. 

Er  Jiat  einen  Anfall  vom  Sauferwabnsinn>  spraeh  der 
Landrichter. 

Eine  sch5ne  Lage,  dachte  die  Baronin,  erst  verirrt  unler 


*)  Siehe  in  dieaeni  Bande  S.365. 

**)  Das  Wort  Saks  bezeichnet*  dem  Kithen  iiberbaupt  einen  Herrn. 
Vielleicbt  kann  man  dieses  damit  erklaren,  dais  die  ersten  Euro- 
paer,  die  Li|Iand  „aufsegelten*%  Bremer^  also  Niedersacbsen 
waren.  Von  diesen  Sacbsen  bezwungen,  gaben  sie  dem  Herrscben- 
den  iiberbaupt  diesen  Namen,  und  daher  nennen  sie  aoch  jetzt  einen 
Russen  Ton  Stando  —  wenne  Saks  —  einen  wendischen  (rassischen) 
Sacbsen. 


Baldsohe  SkiEzei^  oder  fatifxig  Jahr«  zuriick.  477 

VVolfen  und  dann  in  die  Hohle  eines  wahnsinnigen  Ungeheuers 
zu  gerathen! 

Bist  du  krank,  fragte  Herr  von  H.  den  Esthen? 

Von  des  Arroen  Bier  wird  weit  gesproeben  —  sagte  der 
Bauer  wile  in  Phantasieen  verfallen. 

Und  pielzlich,  wie  mit  denHanden  abwehrend>  scbrie  er: 
y,RaUen,  Ralzen,  Rateen  —  o  nichls  ak  bunderitausend  Mause 
und  Ratzen  *)  —  iort  mil  euch  —  seht  ihr  nieht,  dafs  grefoe 
Sachsen  in  meiner  H&tte  sind  -—  wie  passt  ein  goldner  Sat- 
(ei  denn  auf  des  Sdiweines '  Rflcken  —  oh  oh  oh !  —  Gros^ 
ser  General,  Fiirst,  Herr  —  gebt  mir  Brannlwein  *--  BraniKl- 
vi^ein  —  oh  nur  elwas  Branntwein!  Sechs  Sch^iken  habt  Ihr, 
und  in  Euren  Kiichen  trdpfelt  Gotles  Korn  tagiicb  in  handerl 
Fasser;  a  gebi  mir  tob  Eurem  Reichthom  —  gebt  —  gebl!'' 
Und  mit  einer  flehendea  Geberde  warf  sich  der  Koloss  eu  Bo^ 
den  und  umfafste  die  Knie  des  Landrichters« 

Bring  una  nach  Haufle,  so  will  ich  dir  dein^  LSchker 
da  mil  Branntwein  anfiillen  lassen,  sprach  Herr  von  H.  und 
leigte  mit  dem  Finger  auf  ein  Wzernes,  buUenfSrmiges  Ge-- 
fafey  dus  an  einem  Pfloek  hing. 

Der  Esthe  folgte  mit  den  Augen  der  Richtung  und  slarrte 
bulge  das  Geschirr  an,  sprang  dann  auf,  nahm  den  holzernen 
mit  Fkchs  umwickeken  HolzslSpsel  heraus  und  sab  hinein.  — 
„Leer,  leer!  Nichls  als  Heimchen  sind  drinn:  brauneRaupen 
und  bafslicbes  Gewiirm  ist  hineingekrochen.  -^  H5rl  Ihr  wie 
^s  krabbell  drinn!  Heraus  ihr  Pru»aken  und  Tarakanen.'*  — « 
Heflig  schUUelle  der  Wahnsinnige  an  dem  umgekehrten  Ge- 
schirr. —  9;Forl  mil  euch,  ieh  verAuche  eUch  in  die  Kalte  von 
Pochjala  —  unler  dieSteine  von  Harrjen.  Wein  her!  Brannt- 
wein !  —  Aber  ich  sebe  wohl  von  Euch  erhalte  ich  ebenso 
viel  als  die  Maus  vom  Wetzslein.  Ich  will  Feuer  bier  an<* 
machen  und  Euch  mil  Krucken-Rauch  bewirthen.** 


*)  Im  SauC^rwahnsinn  glaubt  der  Kranke  iiberall  dergleidken  Thiere  za 
selien. 


478  HbtoriMh-lingawCiiche  WiMenacIiftftoi. 

Urjoh,  urjob)  unj  la  paljo 
Tagga  loa  tonj  la  paljo! 
(Uhui,  Uhui  wie  viel  Wolfe 
Hiolerm  Hause  HaulemSnneken)  *). 

So  schreiend  buckle  der  WahnsiDnige  sicfa  zuiti  Lehmofen 
und  blies  wie  ein  Blasebalg  iii  die  Kohlen^  um  stmt  Diohung 
in's  Werk  su  selten.  In  diesem  Auge»blicke  fiet  der  Baronin 
ein^  dafs  sie  in  ihreni  Etui  ein  FJaschchen  mil  Hoffmanns- 
trppfen  halte.  ,,Siehsl  du,  guler  Karel"*!  rief  sie.mii  freund- 
licbster  Stjmme,  yisiehst  du  hier»  ein  scfaiines  Miliel,  nimm 
davan  tebn  TropfeDt  nnd  du  wirst  sie  loben/' 

Der  Kranke  falste  das  Flascbchen,  das  in  seiner  Riesen-, 
faust  verschwandi  und  betrachiele  uttd  beroch  es.  —  ,^Wenn 
mm  dir  ein  Ferkel  anbielet,  so  halle  den  Sack  offeo",  nur- 
mehe  er,  un4  in  eiiiem  Nu  halte  er.  dea  Inball  ausgetrunken. 

„Ach  —  rief  er  seufaend  —  war  das  mal  ein  sucker- 
siifser  Scbnaps!  —  0  ga&dige  Frau!  —  Was  babl  Ihr  fiir 
^nen  goldenen  Trank  — ! —  Ich  kiisse  Eiire  Schuh  und  Eures 
Kleides  Schleppe*  0  wie  mk  nun  wohl  ist  —  alle  RaUen 
sind  fort!  —  Komml  herein,  wer  no^b  draufsen  ist!  —  Nun 
ist  Raum  in  meiner  HiiUe." 

Mil  diesen  Worten  oSnete  er  die  Tbttr,  aus  wdcher  ein 
dicker,  weiCser  Dampf  mil  Scbnee  verniscbl  in  die  Slube 
schJug. 

,,E6  hall's  kein  armef  Hund  drauben  aus)  Tonno  ^  rief 
er  dem  Kutscher  su  •*-  w^nn  du  eiae  Nase  ¥0n  Eisen  hast, 
so  bleib  draulseni  ist  sie  aber  von  Fleisch  und  Bein,^  so  konun 
in  den  £auni  abef  lege  erst  den  Pfetfden  die  Decken  auf,  da- 
mit  sie  nicbl  den  Schnupfen  krtegen!*' 

Oer  alle  Tonne  Irieb  die  Pforde  an  einen  .elenden  sehup- 
penartigen  Anbau>  un4er  dem  ein  Pferd  vor  einem  Baum- 
schlilten  fertig  angespannt  war,  bedeckte  die  Thiere  mil  wol- 


*)  Das  Uijob  ist  ein  Sclirei,  mit  ilem  man  Wolfe  sclieuclit,  daher  urjo- 
tama  ernschiicbtern.  —  Urjoh  war  der  Beschutzer  der  Heerden  (?)  — 
Opferstellen  heifsen  Ubjo  paicat  • 


BaHteohe  Skizzen  oder  funfzig  Jahre  zgHick.  479 

lenen  gelben  Decken  und  irat  in  die  Hiiite,  indem  er  halb 
argei'lich  vor  sich  hin  murmelte:  dre  Nolh  Ireibt  den  Ochsen 
nach  den  Brunnen. 

9,Nun,  aller  Junge,  tritt  naher  an  den  Ofen»  lacbie  der 
Esthe,  Warm  deine  Pfoten !  Bist  da  dem  Haljos  (WaldgespensI) 
b^egnel  oder  Usk  du  voU  Branniwein  gewesen,  dafs  du 
meinen  Saun  fur  den  Herrnhof  angesehen  bast'\  fragie  P4Ua 
Kirel? 

Der  Kul^her  hatle  es  vbrgezogen  in  der  GdgeriwaH  sei- 
ner Herrschaft  zu  schweigen,  aber  seine  Kutscherehre  war  an-* 
getaalety  und  somit  gab  er  eine  derbe  Anlwort,  und  es  ent- 
spann  sioh  nun  zwischen  b^den  Esthen  ein  Gesprach,  in 
welchem  £e  Charaklere  der  swei  Fraklionen  unter  d^n  dama-* 
ligen  Esthen,  der  bei  weitem  zahlreicheren  civilisirf en,  und  der 
in  urspriinglicher  Rohheil  verharrenden  mit  weoigen  Ziigen 
sich  abzeichneten. 

Freilich,  sagte  er,  bin  ich  Jemand  begegnet  vnd  wenn  es 
nicbt  der  Haljas*)  war,  oder  der  „wei($e  Mana*',  so  warst 
du  es  selbsL 

—  Fiihle  mir  an  dem  Pelz  und  an  die  MiMze  <r-  sagle 
der  Eslhe  —  sind  sie  nass? 

—  Freilich  nicht  —  aber  ieh  sebe  »wei  Dinge  —  erslens, 
daCs  du  io  der  Gegenwarl  der  gnSdigen  Herrschaft  deine 
Miitze  aufbehSltst,  als  ob  du  Eier  drunter  haltest,  und  zwei- 
tens  —  dafs  du  wohl  Herr  zweier  Pelze  bist  I 

Der  Kttiachor  spielte  durauf  an,  daia  Pdlia  Karel  im  Rufe 
aland  ein  Wahrwolf  zu  sein. 

PdJia  Karel  lacbte  und  sagie:  und  wie  findesi  du  deun 
mein  Wolfsloch?  Es  isl  doch  recht  tiichtig  gebaut  und  mit 
Moos  gut  verstopft? 

Jeder  lobt  das  Seine,  der  Bettler  seinen  Sack  —  sprach 
TSnno  hohnisch. 


♦)  Haljas  Waldgeist,  der  in  die  frre  fiihrt  —  weifse  Mann  —  wafgc- 
mecs  —  „der  Scliwarze"  ironiscli:  Walgelino  der  weifse  Vogel,  d^r 
Rabe. 


480  Ijittoriioh-iinguistiscbe  Wissenschaftenk 

—  Ich  will  dir  was  sagen  Tdnno! 

—  Und  was  willsl  du  mir  sagen? 

—  Nichf  alle  HiihneF  kommen  nuf  die  Stiege,  nidit  jedes 
Mutterkind  geiangl  zum  Embachufer.  (Embach,  von  Eoima 
die  Mutter,  der  Strom  bei  Dorpat.) 

—  Nun  freiiich,  aber  wie  dasSchwein  so  derTrog,  warf 
T&nno  spottisch  ein. 

—  Und  ein  sanftes  Schwcin  ist  des  Sackes  Nachbar  enl- 
gegnete  derLostr^er  mitnoch  honischerem  Licbeln ;  OKerl, 
du  blast  auf  vielen  FlSten!  ' 

-—  Du  hast  unsere  Butter  nie  geschmeckt,  Migte  Tdnno; 
anstatt  hier  in  der  Haide  su.  hocken  einsam  wie  ein  Gespenst, 
soUteM  dd  lieber  zu  uns  kommen  and  dem  gmidigeii  Herm 
dienen. 

•^  Ich  will  dir  was  sagen  —  sprach  der  Lostretber. 

—  Und  was  willst  du  mir  sagen? 

-*-»  Ich  will  dir  was  sagen,  aus  dem  Baren  wird  wohl 
ein  Spielmann  —  aber  aus  dem  Wolf  —  nimmer!  —  Und 
nun,  da  die  gnadige  Frau  nicht  mehr  zittert,  so  wollen  wir  an 
die  Riickkehr  denken. 

—  Getraust  du  dich  uns  in  diesem  Wetter  aufs  Gut  zu 
bringen,  sprach  der  Landrichter. 

—  Nein,  sagte  der  Lostreiber,  ich  kann  es  nichl  und  keia 
Mensch  verraag  das,  aber  mein  Pferd  wird  es  thun. 

—  Nun,  so  eile  und  spann  an. 

—  Es  steht  schon  angespannt,  bemerkle  TSono.  —  Und 
sag  mir  eigentlich,  wie  kommt  es  denn,  dafs  du  reiseferlig 
dastehst  mil  Peitsche  und  Miitze  und  dafs  dein  Pferd  ange- 
spann t  ist? 

—  Ich  erwartete  Euch  —  sagte  P6lla  Karel  mit  der  na- 
t&rlichsten  Miene  von  der  Welt. 

—  Wie  konntesl  du  uns  erwarten? 

—  Die  Geister  hinlerm  5aun  halten  mir's  durcbs  Rauch- 
loch  zugerufej),  sdgte  Polla  Kcirel  tiickisch  und  zog  den  Lum- 
pen aus  der  Oeffnung,  indem  er  in  die  Nacht  hinausblickte, 
als  ob  er  sich  nach  den  Gespenstern  umsahe. 


Baltitdie  Skizzeii  oiler  fonfzig  Jahre  jniriick.  481 

Herr  undFrau  vonH.  sahen  sich  verwundert  an;  Tdnno 
aber  wunderte  sich  nicht  im  geringsten,  denn  er  hielt  Polla 
Karel  fiir  einen  Zauberer,  and  somit  war  ihm  nichts  Wunder- 
bares  in  dieser  Rede.  Herr  y.  H.  aber  dachte  an  das  a^weiie 
Gesicfat  der  Shetlander  und  reihte  dieAhnung  des  Esthen  an 
jenes  unerklarliche  aber  faklische  Vorempfinden  an,  das  vie- 
len  arktischeh  VSlkern  das  Herannahen  fremder  Personen 
verkiindet. 

Man  seUte  sioh  ein  und  Polla  Kdrel  warf  sich  derQuere 
nach  auf.  seine  niedrige  Regge  —  eine  Art  Urschlitte&y  der 
eben  niir  aus  zwei  verbundenmi  Sohlen  besteht,  tiuf  denen 
eine.Att  Gitter  von  dtinnen  Staben  liegL 

Munter  ging  es  vorwarts,  aber  naob  einigen  Schritten 
hielt  der  alte  Tonno  an  und  drehte  sich  zu  Herrn  von  H. 

* 

henim. 

—  Herr,  sagte  er,  ich  weiCs  niclii  ob  wir  dem  HSllen- 
brand  foigen  soUen,  er  fahrt  uns  nur  tiefer  in  den  Nfiijasoo 
(Hexenmorast)  hinein ;  er  hat  eine  Richtung  eingcschlagen,  die 
uns  tiur  vom  Hofe  entfernen  kaun. 

Der  Lesireiber  hatte  auch  angehalten  und  trat  zum  Kutsch- 
schlilten«. 

—  Was  folgst  du  mir  nicht,  alter  scfawedischer  Tropf 
(Rotsi-Joll)? 

—  Weil  du  uns,  weifs  Goit  wohin  bringst  und  nichi 
zUm  Hof.. 

—  Ich  kenne  den  W^g  zu  Eurem  Gate  nicht,  sagte  der 
Losirdber  ironisch,  und  mein  Pferd  kennt  ihn  ebenso  wenig. 

—  Aber  >vo  willst  du  uns  denn  hinbringen? 

—  Wo  dean  anders  bin  als  zum  Kruge?  Den  Weg 
kennt  mein  Pierd  auswendig,  and  wenn  du  ihm  die  Augen 
verbinden  wiirdest?  Seid  ihr  erst  beim  Kruge,  so  seid  ihr 
auf  der  Landslrafse,  und  wenn  ihr  die  erst  habt,  so  kommt 
ihr  auch  aufs  Gut. 

Die  Griinde  waren  schlagend;  die  Gesellschaft  machte 
sich  wieder  auf  den  Weg  und  das  kleine  Esthenpferd  brachte 
sie,  den  Kopf  dicht  am  Schnee  haltend,   durch  .„Bu8ch  und 


482  HisCorUoh-linguUtiscbe  Wissentcbaften. 

Brack''  mil  der  Sicherheil  einer  langjahrigen  Erfahrung  zum 
Kruge. 

Reisende  mil  hellen  Poslglocken  zogen  auf  der  Strafse 
einber;  eihe  iMenge  von  Branntweinsfuhren  *)  bedeckUn  den 
ganzen  Platz  vor  dem  Kruge  und  Frau  von  H.  fuhlle  sich 
uoi  funf  Jahrhunderle  vorwarU  gexiickt  Hier  war  frdhliches 
und  geschafUges  Leben  und  Weben  und  die  eben  im  PoUa 
Karels  'Saun  mil  Beben  verbraChte  halbe  Slunde  ersehien  ihr 
wie  ein  Trauna,  wie  ein  Abenlheuer  aus  La  Melte  Fouque's 
Romanen,  das  nur  einer  RiUerdanie  aus  dem  XIIL  Jabrbun- 
derte  unter  Heiden  und  Zaubervdikern  begegnen  k5nnte. 

Der  Landrichler  gab  dem  Lostreiber  ein  Paar  Klubben- 
marken  (Geld  aus  Leder,  das  nech  bis.  eUva.  1830  nebsl  Kup- 
fer  und  Silberrubeln  die  Hauptmiinze  in  Livland  ausmacbte) 
und  bald  safs  Pdlla  Karel  vor  einem  Stoof  Branntwein  und 
sang  rait  ein  Paar  anderen  Kerlen ,  die  er  zu  Gasle  geladen 
halie,  Lieder,  in  denen  er  nach  Art  der  Esthen  improvisirend 
den  .Vorfall  erzablte.  Der  Landrichter  war  nach  zebn  Mhm* 
ten  schon  gliickiich  zu  Hause  angelangt,  aber  seine  irrfahrt 
verfehlte  nicht  Sensation  im  Kirchspiele  zu  maoheii* 

Man  hielt  sich  forlan  mehr  als  je  davon  iiberseugl: 
1)  dafs  Pdiia  Karel  einen  Stiihm  (Schneestnrm)  erregt 
unJ  2)  da(s  er  des  Landricbters  Tonno   die  Augen  verblen* 
del  habe. 

3)  Dafs  er,  wie  es  in  den  alien  Prozefsaklen  faei£il: 
vorn  Wabrwolf  geloffen  sei. 

4)  Dafs  er  die  Unverscbamlheit  gehabt  den  Herm  Land- 
richter nebst  Frau  Gemahlin^  geborene  Baronesse  von 
F  .  .  .y  zf^m  Guckuk  fahren  zu  iasses. 

5)  Dafs  dieses^  auch  eingetroffen ,  indem  die  Herrsehafi 
wirklich  auf  das  Teufelsfeld  gerathen  sei. 


*)  Die  OstseeproTinzen  vtrsenden  oder  versandten  eine  grofse  Menge 
Yon  Branntwein  nach  Narwa,  Yon  wo  die  Branntweinspachter  ihn  ab- 
holen :  da  be/  jedem  Pferde  ein  Bauer  itt,  so  gleichen  soIcb«  Fnhren 
immer  einer  kleinen  Tolkerwanderiing. 


Baltische  'Skizzen  pcler  funfeig  Ja(bre  znrilck.  483 

6)  Dafs  cr  gestandigermafsen  si^  erwartet  habe,  weii  ihm 
seine  Tonntid  (Gespensler)  es  gesteckl  und 

7)  schliefsKch  bemerkteti  alle  Kutacher  des  Kirchspiels 
mit  einer  Art  Neid  und  einige  aueh  mil  einem  Seuf* 
zer,  dais  es  doch  kein  Pferd  gabe  zehn  Meilen  in  der 
Runde,  dafs  so  ausgezeichnel  gut  den  Weg  zu  sammt- 
lichen  Kneipen  bin  und  suriick  kenne,  als  Polla  Ka- 
rers  M ausfacbner !  — 

Einige  Jahre  spSter  starb  der  Held  dieser  Geschichte  im 
Sauferwahnsinn.  - 

Man  spannte  zwei  Pferde  vor  seinen  ungeheuren  Sarg, 
aber  sie  waren  —  so  erzahit  die  Sage  —  nicht  im  Slande  ihn 
forlzuschleppen ;  man  spannte  nun  ein  drittes  und  endlich  ein 
viertes  an,  und  naherte  sich  so  langsam  dem  Kirchhof.  PlStz- 
lich  biteben  die  Pferde  slehen  und  konnten  nichi  vom  Flecke. 
2wei  schwarze  Raben  batten  sich  auf  den  Sargdeckel  gesetzt! 
'Man  lief  zum  KUster  und  holte  ihn  herbei. 

Kaum  sahen  die  Raben  den  alien  ehrwurdigen  Kusler 
von  weilem  iibers  Feld  kommen,  als  sie  krSchzend  auf  und 
davonflog^i;  die  Pferde  zogen  jetzt  den  Sarg  mit  Leichtigkeit 
vorwarts.  Man  verscharrte  ihn  in  der  entfernlesten  Elcke  des 
Begrabnilsplatzes ,  wo  eine  Schaar  von  Brennesseln,  Kletten 
und  Bilsenkraut  Jiocb  emporwucherte^  und  eilte  schnell  fort; 
abet*  Jahrelang  quSlle  PdUa  Kdrel  als  Revenant  die  Gemeine 
und  setzte  sich  des  Nachts  auf  Pferde  und  Vieh^  so  dafs  am 
Morgen  dieses  im  Schwoifse  triefend  gefunden  wurde. 

Der  Landrichler  nahm  den  Knaben  Polla  Karers  nach 
des  letzteren  Tode  an  seinen  Hof,  urn  ihn  vom  Hung^rstode 
zu  retten.  Der  Apfel  war  nieht  weit  vom  Stamm  gefallcn; 
der  Knabe  war  wild  und  verstockt. 

Peep  —  sagte  der  gutmiithige  Landrichter  einst  zu  ihm  — 
du  siebst  wohin  das  Branntweinsaufen  ftihrt,  dein  Valer  zit- 
terte  immerfort  und  starb  elendigKch;  wirst  du  nun  saufen^ 
wenn  du  grofs  wirst? 

—  Ja  —  antwortete  Peep!  — 


484  HittOTisdi-ltiiguittitGlie  Wisttiuchallten. 

Landschaftlirhes.     Eine  Efennjagd. 

Eio  anderer  Charaklerzug  Lievlands  Vor  funiug  Jahren 
waren  die  gewaltigen,  tiefen^  wildreichea  Walder.    Die  ra- 
pide  Zunahme  der  Bevolkerung,  die  Sorglosigkeii  der  Bauern, 
die  unbaraiheriig  mit  dem  Hoize  uii^gingen,  die  hfiuGgen  Wald- 
briifide,  und  endlich  die  Habsucht  oder  Nolh  der  Waldbesitzer, 
die  ganze  Walder  umhieben  und  verkauften  —  alle  diese  Ur- 
sachen  suaammengenammen  haben  das  Land  gleichsam  ge- 
schoren  und  die  Schatten  der  Walder  vernichtel;  derEinfiuss 
dieser  Veranderuog  isl  nach  vieleo  Setlen  bin  filbibar.    Es 
scheint  aaa  den  Untersuchungen  der  geiehrie&ten.  Manner  her- 
Yoczugeheny  dafs  der  Wassergpiegel  des  ungeheuren  Peipas- 
see's  allmalxiig  sich  hebt  in  Folge  der 'WiUderau8roUiing(?!). 
Der  Schneei  der  in  dem  Schalteq  der  Walder  sonsi  Imgsam 
zerscbmolzy  stiirzt  jeUt  in  Stroinen  pl^^Ukiich  ins  Becken  des . 
Binnensees  und  vermehrt  unverbaltnifsmafsig   seine  Wasser- 

weiige* 

Die  zweile  Veranderung  ist  die,  dafs  Ackerland  an  die 
Slelle  der  Walder  geireken  ist,  und  die  waldbegranzAenOaseny 
die  eitt  Gut  umf^&teni  si^d  jelzt  versehmolsen:  die  Walder 
sind  wie  Coulissen  zuriickgezogen  und  das  Auge^  das  Iruher 
nur  ein  einzelnes  Gut  uberblickle,  sieht  jeti^t  ein  ganaes  Kircb- 
spieL  Wer  einige  Zeit  aus  deoa  Lande  war,  erkennt  seine 
Heimath  nicht  wieder;  das  Auge  erblickt  stait  der  heimlichen 
verlomen  kleinen  Flache  nun  eine  grafse  Scene,  ein  wettes 
Gelande  mit  nah  und  fernen  Herrnhofen,  Dorfern  und  Kirchen. 
Ueberaii  wallea  und  fluthen.  uns  Kornfelder  entgegen,  die  be* 
wi^lieh  im  Winde  wanken  wie  die  Meeneswellen,  und  mil 
ihren  schlanken  Aehren  arligst  und  eiligst  den  Reisenden  xa 
grufsen  scheineo. 

^  Etine  dritle  Veranderung  ist,  da£s  mit  den  Waldern  auob 
ihre  Bewohner  sich  suriickgezogen  haben;  ich  meine  nicht 
sowohl  die  wackern  Buschwachter  als  ihre  vierfiifsigen  Insasr 
sen,  die  Baren  und  Eiennthiere;  denn  Fiichse  und  Wolfe  lie- 
ben  bekanntlich  die  Nahe  der  menschlichen  Wohnungen  und 


BftMische  Skfzzen  oifer  fanfeig  Jahre  cnrBck*  485 

hallen  sich  daher  im  Striffel  (Busch)  auf.  Diese  Thiere 
haben  sich  daher  itn  Ganzen  nicht  vermtndert>  obwohl  jahr- 
lich  Tausende  eriegt  werden,  aber  der  Bar  und  das  Elenn 
gehoren  schon  ftu  den  seltenen  Jngdthieren. 

Ich  erinnere  mich  dafs  ein  junger  Lievlander,  der  das 
Gluck  halle  auf  einer  grofsen  Jagd  einen  furchlbaren  schwar- 
zen  Baren  211  erlegeh,  so  aufser  sich  vorFfeude  war,  da(s  er 
sich  auf  das  getodtele  Thier  warf  und  es  tartlich  umarmte 
und  kQfste!  —  Kaltbliiliger  handeite  ein  esthnischer  Bauer, 
der  beim  Holzhauen  eine  Barenhohle  gefunden  halte. «  Er 
elite  nach  Hause,  lud  eine  alte,  erbarmliche  Flinle  und  be- 
waffnete  seinen  vi^zehnjahrigen  Sohn  mil  einem  Beil.  So 
bewehrt  zogen  sie  zum  Walde,  fanden  die  Hdhle,  und  der 
Bauer  schoss  auf  gut  GlUck  hinein.  Der  Bar,  auf  diese  un- 
sanfte  Art  erweclcl,  kam  hochst  verdrufslich  und  blutend  her- 
aus,  iiel  uber  den  Bauer  her  und  warf  ihn  zu  Boden.  Wah- 
rend  er  sich  mil  ihm  beschaftigte,  sprang  aber  der  tapfere 
Junge  herbei  und  versetzte  dem  Baren  scharfe  Streiche  mil 
dem  Beil,  aber'pl5tziich  rief  der  Bauer  unter  dem  BMren  her- 
vor:  „lo  silmaga,  arra  rikku  nahka"  —  schlage  mit  dem  Beil- 
riicken,  verdirb  das  Fell  nicht! 

Den  braunen  Landbaren  siehl  man  in  Lievland  haufiger, 

aber  gezahmt,  mit  Barenfiihrern  Kunstreisen  roachen.    Es  be- 

gab  sich  einmal,   dafs   ein  Barenfiihrer  einen  retourfahrenden 

Postknecht  bal  ihn  aufzunehmen  gegen  einen  Schluck  Brannt- 

wein.     Der  Handel  wurde  geschlossen,  der  Bar  wurde  hinten 

am  Schlilten  angebunden,  so  dafs  die  Pferde  ihn  nicht  sehen 

konnten,  man  setzte  sich  ein  und  fuhr  lustig  weiter;  der  Bar 

trabie  hinterdrein.     Beim  ersten  Kruge  wurde  angehalten  und 

die  beiden  Manner  gingen  hinein  um  zu  trinken;  der  Bar  wit- 

terte  unterdess  einen  Brodsack  im  Schlitten,  der  dem  Post* 

knecht  geh5r(e  und  kletterte  hinein  um  den  Inhalt  des  Sackes 

zu  untersuchen.     Kaum  erschien    das  zottige  Ungeheuer  im 

Schlitten  als  die  drei  Postgaule,  von  einem  panischen  Schrek- 

ken  ergriffen,  Reifsaus  nabmen.    Der  Bar  verlor  seine  Geistes- 

gegenwart  nicht,  sondem  stellte  sich  auf  die  Hinterfiifse  mit- 

Brmana  Rnss.  Archiv.  Bd.  XL  H.  3.  32 


^g5  Historisch-lingnistisclie  Wittentchaften. 

ten  in  den  Schlitten  und  klammerte  stch  mil  den  Vordertalzen 
amSitzbrett  fest,  um  welches  die  Jageleinen  geschlungen  wa- 
ren.  So  ging  es  im  vollen  Jagen  vorwarls.  —  Der  Weg  war 
grubig;  der  Schlitten  schleuderte  und  der'  Bar,  der  nie  nait 
der  Post  gefahren  war,  balanzirte  in  Todesangst  au{  dein  nii* 
gewohnten  Fuhrwerke.  Die  Postgioeke  am  Krummhok  rief 
von  alien  Seiten  Leute  herbei,  es  sah  lurchtbar  und  zugleich 
komisch  aus^  eine  wahre  wiide  Jagd.  So  floben  die,  wie  ra- 
send,  D5rfer  und  Hofen  in  gestreckter  Kariere  vorbei  und  end- 
licl^  in  den  heimalhlichen  Poslstall  hinein,  die  Pferde  im  weis- 
sen  Schaum  lind  der  Bar  gnnz  schwindliobt  und  verdutzL 

Das  Elenn  ist  nachst  dem  Auerochsen  das  grofste  Thier 
der  nordischen  Wiilder.  Es  bewohnt  die  unwegsamsten  Wild- 
nisse,  aber  im  Sommer  erscheint  es  ausnahmsweise  und  oft 
in  Gesellschafl  von  zweien  oder  dreien  auf  den  bewohnlen 
Flachen.    Es  schwimmt  vortreffiich. 

In  Esthland  warf  sich  vor  vielen  Jahren  ein  gejagtes 
Elenn  in  die  Ostsee;  die  Jager  setzten  sich  in  Bole  und  ver- 
folglen  es*  Als  das  Thier  anfing  die  Krafte  zu  verheren  und 
nirgends  Land  vor  sich  erblickte,  kehrte  es  in  einem  groCsen 
Bogen  zum  esthlandischen  Ufer  zuriick,  wo  es  erlegt  wurde; 
es  hatle  dreifsig  Werst  mit  einer  aufserordentlichen  Schnellig- 
keit  schwimmend  zuriickgelegt.  Im  Winter,  gewdhnlich  im 
Februar,  nimmt  man  regelmafsige  Jagden  vor. sobald  man 
den  Standort  von  Elennthieren  erkundet  haU  Ich  machte  ein- 
mal  eine  solche  Jagd  mit,  theils  aus  Neugierde,  tbeils  zu 
einem  wissenschaftlichen  Zweck.  Vor  hundeit.  Jahren  nam- 
lich  halte  ein  Konigsberger  Naturforscher  einen  Pediculus 
maximus  Cervi  Alces  -^  elegantissimus  —  beschrieben,  aber 
man  zweifelte  an  der  Wahrheit  dieser  Beobachtung;  die 
Existenz  des  kleinen  Geschopfes  war  in  Frage  gestellt,  und 
ich  ubernahm  bei  dieser  Gelegenheit  die  mogliche  Ehrenret- 
tung  des  K5nigsbergers  und  die  definitive  Bereicberung  dieser 
so  mifsgiinstig  betrachteten  und  uns  doch  oft  so  nahe  stehen- 
den  Thierspezies. 

Durch  ein  Mifsverstandnifs  war  auliser  einem  Freunde  von 


\ 

J 


,  BaltUehe  Skizzeti  oder  funfzig  Jaiire  zuriielc.  487 

tnir  —  einem  beruhmten  Schiitzen  —  Niemand  sonsl  erschie- 

neiT,  aber  die-Treiber  waren  versaininell  und  die  Jagd  itiufate 

jedenfalls  beginnen.     Wir  fubren,  leise  flusterivd,  in   kleinen 

Bauerschittlen  dem  Elennvvalde  tu  und  stiegen  in  einer  jun- 

gen  Holzung  aus.     Von   hieraus  wurde  die  Ketle  der  berats 

versammellen  Treiber  in  eineni  grofsen  Halbkreise  durch  den 

Wald  entsandl^  und  wir  Jager  stellten  uns  unter  den  Wind, 

dem  Kreise  der  Treiber  gegeniiber.    Sobald  alles  in  Ordnung 

war,   erschallte  von  dem  Fiihrer  der  Treiber  her  etn  Scfauss, 

das  Signal   zum  Beginn   des  Treibens  und   ein  verworrener, 

dumpfer,  fernhallender  Larm  von  Klappem,  Menschenstimmen, 

Geheul  nnd  Geklopfe  —  ein  wahres  Charivari  —  begann, 

und  erhob  sich  wie  ein  unermesslicher  Schrei  sum  Himmel. 

Der  erste  Brfoig  war  der,  dafs  sich  aUerlei  Vogel  und  Wald- 

gefieder  aufmachte,  iiber  uns  wegflog    und  durch  Krachsen 

seine  Verwunderul^g  ausiudriicken  suchte.  •  Mein  Freund,  der 

berUhmie  Jager,  'gab  mir  indefs  zwei  Doppelbiicbsen ;  die  eine 

stelUe  er  an  einen  Baum,  die  andere  gab  er  mir  in  die  Hand 

und  fliisterte  mir  diese  Worte  eilig  su: 

„Sobald  das  Elenn  den  Jager  siehl,  so  bleibi  es  eineo 
Augenblick  stehen,  und  kehrt  dann  rasch  in  den  Wald  zuriick 
um  durch  die  Treiber  zu  brechen;  es  ist  daher  Kegel  gleich 
zu  schliefsen  sobald  das  Thier  sleht,  die  Entfernung  mag  sein 
welche  sie  wUI.  Die  beste  Schusswette  ist  fiir  dich  elwa  50 
Schritl  —  aber  wenn  es  auch  mehr  isl,  du  mufst  doch  schies- 
sen.  Verwundest  du  bios  das  Thier,  so  kommt  es  auf  dioh 
los  iind  stofst  dich  mit  den  Vorderhufen  nieder.  Du  wirst 
gespiefst  wie  eine  Leipziger  Lercbe.  Merke  dir  auch,  dafs 
wenn  das  Thier  nredergesiiirzt  ist,  man  sich  nichi  gleich  ihm 
nabern  darf.  Ort  schlagt  es  noch  plolzKch  krampfhaft  mit  den 
Hinterfiifsen  um  sich,  und  diese.  mit  der  ungeheuersten  Kraft 
gefiihrten  Schlage  sind  absolut  todlich.  Ich  habe  es  eriebt, 
dafs  eiq  Bauer  einen  Schlag  auf  den  Unierleib  erhieit  —  er 
hatte  lederne  Fausthandschuh  im  Gurt  vorn  stecken,  und  die 
fand  man  ntKehber  hinten  im  Riicken  des  Mannes  —  er  war 
qtier  durchgeschlagen.    Ferner  merke  dir;  ist  das  erste  Thier 

32* 


486'  Uitlorifcb"'liiigiii8iUebe  Wifgisiiicliaftefi. 

erlegt  oder  isi  es  durchgegangen.,  so  bleibe  ruhig  »tehen,  es 
kSiuien  nocb  andere  aus  dew  Walde  harvorkommen;  iibrigens 
ratbe  ich  dir  das  Thier  grade  durcbs  Herz  tu  schiefsen,  halte 
auf  den  Hals  links  und  ziele  ruhig.  Adieu  ei  bonne 
cfaittice/' 

Hiermil   uberliefs   inich   mein    Freud  ineiDefiQ  Schicksale 
und  schlich  sich  auf  seinen  StandpunkI,   der   etwa  hunderl 
Schritte  von  mir  enlfernt  und   durch  bereifte  GrahneDbaume 
geschieden  war.    Ich  befand  mich  ganz  allein>  iin  BesiU  von 
zwei  DoppelbiJchsen  von  Lebeda  und  eines  Jagddolches,  an 
dem  ich  su  meinem  nicht  geringen  Trost  ein  Messerchen  und 
Gabelchen  von  Silber  erblickle.      Es   war   kalt  —.  Eisfliiter 
flaUerten  durch  dieMorgenluft;  das  unaielodische  Geheul  ver- 
siimmie  mich  und  die  Grahnenbaume  schienen  weifse  Giaceie- 
handschuhe  anzuhaben    uiid    mich   spotUsch  anzaseheo.      So 
dauerle  es  eine  gute  Slunde;  ich  siellte  das  kalte,  unange- 
nehme   Gewehr  an  ein  anderes  Baumchen,  gahnie  und  ver- 
wiinschle  alle  Elennjagden.  und  besonders  die  gelehrlen  For- 
schungen^  von  deren  hoher  Bedeutung  ich  mich  ganz  verg^b- 
lich  bemiiht  hatte  meinen  spafshaft  gestimmlen  Jagdfreund  zu 
uberzeugen.     Er  foppte  mich  und^  ich    musste  ,  unwiUkiirlich 
mitlachen. 

So  verging  noch  eine  halbe  Stiinde. 

Pl5iz|]ch  horte  ich  ein  heftiges  Stampfen;  es  war  als  ob 
ein  ungeheueres  Pferd  durch  den  Wald  rannle,  die  Erde 
drohnte.  Ich  erwachte  aus  meinem  Sinnen  und  erblickte  ein 
prachlvoUes,  mSchliges ,  Elenn  gerade  auf  mich  zu  rennen. 
Schnell  grifF  ich  nach  meiner  Buchse ;  die  Bewegung  verrieth 
mich  dem  gescheuchlen  Thier;  es  blieb  wie  angewurzelt  sie- 
hen  und  glotzte  mich  an.  Die  Enlfernung  war  weit.uber 
hundert  Schritt,  fiir  mich  also  eine  ganz  unsichere  Sckuss- 
weile.  Aber  eingedenk  der  Jagdregel,  zielte  ich  nur  einen 
Moment  und  schoss  ab.  Wer  schildert  mein  Herzpochen  als 
ich  sah,  dafs  das  Thier  wie  niedergedonnert  zusammenstiirzte! 
Ich  war  liber  meinen  Meisterschuss  so  verwundert/ dafs  ich 
schon  im  Begriff  stand  zum  Thier  zu  laufen  urn  es  zu  uin- 


Baltitch«  SIdzsen  o4«r  ftnfeig  Jabre  zur&ck.  499 

armen^    aacii   der  Manier   des   lievlandkchen  Jagdj&Dgltngft,. 
aber  auf  einmal  fing  das  Thier  an  zu  wiilhen  utid  mil  diBii 
Hmlerbeinen  aussoscblagen,  so  dafsMassen  sprtibendenSehnees 
in  der  Luft  herumflogen. 

Ich  blieb  also  siehen  und  wartete;  aber  kein  anderes 
Tfai^  erschien,  im  Gegentheil  kamen  von  alien  Sdlen  schoo 
die  ^Treiber  durch  den  Wald  und  nun  naherten  wtr  una  vor- 
skhiig  d«ni  erieglen  Elenn. 

Hasl  du  geschossen,  rief  mein  Freund? 

Hast  du  geschossen,  rief  ich  verwunderi? 

Ah,  so  haben  wir  beide  geschosaen  und  in  demselben 
Momehi  *-^  ich  glaubte  einen  zWeiten  ScJiuss  zu  h5ren,  aber 
ieh  dachle  es  ware  der  Wiederhall  vom  \Vald«. 

lob  borte  auck  so  etwas,  sagte  ich,  inir  kam  es  aber.  wie 
ein  Echo  vor; 

Nan,  wir  wollen  gleich  entscheiden  wem  das  Thier  ge- 
hdrt     Wo  sieltest  du  bin? 

Auf  den  Hats. 

kh  alich! ' 

Links  oder  reehts? 

Natiiriich  links,  da  liegt  doch  das  Hers  und  zudem  stand 
mir  das  Thier  en  face;  ieh  konnte  wiihien* 

Ich  zielte  auch  links,  weil  das  Thier  en  profit  zu  mir 
stand  und  zvvar  mit  der  linken  Seite;  jck  hatte  es  Tortreff- 
lich,  eine  Schussweite  von  nnr  secEsig  Sehritt.  —  Wir  wer** 
den  also  wohl  zwei  Wunden  finden. 

Das  voUkommen  todte  Elenn  wurde  nun  genau  unter- 
suchl.  Es  hatte  eine  einzige  grofse  Schusswunde  links  lief  am 
Halse.  Etner  von  uns  hatte  also  gefehlt,  oder  unsere  beiden 
J^ugeln  batten  merkwiirdiger  Weise  eine  Schusswunde  ge- 
macht!?  —  Wir  schritten  zur  inneren  Untersucbung^  urn  au» 
der  Richtung  des  Schusskanals  einen  Schluss  zu  ziehen.  W^er 
beschreibt  aber  unser  Erstaunen  als  bei  der  Eroffnung  des 
Magens  etwas  Glanzendes  zum  Vorschein  kam,  dafs  sich  bei 
naherer  Betrachtung  als  ein  grofser  Bleibolzen  erwies;  ein 
Stiick  Blei  zweimal    so  grofs  als  eine  Kugel.   —    Und  wir 


^gO  Hiitoriich-liiig^ulltche  WIsieiiidiaflefl. 

hatten  beide  doch  mit  Kugein  geladen.     Nur  Bauern  sehies- 

sen  mit  Bolzen! 

Icb  kann  nicbt  umUn  su  bemerken,  dab  mir  schon  oflera 
•anguinische  Personen  vorgekommen  und^  die  bet  der  Enuih^ 
lung  dieser  Jagdgeschichte  lebhafi  ausriefen:  Was!  die  beiden 
Kugein  batten  sich  also  su  einem  Bolsen  susammengebacken ! 

Icb  mub  gestehen,  wir  selbst  waren  einen  Augenblick  in 
Verlegenbeit  —  wer  hatte  den  geschossen?  Samiel  etwa  um 
uns  Eu  foppen?    Zwei  Erklarungsarten  von  derselben  StSrke. 

Die  nahere  Untersuchung  klarte  alles  auf.  Wir  fanden 
eine  weibe,  alte,  Terharrschte  Narbe  im  Magen.  Das  Thier 
hatte  also,  vor  Jahren  vielleicht,  einen  Schuss  von  einem  Bauer 
erhalten  und  trag  den  Bolten  seit  der  Zeit  mit  sicb  im  Leibe 
herum.  Wir  sucbten  nun  nach  unseren  Kugeb,  aber  in  der 
Kalte  eine  sorgfaltige  Untersuchung  vonunehmen  giog  nicht 
gut  an.  Wir  klarten  diesen  Punkt  nicht  weiter  auf,  sondem 
theilten  uns  bruderlich.  —  Mein  Freund  nahm  das  Fleisch  und 
besahite  die  ganze  Jagd.  Icb  bekam  den  Kopf  ^um  Ausstopfen 
und  das  Fell  zu  weiteren,  wissenscbaftlicben  Unlersucbungen. 
Icb  stellte  sogleich  einige  Jungen  zu  diesem  gelehrten  Treib- 
jagen  an  und  versprach  ihnen  einen  Silber*Rubel  fur  denPe- 
diculus  elegantissimusy  aber  die  Jagd  fiel  negaliv  aus.  kh 
glaube  man  miibte  diese  Untersuchung  in  der  warmen  Jab- 
reszeit  vomehmen  und  ich  bin  immer  noch  erbotig  etwanigen 
Sammlem  den  Preis  auszuiahlen. 


Versuche  fiber  die  Anwendung  der'Bikford'scheii 
ZiindrdhreD,  beim  Schiefsen  in  den  Bergwerken. 


Von 


Herrn  Miklaschewskji  *). 


^eit  dem  Jahre  1613,  wo  man  anfing  Schielispulver  beim 
Bergbau  ku  gebrauchen^  ist  man  unablassig  auf  Abwendung 
der  Ungliicksfalle  durch  zufallige  Entsiindung  desselben  bedaeht 
gewesen.    Diese  Unglucksfalle  ereignen  sich  namenllich: 

1)  durch  Funken,  wenn  man  ein  eisernea  Instrument  «ir 
Ladung  des  Schiefsloches  gebraacht; 

2)  durch  eine  falsche  Wahl  des  Schwefelfaden,  der  dann 
zu  schnell  abbrennt  uhd  die  Ladung  entziindet  ehe 
der  Arbeiter  sich  genugsam  enifernt  hat; 

3)  durch  Unvorsichtigkeit  der  Arbeiter,  die  sich  einem 
nicht  sogleich  losgehenden  Schusse  nahern,  entweder 
urn  ihn  von  neuem  zu  entzunden  oder  um  ihn  neu 
anzusetzen. 

Die  Einftthrung  kupferner  Rfiumnadeln  anstatt  der  eiser- 
nen,  hat  die  erste  dieser  Ursachen  so  ziemlich  beseitigt.  Da 
man  aber  fast  immer  das  Pulver  lose  und  ohne  Patronen  ein- 
bringt,  wodurch  einzeine  Korner  desseiben  an  den  Wandun- 
gen  des  Schiefslocha  hangen  bleiben,  und  da  man  zum  Zusam- 
menpressen  des  Pulvers  ein  eisernes  Instrument  nicht  entbeh- 


">  Gorny  Jiiriial  1851.  No.  9. 


492  PhjfBikaligch-matliematitche  Wissenscbaften. 

ren  konnle(?),  so  war  auch  diese  Gefahr  nicht  vollsUindig  zu 
vermeiden. 

In  England  bediente  man  sich,  ehe  die  Bikfordsehen  Zander 
in  Gebrauch   kamen,   eines  Ladestempel,   ddssen   Ende    aus 
einer  Legirung  von  86TheilenKupfer  und  14Theilen  Zinn  be* 
stand.     Diese  ist  barter  wie  das  reine  Kupfer,  steht  aber  den- 
noch  dem  Eisen  weit  nach  (?). 

Die  zweite  utid  driite  Ursache  der  Ungluckgfalle  konnen 
nur  durch  die  Anwendung  von  Brandrohren  oder  Ziindern  ver* 
mieden  werden,  welche  das  Feuer  zugleich  sicder  und  iang- 
saai  an  die  Ladung  millheilen. 

Zu  diesem  Ende  erfand  Bikiord  in  Cornwailis,  im  Jahre 
1831,  die  nach  ihm  benannten  Zundrohren.  Es  sind  diese 
biegsame  Rohren  aus  eineui  leinenen  Geweb^,  desseii  Langs- 
laden  einander  aussersl  nahe  liegen.  Dasselbe  ist  zweimai  um- 
sponnen,  im  Innern  mit  einem  Faden  dessen  Umgaoge  f  Li- 
nie  und  von  aussen  mit  dnem  anderen,  dessen  Umgiinge  \ 
Linien  von  einander  abstdien.  DasAeussere  der  Robre  wird 
mit  Holzthar  ilberstriehen  und  mit  einem  U^erzug  von  75 
Theiten  Salpeter,  13  Theiien  Koble  und  12  Theilen  Schwefei 
Jedes  Meter  der  RohVe  erhalt  11  bis  12  Gramm  von  dieser 
Mischimg.  Dergleichen  Zundrohren  brennen  nun  in  der  That 
so  langsam  und  pflanzen  das  Feuer  so  sicher  fort,  dafs  sie 
den  Namen  von  Sicherheilsrohren  in  voUem  Mafse  verdienen. 

Bikford  erhielt  ein  Patent  auf  seine  Erfindung,  errichlete 
in  Cornwallis  bei  Redroot  eine  Fabrik  von  dergleichen  Lun- 
ten,  welche  dann  auch  sehr  schtietl  die  aUgemeinste  Anwen^ 
dung  in  den  dortigen  Bergwerken  fanden.  Man  hat  gefunden, 
dafs  seit  der  Anwendung  derselben  -fj^  der  friiher  in  Corn- 
wallis vorgekommenen  Ungiucksfalle  vermieden  werden.  Ein 
so  ausserordentlich  giinsliges  Resultat,  verschaffte  dann  aock 
diesen  Zundrohren  seit  1833  die  Einfiihrung  in  Frankreieby 
wo  demnachst  bis  zum  Jahre  1844  kein  einziger  Un- 
gliicksfall  vorkam*). 


*)  Combes.    Traite  de  rexploitation  de»  mines.    Tome  I. -p.  248. 


Versuclie  uber  di«  Anw^ndung  d«r  Biklbrd^sctieit  firandrolire  etc.  493 

Die  Kussischen  Bergwerksbehorden  haben  nun  ebenfalls 
dieses  wichlige  HiiifsmiUel  zu  beachten  angefangen  und  mit 
Bikforder  Rohren^  die  aus  England  verschrieben  wurden^  Ver- 
suche  anstellen  lassen.  — 

Es  soUle  durch  dieselben  enlschieden  werdeo: 

1)  in  welehem  Mafse  dergleicfaen  Ziindrohren  dieSicher- 
heit  der  Arbeiter  vemiehrlen,  im  Vergleich  mit  den 
bisher  angewandten  Schilfrohren,  und 

2)  welchen  Nulzen  die  Bikforder  Rohren  auch  in  5kono- 
mischer  Beziehung  gegen  die  Sehilfrohren  gewahrten. 

In  den  Russischen  Gruben  sind  Schierslocber  von  10,5f 
14  und  21  Engl.  ZoU  in  Gebrauch.  Die  Versuche  wurden 
mit  jeder  dieser  drei  Arlen  angestellt  und  sollen  hier  einzeln 
aufgezahll  werden. 

Versuche  mit  Hzolligen   SchiefslOchern. 

Auf  der  zwolften  >Sajen  (84  Engl.  Fufs)  des  ersien  Pelro- 
wer  Ganges,  wurden  ISSchiisse  angeselzt  und  davon  10  mit 
Sehilfrohren  und  8  mil  Bikforder  Rohren  entziindet. 

Beim  Laden  mit  Sehilfrohren,  verfuhr  man  wie  folgl: 

Nach  vorhergegangener  Austrocknung  der  Locher,  deren 
Miindungen  1,3  Engl.  Zoll  weit  waren,  wurden  in  jedes  der* 
selben  16  Sololnik  (71,1  Gramm)  Pulver  geschuUet  und  die 
an  den  Wanden  des  Loches  anhangenden  Kfirner  mit  einem 
holzernen  Slempel  heruntergedriickt.  Die  Hohe  welche  diese 
Fullung  in  den  Lochern  einnahm,  war,  wegen  Verschiedenheit 
in  den  Bohr-Schneiden,  nicht  ganz  gleich,  belrug  aber  im  Mit- 
tel  nahe  geilug  3,5  Engl.  Zoll. 

Nach  Aufschiittung  des  Pulvers  setzte  der  Arbeiler  einen 
Thonpfropfen  von  1,75  Zoll,  uber  dasselbe  und  schlug  dann 
dieRaumnadel  behutsam  durch  den  Then  und  das  Pulver  bis 
dafs  e.r  sie  aufsitzen  fuhlte^  zum  Beweiss  dafs  sie  4as 
Geaiein  erreicbt  hatte.  Darauf  wurden  mil  einem  eisernen 
Lader  eine  6,1  ZoU  hohe  Lage  feiner  Trappstiicke  (?)  einge- 
seizt  und  endlsch  noch  1,8  Zoll  hoch  Thon.  Dann  wurde 
die  Raumnadel  aus  dem  Bohrloch  heraus  genommen,  mdem 


494  PhyBlkalisch^inathematiscbe  Wineiischaften. 

man  das  andere  Ende  des  Ladestockes  in  das  Oer  derselben 
einseizte  und  ibr  mil  ziemlich  starken  Hammerscblagen  Dre- 
hungen    nach  beiden  Seiten  gab.     Es  entstand  dadurcb    ein 
Kanal,  dessen  Durcbmesser  ein  Viertei  von  dem  des  Bohr- 
ioches  betrug.    —    Auf  diese  Weise  wurden  alle  10  Locher 
geladen,    woran    zwei   Mann    50    Minuten   lang    arbeitelen. 
Di6  scbilfenen  Zundrohren  waren  8,8  Engf.  Zoll   lang    und 
man  gebrauchle  anstatt  Scbwefeifaden  ein  2,6  EngL  Zoll  Ian- 
ges  Siiick  Birkenrinde,  weicbes  an  dem  etwas  aufgerissenen 
Ende  der  Ziindrohre  befestigt  wurde.     Zu   den   10  Schiefs- 
iocbern  wurden  5  Pfund  Tbon  verwendet,  niit  Einschluss  der 
Pfropfen  auf  den  Ladungeni  und  7  Pfund  Trapp,  so  dais  auf 
jedes  derselben  iiberhaupt  1,2  Pfund  laubes  Gestein  kam.  — 
Angeziindet  wurde  mil  einem  Talglicbt  und  es  zeigte  sich 

die  wabrend  derselben  von 

die  Dauer  des  dem  Arbeiter  in  gewobniichem 

Brennens  Schritt  zuriickgelegte  Enl(eraung: 


Scbiefslocb  No. 

.  1    32  Sekunden 

12,5  Sajen  =  87,5  E.  F. 

-— . 

* 

2    30 

— 

12       —     =  84     -  - 

— 

- 

3    30 

— 

11,5     -^      =r    80^  -   - 

-^ 

m 

4    33 

— 

13      —     =   91     -  - 

_ 

- 

5    35 

— 

14,5    —     =  101,5  -  - 

— 

- 

6    32 

— 

16,5            =  108,5  -  - 

— 

m 

7    37 

— 

17,5    —     =  122,5  -  - 

— 

- 

8    15 

— 

6,5    —      =   45^  -  - 

— 

- 

9    20 

— 

10,5    —     =   73,5  -  - 

— 

- 

10    17 

— 

8,5    —     =   59,5  -  - 

im  MiUel    29,1      —  12,2    —      =   85,4  -   - 

Die  Sprengung  erfolgte  obne  Ausnabme.  Man  siebt  bier- 
aus,  dafs  die  Gescbwindigkeit  der  Arbeiler  beira  ZuriiokEieKen 
wabreiid  des  Brennens  sehr  nabe  constant  ist,  und  etwa^  in 
der  Sekunde  0,41  5a/en  oder  2,9  Engl.  Fufs  betragt  —  Die 
abgesprengte  Masse,  die  aus  ungemein  derben  Ersfubren- 
dem  Quarz  bestand,   wurde  gesammelt,   geforderl  and  iiber 


Versiiche  iiber  die  Anwendang  d«r  Bikfonrscben  Brandrobre  etc.  495 


Tage  gewogeo.   Sie  fand  sich  zu  63  Pud  itnd  somil  zu  etwas 
iiber  6  Pud  auf  jedea  Bohrloch. 

Bei  den  obrigen'acht  Schiissen  wurden  ebetiso  viele  Bik*^ 
(order  Zilndrohren  gebraucht,  welche  zusammen  0,10  Russ. 
Plund  wogen.  Cs  kammen  daher  auf  eine  jede  0,0125  Russ. 
Pfund.  Nachdem  in  jedes  Lach  V^  Pfund  Puiver  geschtittet 
Mforden  war,  welches  in  dein8eli>en  1,8  Z.  hoch  sland,  wurde 
ein  14  Zoll  langes  Stuck  Ziindrdhre  eingesetzt  und  darduf  das 
librige  ^^  Pfund  Puiver  aufgegeben«  Die  Ziindrdhre  steckte 
somit  1,8  Zoll  tief  iin  Puiver.  Man  tuhrte  darauf  1  Pfund 
Lelten  in  das  Ende  jedes  Schiefsloches  mil  Hiilfe  eines  hoi*- 
sernen  Laders  und  die  Zundrohre  blieb  urn  1,8  Zoll  hervor- ' 
ragend.  — 

Da  man  die  Eigenschaften  dieses  neuen  Hulfsmittels 
noch*nicht  genugsam  kannte,  so  wagle  man  nicht  mehrere 
Schiisse  zugleich  anzuziinden,  und  lud  daher  auch  jedesmal 
nur  einen  derselben,  worauf  genau  4  Minuten  vergingen,  so 
dafs  im  Vergleich  mit  dem  alien  Verfahren  eine  Zeitersparnifs 
von  10  Minuten  auf  10  Schusse  oder  von  einem  Fiinftel  der 
ganzen  Ladungszeil  slaUfand. 

Man  erhiell  folgende  Resultale: 

der  Arbeiter  entfernte  sich 
die  Dauer  des  wahrend  derselben   in   g^'- 

Brennens  wShnlichem  Schritle  um: 

Schiefsloch  No.  1    30  Sekunden         12,5  Sajen  =  87,5  E.F. 

—  -     2    28        —  12,5    —      =  87,5  •   - 


3  29 

14   - 

=  98  -  - 

4  29 

— 

13,5  — 

=  94,5  -  - 

5  26 

— 

11,25  - 

=  78,7  -  . 

6  28 

11,25  — 

=  78,7  -  - 

7  27 

— 

13,5 

=  94,5  -  - 

8  25 

— 

9,5  — 

=  66,5  -  - 

im  Mittel    27,75   — 


12,25  —      =  85,7  -  - 


/ 


Die  Sprengungen  erfolgten  siimmtlich. 


496  PhysikalMch-mathematisclie  WitteHfeiiafteii. 

Die  Geffchwindigkeit  des  Riickzuges  der  Arbeiler  ergiebt 
sich  nahe  so  wie  friiher  (3,1  E.  P.  in  der  Sekunde).     Die  ab- 
gesprengle  Masse  vvurde  wieder  gewogen  und  fand  sich  zu 
43  Pud  oder  zu  5,4  Pad  auf  jeden  Schuss.     Das  Anziinden 
geschah  mil  einer  Talgkerze  und  man   bemerkie  dafs  dabei 
viel  Zeit  verloren  ging,  zum  Theil  weii  etwas  Pulver  aus  den 
abgeschnittenen  Enden   der  Ziindrohreti  gefallen  war.    Es  ist 
iibrigens  auch  anderweitig  bekannt,   dafs  Sefaiefspaiver  durch 
eine    Flatnine    weit     schwerer    zu    entzttfiden   ist,    als    mit 
etnem  Funken.    Sobald  die  Ziindrohre  in  Brand  ist,  hdrt  man 
ein  Zischen  und  sieht  Rauch  an  ihrem  vorragenden  Ende»  — 
Combe  sagt,  in  dem  oben  angefiihrlen  Buche,  dafs  2  Engi. 
Fufs  von  den  Bikforder  Robren  in  1  Minute  abbremieii.    Aus 
den  obigen  Versuehen  folgen  27,75  SekuDden  fur  14  Engl. 
Z.  und  somit  fur  2  Fuls  oder  24  Z.  47,57  Sekundeo,  d*  ii.  um 
12,4  Sek.  oder  em  Fimftel  weniger  als  nach  jener  Angabe  *). 

Versoche  an  den  1 4  Zoll  tiefen  Schiefsiochern  mit  schtt- 
fenen  Ziindrohren  und  Schwefeifaden. 

Die  Ladung  wurde  auf  die  gcrwdhnliche  Weise  voilzogen. 
Der  Schwefeifaden  war  1,8  Zoll  lang. 

Der  Schuss  No.  1  brannte  55  Sekunden,  wiihrend  deren 
der  Arbeiter  in  gewohnlichem  Schritt  22  Sajen  =  154  E.  F. 
zurticklegle. 

Die  Schnsse  No.  2  und  3  wurden  zugleich  angesteckt. 
Die  Ebcplosion  des  ersten  erfolgte  nach  1  Minute,  die  des 
zweiten  noch  5  Sekunden  spiHer  und  der  Arbeiter  entfernte 
sich  in  dieser  Zeit  in  gewohnlichem  Schritt  um  26  5a;en  oder 
162  E.  F. 

Die  Schiisse  No.  4  und  5,  die  ebenfalls  zugleich  ange- 
ziindet  wurden,  explodirten  auch  gleichzeitig  nach  45  Sekun- 
den,  in  denen  der  Arbeiter,  in  gewohnlichem  Schritt,  19  5ajen 
Oder  133  E.  F.  zurucklegte. 


'*')  In  dem  Russischen  Aufsatzc   stelit  faUchlich  „8  S<^kunc]en  weniger." 


Venaclie  ub«r  die  Anwendung.  lUr  By^ford^tchen  Braqdrolire  etc.  497 

Di€  Schusse  No,  6  und  7  wurden  zugleich  angeiiifidet 
und  exptodirten  der  eine  nach  55  Sekunden  del*  atidere  uin 
17  Sekunden  spiiler  —  wahrend  dieser(?)  Zeit  entfornle  sich 
der  Arbeiter  urn  37  Sajen  oder  259  E.  F. 

Endlich  explodirle  der  Schiiss  No.  8^  40  Sekunden  nach 
dem  Anziinden  als  sich  der  Arbeiter  urn  17  Sajen  oder  119 
Engl.  F.  eniferat  halle.  — 

Der  Schwefel  und  die  Pulvergase  verursachten  einen  un» 
ertraglichen  Geruch. 

Versuche   iiber  14  Zoll   tiefe  Schiefslocher   niit  Bikforder 

Rohren  und  Anwendung  von  Pech. 

Da  man  sich  bisher  von  dem  langsamen  Brennen  der 
neuen  Ziindrohren  gemigsam  iiberzeugt  halle,  so  wurden  die- 
selben  nun  bis  auf  12,25  Engl.  Zoll  verkurzl.  Das  Anziinden 
geschah  so  wie  friiher.  Es  wurden  aber  noch  auf  das  Vor- 
ragende  Ende  der  Ziindrohre  drei  Tropfen  Pech  gegossen, 
von  dem  wegen  seiner  vollkommenen  Fiiissigkeil  ein  Theil 
wieder  abfloss.  Man  hat  bemerkt,  dafs  das  Pech  das  Anziin- 
den der  Rdhren  erleichtert. 

Die  Schiisse  No.  1  und  2  wurden  gleichzeitig  angeziin- 
del  und  explodirten  nach  26  und  29  Sekunden.  Der  Arbeiter 
entfernie  sich  urn  15  Sajen  oder  105  E.  F. 

Die  Schusse  No.  3,  4  und  5  wurden  zugleich  *)  in  Brand 
gesetzt,  beim  Anziinden  von  No.  &  fing  aber  No.  3  schon  an 
zu  zischen,  d.  h.  das  Pech  war  abgebrannt  und  ^as  Feuer 
erfasste  die  Rohre  selbst.  Die  Explosion  dieses  Schusses  er« 
folgle  25  Sekunden  spater,  in  denen  der  Arbeiter  in  gew5hn- 
lichem  Schritl  12  5ajenen  oder  84  E.  F.  zuriickgelegt  hatte. 
No.  4  und  5  brannten  einer  uhmittelbar  nach  dem  andren  und 
5  Sekunden  spater  als  No.  3  ab,  und  der  Arbeiter  hatte  sich 


*)  An  Jieser  ond  an  alien  abnlichen  Stellen  hat  der  Verfauer  offenbar 
sagen  wollen:  nnmittelbar  nach  einander,  anstatt  zugleich, 
wiewohl  der  Rassisdie  Ansdrnck  (wmjcstje)  dem  letzteren  Begriffe 
enUpricht.  D.  Uebers. 


498  Physikaliscb' matkematiBchs  Wissefnscbaften. 

unierdessen  (noch)  urn  4  Sajenen  oder  28  B.  P.  enlfernt. 
Wenn  der  Pechuberzug  dick  genug  ware,  so  kdnnte  manviel- 
leicht  vier  Schiisse  zugleich  ans&nden,  fiinf  wSren  aber  schon 
gefahriich. 

Def  Schuss  No<  6  wurde  durch  No.  5  beschadigl  und 
darauf  No.  7  und  8  wieder  gleichzeitig  angez&ndeL  Der  er- 
stere  explodirte  nach  20,  der  andere  naeh  22  Sekunden,  in 
denen  14  Sajenen  zuriickgelegt  wurden. 

Die  Schiisse  No.  9  und  10  wurden  gleichzeitig  angezun- 
det  und  explodirten  nach  20  und  25  Sekunden,  in  denen  der 
Arbeiter  sich  um  14,5  5a/enen  =  101,5  E.  F.  entfernte. 

Der  Geruch  war  weit  weniger  erstickend  als  bei  den  frQ* 
heren  Versuchen. 

Versuche  mit  21  zolligen  ^chiersidchern  und  Bikforder 

Rohren. 

Es  wurden  zwei  21  zoilige  Schiisse  in  demselben  Gesleine 
angesetzt,  derenLadung  lOMinuten  erforderte.  Sie  erhielten 
17,5  Zoll  lange  Ziindrdhren  und  ein  jeder  0,25  Russ.  Pfund 
Pulver.  Ihr  gegenseitiger  Abstand  betrug  4,7  E.  F.  Sie  wur- 
den zugleich  angesteckt,  erhielten  je  drei  Tropfen  Pech  auf 
die  ZiindrShren  und  explodirten  nach  35  Sekunden,  in  denen 
20  Sa/en  oder  140E.  F.  zuriickgelegt  wurden.  DieErzstucke 
batten  sich  nicht  v6llig  losgel&st,  sondem  es  waren  nurSpal- 
ten  entstanden,  welche  eine  sehr  betrachtliche  Miisse  abgranz- 
ten.  Beide  Schiisse  wurden  daher  noch  einmal  geladen  und 
gaben  darauf  eine  geniigende  Sprengung. 

Versuche  mit   10,5  zolligen  Schiefslochern   und  Bikforder 

Rohren. 

Es  wurden  endlich  zwei  10,5z611ige  LScher  gebohrt  und 
ebenso  wie  die  bisher  erwahnten,  geladen.  Die  Ziindrohren 
zu  denselben  waren  8,75  E.  Zoil  und  ihr  hervorragendes  Ende 
1,75  E.  Zoll  lang. 

Der  Schuss  No.  1  explodirte  nach  17  Sekunden,  in  denen 
sich  4er  Arbeiter  um  9,5  Sajenen  =  66,5  E.  F.  entfernte. 


Versoche  iiber  die  Anwendoogr  der  BikfordNiobto  Ztndrohren  etc.  499 

Der  SchiissNo.  2  explodirte  nach  ITSekunden,  in  denen 
10  Sajenen  oder  70  E.  F.  zuriickgelegt  wurden. 

Wegen  der  geringen  Tiefe  dieser  Schbsse  wagte  man 
nicht  sie  gleichzeitig   anzustecken. 

Aus  alien  genannten  Versuchen  bat  man  etwa  folgende 
Resuila.te  im  ziehen: 

1)  Durch  Anwendting  der  Bikforder  Ziindrohren  wird  die 
Gefahr  bei  der  Schiefsarbeit  voUstiindig  beseitigt,  in- 
dem  das  Loch  ohne  eisernen  Ladesiock  gefiillt  und 
die  Raumnadel  unnolhig  wird. 

2)  Diese  Rohren  leiten  das  Feuer  mil  Sicfaerheit  und 
langsam  genug  um  dem  Arbeiter  das  Zunickziehn  bis 
in  die  geh5rige  Cntfernung  zu  erlauben. 

3)  Man  kann  dieselben  uili  1,75  Zoll  kiirzer  maehen  als 
die  Tiefe  des  Schiefsloches. 

4)  Sie  brennen  fast  ebenso  iange  wie  die  Scbilfrohren, 
an  die  man  Sliieke  Birkenrinde  ansetzte. 

5)  Wenn  man  anstait  der  Birkenrinde,  Siiicke  Schwefel- 
faden  von  1,75  Zoll  Lange  an  die  S<ihilfrohren  setzt^ 
so  brennen  diese  fast  doppelt  so  lange,  als  die  Bik- 
forder Ziinder  mil  Pech. 

6)  Wenn  man  das  vorragende  Ende  der  Bikforder  Ziin- 
der nicht  verpicht,  so  kann  man  jedesmal  nicht  mehr 
als  einen  Schuss  anziinden ,  weil  dann  diese  Ziinder 
sehr  langsam  in  Brand  kommen. 

7)  Unter  Anvvendung  von  Pech,  kann  man  drei  SchiefB- 
locher-  mil  einemmal  anziinden:  vielletcht  auch,  wenn 
das  Pech  geborig  dickfliissig  und  die  Arbeiter  geiibt 
sind  npch  itiehrere,  jedoch  kaum  mehr  als  fiinf. 

8)  Bei  tiefen  utid  natnentlich  28E8lligen  Schiefsl5chern, 
wird  das  Feuer  zu  langsam  fortgepflan^t,  wodurch  ein 
Zeitverlust  enlsleht,  der  aber  durch  die  Moglichkeit, 
mehr  Schiisse  auf  einmal  anzuziinden,  einigermafsen 
compensirt  wird. 

9)  Bei  kurzen  und  namentlich  10,5  zoUigen  Schiefslochern, 

ermaiia  Russ.  Archiv.  Bd.  XI.  H.  3  33 


500  PbyfikalUch-matliemaiiAche  WiMcnschliften. 

pflanzt  sich  das  Feuer  ziemlich  schnell  *)  fori  —  und 
man  muss  fiir  diese  den  gewohnlichen  Ziindrohren, 
wenn  sie  mit  einem  Schwefelfaden  versehen  sind,  den 
Vorzug  geben. 

10)  Bei  Anwendong  der  Bikforder  Ziindrohren  muss  man 
die  Schiefslocher  mit  reinem  Letten  zu  setzen,  in  dem 
sich  durchaus  keine  SUickchen  Gestein  befinden  diir- 
fen,  d^nn  diese  konnten  die  Rohre  zusammendfiicken 
und  abschneiden. 

11)  1st  aber  der  Ziinder  auf  solche  Weise  beschadigl,  so 
giebt  es  kein  Miltel  den  Schuss  wieder  auszubessern. 
Man  muss  ihn  vielmehr  ausbohren  und  von  neuem 
laden,  hierdurch  wird  nicht  blofs  Z^itverlust,  sondern 
gewohnlich  auch  ganzliche  Zerstorung  des  Ziinders 
veranlasst 

12)  Da  das  Pech  nur  mit  geringem  Lichle  und  der  Bik- 
forder Ziinder  ziemlich  langsam  brennt,  so  darf  man 
bei  einer  Verspiilung  der  Explosion  nicht  mit  Sicher- 
heit  annehmen  da(s  derselbe  verloscht  isl.  und  sich 
dem  Schiefsloche  naheren.  Diese  Unsicherheit  wachst 
mil  der  Tiefe  des  Loches. 

13)  Die  Bikforder  Ziinder  enlwick«ln  einen  weit  weniger 
nachtheiligen  Geruch  als  die  Schilfrohren,  die  mit 
Schwefelfaden  versehen  sind. 

Nach  vielen  Versuchen  von  Bikford  selbsi  und  von  Le- 
chatelet  in  Frankretch,  soil  die  Kraft  des  Pulvers  durch  An- 
wendung  der  neuen  Ziinder  um  20  bis  25  Procent  vermehrt 
werden.  Sie  schreiben  dieses  dem  geringeren  Durchmesser 
des  Ziindkanales  zu.  Da  ein  solcher  Erfolg  von  betrachilicher 
okonomischer  Wichligkeit  ware,  indem  er  eine  Verminderung 
der  Ladung  zuliefse,  so  sind  iiber  denselben  folgende  b^son- 
dere  Versuche  angestellt  worden. 


*)  Im  Rnssiscben  steht  dowolno  skoro,  d.  b.  wortlicb  schnell  genug, 
soil  aber  yielleicbt  bier  so  viel  als  zn  schnell  bedenten. 

D.  tJebers, 


Versuche  uber  die  Anwendung  der  Bikford'when  Zondrohren  etc,  601 

I.     Versuche  mit  Bikford'scheii  ZundrOhren  (in  derTsche- 
repanowe'r  Grube)  auf  festem  erzfiihrenden  Quarz. 

I.    la  Or-ten. 

Es  wurden  34  vierzehnzollige  SchiefslScher  angeselzt  und 

von  diesen  erhalten: 

Erfolgreiche-  Explosionen  -  27  oder  0,7941 

Blinde  Explosionen  «     -     0,1765 

Spallende  aber  -nichl  lofsreifsende  Explosionen  1     -     0,0294 

Man  verwendete  hierbei-.  Pulver  5,667  Russ.  Pfund  oder 
das  Pud  zu  12,68  Rubel  gerechnet  fijr  1,8247  Rubel 

Bikfordsche  Rohren  28,5  Engl.  Fufs  oder  fiir  0,2644     -    *) 

Die  34Schusse  koslcn  somit,  wenn  man  die  kaum  merk- 
lichen  Ausgaben  fiir  eine  sehr  geringe  Menge  Pech  vemach- 
lassigt,  20891  Rubel  oder  jeder  von  ihnen  0,06141  Rubel. 

Das  durch  dieselbe  losgerissene  Erzmiltel  wog  182  Pud, 
wonach  ieder  Schuss  etwa  5,35  Pud  eingebracht  oder  die 
Sprengungs- Koslcn    fur  jedes  Pud  0,01148  Rubel   betragen 

halten. 

2.    Beim  Firstenbau. 
Es  wurden  33  Schusse  in  demselben  Gesteine  angeseUt 

und  durch  sie  erhallen.: 

Erfolgreiche  Explosionen  25  oder  0,7576 
BUnde  Explosionen  8     -     0,2424. 

Nach    den    eben   erwahnten    Grundlagen    belrugen    die 

Koslen  fur  .  „  ,   , 

'     diese  33  Schusse  .2,02756  Rubel 

Oder  fiir  1  Schuss  0,06144     -  ,.       •     , 

Es  wurdfen  durch  dieselben  losgerissen  147  Pud  Errtnittel 
Oder  durch  jeden  von  ihnen  etwa  4,45  Pud  wonach  die  Spren- 
gungskosten  fur  jedes  Pud  0,01329  Rubel  belragen. 

.)  Da  der  PreU  dieser  Rohren  in-.Ro^aland  dem  Verfawer  nicht  bekannt 
ist,  .0  ist  der  obigea  Rech„u,g  die  Angabe  der  Ahnale.  des  m.ne. 
IV.  S^rie,  tome  5  p.  126.  zam  Grunde  gelegt,  nacb  dec  da.  Meter 
derselben  0.1  Frank  kostet.  Anm.  d.  Vert. 


502  FhysikalUch-mathematische  WisseiiBcbftfilen. 

3.     Beim  Solenbau. 
Es    wuiden    wieder  33  Schiiase    in    demselben   Gesteine 
angesetzt  und  von  ihnen  erhalten: 

Erfolgreiche  Explosioncn  27  oder  0,8182 

Blinde  Explosionen  6     •     0,1818, 

Die  Kosten  dieser  Schiisse  sind   so   \vie  eben  angegeben 

and  es  warden  durch  dieselben  losgerissen  135  Pud.    MUbin 

durch  jeden  Schuss  4,091  Pud.     Die  Sprengungskoaten  betru- 

gen  fur  jedes  Pud  0,01502  Rubel 

II.     Versuche  mit  gewoholichen  schilfnen  Zundrohreii  und 

Schwefelfadeij. 

I.    In  Or  ten. 
Von  34  ang^setzten  Schiissen  gaben: 

Erfolgreiche  Explosionen  31  oder  0,9117 
Blinde  Explosionen  3     -     0,0683 

Es  wurden  verbraucht: 
Pulver  S6um  Laden  5,667  Pfund  fiir  1,8247  Rubel 

desgl.  zu  den  Zundrohren  0,101       -        -    0,0325    - 

Schwefelfaden  0,010      -        -    0,0006    - 

Schwefel  0,098      -        -    0,0002    - 

Verlust  durch  die  Raumnadel  0,078      -        -    0,0078    - 
und  es  kosteten  somit  die  34  Scbiisse      1^8658     - 
Oder  jeder  von  ihnen  0,05488  Rubel. 
Losgerissen  wurden  durch  sammtliche  SehOsse  264  Pud, 
so  dafs  belrugen  die  Sprengungskoslen  fur  1  Pud 

0,00706  Rubel. 

2.     Beim  Firsienbau. 
Es  wurden  33  Schiisse   angesetzt  die  sammllich  erfolg- 
reiche Explosionen  gaben.    Nach  den  eben  angegebnen  Grund- 
lagen  betrugen  die  Kosien  fur  diesfelben  1,86878  Rubel 

oder  fur  jeden  Schuss  0,05632  Rubel. 
Es  wurden  durch  diese  Schiisse  losgerissen  285  Pud  Erz 
oder    durch  jeden   Schuss  8,5025  Pud    und    es   belrugen  die 
Sprengungskoslen  fiir  1  Pud  0,00652  Rubel. 


Versuche  iibef  die  Anwendung'  def  BiiE!£ord*8Ghen  ZundrObren  etc.  503 

3.    Beiai  Solenbau. 

Es  wurden  33  Schiisse  angesetzt,  die  samnitlich  erfolg- 
reich  waren  und  zusammen  156  Pud  oder  jeder  einzelne  4,6 
Pud  Erz  absprenglen.  Die  Sprengungskosfen  betrugen  daher 
0,01191  Rubel  fiir  jedes  Pud. 

jEs  folgt  nun  aus  der  Vergieiehung  dieser  Resultate  ihit 
den  von -den  Bikfordschen  Rbhren  erhallenen: 

1)  dafs  durch  die  ersleren  jedes  Schiefsloch  um  0,00657 
Rubel  theurer  wird  als  bei  Anwendung  der  gewohn- 
lichen  Zundr5hren; 

2)  dafs  die  Sprengungskosten  fur  jedes  Pud  Erz  bei  An- 
wendung der  Bikfordschen  Ziinder  1,342  Rubel  fiir  je 
100  Pud  und  bet  Anwendung  der  schilfenen  0,849 
Rubel  fiir  je  100  Pud  betragen. 

3)  dafs  100  SchOsse  mit  Bikfordsi^hen  Zundern  464  Pud 
und  100       -  -     schilfenen  Ziindem       705    -» 
Erz  losgerissen  habe. 

Der  letztere  Nachtheil  erklart  sich  dadurch,  dafs  man  bei 
Anwendung  der  Bikfordschen  Ziinder,'  aus  Furcht  dieselben  zu 
beschadigen,  das  Schiefsloch  weder  mil  Gesteinstiicken  noch 
uberhaupt  so  fesl  zusetzen  durfte,  wie'bei  den  gewohnfichen. 
Im  Zusammenhange  mil  diesem  unvollkoinmenen  Abschluss, 
war  auch  der  Umstand,  dafs  von  den  Schiissen  mit  Bikforder 
Zundern  20  vom  Hundert,  von  den  gewohnlichen  dagegen 
nur  2  vom  Hundert  blind  explodirt^  d.  h.  die  Propfen  heraus 
geworfen  haben,  ohne  auf  das  ausserst  fesle  Geslein  zu 
wirken. 

Etwas  gunstiger  fiir  die  neuen  Ziinder  sind  folgende 
vergleicbende  Versuche  in  der  SeKienower  Grube  aus- 
^        gefaUen. 


504  Pbyiikatisch-mathematische  WitBenscbaften. 

I.     Versuche   mit  Bikfordschen  Zuodern. 

1.    In  Orleti. 

In  20  Sajen  Teufe  wurden   in  einem  Quarzig-*Kiesigen 
Erzmiltel  50  Schiisse  angeseUt,  von  denen  erhallen  wurden: 
Erfolgreiche  Explosionen  49  oder  0,98 
Blinde  Explosion  1  .  -     0,02. 

Es  wurden  daeu  gebraucht: 

8,33  Pfund  Pulver  fur  2,6833  Rubel 
50  Eufs  Zfinder        -    0,3889      - 

oder  zusammen  auf  50  SchSsse  3,0722  Rubel 
oder  0,06144  Rubel  fiir  jeden  Schuss. 
Zusammen  wurden   durch  dieselbe  645  Pud  Erse   abge- 
sprengi  oder  durch  jeden  Schuss  12,9  Pud  Erz,  so  daCs  die 
Sprengungskosten  f&r  je  100  Pud  Erz  0,447  Rubel  belrugen. 

2.     Beim  Solenbau. 

50  angesetzte  Schiisse  war^n  sammtlich  erfolgreich^  die 
Kosten  fiir  dieselben  so  wie  eben  angegeben,  und  es  wurden* 
durch  dieselben  620  Pud  Erz  abgesprengt,  wonach  die  Spren- 
gungskosten fiir  je  100  Pud  0,497  Rubel  belrugen. 

« 

II.     Mit  schilfenen  Ztindern. 

1.    In  Orten. 

Es  wurden  50  Schiisse  angeselzl  die  sammtlich  von  Er- 
folg  waren.  Nach  den  oben  angegebenen  Grundlagen  koste- 
ten  dieselben -zusammen  2,7439  Rubel  oder 

je  einer  0,05488  Rubel. 

Es  wurden  durch  dieselben  abgesprengt  610  Pud  Gestein 
oder  12,2  Pud  durch  jeden  Schuss,  wonach  die  Sprengungs- 
kosten 0,449  Rubel  von  je  100  Pud  betrugen. 


Versuche  uber  die  Anwendimg  der  Bilibrd*8cheii  Znndrohren  etc.  605 

2.    Beim  Solenbau. 

50  Schiisse,  die  ebenso  viel  kosteleD,  gaben  586  Pud  E)rZ| 
d.  h.  11,72  Pude  fiir  jeden  Schuss  und  die  Sprengungskosten 
zu  0,466  Rubel  fiir  je  100  Pud  Erz. 

Nach  diesen  Versuchen  war 

1)  die  Vertheuerung  der  Schiisse  durch  die  Bikforder 
Ziinder  grade  ebenso  wie  nach  dem  friiheren  Verfah- 
ren,  namlich  0,657  Rubel  auf  100  Schiisse. 

2)  Die  mittleren  Kosten  von  100  Pud'  Erz  belrugen 

0,487  mit  Bikfordschen  Ziindern 
0,457  mit  neuen  Ziindern. 

3)  Je  100  Schusse  haben  in  der  S^emenover  Grube  los- 
gesprengt  1565  Pud  Erz  mit  Bikfordschen  Rohren 

und  1195  -  -  -  den  alten  Rohren. 
Es  kann  hiernach  die  Ladung  verkleinert  werden  und 
zwar  anstalt  der  16,67  Pfund,  die  auf  100  Schiisse  verwen- 
del  wurden,  bis  auf  15,12  Pfund,  und  es  wiirde  dadurch  der 
Preis  von  100  Schiissen  mit  den  neuen  Ziindern  urn  0,503 
Rubel  verkleinert. 

Der  Einfluss  den  die  Einfiihrung  des  neuen  Verfahrens 
auf  die  gesammte  Schiefsarbeit  des  Smeinogorsker  (d.  i.  Schlan* 
genberger)  Grubenbezirkes  am  Altai  ausiiben  wiirdci  lasst  sich 
folgendermafsen  iibersehen.  Es  wurden  in  diesem  Bezirke  im 
Jahre  1849  angesetzt: 

14zollige  Schiisse  318308 
21  zoUige  Schusse     19821 

zusammen  338229  Schiisse    ' 
wobei  gebraucht  .wurden 
zur  Ladung  1051,92  Pud  Pulver  fiir  12548,67  Rubel 

zu  den  Ziindern    *  26,12    -        -  -       356,37      - 

Schwefel  und  Schwefelfaden  7,89 

Lunten  62,18      - 

mithin  zu  338229  Schussen      13975,11  Rubel 
Oder  fur  100  Schusse  4,132  Rubel. 

Hatte  man  dieselben  mit  Bikfordschen  Ziindern  versehen 


506  Physikaliseh-mathematisobe  Wiiseii8cb«fleii« 

und  in  Folge  davon  die  Ladungen  um  1,55  Pfund  auf  je  100 
Schiisse  verminderl,  so  wiirden  sich  die  Kosten  folgender- 
mafsen  gestelit  baben: 

zur  Ladung  ^0,70  Pud  Pulver  fiir  11858,62  Rubel 

BikfordscheZiindrohren  32493,76  E.F.  zu  den 

14  zSiligeit  Schfissen  f   07  •  j  o  • 
Bikfordsche  Ziindrahiw  31796,3E.R  zu  den  ^  ^'^^'^^^ 

14a6ttigen  Schiissen 


milhin  zu  338229  Schussen  14572,94      - 

fur '100  Schusse  4,308  Rubel 
oder  gegen   die  alte  Anordnung  ein  Mehraufwand   von   nahe 
an  4i  Procenl. 

Es  isi  bei  dieser  Gelegenheil  auch  die  Brauchbarkeit  der 
Bikfordschen  Zunder  bei  Sprengungen  unterWasser  durch  fol* 
gende  Versuche  gepriift  worden.    In  dem  feslen  Erz/iihrenden 
Quarz   der   Tscherepanower  Grube    wurden   in   einer  eigens 
dazu  ausgehauenen  Holung  acht  14  zollige  Scbiisse  angesetzt 
und   mil  Bikfordschen  Rohren  versehen,  die,  mit  Ausnahme 
ihrer  Enden,  10  Stunden  lang  unter   Wasser  gelegen  batten. 
Es  wurden  darauf  die  Schusse  selbst  mit  Wasser  Ubergosseny 
welches  bis  zu  3,5  ZoII  uber  ihren  Mundungen  stand.    Die 
Zunder  haflen  eine  Lange  von  17,5  ZolJ,  von  denen  sich  12,26 
ZoU  in  den  Schussen,  3,5  ZoU  im  Wasser  und  1,75  Zoli  tiber 
demselben  befanden.    Alle  Schusse  explodirfen  erfolgreich  und 
es  wurden  von  ihnen  38  Pud  Erzmittel  oder  4^125  Pud  durch 
jeden  Schuss  abgesprengt. 


Drnck  ron  Gcorg  Hoitner. 


Uebersicht  der  Bergwerksindustrie  in  Russland. 

Vom 

General  Tschewkin  und  Oberst  Oserskji*). 


WiewobI  Russland  scbon  lange  fiir  seine  mineralischen 
Reichthiimer  beruhmt  ist,  so  hat  sich  doch  der  relative  Werlh 
derselben  jetzt  in  mehreren  Beziehungen  weseDtlich  geSndert 
Die  Darstellung  und  der  Verbraticb  von  Meiallen  sind  in  der 
letzten  Zeit^  sovvobl  ioi  wesUichen  Europa  als  in  Amerikai  so 
bedeulend  gewachsen^  dafs  Quantitaten  die  noch  vor  einem 
Vierteljahrhundert  grofsarlig  schienen,  jeUt  zu  den  untergeord- 
nelen  gehoren.  In  Russland  hat  sich  aber  die  Metallproduk* 
tion,  mit  Ausnahme  der  Goldgewinnung,  in  weit  geringerem 
Maafse  vermehrl.  Es  werden  zu  derselben  bis  jetzt  nQcb 
ausschliefslich  Holz  oder  Holzkohlen  gebraucht  und  sie  ist 
schon  deshalb  bei  weitem  zuriickgeblieben  gegen  die  Produk- 
tionen  der  West- Eur opaischen  Lander,  in  denen  mit  fossilem 
Brennmaterial  geschmolzen  wird.  Sodann  verlieren  auch  die 
Russischen    mineralischen    Reichthumer  durch   die  Art   ihrer 


*)  Gorny  Jurnal  1861.  No.  9.  Di«Be  Abhandlang  die  sioh  auf  zuver- 
lassigen  and  meist  ofiizieUen  Augaben  grlindet,  wnrde  zaerst  im  J. 
1850  fiir  die  Statistiscben  Untersachongen  uber  Rossland,  welche  die 
Russiscbe  Geograpbiscbe  Gesellscbaft  heraosgiebt,  geschrieben,  i«t 
aber  for  den  spateren  Abdrnck  in  dem  Gorny  Jnrnal  bis  zam  Rnde 
des  Jabres  1850  TerToIUtaqdigt  worden. 

Anmerkung  der  Verfasser. 

Ermans  Ruse.  Arcbiv.  Bd.  XI.  H.  4.  34  ' 


510  Industrie  und  Handel. 

Verbreitung,  einen  belrachtlichen  Theil  ihres  Werthes.  Sie 
fehlen  vielen  der  ungeheuer  ausgedehnten  Provinzen  des  Rei- 
ches,  und  sind  dagegen  zusammengedrangt  in  den  Uralischen 
und  iSibirischen,  die  von  den  Verbrauchsorten  weit  abstehen, 
und  zum  Theil  aucb  der  gehSrigen  Transportmittel  und  andrer 
zum  vorlheilhaften  Betriebe  ndlhigen  Bedingungen  entbehren. 
In  den  zuganglichen  Theilen  des  Landes  sind  dagegen  die 
meisUnZweige  des  Bergwerksbetriebes  aur  unbedeutend,  und 
es  hat  derjenige  der  auf  alle  iibrigen  einen  aussersl  wichli- 
gen  Einfluss  uben  wiirde^  der  Steinkohlenbergbau,  kaum  an- 
gefangen  sich  zu  entwickehi. 

In  Russland  gewinnt  man:  Gold,  Silber,  Kupfer,  Eisen, 
Kochsalz  und  in  geringeren  Mengen  Platin,  Blei,  Sleinkohle 
und  Anthrasit.  In  dem  Nertschinsker  Revieren  giebt  es  aus- 
serdem  Anbniche  von  Zinn-,  Zinnober-  und  Zink*Erzen,  die 
aber  iheils  wegen  der  Entlegenheit  des  Vorkommens,  iheils 
wegen  ihrer  Armuth  nicht  benutzt  werden  *). 

Wir  wenden  uns  zuerst  zum  Eisen,  als  demjenigen  Me- 
talle  welches  auf  die  Bliithe  aller  Industriezweige  von  so  be- 
deutendem  Einfluss  ist,  dais  die  Erzeugung  und  der  Ver- 
brauch  desselben,  einen  Malsstab  fiir  die  Gewerbthatigkeit  dnes 
Landes  abgiebt. 

Eisen  wird  in  Russland  theils  auf  Kaiserlichen,  theils  auf 
Privai-Hiltten  dargestellt  Die  ersteren',  die  hauptsSchiich 
dem  Verbrauche  fiir  Regierungszwecke  zu  genugen  haben, 
liefern  jahrlich  gegen  2  Mill,  Pud  Roheisen,  aus  welchen  nach 
Abzug  der  gegossenen  Geschutze  und  HfiUenulensifien^  nabe 
an  I  Million  Pud  Stabeisen  gemacht  wird.  Dieses  wird  so 
vorzugsweise  fur  die  Armee  und  fiir  die  Flotte  verbraucht, 
dais  nur  ein  Viertel  davon  zum  Verkauf  bleibl.  Die  PrivaU 
hiiUen  haben  nach  einem  Durehschnitt  aus  dem  letsten  Jahr- 
zehnle,  jahrlich  11088000  Pud  Roheisen  geliefcrl,  aus  welchem 


'*')  Im  Jabre   1850  sind   von  den  Ononer  Zinngroben   im  Nertschinsker 
Kreise  23  Pud  Zinn  gewonnen  wor<len. 

Anm.  d.  Verf. 


Uebersicbt  der  Bergwerksmdastrie  in  Rossland.  5|1 

nach  einem  kleinen  Abzug  fur  verschiedene  Gusswaaren, 
wiederum  im  Durchschnitt  jahrlich  7370000  Pud  SUbeisen 
dargestellt  warden.  DieseZahlen  slimmen  sehr  nahe  mil  der 
Produktion  ioi  Jahre  1846 ,  fiir  welches  in  den  zwei  ersten 
Beilagen  zu  diesem  Aufsalz,  der  Erlrag  der  einzelnen  Hutten- 
bezirke  angegeben  ist.  Man  ersiehi  aus  diesen  spezielleren 
Nachweisungen  dafs  mehr  als  f  alles  dargestellten  Roheisen, 
von  den  sogenannten  Uralischen  Hiitten  herstammte  und  zwar 
namenilich : 

aus  dem  Permschen  Goiivememenk  7836000  Pud 

-  Orenburger  -  1712000    - 
.    VVjalkaer                -  860000    - 

-  VVoIogdaer  -  142000    - 

oder  zusammen     10550000  Pud, 
Das  Uebrige  ist,  ausser  350000  Puden  von  den  Krons- 

werken  des  Olonezer,  des  Altaischen  und  des  Nertschinsker 

Hiittenbezirkes,  von  den  sogenannten  Podmoskowischen  (d.  h. 

in  der  Nahe  von  Moskau  gelegenen)  Privathiitten   gewonnen 

worden  und  namentlich: 

in  dem  Kalugaer  Gouvernement  870000  Pud 

-  Nijnenowgoroder  -  766000    - 

-  -  Tambower  -  189000  - 

-  .  Wladimirer  -  143000  - 

-  -  Rjasaner  -  65000  - 

-  -  Tulaer  -  60000  - 

-  -  Orlower  -  60000  - 

-  -  Pensaer  -  54000  - 

-  Kostromaer  -  9000  - 


oder  zuaammeii    2216000  Pud. 

So  werden  denn  aus  den  jahrlich  erzeugten  13  Millionen 
Pud  Roheisen,  12  Millionen  in  fiinf  Gouvernements  (und  so- 
gar  gegen  8  Millionen  nur  allein  in  dem  Permschen)  darge- 
stellt, und  nur  die  iibrige  1  Million  in  11  verschiedenen  Gou- 
vernements. 

In  den  letzten  Jahren  hat  sowohl  die  Roheisenproduktion 

34* 


512  Industrie  und  Handel. 

als  auch  das  Frischen  betrachllich  zugenommen.  Die  Privat- 
hiitten,  die,  wie  schon  gesagt,  fast  ausschliefsiich  fiir  alle  pri- 
vate Bediirfnisse  in  ganz  Russland  zu  sorgen  haben,  baben 
an  Roheisen: 

1832  8874000  Pud 
und  1849  11556000  Pud 
produzirt;  mjthin  um  30  Prozent  mehr  in  dem  lelzteren  Jabre. 
Indessen  sind  derartige  Vergleichungen  nicht  mafsgebend,  weil 
der  Betrieb  auf  den  Privathiilten  durch  verschiedene  Zufallig- 
keiten  beschrankt  wird,  so  namenilich  durch  den  Auslritt  oder 
die  Sparlichkeit  ihrer  Aufschlagswasser.  Die  folgende  Ver- 
gleichung  nach  zweien  sechsjahrigen  Perioden  ist  dagegen 
zuverlassiger. 

Die  mittleren  jahrlichen  Produktionen 

baben  betragen  Roheisen  Slabeisen 

zvvischen  1838  und  1844     10481000  Pud         6926000  Pud 

—        1844    -     1850    11682000    -  7710000    - 

die  Zunahme  1201000    -  784000    - 

oder  gegen   11^  Procenl  Vermehrung  in  6  Jahren. 

Man  ersieht  hieraus^  dafs  die  Hiittenbesitzer  sich  um  die 
Vermehrung  der  Produktion  bemiihen.  Die  Nachfrage  nach 
Eisen  im  Innern  von  Russland  hat  aber  so  sehr  zugenommen, 
dafs  trolz  des  Erfolges  dieser  Bemiihungen,  trotz  der  zuneh- 
menden  Einfuhr  von  Eisen  aus  Polen  und  Finnland*)  und 
einer  betrachllichen  Abnahme  der  Ausfuhr  des  Russischen 
Eisens,  die  Eisen -Preise  in  den  sogenannten  inneren  Gou- 
vernemenls  nicht  gefallen,  sondern  im  Gegentheil  noch  um 
etwas  gestiegen  sind.  Nach  sorgfaltigen  Nachfragen  in  alien 
Gouvernements  und  Kreisstadten  ist  ein  Pud  Band -Eisen 
durchschnittlich  bezahit  worden: 


•)  Die  Bisenzufahr  aus  Polen  and  Finnland  betrug  um  1838  gegen 
150000  Pod  und  jetzt  250000  Pud  jabrlich.  Die  Aosfuhr  ins  Aas- 
land,  die  sich  1838  auf  1100000  Pud  belief,  ist  jetzt  bis  aaf  700000 
Pod  jabrlich  gefallen. 


Uebersiclit  der  Bergwerksindustrio'  in  Russland.  513 

1838  beim  Verkauf  im  Grofsen  niit  1,57  Silber-Rubel 
beim  Deiailverkauf  mil   '  1,71 

und  1843  beim  Verkauf  im  Grofsen  mil  1,59 
beim  Deiailverkauf  mil  1,73 

Der  Preis  des  Pudes  isl  demnach  um  0,02  Rubel,  d.  h. 
um  elwa  1^  Procenl  gesliegen. 

Fiir  verarbeileles  Eisen  (5orlowoe  jeljeso)  war  die[Preis- 
zunahme  weit  bedeulender,  wie  man  aus  den  Borsennachrich- 
len  uber  die  Ni^nenowgoroder  Messe  ersieht 

Auf  diesem  Jahrmarkle,  wo  jahrlich  an  3^  bis  4  Millio^ 
nen  Pud  Uralischen  Eisens  verkaufl  werden,  bezahll  man  das 
gewohnliche  Bandeisen  sellen  mil  mehr  als  1  R.  S.  Die  bei 
dem  Verlriebe  im  Innern  stallfindende  Erhohung  des  Preises, 
die  Stellenweise  bis  uber  2  Rubel  gehl,  riihrl  Iheils  yon  den 
mangelhaflen  Verbindungsmillein  im  Innern  des  Landes,  Iheils 
von  der  Art  des  Handels  her,  welche  durch  die  groCse  Zahl 
der  Vermilleler  unzerlrennlich  isl  von  der  Verlheuerung  einer 
Waare,  die  so  gesuchl  isl  wie  das  Eisen.  In  den  meisten 
Gouvernemenls  und  vorziiglich  in  den  wesUichen  und  siidlichen 
verhinderl  der  hohe  Preis  desselben  eine  dem  wirklichen  Be* 
durfniss  und  der  Zahl  der  Bewohner  angemessene  Verbrei- 
tung*).  Eben  aus  diesem  Grunde  giebt  es  in  Russland  noch 
ausserordenllich  viele  Oerllichkeiten  und  grofse  Dislrikte,  wo 


*)  Es  kommt  dorchschnitUicb  auf  jeden  Bewohner  ein  jahrlicher  Bisen- 
verbraacb : 

in  Russland  von  wenig  uber  6  Piund 

in  Preussen,  Belgien  und  Frankreich  gegen  40     - 

in  Nord-Amerika  gegen  30     - 

aitd  in  England  mit  Aasschluss  der  Colonieen,  mehr  als    120 
Die  Darcbschnitftspreise  far  1  Pud  Band-  oder  Stab- Eisen  sind  da- 
gegen  gegenwartig 

in  Preussen  etwa  1,30  Silber-Rnbel 
Belgien       -      1,00 
England      -     0,55 
Das  Pud  Waleser  Eisen  gilt  jetzt  in  England  sogar  nur  0^45  S.-R. 

Anm.  d,  Verf. 


514  Industrie  and  Handel, 

nur  wenige  Pferde  beschlagen  werden,  wo  Eisen  weder  an 
den  Wagen-Axen,  noch  an  denRiidern^  noch  sogar  an  den 
Eggen  zu  finden  und  wo  iiberhaupt  das  Eisen  fur  die  Be- 
wohner  noch  ein  Gegenstand  derSehnsucht  und  der  hochslen 
Versuchung  zum  Verunlreuen  (iskuschenie)  geblieben  isl! 

Zum  Besten  des  Landes  ist  es  somit  aufs  aufeerste  er- 
wiinscht,  dafs  das  Eisen ,  namentlich  der  landliehen  BevSlke- 
rung,  weit  zugahglicher  werde;  es  gehort  aber  dazu  sowohl 
eine  Verminderung  des  Preises  als  eine  betriichlliche  Yer- 
mehrung  der  disponiblen  Menge  dieses  Melalles.  Jeder  be- 
trachtiichen  Vermehrung  der  Produktion  auf  den  Russischen 
Eisenhiilteu  widersetzt  sich  aber  aufs  aufserste  der  jetzige 
Zustand  der  Walder,  indem  auf  alien  diesen  Hiitten  nocK 
mit  Holz  (Kohlen)  gefeueri  wird.  Sie  konnen  ibren  Belrieb 
nicht  verstarken,  ohne  zu  einer  Verarmung  der  VValder  zu 
fiihren,  welche  schon  jetzt  in  vielen  Gegenden  enlweder  ohne 
weileres  fiihlbar  ist  oder  doch  durch  Enlfernungen  von  mehr 
als  100  Wersl  zwischen  den  HiiUen  und  den  fur  sie  arbeiten* 
den  Meilern.  Wahrend  der  lelzlen  zwei  Jahrzehnlen'hai  zwar 
sowohl  der  Betrieb  der  Eisenhiitten,  als  auch  die  Forstwirth- 
schaft  manche  Verbesserungen  erfahren,  namentlich  durch  die 
Verwendung  von  Birkenkohle,  die  friiher  fasl  ganz  unbenuUt 
blieb;  die  Zunahme  der  Eisenproduklion  seit  1793 »  d.  h.  seit 
dem  Jahre,  in  welchem  die  Ausfuhr  des  Russischen  Eisens 
mit  2300000  Pud  ihr  Maximum  erreichle,  hat  aber  dennoch 
in  57  Jahren  nur  2|  Million  Pud  oder  40  Procent  betragen, 
und  ist  somit  noch  winter  der  gleichzeitigen  Zunahme  der  Be- 
volkerung  geblieben. 

Dieses  Ergebniss  beweist,  dafs  auch  fernerbin  keine  wirk- 
liche  Hebung  der  Russischen  Eisenindustrie  zu  erwarten  ist, 
wenn  man  fortfahrt  sie  mit  Holz  zu  betreiben,  anstatt  sie  mit 
dem  Steinkohlenbergbau  auf  angemessene  Weise  zu  verbinden. 
.In  der  Thai  kann  nur  die  Verwendung  des  fossilen 
Brennma terials  zur  Darslellung  des  Eisens  zugleich 
die  gehorige  Vermehrung  der  Produktion  und  die  nothige 
Verminderung  des  Preises  herbeifuhren ,  wie  die  Erfahrungen 


- A 


Uebersicht  der  Bergwerkflioduatrio  in  Russland.  516 

in  vielen  westlich  von  tlussland  gelegnen  Landern  aufs  d«ul> 
iichste  beweisen. 

So  betrug  z.  B.  in  England  die  jMhtliche  ProducUan,  so 
lange  man  mil  Holzkoblen  feuerte»  nie  iiber  6  Millionen  Pud. 
Sie  sank  liach  Mafsgabe  der  Verarnxung  der  Walder  und  zvvar 
im  17.  Jahrhunderts  bis  zu  4  Millionen  und  um  die  Mitte  des 
vorigen  Jahrhunderts  sogar  bis  zu  1  Million  Pud.  Man  wandte 
sich  darauf  zu  den  Steinkohlen  und  nacb  den  erslen  Schwan- 
kungen.^  die  von  einem  neuen  und  damals  noch  vollig  unbe- 
kannten  Verfahren  unzertrennlich  sind,  erfolgte  eine  rapide 
Vermehrung  der  Rolieisenausbeute. 
Sie  betrug  in  den  Jahren: 

1796  etwa      6  Millionen  Pud 
1806  gegen  16      -  - 

1826      .       37      - 
1836      -     75       . 
und  1846  etwa  140       - 
d.  h.  mehr  als   das  Zehnfache  der  Russischen  Produktion, 
welcbe  sich  doch  60'  Jahr  zuvor  fast  auf  das  Doppelte  der 
Englischen  belaufen,  und  diese  letztere  durch  eine  Ausfuhr 
von  mehr  ab  2  Millionen  Pud  jahrlich  erganzt  halte.    Bei  so 
ungeheuerer  Vermehrung  des  Erzeugten   ist  dann   auch  der 
Preis  desselben  in  entsprecbender  Weise  gesunken,    Das  Pud 
Roheisen  welches  in  England  gegen  Ende  des  vorigen  Jahr- 
hunderts mit  mehr  als  2  R.  S«  bezahlt  wurde,  kostet  jetzt  da- 
selbst  gegen  0,30  S.  R. 

Tn  den  Vereinigten  Staaten  wurden  die  Hohofen  bis  1840 
mit  Holzkoblen  betrieben  und  von  ihnen  an  Roheisen  erhalten 

im  Jahre  1830  J 1760000  Pud 
1840  17250000  - 
Es  hatte  mithin  bereits  eine  betrachtliche  Zunahme  um  48 
Procent  in  10  Jahren  stattgefunden.  Von  1840,  wo  man  sum 
ersten  Male  Anihrazit  auf  den  Eisenhutten  gebrauchte,  ist  aber 
die  Production  bis  zu  dem  im  Jahre  1846  erreichten  Werthe 
von  3l\  Million  Pude  und  mithin  um  142.50000  Pud  in  sechs 
Jahren  gestiegen;    auch   wurde    etwa    die  Halfte  dieses  Zu- 


516  Industrie  and  Handel. 

wachses  mil  dem  neuen  Brennmaterial  dargestellt.  Sell  die- 
ser  Zeit  hat  si'ch  die  Vervvendung  des  leUteren  noch  dadurch 
bedeutend  gehoben,  dafs  man  in  Pensilvanien,  wo  der  Eisen- 
betrieb  am  grofsartigsten  entwickelt  ist,  durch  vergleichetide 
Versuche  nachwiefs,  wie  die  Ausbringung  durch  Antbrazit  im 
Vergleich  mit  der  durch  Hokkohlen,  nur  die  Halfte  des  Aus- 
lagekapilals  erforderl  *). 

Eine  ganz  ahnliche  Erscheinung  wiederholte  sich  in  Frank- 
reich^  wo  bis  1830  nur  Holzkohlen  zum  Eisenbeiriebe  gebrauchl 
und  nie  mehr  als  15^  Millionen  Pud  Roheisen  dar^eslellt 
wurden.  Man  fing  darauf  an,  Sleinkohlen  zu  verwenden  und 
hat  1848  nur  allein  mit  diesem  Brennmaterial  mehr  als  15 
Millionen  Pud  Roheisen  erblasen.  Die  mittlere  jiihrliche  Pro- 
duktion  sUeg  auf  15  Millionen  Pud,  und  es  wurden  ausser 
derselben  noch  5  Millionen  Pud  Roheisen  aus  dem  Auslande 
eingefuhrL  Es  kam  dazu  noch,  dafs  die  Darsteliong  des  Roh- 
eisen mil  Sleinkohlen  um  30  Prozenl  weniger  kosiete  als  mil 
Holzkohlen. 

Auch  in  Belgien  ist  der  Hohofenbelrieb  mil  Steinkohlen 
seit  1830  imGange,  und  hat  in  den  ersten  7  Jahren  zu  einer 
Vermehrung  der  Roheisenproduktion  um  4  Millionen  Pud  und 
in  den  folgenden  8  Jahren,  bis  1845,  zu  eiher  neuen  Vermeh- 
rung um  mehr  als  8  Millionen  Pud  gefuhrt.  Die  Schmelzung 
mit  Holzkohlen  ist  dagegen  allmalig  bis  auf  1  Million  Pud  ge- 
fallen  und  es  fand  sich  dieselbe  um  40  Procent  theurer  als 
die  mit  Steinkohlen. 

Zum  Hohofenbelriebe  mit  fossilem  Brennmaterial,  ist  in 
Russland  das  ausgedehnle  Vorkommen  des  Donezer  Anthra* 
zites,  welches  wir  unten  naher  zu  erwahnen  haben,  ganz  be- 
sonders  geeignel.    Auf  die  Ausbeulung  dieses  Vorkommen  in 


*)  lin  Jahre  1846  wurden  in  Pensiiyanicn  allein  15  Millionen  Pud  Roh- 
eisen mit  Holzkohlen  und  7200000  Pud  mil  Anthrazit  erblasen.  — 
Vergl.  die  1848  in  Pliiladelphia  erschienene  wichlige  Schrift  iinter 
dem  Titel:  Statistics  of  coal  by  Richard  Cowling  Taylor. 

A.  d.  V. 


Uebersicbt  der  Bergwerksindastrie  in  Riissland.  517 

dem  Lande  des  Donischen  Heeres,  verwendet  jetzi  das  Kriegs- 
Minislerium  besondere  Sorgfalt,  auch  sind  auf  Veranlassung 
des  Statthalters  von  Transkaukasien,  Knjas  Woronzow,    be- 
reiis   Versuche    mil  der  Verwendung  dieses  Brennmateriales 
zum  Hohofenbetriebe  gemacht  worden,  und  es  isl  zu  hoffen, 
dafs  das  Siidliche  Russland  bald  Vortheil  Ziehen  wird  von  mi- 
neralischen  Schalzen,  durch  welche  sich  viele  andere  Lander 
weit  mehr  als  durch  Gold   und  durch  alle  iibrige  Metalle  be- 
reicherl  haben !     Wiirde  aber  ein  Sud-Russischer  Eisenbetrieb 
nicht  den  Ural  ruiniren?')     Eine  solche  Befurchtung  ist  aber 
schon  wegen  des  oben  erwahnten  Mangels  an  Eisen  in  Russ- 
land durchaus  unbegriindel;  die  Erfahrung  in  den  friiher  ge- 
nannten  westlicheren  Landern  und   besonders  in  Pensilva- 
nien  beweist,  dafs  die  Eisenproduktion  mil  Holzkohle  und  mil 
Steinkohie  nicht  blofs  in  ein  und  demselben  Lande  neben  ein- 
aiider  fortbestehen,  sondern  auch  wechselsweise  sich  einander 
heben  konnen,  so   wie  auch,  dafs  iiberall  die  Abnahme  des 
Eisenbetriebes  mit  vegelabiiischem  Brennmaleriale,  nur  allein 
von  der  Abnahme  der  Walder  herriihrte  und  somit  von  dem- 
selben Umstande,  der  auch  in  Russland  bereits  zur  Aufgabe 
der  ehemaligen  Hutten  im  Tulaer  und  im  Tambower  Gouver- 
nemenl  veraniassl  hat.    So  lange  daher  die  Uralischen  Hill- 
ten  ihren  Waldvorralh  mit  gehdriger  Vorsicht  unJ  Sparsam- 
keit  bewirthschaften  werden,  haben  sie  keinen  Verfall  zu  be- 


*)  Diese  Frage  kann  fticli  offenbar  nur  auf  die  Bevolkerung  der  am 
Ural  belegenen  Landestheile  beziehen.  —  Da  aber  diese  letztere 
in  iiberwiegendem  Maafse  nur  der  Uiitten  wegen  aus  den  begilter- 
ten  europaischen  Provinzen,  in  diese  weit  armeren  gebracht  worden 
isC^  80  scheint  uns  grade  in  ihrem  Interesse  ein  kunstlicher  Schutz 
des  Uralischen  Eisen betriebes  gegen  einen  dankbareren  in  einer  an- 
derenGegend  kaum  ratbsani.  Kr  ware  wohl  ebenso  wenig  erspriels- 
lich  wie  die  MtCtel,  die  man  in  andren  Landern  zur  Erhaltang  von 
Industriezweigen  gebraucht  hat,  die  sich  nicht  aas  sich  selbst  zu 
erbalten  Termochten. 

Anmerk.  d.  Uebers. 


518  Industrie  and  Ha&d«J. 

fiirchien,  viel  eher  k5nnte  derselbe  einlreten,  wenn  sie  anfin* 
gen  ibre  Produktion  unmafsig  zu  steigern  und  dadurch  so- 
wohl  ifare  Aussicblen  auf  Brennmaterial,  als  auch  die  Giite 
ihres  Eisens  zu  schwachen.  Obne  eine  dergleichen  Storung 
wird  das  Uraliscbe  Eisen  noch  lange  den  Absatz  finden,  den 
es  der  Vortrefflichkeit  der  Magnelerae,  aus  denen  es  gewon- 
nen  wird,  seiner  dem  enlsprecbenden  Giile  und  der  langjah- 
rigen  Gewohnung  an  dasselbe  verdanki*). 

Gold  und  Silber  werden  in  Russhind  fast  ausschliefs- 
lich  in  den  Asiatiscben  Provinzen,  und  zwar  namentlich  am 
Ostabhang  des  Ural,  in  Sibirien  und  am  Kaukasus  gewonneD. 
In  den  Europaischen  Provinzen  wird  jeUt  nur  eine  unbedeu- 
tende  QuantiUil  Gold  aus  einigen  Seifen  an  derWeatseite  des 
nordlicben  Ural  ausgebracfaL  Die  alien  Gruben.des  Arcfaan- 
geler  GouvernemenU  und  namenllicb  eine  Silbergrube  auf  der 
Baren*Insel  (medwe/i  ostrow)  im  Weissen  Meere,  und  die 
Woizker  Goldgrube  in  dem  Kemsker  Kreise  nahe  an  der 
Granze  des  Gouvememenl  von  Olonez,  sind  schon  im  vorigen 
Jahrhundert  aufgegeben  worden.  Die  erstere  ist  nach  einer 
unbedeulenden  Ausbeuie  versoffen,  die  Kemsker  Grube  aber, 
die  man  1741  eroffnete  und  indenJahren  1772  und  1794  er* 


*)  Die  Gutartigkeit  des  Uralischen  Eiseni,  eignet  es  besonders  zur  Fa- 
brikation  ?on  Stalil  and  yon  prath  nnd  trotz  dem  Termehrt  siefa  yoo 
Jahr  zn  Jabr  die  Einfulir  dieser  beiden  Krzeugnisse.  Im  Jabre 
1846  sind  in  Rnssland  15000  Pud  StabI  fur  89000  S.  R.  eingefdhrt 
.  worden  und  im  Jabre  1849:  27000  Pad  fur  113000  S.R.  and  ebenso 
an  Drath  1846:  fur  62000  und  1849:  fiir  114000  S.  R.  Ebenso  be- 
merkenswerth  ist  die  wacbsende  Einfohr  ?on  Maaehinen,  deren  Anfer- 
tigung  doch  gleicbiialls  eine  vortbeilbafte  Bescbaftigung  fpr  die  eignen 
Eisenbutten  abgeben  konnte.  Es  sind  namlich  an  Mascbinen  einge- 
fijhrt  worden: 

im  Jabre  1841  fur  229000  S.  R. 
Jabre  1846  fur  1291000  S.  R. 
Jabre  1849  fur  1879000  S.  R. 

Anm.  d.  Verf. 


|i  Hiillen-  und 


isbeate  zwiscben  18 


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176028 


19 


176028 


19 


17602S 


Uebersicht  der  Bergwerksiadufttrie  in  Rassland.  519 

neuerte,  ist  seil  1794  verlassen,  nachdem  sie  in  36  Jahren  nm* 
184,5  Russ.  Pfund  Gold  geliefert  halte. 

Im  Asiatischen  Russland  wird  jeizt  Gold  gewonnen  in  den 
Gouvernements  von  Perm,  Orenburg,  Tomsk,  Jeni«eisk  und 
Irkuzk  und  in  den  Kirgisischen  Kreisen.  Man  hal  es  bekannllich 
zuerst  und  zwar  als  ein  Gangvorkommen,  nahe  bei  Jekatrin- 
burg  im  Jahre  1743  gefunden.  Das  Bauen  auf  diese  Gold* 
fiihrende  Gange  ist  in  den  Beresower  Gruben  1752  angefan* 
gen  worden  und  dauerl  daselbst  noch  heule.  Es  erreichte 
seinen  grofslen  jahVlichen  Erlrag  im  Jahre  1810  mil  22,1 
Pud "").  Seitdem  aber  die  Auffindung  von  Goldseifen  einen 
weit  wohlfeileren  Weg  zur  Erhaltung  dieses  Melalles  darbie- 
tet**),  werden  die  Beresower  Gruben  nur  in  soweit  be* 
baut,  dafs  sie  mil  zwei  Pud  jahrlichem  Ertrages  noch  eben 
sich  selbst  erhallen  konnen  f ).  Ausser  den  Beresower  Gruben 
sind  zu  verschiednen  Zeiten  noch  andre  meist  unbetrachUiche 
Gangvorkommen  des  Goldes  in  Angriff  genommen  und  eine 
Zeit  lang  bearbeilet,  nachher  aber  aufgegeben  worden,  so  dafs 
man  1823  am  Ural  8  bebaute  und  58  verlassene  Goldgruben 
zahlte. 

Die  Bearbeitung  der  Goldseifen  wurde  in  den  Jahren 
1814  in  dem  der  Regierung  gehorigen  Hiittenbezirken  ange- 
fangen,  und  1819  in  den  Privalbezirken  fortgeselzt  1819  be- 
gann  sie  fiir  Privatrechnung  im  Westlichen  und  1838  ebenso 


*)  VergI,  mit  diesen  and  dan  folgenden  Angaben  in  diesem  Archive 
Bd.  11.  S.528,  IX.  636,  X.  599.  D.  Uebers. 

*)  Nach  den  im  Jahre  1847  abgelegten  Recbnangen  der  Jekatrinbur- 
ger, Gruben,  betragen  die  blofsen  Arbeitskosten  far  die  Beresower 
Brze,  die  i^x^^  ihres  Gewichtes  an  Gold  enlbalten,  151,44  S.  R. 
far  1  Russisches  Pfund  Gold.  Das  Wascbgold  aas  demselben  Gru- 
bendistrikte  \rird  dagegen,  bei  einem  Gebalte  der  Seifen  von  nur 
TVvWo*  ^'  i^°r  90,48  S.  R.  von  1  Russ.  Pfund  aosgebracht.  Bei 
gleichem  Gehalte  wiirde  daher  die  Ausbringung  des  Waschgoldes  am 
10  Mai  woblfeiler  scin,  als  die  des  verer^eten  von  Beresow.   A.  d.  V. 

1)  Wer  aber  eigentlich  bei  dieser  Erhaltung  eines  nicht  mebr  iohnenden 
Betriebes  gewinnt,  erfahrt  man  nicht.  D.  Uebers. 


520  Industrie  and  Handel. 

im  OesUichen  5ibirien.  Wahrend  der  ersten  6Jahre  von  18  L4 
bis  1820  lieferten  die  Seifen  in  den  der  Regierung  gehorigen 
Hiiltenbesirken  an  Legirtem  Golde  24,25  Pud'^),  wahrend  der 
nachsten  10  Jahre  von  1820  bis  1830  lieferten  die^  theils  der 
Regierung,  theils  an  Private  gehorigen  Seifen  an  (doch  wohl 
reinem?  d.  Uebers.)  Golde  etwa  1670  Pud'*).  Von  1830 
bis  1840  lieferten  die  Uralischen  und  die  West-5ibirischen 
Seifen  zusammen  etwa  an  Gold  4003  Pudf),  und  man  hat 
endlich  von  1840  bis  1850  aus  den  Uralischen,  den  West-  nnd 
den  0st-5ibirischen  Seifen  zusammen  an  Gold  gewonnen 

12638  Pud. 
Von  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  bis  zum  Anfang 
des  Jahres  1851  sind  ferner  in  Russland  iiberhaupt,  so  wohl 


*)  Die  au8  den  Uralischen  l^eifen  der  PriTatbezirke  im  Jahre  1819,  d.  b. 
in  dem  ersten  ihrer  BearbeiCong  erbaltnen,  0,425  Pud  sindzar  folgen- 
den  Periode  gereehnet  worden.  In  den  Rnssischen  Beigwerksberich- 
ten  wird  das  Gold  unter  den  drei  Benennnngen  Schlicbowoe,  ligatar- 
noe  nnd  tschistoe  soloto,  d.  h.  Sandgold,  legirtes  Gold  and  reines 
Gold  aofgefdhrt.  Unter  Sandgold  Tersteht  man  mit  Einschloss  der 
Goldklampen  denjenigen  Zastand,  in  welchem  man  es  nacb  beende* 
ter  Wasche  erbalt»  Legirtes  Gold  nennt  man  die  darch  Schmelzong 
des  Sandgoldes  eriialtenen  Stncke  oder  Ganse.  Bei  dieser  Schmel- 
zung  werden  schon  einige  fremdartige  Beimengongen  abgeschieden 
und  daher  das  Gewicht  am  etwas  vermindert.  Unter  reines  Goid 
yersteht  man  dagegen  das  Ton  alien  fremdartigen  Bestandtheilen  ge- 
(rennte ,  welches  man  in  dem  Petersburger  Miinzhofe  theils  aus  dem 
Legirten,  theils  aus  Sibirischen  Silbererzen  erbSlt.  Verschiedenheiten 
in  den  Angaben  der  jahrlicben  Aasbeute  ruhren  wohl  meistens  yon 
den  Gewichtsunterscbieden  dieser  drei  Kategorien  her,  wiewobl  die 
definitiyen  Abscbliisse  sich  immer  aof  die  Menge  des  reinen  Gol- 
des  beziehen.  Anm.  d.  Yerf. 

**)  Der  Ertrag  der  iSibirischen  Seifen  im  Jahr  1929  ist  trotz  seiner  Ge- 
ringfugigkeit  in  dieser  Rechnung  mit  inbegriffen. 

Anm.  d.  Verf. 

t)  44,83  Pud  Gold  wefche  die  0st-8ibirischen  Seifen  1838  und  1839, 
d.  h.  yvahrend  der  zwei  ersten  Jahre  ihrer  Bearbeitung  lieferten,  sind 
hier  zar  folgenden  Periode  gereehnet.  Anm.  d.  Yerf. 


Debersiclit  der  Bergwerksindustrie  in  Rassland.  52 ( 

aus  dem  vererzten  iind  Sandgolde,  ab  aus.dem  Goldhaltigen 
Silber^  an  reinem  Oolde  ausgebracht  worden: 
Von  den  Uralischen  theils  der  Regierung,  theih  an  Private 
gehorigen  Gangvorkommen  seit  dem  J.  1751      623,38  Pud 
von  den  Uralischen  Seifen  seit  1814  7521,60     - 

aus  dem  Altaischen  Silber  seit  1745  2470,95     - 

nus  dem  Nertschinsker  Silber  seit  1752  77,85     - 

aus  den  Altaischen  der  Regierung  gehorig,  Seifen 

seit  1831  459,46    - 

aus  den  Nertschinsker,   der  Regierung   gehorig, 

Seifen  seit  1833  234,77     - 

aus  den  an  Private  gehorigen  5ibirischen  Seifen 

seit  1829  9876,03     - 

aus  der  Woizker  Grube  von  1745  bis  1794  4,61     - 

aus  dem  Kirgisischen  Siiber  in  den  Jahren  1849 

und  1850  0,97     - 

in  Allejn  also  bis  zum  Anfang  des  Jahres  1851 :  21269,43  Pud 
reines  Gold. 

Von  diesem  Gesemmtertrage  kommen  0,868  oder  18460 
Pud  auf  die  zweile  Halfte  der.Periode,  in  der  er  erhallen 
wurde. 

Nach  einer  so  schnellen  Entwicklung  der  Goldgewinnung 
in  Russland,  ist  auf  eine  fernere  Vcrgrofserung  derselben 
kaum  zu  hoffen  *), 

Schon  seit  mehreren  Jahren  sind  keine  erheblichen  Ent- 


*)  Dafs  die  SchnelliglLeit  der  Entwicklong  an  and  fur  sich  nictits  weni- 
ger  als  eine  Erklarung  des  Stillstandes  derselben  enthalt,  ist  doch 
schon  ofler  erwahnt.  Vergl.  in  dies.  Arch.  Bd.  IX.  S.  721,  VI11.654, 
VII.745a.  a.,  wo  aber  zngjeich  auf  die  von  dem  Goldwaschen  unzer- 
trennliclien  Nachtbeile  fiir  die  Bewohner  eines  schwach  bevolkerteu 
Landes  bingewiesen  wurde.  Ks  sind  diese  die,  in  ^ibirien  ebenso 
wie  in  vieien  anderen  Gegenden  der  Erde^  diesen  Industriezweig  be* 
schranken  werden,  ehe  nocb  die  Menge  des  ausgebrachten  GolU  sich 
der  wahrscheinlich  vorhandenen  merklich  genahert  hat. 

D.  Uebers. 


522  iadostrie  and  Handel. 

deckungen  gemachl  worden  *),  u  n  d  die  Lusi  zum  Goldsuchen 
hat  abgenommen  **).     Unlerdessen   werden   die  bearbeiteten 
Seifen  allmahlich  erschopft;    der  Gehalt  ihrer  Sande    nimmt 
fiihlbar  ab  und  die  Ausbeute  der  Privatbesilzer,  namenllich 
der  Ost-Sibirischen,  ist  im  Sinken.    Diese  ist  von'  1371  Pud, 
denen  sie  im  Jahre  1847  gleichkam,  im  Jahre  1849  auf  1186 
Pud,  1850  aber  auf  1008  Pud'gesunken  und  es  scheinl  eine 
fernere,    vielleicht  sogar  schne]le,    Abnahme   bevorzuslehpn, 
wenn  sich  nicht  etwa   die  5ibirischen  Unlemehmer  zu  den 
Grundregein  der  Bergwerksoconomie  verstehen,  nach  denen 
man  raehr  auf  dieDauer  desGewinnes,  als  auf  dessen  schnelle 
Eriangung  zu  sehen  hat.    Sehr  lehrreich  ist  in  dieser  Bezie- 
hung  die  Bewirthschaftung  der  Uralischen  Seifen,  welche  seit 
mehr  als  25  Jahren  eine  constante  Ausbeute  liefert,  obgleich 
der  Gehalt  der  bearbeiteten  Seifen  belrachtlich  "libgenommen 
hat.    Von  legirtem  Golde  ist  am  Ural  Iheils  fiir  die  Kegie- 
rung,    theils  fiir   Privalbesitzer   durchschnittlich    ausgebracht 
worden  zwischen  1825  und  1830:  265  Pud  jahrlicb  und  zwi- 
schen  1838  und  1843:  300,5  Pud  jahrlicli. 

Wiihrend  der  folgenden  fiinf  Jahre  betrug   dagegen  die 
dortige  Ausbeute  an  legirtem  Golde: 

1846  313     Pud 

•  1847  334,5    - 

1848  334   - 

1849  342   - 

1850  331   . 

Der  mittlere  Gehalt  der  am  Ural  verwaschenen  Sande 
der  sich  zwischen  1814  und  1849  auf  -^rj^jg  belief,  ist  aber 


*)  Nur  in  dein  derRegierong  geliorig^  Nertschinsker  Grnbendittrikt  an 
den  Zafliissen  der  Schilka,  hat  man  vor  Karzem  so  ergiebige  Seifen 
gefiinden,  daOs  die  Aosbente  dieses  Distriktes^  die  von  1846  bis  1849 
jahrlicli  etwa  26  Pud  betrag,  im  Jahr  1850  aaf  72  Pad  gestiegen  isU 

Anm.  d.  Verf. 

**)  Hier  soUte  es  wohl  heissen:  weil  die  Lnst  2am  Goldsuchen  abge> 
noramen  hat.  D.  Uebers. 


^ite  522  u.  f. 


1850. 


Gewonnen: 


Gold. 


Auf  den  Uralischen  Privalv 
desgl.   in   der  Orenburger 

Zusammen  aus  den  B< 
des  Ural 


legirles 


149 
52 


26 
16 


.     •    •    • 


In  den  Bezirken: 

der  Kirgisen     .... 
von  Tomsky  Atschinsk,  Miq 

und  Krasnojarsk    .    . 
von    Kansk ,    Nj;neudinsl| 

irkuzk \ 

der  Sudhalfte  von  Jenim^ 
der  Nordhalfte  von  Jeni^e 
von  Werehneudinsk  .    . 
von  Olekma     .    .    .    .    . 

Zusammen    auf  den 
schen  Privatwerken 


202 


Waschgold 


1 

89 

38 
299 
572 

32 


In 
Ausserdem  wurde 

Plalina 
Osmio  -  Iri 

Ermans  Russ.  Archly.   Bd.  XI. 


22 

35 

18 
22i 

8i 
.10 

5i 


Waschgold 
1034    I    U 

legirtes 
1008    I  14 


legirtes 
1210    1 16 


Uebersicbt  der  Bergwerksindostrie  in  Russland.  523 

utn  1846  noch  untir  ^ti^Vtht  gesunken.  Ja  es  giebl  dort  so* 
gar  ganze  Distriktc,  in  denen  die  Sande  noch  unter  r^vVtrv 
legirten  Goldes  enthalten  und  in  dem  Jakowlewschen  Hiilten- 
bezirk  von  Werchne  Iseisk  wurden  schon  seit  mehreren  Jah- 
ren  jahrlich  50  Pud  aus  Sanden  gewonnen^  deren  Gehalt  im 
Durchscbnilt  TT^iTrinr  belragt. 

Der  Zustand  in  dem  sich  die  Uraliscbe  Goldgevvinnung, 
trolz  der  allgemeinen  Verarmung  der  dorligen  Seifen  zu  er* 
hallen  weiss,  beweist  am  besten,  dafs  dieselbe  sowohl  in  tech- 
nischer  als  in  okonomisoher  Beziehung  betrachtlich  vervoU- 
kommnet  ist.  Nichts  destoweniger  hat  sie,  wahrscheinlich  in 
derselben  Weise  wie  die  5ibirische  Ausbeute,  ihr  Maximum 
erreicht*),  und  wird  demnach  nun  die  Goldgewinnung  in 
Russland  Uberhaupt  continuirlich  abnehmen.  Es  ist 
dieses  das  allgemeine  Schicksal  der  Lander,  die  Gold  aus  Ge- 
steinschutt  oder  Seifen  gewinnen.  So  waren  einst  in  Europa 
viele  Flussthaier  und  Schluchten  wegen  eines  Goldreichihums 
berubmt,  dessen  Ausbringung  man  nun  schon  lange  aufgege- 
ben  hat*'*).  In  Brasilien  wurden  um  die  Mitte  des  vorigen 
Jahrhunderls  auf  Waschwerken  jahrlich  800  Pud  Gold  aus- 


*)  Es  B€heint  doch  nicht  dafs  die  Abnahnxi  in  beiden  Gegenden  ana 
demselt>en  Grunde  erfolge,  denn  wahrend  in  dem  beschrankteren 
Uralnchen  Gebiete  in  der  Tbat  die  ergiebigeren  Seifen  sich  allmalig 
erschopfen  werden,  kann  in  Sibirien,  wo  offenbar  viele  Gold- 
fiihrende  Gebirgssysteme  kaum  erst  dem  Namen  nach 
bekannt  sind,  an  ein  ahnliche's  Verbalten  noch  nicht  gedacht  wer- 
den.  Dort  liegt  yielmehr  die  nachste  Ursache  der  Abnahme  der  Gold- 
Produktion  oiFenbar  in  dem  Erkalten  des  Eifers  der  Privatleute  fur 
dieselbe,  and  die  entferntere  demnach  hocbst  wahrscheinlich  darin, 
dafs  in  jenen  ausserst  sebwach  beyolkerten  Gegenden,  die  nothige 
Zaltl  Ton  Arbeitern  entweder  gar  nicht  mehr  zn  finden  ist,  oder  doch 
nicht  zu  Preisen  die,  neben  den  jezt  betrachtlich  erhohten  Abgaben  der 
Goldsucher  an  die  Regierung,  den  ersteren  noch  bedeutende  Vortheile 
Ubrig  liefsen.  E. . 

*)  Vergl.  uber  dieses  Verhaltniss  im  Allgemeinen  und  namentlich  in  Bob- 
men,  d.  Arch.  Bd.  Vlf.  S.  745.  D.  Uebers. 


524  Industrie  unil  Handel. 

gebracht,    wiihrend   jelzt    die    entsprechertde    Ausbeute   nichi 
ganz  50  Pud  betragt. 

Silbererze  kommen  in  Russland  mil  Bleierzen  vor, 
und  werden  auch  zu  grofserem  Theile  mil  diesen  zusammen 
verhiitteL  Die  vorzuglichslen  Russ.  Silber-  und  BleigruBen 
liegen  in  5ibirien.  Es  giebt  aber  auch  Anbruche  von  Silber- 
halligen  Bleierzen  in  den  sogenannten  Kahlen  (iohen  (nag61- 
nyja  woswyschenosli)  des  Donezer  Landes  und  am  Ural,  in 
den  Distrikten  von  Ni/ne  Tagilsk,  Sy^erlsk  und  Jekairinburg. 
In  dem  letzteren  sind  von  1814  bis  1820  gegen  40  Pud  Sil- 
ber ausgeschmolzen  worden.  Seit  der  Entwicklung  der  Gold* 
Industrie  ist  aber  diese  Produkiion  aufgegeben  und  jeizl  war- 
den Silber  und  Blei  nur  am  Altai  und  in  dem  Nertscbinsker 
Kreise  gewonnen,  auch  sollen  eben  amKaukasus  und  jenseils 
des  Irtysch  in  der  Kirgisensteppe  die  dazu  nolhigen  Hiitteti 
eingerichtet  werden  *). 

Am  Altai  hat  die  Silbergewinnung  schon  1743  angefan- 
gen  und  seit  1785  haben  die  dortigen  Hiitten  nicht  unter  lOOO 
Pud  Silber  in  jedem  Jahre  gelieferti  obgleich  viele  reiche  Gru- 
ben  schon  ersehSpft  und  andre  nahe  daran  sind.  —  ZurAus- 
bringung  dieser  1000  Pud  Silber  wird  in  dem,  1849  ausgege* 
benen,  Reglement  fiir  die  Altaischen  Hiitten  vorgeschrieben:  in 
jedem  Jahre  5156000  Pud  unsortirter  Erze  aus  den  in  Betrieb 
stehenden  Gruben  zu  fordem  und  3195000  Pud  von  den  Hal- 
den  der  frtiheren  Baue,  zusammen  also  8351000  Pud,  aus 
welchen  dann  durch  gehoriges  Ausklauben  5352000  Pud  zu 
verschmelzende  Erze  mil  einem  Gehalt  von  1449  Pud  Silber 
hervorgehen  wiirden.  Der  Ueberschuss  dieser  lelztern  Quan- 
titat  liber  die  jahrlich.ausgebrachlen  1000  Pud,  der  mehr  als 
30  Procent  betragt,  deckt  den  Abbrand  und  anderweitigen 
Verlust,  welche  sowohl  wegen  der  Schwerschmelzbarkeit  der 
Erze,  als  auch  wegen  des  Mangels  an  Sulfareten  und  an  Blei 
in  denselben,  unvermeidlich  sind.  Der  Mangel  an  Blei  wird 
zum  Theil  durch  Beziehung  von  dergleichen  aus  dem  Nert* 


♦)  Vergl.  in  rliesein  Archive  Bd.  X.  S.  156.  D.  Uebers. 


Uebersiclit  der  Bergwerksinfluatrie  in  Rossland.  525 

schiDsker  Hulten  gedeckl,  auch  versucht  man  jetzt  es  vonPe^ 
tersburg  aus  nach  dein  Altai  zu  schicken.  Es  sind  zu  diesem 
Ende  zunachst  25000  Pud  auslandischen  Bleies  fQr  2  S.  R. 
das  Pud  gekaufl  and  Conlracle  zuin  Transport  desselben  nach 
den  Allaischen  Hiitlen  fiir  1,5  Rubel  vom  Pude  geschlossen 
v^orden.  —  Im  Jahre  1849  betrug  der  Gehalt  aller  bekannt 
gewordenen  Erze  in  deiu  Allaischen  Bezirke  31148  Pud.  Viele 
Gruben  und  Schurfe  sind  aber  noch  nicht  vollstandig  unter- 
sucht  und  enlhalteii  wahrscheinlich  noch  unbekannte  Vorrathe. 
In  dem  NertschinsJcer  Distrikt  hat  man  schon  seit  1704 
angefangen,  Silber  zu  gevvinnen.  Bis  1747  vvurde  aber  davon 
nur  wenig  und  namentiich  nicht  uber  20  Pud  jahrlich  aus- 
geschmolzen.  Seit  diesem  Jahre  ist  die  dortige  Produktion 
gestiegen^  hat  177^  ihr  Maximum  mit  630Puden  erreicht  und 
darauf  wieder  continuirlich  abgenommen,  bis  dafs  sie  in  den 
letzten  Jahren  wieder  nicht  ganz  200  Pud  betrug.  Seit  1804 
haben  dieselben  Hutten  jlihriich  an  Blei  10000  bis  20000  Pud 
fiir  den  Altaischen  Bezirk  und  ausserdem  3000  Pud  zum 
Verkauf  geliefert.  Es  werden  in  den  Nertschinsker  Gruben 
jahrlich  gegen  600000  Pud  Erz  gefordert,  welche  durchschnilt- 
hch  sVttt  Silber  und  ^V  Blei  enlhalten.  Die  Aufbereitung 
dieser  Erze  besleht  in  Pochen  und  in  einer  Wasche, 
welche  etwa  die  Halfte  ihrer  Masse  wegnimmt,  so  dais  ihre 
Yerschmelzung  mil  einem  Gehalle  von  gegen  tVtt  Silber  und 
•2V  Blei  erfolgt.  Die  dortigen  Vorralhe  wurden  1840  auf 
5215821  Pud  Erz  veranschlagl  mit  einem  Gehalt  von  1827 
Pud  Siiber  und  158472  Pud  Blei.  In  dem  folgenden  Jahre 
(1850)  sollte  die  Silberproduktion  daselbst  auf  100  Pud  und 
die  Bleiproduktion  auf  15000  Pud  beschrankl  werden,  damii 
die  dadurch  disponibel  werdenden  Krafle  einen  starkeren  Be- 
trieb  der  Gold  waschen  erlaublen,  so  wie  auch  die  Entdeckung 
neuer  Erzvorkommen  und  die  Unlersuchung  der  alien.  Wirk- 
lich  ausgebracht  wurden  in  dem  Nertschinsker  Bezirke  wah- 
rend  des  Jahres  1850  sogar  nur  68  Pud  Silber,  und  es  ist 
nun  aufgegeben    worden   im   nachslen   Jahre   die  Produktion 

Brmaas  Rum*  ArchW.  Bd.  Xi.  H.  4.  35 


526  Industrie  rniil  Handel. 

femerhin  und  zwar  bis  aof  50  Pud  Silber  und  5000  Pud 
zu  beschranken. 

Sowohl  das  im  Altai  als  das  bei  Nertschinsk  gewonnene 
Silber  enihall.Gold,  welches  in  dem  Pelersburger  Miinzhofe 
abgeschieden  wird.  Dieser  Gehalt  ist  nicht  constant  und  ent- 
steht  vorziiglich  durch  die  Verschmelzung  giildiger  Silbererze. 
Der  Werth  des  S'tbirischen  Silbers  wird  iibrigens  dadurch  be- 
deutend  vermehrt,  so  enthielten  s.  B.  die  im  Jahre  1846  aus- 
gebrachten  1194,25  Pud  Silber,  46,67  Pud  reines  Gold  and 
von  dem  Gesammtwerth  derselben  der  1670000  S.  R.  belrug, 
kamen 

'  650000  S«  R«  auf  das  Gold 
und  1020000  S.  R.  auf  das  Silben 

Jenseits  des  Irtysch  hat  man  in  dem  Karkaralischen  und 
Bajan  Auler  Kreisen  der  Omsker  GrSnzprovins,  ziemlich  reiche 
Anbriiche  von  Silberhaltigem  Blei  und  in  der  Nahe  derselben 
Steinkohien  gefunden.  —  Es  sind  daselbst  ausgeschmolsen 
worden : 

von  1844  bis  1850  8741  Pfund  Blei 

und  1849  10,5  Pud  Silber 

auch  sind  von  dort  im  Jahre 

1850  14,75  Pud  Silber  nach  Petersburg 

geschickt  worden.  Die  Verhuttung  erfolgt  mit  Steinkohien 
und  es  sind  daselbst  in  der  beaten  Grube  bis  jetzt  als  vor- 
handen  nachgewiesen  50QD00  Pud  Blei  und  gegen  525  Pud 
Silber  •). 

Am  Kaukasus  sind  die  zum  Kasbek  und  Elbrus  gehSrige 
Gebirgslheile  sehr  reich  an  Silberhaltigem  Bleiglanz.  Man 
zahlt  gegen  50  Anbriiche  dieses  Erzes.    Auch  kennt  manSil- 


*)  Dieser  Betrieb  ist  in  den  Kirgisisohen  Distriktem  far  Rechnvng  det 
Comerzienralbs  Popow  aufgenommen  worden,  bei  dem  die  Altai* 
schen  Hatten  fur  vier  Jahr  jahrlicli  10000  Pud  Blei  zu  2,8  S.  R. 
▼om  Pude,  frei  bis  zur  Hutte  bestellt  haben.  Die  Vermehrung  die- 
ser Produktion  wiirde  die  Bleitransporte  yon  Nertschinsk  and  yon 
Petersburg  bis  zum  Altai,  unnothig  machen. 

Anm.  i,  Verf. 


1 

(Die  Rassische  Bergwerksindastrie.    Tafel  5.)     Za  Seite  527  b.  f. 

fShrt 

Aasgefobrt 

ins  Aasland: 

8n, 

Ziuammen 
zam    Werth 
inSilber  Ton 

Gold  and 

Silber  in 

Barren  for 

Gold-  and  Silbennanzea. 

ZoMmmen 
zom  Werth 
in  Silber  von 

e 

1 

AaslSndiscbe 

Rnuiacbe 

1 

a 
X 

a 

"S 

D 

es 

J 

a 

08 

2108344 

3575458 

1126499 

1053777 

5755734 

feo 

5529757 

39274 

1148610 

1319151 

>2508035 

00 

6981765 

17794 

850973 

1077283 

1946050 

|36 

30207087 

15688 

948398 

376800 

5340886 

fe7 

19235330 

4512 

1112729 

310912 

1428153 

21 

13586158 

4230 

1002511 

193288 

1200029 

93 

14609107 

16961 

1063142 

613418 

1693521 

^2 

22916397 

12663 

1463502 

1573173 

3049338 

75 

'    7868144 

19214 

•1118906 

2081414 

3219534 

19 

8041246 

44355 

1858189 

5189166 

7091710 

34 

8204663 

71226 

1349961 

3552513 

4973700 

J3 

7647903 

4810461 

1326849 

8433523 

14570833 

/ 


I3eber8icbt  der  BergwerksinduBtrie  in  Rossland.  527 

bervorkommen  in  Dagestan,  in  der  Kubeter  Gegend  und  in 
den  Daralagesischen  Bergen,  vorzuglich  aber  in  Grusien  bei 
detn  Achlalischen  Kloster,  wo  bis  um  die  Mitte  deB  vorigen 
Jahrhun  Jerts,  jahrlich  gegen  100  Pud  Siiber  ausgebracht  wur- 
den,  jetzt  aber  der  Betrieb  ganz  aufgehort  hat,  wegen  angeb* 
licher  ErschSpfung  der  Grube.  An  alien  diesen  Orten  wird  das 
Blei,  vorzuglich  zu  Flintenkugeln,  von  den  Cingebornen  ohne 
Riicksicht  auf  den  Siibergehall  ausgeschniolzen.  Bei  einem 
der  reicheren  Anbriiche  von  Silberhaitigem  Bleigianz  in  der 
Alagirer  Schlucht,  40  Werst  von  Wladikawkas,  wird  aber  jczl 
auf  Kosten  der  Regierung  eine  Hiille  angelegt,  die  furs  ersle 
jahrlich  100  Pud  Siiber  und  36000  Pud  Blei  ausbringen  soli'). 
Bis  1851  ist  iiberhaupt  an  reinem  Siiber  in  Russland  ge- 
wonnen  worden: 
In    dem    Nertschinsker   Kreise    seil    1704    beim         Pud 

Blicken  24922,9954 

In  deal  Altaischen  Kreise  seil  1745  beim  Blickeu  82161,2385 
Aus  der  Uralischen  Siibergrube**)  von  1814  bis  1820  40,7448 
Aus  dem  der  Regierung  und  den  Priyalen  geho* 

rigen  vererzten  Golde  vom  Ural  scit  1754  62,5439 

Aus  dem  der  Regierung  und  den  Privat^n   gebo- 

rigen  Waschgolde  vom  Ural,  seil  1814  634,1787 

Aus  dem   der  Regierung    gehorigen   Waschgolde 

vom  Allai,  seit  1831  57,6147 

Aus   dem   der   Regierung  gehorigen   Waschgolde 

von  Nerlschinsk,  seit  1833  8,8306 

Aus     dem     den    Privaten     gehorigen    <Sbiri8chen 

Waschgolde  seil  1829  805,9415 

Aus  dem  Golde  von  Woizk  0,4542 

In  Grusien  von  1805  bis  18071)  2,3416 

In  den  Kirgisischen  Dislriklen  seil  1849  22,1265 

Oder  zusammen  108719,0104  Pud  =  4358760,416  Russ.  Pfund. 

*)  Vergl.  in  d.  Arcb.  Bd.  X.  S.  156.  D.  Uebers. 

**)  Die  logenannte  Perwo-Blagodater  die  20  Werst  nordlicb   von  den 

Berenoyimr  Goldgangen  im  Jekatrinbarger  Kreise  liegt. 
•f-)  Beim  Probeichmelcen. 

35* 


g28  Indastrie  and  Handel. 

Die  Russische  SHbergewinnung  gehort  demnach  nicht  zu 
den  bedeutendereti ,  bringl  aber  dennoch  durch  ihre  Dauer 
einen  erheblichen  Gewinn.  In  dem  letzien  Jahrhundert  sind 
in  den  Altaischen  und  Nert^chinsker  Hiillen  fiir  eiwa  130  Mil- 
lionen  S.  R.  Blicksilber  ausgebracht  worden,  d.  tu  ttir  etwa  5 
Millionen  mehr  als  der  Werth  des  in  20  Jahren  fur  fibirische 
Privalbesilzer  ausgebrachten  Goldes.  -^  Jenes  Sbirische  Sil- 
ber  ist  aber  nicht  allein  wegen  seines  inneren  Werlhes  fiir 
die  Slaaiskasse  *)  beachtungswerth,  sondem  auch  weil  es  eine 
ausgedehnte  Provins  belebi,  deren  Bewohner  nur  allein 
durch  den  Bergbau,  durch  diescn  aber  in  mehr  als  gewohn- 
Uchem  Wohlstandei  erhalten  werdea. 

Nach  dieser  Rechenachaft  iiber  die  Russische  Gold-  und 
Silberproduklion,  isl  es  von  Interesse>  den  Werlh  von  denje- 
nigen  Quantitalen  dieser  Metalle  zu  vergleichen  die  wahrend 
der  letzien  25  Jahre  ausgebracht^  vom  Auslande  eingefiihrt 
und  in  Rus»land  gepragt  worden  sind.  Von  1826  bis  1851 
hat  man  an  Silber  und  Gold  zuaamoaen: 
gewonnen  fur  285769000  Silber*fiubel 

vom  Ausland  eingefiihrt  in  Barren 

Oder  fremden  Munzen  -    189295000 

ausgefiihrt  -      48350000 

so  dads  das  Hinzugekommene  den 

Abgang  ubersteigt  urn  426714000*')      - 

Von    diesen    wurden    zu    Miinzen 

gepragt  fiir  340000000 

Zu  Medaillen  gepragt  -        1707000 

In  Barren  ausgegeben  *      39462000 

Oder  zusammen  -    381169000 

*)  Nach'dem  1849  aosgegebenen  Reglement  for  die  Altaiscben  Hatten, 
betrogen  sSmmtlicbe  Ko8ten  for  die  Antbrlngang  tob  1  Pad  Blick- 
silber 560'  S.  R.  und  der  Wertb  dest^lben  betrs^t,  den  Golgebalt  so 
angenommen  wie  man  ibn  1846  gefnnden  hat:  1510  S«  R.   A.  d.  V. 

**)  Von  Rossischen  Miinzen  warden  in  diesen  25  labren  auagefohrt 
fur  105887000  S.  R.  ond  eingefuhrt  fur  117000000  &  R.  Dieser 
Uebersclioss  von  11113000  S.  R.  ist  aber  in  dem  obi^en  Abschlass 
nicht  mit  aafgenommen,  da  er  nor  als  eine  Rackkebr  des  in  Mheren 
Jahren  uberschiissig  aosgefiihrten  zo  beCrachten  ist.         A.  d.  V. 


Uebersicht  der  BergwerksindasCrie  in  Russland.  529 

Diese  Summe  bleibt  hinter  der  vorgenannten  deswegen 
zuracky  weil  in  dem  Petersburger  Miinzhofe  ein  bedeutendet 
Theil  der  in  einem  Jahre  gewonnenen  MeUilIe  erst  in  dem 
folgenden  verarbeitet  oder  ausgegeben  wird  *). 

Es  sind  also  inRussIand  von  1826  bis  1851  fur  340000000 
Silber*Rubel,  an  Gold  und  Silber  ausgepragt  worden.  Um 
aber  auf  die  Menge  derjenigen  IVlunzen  aus  diesen  Metallen 
zu  schliefsen,  welche  gegenwartig  daselbsl  tm  Umlauf  sind, 
hal  man  noch  das  vor  1826  gepragte  Geld,  das  vom  Aus*^ 
land  eingefiihrle  und  die  Ausfuhr  von  Mtinzen  in  Betracbt  zu 
Ziehen. 

Wahrend  des  Jahrfaunderts  welches  der  Regierung  der 
Kaiserin  Catharina  II.  vorherging,  oder  genauer  von  1664 
bis  1762  wurden  in  Russland  gepragt: 

Goidmunzen  fur  2445000  S.  R. 
Silbermunzen  fur  90535000  5.  R. 
oder  zusammen  fiir  92180000  S.  R. 
Diese    Miinzen   sind  sammtlich  bereits  ausser  Umlauf,  theils 
in  Folge  ihres  Alters,  theils  auch  weil  jelzt  ihr  innerer  Werth 
ihren  Nennwerlh  iibersliegen  haben  wiirde. 

Unter  der  Regierung  der  Kaiserin  Catharina  II.  von 
1762  bis  1796  wurden  gepragt: 

Goidmunzen  fiir  15938000  S.  R. 
Silbermunzen  fiir  70941000  S.  R. 
oder  zusammen  fur  86879000  S.  R. 
Unter  der  Regierung  Paul  I.  von  1796  bis  1801: 
Goidmunzen  fur  2169000  S.  R. 
Silbermunzen  fur  10018000  S.  R. 
oder  zusammen  fiir  12187000  S.  R. 
Die  Goidmunzen   aus  diesen  beiden  Perioden    sind  ebenfalls 
fast  vollstandig  ausser  Curs.     Von  den  Silbermunzen    findet 


*)  Wie  dieser  CmsCand  aiif  das  Resultat  einer  25jahrigen  Periode  so 
betraolitlich  wirken  kdnne,  ist  ant  nklit  klar,  da  in  solcbem  Zeit- 
raame  aller  Wahrsoheinlicbkeit  nach,  eine  Compensation  jener  einjah- 
rtgon  Diiferenzen  batte  erfolgen  miissen.  I>.  Uebers* 


530  Indoalrie  ond  HaadeU 

man  aber  die  Rubel-Stiicke  noch  jetti  lieinliGh  haiifig  und 
man  kanti  annehmen  dafs  da  von  ein  Driilkeil,  d»  ii.  gegen 
27000000  S*  R.  im  Umlauf  sind. 

(Jnler  Alexander  1.  von  1801  bis  1826  wurden  gepragi: 
Goldmiinsen  ttir  43146000  S.  R. 
Silbermiinsen  fur  110264000  S.  R. 
oder  zusammen  fiir  153410000  S.  R. 
Die  Halben-Imperiaie  aus  dieser  Regierung  koinmen  noch  so 
haufig  vor,  dafs  man  mehr  als  ein  Viertel  derselben  als  noch 
vorbanden  belrachlen  kann,  d.  h.  tur  11000000  S.  R.  Gold- 
miinzen  aus  den  genannlen  Jahren  und  ebenso   von  den  Sil- 
bermiinzen  aus  denselben  eiwa  ein  Drillel,  d.  h.  fiir  37000000 
Si]ber  Rubel. 

Von  dem  unler  der  gegenwarligen  Regierung  gepr$glen 
Gelde  diirften  theils  in  Folge  seines  Alters,  theils  als  Sold  fiir 
Russische  Truppen  im  Auslande*)  etwa  ein  DriUel  der  Gold- 
miinzen  oder  fQr  750000007  S.  R.  und  ein  Secbstel  der  Sil- 
bermiinsen, d,  h.  fiir  14000000  S.  R.  in  Abzug  zu  bringen 
sein  —  und  man  hat  somit  endlich  als  Gesammtmasse  des 
Rus^ischen  (Gold-  und  Silber-)  Geldes  im  Anfang  des  Jahres 
1851  anzunehmen: 

Goldmiinzen  fur  190000000  S.  R. 
Silbermunzen  fur  136000000  S.  R. 
oder  zusammen  fur  326000000  S.  R. 
Von  diesen  sind  in  der  Bank  der  Statsschuldscheine  fiir 
nicht  voll  IQOOOOOOO  S.  R.  niedergelegt  **).     Es  mussen  da- 
her  fiir  mehr  226000000  S.  R.  im  Umlauf  sein.   Diese  Summe 
scheint  allerdings  bed^ulend.      Bei  der  grofsen  Ausdehnung 
des  Reiches   und  dem   alten    Volksgebrauch,    Geld  zu   ver- 
sleeken  und  sogar  zu  vergraben,  ist  sie  aber  minder  wahr- 
nebmbar  als  man  glauben  sollle. 


*)  Dieser  Poaten  ist  unter  dem  Nachweiss  der  Ausfnhr  voo  Grold  uid 

SUber  nicht  mit  aufgenommen.  Anm.  d.  Vert 

**)  Bin  Theil  der  bei  dieser  Bank  deponirt«n  Werthe    bestebt  bekannt- 

lieh  in  Gold-  and  Silberbarren.  Anm.  d.  V«r£ 


Uebersicht  der  Eergwerk^indiisCrie  in  Rassland.  ^l 

An  aualandi9cheii  Manzen  warden  von  1826  bis  1851 
nach  Russland  eingeluhrt  fur    104436000  S.  R. 
aus  —      '  ausgefuhrl  ftir    22751000  S.  R. 

und  es  blieben  somii  daselbsl  fur      81685000  S.  R. 

Dieser  betrachtliche  Ueberschuss  der -eingefiihrten  Miin- 
zen  iiber  die  ausgefuhrlai,  isi  um  so  bemerkenswerther^  da 
er  auch  wahrend  der  lelzten  zwei  Jahre  nicht  abnahm,  wo 
doch  die  Nachfrage  nach  Russischem  Golde  und  Silber  so 
slark  war,  dafs  die  Regierung  die  Ausfuhr  Russischer  Miin* 
z>ea  eine  Zeitlang  heiutnle«  Sie  wurde  erst  im  November  1849 
wieder  fm  gegeben.  Ein  betrachliicher  Theil  der  auslandi- 
scben  Miinien  wird  tibrigens  zu  Barren  geschmolzen^  theils 
fiir  den  Handel,  iheiU  zur  Umpragung  oder  anderweiligen 
Verarbeiiung  *),  Man  kann  demnach  nicht  niehr  als  ein  Vier- 
lei  oder  for  20000000  S.  R.  vpn  diesem  Zuwaehs  als  in  Urn- 
lauf  gelrelen  andehmeni  und  es  isi  somit  endlich  der  Ge^ 
saodoitwerih  der  zu  Anfang  des  J^res  1851  in  Russland  yor- 
handenen  Gold-  und  ^ilbermunzeB  auf  346000000  S.  R.  zu 
veraoschlagejs. 

P  latin  a  findet  9ich  in  Russland  in  Schuttlagern  die  theils 
auch  Gold  fiihren,  theils  den  GoldseiCen  nahe  liegen.  Als  Be- 
gleitid*  desGoldes  konimt  es,  jedoch  in  geringen  Mengen,  in 
vielen  Uralischen  und  ^ibirischen  Seifen  vor.  In  betrachlii- 
cher Menge  wird  es  dagegen  aus  den  eigenllichen  Platinsei- 
fen  am  Ndrdlichen  Ural  und  namentlich  in  den  Tagikker  und 
dem  angrauzenden  Hiittendistrikt  gefordert  ^*).     Wahrend  das 

*)  Gold-  und  Silberwaaren  werden  theits  aas  alten  Brucbstucken  nach 
deren  Umschmelzung  in  dem  Probirhofe,  theils  aus  Barren  angefer-* 
tigt.  —  Nach  dem  Berioht  des  Probirhofes  fur  1846  wurden  ^aselbst 
geschmolzen  43  Pnd  Gold  and  2489  Pud  Silber  qnd  an  Waaren  ga* 
stempelt  12^  Pud  Gold  und  2726  Pud  Silber.  Dieses  Gewicht  be- 
zieht  sich  auf  yerschiedene  Legirungen.  Nach  Reduktion  desselben 
auf  die  Bestandthcile  erhalt  man  aber  56  Pud  reines  Gold  und  250 
Pud  reines  Silber  oder  zusammen  fur  1  Million  Silber- Rubel,  die 
wahrend  eines  Jahres  (1846)  zu  den  im  Probirhofe  dargestellten  Bar- 
ren Terwendet  wurden.  Anm.  d.  V^rf. 

♦♦)  Vergl.  in  d.  Arch.  Bd.  H.  S.  744,  111.  S.  139.  D.  Uebers. 


532  Industrie  and  Handel. 

Gold  vorzugsweise  an  der  Ostseile  des  Ural  vorkomtnl}  Gndet 
sich  das  Platin  fast  ausschliefslich  an  der  WesUichen. 

Seit  1824,  d.  b.  seit  der  Entdeckung  dieses  Metalles    in 
Russlandy  sind  bis  1851  am  Ural  gefSrderl  worden: 

2061,7  Pud  robes  Platin 
und  davon  1990  Pud  in  dem  Bezirk  der  Nijne-Tagiler 
Hiitten  32  Pud  in  dem   Bezirk   der  GoroUago- 

daterHutten,  und  die  iibrigen  39,7  Pud  aus  UraKschen  Gold* 
seifen. 

Der  Nj/ne-Tagiler  Platinsehutt  ist  der  reichste  von  alien 
bis  jelzt  bekannten.  Im  Jabre  1829  hat  er  91  Pad  Plalin 
geliefert  und  dabei  einen  durchschnitllichen  Gehalt  von  -gVoir 
seines  Gewiebtes  an  diesem  Metalle  geseigt.  In  den  folgeti- 
den  Jabren  verminderte  sieb  zwar  dieser  Gebalt  fortwabrend, 
aber  die  jabrliche  Ausbeute  belief  sich  auf  100  und  sogar  200 
Pud,  bis  dafs  im  Jabre  1845  die  Annabme  des  Platin  in  dem 
Pelersburger  Miinzbofe  aufborte  und  die  vorbandenen  Mun- 
zen  aus  diesem  Metalle  aus  dem  Verkebr  gezogen  wurden. 
Diese  Mafsregel  veranlassle  die  Tagilsker  Besitzer,  die  Platin- 
wascbe  ganz  aufzugeben,  obgleicb  ibre  Lager  nocb  eine  be* 
trSebtlicbe  Quantilat  dieses  Metalles  entbalten. 

Kupfererze  sind  in  Russland  h^ufig.  Der  Ural  ist  reich 
an  dergleicben:  die  gr^fsten  Vorralbe  davon  liegen  aber  in 
den  entfernteren  Tbeilen  von  Sibirien,  wo  sie  iibrigens  noch 
wenig  benulzt  werden.  In  friiberen  Zeiten  wurde  in  dem 
Olonezer  Gouvernemenl  auf  Kupfer  gebaut.  Das  dortige 
Vorkommen  bestand  aber  in  Nestern  und  ist,  weil  es  nicbt 
ausgedebnt  schien,  scbon  lang&t  aufgegeben. 

In  den  an  den  Ural  grSnzenden  Gouvernements   baben 

die  Kupfererze  an  der  Westseite  und  die  an  der  Ostseite  des 

Gebirges,  einen  durcbaus  versebiednen  Cbarakter*).     An  der 

.  Westseite   in    den   Gouvernements   von    Wjatka,   Perm   und 

Orenburg,   sind    viele  Qegenden   ausserst    reicb  an  sandigen 


*)  Vergl.  iiber  dieses  VerhaUniss  a,  a.  Ennan  Reise  n.  s.  w.   HMtorbcbe 
Pericfat  Bd.  I.  S.  351,  D.  Ueber», 


Uebersicht  der  Bergwerksindustrie  in  Rossland.  533 

Kupfererzen ,  die  schwach  fallende  Schichten  von  meislens  2 
bis  28  Zoli  und  in  seltenen  Fallen  bis  %u  84  Zoll  Machtigkeit 
bilden;  auf  der  Osiseite  findet  sich  dagegen  das  Kupfer  mei- 
stens  auf  Gangen,  unier  denen  jelzt  die  reichste  Ausbeute 
liefern  der  Gumeschewer  in  dem  Hiiltenbezirk  von  Syserisk, 
die  Turinsker  in  dem  Bezirke  von  BogoAlowsk,  und  der  Rud- 
jansker  in  dem  von  Tagil.  In  den  Gruben  die  auf  den  letzle-* 
ren  bauen,  ist  unter  andern  eine  ungeheure  Malachitmasse  von 
elwa  30000  Pud  vorgekommen.  Nach  einem  DurchschniU 
fiir  das  bis  1848  reichende  Decepnium  baben  die  Uralischen 
Hulien  jiihrlich  gegen  250000  Pud  Kupfer  gelieferl  und  zwar 
je  zur  Halfle  die  wesllich  vom  Ural  gelegenen,  und  die  der 
Ost^Seite  des  Gebirges.  Seil  1848  hat  aber  diese  Produktion 
ausserordentlich  zugenommen,  so  dais  am  Ural  ausgebrachi 
wurden : 

1848:  292000  Pud  Kupfer 

1849:  323000     - 

und  1850:  338000     - 

Es  war  vorziiglich  eine  betrachtlicbe  Vermehrung  des  Belrie- 
bes  der  zu  den  Tagiler  Hiitlen  gehorigen  Rudjansker  Gruben, 
welche  diesen  Zuwachs  veranlasste,  denn  in  Folge  derselben 
haben  jene  Hiilten  die  vor  1848  jahrlich  nur  elwa  60000  Pud 
Kupfer  ausbrachten,  im  Jahre  1849  gegen  170000  Pud  produ- 
zirt.  Es  wird  sich  spiiter  zeigen  ob  ein  so  gesteigerier  Be- 
irieb  den  Regeln  der  Bergwerks5konomie  enisprichl. 

An  derWestseite  des  Ural^  wo  die  Kupfererze  fast  durch- 
aus  schwefelfrei  sind,  wird  ein  ausserst  reines  und  debnbares 
Kupfer  gewonnen^  welches  im  Auslande,  wohin  man  es  absetzt, 
zur  Anfertigung  von  Bronce,  Tombak  und  Messing  dieni. 
In  dem  Altaischen  Hiittenbezirk  werden  jahrlich  gegen 
18000  Pud  Kupfer  ausgeschmolzen,  d.  h.  eine  gegen  den  dor- 
tigen  Reichthum  an  Kupfer -Erzen,  hdchst  unbetrachtliche 
Quaniitat.  Sie  ist  aber  durch  den  in  der  Umgegend  stattfin- 
denden  Mangel  an  Absatz  beschrankt,  denn  seitdem  die  <Susu- 
ner  Munze  eingegangen  ist,  die  Altaisches  Kupfer  verarbeitele, 
wird  dasselbe  nur  zum  Verkauf  an  Private  ausgebracht. 


534  Industrie  and  Bandel. 

Bei  Alsehinsk  in  dem  Jeni^eisker  Gouvernemeni^  in  4em 
N^rtsdhiasker  Hullenbezirk  und  in  einigeo  anderen  Gegeaden 
von  <Sibiirien,  ^ebi  es  viele  anseholiche  Anbrilche'vonKiupfer- 
ersen  Oder  Schurfe  auf  dergleichen,  die  aber  weder  in  Angriff 
genommen,  noch  griindlich  untersucht  sind* 

Die  Vorberge  des  unleren  Kaukasus,  die  sich  von    dcin 
ostlichen  Ufer  des  Goktschai-Sees  in  das  Paschalyk  von  Karsk 
erstrecken,  'sind   ebenfalls   reich,  an   Knpfeierzen.     Auch   sind 
dergleichen  in  jener  Gegend  schon  seit  den  altesten  Zeiten 
verschmolzen  worden.    Alte  Baue  und  ungeheure  Schlacken- 
halden  beweisen,  dafs  diese  Produktion  ehemals  belraehtlich 
gewesen  ist.    Seit  der  zu  Anfang  dieses  JahrhunderU  erfolg- 
ten  Wiederaufnahme  derselben,   ist   sie   in  zwei  Hiitten,   der 
Aljwerder  und  der  Schambluger,  betrieben  worden,  hat  aber 
nicht  liber  5000  Pud  Kupfer  jahrlich    und    sogar    1846    nur 
noch  3400  Pud  betragen.     In  neuster  Zeit  sind  in  Transkau- 
kasien  5  Kupferhiitten  neu  eingerichtet  worden  und  zwar  fiir 
den  Anfang  auf  6000  Pud  jahrlich  (doch   wohl  fiir  jede  van 
ihnen?  d.  Uebeis.)      Diese  Hiitten  liegen  in  dem  Bamoaker 
Distrikt,  in  dem  Kreise  von  Neu-Bajaset  und  in  Karabaclu 
Ihr  Ausbringen  ist  noch  gering,  aber  die  Erzvorkommen  die 
sie  benutzen,  sind  ergiebig. 

In  Russland  iiberhaupl  wurden  nach  einem  DurchschniU 
fiir  die  zehn  lelzten  Jahie,  gegen  286000  Pud  Kupfer  jahrlich 
gewonnen. 

1849  wurden  aber  340000  Pud 
und  1850         -        -     400000  Pud 
dieses  Metalles  ausgeschmolzen,  in  Folge  der  oben  erwahnten 
Verslarkung  des  Tagilsker  Betriebes. 

Ein  gegen  31000  Pud  betragender  Theii  des  Uraiischen 
Kupfer  wird  in  der  Jekatrinburger  Munze  gepriigt,  der  grofsle 
Theil  desselben  aber  ins  Ausland  verkauft.  —  Diese  Aus- 
fiihr  hat  leider  betriichllich  abgenommen,  indem  sie  durch- 
schnililich  fiir  je  ein  Jahr  betragen  hat: 


I 

A 
1 


1 


i 

1 

4 

i 

4 

i 

i 

4 


•  d 


I    , 


Uebersicht  der  Bergwerksindastiie  in  Russland.  535 

zwiscben  1820  und  1630  229000  Pud 
—       1830    .     1840  192500    - 
und  —       1840    -     1850    90500    - 

Die  Englische  Concurrenz  ist  vorzuglich  Schuld  an  die- 
ser  Abnahme.  Man  ersieht  tlieses  aus  den  Berichten  fiber  die 
Einfuhr  in  Frankreich,  wo  der  Bedarf  an  fremdem  Kupfer 
von  jeher  am  belrachtlichsten  gewesen  ist.  Es  sind  nun  da- 
selbst  von  diesein  Metalle  durchschnittlich  in  je  einem  Jabre 
eingefuhri  worden: 

von  1821  bis  1825    von  1841  bis  1845 
aus  Russland  181000  Pud  26500  Pud 

aus  England  9000    -  408500    - 

aus  andern  Landern  zu- 

sammen  98000    -  125000    - 

zusammen   '      288000    -  560000     - 

Es  ist  die  Anwendung  der  Sleinkoble  welcbe  in  England 
diese  ungebeuere  Sleigerung  der  Kupferproduktion  zugleich 
mil  einer  abnlieben  Zunabme  des  Eisenbetriebes  bewirkt  hal. 
An  Kocbsalz  ist  Russland  ausserordenllieh  reieb,  uhd 
es  wird  daselbst  dergleicben  theils  als  Sleinsalz  gewonnen, 
Iheils  als  sogenanntes  Niederscblagsalz  (samajadotschnji  sol) 
aus  Seen,  theils  endlich  durch  Coctur  aus  Soolen. 

Von  den  Russischen  Steinsalzvorkommen  wurden 
bearbeitei: 

1)  das  von  Uezk  bei  Orenburg, 

2)  das  Kulpiner  am  Fufse  des  Ararat  und 

3)  das   von  Nachitscbewan  in    dem  Gouveniement  von 
Eriwan. 

Die  beiden  ersten  sind  besonders  reicb  und  es  enthalt 
namentlich  von  dem  Ilezker,  der  durch  Versuchsarbeiten  be- 
kannte  Theil  74000000000  Pud  Salz.  Diesem  ungeheuren  In- 
bait  entspriebt  aber  die  Ausbeute  keinesweges,  denn 
wegen  der  Entlegenheit  jenes  Vorkommens  und  der  Trans- 
portschwierigkeilen,  hat  die  letzte  nach  einem  Durchschnitt 
fur  die  letzten  10  Jabre  nur  gegen  1750000  Pud  jahrlich 
betragen. 


536  Industrie  and  Handel. 

Salzabseliende  Seen  giebt  es  vorziiglich  in  den  Gouver- 
nements  von  Tawris,  Stawropol,  Aslrachan^  Orenburg,  Sche- 
macha,  in  alien  Sibirischen,  sa  wie  auch  in  Bessarabien  und 
in  den  LMndern  der  Donischen,  der  Tscbemomorisehen  und 
der  Uralischen  Kosaken.  Am  ergiebigsten  sind  die  Seen  in 
der  Krym,  in  Bessarabien  und  der  Eltoner  in  dem  Asiracha- 
ner  Gouvernement.  Die  Grofse  der  Produklion  andert  sich 
je  nach  den  Vorrathen  und  nach  dem  Gerathen  des  Salzes, 
dessen  Absetzung  bisweilen  in  mehreren  Seen  (derselben  Ge- 
gend)  wegen  regnerischen  Welters,  einige  Jahre  hintereinander 
ausbleibt. 

So  sind  z.  B.  aus  den  Krymschen  Seen 
1844  nur    3118400  Pud  Sals 
und  1845    -    34256000    - 
gewonnen  worden.    Aus  den  Bessarabischen  dagegen 
1844  8307000  Pud  Salz 

und  1849  weniger  als  1200000    -      - 
Nach  einem  Durchschniit  fiir  das  letste  Jahrzehnl  belragt  die 
jahrlicbe  Ausbeuie  aus  den  Salzabsetzenden  Seen  in  RussJand 
20500000  Pud. 

Die  Russisehe  Salzcoclur  ist  seii  sehr  alien  Zeilen  in  Auf- 
nahme.  Es  wird  bei  derselben  iiberall  mil  Holz  gefeuert,  mil 
Ausnahme  der  Siedereien  des  Charkower  Gouvernements, 
welche  Steinkohle  verwenden.  Die  versollenen  Losungen 
sind  fast  iiberall  unierirdische  Solen,  doch  wird  auch  durch 
den  Frost  concentrirtes  Meerwasser  im  Archangeler  Gouver- 
nement'^)  verarbeilet, 

Obgleich  diese  Salzsiedereien  in  neun  verschiedenen  Gou- 
vernements  liegen,.  so  sind  doch  die  Permischen  die  bedeu- 
tendsten,  'jndem  sie  zwei  Drittel  der  Gesammlproduktion  lie- 
fern,  d;  h.  nach  einem  lOjahrigen  Durchschniit  7850000  Pud 
jiihrlich,  von  denen  etwa  2500000  auf  die  Krons- Siedereien 
und  das  ubrige  auf  die  Privaten  kommen. 


')  Und  bei  Ochozk.  D.  Uebers. 


Uebersiclit  der  Bergwerkaimlustrie  in  Riissland.  537 

Die  gesammle  Salzproduktion  in  Russland  erleidet  be- 
trachlliche  Schwaiikungen,  in  Folge  ihrer  ervvahnlen  Abhan- 
gigkeit  von  der  Enlwicklung  des  Niederschlags  in  den  Seen  — 
man  muss  daher  einer  annahemden  Bestimmung  des  MiUel- 
'werlhes  derselben,  eine  betrachtliche  Anzabl  Jahre  zu  Gninde 

iegen. 

Wahrend  eines  20jahrigen  Zeitraumes  von  1819  bis  1839 
betnig  nun  die  inilllere  jalirliche  Ausbeut'e  an  den  verscliie- 
nen  Saizarlen: 

Pude 

In  den  Siedereien    Steins.  Niederschlags.  Oocturs.    zusammen 

der  Regierung        953800      12160900        1580200    14694900 

der  Privaien  —  403111       ^6480326      5883437 

zusammen  953800      12564011        7060526    20578337 

* 

Es  sind  hierunter  nichi  rail  begriffen  die  Seen  des  Gou- 
vernement  von  Schemacha,  dieseii  1835  von  Pachtern  aus- 
gebeutet  werden>  und  die  der  Kosakenlander.  Zusammen 
diirflen  diese  Seen  etwa  noch  900000  Pud  jahrlich  produzi- 
ren  und  somit  die  jahrliche  Salzprodukiion  in  Russland  im 
Mitlel  aus  den  Ertragen  von  1819  bis  1839  auf  21500000 
Pude  zu  veranschlagen  sein. 

Seit  dem  zulettl  genannten  Jahre  hal  aber  die  Russische 
Salzproduktion  bedeulend  zugenommen^  indem  sie  im  MiUel 
fiir  10  Jahr  zwischen  1840  und  1850  an  den  drei  genannten 
Salzarten  30100000  Pud  betragt.  Zu  dieser  eignen  Produktion 
kommt  noch  eine  Einfuhr  von  fremdem  Salze,  die  durch- 
schniltlich  4800000  Pud  betragt,  und  die  Sumrae  des  jlibrlich 
verwendbaren  Salzes  erhebt  sich  daher  auf  elwa  35000000  Pud. 
Der  wirkliche  Verbrauch  erreicht  aber  nicht  diese  Granze. 
Urn  denseiben  wenigstens  in  angenaherter  Weise  zu  bestim* 
men,  hat  man  sowoM  das  verkaufte  Salz,  als  das  kostenfrei 
verlheille  zu  beriicksichtigen.  Zu  dem  ersteren  gehorl  alles 
auslandische,  indem  dessen  Einfuhr  grade  des  leichteren  Ab- 
satzes  wegen  erfolgl.  Von  1840  bis  1850  sind  von  derglei- 
chen  Salz  48300000  Pud  eingefuhrt  worden,  und  zwar  in  sehr 
nahe  gleichen  Quantitaten  wahrend  der  erslen  und  wShrend 


538  iBdwtrie  aad  Haii<lel. 

der  Eweilen  Hiilfke  dieses  Decennium.  Man  kai  demnach  den 
jahrlichen  Verbrauch  an  auslandischeiii  Salse  in  Rossbnd  auf 
4&30000  Pud  zu  veranschlagen. 

Das  £um  Verkauf  kommende  Sala  von  inlandisdier  Eui- 
slehang,  gehdrt  theils  Privaten,  theils  der  Regierang.    Wah- 
rend  der  letzten  zehn  Jahre  belnig  die  Quanlilat,  die  man 
den  ersteren  zu  verkaufen  erlaobte,  zusammen  9600000  Pud, 
von  denen  4600000  auf  die  ersle  und  5000000  auf  die  zweite 
Halfle  dieses  Zeilraumes  kamen,  so  dais  der  miUlere  Ijah- 
rige  Betrag  dieses   Absaizes  960000  Pud  betragt     Der  von 
der  Regierung  ausgehende  Salzverkauf  unterbegi  weit  gros- 
seren  Fiuciuationen,  als  der  eben  genannte.  Grade  wenn  der 
Absalz  in  den  Seen  geriag  ausfalll  oder  die  Regierung  eine 
zu  gro(se  Veroiinderung  ihrer  Salzvorrathe  zu  befiirchlen  hat, 
wird  dieser  Verkauf  bisweilen   beirachitich  v^erslarkt.     So 
z.  B.  im  Jahre  1839,  wo  die  Regierung  nur  15900000  Pud 
Saiz  fabrizirt  hatle,  verkauRe  dieselbe  29400000  Pud,  wahreod 
1846  wo  man  die  Produktion  in  den  Salzwerken  der  Regie- 
rung  bis  auf  47700000  Pud  gesteigert   hatle,   nur  34100000 
Pud  davon  abgesetzl  warden.     Wahrend  des  Jelzlen  Decen- 
nium  hat  jdie  Regierung  uberhaupi  247500000  Pud  Salz  ver- 
kauR  und   zwar   122250000  Pud   wahrend  der  erslen,  und 
125250000  Pud  in  der  zweilen  Halfle  dieses  Zeiirauma.    Der 
Mittelwerlh  des  jShrlichen  Verkaufs  beArug  denmacb  24750000 
Pud*    Nimmt  man  aber  zur  Biidung  desselben  auch  das  Jahr 
1829  hinzu,  wo  jener  Absalz  bis  iiber  29  Millionen  wuchs  *), 
so  betragt  der  Miltel worth  25170000  Pud. 

Es  kommt  endiich  hierzu  noch  das  Salz,  das  ,die  Re- 
gierung kostenfrei  verlheilt,  und  zu  welchem  qnter  an- 
deren  das  in  den  Kosakenlandern  verbleibende,  und  unler  der 
genannten  Summe  des  von  der  Regierung  verkauften  Salzes 
nicht  mil  begriffene,  gehdrt 

Man  erball  demnaeh  den  Betrag 


*)  Er  mnifl  29870000  Pdd  bMragen  habei^.  D.  Uebers. 


Uebersicht  der  Bergwerkslndustri(^  in  Rnssland.  '539 

des  jShrlichen  Verkaufs  von  ausliindischem  Saize  4830000  Pud 
des  jcihrlichen  Verkaufs  von  inland.  Saixe  durch 

Private  960000    - 

des  jahrlichen  Verkaufs  von  inland.  SaIze  durch 

die  Regierung  25170000    - 

der  Salz-Verlheilung  durch  die  Regierung  1000000    > 

zusammen  31960000  Pud 

Oder  nahe  genug  32  Millionen  Pud. 
Der  Unterschied  dieser  Sumtne  von  den  oben  fiir  die  Menge 
des  produzirlen  und  eingefuhrlen  SaJzes  erhallenen  35  Millio- 
r>en  Pud,  entsteht  durch  den  Verbrauch  zur  fortwahrenden 
Verstarkung  derVorrathe  der  Regierung.  Diese  beliefen  sich 
1839  auf  37700000  Pud  und  zu  Anfang  1851  auf  nahe  an 
69000000  Pud  Salz,  so  dab  sie*  jahrlicfa  in  Durchschniil  urn 
2600000  Pud  gewachsen  waren. 

Es  bleibt  jetzt  schliefslich  der  Russische  Sieinkohlen- 
bergbau  zu  erwahnen,   der  nichi  sowohl  in  seiner  gegen- 
wartigen,   hochst  beschrankten  Geslalt^   als  vielmehr  \vegen 
der  Ausdehnung  wichtig  ist,  die  er  dereinst  erlangen  kann. 
Obgleich  bekannllich  Steinkohlen  in  dreierlei  Formalionen,  dem 
Steinkohlengebirge,  den  Permschen  Schichten  und  del*  Jura- 
formation  vorkominen,  so  finden  sich  doch  in  der  erslern  die 
machiigslen  und  wicfatigsten  Ablagerungen  derselben.   In  Grofs- 
briitanien,  Frankreich,  Belgien  und  Deutschland  zerfallt  das 
Kohlengebirge  in  zwei  Ablheilungen,  eine  untere  mSchtigere, 
die  aus  Sandsleinen,  Thonscbiefern  und  besonders  aus  aus* 
serordentlich  starken  Kalkbildungen  besteht,  und  der  oberen 
in   der  die  Kalkscbichten  seliener  sind^   und  dagegen  Sand- 
steine,    Thonschiefer  und   Schieferlhone   vorherrschen.     Die 
uniere  Abiheilung)  die  man  die  Bergkalk-  oder  Kohlenkalk- 
Formation  zu  nennen  pflegt,  isi  ausserordendich  ausgedehntf 
enthait  aber,  nach  den  Erfahrungen  im  westlichen  Earopa^  ge* 
ringere    Mengen    brennbarer    Subtstanzen.      Die   obere   oder 
eigentlich  so  genannte  Kofalenformation  (coal  measures,  lerraio 
houiiler),  ist  nicht  ganz  so  ausgedehnt  wie  die  ehen  genanoie^ 
aber  weit  Kohlenreicher.     Im  Europaisch^  Russland  nimmt 


540  Industrie  unci  Handel. 

« 

die  Sleinkohlenformalion  eine  ungeheaere  Oberfifiche  ein,  die 
voai  Weissen  Meer  bis  nacli  Kaluga  und  Tula  reichU  Sie 
besteht  bauptsachlich  aus  Kalken,  die  mil  Sandateinschichten, 
mil  verhartetem  Thone  und  Mergeln  wecbsellagern  und  die 
Bergkalkformation  oder  unlere  Abtheilung  des  Kohlengebirges 
reprasentiren. 

Nordlich  von  den  VValdaischen  Bergen  in  der  nacb  dein 
Weissen  Meere  und  zu  den  Fliissen  Pinega  und  Mesenj  rei- 
cbenden  Fortsetzung  dieser  Formation  ^  sind  noch  keine  Koh- 
len  gefunden  worden,  auch  scheint  dieselbe  dorl  weniger  enl- 
wickelt  wie  in  den  Provinzen    des  MiUleren  Russiand.      Im 
Nowgoroder  Gouvernement  kennt  man  Kohlenschichten   an 
einigen  Stellen  der  Waldaischen  HShen.   Die  eine  derselben  — 
in  dem  Borowizer  Kreise  an  dem  Bache  Prykscha,  der  in  die 
Bjelaja  und  mil  dieser  in  den  Msta  mtindet  —  isi  gegen  4,7 
Engl.  F.  machlig.    Man  hat  sie  einigermafsen  unlersuchi  und 
die  Kohle  zwar   ziemlieh  locker  (rychiy)  und  kiesig,  aber 
doch  zur  Verwendung  in  Dampfmaschinen  geeignet  gefunden. 

In  den  zur  Umgebung  von  Moskau  gehorigen  Gouverne- 
ments,  ist  das  Vorkommen  der  Steinkohle  ebenfalb  ziemlieh 
unbeslandig.     Der  Bergkalk  der  Gouvernemenls   von  Twer, 
Moskau,  Tula,  Smolensk,  Kjasan  und  Kaluga,  fiilll  ein  grebes 
Becken,  in  dem  bisjetzi  gegen  100  Kohlenvorkommen  bekannt 
sind.    Schurfarbeiten  mit  denen  aber  noch  nicht  iiber  20  5a- 
jen  (140  E.  F.)  durcl»unken  wurden,  haben  geseigt,  dafs  die 
meisten  Kohlenlager  jenes  Moskauer  Landes  zwiscfaen  7  und 
14  Engl.  ZoU  machtig  sind,  dafs  sie  aber  in  einzeinen  Fallen 
auch  60  bis  70  ZoU  Dicke  erreichen.     Die  Kohle  selbst  isl 
der  Braunkohie  ahnlichi  kann  aber  xa  vtelen  Zwecken  das 
Brennholz  ersetzen.    Die  Regierung  hat  mehreremale  Unier- 
suchungen  der  Vorkommen  in  diesem  Becken  ver^nstaltet*), 
auch  sind  dieselben  an  verschiedenen  Stellen  in  Angriff  ge* 
nommen  worden,  die  Kohlen  fanden  aber  nur  wenig  Absatz, 
weil  man  in  jener  Gegend  mit  fossilem  Brennmaterial  nicht 
umzugehen  wusste  und  weil  sich  die  FabrikbesitsKcr  su  dem    i 

•)  Vergl.  in  d.  Arch.  Bd.  IV.  S.  435. 


Uebersicht  der  Bergwerksfndnstrie  in  Rnsiland.  54} 

sie  liber  das  Anhalten  der  Kohlenfdrderung  und  (Iber  die 
Wohlfeilheit  des  neueti  Brennmaierials  im  Vergleich  mil  Holz 
und  Torf  gesichert  waren. 

An  der  Wesi-Seite  des  Ural  hat  man  an  verschiedenen 
Stelien  Kohlen  in  dem  Kohlensandstein  gefunden,  welcher  da- 
selbst  den  Fufs  des  Gebirges  aufmachi,  so  z.  B.  in  den  Hiit- 
tendislrikien  der  Herren  W^ewolojsi^ji  und  Lasarew  am 
linken  Ufer  der  Kama  und  an  der  Tschusowaja.  Dieses  Vor- 
kominen  ist  aber  noch  nicht  gehdrig  untersucht. 

Am  Ostabhange  des  Ural  i^ennt  man  Kohlen  bei  der  Ka- 
mensker  Hiitle,  90  Werst  von  Jekatrinburg  und  hat  Versuchs- 
arbeiten  auf  dieselben  angefangen. 

In  iffibirien  isi  die  Kohlenformation  ausserordentlich  ver- 
breitet  und  enthalt  wahrscheinlich  einen  ungeheuren  Vorralh 
von  brennbaren  Stoffen.  In  dem  sogenannlen  Salairsker  Ge- 
birge,  welches  zwisehen  den  Fliissen  Tschumysch  und  Inja, 
zweien  Zufliissen  des  Obj,  einen  nordlichen  Auslaufer  des 
Altai  bildet,  hat  man  dieselbe  in  seltener  Entwickelung  ge« 
funden. 

Das  zwisehen  dem  Salairsker  Bergzuge  und  dem  Alatau 
oder  dem  Toniskisch*Jeni«eitfkischen  Gebirge  gelegene  Koh- 
lenbecken  ist  eines  der  grofsartigsten  auf  der  Erde.  Es  be- 
ginnt  bei  der  Abzweigung  dieser  beiden  Bergzuge  vom  Altai- 
schen  Hauptgebirge  und  begleitet  dieselben  bis  zu  derNord- 
8ibirischen  Ebne,  wo  sie  unter  Angeschwemmtem  verschwindet 
An  den  Ufern  des  Tom^  der  Inja  und  in  den  Thalem  der 
Mrasa  und  des  unteren  und  oberen  Ter«,  die  in  den  Tom 
miinden,  haben  die  Kohleniager  mehrere  Fufs  Machligkeit,  und 
zwisehen  der  Tomsker,  der  Gawriiower  und  der  Gurjewer 
Hiitte  bei  den  Dorfern  Aphon  und  Beresow,  sind  zu  Tage 
ausgehende  Schichten  einigermafsen  untersucht  worden  und 
haben  sehr  gule  Kohle  gelieferl. 

Auch  im  Siidostlichen  iSibirien  scheint  die  Sleinkohlenfor- 
mation  betrachtlich  verbreitet.  Bei  Irkuzk  geht  sie  an  vielen 
Stelien  kenntlich  zu  Tage^  und  70  Wersi  unterhalb  der  k- 
kuzker  Salzsiederei,   die  an    der   grofsen  5ibirischen  Stralse 

ErmaDB  Ross.  Archiv.  Bd.  XI.  H.  4.  36 


542  Indatftrle  viid  HatideL 

liegi,  hai  man  in  der  Baldnisker  Scbluchl  ein  9  FuCs  siarkes 
Kohlenlager  aufgeschiossen*  Auch  jenseite  dea  Baikal  sieht 
man  am  linken  Ufer  der  Selenga  oberhalb  Werchneudinsk  und 
bei  Seienginsk  das  Kohlengebirge  mil  deutlicben  Kohlenlagern. 
Im  Nertschinsker  Kreise  an  der  Scbilka  und  besonders  am 
Argun  I  haben  einige  dergleielien  eine  Ausdehnung  von  mehr 
ak  drei  Werst,  doch  ist  noch  keines  der  dortigen  Vorkommen 
geniSgend  uniersucht 

In  Folge  der  Enllegenheit,  der  schwachen  Bevolkerung 
und  de$  Ueberflusses  an  Waldungen,  werden  in  Sibirien  die 
mineralischen  Reichlhiimer  wohl  noch.  bis  zu  einer  spaten  Zu- 
kunft  unbenutzt  bleiben. 

Ganz  anders  verhallen  sich  aber  in  dieser  Beaiehung  die 
Meoschenreicheren  Siid-Russischen  Lander  und  bedonders  die 
sogenannten  Neu-Russischen  Provinzen.  In  dieaen  besiUi  die 
zwischen  dem  Don  und  dem  Dnjepr  iSngs  dea  Donez  gele- 
gene  Gegend  eine  schneil  wachsende  Bevolkerung,  der  es  je 
mehr  und  mehr  an  Brennmaterial  zu  fehlen  anfingt,  wahrend 
daneben  die  ergiebigsten  Sleinkohlen  vorkommen,  die  im  Euro^ 
paischen  Russland  bekannt  sind.  Man  nennt  diese  die  Done- 
zer  Kohlenformation.  Sie  nimml  aber  die  Distrikte  von  Do- 
nezky  Miuaak,  Tscherka^k,  so  wie  einen  Theil  des  sogenannten 
ersten  DonischenKreises  des  Kosakenlandes  ein,  erstreckt 
sich  ausserdem  iiber  den  5lawjano«erbischen  und  Bachmuter 
Kreis  des  Gouvernement  von  Jekalerino^law  und  reicht  bis 
ins  Gharkower  Gouvernement ").  Fast  alle  Gesteine  dieser 
Gegenden  gehoren  zur  Kohienformatioo,  die  demnach  dort 
eine  OberMche  von  wenigstens  24000  Quadrat  werst  (nahe 
490  Quadratmeilen)  besitzt.  Ihre  westliche  Halfle  enthalt 
eigentliche  Steinkohlo  und    die   Ssthche   reinen  Anthrazit  **)• 

*)  Yergl.  in  diesem  Archive  Bd.I.  S.  264  >  298,  so  wie  iiber  die  Rus- 
sische  Kohlenformation  uberhanpt:  I.  309,  400;  II.  395,  690,  708; 
III.  139,  154;  IV.  Ill,  164,  395,  400;  V.  136,  344,  691;  VI.  280, 
345,  553;  VII.  630  n.  a.  D.  Uebeni. 

f^)  Der  Antbrazit  nnterscheidet  sich  von  der  SteinkoMe  doroh  grofsere 
Dichtiglceit,  so  wie  darch  einen  grdjsern  Gehatt  an  Kohle  und  einen 


Uebereicht  der  BergwMtinduftrie  in  Russland,  543 

In  der  MHle  dieser  Gegend  findei  man  die  brennbaren  Fossi* 
lien  oft  in  einem  Mitlelzuslande  zwischen  diesen  beiden  Exlre« 
men.  Die  bearbeiteten  Anbruche  sind  daselbsi  bereils  aus- 
sersi  xahlreich,  denn  es  giebt  allein  von.Bauen.auf  Anihrazit 
einige  Hundert  m  den  vier  siidwestlichen  Kreisen  desDo- 
nischen  Kosakenlandes,  und  unter  diesen  130  welche  KoUen- 
schichlen  von  2,5  bis  9  Fulis  Machligkeit  enlhaiien. 

In  Transkaukasien  sind  bis  jeizt  drei  Steinkoblenvorkom* 
men  bekannt.  Zunachst  das  von  Tkwibul,  50  Went  N WJich 
von  Kutais  und  60  Werst  von  der  Fahrstelle  von  Zeheni- 
Zchale  oder  Morani  am  Rion,  die  150  Werst  von  Redut-Kale 
enlfernt  ist.  Dieses  merkwiirdige  Vorkommen  gehdrt  zur 
Juraformation  und  besteht  aus  einem  System  yon  Kohlen- 
schichien,  welches  in  AUem  50  Fofs  machtig  ist  und  auf  10 
Fufs  eine  sehr  gutartige  Kohle  enthilt,  die  schmeizbare  und 
zmn  Transport  geeignete  Cokes  liefert.  Auf  den  iibrigen 
40  Fufs  bestehen  diese  Schichten  aus  weicher  Kohle,  die  zum 
Theil  schiefrig  und  nur  zum  Verbrauch  an  Ort  und  Slelle 
geeignet  isL  Zu  denselben  Jaraschicht^  gehSrt  auch  ein  awei* 
tes  Kohlenvorkommen  an  dem  obern  Laufe  des  Kuban,  2  Werst 
oberhaifo  der  Befestigungen  von  Chuoftara.  Die  Kohle  bildet 
dasetbst  ein  2,3  E.  F.  miichliges  Lager  und  wird  als  Heizmate* 
rial  fiir  Wohnraume  nach  Pjatigortk  und  Stawropol  geschafll. 
Das  drille  Vorkommen  ist  das  sogenannte  Tabastaranery  wel- 
ches 40  Werst  von  Derbent  gelegen,  aber  nocb  nicht  geho- 
rig  unlersucht  ist.    Die  Nahe  von  Derbent  und  die  Nachbar- 


geringeren  an  Saaerstoff  —   wesbalb  er  ztim  Verbrennen  einen  star-^ 
keren  Laftzotritt  erfordert,  daher  aber  aach  mehr  Wfirme  entwickelt. 

Amii.  d.  Ver£ 
Man  vergl.  die  Analysen  der  Kohlen  and  des  Antbrazites  yooi 
Donez  in  d.  Archive  Bd.  I.  S.273,  nacb  denen  ubrigens  die  erstern 
auch  mehr  Wasserstoff  enthalten  wie  der  Anthrazit,  and  wohl  darch 
diesen  weit  eher  als  durch  einen  geringen  und  wahrscheinlicb  stark 
gebnndenen  Sanerstoffgehah  brennbarer  sind,  wie  der  Anthrazit. 

D.  Uebers. 
36* 


544  Indattrie  and  Handel. 

schafk  des  Kaspischen  Meeres,  verleihen  ihm  eine  besondere 
Wichiigkeit 

In  den  Umgebongen  von  Tiflis  und  Achalzych  kennk 
man  Anzeigen  von  Braunkohlen,  deren  Bearbeiiung  fiir  jene 
Siadte,  in  denen  das  Holz  sehr  theuer  ist,  von  Bedeiitung 
werden  kSnnie. 

An  Torf  isiRussland  sehr  reich.  Man  versteht  aber  des- 
sen  Benutzung  nur  in  Kurland,  Liefland  und  E&lland,  id  dem 
Moskaucr.Gouvernement,  so  wie  auch  in  geringem  Mafse  in 
dem  von  Witebsk  mid  in  der  Umgegend  von  Petersburg.  Am 
Kauka^us  wird  bei  Strawropol  und  auf  den  Hohen  des  Tur- 
tschidag  einiger  Torf  gestochen  und  in  Daghestan  von  den 
Russischen  Soldaien  benutat 

Ein  regelmafsiger  Bergbau  auf  Steinkohlen  wird  demnach 
nur  im  Siidlichen  Russland  betrieben  und  zwar  theils  von  der 
Bergwerksbehtirde,  iheils  von  sogenannlen  Kronsbauern,  von 
Privatleuten  odervum  Donischen  Heere  gehorigtn  Personen. 
Die  Ausbeute  ist  kekieswegs  bestandig,  belragi  aber  jetzl  un- 
gefahr  3160000  Pud  jahrlich,  welche  folgendermaben  ver- 
theilt  sind: 
.  Die  Gruben  welche  betrieben        bringen  jahrlich  elwa 

werden  von:  Steinkohle        Anthrazil 

a)  der  Bergwerksbehorde 

1)  die  Lisitscher,  40  Wersi  von 
Bachmut  am  Donez  3OOOUO0Pud 

2)  die  Uspensker,  25  Werst  von  ' 
der  Luganer  Giesserei                 50000^  - 

3)  die  von  Gorodischtsche,  im  51a- 
wjanoserber  Kreise,  50  Werst 

von  der  Luganer  Hiitte  30000  Pud 

4)  die  Jekateriner  in  dem  Doni- 
schen  Kosakenlande,  bei  der  Je- 
kateriner Niederlasssung  120000 

b)  von  Kronsbauern 

5)  im  Bachmuter  Kreise  bei  den 
Dorfern  Jeljesnoe,  Nikitowo  und 


Uebersicht  der  Bergwerksindostrie  in  Rassland.  545 

bringen  jahrlich  etwa 
Steiiikohle  Anthrazit 

Saizowo,  etwa  30  Werst   von 

Bachmut  150000  Pud 

c)  von  Privatbesilbesitzern  *) 
im  Bachmtiter  Kreise: 

6)  die  Woronzow-Grube  bei  dem 
Dorfe  Alexandrowo,  40  Werst 
von  Bachmut  und    160  Werst 

von  Berdjansk  125000  - 

im  Slawjano«erber  Kreise: 

7)  der  Bauern  der  Dorfer  Geor- 
giewsk  undUspen^k,  19  und  25 

Werst  von  der  Luganer  Hiitle     90000  - 

8)  des  Gutsbesiizer  Terentjew,  40 
Werst  von  den  Li«itschaer  Gru- 

ben  der  Bergwerksbehorde  AQOOOST- 

9)  der    zum  Dorfe  Annenskji,  60 

Werst  von  Lugan,  gehorigen        15000  - 

10)  des  Gutsbesitzer  Papkow  bei 
deal   Dorfe  Kra^ny   Kut,    120 

Werst  von  Taganrog  10000  Pud 

d)  des  Donischen  Heeres 

11)  die  von  Grusckewsk,  30  Werst 
von  Nowo  Tsch\rka«k,  bei  dem 
Dorfe  Popowka  und  an  dem 
Bache  Gruschewka,  weiche  ver- 
schiednen  Donischen  Unterneh* 

mem  gehoren  2200000  - 

zusammen    SOOOOOPud    2360000  Pud 
und  an  Brennmaterial  iiberhaupt  3160000  Pud. 


*)-H]er  sind  nur  diejenigen  Gruben  erwalmt  auf  denen  fortwabrend  ge- 
baut  wtrd,  andre  nar  zeitweise  benntzte  werden  nicht  aafgezablt,  so 
z.  B.  die  Graben  yon  Pleschtocbejew  und   Rajewskji  im   Bachmnter 


546  Industrie  mid  Handel. 

Von  diesen  3160000  Pud  Kohlen   werden  1500000  Pu 
theils  Eur  Heizung   von  offentlichen    und  Privatgebauden    ii 
dem  Asower  Hafen  und  in  denen  des  Schwarzen  Meeres  ver 
brauchty  theils  auf  den  Dampfschiffeny  die  zwischen  den  Kau 
kasischen  und  Krymschen  Kiisten  fahren,  so  wie  aucb   aul 
einigen,  die  auf  der  unteren  Wolga  oder  sogar  auf  dem  Kas- 
pischen  Meere  gehen.    Das  Uebrige  wird  in   der*  Nahe   der 
Forderungsorte  verwendet.     Die  eigenlliche  Steinkohle   dient 
in  den  Schmieden,  so  wie  zum  Betrieb  der  Luganer   Hiitte 
und   der  5iawjaner  Salzsiedereien.     Der  Anthrazit  wird   da- 
gegen  meist  auf  den  Dampfschiffen    und   zur   Heizung    von 
Gebauden  gebraucht,  obgleich  sich,  mitAusnahme  von  Nowo- 
Tscherkask  und  von   einigen  Hafi^nst3dten»  niir  erst  wenige 
Privatleute  mit  dem  fossilen  Brennmalerial  befareundet  haben. 
Die  Gewohnheit  und  die  ortlichen  Gebrauche  verhindern  dies 
so  sehr,  dafs  selbst  in  den  Dorfern  in  denen  das  Pud  Slein- 
kohlen  nur  gegen  0,03  S.   R.  koslet,   dieselben  nur   id   den 
Schmieden  gebraucht  werden,  wlihrend  die  Oefen  der  VVohn- 
raume  noch  immer  aus  Holzmangel,  mit  getrockneteio  Kuh* 
mist  (Kisjak)  oder  mit  Stroh  geheitzt  werden.    Es  giebi  sogar 
Gutsbesitzer  die  selbst  Gruben   bearbeiten  lassen  und  wdche 
dennoch  die  geforderlen  Steinkohlen  nur  zur  Heitsung  ihrer 
Wohnungen  gebrauchen,  ihre  Branntweinbrennereien  aber  mit 
Stroh  zu  belreiben  fortfahren,  weil  dieses  die  Gefafse  weni- 
ger  angreife. 

Ausser  den  im  Lande  geforderlen  Steinkohlen  werden  in 
'  Russland  auch  aus  England  eingefiihrte  gebraucht,  vorzuglicb 
in  Petersburg,  wohin  gegen  vier  Fiinftel  dieser  in  den  lelzten 
15  Jahren  sehr  verslarkten  Einfuhr  erfolgt.  Nach  den  Engl. 
ZoUiisten  beirug  das  Gewicht  der  nach  Russland  gebrach- 
ten  Steinkohle  im  Jahre  1834  nur  35000  Tonnen,  d.  h.  nichl 


Kreise,  yon  denen  eine  jede  gegen  10000  Pud  jabrlich  aasbringtj 
nnd  diePetrower  bei  einem  m^rainischen  Graozpoi^en,  etwa  SOWerst 
von  Tschogujew^  ans  der  jahrlieb  20000  Pad  Kohlen  gefdrdert  werden. 

Anm.  d.  Verf. 


Debersicht  der  Bergwerksindustrie  in  Rossland.  ^f 

f^anz  2,5  Iflillionen  Pud.  Es  «rhob  sich  aber  bis  1839  auf 
76000  Toonen  und  1845  aut  mehr  als  150000  Tonnen  oder 
^egen  9^  Millianen  Pud  und  betragt  jetol  mehr  als  13000000 
Pud  jahrlich  *).  Die  Russischen  Zollberichie  nennen  Dicht  das 
Gewicht,  sondern  nur  die  Preise  der  eingefuhrien  Kohlen  und 
diese  betrugen  im  Jahre  1841:  519000  8.  R.,  im  MiUel  fur 
ein  Jahr  zwisdien  1842  und  1846:  6460Q0  S.  R.  und  darauf 
in    den  Jabren: 

1846:  733297  S.  R.  von  denen  naeh  deni  Schvvaraen  Meere 

gingen  fur  176578  S.  R. 
1847:  623919  S.  R.   von  denen  nach  dem  Scbwarten  Meere 

gingen  fur  147898  S.  R. 
1848:.  1069559  S.  R.  von  denen  nach  dem  Schwarzen  Meere 

gingen  fur  109502  S.  R. 
1849:  918679  S.  R.  von  denen  nach  dem  Schwarzen  Meere 

gingen  fur  74976  S.  R. 
Wahrend  der  lezien  vier  Jahre  hat  sich  also  der  jahrliche 
Verbrauch  von  Englischer  Steinkohle  im  Miltel  auf  836000 
S.  R.  belaufen,  d.  h.  auf  130  Procent  vdn  dem  jahrlichen 
Verbrauch  wahrend  der  vorhergehenden  vier  Jahre.  Es  kommt 
hierzu  noch  dafs  in  derselben  Zeil  und  namenllich  seit  1845 
die  Kohlenpreise  in  England  durch  die  Aufhebung  der  Aus- 
fuhrsteuer  von  den  Kohlen,  bedeutend  gesunken  sind,  wodurch 
denn  der  .Zuwachs  des  eingefiihrten  Quantum  noch  welt  er- 
heblicher  ^ird. 

Unter  den  jetzt  im  Sudlichen  Russland  beiriebenen  Koh* 
lengrubeuy  sind  die  Gruschewer  besonders  beachlenswerth, 
sowohl  wegen  ihrer  geographischen  Lage  als  auch  wegen  der 
vortrefiUchen  Eigenschaften  des  dortigen  Anthrazites  und  der 
^  Grofsartigkeit  der  Lager.  Sie  liegen  30  Werst  von  der  Do* 
nischen  Anfuhrt  bei  Melechow  und  60  Werst  von  dem  Roslower 
Hafen  an  der  Miindung  des  Don.  Die  dortigen  Kohlen  wer- 
den  an  Ort  und  Stelle  mit  0,05  bis  0,01  S.  R.  das  Pud  ver- 


*)  D.  b.  mehr  als  das  Yierfache  der  in  Rassland  geforderten  Kohlen. 


546  Industrie  and  Handel. 

kauft  und  die  Frachl  betrSgt  bis  Melechow  etwa  0,02  und  bu 
Rostow  0)03  S.  R.  vom  Pud.  Die  fernere  Versendimg  von 
Melechow  stromaufwarU  bis  sur  Katschaliner  Anfahrt  kostel 
far  das  Pud  0,10  S.  R.') 

Der  Seetransport  von  Rostow  koslet  dagegen  fiir  das  Pud 
bis  Kertsch  etwa  0^05  S.  R.,  bis  Sewastopol  gegen  0,07  S.  R. 
und  bis  Nikolajew  und  Odessa  etwa  0,09  S.  R.,  so  dafs  die 
Gruschewer  Kohlen  jetzt  an  der  unteren  Wolga  fiir  weniger 
als  0,25  und  in  den  Hafen  des  Schwarzen  Meeres  fiir  nichl 
ganz  0,20  S.R.  vom  Pud  zu  haben  sind.    Es  ist  nicht  zu  be- 
zweifeln  dalis  bei  gebSriger  Entwicklung  und  Befestigung  die- 
ses Industriezweiges  die  genannten  Preise  und  namentlich  die 
Frachten  noch  bedeutend  zu  ermafsigen  waren,  aber  sogar  in 
dem  gegenwartigen  Zustande  besilzt  der  Gruschewer  Anthra- 
zil   bedeutende  Vorziige   vor  jedem   anderen  Brennmalerial, 
denn  seine  Giite  wird  von  keiner  der  aus  England  oder  aus 
Amerika  bekannten  Koblenarten  libertroffen.    Er  entbaft  nach 
vielfaliigen  Untersuchungeu  von  0,94  bis  0,96Kohlenstoff  und 
hinterlasst  nur  0,02  Asche.     Er  ist  ganz  frei  von  Schwefel, 
der  die  Geiafse  angreifen  oder  Selbstenlzundungen  bewirken 
konnte.    Seine  Dichtigkeit  ist  groliser  als  die  der  Kohlen  von 
Newcastle,  d.  K  der  besten  in  England ;  er  ist  daher  dem  Zer- 
fallen  weniger  ausgesetzt,  nimmt  weniger  Raum  ein  und 
ist   urn    22  Procent  geeigneter    zur   Versendung  als    diese. 
Seine  Heizkraft  iibertrifTt  die  der  Newcastler  Kohlen  urn   10 
Procent,  so  dafs  bei  gleichem  Volumen  der  Gruschewer  An- 
thrazit  das  l,34fache  der  von  den  besten  Englischen  Kohlen 
erzeugten  Warme  liefert.    Noch  weit  betrachtlicher  gestalten 
sich  diese  Vorziige  gegen   die  im  Handel  vorkommende  ge- 
wShnliche  Englische  Steinkohle.    Es  kommt  dazu  noch  dafs 
der  Anthrazit  weit  gleichmafsiger  brennt,  mit  einer  concentrir- 


*)  Zwisclien  Katschalinsk  am  Don  and  Dabowsk  an  der  Wolga  gtebt  es 
bekanntUch  eine,  leider  aber  nicht  fur  Dainpfwagen  eingerichtete, 
fiisenbahn.  Anm.  d.  Verf. 

Vcrgl.  in  d.  Archiyc  Bd.  II.  S.  476. 


Uebersicbt  der  Bergwerksiaduft^e  in  Rattland.  549 

lereD  Hitze  und  reinlicher,  weil  er  fast  gar  keiRen  ThSr  und 
Kufs  und  nur  sehr  wenig  Rauch  und  Asche  giebt.  Freilich 
muss  man  ihn  aber  in  Oefen  in  Brand  setsen,  die  seirien,  von 
denen  der  eigentlichen  Steinkohle  ausserst  verschiedenen, 
Eigenschaften  entsprechen,  und  man  hat  daza  die  Vorbilder 
nichl  sowohl  in  England  zu  suchen  (denn  dort  wird  nur  in 
Wales  ein  Anthrazit  gebrannt,  dessen  Ausfuhr  die  Besitzer 
der  iibrigen  Steinkohlengruben  aus  Furcht  vor  einer  ihnen 
ausserst  gelahrlichen  Concurrenz,  auf  alleWeise  verhindem)*), 
als  vielmehr  in  Amerika  und  namenllich  in  Pensilvanien ,  wo 
die  Verwendung  dieses  vorziiglicben  Brennmateriales  so  ent^ 
wickelt  isty  dafs  dessen  Forderung,  die  im  Jahre  1820  mit 
20000  Pud  begann,  sich  1840  auf  50000000  Pud  und  1847 
auf  180000000  Pud  gehoben  hat. 

Diese  ausserordentliche  Zunahme  des  Belriebes  ruhrte 
vorzugiich  von  der  Verwendung  des  Anthrazites  zur  Verhut- 
tung  der  Eisenerze,  welche  nach  siebenjahrigem  Betriebe  schon 
inehr  als  7000000  Pud  ,Roheisen  jahrlich  lieferte.  Eine  ahn- 
liche  Erscheinung  ist  aber  in  den  Steinkohlenbezirken  fast 
aller  iibrigen  Lander  vorgekommen:  so  in  England,  in  Frank- 
reich,  in  Belgien  und  sogar  in  Deuischland,  wo  iiberall  der 
Kohlenbergbau  die  bewundernswerthe  Bliiihe  zu  der  er  ge- 
langt  ist,  nur  allein  dem  Hohofenbetriebe  mit  fossilem  Brenn- 
materiale  verdankt  *'^). 

Der  Eisenbetrieb  wirkte  anfangs  und  zunachst  auf  den 
Steinkohlenbergbau,  in  direkter  Weise  durch  Mehrbedarf  an 
fossilem  Brennmaterial,  sodann    aber  durch  Vermehrung  und 


*)  So  waren  im  Jahro  1842  unter  2723200  Tonnen  Kohlen  die  nacli 
London  gebracht  warden,  nnr  1283  Tonnen  Waleser  Anthraut* 

Anm.  d.  Yerf. 

**)  Eb  1st  schon  oben  erwabnt  worden,  dais  sicb  die  Eisenproduktion  im 
Westlichen  Kuropa  besonders  seit  1830  gehoben  bat,  d.  b.  seit  der 
Einricbtiing  der  commerziellen  Eisenbahnen.  Eine  Vergleichung  der 
Produktionen  in  diesem  Jahre  [mit  ^enen  von  1845  (d.  i.  das  letzte 
Jahr,  fiir  welches  ans  Berichte  vorliegen)  giebt  folgende  ResoUate: 


650 


Indaslm  and  JiMidcl. 


ti^lfeiiere  DaraleUuDg  i^s  Eisens,  wodnrch  aowohl  die  For- 
4erung  in  'den  KoMoligruben  erleichfaert  wtrd,  ala  auefa  be« 
90ivl«ra  4er  Traii^#rl  auf  Ciienbahtieo  imd  Dampfaehiffen, 
Diese  reeipr^ke  Belebiing  der  Kohlen*  imd  der  Eisenproduk- 
lion  wirkt  ^eoso  beguaaUgead  auC  alle  QbrigeB  Indusirie* 
aweige,  weiche  dadufch  nicht  alletli  nit  Dampf  oder  Trieb- 
kraft  verseben  werdkn,  aoodern  auch  mit  vervollkoinmneten 
mechanischen  Bettiebsweitaeugen  nod .  mit .  dan  HiUeln  au 
acbnellerem  und  wohlfeilereai  Transport  il^er  Eraeugnisse. 
Jenebeiden  foasiten  Korper,  weicbe '  dia  Natur  selbat  auHaupt- 
hebelo  dar  gawerbliehen  Leiiliiagan  -  des  Meoachangeschlech- 
tea  ausersehen  hat,  findeii  aiah  oft  durch  ihr  Vorkomimea  an* 


Es  warden  ge- 

Steinkohlen 

• 

Roheisen 

Eb  gab  an  ferti- 

wonnen  in: 

Jahr 

Millionen  Pad 

gen  Eisenbahnen: 

Preussen 

1830 
1845 

62 
227 

5* 
14 

1050  W«rst 

Belgien 

1830 
1845 

157 

307 

2* 
9i 

580    — 

Frankreich 

1830 
1845 

112 

255 

760    — 

GroCsbrittanien 

1830 
1845 

1000 
2155 

42 
137 

2850    — 

Freistaaten 

1830 
1845 

40 
^  273 

111 
Sit 

7300    — 

In  15  Jabren  hatte  sich  also  die  Kobleniorderung  anf  das  24facbe 
nnd  die  Eisenprodoktion  auf  das  3facbe  gesteigert,  und  es  waren  an 
Eisenbahnen  mebr  als  12500  Werst  gebaut  worden.  —  In  dieseni 
Aagenblicke  betragen  diese  Zonabmen  vorzuglicb  iu  der  letzCeren 
Beziebung  bei  weitem  mebr,  denn  es  waren  z.  B.  in  Frankreicb  zd 
Anfang  1851  gegen  3000  Werst  Eisenbabn  Yollendet,  in  Grofs- 
brittanien  am  31  December  1850  gegen  lOOOO  Werst  and  in  Europa 
iiberbaapt  mebr  als  16000  Werst.  •—  Dergleicben  Beispiele  gestalten 
sich  im  Einzelnen  noch  weit  scblagender.  So  hatte  Glasgow  1830 
gegen  140000  Einwobner^  nnd  erzeogte  aus  seiner  nicbsteii  Uaige- 
bang  gegen  4  Millionen  Pad  Roheisen;  1840  war  aber  dessen  Be- 
Tolkerung  aaf  368000  Seelen  gestiegen  and  es  warden  30  Millionen 
Pud  Roheisen  aasgebi:^cbt,  d.  h.  mebr  als  das  Doppette  der  In  ganz 
Russland  gewonnenen  Qoantitat.  A*  d.  V. 


Ueberticht  der  Bergwerktindattrie  in  Rustland.  g51 

einander  gebofHten.  So  weohtellagern  in  England  ntchi  seken 
die  Koblensehiditen  mti  Schiehlcn  von  Eisenenien  und  mil 
feuerfesten  Thonen  und  Sandsleinen  sum  Hfittenbetriebe.  -^ 
Auch  andere  Kohlenbeairke  aind,  w«nn  auch  nicht  itn  gleih 
cbem  Maafee  begiinstigt,  im  Besitse  Ton  Eisenerz^n  uad  die 
Geognosie  erklart  einet  iet  werthvoNsien  dieser  Erae,  den 
SphSrosiderit,  fur  einen  gewBhnfichen  Begleiler  der  Kob* 
Ien*)«  Man  kann  demnach  davauf  reebaen,  'dab  ein  Kohlen- 
reiches  Land  aocb  Ene  besilzt  die,  Wenn  nicht  das  beste,  dech 
ein  zu  vielen  Zwecken  aus reiGbend<eft  Eis en  dia*zuateilen  er- 
laaben<  Man  ersiebi  dBeaes  auch  daiaut,  dab  noch  in  kdnem 
dergleicben  L#ande  eineainoial  etngeriohteie  Eiaenhiiile,  ihren 
Betrieb  aus  Mangd  an  Erzen  eingeslellt  hat^  wahrend  doch 
viele  einzelne  HiitUn  und  ganze  Distrikle  in  Russland,  wie 
auch  itn  westlichen  Europa,  aufgehdrt  haben  zu  schmelzen. 
Das  Brennmalerial  ist  demnach  die  Grundlage  jeden  Belrie- 
bes  und  ein  Land  welches  Kohlen  von  guter  Besehaffenheil 
in  fast  unersch$pflicher  Menge  besitzt,  ist  auch  im  Slande, 
seine  Eisenhiilten  und  mit  ihuen  zugleich  tehfie  Communica''^ 
tionsmittel  und  jeden  seiner  Industriezweige  zu  heben. 

Grade  in  dieser  Weise  ist  aber  nun  die  Donecer  Gegend 
von  der  Natur  begiinstigt.  Der  Anthrazit  in  derselben  ist, 
wie  schon  oben  erwShnt^  von  ausgezeichneter  G(Ue  und  des- 
sen  Menge  unerinesslich.  Es  geniigt  daran  zu  erinnem,  dafs 
1  Kubikfub  Anthrazit  3  Pud  wiegt  und  dafs  somit  eine  2,5 
Fufs  machiige  Scbicht   dieser  Substanz    auf  jeder  Quadrat- 


*)  Beispiele  yon  reichen  Bisenvorkoinmen  in  Steinkohlenbezirken^  liefern 
yiele  Orte  in  England,  Wales  and  inBelgien,  besonders  aber  in  den 
Umgebnngen  yon  Glasgow.  Ein  2,5  Fofs  niachtlges  Lager  von  koh- 
ligem  Tboneisenstein ,  der  anter  dem  Namen  Biaekband  bekannt  \at, 
blieb  daselbsC  Imge  nnbeachtet,  bis  dab  1834  die  Vergroberiuig  des 
Bisenbetriebes ,  zu  Versnoben  mit  demselben  anfforderte,  and  seit 
dieser  Zeit  werden  die  Glasgower  Hohofon,  in  denen  siob  die  Eng- 
liscfae  Bitenprodoktionen  jetzt  yorzagtweise  eoneentrirt,  za  grofsteni 
Theiie  von  jenem  Lager  yersorgt  -A.  d.  V. 


552  Industrie  unci  Handet 

werst  mehr  als  90000000  Pud  derselben  enthali.     Wie  yiele 
solcher  Quadratwerst  aber  vorhanden  sind,  wie  viele  zwei  bis 
dreimal  inachligere  Lager,  wie  viele  Orie  an  denen  iiberein- 
ander  mehrfache  Wiederholungen   derselben  vorkommen,  dies 
alles  haben  Schurf-  und  Forderungsarbeilen  zu  entscheiden, 
von  denen  jeUt  kaum  eine  bis  zu  175  Fufs  Tiefe  gedrungen 
isty  und  dennoch  haben  <fiese  jeUigen  fast  zu  Tage  liegenden 
Baue  schon  von  130  Anbriichen  eine  solche  Ergiebigkeit  nach- 
gewiesen  dafs  sie,  wenn  man  nach  der  Unlersuchung  von  je 
einer  Quadralwerst  urlheili,  gegen  20  Tausend  Millionen  Pud 
Steinkohle  liefern  konnen.     Es  ist  dies  dn  fiir  den  Anfang 
voUig  ausreichender  Vorrath.    Man  muss  aber  nun  einen  sol- 
chen  Schatz  zu  benutzen  wissen  und  dazu  ist  ein  Anfang  al* 
lerdings  vorhanden ,  seiidem  sich  der  Doaezer  Anihrazit  auf 
dem  Asowschen,  Schwarzen  und  Kaspischen  Meere  gezeigt 
und  sow^ohl  an  der  Wolga  als  auch  sogar  bei  Moskau  eine 
erste  Verwendung  zum  Eisenbetriebe  gefunden  hat  *).  Aliediese 
Versuche,  die,  wie  gewohnlich  in  Russland,  von  den  Behor- 
den  veranlasst  werden  mussten,  sind  nur  die  ersten  Steine  zu 
einem  Baue,  dessen  Ausfuhrung  nunmehr  des  Untemehmungs- 
geistes   und   der  ThStigkeit    der  Privatleute   bedarf.     Oiese 
wiirden  in  der  Ausbeutung  des  Donezer  Kohlenbezirkes  eine 
aussersl  lohnende  Laufbahn  finden,  und  zwar  in  gesteigertem 
Ma£se  jseit  der  Eroffoung  der  Petersburg-Moskauer  Eisenbahn. 
Es  ist  nicht  zu  bezweifeln  dafs  diese  sofort  bis  zur  Oka  und 
noch  jenseit  dieses  Flusses  forlgesetzt  wird,  d.  h.  bis  in  eine 
Gegend,  wo  durch  die  Theurung  des  Holzes,  die  Vorlheile  der 
Verwendung  des  Anthrazites  auf  den  Locomoliven  einleuchten 
werden,  wie  denn  iiberhaupt  die  von  Jahr  zu  Jahr  abnehmende 
Bewaldung  die  Anwendung  eines  fossilen  Brennmaterials  immer 


"')  Als*ein  Beweiss  Ton  der  Giite  des  Gnischewer  Anthrazites,  haben 
wir  noch  anzufabren  dafs  er  sogar  in  Moskau,  trotz  der  hoben  Trans- 
portkosten,  nach  Yersnchen  durch  das  Kriegsministerium ,  ein  wohl- 
feileres  Heizmaterial  abgiebt  als  das  Holz.  Bei  zweckmafsiger  Bin- 
richtung  der  Oefen  ersetzen  dOPnd  Anthrazit  eine  fi^ajen  des  besten 
sogenannten  3scheitigen  Holzes.  A.  d.  V. 


Uebersicht  der  Bergwerksindnttrie  in  Rotsland.  553 

dringender  machf^).  1st  aber  alsdann  dieser  Eisenbetrieb  vom 
Donez  nur  einmal  im  Gange,  so  wird  das  Bediirfniss  sur 
Fortsetzung  der  Eisenbahn  von  der  Oka  bis  zum  Aaowschen 
Meere  zwingen  und  eine  solche  Bahn  ware  von  hSchstem 
Nutzen,  urn  die  waldlosen  oder  waldarmen  Mittel-Russischen 
Provinzen  mit  Brennmaterial  zu  versorgen,  und  ihre  Er- 
zeugnisse  den  sudlichen  Hafen  zuzufiihren.  Es  wiirden  dann 
nur  wenige  Jahre  vergehen  bis  zur  Vollendung  eines  Schie- 
nenweges  von  dem  Mittelpunkte  von  Russland  bis  zu  dessen 
sudlichetn  Meere  ^  und  dies  Alles  wurde  man  dem  Donezer 
Anthrazite  zu  danken  haben. 


*)  Die  Einfuhrang  des  Grnschewer  Antbrazites  hat  die  Holzpreise  in 
Odessa  von  100  bis  105  Papier- Rabel  far  die  Kobik^a/en,  anf  60 
and  sogar  50  P.-R.  herabgesetzt,  iind  in  <9ewastopol  von  80  anf  30 
Papier -Robel.  —  30  Pud  Antbrazit  welche  etwa  12  KabikfnljB  ein- 
nehmen,  ersetzen  daselbst  eine  Kubik«ajen,  d.  b.  343  Kubikfafs  — 
(nach  den  Annabmdn  der  Ross.  .Forstbeamten  entbalt  die  Kubik«a^*eii 
darchschnittlicb  nur  250  Kubikfufs  Holz.  D.  Uebers.)  —  guten 
Eichenholzes.  Der  Antbrazit  ist  also  von  fast  30mal  kleinerem  Vo- 
lumen  als  das  Holz  und  somit  in  hohem  Mafse  geeigneter  zum  Trans- 
port. A.  d.  V. 


:      / 


Uebertickt  der  Bergwerktindaftri^  in  Rossland.  555 


Bemerkungen  zu  den  TafelD. 


Zu  Tafel    1. 


1)  Die  Griinzen  des  Nertschinsker  Haitenbeairkes  sind  so 
unbestimml,  dafs  das  A  real  des  zu  ihm  gehorigen  Lan- 
des  nicbt  genau  angegeben  werden  kann.  Den  Sil- 
berhiiUensind  an  Waldung  angewiesen  1193698  De«- 
jalinen  (d.  h.  1 1459^  Quadrat- Werst  oder  etwa  233,8 
Geogr.  Quadrat-Meilen)  und  den  Hohofen  und  Frisch- 
feuern  196  Quadrat- Werst  oder  etwa  4  Quadrat-Mei- 
len. und  noch  ein  besonderes  Stuck  zurZimmerung  in 
den  Eisengruben. 

2)  Die  Sumroe  der  zu  den  Hiilten  geh5rigen  Landereien 
ist  nicht  angefuhrt;  sowobl  wegen  der  mangelhaften 
Kenntniss  der  Nertschinsker,  als  auch  weil  in  andem 
Distiikten  der  als  Hiilten -Land  angefiihrte  Boden  zu 
grofsem  Theil  von  den  Bauern  benutzt  wird^  welche 
den  Hiitten  zugeschrieben  sind  oder  friiher  zugeschrie- 
ben  waren  und  jetzt  unter  der  Domainen-Verwaltung 
stehen.  So  -giebt  es  i.  B.  nur  allein  in  dem  Jakatrin- 
burger  Bezirk  gegen  48000  solcher  sogenannten  Krons- 
bauern,  zu  denen  mehr  als  436000  De^jatinen  Landes 
gehoren. 

3)  Die  den  Hiitten  zugeschriebenen  Bauern  haben  jahr- 
lich  nach  einer  auf  sie  bezuglichen  Verordnung  {Swod 
Sakonow  oder  Russ.  Gesetzsammlung,  Tom.  VII.)  von 
15  bis  22  Arbeitstage  fur  jede  Seele  zu  leisten. 

4)  Das  in  dem  Altaischen  und  in  dem  Nertschinsker  Be- 
zirke  ausgebrachte  Silber  enthalt  Gold,  welches  in  der 
Petersburger  Miinze  ausgeschmolzen  wird. 


556  Indostrie  nnd  Handel. 

5)  In  dem  Allaischen  und  in  dem  Nertschinsker  Bezirke 
wird  Blei  besonders  fur  die  Silberverhiittung  darge- 
stellt.  Nur  ein  kleiner  Theil  desselben  wird  an  iSibi- 
rische  Abnehmer  verkaufL 

6)  Die  Mange  des  Roheisen  ist  fur  diese  and  auch  fiir 
die  zwei  folgenden  Perioden  nur  annahernd  besUmmt 
worden. 

7)  Der  Luganer  Bezirk  liefert  kein  Roheisen,  sondem 
entnimmt  seinen  Bedarf  vom  Ural  aus  dem  Gorobla- 
godater.  Im  Jahre  1832  wurden  daselbst  an  Artille- 
geratbschaften  gegen  13000  Pud  gegossen  utid  gegen 
14000  Pud  verschiedener  Melallwaaren  angeferligt 
Im  Mittel  fur  die  Jahre  1838  bis  1843  wurden  jahrlich 
gegen  50000  Pud  solcher  Gegenstande  theils  gegossen, 
theils  anderweitig  dargestellt.  Es  werden  ausserdem 
in  dem  Luganer  Bezirk  etwa  500000  Pud  Steinkohlen 
gefordert 

8)  Die  Kamskowotkaer  HiiUe  besilzt  keine  Hohofen,  son- 
dern  nur  Frischfeuer  fur  die  sie  das  Roheisen  aus  den 
Gorobiagodater  Hiillen  (zu  denen  die  von  Kuschwa 
gehort)  erKalten. 

9)  Es  sind  hierunter  an  Stahlsorten  begriffen:  Rohstahl 
oder  sogenannter  Uklad,  Zementstahl,  Rafinirslahl  und 
Gussstahl. 

10)  Ausserdem  sind  1846  in  dem  Allaischen  Bezirke  fijrr 
150000  S.  R.  Kupfermiinzen  gemacht  worden. 

11)  Ausserdem  wurden  1846  dargestelll:  10  verschiedene 
Maschinen  (?),  und  an  Mafsen  und  Gewiehten  339  Stiick 
kupferne  und  2497  Stuck  eiserne. 

12)  Ausserdem  wurden  1846  dprgesiellt:  25750  Sensen, 
22375  Stiick  VVaffen  verschiedener  Art,  3635  stahleme 
oder  kupferne  Kaskets  und  2011  Paar  Armschienen. 

13)  Ausserdem  wurden  1846  2  Dampfmaschinen  verfertigt 

14)  Ausserdem  wurden  1846  auf  der  von  der  Regierung 
verpachteten  Alwerder  und  Schambluger  Hutle  in  Gru- 
sien,  3407  Pud  Kupfer  ausgebracht. 


Uebersicht  der  BeiigwerkslRdottrie  in  Rassland.  557 

15)  Ausser  den  hier  genannlen  Gegenstanden  haben  die 
Eisenhiitten  dargesteilt:  Ballast  der  unler  den  ange- 
gebenen  Rolieiseninengen  begriffen  ist,  und  verschie* 
dene  Gerathschaflen  Iheils  zu  eignem  Verbrauch,  theils 
zum  Verkauf.  Diese  sind  ebenfalls  in  den  angegebe- 
nen  Roheiseiunengen  begriffen. 

16)  Die  folgende  Tafei  giebt  einen  aligemeinen  (Jeberblick 
liber  die  Wirksamkeit  der  Hiitlen,  in  den  der  Re- 
gierung  gehorigen  Kreisen  wahrend  der  leUten  vier 
Jahre : 

Es  wurde           1847  1848  1849  1850 

gewonnen:           Pud  Pud  Pud  Pud 

Legiries  Gold         185,18  203,61  191,81  241,12 

Plalin                        0,13  0,12  0,03  2,75 

Goidhalt.  Silber    1193,95  1136,13  1148,19  1068,45 

Kupfer                    42064  39558  49367  55562 

Roheisen             2000000  2000000  2000000  2100000 

Slabeisen              950000  950000  950000  950000 
Das  legirte  Gold  und  das  goldhallige  Silber  haben 
gegeben: 

1847  18^8  1849  1850 

Pud  Pud  Pud  Pud 

Reines  Gold           208,78  224,63  229,03  264,20 

—     Silber        1094,99  1040,87  1045,17  978,65 


Zu  Tafel  2. 

1)  Fiir  die  Wendejewer  und  Neplojer  Hiitte  sind  fiber 
die  Zahl  der  Bewohner  im  Jahre  1847  keine  Nach- 
richten  vorhanden,  und  daher  nur  die  1834  bei  der 
Volkssahlung  gefundene  angesetzl  worden. 

2)  Zu  dem  Uralischen  Ertrage  im  Jahre  1846  sind  aus- 
serdem  3  Pfund  Osmio -Iridium  hinzuzunehmen. 

3)  Von  dem  Roheisen  ist  durchschnitilich  gefrischt 
worden : 

Brmans  Buss.  Archiv.  Bd.  ^I.  H.  4.  37 


558  Indoitrie  and  Handel. 


zvvischen 

jahrlich 
1838  und  1843 

1846 

auf  den  Moskauer  Hiitten    876172  Pud 

1006233  Pud 

auf  den  Uralischen 

iHtitten  5930293   - 

6498043  - 

sLUsammen         6806465  Pud 

7504276  Pud 

Nach  den  in  den  J.  1843  bis  1847  eingezogenen  Er- 
kundigungen,  wird  iibrigens  in  einigen  Gouvernements 
noch  jetzt  das  Sehmiede-Eisen  direkt  aus  den  Erzen 

dargestellt  und  zwar  namentlich: 

in  dem  Gouvern.  Wilna            g^gen 

6000  Pud 

-      -  ' 

Wolynien 
Miask 

11300    - 
6500    - 

1     »    1 

«     1    1 

1    1     1 

Archangel 

Wologda 

Jeniseisk 

600    - 

120   - 

3400    . 

r 

Nowgorod 
Olonez 

11000    - 
7000    - 

zusamnien  jahrlich    45920  Pud. 

4)  Das  Dorchschnitts-Gewicht  des  zwischen  1838  und 
1843  jahrlich  gewonnenen  Waschgoldes,  ist  fur  die 
siidliche  und  nordliche  Halfte  des  Jeniseisker  Kreises 
zusammen  angegeben,  weil  diese  Bezirke  erst  seil 
1845,  in  Folge  der  Zunahme  der  Goldausbeule,  ge- 
trennt  sind. 

6)  UnterWasch-  oderSandgold  (Russ.  Schlichowoje  so- 
loto)  werden,  wie  schon  oben  gesagt,  die  unmiUelbar 
aus  den  Seifen  erhaltnen  Korner  versianden,  unter  le- 
girtem  Golde  das  Produkt  einer  erslen  Schmelzung 
dieser  Korner,  aus  welchem  in  der  Petersburger  Miinze 
das  reine  Gold  geschieden  wird. 

6)  Den  Zusland  der  Goldgewinnung  durch  Private  in  den 
Jabren  1847,  1848,  1849  und  1850  z^igl  die  funfte 
der  vorstehenden  Tafeln. 

7)  Es  sind  auf  Privathiitlen  ausgeschmolzen  warden  an 
Kupfer: 


tJebersicht  der  Bergwerksintiostrie  in  RuAsland.  ggQ 

1849  291186  Pud 

1850  338066  -   und  dagegen: 

1847  222504  - 

1848  262966  • 

8)  Auf  PrivathiiUen  sind  iin  Jahre  1849  Roheisen  gegen 
11^  Millionen  Pud  erblasen,  und  davon  gefrischt  wor- 
den  etwa  8  Millienen  Pud.  Im  Jahre  1850  Roheisen 
erblasen:  11792325  Pud  und  davon  gefrischt  worden: 
8i  MiUionen  Pud 

Zu  Tafel  4. 

1)  Die  der  Regierung  gehSrigen  Salzwerke  haben  ge- 
liefert : 

1832:  16799913  Pud  Salz 
1^7:  19435552     -      - 
1848:  17821645     -      > 
1849:  19129735     -      - 
1850:  19050273     -      - 

2)  Die  Privat-Salzwerk%  haben  geliefert: 

1832:  5099563  Pud  Salz 
1847 :  5318407     -  ,    - 
1848:  5888906     -      - 
1849:5360669     -      - 
•1850:  5778836      -      - 

3)  In  dem  Lande  des  Donischen  Heeres  ist  an  Salz 

gewonnen  worden:  Terbraucht  worden: 

1847  684000  Pud  500000  Pud 

1848  658000     ^  909000     - 

1849  876000     -  672000     - 

In  dem  Lande  des  Uralischen  Heeres  wurden  wahrend 
drei  Jahren  von  1845  bis  1848  223000  Pud  Salz  ge- 
wonnen, und  es  ist  in  der  vorstehenden  Tafel  fiir 
1845  bis  1846  naherungsweise  das  Mittel  aus  der  drei- 
jiihrigen  Ertragssumme  angesetzt  und  auch  der  Ver- 
brauch  auf  dieselbe  Weise  geschalzt  worden.  In  dem 
Lande  des  Tschernomorischen  Heeres  wurden   1848 

37* 


5Q0  Indottrie  and  HandeL 

611000  Pud  Salz  gewonnen  und  232000  Pud    ver- 
braucht. 

4)  Eingefiihrl  worden  ist  an  Sak: 

1832    5127002  Pud 

1847  4487426  - 

1848  4587078  - 

1849  5073647  ■ 

1850  4992203  - 

5)  Von  der  Regierung  wurde  Sab  verkauft: 

1847  25957256  Pud 

1848  24852062  • 

1849  25271803  • 

1850  26677419  - 

6)  Von  Privaten  wurde  aus  Quelldn  und  anderen  Vor- 
kommen  an  Sals  gewonnen: 

1847  1015205  Pud 

1848  1007624    - 

1849  1140313    . 

1850  1225891    - 

7)  Unentgeidlich  verlheilt  wurden  an  Sals  aus  den  Ma- 
gaunen  der  Regierung: 

1847  324537  Pud 

1848  442492  • 

1849  341417  ■ 

1850  401637  - 

8)  Von  Krymschen  Sals  wurde  abgesetzt: 

1847  1275215  Pud 

1848  1760970  - 

1849  1220445  - 

1850  1641675  - 


Nicolai  Tornau's   Werk  liber    die    Gnindsatze 
der  muselmannischen  Rechtswissenschaft. 

(Oclav.   475  Seiten.    Einleitung  49  Seiten.    Aiphabetische  Ver* 

Eeichniss    87  Seiten.) 

Nach  dem  Rassischen. 


iJie  Grundsatse  der  muselmaonischen  Jurisprudens  finden 
eine  griindliche  und  amfassende  Behandlung  in  dem  Werkc 
des  Herrn  Nicolai  Tornau:  Ispolq/enie  natschal  Musulmans- 
kago  Sakono-wjedjenija.  St  Petersburg  1850.  Wir  entneh- 
men  eine  nahere  Erorterung  dieses  wichtigen  Brzeugnisr 
ses  in  der  rechtswissenschafllichen  Literatar  der  ^^Biblioteka  dlja 
tscbienija.  Mai  185V%  um  so  mehr  da  diese  zugleich  auch  als  ein 
Hinweis  auf  die  Bedeutung  dienen  kann,  welche  russischer- 
seits  dem  genannten  Werke  fiir  die  Gerichlsbarkeit  des  siidost- 
lichen  Europas  beigelegt  wird. 

Das  Stadium  der  muselmannischen  Rechtswissenschaft  — 
heifsl  es  in  jener  Beurtheilung  —  ist  fiir  Russland  kein  ge- 
lehrter  Luxus,  kein  Gegenstand  einer  blofsen  Wifsbegier;  es 
hat  einen  bestimmten  Werth  und  zwar  im  Interesse  der  vie- 
len  muselmannischen  Stamme,  welche  in  der  Krym,  in  Sibi- 
rien,  besonders  aber  in  dem  orenburgiscben,  dem  kaukasischen 
und  transkaukasischen  Gebiete  leben. 

Der  vorliegende  Gegenstand  erregte  in  der  Neuzeil  mehr^ 
fach  die  Aufmerksamkeit  der  Gelehrten  im  Weslen  von  Europa. 


562  Historiscb-linguistische  Wissenschaften. 

Fiir  den  letzieren  haben  jedoch  ihre  Arbeiten  hieriiber 
einen  ungleich  geringern  Werth  als  fur  uns,  da  seine  nachste 
Verbindung  mil  dem  muselmannischen  Volk  sich  auf  Colonien 
besclirankt.  Die  Crfahrung  der  Colonialverwaltung  machte 
jenen  indessen  die  practisclie  Bedeutung  fiihlbar,  ein  Element 
ganz  kennen  zu  lernen,  welches  die  inneren  Verhaltnisse  un- 
ter  den  Anhiingern  des  Islam  begreift  und  den  Grund  ihres 
gesellschaftlichen  und  hauslichen  Lebens  bildet. 

Die  Arbeit  des  Herrn  Toraau  ist  die  Frucbt  eines  viel- 
jahrigen  Fleifses  wiihrend  seines  Aufenthaltes  im  Qsten  und 
einer  fiinf  Jahre  langen  ununterbrochenen  Theilnahme  an  der 
Regierung  des  kaukasischen  Gebietes.  In  dteser  Zeit  iiber- 
zeugte  er  sich  von  der  unumgangJichen  Nolhwendigkeit  einer 
vollkommeneh  Kenntniss  aller  geislliclien  und  weltlichen  Ge- 
setze  der  Muselmanner,  die  deren  ofifentliches  und  Privatleben 
ieiten  und  nach  denen  sie,  auf  Grund  des  Swod  (Concordanz) 
der  russischen  Gesetze,  nicht  allein  unter  einander  ihre  ge- 
richtlichen  Slreilfragen  zu  losen  haben,  sondern  auch  in  an- 
deren  Fallen  von  den  (russischen)  Behorden  gerichtet  und 
regiert  werden  miissen. 

Die  europaische  Literalur  der  muselmannischen  Rechts- 
wissenschaft  konnte  Herrn  Tornau  fiir  den  Zweck  seiner  Far- 
schungen  nicht  genugen.  Bei  der  grofsen  Mannigfaltigkeit  der 
liber  den  Osten  von  abendlandischen  Gelehrten  und  Reisenden 
gesammeiten  Erfahrungen,  vermag  doch  keiner  der  europai- 
schen  Slaaten  sich  eines  Werkes  zu  riihmen  (sic),  welches 
die  muselmannischeRechtswissenschaft  in  alien  ikr^n  .Therien, 
oder  auch  nur  in  irgend  einem  Abschnjlte,  treu  darsteilt,  ge« 
schweige  eines  solchen,  das  alle  Eigenthumlichkeiten  des  Is- 
lam, sowol  in  seinen  dogmatischen  als  auch  weltlichen  Saizun- 
gen,  in  sich  fafst. 

Unter  den  abendlandischen  Gelehrten,  welche  sich  mit 
dem  belreffenden  Gegenstande  beschaftigten,  waren  fiir  Herrn 
Tornau  besonders  beachtens werth:  Dr.  Borms,  der  bekannte 
Orientalist  Mourad/a  d*Ohsson,  Dulo  und  Pharaon,  Macnagh- 
ten  and  Professor  Gans.     Der  erste  schrieb:  ),Recherches  sur 


Tornan's  Werk  iiber  die  Grnndsatse  der  muielm.  RMfalswisienschaft.  563 

ia  cousiilution  de  la  propriete  lerriioriale  dans  lea  pays  mu- 
suloians  1842".    Als  Mitglied  der  Administration   von  Algier 
vermobkte   Borms  sich  von  der  Richtigkeit  seiner  Annahmen 
an  Ort  und  Stelle  zu  iiberzeiigen.     Sein  Werk  ist  besonders 
beachtenswerth  wegen  seiner  griindlichen  Unterscheidung  aller 
bisherigen,  in  das' Beehtswesen   der  Mohammedaner  greifen* 
den  Arbeiten,  von  denen  jedoch  keine,  nach  seiner  Aussage, 
als  ein  sicherer  Leilfaden  fur  das  praktische  Verhalten  hierin 
dienen  konnte.     M.  d*Ohsson  spricht'in  seinem  „  Tableau  ge- 
neral de  TEmpire  OttomanV  mehrfach  iiber  das  muselinannische 
Recht,  doch  mil  Benutxung  nur  einer  Quelle,  des  Muitsek-el- 
Ebehor,  und  nicht  zum  Zweck  eines  allgemeinen  Ueberblicks 
der  muselmannischen  Gesetzgebung,  sondern  einzig  und  allein 
um  eine  Sammlung  von  denjenigen  Privatrechten  und  Privat- 
gesetzen  zu  liefern,  welche  im  tiirkischen  Reiche  in  Anwen- 
dung  kommen.     Das  Werk  der  Herren  Dulo  und  Pharaon: 
9,  Droit  musulman  1839'*,  umfafst  keineswegs  alle  Theile  und 
Einzelheiten  des  muselmannischen  Rechtswesens;   es  bezieht 
sich  nur  auf  die  sunnitische  Secte  und  zwar  unter  deren 
doppelter  Gestaltung    der  Chanefiten    und  Malekilen.     Dem- 
nachst  leidet  es  aufser  an  dieser  UnvoUstandigkeit  noch  an 
dem  Fehler  einer  mil  dem  franzosischen  Codex  in  Ueberein* 
stimmung  gebrachten  Anordnung  der  einzelnen  RechtCi  wo- 
durch  es  schwer  verslandlich  fiir  uns  und  ganzlich  unzugang- 
lich  fiir  die  MuselmSnner  selbst  wird.     Die  ,,Principles  and 
Precendes  of  Moohammedan  Law.  1825"  des  Hrn.  Macnagh- 
ten,  behandeln  vorzugsweise  das  Erbrecht  mit  einer  nur  .bei- 
laufigen  Beachlung  der  anderen  Gesetzesbestimmungen ;  doch 
besitzen  sie  besonders  darin  einen  Werth,  dab  alle  in  ihnen 
dargelegten   Rechle  sich   durch  arabische  Urkunden  belegen 
lassen.  —    In-  dem  Werke  des  Herrn   Professor  Gans:  „das 
Erbrecht  in  weltgeschichtlicher  Entwicklung  1824"  wird  zwar 
bei  der  Vergleichung  der  Erbrechte,  auch  das  muselmannische 
beriicksichligt,  indessen  gesleht  der  Verfasser  selbst,  dafs  ihm 
hierzu  die  wichtigslen  Quellen  nicht  zu  Gebote  standen.    Aus- 
ser  diesen  hier  genannten  Werken  benulzte  Herr  Tornau  auch 


564  Hfttorisch-iingiiistiscbe  WiBteitBclmften* 

1)  die  Uebersetzungen  des  Korans  in's  Deutsche  und  Fran* 
zosis^che;  2)  die  y,Historische  Einleitung  in  den  Koran '^  von 
Dr.  Gustav  Weil  1844;  3)  Fr.  Kolb's  „der  Koran''  im  Staats- 
lexicon  vonRotlek  undWelcker;  4)  Sale  ^Observations  hisio* 
riques  et  critiques  sur  le  Mahometisme  dans  les  livres  sacres 
de  rOrient'';  5)  Chardin  ^Voyage  enPerse*"^;  6)  Reinaud  ^^Mo- 
numents  arabes,  persons  et  turcs'*;  7)  Eugene  Sice  y^Traite 
des  lois  mahometanes  dans  les^  Indes  Franfaises  1841'';  8) 
Volney  ^^Les  Ruines  1822'*;  9)  Le  Comte  de  Warren  ,,L'lnde 
Anglaise  1844";  10)  Fr.  John  Shore  ^^Notes  on  Indian  affaires 
1831".  Das  letzte  und  beste  Werk  uber  die  luuselmannische 
Rechtflwissenschaft  erschien  in  Russland,  und  zwar  von  Mirza 
Alexander  Kasem-Bek,  Professor  an  der  Kasanschen  Univer- 
sitat.  Seiner  Herausgabe  des  Werkes  des  chanefitischen  Ge* 
setzgebers  von  der  Schule  Sadr-uschariad:  ^yMuchtassar-uI- 
wikajet%  fiigte  er  eine  Einleitung  bei,  vvelcfae  eine  ausfiihriiche 
und  bestimmte  Auseinanderselzung  der  Entwickelung  und  des 
gegenwartigen  Zustandes  der  muselmannischen  Jurbprudenz 
enthalt. 

Diese  Arbeiten  iiber  den  betreffenden  Gegenstand  fand 
HerrTornau  in  der  rechtswissenschaflKchen  Literatur  vor,  als 
er  die  Ausftihrung  eines  Werkes  unternahm,  welches  ein  aU- 
gemeines  Bild  der  ganzen  Lebensweise  des  muselmannischen 
Volks,  seines  gesellschaftlichen  und  hauslichen  Verhaltens,  mit 
Hinweis  auf  die  dogmatischen  imd  weltlichen  Principien  sei- 
ner Glaubenslehre  und  die  seines  biirgerlichen  Rechtswesens, 
liefern  soUte.  Als  das  Hauptziel  seiner  Arbeit  betrachtete  der 
Verfasser  indessen  ihren  praktischen  Werth  fiir  dieRegierung 
der  muselmannischen  Stamme  im  russischen  Kaiserreich  und, 
dafs  sich  zu  dem  Ende  Admini^trativpersonen  und  Richter  mit 
den  von  dem  Geist  der  Religion  innig  durchdrungenen  biir- 
gerlichen Gesetzen  des  Islam  vertraut  machen  mochten.  Mit 
Riicksicht  hierauf  voUzog  der  Verfasser  auch  die  Darlegung 
der  erwahnten  Grundsalze  und  zwar  auf  Grund  der  Gesetz- 
biicher  aus  der  Sekte  „Schii",  well,  diese  ihm  mehr  zugiing- 
lich  waren.     Was  dieSchriflen  der  sunnitiacben  Sekte  betrifft. 


Tornaa*8  Werk  iiber  die  Gnindgatze  der  rnaseim.  Rechtawissensdiaft.  565 

so  benulEle  er  mehrere  derseiben,  doch  einzig  und  aliein  nach 
den  Auslegungen  derjenigen  Sunniten,  von  denen  Glaubens- 
genossen  in  dem  iranskaukasischen  Gebiele  und  anderen  rus- 
sischen  Gouvernemenls  leben.  Ebenso  in  dem  besonderen 
Inieresse  fiir  die  praklische  Tauglichkeit  seines  Werkes  hielt 
es  der  Verfasser  fiir  angeeignet,  einiger  abweichenden  Satzun- 
gen  der  in  den  russ.  Provinzen  sich  nicht  vorfindenden  Male* 
kiten  und  Chanbeliten  zu  erwahnen,  weil  jene  Abweicbungen, 
deren  Kenntniss  fiir  Russland  ohnehin  keinen  praktischen  VVerih 
haty  ofl  nur  zu  Unverstandlichkeiten  fiihren  und  die  Veranias- 
sung  zu  Feldern  in  der  Vergleichung  der  festgeseUlen  Rechls- 
bestinimungen  geben  konnten. 

Die  Schriflen  der  muselmSnnischen  Geiehrten,  die  Herr 
Tornau  zum  Geg^nstand  seiner  Queiienstudien  machle,  waren 
folgende:  1)  ,,KiUbi  Usuli  din'',  des  Ispahanischen  Mudjatechid 
Aga- Mohammed -Bahir  Medjlisi;  2)  „Kilabi  Scherchi  Ejteka- 
dat"»  des  Ibn  Bobewei;  3)  „D;omme  Abbasi'%  des  Scheich 
Becka-Eddin- Mohammed  D/embel  Ameli;  4)  ,|Murschid*ul 
awwam'',  des  Mirza  Abul-Kabin  bin  Hassan  D/ilani;  5)  „Bist 
bab'',  des  Hadji  Mohammed  -  Bahir  Medjlisi;  6)  „Nei]-ul  me* 
ram'\  des  Molia  Achmed  x^rdebili;  7)  ,,Sawal  we  d/ewab"', 
des  Mudjetecbid  Sessed  Mohammed-Bahir  Reschle".  Die  bier 
getiannten  Biicher  sind  Gesetz-Schriften  der  Schiitischen  Sekte. 
8)  ,,ChamaI-Idjas'*,  der  sunnitischen  chanefitischen  Sekte;  9) 
„Keschf-enwar'\  der  sunnilisch-schafitischen  Sekte;  10)  „Ich- 
telafot  ui  Imetil  Erba",  eine  sunniliscfae  Schrift;  welche  in 
sich  die  vergleichende  Ausiegung  aller  Gesetze  der  vier  sun- 
nitischen Seklen  begreift.  Ausserdem,  vorziiglich  fiir  das  Ka- 
pitel  iiber  die  Imanschaft  und  deren  Verrichtungen,  ferner  fiir 
die  Darstellung  einiger  reiigioser  Streilfragen  und  endlich  fiir 
das  Kapitel  iiber  die  Wanderung  benutzte  Herr  Tornau  noch 
besondere  Schriften  musehnannischer  Gelehrten. 

Das  Studium  aller  dieser  Hiilfsquellen  wiirde  jedoch  noch 
nicht  alle  Schwierigkeiten  seines  Unternehmens  ganz  beseiligt 
haben,  wenn  er  sich  nicht  in  zweifelhaften  Fallen  der  unter- 
sliitzenden  Leitung  erfahrener  Personen,   welche  sich  damals 


566  Historisch -lingaistische  Wissenscbaften. 

in  den  muselmannischen  Provinzen  des  Iranskaukasischen  Ge- 
bietes  aufhiellen,  erfreut  hatte. 

Die  auf  diese  Weise  gebildete  „Darlegung  der  Grund* 
satze  der  muselmannischen  Rechtswissenschafr,  brachte  Herr 
Tornau  in  zwei  Theile:  der  erste  enthalt  den  dogmatiscben 
Theil  der  Lehre  vom  Glauben  (lime  Kelam);  der  zweite  den 
praktischen  Theil  der  Lehre  vom  Glauben  (Ebadat)  und  das 
biirgerliche  Rechtswesen  (lime  Gkh)  in  drei  Biichem:  Ekudat, 
Eikaat  und  Echkam.  Dem  Werke  voran  geht  eine  Einleitung, 
Diese  und  die  dogmatiscben  Lehrsatze  des  islamismus  sind  von 
dem  Verfasser  zur  Unlersuchung  des  aligemeiden  Zweckes 
der  muselmannischen  Rechtswissenschaft  in  facia  dargelegl, 
welcThe  auf  die  ersten  Principien,  die  Enlslehung  und  die  ge- 
genseilige  Abhangigkeit  aller  Arten,  sowol  der  religi5sen  als 
auch  der  biirgerlichen  Gesetze  unter  einander  hinweisen. 

Die  Einleitung  beruht  auf  Ausspruchen  des  Korans  seJbsl 
und  auf  Angaben  europaischer  Gelehrten,  hier  vermochle  der 
Verfasser  sich  nichl  von  den  Werken  muselmannischer  Rechts-^- 
kundiger  der  verschiedenen  Sekten  leilen  zu  lassen,  da  sie 
mehr  oder  weniger  der  Parlheilichkeit  fiir  ihre  Auffassungs- 
und  Erklarungsweise  untcrliegen.  Der  dogmatische  und  der 
praktische  Theil  der  Glaubenslehre  grundel  sich  auf  die  mu- 
selmannischen Rechlsschriften  und  die  Untersuchungen  der 
Europaer. 

Die  grofsle  Aufmerksamkeit  verwandle  der  Verfasser,  wie 
schon  vorher  bemerkt,  auf  den  biirgerlichen  Theil  der  Ge- 
setzbestimmungen.  Dieser  Abschniit  ist  fasl  ausscliliefsiieh 
persischen  und  arabischen  Quellen  enlnommen.  —  Er  bc- 
steht  aus  drei  Biichem. .  Das  Buch  Ekudat  begreift  in  sich 
die  Geselze,  welche  sich  auf  biirgerliche  Handlungen,  Ver- 
bindlichkeilen,  Vertrage,  Bedingungen  beziehen,  diedieUeber- 
einslimmung  beider  contrahirenden  Theile  erfordern.  Das 
Buch  Eikaat  behandelt  die  Verbindlichkeiten,  welche  nicht 
unfehlbar  die  beiderseilige  Zusiimmung  der  Contrafaenlen  ver- 
langen;  sie  sind  abhangig  von  dem  frtien  Willen  ciner  Per- 
son,   von   welcher    dann    nur   der  Ausspruch    ihres    eigenen 


Tornaa*s  Werk  iiber  die  Gmfidsatie  der  maselm*  ReofatawissenscLaft.  567 

Wunsches  nach  innerer  Ueberzeugung  gefordeii  wird.  Das 
Buch  Echkam  enlhalt  die  Verordnungen  und  Satzungen,  welche 
zur  Erfiillung  und  Wahrnehmung  alien  Museimiinnern  vorge-t 
schrieben  s'md  und  sich  eigens  auf  die  Ordnung  des  biirger** 
lichen,  gesellschaftliehen  und  Privaliebens  derselben  beziehen. 
Hierfaer  gehoren  unter  anderen  auch  die  Criminalsachen.  — 
Jedes  dieser  Bucher  zertallt  in  Abschnitley  j^der  Abschnitt  in 
Kapilel. 

Zu  Anfang  eines  jeden  Kapiiels  sind  die  Quellen  zu 
den  hier  dargelegten  GeseUen  angegeben,  und  jedes  arabische 
und  persisehe  Worl  isl  im  Text,  um  der  Genauigkeit  willen, 
mit  arabischen  Buchslaben  bezeichneL  In  der  Aussprache  der 
arabischen  und  persischen  Worter  richteie  sich  der  Verfasser 
nach  der  gewdhnlichen  arabischen,  fiir  das  Persisehe  zu* 
meist  nach  der  loi  transkaukasischen  Gebiete  gebrauchlichen 
MundarL 

Der  Nutzen  und  die  Wichtigkeit  dieses  Werkes  wird  be- 
soQders  den  russischen  Beamlen  in  den  von  Museimiinnern 
bewohnten  Gebieten  fiihlbar  werden :  fur  sie  ist  die  ,,  Darle- 
gung  der  Grundsiitze  der  muselmannischen  Rechlswissenschafr 
ein  unschaizbares  Werk.  Das  Buch  des  Herrn  Tornau  ist 
durch  die  Vermittelung  des  Grafen  Dmitrii  Nikolajewilsch 
Bludow  auf  Ko&ten  der  Typographic  der  zweilen  Ablheilung 
der  Kaiserlichen  Kanzellei  gedruckl  worden  und  dem  Ver- 
fasser wurde  erlaubt  es  dem  Kaiser  zu  wadmen.  . 

Als  Probe  iiber  die  Behandlungsweise  des  Gegenstandes 
geben  vvir  hier  den  Anfang  der  Einleitung.  Die  Randglossen 
und  arabischen  Benennungen,  weiche  im  Original  fast  die 
Halfte  des  Texles  biiden,  libergehn  wir  als  unnolhig  fUr  den 
Zweck  dieses  Auszugs. 

„Zur  Begriindung  der  muselmannischen  Rechtswissen- 
schaft,  sowol  der.  geisUichen  wie  der  biirgerlichen,  dient  der 
Koran. 

„Der  Koran,  in  der  (Jeberlragung :  Buch  oder  das  Lesen, 
ist  eine  Sammlung  von  Suren  oder  Kapileln. 

,)Der  Zweck   des   Koran's   war  in   religioser   Beziehung: 


568  Hiitorisch-lingnistiscbe  Wisienscbaften. 

den  Gfitzendiensi  unter  den  Arabern  zu  unterdriieken  und 
auszuroUen,  in  ihnen  die  Gefiihle  der  Sittlichkeil  und  die  an- 
geborenen  Tugenden  zu  wecken  und  dieselben  auf  beslimmle 
Gesetze  und  Gebrauche  der  Religion  zu  begriinden;  endUch 
dem  Glauben  der  Hebraer,  besonders  dem  Treiben  der  Rab- 
biner^  ebenso  der  Liigenlehre  der  Gnostiker,  der  Sabellianer 
und  anderer  Sekten  entgegenzuwirken,  aus  welchen  Jetzteren 
Mohammed  auch  seinen  falschen,  verworrenen  Begriff  von 
der  christlichen  Religion  geschopft  hatie. 

9,Der  neuen  Lehre  wurde  die  Benennung  Islam  beigelegt, 
die  in  der  Uebertragung  ,,die  unbedingte  Unterwerfung  unter 
den  Willen  und  die  Befehle  des  Allerhochsien''  heifsL 

y^Die  Dogmata  der  Lehre  und  die  Gesetze  des  Islamismus 
sind  andren  Religionen  entnommen:  zumeist  der  mosakchen, 
zum  Theil  der  christlichen  und  der  der  alten  Perser.  Der 
Theil  iiber  die  Gebrauche  des  muselmannischen  Glaubens 
griindet  sich  sowol  auf  diejenigen,  welche  bei  den  Arabern  in 
der  Zeit  des  Gotzendienstes  iibtich  waren,  als.  aach  auf  ()ie 
jiidischen.  Alles  dieses  wurde  dem  Geiste  und  den  BegriffeD, 
den  Silten,  Gewohnheil«n  und  Leidenschaften  der  Araber  an- 
gepafst  und  fand  an  vielen  Slellen  seinen  Ausdruck  in  einer 
so  machtigen  Beredsamkeit,  als  sie  die  Araber  in  ihrer  Sprache 
nicht  kannlen  und  kennen  und  die  Mohammed  als  Kennzei- 
chen  seiner  Weissagung  ausgab,  indem  er  sich  einen  unge* 
lehrten  Pfophelen  nannte. 

„So  wie  der  Koran  von  Mohammed  zu  verschiedenen 
Zeiten  verkundigt  wurde:  theils  und  besonders  zur  Verbrei- 
tung  seiner  Lehre,  theils  in  Falge  von  Zufalligkeiten  in  sei* 
nem  offentlichen  und  Privat*Leben,  theils  zur  Auslegung 
seiner  vorhergegangenen  Verordnungen ,  so  findet  sich  auch 
in  den  Suren  (Kapitein)  und  Spruchen  des  Korans,  weder  eine 
Verbindung  noch  eine  systematische  Ordnung. 

,,Bei  Lebzeiten  Mohammed's  bildele  der  Koran  nicht  ein 
ganzes  Werk,  in  Bezug  auf  die  abgesonderlen  Suren  erwei- 
lerle  er  sich  durch  Handschriften  unter  seinen  Anbangern. 


TornaQ*8  Werk  uber  die  Grandsatze  der  matelm.  Rechtewiuenachaft.  569 

,,Nach  dem  Tode  Mohammed's  befahl  der  Kalif  Abu 
Bekr  dem  Send  Ibn-Sebet,  alle  Kapitel  in  ein  Gesetzbuch 
zusammenzufassen  und  im  13.  Jahre  der  Hegira  (634  nach 
Christi  Geburt)  wurde  der  Koran  als  voiles,  in  114Suren  ge- 
thelites  Ganse  herausgegeben." 

Am  Schlusse  des  Werkes  linden  wir  zwei  Inhalts-Ver- 
zeichnisse,  ein  kurzes  and  ein  ausfuhrliches,  und  ein  alpha- 
betisches  Register. 

L.  A. 


Bericht  eines  russischen  Handelsreisenden  iiber 

Taschkent  *3. 


Von  Pelropawlowsk  (im  Gouvernement  Orenburg)  fiihrl  cin 
stark  besuchier,  ausgefahrener  Weg  nach  Taschkent  Man 
kann  sich  hier  nichi  verirren,  ausgenoinmen  elwa  in  dem  Ge- 
birge  Kara-tau,  jenseits  der^Forst  5usak,  dessen  Uebergang 
ungefaiir  sechs  und  dreilsig  Stunden  dauert.  Sonst  ist  die 
Strafse  uberall  so  eben,  dafs  man  in  einem  Tarantas  darauf 
reisen  kann;  die  Waaren  werden  jedoch  aile  auf  Kaineelen 
transportirt,  und  zwar  zu  biliigen  Preisen,  indem  man  fiir 
eine  Last  von  sechzehn  Pud  einige  30  Rubet  Papier  zahlt. 

Nachdem  wir  Pelropawlowsk  verlassen,  ziehen  wir  zuerst 
gegen  500  Werst  weit  bis  zum  Akmotinskji-Prikas  durch  die 
Steppe,  in  welcher  die  Russland  unterlhanigeu  Kirgisen  no- 
madisiren.  Ueber  Akmoly  hinaus  verfolgen  wir  den  nach 
Ajagus  fiihrenden  Weg  liings  der  Kosakenlinie  und  wenden 
uns  sieben  Piquets  vom  ersteren  Orte  rechts,  bis  zum  Flusse 
Sary-5u,  der  wohl  280  Werst  von  Akmoly  entfernt  sein  mag. 
Vom  Sary-5u  ab  finden  wir  auf  einer  Strecke  von  150  Werst 
gute  Fourage  und  keinen  Mangel  an  Wasser.  Desto  beschwer- 
licher  sind  die  folgenden  250  Werst;  man  nennt  diese  Gegend 
mit  Recht  die  Hunger -Steppe  (Golodnaja  'Slepj).     In  dieser 


*)  MitgetheiU  von    Herrn  P.  J.   NeboUin   in  den  Otetscbestwennyja 
SapUki. 


Bericht  einea  rassiftcben  Handelsreisenden  iiber  Ta«chkent.       571 

Hunger -Steppe,  Bed-pak-dala,  sind  alle  40  bis  50  Werst 
Brunnen  gegraben.  Eine  solche  Distanz  in  einer  Tour  zu- 
riickzulegen,  wiirde  jedoch,  namenllich  bei  heifser  Witlerung, 
kaum  mSglich  sein;  man  fiihrt  daher  Schiauche  mit,  die  man 
des  Morgens  mil  Wasser  fiillt.  Nachdem  man  dann  20  bis 
25  Werst  gereist  ist,  halt  man  um  die  Miltagszeil  an^  nimmt 
den  Kameelen  die  ihnen  aufgepackten  Wasserschlauche  ab, 
trankl  die  Pferde  und  kocbt  Thee  fiir  die  Caravane,  wahrend 
die  Kameele  und  die  Pferde  das  kargliche  Gras  abpfliicken, 
das  umher  wachst..  Hierauf  selzt  man  seinen  Weg  fort  und 
gelangt  gegen  Abend  zum  Brunnen,  So  geht  es  heule»  so 
morgen  und  ubermorgen  fort;  es  wiederholt  sich  dieselbe  ein- 
formige  Scene,  bis  wir  den  Tschui- Strom  erreichen. 

Der  Tschui  (Tschuja)  ist  kein  kleiner  Fluss^  und  obgleich 
er  im  Gebirge  entspringt  und  seine  Flulhen  daher  rein  und 
frisch  sein  miissten,  so  giebt  ihm  doch  der  Salzgrund,  iiber 
den  er  fliefst,  einen  brakischen  Geschmack.  Er.  steht  mit  vie- 
len  Landseen  in  Verbindung,  die  mit  Schilf  bedeckt  sind.  In 
den  Monaten  Marz  und  April,  wo  das  Wasser  im  Flusse  nie- 
drig  isty  waten  die  Caravanen  durch;  im  Mai  und  Juni  aber, 
bei  hohem  Wasser,  macht  maA  aus  dem  Schilfrohr  Floiise  und 
setzt  so  mit  seinen  Waaren  auf  das  Taschkenter  Ufer  iiber. 

Von  der  russischen  Seite  des  Tschui  bis  zur  nachsten 
Taschkenter  Festung,  Susak^  rechnet  man  80  Werst  eines 
hochst  sandigen  Weges.  Ueber  einen  Raum  von  etwa  60 
Werst  erstreckt  sich  ein  5ak«aul-Wald,  der  indessen  nur  aus 
verkriippeltem  Gestriipp  besteht.  Auch  hier  sind  an  verschie- 
denen  Punklen  Brunnen  in  den  Sand  gegraben ;  wogegen  5u- 
sak  an  einer  Quelle  liegt  und  auch  durch  Aquaducte  mit 
Wasser  vom  Berge  Karatau  versehen  wird.  Da  hier  nur  we* 
nigRegen  falh,  so  bewassert  man  dieFelder  aus  diesenWas- 
serleitungen  drei-  bis  viermal  im  Sommer  und  erzielt  hier- 
durch  gute  Aerndlen.  Man  hat  um'5usak  drei  Sorten  Ge- 
traide:  Waizen,  Gerste  oder  Arpa  und  Hirse. 

Siebzehn  Werst  von  S\xsak  nimmt  das  Schwarze  Gebirge, 
Kara-tau,  seinen  Anfang,  durch  dessen  Schluchlen  die  Ca- 


572  Historisch-lingnistisehe  Wissensehftften. 

ravahen  passiren  miissen.    Langs  der  ersten  Haifte  des  Wegs 
fliefst  gutes  Quell-  und  Schneevvasser.     Unler  Anderem  siehl 
man  dor^^  einen   grofsen  Bach  mit  einem  Grabmal  zu  Ehren 
eincts  Mannes^  der  von  den  Kokanern  als  Heiliger  verehrt  und 
Balyk-Tschala,  d.h.  Vater  der  Fischer,  genannt  wird.    Neben 
dem  Grabe  hat  man  einen  kleinen  Teich  gemacht  und  Fische 
hineingelassen;  sie  gehSren  aile  zu  einer  Sorle,  nach  Arl  der 
Golowlja  (cyprinus  orpha),  und  werden  von  den  zunflchsl  le- 
benden   Einwohnem   gefiiltert,    aber    weder  gefangen    noch 
gegessen^  da  man  dies  fiir  sundhaft  hall.   Rings  um  das  Grab 
hangen  an  den  Baumaslen  eine  Menge  Kleinigkeilen^  die  von 
Voruberreisenden  dem  Balyk-Tschata  geopfert  worden,   als 
Schaffelle,  Stiickchen  Tuch,  Stncke>  kleine  Biischel  Pferde* 
haare  u.  dergl. 

An  diesem  Grabmal  vorbei  Qberschreiten  wir  den  Miliel- 
punkt  der  ersten  Haifte  des  Gebirges.  Der  Weg  ist  hier  nicht 
mebr  sleil^  sondern  fiir  Wagen  fahrbar.  Die  zweiie  Haifte 
des  Kara-tauy  in  die  wir  jetzt  hinabsteigen,  beginnt  wieder  mit 
schroffen  AbhSngen,  hinter  denen  sich  Wasserfalle  ergiefsen. 
Die  Aussichten  von  diesen  Punkten  sind  wunderschdn.  Von 
5usak  bis  Asret  betragt  die  ganze  Entfemung  acht»g  Werst, 
von  denen  die  I^tzten  vierzig,  meist  glattes,  ebenes  Terrain 
sind.  — 

In  Asr6l  oder  Turkestan,  was  dasselbe  ist,  flielst  nur  we* 
nig  Wasser  von  den  Bergen,  und  zwar  vornebmlich  im  Friih* 
ling;  es  wird  von  den  Kirgisen  vom  Geschlechte  Kurema 
aufgefangen,  die  in  der  Nahe  des  Gebirges  leben  und  viel 
Getraide  saen.  Hierdurch  entstehen  zwischen  den  Kirgisen 
und  Turkestanern  Streitigkeiten ,  und  sie  fiihren  gegen  einan- 
der  bei  ihrer  Regierung  Klage. 

Ihre  Manier,  das  Wasser  aufzufangen,  und  es  von  den 
niedriger  gelegenen  Punkten  nach  den  hSheren  zu  leiten,  um 
Bie  Aecker  zu  benetzen,  ist  ganz  sinnreich*  An  der  Seite  des 
vom  Berge  herunterstiirzenden  Baches  oder  Fliisschens  wird 
ein  Canal  gegraben,  dessen  Mauern  bergab  allmalig  hober 
gemacht  werden.   Wenn  die  Erdarbeiten  fast  bis  an  den  Fluss 


Bericbt  eiiiei  roMiiclkeii  Handdtreiiendeii  Jah^t  Tatchkent.      573 

vorgeriickt  sindi  so  wird  unterhaH>  der  Stella,  wo  die  Miin* 
dung  des  Canals  durchgehen  mufs,  em  Damm  von  Steinen 
errichlei,  worauf  man  den  Canal  bis  sum  Flnsse  fortfuhrl. 
Der  Flussi  in  seinem  Laofe  durch  den  Damm  aufgehalten, 
liber  dessen  Steinwand  er  sich  keine  Bahn  zu  brechen  ver«> 
mag,  sucht  einen  anderen  Ausweg  imd  ergiefst  sich  in  die 
Mtindung  des  Canals,  die  er  foriwabrend  anflillt.  Das  Was- 
ser  erbebt  sich  immer  mehr  und  mehr,  aber  die  Mauern  des 
Canals  sind  hoch  und  das  Wasser  kann  sie  nieht  aberfluthen; 
so  steigt  es  allmahlig  den  Berg  binauf,  ftillt  den  ganzen  Ca*- 
nal,  und  man  l^st  es  dann  nach  Beiieben  iiber  die  Fol- 
der ab. 

Von  Asrei  hat  man  bis  zur  Haupt-HanJelsstadt  des  Ko- 
kaner  Reiches,  Taschkent,  etwa  260  oder  270  Worst.  Unter- 
weges  treffen  wir  auf  Wohnplatse  ansassiger  Taschkenter  und 
kirgisische  Nomadenlager,  auf  mit  Zittwersaamen  besaete 
Folder  und  Ackerland.  Zwdlf  Worst  von  Tasehkeni  passiren 
wir  den  Fluss  Kal)a«.  Jenseits  des  Flusses  ziehen  sich  Pti^ 
vatgarlen  und  Grundsiiicke  bin,  tiberall  von  Canalon  du^ch- 
schniUen,  urn  die  Vegetation  in  der  regenlosen  Jabreszeit  2u 
befSrdem.  Die  Arbeit  bat  bier  fast  gar  keinea  Wferth,  uttd 
bei  der  DurAigkeit  der  Einwohner  ist  der  Tagelohn  so  unbe-^ 
deutend,  dais  das  Graben  dieser  Canale  trotz  ihrer  grofsen. 
Anzahl  mit  aufserst  geringen  Kosten  verknfipft  ist.  Auch  in 
Russland  wikden  dergleichen  Canale  in  manchen  Gegenden 
nutzlich  sein,  allein  der  Gewinn  den  sie  briicbten,  wiirde  nie 
die  Kosten  deeken.  Man  bat  keinen  Begriff  von  der  Armuth 
der  Asiaten  und  von  der  Geringfugigkeit  der  Mittel,  die  sie^ 
zu  ihrer  Existenz  brauchen.  Das  Volk  ist  arm,  wild  und  un- 
wissend ;  es  weifs  ntcht,  was  seiner  am  morgenden  Tage  war* 
tet  —  ob  man  ihn  den  heute  erworbenen  Bissen  Brod  lassen 
oder  ob  derBek  ifan  nehmen  wird,  der  die  Leute  ohneKecht 
und  Urtheil  ibres  Vermogens  beraubt,  sobald  es  ihm  gutdiinkt. 

Die  letzten  vier  Werst  von  Taschkent  ist  die  Slrafse  mit 
Garten  besetzi;  endlich  gelangen  wir  bis  zurStadtmauer,  rei« 
ten  durch  das  Thor  und  treten  in  die  Stadt  dn. 

Ermans  Russ*  Archiv.  Bd.  XI.  H.  4.  38 


574  '  Hisi^nscb-HiigttiftUaclie  W«lseos«l)aCt«n. 

.  .  Taachk^nt  .is4>  eine  reiti-'asidUsehe  Sladt.  Difi.  Sirafsen 
^ind  ki'umtQ  vtnd  so  eugy  dafs  nur  ein  Wageo  dm^fahren 
kann;  weiui  aich  svvei  beg^gnen,  qq  kdoi%en  $ie  nichi  vprbei* 
kpmmen.  Im  Fruhliog  isl  der Schiaultz.granzenlos;  dieStras* 
sen  sind  nwt  fur  Reiter  au  pa9^irei>»  deren  P{erde  sich  kaum 
alls  den  Sumpfen  heraMsarbeilen  konnen,  in  die  aie  bis  iiber 
die  Kniee  versinken/  LaDga  den  Strafiien  zieht  aich  eine 
Lehmmauer,  die  von  dej)  Hausern  der  Einwohoer  und  ande- 
ren  Gebauden  nicht  das  mtndeste  sehen  lafsl.  Die  Hauser 
sind  innerhalb  des  Hofraums,  binter  der  Mauer,  gebaut,  und 
der  aufsere  Anbiick  der  Slraisen  ial  daher  haehat  monoton. 
Bei  einigen  Hausern,  deren  man  in  Taschkent  gegen  viertau- 
send  ^hiti  befinden  sich  auoh  Obatgarten.  Die  aaiatischen 
tjauser  sind  nicht  grofs^  es  wohnt  darin  nur  der  Eigenlhumer 
pjsbsi  ^^p.er  Fanriilie;  Quarliei'e  an  Fremde  fia  vermietben  iat 
nicht  ublich. 

.,  Das  Leben  der  Tasehkenter,  ^e  allf^r  Aai^teii)  ist  nach 
unseren ;  Begriffen  armiich  und  unbequew.  In  ihr^n  i>ehm- 
h^Visern  giebl  es  keine.  Funster,  der  Wind  blast  uberail  her- 
ein, und  als.einziges  Miltei^  sich  z^u  warmeD,  hai  man  einen 
in?  Ziaimer  i^uf  dem  Fu£sJ^4«n  zusammengelegten  Hol%hau- 
feni  welchen  man  ansXeckt,  uja  die  Speisen  zu  kochen,  und 
uoi  welchen.  sich  dieFamilie  kauea*t«  ,Xische,  SliibJe,  Priiachen 
pder  Banke  sind  unbekannl^  d^r.Fufshodey  \yird.iiiii  PiUdek- 
ken  Oder  prdinairen  Teppichen  bel>$gt, /anf  welchen  mau 
^chlaft,  ifst  und . arbeilel.  /   :.     - 

Im  Eaaeii  aind  die:  Taaehkeikter;niichl  lefiker.  .  Wenn  aie 
Plow  (Pilau)  mi  Hammelfleisch  haben,  »q  ial  ea  schoti  .ein 
^rofs^s  Feat;  in  der  Regel  afaer.  wird  .Grilt^e  Oder  Mehl  in 
de;i.  Kes^el  geworfen,  etwas  Gemiise  hinaugethan,  dann  noch 
«in  Hammelknochen  eiag^kocht?  und  das  Mahl  iat  ifertig- 

Ihre  Kleidung  iat  dieselbe,  wie  bei.  den  Buabaren:.  ein 
bis  unler  die  Kniee  reichendea  Heaide»  nach  Art  unserer 
Frauenhemden,  aber  mit  langen,  weiten  Aermein  und  einem 
Schlitz,  durch  welchen  man  den  Kopf  steckt,  und  ohne  den 
fallenden  Kragen,  wie  ihn  dieTataren  undKJrgisen  zu  Iragen 


Bericht  eiiiet  rauUcken  HandelAreiteadeji  ul»er  Taschkeiit       575 

pflegeii;  weite  Hosen  (Scharawary),  um  dtn  Ltib  fttttaoennen 
gebttfiden;  stall  der  Slriioipfe  Saddalen  (tschulgan,  rusaisisb 
onatechi)  aus  bi&ua>tvoU0iera  Zeag,  wia  die  ganaee  Kieiduog; 
hohe  Sliefein  bis  aus  Knie'und  stela  von  schwarzer  Farbe, 
iiber.  welohe  jedooh  griiae  Scluihe  voa  dn^  iSaur  igenannten 
Lederarl  ge^ogen  werden.  Ueber  dem  Hecnde  tragi  man 
zuerst  einen  sehiecht«o,  kumen  und  schmalen  baumwoJlenen 
Sohlafrock  (ehalat) ,  mit  Taschohen  an  der  Brual  und  cinem 
SchliU  am  Endb  der  Aerineln,  etwa  eine  halbe  Arschin  hoher, 
um  sie  beiai  Wascbea  bis  an  die  ElltK>gen  autiiokschlagen  zu 
konnen;  Dieser  Schlafreck  wird  an  der  Bcust  mit  Bandiirn 
von  gleichem  Sloff  befestigi  und  dureh  eine  hiibsche,  breite 
Scharpe  zusamniengehallen.  Oann  kommt  noch  ein  ziweiler 
Rock,  ge%vohnlicfa  halbseiden;  er  ist  ianger  und  breiter  alsder 
erste,  hat  gleiohfalk  Bander,,  wird  aber  meislens  oSen  geUra- 
gen  oder  mit  einer  aweiten ,  breileren  Scharpe  umgurtety  die 
aus  vier,  fiinf  oder  mehreren  unaufgeschnittenen  Tiichern  la 
funf  Kopeken  das  Siiick  besteht.  im  Gurtei  steckt  immer  von 
der  rechlen  Seite  ein  bauinwollenes  Tcischenluch,  das  jedoch 
bios  zum  Slant  dient,  und  von  der  linken  ein  kleines  Mess«r. 
Die  Beamten  Iragen  links  entweder  ein*en  kfuminen  Oolch, 
oder  einen  Sabel,  oder  ein  langes  IMesser  init  einem  Griff  von 
Knochen  oder  Slein.  Auf  den  geschoreneii  Kopf  wird  zuerst 
ein  Kaljaposch,  d.  h.  eine  spilzige  Miitze,  und  dann  ein 
Sail] a  oder  Turban  von  BaumwoJl^zeug  geselzl.  Bei  kal* 
ler  VVilterung  zieht  man  noch  einen  Tulup  oder  Schafpeiz 
mil  baumwoUenem  oder  haibseidenem  Sloff  iiberzogen  an, 
der'gleiehlails  mil  einer  Scharpe  umgiirlet  wird. 

Der  Beherrscber  von  Kokan  fiihrt  den  Titei  eines  Bek; 
der  jetzige  bei/st  Ckudojar-CbaD.  £r  ist  noch  einjunger 
Mann  und  seine  Maehl  ist  nicht  grofs.  .  Alie  Staatsgeschafte 
stehen  unler  der  Auisicht  des  Min-Baschi,  dessen  Amlsfikh- 
rung  jedoch  gemeiniglich  nur  von  kurzer  Dauer  ist.  Da» 
stehende  Heer  des  Beks  ist  nicht  sehr  zahlretch.  Wenn  er 
mit  einem  Nacbbar  Krieg.  fuiut,  so  wird  eine  Art  von  Land- 
wehr  (opollschenie)  ausgehoben,  und  zwar  meislens  aus  den 

38* 


576  Historisch-lingiriitische  Wissenichaften* 

in  Kokand  herrschenden  Kirgtsen  vom  Slamme  Kypischak, 
indem  die  eigentlichen  Kokaner^  besonders  die  Tadjiks ,  feige 
sind.  Zu  Anfang  des  Kriegea  werden  der  Armee  5arpai, 
d.  h.  Rooke  von  roihetn  Tuch,  Beinkleider,  Saltel,  Stiefeln 
und  ein  oder  zwei  Dukaten  (tscherwonsy)  pro  Mann  an  Geld 
ausgetkeilL  Die  Anfiihrer  erhalten,  je  nach  ihrem  Range, 
sehn  bis  iwanzig  Dukaten  ftir  die  ganse  Dauer  des  Krieges, 
d»  i  auf  ekien  Monat  oder  sechs  Wochen;.llinger  dauert  bei 
ihnen  der  Krieg  nicht,  da  es  an  VorrStken  fehlen  and  der 
Mannsehaft  auch  die  Geduld  ausgehen  wiirde.  Die  gemeinen 
SoMaten  bekommen  ausserdem  noch  ein  Pferd,  wenn  sie  selbst 
kein  solehes  haben.  Die  Armee  beslehi  nur  aus  Reiterei;  In- 
fanterioy  wie  bei  den  Bucharen,  giebt  es  in  Kokan  nicbt.  Die 
AusrQstang  der  Truppen  ist  eiemlich  mangelhaft;  hat  einer 
eine  Fiinte,  so  ist  es  gut,  wenn  nicht,  so  wird  nicbt  viel 
darauf  gesehen,  falls  er  nur  einen  Sabei  oder  eine  Lanse  auf- 
weisen  kann.  In  der  Stadt  Kokan  selbst  findet  man  auch  Ar* 
liUerie:  vier  oder  fiinf  Kanonen  und  eihige  zwanaig  Jasaile 
oder  Falkonette.  Sie  werden  auf  Karren  transportirt,  an  de« 
ren  .Achsen  sie  festgemacht  und  so  abgeschossen  werden. 

Ich  reiste  einmal  (es  war  im  Jahr  1847)  mit  einer  Cara- 
vane  nach  Tasohkent.  Wir  kamen  wohlbehalten  bis  nach5u- 
sak;  denn  in  unserer  Steppe  sind  die  Kirgisen  jetst  sehr 
ruhig  und  die  Caravanen  haben  nichts  mehr  zu  fdrchten.  In 
Susak  fanden  wir  einen  uns  entgegcn  gesandten-  Beamlen, 
der  uns  nach  Asret  geleilen  soUte.  „Was  soil  dies  bedeuten?'^ 
dachten  wir  und  begannen  den  Boten  auszufragen.  Wir  er- 
fuhren,  dafs  der  Bek-von  Asret  sich  mit  dem  oberslen  Bek 
oder  Chan  von  Kokan  veruneinigt  habe.  Der  Chan  hatte  von 
ihm  den  Tribut  eingefordert^  was  jener  verweigerte,  mit  der 
Drohung,  sich  unabhangig  zu  machen,  worauf  der  Chan  ein 
Heer  von  20000  Mann  zusammenbrachte,  dessen  Commando 
er  dem  Bek  von  Taschkent,  A«is>  anvertraute.  Der  Bek  A«is 
nickte  mit  dieser  Macht  vor  Asret^  umzingeite  es  und  begann 
in  die  Stadt  hineinzuschiefsen,  die  ihm  in  gleicher  Weise  ant- 
wortete.    So  wurde  das  Kriegssptel  eine  Zeitlang  fortgesetzt, 


Bericht  eioea  roisifdien  HajKlebrei^eadeft  naeh  Tascbkent        gi77. 

obne  dats  es  su  irgend  einem  Resultat  fiihrte.  A^is  wolUe 
jedoch  nicht  utiverrichteler  Saehe  nach  Hause  kehren^  sog 
sich  also  nicht  zuriick  und  stand  ein  voiles  balbes  Jahr  vor 
der  StadU  *  Endlich  machten  die  Truppen  des  Chans  eine 
Bresche  in  der  Lehmmauer,  liefsen  Wasser  aus  den  Canalen 
liinein,  welches  die  Festdng  uberschwemmte,  und  die  Be\voh«- 
ner  von  Asret  ergaben  sich;  nur  die  Krieger  setzlen  sich  in 
der  kleinen  Citadelle  fest,  in  der  sich  die  Moschee  des  Sultans 
Asret  und  das  Grab  Chodji  •  Achmels  befinden,  und  schossen 
von  dort  aus  auf  die  Taschkenler.  Da  trat  plotzlich  ein 
neuer,  unerwarteter  Umstand  ein. 

In  Kokan  wurde  der  oberste  Minister,  der  Min-Baschi  Mu* 
sul-Man-Kul|  von  dem  Chan  abgeselzt  und  ein  anderer  Kyp- 
tscbak  an  seiner  Stelle  ernannt.  A^is,  iiber  den  Slurz  seines 
Freundes  Mu«ul*-Man-Kul,  mil  dem  er  im  Einverstandnifs  war 
und  in  grofser  Harmonic  leble,  aufgebracht,  schrieb  an  den 
Bek  von  Asret  mit  der  Bilte,  die  Festung  zu  ubergeben  und 
den  Krieg  zu  beendigen,  und  versprach  dagegen,  ihn  dem  Chan 
nicht  zur  Bestrafung  fur  seinen  Ungehorsam  auszuUefern, 
sondem  nach  Buchara  zu  enllassen.  Der  Bek  von  Asret.  reiste 
nach  Buchara  ab,  der  Bek  Asis  setzte  seinen  Slatlhalter  in 
Asret  ein  und  kehrte  mit  seinen  Truppen  nach  Taschkent 
ziiruck. 

Bald  darauf  schickte  der  neue  Min-Baschi  zu  A^is-Bek 
nach  Taschkent  mit  dem  Befehl,  ibm  zu  gehorchen  und  ihn 
in  derselben  Weise  als  seinen  Vorgesetzten  anzuerkenne.n, 
"me  den  Ariihereii  Min-Baschi  MusuMVIan^Kul;  allein  A«is  er* 
kiSrte  dem  Boten,  dafs  er  nichls  von  dem  neuen  Min-Baschi 
wissen  woUe.  In  Folge  dessen  wurde  in  Kokan  ein  neues 
Heer  ausgeriistet,  welches  sich  gleichfalls  auf  einige  zwanzig* 
tausend  Mann  belief.  Dieses  ruckte  vor  Taschkent  und  um* 
zingelte  es,  aber  Asis*Bek  schlofs  alie  There  und  weig^te 
sich,  die  Truppen  des  Chans  einzulassen.  Lelztere  sohritten 
zum  Angriif;  die  Bewohner  von  Taschkent  vertheidtgten  sich, 
und  das  Schiefsen  dauerte  sechs  Wochen.  Wahrend  dieser 
ganzen  Zeit  war  Taschkent    blokirt.     Als   die  Truppen    des 


578  Hifftorisch-lingfiiBttsche  Wissenscbaften. 

Ghans  saben,  dafs  sie  die  Stadt  nicht  einn^men  konnten, 
machten  sie  sieh  in  der  Nacht  ^us  dem  Siaube  iund  kebrten 
nach  Kokati  zoriick.  Ab\s  ethidlt  sogleich'  von  ihrem  Ruck- 
zuge  Kunde,  glaubte  aber  nichl<dardny<saiid^rn  Tiirchleter  eine 
Kriegsli\st;[  er  Kefs  daher  die  fiinwohnei?  Fange  nicbi  aus  der 
Siadt  herauiy  um  ihre  Garten  iind  Aeckfer  zu  bedtellen,  wo- 
ven die  -Yiaaehkenter  allein  ihren  Onlerbalt  gewinnem  Aus- 
serdiem  le'gte  ibnen  A«k  sur  Be^reilung' derKrie^kosten  eine 
Steuer  von  dreifsig  Silbermiinzen  (zu  20  Kopeken)  for  jedes 
Haus  auf.  Die  SiSdter  schickten  ihrerseils  heiinlich  nach  dem 
Fort  Krejutschi  (zwischen  Tasehkent  und  Chodjerrl)  zu  dem 
dortigen  Befehlshaber,  urn  seinen  Schutz  zu  erbitten,  mit  dem 
Versprecben,  ihm  ganz  Taschkent  zu  iiberliefern* 

Am  9.  August  1847  begann  zu  Taschkenl  ein  Blutbad; 
im  Laufe  von  drei  Stunden  wurden  gegen  800  Menschen  todt- 
geacbiagen.  Man  hat  mir  nie  recht  die  Ursache  erklaren  kon* 
nen,  warum  so  viel  Blut  vergossen  wurde.  leh  befand  mich 
damals  selbst  in  Tasehkent,  und  da  ich  nicht  wufste,  ob  ich 
am  Leben  bleiben  i;vurde,  so  vergrub  ich  alies,  was  ich  an 
Geld'  bei  mir  halte,  in  der  Erde  in  einer  Ecke  des  Caravan- 
serai. Am  Morgen  nach  diesenfi  Gemetzel  langte  der  Befehis- 
haber  des  Forts  Krejutschi  an  und  bemachiigte  sieh  Tasch- 
kent^s.  Unterdessen  war  in  Kokan,  nachdem  die  Armee  des 
Chans  von  ihrer  erfolglosen  Expedition  gegen  A^is-Bek  zu- 
ruckgekehrt  war,  der  neue  Min-Baschi  semer  Slelle  enthoben 
und  der  friihere,  Mu«ul-Man-Kul,  wieder  in  dieselbe  eingesetzt 
worden.  A^is  wurde  nach  Kokan  eingeladen,  wo  er,  man 
wetfs  nioht  warum  ^  in  jedem  Falle  aber  nicht  iur  sein  altes 
Vergehen,  welches  man  ihm  nicht  mehr  als  Yergehn'  anrech- 
nete  -—  einige  Monate  nach  seiner  Ankunft  umgebracht  wurde, 
wahrend  die  Stadt  Taschkent,  seit  ihrer  Einnahme  durch  den 
Gouverneur  von  Krejutschi,  von  diesem  regiert  wird. 

Ein  solches  Land  ist  Taschkent;  man  kepnt  hier  weder 
Recht  noch  Gerechtigkeit,  weder  Ordnung  noch  Gesetz.  Das 
Reich  Kokand  ist  auch  kaiim  ein  Staat  zu  nennen;  es  ist  nur 
ein  Lager  oder  Sammelplatz  reicher  und  armer,  aber  durch- 


Bericht  eines  riMsischen  Uandelsreisenden  nach  Tasclikent.        579 

gangig  roher  und  wilder  Asialen,  im  Vergleich  mit  welchen 
die  talarischen  Bauern  (inujiki-Tatary)  in  Kussland  wahre 
Gentlemen  und  aiifgeklarte  Leute  sind. 

Fiir  den  russischen  Kaufmann  ist  jedoch  Taschkent  ein 
wichliges  Land,  und  um  so  mehr  durch  seine  haufigen  Ver- 
bindungen  mit  Kaschgar  und  Buchara.  Nach  Kaschgar  wer- 
den  allwochentlich  Caravanen  aus  Kokan  abgefertigt,  welche 
den  Bewohnern  von  unbekannten  Gegenden  russische  Waa- 
ren,  Tuch,  farbigc  Pluf che,  Cjillun.^  Mitkal  .(gr^^be  Miisseline), 
rohes  und  gegossenes  Eisen  zufiihren.  Es  ist  nur  zu  bedauem, 
dafs  die  russischen  Kaufherren  nicht  selber  hinreisen,  slall 
ihre  Prikaschtschiks  zu  schicken ;  es  wiirde  ihnen  ohne  Zwei- 
fel  gelingen,  bessere  Tauschartikei  ausHndig  zu  oiacbeu,  als 
die  Welche  jeUt  aus  Taschkent  bezogen,  werden,  uad  die 
hauptsachlich  in  Baumwolle,  einer  sohlechien  Sorte  Krapp  und 
Thierfellen  bestehen,  wozu  noch  getrocknete  Friichte  und  g'e- 
druckte  Baumwollenzeuge  (wyboika),  Busi  und  Chalate  koitf^ 
men.  Man  wendei  ein,  dafs  die  Reiae  mit  biedeutenden  Ge- 
fahren  und  Beschwerden  verbuoden  ist  Lel&teres,  mag  wohl 
gegrundet  sein,  obwohl  die  Mtihseligkeiien  eines  Caravanen- 
%uges  durch  die  Sieppe  am  Ehde  leichter  zu  «rtragen  sind, 
als. die  .taglichen  Qualereien  des  Weltleben^.  Was  aber.  die 
Gefahr  betrifft,  so  sind  die  Zeiten  vorbei,  .wo  soicbe  lu  bch 
fiircbten  war;  heutzutage  wird  auf  der  ganzen  Steppenreiae 
weiler  von  den  Kirgisen  noch  von  andren  Volkssiammen  dem 
Kaufmann  ejn  Harchen  gekriimmt '^). 


*)  Ueber  die  Gefatiren,  mit  welchem  fruhure  Reisende  in  der  Kirgisen- 
steppe  zu  kampfen  batten,  vergi*  Kaidalow^s  „Karawan-Saf4«ki" 
im  ersten  Bande  des  Arobiys,  S.  124  ff. 


Das  Reich  Kokand  in  seinem  heutigen  Zustande. 


IjLokand  begreift  den  osUichsten  Theil  des  uoabhangigen 
Turkestan :  im  Norden  wird  es  durch  eine  unwirthbare  Steppe 
von  ^ibiiien  getrennt;  im  Westen  granzi  es  an  Ghiva  und 
Buchara;  im  Suden  an  Karaiigen,  Darvas  und  Kulab;  im 
Osten  an  das  Ghinestsche  Turkesian. 

Dieses  Reich  bilden  folgende  Gebiete:  1)  das  efaemalige 
Fergana,  zwischen  Karatigen  und  dem  linken  Ufer  des  Oxus ; 
2)  Namangan,  vom  rechten  Ufer  des  Sjr-Darja  bis  sum 
Gebirge  Ala»Tau;  3)  Ghodjand,  ebemals  unabbangig,  ^ber 
schon  mehr  als.40Jahre  milKokand  vereinigt;  4)  Uraiippa 
(Urjutjupa),  zwischen  Chodjahd  und  Buchara,  seit  1813  er- 
obert;  5)  Kurama,  kleines  Gebiet  am  rechten  Ufer  des  .Syr- 
Darja,  zwischen  Chod/and  und  Taschkend;  6)  Taschkend; 
7)  As  ret,  das  nordUchste  Gebiet,  stofst  an  die  Steppe  Bed- 
Pak-Tala,  auch  „Hungersleppe"  genannt. 

Noch  kann  man  hinzurechnen:  8)  das  Laud  zwischen 
dem  See  fialehasch  und  dem  Ursprung  des  Syr-Darja,  be- 
wohnt  von  den  Burnt  oder  Schwarzen  Kirgisen;  9)  die  ost* 
lichen  Ahhange  des  Belur-Tag,  welche  ebenfalls  diesem  Volk 
als  Weideplatze  dienen.  Dieser  gebirgige  Strich  gehort  zu 
Kokand,  obwol  er  schon  im  Chinesischen  Turkestan  liegt. 

Die  am  wesllichen  Abhange  des  Belur-Tag  liegenden  Ge- 
biete Karatigen,  Darvas,^Kulab  und  Schugnan  wurden  1830 
durch  kokandische  Truppen  erobert;  allein  ihre  Abhangigkeit 


Das  Reich  Kokand  in  aeinem  Jientigfon  Znttande,  581 

ist  in  den  lelzten  Zeiien  schwacher  geworden,  daher  wir  sie 
nicbt  zu  den  wirklichen  BesiUungen  des  Chanes  von  Kokand 
rechnen. 

Das  Land  wird  seiner  grdfelen  Ausdebnung  nach  von 
hohen  Bergketten  durchschniUen.  Im  ostlichsten  Theile  erhebt 
sieh  der  Belur-*  oder  Bului^Tag/)  ein  machtiger  Asl  des 
Himalaja,  welcher  ungefabr  unler  35'//  N.B.  und  TSy/O-L. 
von  Greenwich,  vom  Hindu -Rusch  sieh  loslrennt,  gegen  Nor* 
den  ziehl,  und  nach  einigen  Abwdchungen  und  Ausbiegungen, 
unter  anderen  Namen  den  Altai  erreicbt  Der  Belur-Tag  ist 
mit  ewigem  Schnee  bedeckt  und  fast  unzuganglich :  in  der 
Richtung  von  Kokand  nach  Kaschgar  fiibrt  nur  ein  Pass  hin- 
itber,  der  ausserdem  nur  fiir  Pferde  sieh  eignet,  keiheswegs 
fur  beiadene  Kameele. 

Etwa  unter  40®  N.B.  ninrait  der  Belur  eine  schroffe  Wen* 
dung  nach  Osten  und  tritt  in  das  Chinesische  Turkestan,  wo 
er  unter  dem  Namen  Mu«-Tag  (Ei^berg)  bekannt  ist.  Hier 
schneidet  ihn  die  von  iSemipalatinsk  nacb  Kaschgarien  fiih- 
rende  Slrafse. 

Auf  der  Strecke  swischen  dem  Hmdu^^Kusch  und  dem 
Ursprunge  des  Syr«I>arja  entsendet  der  Belur  nach  Weston 
viele  Zweige,  die  stufenweise  niedriger  werden  und  soletzt  in 
den  Ebenen  von  Baich  und  Buchara  sieh  verlieren.  In  den, 
von  diesen  Zweigen  gebildeten  Thalem  giebt  es  viele  unab- 
hangige  Gebiete,  unter  deiien  Karatigen  das  nSrdlichste  und 
Badachschan  das  siidlichste  ist 

Die  Benfennungen  Belur  (Bolor)-  Tag  (krystallener  Berg) 
und  Bulut-Tag  (Wolkenberg)  sind  den  Kokandern  nicht  un- 
bekannt;  aber  der  gewdhnlicbe  Name  dieses  Gebirges  ist  bei 
ihnen  Kaschgar-Davan  (Bergstrafse  von  K.).  Ein  Zweig 
desselben,  auf  welcbem  die  bei  Kokand  in  den  5yr-Dar|a 
miindenden    Fliisschen   entspringen,   heisst   Beldy-Davan; 


*)  Das  bekannto  turkisGbe  Wort  for  Berg  kann  man  Tag  (Tagh)  and 
Tao  schreiben,  da  es  beide  Aossprachen  bat 


582  Hi8torisoli*«ling<ii84i»elie  WisseiUKbaftet. 

zwei  andere  Zweige,  in    <kh  Umgebunjgen    von   i«fara  und 
Cbod/andy  ^rborgeii  ihre  Namen  y<6n  .dieseti  Siadien.  : 

Gieich  bei  seiner  Umbiegung  ins  Gebiet  des  chinesiacben 
Turkestan  antseildet  der  Bolor  weatw^rts  den  let^en .  bedeu- 
tenden  Ast,.welcher,  in  viele  Zw.«ige  aitseinandergebend,  die 
g^inse.  Land&treeke.  .zwischen  dam  See  Balchasch .  und  dem 
reehten  Uf^  des.>Syr-Darja  anfuIlL  Diese  Berge.  fuhren  den 
aUgena«inefi  Nama:)  Alaf  Tau  (bunlefi  Gebirg).  Der  $ie  be- 
deckende  Schnee  schiniht  im  Sommer  an  vielettStt^Uen  und 
entblofst  den  etwas  diinkebi  Granit;  4n  anderen,  mehr.  erh&h- 
ten  Stellen  bleibt  er  durchs  ganze  Jahr  liegen.  i  Etn  Zweig 
dieser  Berge^  weicher  den  Balchasch  umzieht  und  an  den  See 
Ala-Kul  sicb  lehnl,  fubrt  ebenfalis  den  Namen  Aia-Tau ;  diese 
Abzvveigung  verbindet  den  Belur  mit  deth  Altai.  . 

Das  Chanat  Kokand  ist  im  Ganzen  von.  Oat  nach  West 
gcneigt  An  den  Grenzen  Kascbgariens  mit  ewtg  beschneiten 
G^pfeln  beginnend,  ende^t  seine Oberfl^che  in  derBocbarei  mit 
voUkommen  flachen  Sandbleppen^  abne  andere  Enhohungen  als 
vom  Winde  aufgeschiitlete  Sandhiigel.  .   , 

Der  beriibmie  Sjrr^Darja  vollendet  in  diesem  Cbanate 
iden  grofseren  .Theil  seinea  Laufes;  nur  der  untere  Theil, 
nahe  am  Ausflass  in  den  Aral,  gehort  zu.Cbiva,  oder,  betsser 
gesagt^  er  dient  den  unbandigen  KirgiseDsla«imeQ»  die  *  unter 
Chiva's  Schutze  stehen,  als  Zuflaciht*  l>er  5yr-Darja  ent- 
springt  in  den  Bergen,  welche  Kokand  von  Kasohgarieiik  tren- 
nen,  und  zwar  aus  drei  ZufliiBsen,  von  denclQi  der  Ala -Tau 
zwei  entsendet  Etwas  unterhalb '  ihrer  Vereiiiiguilg  b|it  der 
Flusis.  scbon  200.iSa;en  Brdte  und  erweiterl  «ich  ianik  be$tan- 
dig  bis  400.  In  derGegend  der  Stadt  Akmeisehei  (AkTMe^d- 
jiA)  trennt  sich  eia  bedeutender  Arm,  der  Kuvan^Darja, 
vom  iSyr-Darja,  und.  mundet  selbstandig  in  den  Aral.  Noch 
fernere  Theilungen  gegen  das.  Ende  seines  i^^fs  bin  yemn; 
gern  den  Wassergehalt  desFlusses;  docb  soli  er  bis  zum^Aral 
scbiffbar  bleiben.  Seine  Ufer  sind  liberalt  sandig  und  un- 
frucblbar,  daher  auch  alle  bedeutenderen  Stadie  von  Kokand 
nicbt  am  Flusse  selbst,    sondern   in  einiger  Entfernung   von 


Das  Reioli  Ko^nd'in  >s«i«eM  •bflutiK»B  Zaatonde.  ggj 

seinein  Ufer  liegen.  Bei  deni  Alien  gewiihrt  der.i8yr«-Darj^ 
dem  Feldbau  unberechenbare  Vi>rtheiie,  icdem  er  miiteisi  Ca*^ 
lialen,  die  aus  ihm  geleilet  wetdien,  die  Felder  befrochtel  und 
zur  Besleilung  erst  fahig  macht.  ' 

Fast  alle  iibrigen  Flusse,  dae.Kdkand.  bewQssern,'sind  V»^ 
sallen  desSyr^^Darja.  Alle  iassen  sicfa  durchwaten,  ausgeoom*- 
men  im  Friihling,  wann  ihre  Wassermasse  darch  den  itn 
Gebirge  schmelzenden  Schnee  vergrofeert  wird*  Aisdaan  ver- 
wandeln  sich  die  zur  Sommei^zeit  fmsL  ganzlich  ausgetrockn^* 
ten  kleinen  Fiiisse  in  breile  und  reissende  SlFome.  Diejenj* 
gen  unter  ihnen,  welcbe  einen  ansehnJichen  Weg  darch  Ebeiien 
und  angebaute  Gegenden  inachen,  zorsluckeltman  zur  Was* 
serung  der  Felder  in  so  vieJe  Caniile,  dass  sie  oft  sich  ver- 
iieren,  ehesie  ihre  Miindung  erreicht  haben. 

Der  FIussT&chu,  welcher  in  gewissem  Siune  dieOrenze 
Kokands  gegeii  Norden  biMet,  hat  einen  Lauf  von  b^inuhe 
500  Wersl  und  ergiefst  sich  in  den  See  Tele-Kul.  Diesrer 
Fluss  ist  jedoch  nicbt  tief,  und  in  den  Soini»eraionalen  komr 
men  die  Karawanen  theils  watend,  theils  auf  Flolsen  aus 
Schilf  hiDuber,  die  sie  fur  skh  selber  bauen.  Niiiier  der 
Miindung  besteht  er  aus  einer  Kette  kleiner  Se^n,  die  durch 
Biiche  zusammenhangen. 

In  einem  so  bergigen  Lande,  wie£okand^  kann  daaGiiina 
nicht  gleichformig  sein.  .Im  ostUdien  Theiie, .an.  disn  Qudkli 
des  Belur-Tag,  herrschi  ewiger  Winter,  der  keine  Bniwick*- 
lung  organiachen  Lebens  gestattet.  Die  HoehtliaJer  in  den 
Bergen  Ala-Tau  und  Kaschgar-.Davan,  . Weideplaize  der 
Schwarzen  Kirgisen,  sind  im  Winter;  mil  Sohnee  bedeekt,  .er^ 
freuen  sich  aber  im  Sommer  eines  sehr  mafsigen,  der  Vieh- 
tuchl  iiberaus  giinstigen  Climas.  Dasseibe  kann  tnaii  von 
Karatigen,  Darvas  und  anderen  Gebieten  an  den  Abhangen 
des  Bolor  sagen:  je  hoher  ihre  Lage,  desto  rauher  ist  ihr 
Winter.  In  der  Thalebene  von  Fergana  dagegen  fallt  selten 
Schnee,  und  obwol  es  daselbsl  im  December  und  Januar 
Nachtfroste  bis  — 10°  giebl,  so  steigt  das  Thermometer  doch 
bei   Tage  auf  +8°,   lO'^  und  sogar  15'.     In   den  Bergen  um 


gg4  EEiftorisGh-UngiiiBtisehe  Winenschafleii* 

Chodjand  iind  Tasehkend  giebt  es  im  Winter  heftige  Sturme^ 
weshalb  man  an  vielen  Stellen  der  Wege  eigne  Karvansarai's 
errichiet  hat,  wo  die  Reisenden  vor  Wind  und  Kalte  sich 
schiitzen  konnen.  In  Tasehkend  ist  der  Soimner  fast  ebenso 
schwul  wie  im  eigentliehen  Kokand;  aber  heftigere  Hiize 
muss  man  in  den  Steppen  um  Uratippa  und  weiter  auf  dem 
Wege  nach  Buchara  ausstehen. 

Im  MSrz  bekleidet  sich  der  Boden  mit  reichem  Griin  und 
dttftigen  Blumen;  vor  Anfang  des  Mai  bliibt  und  duftet  Alles« 
Aber  im  Mai  beginnt  die  Hitze  starker  zu  werden  und  steigi 
nach  und  nach  bis  auf  40^  Die  Vegetation  verbrennt  in  der 
Sonne  und  wird  von  Winden  fortgeweht,  so  dass  nicht  ein- 
mat  Spuren  derselben  zuriickbleiben ;  der  Blick  des  Wande- 
rers fallt  nur  auf  nackten  Sand  und  auf  Lehm,  der  von  der 
Hitze  geborsten  ist  Einige  Krauter  kann  man  nur  an  Quel- 
len,  Bachen  und  in  Bergschluften  mit  Mtihe  find^n.  In  die- 
ser  Jahreszeit  wird  der  Lehmboden  so  heiss,  dass  die  Einge- 
bomen  uber  ihren  Stiefein  noch  eine  Art  Galoschen  aus  dickem 
Leder  tragen.  Der  morderische  (?)  Hauch  des  iSamuai^  wie 
er  nicht  selten  in  Afghanistan  weht,  ist  hier  jedoch  unbekanni; 
die  Kette  des  Hindu -Kusch  bietet  ihm  ein  uniibersteigliches 
Bolhverk.  Eine  so  ausserordentliche  Schwcile  und  fast  ganz* 
liche  Abwesenheit  des  Regens  im  Sommer  thun  iibrigens  dem 
Landbau  keinen  Abbruch:  fast  alle  Getreidearten  gedeihen  in 
Kokand  reichiich.  Mittelst  der  aus  Queilen  und  Fliissen  ge* 
ieiteten  Canale  wassem  die  Bewohner  ihre  Felder  etiiche  Mai 
im  Sommer,  und  erhalten  dadurch  die  Feuchtigkeit  des  Bo- 
dens  auf  einer  Stufe,  welche  die  Erfahrung  ihnen  angewiesen 
hat.  Den  Mangel  an  natiirlichen  Wiesen  ersetzen  sie  durch 
kiinstliche  Zucht  des  Grases,  das  so  rasch  wachst,  dass  man 
es  drei  bis  vier  Mai  in  einem  Sommer  abmaht  Im  Septem«- 
ber  und  October  lasst  die  Hitze  allmalig  nach,  die  Nachte 
werden  feucht  und  kalt,  und  am  Eiide  Novembers  zeigen 
sich  gelinde  Froste,  welche  diese  Jahreszeit  auszeichnen. 
Uebrigens  hat  man,  wie  oben  gesagt,  bei  Tage  bis  15^  Warme. 

Da  Kokand  im  Westen  und  Norden  von .  keiner  Berg* 


Das  Reioli  Kokand  in  a«in«in  beiitigen  Zuatande.  585 

grenze  beschiiUt  wird,  so  finden  die  Nordwestwind^,  welcbe 
im  Somraer  aus  den  Steppen  der  Kirgis-Kaisak  weheOt  ^nf 
ibrem  Wege  gar  kein  Hinderniss.  Das  Clima  ist  im  Gansen 
gesund;  epidemische  Krankheiien  zeigen  sich  selten  und  die 
Pest  kennt  man  gar  nicbt  Im  Jahre  1840  richteie  die  Cho* 
lera  in  Karaiigen  und  den  benachbarien  Gebieien  grolse  Ver- 
heerungen  an ;  auch  aeigte  sie  sicb  in  der  Ebeoe  von  Fergana, 
besonders  in  den  Stadten  Kokand  und  Margaland;  doch  wa- 
ten  ihre  Wirkungen  bier  weil  scbwacber  und  borten  bald  auf. 
In  Tascbkend  und  unter  den  Sehwaraen  l^irgisen  wurde  die 
Krankheit  nicbt  verspurL  In  Kokand,  Andedjan  und  anderen 
Stadten,  die  nicbt  weit  vom  Syr-Darja  liegen,  zeigen  sicb  im 
Herbste  Wediselfieber,  was  man  dem  in  dieser  Jahreszeit  ein- 
fallenden  feucbten  Wetter  und  der  Gewohnbeit  der  Eingebor* 
nen,  in  Lebinhausern  zu  wobnen,  welcbe  die  Feuchtigkeit 
leicht  annebmen,  zuschreiben  puss.  Diese  Hauser  baben  meist 
keine  Dacber  und  werden  in  der  Regenzeit  ieck. 

'  Kokand  ist  reicb  an  Mineralien;  aber  die  niedrige  Cnltur- 
stufe  der  Bewobner  erlaubt  ibnen  nicbt,  die  in  dw  Eingfi* 
weiden  ibres  Bodens  vergrabenen  Schatze  voUstandig  auszu* 
beuten.  *)  Docb  begreifen  sie  allmalig  die  Wicbtigkeit  dieses 
Zweiges  des  nationaien  Woblstandes ,  und  sind  nach  beisten 
Kraften  fiir  seine  Entwicklung  tbatig* 

Am  Ursprung  des  Syr-Darja  und  seiner  kleinen  Zufliisse 
findet  man  gediegenes  Gold,  das  bisweilen  ziemlich  grofskpr- 
nig  isL  In  derselben  Form  trifft  man  es  aucb  in  den  Bergen 
Kascbgar»Davan,  siidlicb  von  Kokand,  wo  die  Tad/iken  es  in 


*)  Der  Pbiloaoph  Seneca  wnrd*  es  als  Weilheit  an  ihnen  rUbmen,  wenn 
Bie  aaf  ^Ue  und  jede  Ausbeotung  Verzicbt  leisteten.  ,,Dle  Natar  — 
sagt  er  -*-  hat  das  Gold  und  Silber,  desgleichen  das  am  dieser  Me- 
talle  willen  nie  rahende  l:Ci8en  yersteckt,  als  war*  es  gefahrlich,  sie 
uns  anzuvertrauen.  Wir  haben  Dinge  ans  Licbt  gezogen,  nm  deren 
Besitz  wir  mit  einander  kampfen,  wir  haben  die  Ursacben  iHiserer 
Gefahren  und  ihre  Werkzenge  tief  aus  der  Erde  gewohU**  a.  s.  w. 
An  Liieilius,  Brief  94* 


586  Historibch-linlgmstische  Whifidnsdliaften. 

Quellen  und-  BcHch^ti  auf^Uchen  und   nach   den  Sladten   sum 
V^rkaufe '  bringen.     Reich   aft  G«ld  isl  z.   B.   das  Fliisschen 
Tschirtschik,  welches  auf  dei»  Kendyr-Taa  entspringt  und  un- 
Wefil  Tasijhkend  itr  dl^n  Syr-*Ddrja  'miitidet     Der  Stailhaller 
von  Taschkend' hat  eih  sehr  scharfsmniges  Mittei, .  dieses  Goid 
auszulyeaten,  ercheht.     An  g^wissen  Slellen  senkfc  man  Tep- 
piche,^die  haafrigeSeite  gegeti  den  Strain  k«hrend,.ins  Was- 
ser^  dnd'lasst  si6  eine ZeUlang  in  dieserLage.    Die  vt^n  dein 
rassenden '  Slroniei   ehlfiihrten  Qoldki^rnohen  -bieiben  4n    den 
Haaren  der  Teppiche  hangen,  welche  man  dann  wieder  aus 
dem  Wassd'r  leiebt^  trocknet  unci  ausklopft. 

'Eine  reiehhaltige  Silberader  befindei  sich  im  Ala-Tau,  an 
der  Nordseile  des  Syr-Darja,  zwei  Tageneisen  von  Namangan. 
Die  Eingebornen  sucben  dcis  Silber  in  den  Sommennanalen ; 
wahrend  der  iibrigen  Jahreszeiten  herrscht  dort  heftige  Kiilte 
bei  tiefem  Schneefali.  Hiernacb  zu  artheilen,  muss  die  Hohe 
der  Berge,  welehe  diese  Ader  enlhalten,  sehr  betrachllich  sein. 

Vier  Tagereisen  von  Natihangan,  auf  dem  Wege  zur 
FefsttingKihnan-Tepe,  wird'eine  andere  Silberader  ausgebeu- 
let.  1839  schickte  der  Chan  Arbeiier  hverher,  welche  1000 
Tscharik'Erz  zu  Tage  fdrderlen:  aus  dteseti  gewann  man  100 
Tseharik  Blei,  und  aus  dem  Blei  ein  Tscharik  reinen  Silbers.  Die 
Arbeiten  sind  sehr  beschwerltch  ob  des  Mangels  an  Wasser 
und  der  ungemein  heftigen  und  kalten  Winde,  welche  in  die- 
ser  Gegend  des  Ala-Tau  vvehen.  Fast  alle  Werkieute  kamen 
erkrankl  zuriick. 

In  Kokand  wird  auch  alljahrlich  eine  Quantitat  Kupfer 
gewonnen,  das  zu  ortlichem  Verbrauche  dient  Die  Kokander 
erzahlen,  es  gebe  bei  ihnen  ein  Gebirgthal,  das  an  Kupfererz 
reich  sei,  dessen  Luft  aber  ob  ihrer  Ungesundheit  <Ke  Arbei- 
ler  bald  erkranken  lasse.  Die  aus  der  Erde  steigenden  D'ampfe 
haben  einen  slinkenden  Geruch  und  erschweren  das  Athem- 
holen  (!). 

Eisenerz  liefern  die  Berge  von  Chodjand  und,  obwol  in 
geringerer  Fiille,  die  Umgebungen  von  Taschkend.  Das  Blei- 
erz  im  Ala-Tau  wird  soweit  ausgebeutet,  ais  die  Bediirfnisse 
des  Heeres  erfordern. 


Das  Heieh  Kokand. in  Miaem  beoti^eil-^ttiltonde.  587 

Kokaiid  dorf  sich  sehr  schl)ner  Turki$se  lithmetii  die  viel- 
leioht  nur  deiien  von  Badaohscban.  nachsAeheo.  Ofefl  beslen 
Tiirkis  von  rein  bimtnelblauer  Farbe  und  ohne  allfiifremdartige 
Beimischung  £ndel  man  bei  derStadt  bfara  uBdamUfsprdng 
des  kleinen  Flusses,  der  durch  Koikand.fliefst  Die  im  Ge* 
birge  wobnenden  Tadschikeh  bringen  diese  edlen  Sleine  auf 
die  Markle  von  Kokand  und  Margalaod,  wo  die  Aufkaufer  aie 
partieehweise  vereinigen,  schleilen  lassen  und  in  den  Handel 
geben.  Auch  die  Berge  von  Cbod;and  haben  Tdrkiase  in 
Ueberfluss.  Die  geringsle  Sorle  dieses  Steins  ist  griinlich  und 
weniger.  rein;  sie  wird  nach  einerrel Form  geschliSen  und  zum 
bequemeren  Delailverkaufe  in  Rohr  gefafst.  In  .dcin  Umge^ 
bungen  Irfara's,  in  Bergen  welcbe  die  Schwarzen  Kirgisen 
bewohnen,  giebt  es,  ausser  dem  Tiirkis,'  auch  Smaragd,  Hya* 
cinih  und  Rubin. .  In  anderen  Gegenden  findet  sich  Lapis  La* 
Kulil     Der  Carncol  .von  Kokand  wird  sehr  geschatet. 

Sch\v«(ei  jund  Saipeter  von  einheimiseher  Production  wer* 
den  zu  dem  niedrigsten  Preise  verkauft:  die  Pulverfabrik  des 
Chans  m  Koband  verbraucht  eine  ansehnliche  Quaniitai  der* 
selben.  Sakbrnche  finden^sich  zablreidi  iin  Koschgar-Davan^ 
bei  Uscb.  SelbsUbgesetztes.  Salz  wird.  an  vielen  Orten  eio*^ 
gesammelt,  nauieiitlich  auch  in  den  Bergen  Kendyr^-Tau,  aut 
dem  .Wege  von  Chod/and  nach  Tasdikend 

<  Das  PflanEonreicfa  isl  in  Kokand  ebenso  ergiebig,  wie  das 
minerafische,  die  Walder  ausgenommen,  an  welchen  fiihlbarer 
Mangel,  jst  An  vielen  Stellen  des  Ala-Tau  fihden  sich  zwar 
Bauholz walder  in  grofser  Zahl;  aber  die  ForlschaBung  des 
Holzes  ist  so  schwierig,  dass  die  £ingebornen  sehr  wenig 
Nutzen  davon  haben.  Die  niedereh  Hohensiige  sind  dicht  mit 
Wachholder  bewachsen,  der,  obwol  zkmlich  dick  und  zuwei* 
len  7,  ja  10  Fufs  hoch,  kein  Bauholz  abgiebl.  Der.  Wachhol-* 
der  des  Gebirges  und  der  iS^aksaul  (ein  kleiner,  in  Thalern 
wachsender  Nadelbaum),  wie  auch  die  zahlreichen  Weiden- 
arten,  welche  die  Ufer  von  Quellen  und  Bachen  beschatten, 
dienen  nur  als  Brennstoff  und  zu  kleinen  Holz«-Arbeiten.  Der 
gewohnliche  Brennstoff  ist  Schilf  (Kamysch). 


588  Ifiiiteriscli^'liiigQiBtiMbe  Wiasettsehaftoii* 

Wenn  aber  an  Bauholzwaidung  empfindlicher  Mangel  ist, 
so  verstehen  es  dafUr  Kunsi  und  Emsigkeit  der   Bewohner, 
das  Land  mit  Obstwaldern  su  bedecken,  denexk  das  Clima  von 
Kokand  so  gimstig.     Alle  Stadte  und  Dorfer  skid  in  gro&er 
Ausdehnong  von  Garten  umgeben,  die  durch  Canale  ihr  Was- 
ser  erhallen.    Die  Aepfel  Kokand's  stehen  denen  von  Samar- 
kand, und  die  Birnen  denen  von  Pischaver  nicht  nach.  .  Apri* 
cosenbauroe  bilden  die  Grundlage  der  kokandischen  Garten, 
und  gewabren  den  Eingebornen,  neben  ihrem  ortlichen  Ge- 
brauchy  einen  ertragiiehen  Zwdg  der-Betriebsamkeit.    Ihr  ge- 
dorrkes  Obsl  wird  untev  dem  NamenUrjuk  in  grotier  Meftge 
iibev.  die  Granxe  verfiihrt    Dasselbe  kami  man  von  den  Man- 
del-  und  PistacienbiiiuDen  sagen,  deren  Friichte  2U  weitem 
Transporte  geeignet  simL    Kirscben,  Pflaumen  und  Pfirsiche 
findel  man  in  geringerer  Fiille.     Die  Melonen  und  Arbu&en 
von  Kokand,  besonders  die  in  den  UmgebungcQ  von  Anded- 
jan  wachsenden,  haben  im  Morgenlande  vor  denen  anderer 
Gegenden  den  Vorzug^.     Obwoi  diese  Friichte  uherall,  vom 
Bosporus  bis  zum  Indus,  reichlich  wachsen,  so  baben  sie  doch 
nirgends  eine  solcke  Grdlse  und  einen  so  angenefamen  Ge- 
schmaek,  wie  in  Kokand.    Weintrauben,  von  denen  ein  Theil 
ausgefuhrt  wird,  zieht  man  aUer  Orten.     Es  sind  dieselben 
Arten  wie  in  der  Tiirkei;  da  sie  aber  weniger  sorgialtig  ge- 
zogen.  werden,  so  schazt  man  sie  in  Russland  nicht  sehr  und 
verkauft  sie  zu  niedrigem  Preise.     Die  Hebraer  von  Kokand 
machen  einen  Wein  daraus,  der  einen  slarken  aromatiscfaen 
Geruch  hat. 

Maulbeerbaume  werden  in  Menge  gezogen,  da  der  Sei- 
denbau  vomehmster  Industriezweig  des  Landes  ist  In  Ko- 
kand produciri  man  solche  Quantitaten  Setde,  dass  ohnerachtet 
des  ungeheueren.Absatzes  derselben  nach  Indien,  der  Bucharei 
und  China  alljahrlich  noch  ansebnliche  Partieen  in  den  Han- 
den  der  Kaufleute  bleiben.  Eine  bedeutende  Quantitat  kokan- 
discher  Seide  wird  auch  nach  Russland  mid  Afganistan  aus- 
gefuhrt    Die  nachlassige  Bereitung  schadet   ubrigens  ihrem 


Das  Reich  Kokand  in  teinem  lieutigen  ZMtande.  589 

relativen   VVerthe  sehr:   im  Handel    wird  die  peraiache  tind 
bucharische  Scide  der  kokandischen  vorgezogen« 

Fast  alle  Getreidearten  gedeihen,  Dank  der  guten  kiinsU 
lichen  Bewiisserung^  im  Ueberflusse.  Der  Weizen  ist  sehr 
weiss  und  dickkornig;  Gersie,  Hirse,  Reis  undDjugara  (cine 
Art  Korn,  das  Linsen  od€r(?)  Erbsen  gleicht)  bringen  reich- 
liche  Erndte  und  lohnen  die  Muhe  des  Landmanns  mit  Wu- 
cher.  In  guten  Jahren  kostet  das  Pud  Weizen  etwas  fiber 
einen  Rubel  B.,  das  ^ud  Reis  1  Rubel  30  Kap.  B.  u.  s.  w. 
Zum  Pferdefutter  dient  Djugara  stalt  des  Hafers,  welcher 
unbekannt  ist;  sie  kosiel  gewohnb'ch  64 — 65  Kopeken  das  Pud. 
Das  gemeine  Volk  nahrt  sich  auch  zum  Theile  von  Djugara. 

Die  Verarbeilung  der  Wolle  beschaftigt  ebenfalls  eine 
Menge  Hande  und  ist  eine  der  vornehmsten  Quellen  des 
Wohlstandes.  Der  drlKche  Bedarf  isl  sehr  grofs.  Grobe 
BaumwoUenzeuge  werden  hier  ebenso  allgemein  fabricirt,  wie 
Leinwand  in  den  russischen  Dorfern.  Mit  diesen  Zeugen  be- 
kleidet  Kokand  nicht  bios  die  unterste  Classe  seiner  eignen 
Bewohner,  sondern  veraufsert  sie  auch  in  grofsen  Quantitaten 
an  die  Kirgisen.  Ganze  Schaaren  Kaufleute  zerstreuen  sich 
in  den  Steppen,  welche  Kokand  von  China  und  Russland 
scheiden,  und  vertaiischen  gestepple  baumwollne  Chalat's, 
Kieidungsstucke  und  allerlei  Arten  Zeuge  gegen  Vieh^  Leder, 
Woile^  Pelzwerk  und  Wagenschmiere.  Das  vornehmste  Kauf« 
mannsgut  der  von  Kokand  nach  der  russischen  Granze  abge- 
henden  Karawanen  besteht  in  Baumwolle  und  baumwoU'enen 
Zeugen,  von  denen  einige,  mit  Seide  vermischt,  durch  Leb- 
haftigkeit  der  Farben  und  Daucrhaftigkeit  der  Arbeit  sich  aus- 
zeichnen. 

Die  in  Kokand  gezogene  Baumwolle  ist  dasGossypium 
herbaceum.  Ihre  Fasern  sind  stark  und  elastisch,  aber  un- 
gleich,  grob^  und  nicht  leicht  von  fremden  Stoffen  zu  reinigen. 
Da  der  Same  mit  grofser  Fahrlassigkeit  dngesammelt  wird, 
so  hort  die  Staade  sehr  fruh  auf,  zu  tragen.  An  solchen 
Orten>  wo  die  Hilze  nicht  allzu  stark  ist,  erndtei  man  die 
Baumwolle  oft  vor  ihrerReife  ein  und  lasst  sie  an  der  Sonne 

Brmans  Ross.  Archiv.  Bd.  XI.  H.  4.  39 


{^90  Hutorisch-lingaistiscbe  Wiisenschaften. 

ausirocknen.  Da  der  Same  in  diesem  Zostand  fester  mil  der 
Flocke  verbunden  isl,  so  wird  die  SonderuDg  betder  beschwer- 
lich;  die  BauinwoUe  wird  uDrein,  erhalt  von  dem  Oele,  das 
die  zuriickgebliebenen  Samenkornchen  ausscheiden^  eine  gelb- 
Irche  Farbe^  und  verdirbi  leicht  auf  dem  Transporte.  Danim 
sleht  sie  der  aus  Buchara  und  Chiva,  ja  selbst  der  persischen 
nach,  die  doch  fiir  die  schlechtesle  in  Miitelasien  gilt  Trotz 
dem  vermehrt  sich  der  Absats  in  Russland  mit  jedem  Jahre. 

Kokand  bringt  sehr-viel  Farberrohte  hervor:  ein  Theil 
derselben  wird  zum  Farben  einheimischer  BaumwoIIenzeuge 
verwendet,  und  der  ganze  Uebersehuss  iiber  die  Grenze  ge- 
fiihrk,  vorzugsweise  nach  Kaschgar^  von  wo  sie  nach  Indien 
kommt. 

Der  Tabak  gedeihl  sehr  gut.  Man  halt  den  bei  Naman- 
gan gezogenen  fiir  den  besien*  Der  kokandische  Tabak  ist 
gleicher  Art  mit  dem  Bucharischen  ^  nimmt  aber  getrocknel 
eine  ganz  gelbe  Farbe  an,  wafarend  der  Bucharische  immer 
weisslich  bleibt. 

Die  ortliche  Lage  von  Kokand  gcstattet  den  Eingebomen 
keine  ausgedehnle  Viefazucht  Die*  Banern  halten  eine  nicht 
grofse  Anzahl  Hornvieh  zu  Feldarbeiten  und  um  der  Milch 
und  Butler  willen,  die  allgemein  verbraucht  werden.  Pferde 
giebt  es  weit  mehr,  obwobl  die  Kokander  sie  nichi,  wie  die 
Kirgisen,  in  Heerden  Ziehen.  Die  Klepper  des  Landes  sind 
gleicher  Race  mit  denen  von  Turkmenien  und  Buchara  und 
hab^n  dieselben  Eigensfchaften :  Schnelligkeit  im  Laufe,  Sehon* 
belt  der  Gestalt,  und  die  Fahigkeit  lange  Beschwerden  zu  er- 
tragen.  Die  gemeinen  Pferde  von  Kokand  sind  klein  und  glei- 
chen  den  kirgisischen,  sind  aber  weniger  schnell  und  feurig.  Die 
nach  Kaschgarien  und  Afgaoistan  abgehenden  Karavanen  be- 
dienen  sich  zum  Lasttragen  nur  der  Pferde ,  da  die  Kameele 
nicht  im  Stande  sind^  iiber  die  ungeheueren  Gebirge,  welche 
diese  Lander  von  Kokand  trennen,  mit  Lasten  zu  gehen. 

In  ganz  Turkestan  werden  zweibucklige  Kameele  erzo* 
gen,  welche  besser  Kalte  ertragen,  als  die  Dromedare,  deren 
man  sich  im  Siiden  des  Hindukusch  bedienl.     Nur  in  Cfaiva 


Das  Reich  Kokand  in  setnem  beutigen  Ziutande.  591 

kennt  man  eine  Art  riescnhafler  einbuckliger  Kameele,  die  Nar 
heisst  Viele  Handelsleute  von  Kokand  unterhalten  eigne  Ka- 
meele,  Andere  miethen  sie  bei  den  Kirgisen,  am  ihre  Waren 
forlzuschaffen.  Diejenigen  Karavanen,  welche  durch  ebnes 
Sleppenland  nach  Russland  abgehen,  beladen  ihre  Kameele  mit 
640 — 720  Pfund.  Mit  Anfertigung  von  Zeugen  aus  Kameel- 
haar  beschaftigen  sich  die  Kokander  \venig,  desto  mehr  die 
Kirgisen.  Kameelhaar  komml  auch  als  Walte  in  Kieidungs- 
slticke. 

Die  Heerden  der  kokandischen  Kirgisen  bestehen  vorzugs*- 
weise  aus  Schafen  von  derselben  Zucht,  die  auch  ihre  iibri* 
gen  Stammverwandten  ziehen.  Der  kirgisiscbe  Hammel  ist 
hoch  von  Wuchs,  hat  einen  20 — 40  Pfund  schweren  FetU 
sbhwanz,  vertragt  Hilze  und  Kalte  gut,  und  bedarf  fast  gar 
keiner  Aufsicht.  Er  begniigt  sich  mit  dem  diirftigsten  Futter, 
kann  lange  diirsten,  und  folgt  ohne  zu  ermiiden  den  beweg* 
lichen  Wohnungen  seiner  unst^ten  Herren.  Die  Kaufleute 
treiben  die  Sehafheerden  durch  die  unfruchtbarsten  Gegenden 
der  Steppen.  Das  Fleisch  dieses  niitzlichen  Thieres  dient  den 
Hirtenvolkem  zur  gewohnlichen  Speise^  der  Pelz  dient  ab 
Kleidung  bei  kaltem  Wetter;  die  Milch  und  der  aus  derselben 
bereitete  magere  Kase  (kiirt)  ersetzen  das  Brod.  Die  WoUe 
der  kirgisischen  Hammel  ist  grob  und  von  geringem  Wehrte; 
allein  sie  wird  sich  verbessern,  sobald  man  ihnen  einige  Sorg- 
falt  zuwendet.  Die  Heerden  der  Kirgisen  sind  verhaltnifsmas- 
sig  zahlreicher,  als  die  Heerden  der  anderen  Hirlenvdiker. 
Eine  grofse  Zahl  Hammel  wird  von  den  Kaufleuten  und  den 
Kirgisen  selber  zum  Verkaufe  nach  Kokand  getrieben,  wo  sie 
mit  dem  Reise  die  vornehmste  Nahrung  der  Reichen  wie  der 
Armen  ausmachen. 

Die  Kirgisen  unterhalten  auch  eine  Anzahl  Ziegen,  die 
mit  den  tibetischen  grofse  Aehnlichkeit  haben.  Die  kirgistscb. 
Ziegen  sind  aber  h5her  und  starker  als  die  letzteren.  Sie  ha- 
ben eine  rothlichgraue,  sehr  lange  Wolle,  und  unter  derselben 
schones  weisses  Milchbaar,  das  zu  feinem  Gespinste  und  zur 
Annahme  heller  Farben  so  gut  sich  eignet     Die  Bewohner 

39* 


592  Hittorisch^lingiiLitische  Wissenschaften. 

von  Uriitiipa  bereiten  aus  diesem  Milchhaare  Schawls  nnd 
Scharpen,  welche  deneti  von  Kaschmir  gleich  kommen  und 
sehr  hoch  geschatzt  werden. 

Die  Kokander  lieben  die  Jagd  leidenschaftlich>  und  un- 
terhalien  viele  Windhundei  die  von  den  in  Europa  bekannlen 
elwas  verschieden  sind.  Ibre  beslen  Hunde  sind  kurz  behaarl, 
ungemein  schnell  im  Laufe,  und  unterscheiden  sich  durch  haa- 
rige  Ohren  und  lange  Haarflechten  unler  den  Gelenken  der 
FiiDsei  was  ihnen  ein  rechl  zierliches  Ansehen  giebt  Diese 
Art  Hunde  nennt  man  Tas  (pers.  Id  si);  es  giebt  aber  auch 
eine  andere,  von  geringerem  Werlhe. 

Von  Raubthieren  kennt  man  Tiger  und  Parder:  an  der 
gefahrlichen  Jagd  auf  dieses  Wild  nebmen  der  Chan  selber 
und  seine  ersten  Wiirdentrager  TheiL  Die  Baren  wohnen 
in  unzuganglichen  Bergen,  von  wo  sie  aber  haufige  Einfalle 
in  die  mit  Hirse  besaeten  Felder  ihun;  daher  unaulhorlicber 
Krieg  zwischen  ihnen  und  den  Eingebomen.  Wolfe  and  aller- 
lei  Arlen  Fiichse  hausen  in  den  umiiegenden  Steppen,  wo  man 
auch  Eber,  Antilopen  und  wilde  Esel  in  grofser  Zahl  vorfin- 
det.  Pelzihierei  mogen  nun  die  Eingebomen  sie  selbst  er- 
beutet,  oder  von  den  Kirgisen  bekommen  haben,  werden  gros- 
seniheils  nach  Kaschgarien  ausgefiihrt  (doch  wohl  nur  ihre 
P^Ize?). 

In  den  Gebirgen  giebt  es  viele  Adler  und  allerlei  Arten 
Habichte.  Die  Eingebomen  erziehen  sie  zur  Jagd,  geben  aber 
den  aus  der  Kirgisepsteppe  und  den  nachsten  Orten  5ibiriens 
empfangenen  im  Allgemeinen  den  Vorzug.  Die  Preise,  die 
man  in  Kokand  ftir  dressirte  Falken  und  Habichle  erlegt,  ge- 
hen  bis  ins  Unverniiinflige* 

In  Kokand  giebt  es  viele  verschiedne  Arlen  Ganse  und 
Enten  (zahme  und  wilde),  Scfawane,  Rebhiihner,  und  beson- 
ders  Wachteln.  Am  moisten  aber  riihmen  sich  die  Kokander 
ihrer  Fasanen,  die  ungewohnlich  grofs  und  von  voraiiglichem 
Geschmacke  sind.  Die  Fasanenjagd  ist  die  liebste  Beschafti- 
gung  des  heutigen  Chanes;  er  widmei  ihr  nicht  selten  ganze 
Monale,  auf  seinen  vorbehaltenen  Wieaen   herum  nomadisi- 


Das  Reich  Kokand  in  seinein  heutigen  Zofttande.  593 

rend,  und  mil  einem  Gefolge,    das  zuweilen  einige  iausend 
Menschen  betragt 

Nachtigallen  und  einige  andere  Vdgei  beleben  die  Garten 
Kokands  mit  ihrem  Gesange.  Aucb  wohnen  sie  zahlreich  in 
den  uppig  bewachsenen  Schluchten  des  Kaschgar-Davan  und 
Ala-Tau.  Ein  Reisender,  der  diese  Gegend  durchwanderi, 
gedenkt  unwillkiirlich  der  bluhenden  Schilderungen  morgen- 
landischer  Dichter,  und  fiihlt  sich  in  ihre  Zauberwelt  ent- 
riickt. 

Die  Bevdlkerung  Kokands  besteht  aus  verschiednen  tiir- 
kischen  Slammen,  die  nach  einander  in  das  Land  eingedrun- 
gen  sind  und  daselbst  Wohnsitze  genominen  haben.  Die  durch 
Tschinggis  -  Cban  bierher  geflihrten  Slamme  —  Unierlbanen 
seines  zweiten  Sohnes  Tschagatai  —  behaupteteri  das  reinste 
liirkische  Blut  zu  haben  und  rubmten  sich  ihrer  Sprache,  die 
sich  iin  Munde  ihrer  Nachkommen  erhalten  hat  Neue>  das 
Mongolenreich  zerstorende  Umwalzungen  Mittelasiens  fuhrlen 
neue  Ansiedier  bierher,  die  mit  den  Ueberresten  der  alien  Be- 
v5lkerung  sich  vennischten.  Zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderls 
drangen  die  Usbeken  aus  dem  Lande  jenseit  des  5yr-Darja 
in  das  von  Tamerlan  gegriindete  Reich,  welches  damals  zum 
Verfall  sich  neigte,  und  bemeisterten  alles  Land  bis  zum 
Hindu-Kusch.  Die  heutigen  Chane  Kokaiids  stammen  aus  dem 
usbekischen  Hause  Ming.  Ansserdem  giebt  es  in  den  von 
uns  bezeichneten  Grenzen  noch  andere  Tiirkenstamme,  die  bis 
heute  nomadisch  leben. 

Eine  nicht  grofse  Zahl  Karakalpaken  wohnt  zerstreut 
an  den  Ufern  des  iSyr-Darja,  wo  sieViehsucht  und  zumTheil 
Landbau  treiben.  Sie  hausen  in  Filzjurten,  ziehen  aber  sel- 
ten  von  einem  Orle  zum  anderen.  Sie  verfertigen  vorlreff- 
liche  Teppiche,  die  in  der  ganzen  Kirgisensteppe  Absatz 
finden. 

Ohasaken,  in  Russland  und  EuropaKirgisen  genannt, 
leben  in  grofser  Anzahl  um  Taschkend  und  weiter  nordlich 
bis  zum  Flusse  Tschu. 

Burnt  Oder  eigentliche  Kirgisen. bewohnen  das  Gebirg 


594  Historisch-iinguistische  Wissenschaften. 

Ala^Tau  und  verbreiten  sich  siid warts  bis  2un>  Belur.  Ein 
Theil  derselben^  10000  Kibilken  ausmachendi  nomadisirt  an 
den  Sstlichen  Abbangen  dieser  Berge  und  reicbt  beinahe  bis 
Kaschgar. 

Tadjiken  oder  Perser,  die  Ureinwohner  des  ganzen 
Landes  von  den  Grenzen  des  chinesischen  Reiches  bis  zum 
Kaspischen  See  und  Persischen  Meerbusen^  bilden  keinen.  un- 
betracbtlicben  Theil  der  Bevoikerung.  Sie  fuhrten  immer  ein 
sesshaftes  Leben  und  waren  ein  handeltreibendes  und  betrieb- 
sauies  Volk.  Einige  Stadte  und  Dorfer  sind  ausschliefsUch 
vonTadj'iken  erbaut;  in  anderen  wobnen  sie  initTurken  ver- 
mischt.  Durch  unaufhoiliche  Ueberfalle  wilder  Horden  ge* 
draugt^  verlielsen  die  Tad/iken  in  Menge  den  flachen  Theil 
des  Landes  und  zogen  sich  auf  die  unzuganglichen  Hohen  des 
Belur-Tau,  wo  sie  viele  unabhangige  Geineinden  sliflelen. 
Alle  westKchen  und  ein  Theil  der  osllichen  Abhange  dieses 
Gebirges  sind  von  Tad/iken  bewohnt)  welche  die  Turkestaner 
unier  dem  Namen  Goltscha  kennen.  Diese  Tadjiken  des 
Gebirges  haben  den  Islam  angenommen,  und  sind  iheils  Sun- 
niten,  theils  Schiilen.  Alle  sprechen  einen  besonderen  Dialeki 
der  persischen  Sprache. 

Ausser  den  von  uns  aufgezahlten  Slammen  giebt  es  in 
Kokand  eine  kleine  Zahl  in  Sladlen  und  Dorfern  zerstreuter 
Hebriier^  die  allerlei  Gewerbe  treiben.  Der  Wein  wird  nur 
von  ihnen  bereitet.  Einige  Hindus,  Afganen  und  Asialen  an- 
derer  Gegenden  leben  in  grofsen  Sliidten  vom  Handel.  Es 
giebt  auch  Sclaven  oder  Leibeignc,  jedoch  in  geringer  Zahl; 
auch  ist  ihre  Lage  hier  nicht  so  hart,  wie  in  Buchara  und 
Chiva;  es  sind  Gefangene,  die  man  bei  Einfallen  in  Nachbar- 
lander  aufgegriflfen.  Im  letzten  Kriege  mil  China  wurden  alle 
Gefangene  zu  Sclaven  gemacht. 

Die  Zahl  der  Bevoikerung  Kokands  zu  bestimmen  ist  un- 
moghch;  der  Chan  selber  und  seine  ersten  Wiirdentrager 
wissen  sie  nicht.  Da  die  Auflagen  von  den  Erzeugnissen  und 
vom  Boden,  nicht  aber  von  den  Personen  genommen  werden, 
so  halt  man  einen  Census  des  Volkes  auch  nicht  fur  unum- 


Das  Reicli  Kokaad  in  seinem  li«utigen  Zustande.  595 

i  ganglich,  ja  unter  dem  gegenwartigen  VerwaliuogSBysleme 
ti  beinahe  fiir  eine  Unmoglichkeit  Vergleichen  wir  ubrigena 
i  den  Anbau  des  Landes  init  seiner  Ausdehnung  uad  ziehen 
wir  noch  andere  Umslande  in  Erwagung,  so  konnen  wir  wohl 
B  mil  Sicherheit  annehmen,  dass  die  ganze  Volkszabl,  niit  Ein- 
I  schluss  der  Abgaben  entrichtendcn  Kirgisenslamroe^  nicht  un- 
I  ler  anderlhalb  Millionen  Seelen  belragl  und  in  keinem  Falle 
zwei  Miilionen  iibersiteigt. 

Die  Verfassung  der  usbekischen  Stamme  war  zur  Zeit 
ihrer  Eroberung  Turkisians  vollkommen  kriegerisch.  Jeder 
erwachsene  Mann  wurde  als  Soldal  gerecbnet  und  die  Ge- 
sammtbeit  des  Volkes  bildete  das  Heer.  Die  Benennungen 
der  heutigen  Wiirden  in  Kokand  erinnern  an  diese  Einricbtung. 
Der  vornehmste  Wiirdentrager  ist  der  Ming-Bascbi 
(Befeblshaber  iiber  Tausend),  auf  welchem  beinahe  die  ganze 
Last  der  Regierung  rubt.  Unmittelbar  nach  ihm  folgen:  der 
Kuschbek  (Falkner),  Dalchay  Pan«ad*Baschi  (Befehls-^ 
haber  liber  600)^  und  Parvanatscbi.  Die  betreffenden Per* 
sonen  verwallen  Districte,  fiibren  in  Kriegszeilen  einzelne 
Heerhaufen^  zuweilen  das  ganze  Heer^  und  sitzen,  wenn  Friede 
herrschty  im  Ralbe  des  Chans. 

Gegenwartig  giebt  es  in  Kokand  keinen  Ming-Basclii^  und 
zwar  aus  folgender  Ursache.  Die  leUte  Person,  welche  diese 
Wiirde  bekleidete,  war  ein  gewisser  Hak-Kuly,  ein  Mann  der 
sich  um  den  Chan  sehr  verdicnt  gemacht  haile,  insonderheit 
wahrend  des  Kriegs  mit  den  Chinesen,  als  Kokand  in  grofser 
Gefahr  schwebte.  Hak-Kuly,  in  diesem  Kriege  Oberbefehls- 
haber,  fiihrte  ihn  einige  Jahre  ohne  ansehnliche  Verluste  und 
beendigte  ihn  auf  eine  den  Umstauden  nach  sehr  vorlheilhafte 
Weise.  Seine  weiireichende  Gewalt  erweckte  jedoch  den 
Hass  der  iibrigen  Gunsllinge  des  Chans,  und  3ie  beschlossen 
diesen  Wiirdentrager  zu  stiirzen,  koske  es  auch,  was  es  wolle. 
Chodja  Datcha,  der  Erzieher  des  Chans,  Amin  der  Schatz- 
meister  und  Andere  saglen  ihrem  Gebieler,  Hak-Kuly  babe, 
mii  seiner  Herkunft  sich  bruslend,  einmal  geaussert,  dafs  er 
den  Thron  Kokands   eher  beanspruchen  konne  als  sein  Herr* 


596  Hutorisdi'-luigolstiiche  Wiweiuchailen. 

Der  aafgebrachte  Chan  sprach  seinem  ersten  Minister  ohne 
weitere  Untersucbung  das  Urlheil.  Am  selben  Abend  w*urde 
Hak-Kuly  in  den  Palast  gerufen;  als  er  aber,  nichts  argwoh- 
nendy  durch  den  Garten  ging,  sliefsen  ihn  dori  lauernde  Mor. 
der  mit  ibren  Dolchen  nieder.  Die  von  ibm  verwalleten 
Aemter  wurden  sofort  unter  zwei  Pan«ad*Baschi's  verlheilt; 
da  aber  die  Wfirde  eines  Ming»Baschi  sebr  alt  ist,  so  vermu- 
thet  man  9  sie  werde  wieder  hergestelit  werden.  Was  den 
unglucklichen  Hak-Kuly  betrifft,  so  hielten  ibn  die  Kokander 
fUr  einen  ausgezeichneten  fttann»  und  gedenken  seiner  noch 
mit  gro&em  Bedauem. 

Jiis^Baschi  (Centurio),  lUi^Baschi  (Haupt  von  Funf- 
zigen)  und  Tok«aby  entsprechen  unseren  Stabs-  und  Ober- 
officieren.  Die  iibrigen  Beamten  erhalten  ihre  Titel  von  den 
Aemtern  die  sie  verwalten. 

Die  ganze  Armee  bestehi  aus  Reiterei.  Zur  Friedenszeit 
wohnen  die  Soldaten  in  Stadten  und  DSrfern,  wo  sie  ihre 
eignen  Hauser  haben  und  Feldbau  und  Gewerbe  Ireiben. 
Gleich  den  Kosaken  in  Russland  .thun  sie  ortlieben  Dienst  und 
werden  zu  allerlei  Commando's  verwendet.  Aus  der  Kasse 
beziehen  sie  Proviant  und  Fuller.  Uebrigenssind  dieKosten 
ihres  Unterhalts  von  Srllichen  Umstanden  abhangig. 

Der  kokandische  Soldat  reitet  einen  Klepper  (argamak), 
Oder,  in  Ermangelung  dessen,  ein  anderes  ieichles  Pferd  von 
einheimischer  oder  kirgisischer  Zucht;  auf  dem  Riieken  tragt 
er  ein^  Luntenflinte  und  an  der  Seite  einen  krummen  Sabel. 
Einige  erganzen  diese  Bewaffnung  mittelst  einer  Pike,  deren 
Schaft  dtinne,  aber  nicht  so  lang  ist,  wie  bei  denKirgisen. 
Die  Kleidung  des  Kriegers  besteht  aus  einem  gesteppten  baum- 
vi^oUnen  oder  balbseidnen  Chalak,  ledemen  Stiefein  und  weis* 
sem  Kopfbunde.  Die  Sattel  sind  im  Ganzen  ziemlich  unbe- 
quem,  mit  hohem  Vorderbogen  und  ganz  ohne  Bogen  von 
hinten.  Ein  kleiner  Beutel  mitReis  und  getrocknetem  Fleische 
enthalt  den  ganzen  Speisevorrath  des  miifsigen  Soldaten,  we- 
nigstens  so  lange,  bis  die  Pliinderung  (eindlicher  Heerden  und 
Dorfer  ibm  Gelegenheit  verschafft,  im  Ueberflusse  zu  leben. 


Das  Reich  Kokand  in  seinem  hentigen  Zustande.  Wl 

Auf  dem  Marsche  dehnt  sich  das  Heer  in  laager  Masse^ 
einer  Colonne  ahnlich,  aus,  beobachtet  aber  keine  militairUche 
Ordnung.  Doch  geralhen  die  Ablheilungen  der  verschiednen 
Fiihrer  nichl  durcheinanden  An  der  Spilze  der  Leibgarde 
(eines  Corps  von  2000  Mann)  entfaltet  man  die  furaUiche 
Fahne  aus  Seidensloff»  mil  goldnen  Quasten  und  Franzen. 
Die  iibrigen  Truppentheile  haben  ihre  eignenFahnen  und  eine 
Art  Bunischuk,  bestehend  ^us  einem  Lansenschaft  mii  ver- 
goldetem  Knaufe  und  einem  daran  befestigten  Pferde-  oder 
Kuta«-Schwanxe>  der  mit  grellen  Farben  bemali  ist.*)  Hinter 
der  Reiterei  kommt  eine  kieine  Artillerie  auf  Laffeten.  Mil 
dieser  Art  Geschiita  haben  unlangst  erst  russische  Ausreisser 
die  Kokander  bekannt  gemacht  Darnach  fotgt  Artillerie  von 
alter  Fabrication  —  Faleonettei  die  auf  zweiradrigen  Arba*s 
und  auf  Kameelen  dem  Heere  nachgefiihrt.  werden.  Als  Er- 
ganzung  der  Artillerie  dient  eine  kieine  Abtheilung  Schutzen, 
ebenfalls  auf  Arba's^  und  mit  langen  Flinten  von  grolsem  Ca- 
liber bewaffnet,  von  denen  man  nur  mittelst  zweizackiger 
Sliitzen  Gebrauch  machen  kann.  Munition  und  Lebensmittel 
auf  Kameelen  beschliefsen  den  Zug  des  Heeres. 

Die  kokandische  Reiterei  stiirzt  unter  Geschrei  und  in 
gestrecktem  Galopp  auf  den  Feind  los.  Wie  sie  gegen  euro- 
paische  Truppen  bestehen  wiirde,  kann  man  nicht  sagen; 
in  ihrem  Lande  aber  gellen  die  Usbeken  fiir  verwegene  Slrei- 
ter.  Sie  werfen  nicht  sellen  eine  zwei-  bis  dreimal  starkere 
Schaar  Kirgisen  nieder,  und  haben  mehrmals  so  wirksam  in 
chinesisches  Fufsvolk  eingehauen,  dass  es  die  Gewehre  fort 
und  sich  selbsi  an  die  Erde  warf.  Gegen  die  Turkistaner 
kampfen  sie  schon  mit  weniger  Selbstvertrauen^  und  kallblii* 
tiger  Widerstand  bringt  sie  leicht  in  Verwirrung.    BeimVer- 


*)  Der  Kota«  ist  eine  tibetiscbe  Oclisenart,  mit  sehr  langen  herablian- 
genden  Haaren,  deren  Schwanz  dem  eines  Pferdes  gleicht.  Er 
Iieisst  bei  den  Tibetern  Jag,  Jol  und  /ol-jag.  Sein  bemalter 
Sdiwans  vertritt  auch  bei  den  Cbinesen  den  Rosssdiweif. 


598  His toriscti- ling uistische  Wlssenschaften. 

theidigungskampfe  beselzen  sie  die  Anhohen  niit  Ariillerie  und 
Falconetten,  verbarricadiren  ieicht  ziigSngliche  Orte  mil  ihrer 
VVagenburg,  und  slellen  hinler  derseiben  ihre  Schiitzen  auf. 
Ein  Theil  der  Reiterei  siizt  ab,  und  mischt  sich  unker  leMere ; 
die  Schusse  sind  ziemlich  gut  gezielt,  aber  das  Laden  erfor- 
dert  viele  Zeit.  Daher  Icann  ihr  Feuer  nicht  stark  genug  sein, 
und  ist  nur  fiir  solche  Truppen  gefahrlieh,  die  mit  ibneu  auf 
gleicher  Stufe  der  Kriegskunst  stehen. 

'  Die  geehrtesten  Geisllichen  Kokands  leilen  ihr  GeschJechl 
von  den  ersten  Chalifen  und  vom  Propheten  selber.  Einige 
der  vornehmsten  geisllichen  Personen  haben  im  Ralbe  des 
Chans  beslandig  ihren  Silz.  Es  giebt  kein  anderes  gescfarie- 
benes  Geselz  als  der  Koran  und  die  heiiigen  Bilcher^  die  ibm 
als  Auslegung  dienen;  daher  die  richterliche  Gewait  mil  der 
geisllichen  zusainmenlliefsl  und  einen  and  denselben  Personen 
anvertraul  wird. 

Jeden  gelehrten  Muselmann,  der  in  den  Gebriiuchen  und 
Vorschriflen  seines  Glaubens  erfahren  isl,  nenni  man  in  Tur- 
kestan Mull  a.  Ein  Mulla,  der  an  einer  Moschee  sich  befin- 
del  und  den  Gottesdienst  leitet,  heisstlmam.  Ausserdem  giebi 
es  eine  Classe  geistlicher  Herren  unler  dem  Namen 
Scheiche,  die  bei  Tempein  wohnen^  welche  iiber  den  Gra- 
bern  heiliger  Personen  und  Glaubenskampfer  errichlet  sind. 
Dergleichen  Gebaude  werden  hochgeehrt  und  ganze  Schaa- 
ren  Glaubige  wallen  aus  entrernlen  Orten  dahin.  Viele  Chod;Vs 
und  Scheiche  hallen  die  in  denselben  begrabenen  Heiiigen  fiir 
ihre  Vorfahren.  Als  beslandige  Hiiker  dieser  Monumente-woh- 
nen  sie  fast  ohne  Unlerbrechung  in  der  Nalie  und  wiihieu  zu 
ihrem  Vorsteher  einen  Mann,  der  allgemein  geachlel  wird: 
man  betitelt  ihn  Scheich-uI-I^lam.  Dieser  wacht  iiber  die 
VoUziehung  der  heiiigen  Gebrauche  und  verlheilt  einen  Theil 
der  Gaben  frommer  Leute  unter  seine  Milbriider^  zu  ihrem 
Unterhalte. 

Kalender  sind  eine  Classe  Fanaliker  die  holie  Miitzen 
tragen  und  deren  Mantel  bis  an  dieFersen  reichen.  Die  toll- 
sten  unter  ihnen  heissen  Du van's.    Sie  fiihren  eine  einsiedle- 


Das  Reich  Kokand  in  seinem  beoUgen  Ziutaiide.  599 

rische  Exbtenz  uhd  maceriren  sich  ofl  in  solchem  Grade,  dass 
ihr  Hirn  vollstandig  zerriittet  wird.  Barfuisig,  mitHaaren  die 
ihnen  wild  iiber  die  SchuUem  fallen^  mil  den  Lumpen  alter 
Kleider  kaum  nolhdurflig  bedeckt,  treiben  sie  sich  unter  Triim* 
mern  und  auf  Grabslaiten  herum.  Kein  Winierfrost  und  keine 
Sommerschwiile  konnen  sie  zu  Veranderung  ihrer  Lebens* 
weise  beslimmen.  Die  Du van's  bringen  Tag  und  Nacht  ge- 
duldig  unler  freiem  Himmel  zu,  ohne  jeinand  urn  Obdach  zu 
bilten  und  mil  Mensqhen  in  Verkebr  zu  treten.  Am  Tage 
gewahrt  man  sie  sellen,  aber  bei  einbrechendem  Dunkel  ver- 
lassen  sie  ihre  Schlupfwinkel,  und  treiben  sich  die  ganze  Nacht 
bis  zum  Morgengebete  auf  den  Gassen  herum,  die  Blicke  deni 
Himmiel  zukehrend  und  aus  alien  Kriiflen  das  Lob  Gottes,  des 
'  Propheten  und  der  Heiligen  singend. 

Zuweilen  erscheinl  ein  Duvan  bei  Tage  vor  irgend  einem 
Karavansarai  oder  in  den  Kaufladen,  von  einem  Haufen  zer- 
iumpten  Gesindels  begleilel.  Ciebt  man  ihm  einige  Geldstucke, 
so  verlheiil  er  sie  gleich  unler  seine  Suite,  und  behalt  nur 
soviet  fiir  sich,  als  hinreicht,  seinen  Hunger  zu  slillen.  Es 
versleht  sich,  dass  diesen  Fanatikern  auch  Mufsigganger  bei- 
gemengt  sind,  welche  die  Geringschiilzung  zeillicher  Giiier 
nur  als  Maske  vornehmen,  um  deslo  freigebiger  beschenkt  zu 
werden. 

Die  herrschende  und  von  deni  gebildeten  Theiie  der  Na» 
lion  gesprochene  Sprache  ist  das  Djagalajische  oder  Oslliir- 
kische.  Es  hat  sich  hier  in  gr5fserer  Reinheit  erhalten  als  in 
den  umliegenden  Landern.  Abulgasi,  der  Chan  von  Chiva, 
schrieb  in  dieser  Sprache  seine  Geschichte  der  Talaren;  Ba- 
ber,  der  Griinder  des  Reichs  der  Grofsmognle,  die  Denkwur- 
digkeiten  seines  Lebens;  und  die  dJagaUijischen  Dichter  ver- 
trauien  diesem  Dialecte  in  woUonenden  Versmafsen  die  Er- 
zeugnisse  ihrer  reichen(?)  und  iippigen  Phanlasie.  Die  iiber 
Kokand  verslreuten  Nomadenslamme  sprechen  auch  tiirkisch, 
aber  mil  groliserer  Beimischung  fremder  Worler,  die  in  ihrem 
Munde  grobere  Formen  angenommen  haben.  Die  Tadjiken 
bedienen  sich  eines  alien  persischen  Dialects. 


600  Historisch-lingaistiBche  WiBsenscbaften. 

In  der  Sladt  Kokand  exislirt  die  vornehmsle  Schule  oder 
Medre^e,  angeblich  mil  ungerahr  1000  Schiilern.  Andere,  min- 
der bedeutende  Schulen  sind  in  Taschkend,  Margaland,  Na- 
mangan und  anderen  grofsen  Stadten.  Nach  Vollendung  ihres 
Lehrcurses  gehen  die  Schiiler  su  weiterer  Ausbildung  nach 
Buchara  und  Samarkand. 

Gegenstande  des  Unterrichts  in  diesen  Lehranstallen  sind : 
arabische,  persische  und  tiirkische  Sprache^  Grammalik  mit 
Regein  des  Slils,  Auslegung  des  Korans,  Geschichie  und  Erd- 
kunde.  Da  die  Erdkunde  aus  aUen  persischen  Autoren  ge> 
schSpft  ist^  so  finden  die  Zogiinge,  wenn  sie  in  die  Welt  tre- 
ten,  einen  sonderbaren  Contrast  zwischen  der  in  Biichern  be- 
schriebenen  und  deijenigen,  in  welcher  sie  wohnen  und  handein 
sollen.  Das  Lesen  der  Dichter  in  den  erwahnien  drei  Spra- 
chen  ist  Programm  der  kokandischen  Bildung.  Dann  und 
wann  erseheinen  zwar  Leute,  die  in  den  Schulen  von  Philo- 
sophie  and  Astronomic  plaudern;  da  sie  aber  nur  wiederge* 
ben,  was  in  alten  arabischen  und  persischen  Biichern  skehl, 
ohne  auch  nur  ein  Kdrnlein  eigner  Beobachtung  hinzuzufugen, 
so  muss  man  diese  beiden  Wissenschaften  in  Kokand  als  nichl 
vorhanden  betrachten. 

Die  Einkiinne  des  Chans  yerwalten  *  besondere  hdchste 
Wurdentrager^  unter  welchen  man  den  Mirsa-i  Da f tar  als 
den  vornehmsten  nennen  kann.  Dieser  "fuhrt  ein  Buch  fiber 
den  aligemeinen  Bestand  der  Kasse  des  Chans,  macht  die 
Bilanz  zwischen  Einnahmen  und  Ausgaben,  und  simulirt  er- 
forderlichen  Falles  liber  Mittel,  um  ungewohiiliche  oder  un- 
vorhergesehene  Ausgaben  zu  decken.  Derselbe  ist  Minister 
der  offentlichen  Bauten.  Die  Einkunfte  des  Chans  bestehen 
vorzugsweise  aus  NaturaJien,  von  denen  ein  Theil  dnrch  die 
Statthalter  der  Districte  zur  Lohnung  des  Heeres  verwendet 
wird.  Ueber  den  Rest  verfugt  der  Sarkari  Inak,  der  Be- 
wahrer  aller  Vorralhe  des  Chans.  Dieser  WiirdentrSger  ver- 
sorgt  den  Hof  und  die  zahlreichen  Leibwachler  und  Hdflinge. 

Die  Abgaben  in  baarem  Gelde  kommen  an  den  Mihtar 
oder  Schazmeisler,  def  auch  iiber  alle  Kostbarkeiten  seines 


Das  Reich  Kokand  in  seinem  lieotigen  Zastande.  fiQl 

Gebieiers  geselzt  ist.  Dies  sehr  wichtige  Amt  verleiht  grofse 
Macht  am  Hofe,  ist  aber  auch  gefdhrlich,  denn  es  hatschon 
Maochem,  der  es  bekleidete,  sein  Leben  gekostet. 

Aus  den  mil  Cerealien  besaeten  Feldern  kommt  ein  Funf* 
theil  des  Ertrags  in  die  Kasse.  Da  die  Einsammlung  einer 
so  ungeheuern  IVIenge  Gelreide  viele  Leute  und  ansehnliche 
Koslen  erforderte,  so  verpachtet  man  sie  gewohnlich  an  Pri> 
vatpersonen,  und  behalt  fiir  den  Schatz  nur  die  nothwendige 
Quantitat. 

Wenn  Grundstucke  mil  Reben,  Baumwolle,  Gemiisen  und 
anderen  Gewdcbsen  bepflanzt  sind,  so  wird  die  Abgabe  nicht 
von  den  Erzeugnissen,  sondern  vom  Boden  selber  genommen. 
Als  gewohnliches  Mafs  dient  das  Tanab,  eine  Ausdehnung 
von  60  Ellen  im  Gevierte,  daher  die  Auflage  selbst  im  ge- 
meinen  Le^en  so  genannt  wird. 

Die  Sleuereinnahme  aus  Stadten  griindet  sich  auf  die 
Zahl  der  Hauser,  Laden  und  gewisser  Artikel  der  Production. 
Im  Ganzen  wird  aber  die  Aufiage  in  runder  Summe  beslimmt, 
und  die  Burger  r^chnen  mil  eiuander  ab,  so  gut  sie  konnen. 
So  z.  B.  entrichtet  die  Stadt  Tasehkend  dem  Chan  ihre  Steuer 
von  3000  Hauserny  obgleich  sie  jetzt  an  20000  Hauser  ziih- 
len  soli.  Die  Regierung  weiss  das^  aber  sie  vergrofsert  nur 
die  gemeinsame  Summe  und  macht  keinen  neuen  Census. 

Die  nomadischen  Volker  miissen  von  40  Stiick  Vieh  jb 
eines  abliefern;  die  Eintreibung  dieser  Abgabe  ist  aber  mit  so 
grofsen  Missbrauchen  verbunden,  dass  z.  B.  die  unlerwoife- 
nen  Kirgisen  jahrlich  beinahe  ein  Zvvanzjgtheil  ihrer  Heerden 
abgeben. 

Die  Abgabe  der  Handelskaravanen  wird  durch  die  Stall- 
halter  selbst  oder  ihreDivan-Beg*s  eingezogen.  Der  Beg- 
lerbeg  von  Tasehkend  reitet  den  Karavanen  immer  selbst 
enlgegen,  lasst  sie  ausserhalb  der  Stadt  halt  machen  und  ver- 
zeichnet  die  Kaufleute  und  Allea,  was  sie  mit  sich  fiihreo; 
desgleichen  den  Preis  jeder  Waare.  Dann  erst  darf  die  Ka- 
ravane  in  die  Sladt  einziehen.  Nach  dem  ersten  geloslen 
Gelde  eriegen  die  Kaufer  einen  angem^ssenen  Zoll.    Hat  der 


502  Historisoh-liiigaistische  Wissenscliaflen. 

Beglerbeg  oder  cio  Slatthalter  eines  tfnderen  Dislrictes  schon 
bei  Musterung  der  Karavane  den  Kaufteuten  etwas  abgenoin- 
roen^  so  wird  ihnen  dies  nacbtragiich  angerechnel  und  Tom 
Zolle  ftbgezogen. 

Karavanen  welche  jenseit  der  Grenze  herkominen,  zahien 
ein  Viersigtheili  d.  b.  je  2^^  Procent  von  der  Summe,  zu 
welcher  ihre  Waaren  laxirl  werden. 

Ausser  den  aufgezablten  Abgaben,  deren  Quellen  bekannt 
sind|  erhaU  der  Chan  von  den  Statthaltern  noch  ansehnliche 
Summen  zu  verschiednen  zufalligen  BedUrfnissen.  Wenn  der 
Chan  irgend  einen  WiirdenlrSger  belobnen  will,  so  giebl  er 
ihm  oft  eiD  eigenhandiges  Jarlyk>  and  befiehlt  ibm,  damil  za 
dem  Slatthaller  irgend  eines  Bezirkes  zu  geben.  Nach  Ueber* 
reichung  des  Jarlyk*s  zahlt  der  lelztere  sofort  die  in  demsel- 
ben  bezeichnete  Geldsumme  aus  seiner  eignen  Kasse,  und 
macht  sich  dafiir  in  der  Folge  bezahU  wie  er  immer  kann. 
Am  haufigsten  hat  der  Beglerbeg  von  Taschkend  dieses 
Schicksal,  da  seine  bedeukenden  Mittel  dem  Hofe  bekannt  sind. 

Nicht  wenig  belastigend  fiir  die  Statthaller,  oder,  besser 
gesagt,  fiir  die  ihnen  unterworfen^n  Bezirke,  sind  die  Besuche 
des  Chans,  obschon  diese  an  und  fiir  sich  Aufmerksamkeit  und 
Gnade  bedeulen.  Der  Chan  kommt  bisweilen  mil  einigen 
seiner  Weiber,  mil  einem  zahlreichen  Gefolge  von  Hofieuten 
iind  drei  oder  viertausend  Mann  Soldaten.  Ausser  der  Be- 
kosligung  einer  so  grofsen  Menschenmenge  ist  der  Wirlh  noch 
verpflichtet,  einen  jeden  standesgemafs  zu  beschenken;  selbst 
die  Spahi's  und  Leibgarden  erhalten  jeder  ein  Ehrenkleid. 
Dasselbe  ist  der  Fall,  wenn  ein  Statthaller  in  Kokand  er* 
scheint,  um  „die  leuchtenden  Augen  seines  Gebielers  zu 
schauen^\  Keiner  darf  sich  dem  Chan  mit  leeren  Hiinden 
vorstellen,  wenn  er  seinen  Einfluss  bei  Hofe  behaupten  und 
mit  den  Giinsllingen  des  Chans  in  Harmonic  bleiben  will. 
Dafiir  siehl  denn  der  Hof  von  seiner  Seite  den  Statthaltern 
durch  die  Finger  und  gestattei  ihnen  alle  Missbrauche  die 
nicht  geradezu  dem  Vortheil  des  Chans  entgegen  sind. 

Man  hat  in  Kokand  folgende  Arten  von  Miinzen: 


Das  Reich  Kokand  in  sAtftom  heuttgen  Ztistande.  6(^ 

Eine  goldne,  Till«^  die  ekien  Sololnilt  (y,  Lolh)  wkgi. 
Auf  einer  Seite  derselben  steht  der  Name  des  regierendett 
Chans,  auf  der  andern  Jahr  und  Monat  det  Pragung.  Mil 
russischein  Gelde  verglichen,  kommt  eine  Tille  12  Rubein  82 
Kopeken  Banco  gleich. 

Eine  silberne,  Tenga,  deren  21  eine  Tille  ausmachen. 
Stempel  dem  der  vorigen  gleich.  Nach  russ.  Papiergelde  un- 
geiahr  61  Kopeken. 

Eine  kupferne,  Pul,  sehr  nachlassig  gepragt,  und  besliin- 
dig  ihr  Gewicht  und  ihren  Werth  verandernd.  Von  dieser 
Miinze  gingen  anfangUch  21  auf  eine  Tenga,  spater  52  bis  53^ 
jetzt  gar  140.  Die  Regierung  verpachtet  das  Recht,  diese 
Miinze  zu  pragen. 

Ausser  den  einheimiscfaen  ftlunzen  cursiren  in  Kokand: 
hoUandische  Ducaten,  indiache  Rupien,  bucharische  und  einige 
andere  Geldstiicke. 

Das  gewohnliche  Langenmab,  Ges,  kommt  ungefahr  14 
Werschok  (also  /^  Arschin)  gleich.  Entfernungea  misst  man 
nach  Tagereisen,  sellen  nach  persischen  Meilen  (Farsach). 

Gewichte  sind:  Batman  =  10  Pud;  Tscharyk  oder 
Tschairak  ss  4Pud;  Grevenka  s£  1  Pfund;  Mi^kal  =  I 
Solotnik  (%  Loht). 

Fur  Fliissigkeiten  giebt  es  durchaus  keine  Mafse.  Die 
Erzeugnisse  desBodens  werden  nach  dem  Tscharyk  bestimmt; 
Gegenstande  von  grofserem  Wefart  und  kleinerem  Umfang 
aber  nach  dem  Mi«kaL  Die  Unbestimmtheil  der  Mafse  und 
Gewichle  ist  eine  Quelle  haufiger  Betriigereien  im  Handd 
und  ubt  die  Thatigkeit  der  Policet,  welche  Missbrauche  dieser 
Art  streng  verfolgi  und  die  St:huldtgen  am  Orte  des  Verge* 
bens  bestraft 

Kokand  bildet,  \vie  Chiva  und  Bochara,  eine  Oase  zwi-* 
schen  Bergen  und  Steppen,  die  keine  ansassigen  Bewohner 
haben.  Die  Hauptmasse  der  Bevolkerung  ist  im  Thale  Fer- 
gana,  in  Kuram,  Taschkend  und  um  Namangan ;  auch  die  Um- 
gebungen  von  Chod/and  und  Uratippa  sind  ziemlich  bevolkert. 
Dagegen  sind  die  Steppen,  welche  Kokand  von  Bachara  und 


604  HittorUeh-lingiittlitche  Wiatentchaileii. 

Von  Sibirien  trennen,  nur  von  noiDa<li0cben  VSlkern  bewohnl. 
Im  AJa-Tau  und  verschiednen  Verzweigungen  des  Kaschgar- 
Davan  haben  in  gleichi&r  Weise  Kirgisensiammey  durch  grolse 
Raume  von  einander  getrennt,  ihre  Lagerplatse.  Nur  gegen 
Karatigen  hin  ]«ben  angesessene  Tadjiken  durchs  Gebirge 
verstreuty  deren  kleine  Dorfer,  znweilen  nur  drei  oder  vier 
Gehdfte,  auf  unzuganglichen  H5hen  oder  in  tiefen  Abgriinden 
liegen.  Die  Bewohner  dieser  Gegend  haben  kein  anderes 
Lasithier,  als  den  Esel ;  oft  aber  tragen  sie  ihre  Laaten  selber. 

Die  Sladl  Kokand,  oder,  wie  die  Eingebornen  sprechen, 
Chochan,*)  ist  noch  gar  nicht  lange  gegriindet;  sie  soil  we- 
nig  iiber  100  Jahre  existiren.  In  ihrer  Umgebung  giebt  es 
gleichwol  Triimmer,  welche  bezeugen,  daas  hier  vor  Allers 
irgend  eine  andere  Stadt  sich  befand,  die  zur  Zeit  des  Ein« 
brudies  der  nordlichen  Horden  zerslort  ward.  Die  Dynastie 
der  Usbeken,  welche  sich  in  Margaland  festgesetzi  halte,  ver- 
legte  spater  aus  irgend  einem  Grunde  ihre  Residenz  hierher, 
und  seitdem  wuchs  die  Stadt  sehr  rasch  heran. 

Kokand  liegt  in  einer  Ebene  an-  zwei  kkinen  PJiissen, 
welche,  aus  dem  nachsten  Abzweige  des  Kaschgar-Davan 
kommend,  friiher  in  den  iSyr-Darja  fielen,  aber  jetzt  darch 
Canale,  die  man  zur  Wasserung  der  Felder  aus  ibnen  ieitel, 
ganz  erschopft  werden.  Die  Stadt  ist  ohne  aUe  Befestigun- 
gen.  Sie  wird  groistentheils  von  den  erwiihnten  Fliisschen 
eingeschlossen,  iiber  welche  steinerne  Briicken  mil  Thiirmen 
fuhren,  von  denen  letztere  mehr  zur  Zierde,  als  zur  Verthei* 
digung  da  sind.  In  West  und  Ost  dehnen  sich  bedeutende 
Vorstadte  aus,  mit  sehr  vielen  Garten  und  Rebenpflanzungen, 
so  dass  man  nicht  leicht  bestimmen  kann,  wo  die  eigenlliche 
Stadt  endet  und  wo  die  umliegenden  Wohnorte  anfangen. 
Der  Palast  des  jetzigen  Chans  ist  ein  zweistddkiges  Gebaude 
aus  Backsleinen  und  von  hiibschem  Anseh^;  es  liegt  mitten 
in  der  Stadt  und  ist   mit  alien  dazu  gehoronden  Gebiiuden 


^)  Die  Cliinesen  schreiben  (Hesen  Namon  Ha o- ban  (Cbtto-chan). 


Das  Reich  Kokand  in  seinem  heutigen  Zostande.  Q(|5 

und  Garten  von  einer  bohen  Mauer  aus  L^hm  umsogen.  Am 
Eingang  zumPalaste  slehen  einige  alieKanoneOi  die  man  bei 
festlichen  Gelegenheiten  abfeuerL  DieHauser  der  Privatleule 
sind  grofstenlheils  ausLehm;  da  sie  aber  von  aussen  mil  Ala- 
baster uberstuckt  sind,  so  haben  sie  ein  recht  zierliches  An« 
sehen  und  konnen  von  steinernen  Hausem  nicht  unterschieden 
werden.  Im  Ganzen  sind  sie  ohne  Dacher  und  haben  die 
Fensler  dem  Hofe  zugewendet.  Die  Gassen  sind  eng,  krumm 
und  kolhig.  Man  zahU  bier  an  100  Moscheen,  alle  aus  ge- 
brannten  Ziegeln  erbauU  Kaufliofe,  d.  i.  weitlaufige,  viereckte 
Gebiiude  mil  Kaufladen,  giebt  es  sechs;  in  zweien  derselben 
handeln  Bewohner  der  Stadi,  die  iibrigen  vier  aber  sind  be- 
standig  von  kommenden  und  abgefaenden  Karawanen  einge- 
noinmen.  Hier  werden  die  aus  Indien,  Tibel,  Kascbgar,  Bu« 
chara,  Afganislan  und  dem  Kussischen  Reicbe  transportirten 
Waaren  im  Grolsen  umgelauschL  Fabrikg^aude  giebt  es  id 
Kokand  nicbt,  die  Schierspulver*  und  Papierfabrik  ausgenom* 
men ;  sonst  wird  Alles  von  den  Einwohnern  in  ihren  Hausem 
angefertigt  Demohnerachtet  lieferl  Kokand  eine  betrachtliche 
An«abl  baumwoUener  und  halbseidner  Zeuge,  gegen  welche 
man  von  den  Kaschgarern  Thee,  Porcelan  und  chinesische 
Seidenstoffe;  von  den  Afganen  Zucker,  Kaschmir-Shawls, 
Gewiirze;  von  den  Bucharen  und  aus  Russland  kommenden 
Karavanen,  europaische  Erzeugnisse  und  insonderheit  russische 
Fabricate  eintauscht.  Die  Stadt  soil  25  Worst  im  Umfang 
haben;  die  Zahl  der  Einwohner  mag  wohl  auf  50 — 60000 
sich  belaufen.  *) 

Die  Stiidie   Tascbkend,   Chodjand,   Margaland**) 


*)  Der  chinesische  Verfasser  des  Si-jii  ?cn-kien  lo  (erachien  1778) 
berechnet  (B.  II,  Bl.6)  30000F  ami  lien,  was  auf  wenigstens  100000 
Seelen  za  schliefsen  berechtigte. 

*)  Nach  Yorerwahnter  chinesiscber  Qaelle  hatte  diese  Stadt  (die  der 
Verfasser  Margalang  schreibt)  20000 Familien  za  Bewohnern^  and 
Namangan  (N aim  an  geschrieben),  10000.  Das  D/ihannoma  schrcibi 
M  argil  an  fiir  Margaland. 

Srmans  Russ.  Archiv.  Bd.  XI.  B.  4.  40 


605  HistoTisch^-lingaistisclie  WissenschaAen. 

und  Namangan  sind  fast  eben  so  ausgedehnt,  wie  die  Re- 
sidene.  Uralippa,  von  den  Kokandern  ftir  eine  sehr  fesfe 
Stadt  gehallen,  ist  beriihmt  ob  seiner  Shawls  aas  Ziegenhaar, 
welche  nfiit  denen  von  Kaschiuir  weUeifern.  Andedjan, 
die  friihei'e  Residene,'  ist  Geburlsort  Babers,  des  lezlen  der 
Nachkommen  Tamerlans,  die  iiber  dieses  Land  geherrscht 
haben.  Usch,  wo  die  Karavanen  aus  KaschgarZoll  entrich- 
ten',  enlhait  eine  religiose  Merkwurdigkeit :  auf  einem  runden 
hohen  Hugel  inmitten  dieserStadt  beBndel  sich  ein  Stein  von 
Wdrfelform  iiiit  einer  dariiber  erbaulen  Capelle,  genannt 
Tachiy*iSulejman,  d.  i.  Thron  des  Salomo.  Der  Ueber-^ 
lieferung  gemiifs  soil  Konig  Salomo,  in  Begleitung  der  ihm 
dienstbaren  Geister  durch  die  Luflraume  fliegend,  um  die  Zeit 
des  Morgengebets  gerade  iiber  diesem  Orte  geschwebt,  und 
sofort  sieh  niederlassend,  auf  dem  erwafanten  Steine  sein  Ge* 
bet  verrichtet  haben.  Ein  anderer  gebeiligter  Ort  ist  die  Sladt 
As  ret,'  bernhmt  als  Grabstatte  des  Sultans  Chod;a  Ahmed 
Ja^avi.  Das  priichtige,  von  Tamerian  uber  der  Ascbe  dieses 
Heiligen  errichlete  Gebaude  neigt  sich  schon  zum  VerfaiJe. 
DieStadtlsfara,  einst  reich  und  grofs,  ist  jetzt  unbedeulend; 
doch  liegen  eine  Menge  Dorfer  um  sie  herum.  Dies  ganze 
Land  bildet  einen  sohonen  GaKen ,  der  von  einem  majestati- 
schen  Zweige  des  Kaschgai'-Davan  besehaltet  und  von  sehr 
vielen  auf  diesem  HShenzug  entspringenden  Quellen  und 
Fliisschen  4>ewassert  wird.  Die  Bewohner  I^fara^s  und  seiner 
Umgebnngen  sind  Tad/iken. 

An  den  Grenzen  dieses  Staates  erheben  sich  mehr  oder 
minder  bedeutende  Festungen,  mit  stehenden  Garnisonen, 
welche  voriiberziehende  Karavanen  beaufsichtigen  und  die  zum 
Raube  geneigten  Nomadenstamme  beobachten.  Wir  erwahnen 
hier  einige  dieser  festen  Plalze,  die  zu  Abmarkung  der  Gren- 
zen Kokands  dienen.  Akmetschet  am  5yr-Darja  schiitzt 
die  Grenze  gegen  Chiva.  Unterhalb  dieser  Feslung  liegen  an 
deoiselben  Flusse;  D^ena-Kurgan,  45  Worst  von  Akmet- 
schet, und  Kumys-Kurgan,  160  Worst  vom  gleichen  Orte, 
der  aussersle  Grenzpunkl.     An  den  Wegen  aus  5ibirien  nach 


Das  Reich  Kokand  in  seinem  heutigen  Zastande.  605 

Taschkend  Hegen  die  Ports iSusak  undTschuIak-Kurgan; 
iibrigens  hat  die  kokandische  Regierung  in  leUter  Zeii  vor 
ihnen  eine  neue  Befestigung  am  Flusse  Tschu  errichleL  Ket- 
man-Tepe  liegl  im  Gebirge  Ala-Tau  neben  dem  See  I^ri- 
Kul;  von  da  bis  Namangan  rechnet  man  16  Tagereisen. 
Kurtka  erhebt  sich  am  osllichen  Abhange  des  Belur,  etwa 
zwei  Tagereisen  vonKaschgar.  Jarmasar,  eine  fiir  wichtig 
geltende  Festung,  am  Fufse  des  Kaschgar*Davan  und  nahe 
dem  vornehmsien  Durchgange  durch  denselben,  scfaiilzt  den 
Weg  nach  Karaligen.  Urjutjupa^  Jam  und  Samin  sind 
die  vornehmsien  (esten  PJaUe  an  der  Seile  gegen  Buchara. 
In  der  Parallele  Chodjands  schirmt  Karaktschi-Kum  die 
Grenze. 


40 


Die  Tschetschenzen  und  ihr  Land. 


Wenn  es  heutzutage  ein  Land  in  der  Welt  giebt,  das  sich 
sehr  verschiedenarliger,  durch  Sillen,  Gewolinheiten,  Sprache 
u.  s.  w.  von  einander  getrennter  Slamme  riibmen  kann,  so 
ist  dies  ohne  alien  Zweifel  das  Caueasische.  Aber  diese  Re- 
gion,  obgleich  schon  im  fernsten  Allerihume  beriihmt,  und 
immer  von  Wissbegierigen,  die  ihre  Mannigfalligkeit  zu  siudi- 
ren  bemiiht  waren,  ins  Auge  gefassl,  ist  noch  wenig  erforscbt 
und  in  einigen  Partieen  fast  ganz  unbekannt,  besonders  da, 
wo  unruhige  Slamme  wohnen.  Unter  diesen  spielen  die 
Tschetschenzen  ob  ihres  Fanatismus  und  ihrer Ziigellosig- 
keit  eine  wichtige  Rolle.  Dieser  Stamm,  weiland  beruhmt 
ob  seiner  Raubziige  und  jetzt  mit  seiner  Verwegenheit  prun-* 
kend,  versteckt  sich  an  unzuganglichen,  von  der  Nalur  selbst 
geschutzten  Often.  Das  Land,  in  welchem  die  Tschetschen- 
zen seit  einer  Reihe  von  Jahren  hausen,  ist  unter  deni  Na- 
men  Tschetscbnja  bekannt. 

Als  Grenzen  der  Tschetscbnja  neb^t  den  dazu  gehoren- 
den  Gemeinden  dienen:  im  Norden  der  Fhiss  Terek  von  dem 
Vorposten  Lipov«k  ab warts  bis  da,  wo  die  Sutija  hineinfalU 
und  noch  etwas  weiter  bis  zu  dem  Fort  Amir-Adji- Jurt;  im 
Oslen,  das  Gebiet  der  Kumyken  bis  zur  Festung  VVnesapna, 
dann  der  Fluss  Aktascha  oder  Kambulat,  welcher  die  Tschet- 
schenzen von  dem  Lesgischen  Stamme  iSalatau  trennt;  imSii- 
den  eine  Reihe  Berge  des  Lnndes  Dagestan,  bekannt  unter  den 


Die  Tscketsclieiizen  unci  ihr  Land.  609 

Nainen  Nachtschilam,  Tan^utadag  u.  s.  \v,,  welche  TscheUchnja 
von  den  Lesgischen  Gemeinden  Gumbei,  Andi,  Tschar- 
bill,  Tschamalal  und  Ankrall,  und  dem  Lande  der  Chev^uren 
abscheiden;  im  Westen  die  Lander  der  Inguschischen  Stamme 
Zori,  Galgai,  Galasch  und  Karabulak.  Die  nalurliche  Grenze 
Ewischen  Tschelschnja  und  diesen  zwei  leUlen  Stammen  iai 
aber  nichl  bestimmt 

Mil  einziger  Ausnahme  des  nSrdlicben  Theiis  isl  ganz 
Tschetschnja  von  hohen  Bergen  ubersaet,  welehe  dichle  Ur« 
waldung  deekt,  vol!  Schluchten  und  Abgriinden^  und  gewahrt 
ein  eben  so  wilder  als  grofsartiges  Gemalde,  besonders  im 
Siiden^  an  den  Bergen  5uloi-Lama^  Nadilschi-Lama  und  Tan- 
9ula-Daga,  die  wegen  ihrer  Hohe  und  Unzugiinglicbkeit  be^ 
sonders  merkwiirdig. 

VVie  an  Bergen,  so  hat  das  Land  auch  an  Wasser  kei- 
nen  Mangel.  Es  ist  in  seiner  ganzen  Ausdehnuog  von  Fliis- 
sen  und  Bergstromen  durehschnitten,  die  meisi  in  den  Schluch- 
ten von  Slid  nach  Nord  wild  einherbrausen.  Unter  den 
Fliissen  sind  die  merkwiirdigsien: 

Der  Terek,  welcher,  die  nordliche  Grenze  bildend,  von 
der  «Staniza  Galinga  bis  Amir«Ac|;i-Jurt  fliefst.  Auf  dieser 
Strecke  bietet  er,  mil  Eintritt  der  Hitze,  von  Miite  Mai  bis 
Ende  Juli,  wegen  des  schmeizenden  Bergscbnees,  ein  er- 
schiitterndes  Scbauspiel;  seine  Wasser  sind  so  reissend,  dass 
sie  Baume  entwurzeln  und  grofse  Steine  mit  sich  fortwalzen ; 
und  man  hort  ihr  Tosen  einige  Worst  weit.  Ehe  man  Briik- 
ken  iiber  den  Strom  gebaut  haite,  war  auf  dieser  Strecke 
alle  Communication  unmdglich.  Dem  gewaltigen  Andrang 
der  Wasser  konnte  nicht  einmal  Artilierie  widerstebn  und 
wurdeimmer  umgestiirzl.  Die  Gefahr  beim  HinUbersetzea 
wird  noch  gr5£ser  durch  die  Ungleichheit  des  Bettys. 

Dde  iSundja.  Sie  fliefst  von  dem  Aule  Pliew  ostnordr 
ostlich  beinahe  mit  derselben  reissenden  Schnelligkeit,  wie  der 
Terek,  bis  zum  Posien  Bragun^  wo  sie  in  jenen  Fluss  miin- 
det.  Sie  nimmt  viele  Bergslrome  auf,  von  denen  der  eine 
Argun  heisst.  • 


gJO  Historisch-lingaistische  Wissenechaften. 

Ausserdetn  halTscheUchnja  viele  heilkxaflige  Quellen,  die 
aber  von  den  Eingebornen  gnr  nichl  geschatzt  werden. 

UinsichUich  des  Clinias  und  der  Temperalur  kann  man 
nichts  Posilives  sagen.  Gesund  muss  das  Clima  wol  sein,  da 
die  ganze  Tschetschnja  mil  hohen  Bergen  bedeckt  isl,  zamal 
in  ihren  sudlicben  Theilen,  we  der  Schnee  das  ganze  Jahr 
liegt.    Die  Winter  sind  ziemlich  rauh. 

Tschetschnja  mil  den  dazn  gefa6renden  Gemeinden  wird 
jetzt  in  zwei  Theile  getheill:  Grofs-  nnd  Klein -Tschetschnja, 
deren  Grenze  die  Gonta  und  5unja  voni  Dorfe  Butun*Jurt 
bis  zur  Einmiindung  der  5unja  in  den  Terek  bilden.  Die 
Slaiiime  und  Gemeinden,  welche  in  der  Grofsen  und  Kleinen 
Tschetschnja  wohnen^  iheilen  sich  ausserdem  noch  in  andere 
kleinere  Gemeinden  die  einander  nicht  sellen  bekampfen.  In 
Beziehung  auf  Russland  zerfalien  die  Tschelschenzen  in  fried- 
liche,  wilde  oder  ungehorsame,  Berg*  und  Ebenenbewobner. 
AUe  reden  ein  und  dieselbe  Sprache. 

Die  am  Terek  angesessenen  Tschetsckienzen  sind  die  ci- 
vilisirtesten  unter  Allen,  ubrigens  dem  Witten  ihrer  Haiiptlinge 
sclavisch  unterthan.  Sie  unterhalten  jetit Cordons  am  rechten 
Ufer  des  Terek  und  entrichten  den  von  ihnen  verJangten  Tri- 
but  ohne  Weigerung.  Mit  ihren  Stammverwandten  gerathen 
sie  nicht  selten  in  Kampf,  besonder»  wann  sie  den  nissischen 
Truppen  sich  anschliefsen  wollen. 

Ein  anderer  Stamm  friedKcher  Tschetschenzen  bewohnt 
die  Ebenen  an  beiden  Seiten  der  5unja  und  vieler  anderen 
Fliisschen,  welche  von  den  Bergen  fiiefsen  und  in  die  Sun/a 
oder  den  Terek  fallen.  Diese  Tschetschenzen  bestehen  aus  den 
Stammen  Katschkalych ,  Auch,  einem  Theile  der  Karabulak, 
und  eigentlichen  Tschetschenzen.  Sie  beweisen  Russland  nur 
schwache  Unterwiirfigkeit,  und  zwar  wegen  der  Nachbarschafl 
ihrer  wilden  Landsleute,  denen  diese  'friedlichen*  auf  ihren 
Raubztigen  immer  gern  beistehen. 

Unter  den  wilden  Tschetschenzen-Stammen^  die  groCsten- 
theils  zwiscben  Felsen  und  Schluchten  hausen,  sind  die  Mit- 
schik  und  Mtschkeri  am  beruhmteslen. 


Die  TscbeUcheAzen  und  ihr  Land.  6|| 

D^  Ueberlieferungen  dieses  Volkes  .gemafs,  war  die 
fruchtbare  Ebene,  welche  vom  nordlichen  Abbang  der  Berge 
Dageslans  bis  zur  Sunja  sich  ausdehnt^  eheinals  mil  undurch- 
dringlichem  Urwalde  bedeckt,  der  nur  wilde  Thiere  zu  Be- 
wohnern  hatle.  In  diese  Ebene  sliegen  vor  etwa  zwei  Jahr- 
bunderlen  aus  den  Bergen  Uschkeria's  einige  Familien  voin 
Stamme  Naschchoi  herab,  folgten  dem  Laufe  derWasser  und 
liefsen  sich  in  der  heutigen  Tschelschnja  nieder,  und  zwar 
auf  den  ergiebigen  Feldern,  die  stellenweise  am  Argun,  Schav* 
don  und  anderen  Zufliissen  der  Sui\Ja  liegen. 

Das  Land  I  welches  die  Tschelschenzen  einnahmen,  bo( 
alles  zum  Leben  Nothwendige^  vol!  jungfraulicher  Krafle, 
lohnte  es  immer  d^n  geringen  Flei^s  des  Menschen.  Die  jung^ 
Gemeinde,  von  den  aniiegenden  Gebieten  durcfa  ewige  Wal- 
der  und  reissende  Slrdme  getrennt,,wuchs  unmerklich  heran, 
ohne  durch  Kabarden,  Kumyken  oder  Lesgier,  die  kaum  yon 
ihreni  Dasein  wufsten,  beunruhigi  zu  werden.  Als  erste  Be- 
wohner  dieser  ausgedehnten  und  fruchlbaren  Gegendi  %yelche 
ihren  Bedarfnissen  ganz  geniigtCi  nutzlen  die  Tschefaschenzen 
sie  wie  eine  Gabe  Gottes,  ohne  irgend  eine  Vorstellung  von 
personlichem  Grundeigenihum.  Die  Erde  gehortCi  wie  Was* 
ser  und  Luft,  einem  Jedeo,  der  sie  nur  umpfliigen  wollle. 

Auch  in  der  Folge^  als  ibre  Familien  sich  luehrteui  be- 
wahrien  die  Tschelschenzen  die  Elemente  ihres  urspriinglichen 
Gemeinwesens,  das  nicbt  auf  Gewall  gegriindet,  sondem 
gleichsam  zufallig,  aus  dem  Zusammenwirken  gegenseiliger 
interessen  entslanden  war.  Das  Rechl  auf  peraonlichen  Grund- 
besilz  war  bei  ihnen  nichl  vorhanden  und  ist  es  auch  heulzu- 
tage  kaum.  Ihrevon  den  Bergen  herabgesliegenen  Valer  lies- 
sen  sich  weder  gieichzeilig,  noch  an  denselben  Orlen  nieder: 
jeder  Neuangekommene  wahlte,  abgesondert  von  den  Uebri- 
gen,  seinen  Wohnori,  und  baute  mil  seiner  Familie  das  an* 
liegende  Land,  Die  Familien  vermehrlen  sich  und  nahmen 
weileren  Raum  ein,  d.  h.  sie  machlen  grofsere  Grundsliicke 
urbar.  Endlich  kam  es  soweit,  dass  zwei  verscbiedne  Fami- 
lien,  die  bis  zu  einigen  hunderl  Hausern  von  gleicher  Her- 


612  Historisch  -Unguisttsche  Wissenschaften. 

kunft  sich  vermehrt  hatten,  mit  ihren  Pflugen  anf  den  Aeckern 
zusammensliefsen  und  also  nothgedrungen  ihre  BesUzungen 
abgrenzen  musslen:  auf  der  einen  Seite  gehofle  das  Land 
einem  Geschlechte,  auf  der  anderen  —  einem  benachbarten. 

Aber  das  Land,  welches  unter  diese  klekten  Stimme,  oder, 
wie  sie  in  Tschetschnja  heissen,  To  chumps/)  verlheilt  war, 
wurde  nicht  unter  die  Glieder  derselben  yerparcellirt,  sondern 
blieby  wie  vorheri  gemeinsames  uniheilbares  Eigenlhum  des 
ganzen  Geschlechtes.  Alle  Jahr,  wann  die  Zeit  des  Pflugens 
kommt,  versammelt  sich  die  ganze  Verwandtschaft  auf  ihren 
Feldern  und  theili  sie  in  so  viele  gleicbe  Cuter,  als  der  To- 
chum  Hauser  zablt;  dann  verlheilt  noch  das  Loos  diese  Par* 
cellen  unter  ihnen.  Wer  in  solcher  Art  seine  jShrliche  Par- 
celle  bekomoieni  der  wird  ihr  voUer  Besitzer  aufa  ganze  Jahr; 
er  kann  sie  selber  anbauen,  oder  unter  gewissen  Bedingun- 
gen  an  einen  Anderen  abtreten,  oder  endlieh  brach  liegen 
lassen,  wenn  es  ihm  so  gefallt 

Hinsichtlich  der  Waldungen  besteht  bei  den  Tschelscben- 
zen  ein  besonderes  Recht:  diese  werden  niemals  unter  ihnen 
verlheilt,  da  sie  nicht  als  nationaler  Reichlhuoi  gelten.  In 
Tschetschnja  weiss  man  denWald  nichi  zu  schatzen;  denn  er 
ist  so  reichlich  vorhanden,  dass  Keiner  je  Mangel  daran  ver- 
spiirt:  der  Waid  ist  gemeinsamer  und  untheilbarer  Besitz  Al- 
len Jeder  Ankommling  oder  Eingeborne  hat  das  voile  Rechl, 
ein  Stiick  Wald  zu  roden  und  in  der  Lichtung  sich  anzusie- 
dein ;  dann  erst  wird  die  von  ihm  angebaute  Stelle  unveraas- 
serliches  Privateigenthum. 

Betrachten  wir  jetzt,  was  fSr  Begriffe  die  Tsehetschenzen 
von  Eintheilung  eines  Volkes  in  Classen  und  von  deren.Be- 
ziehungen  zu  einander  haben.  Alle  zum  tschetschenzischen 
Stamme  geh^renden  Auswanderer  aus  Itschkeri  (vom  oberen 
Argun)  bilden  zusammen  eine  Classe  freier  Leule,  ohne  Un- 


*)  Im  Persischen  and  Tarkischen  ^^^^  tocLm  oder  tocbum  a.  v.  a. 
Same,  Saat;  finniscli  touko. 


Die  Tschetschenzen  und  ibr  Land,  613 

terabtheitangcn  in  Fcirsten,  Adei  u.  dergl.  „Wir  sind  Us- 
denja,*'  sagen  sie.  Nimmt  man  das  Wori  Usden  (Jesfi-^ 
don,  d.  i.  von  sich  sdbst)  im  eigentlichen  Sinne,'")  so  be- 
zeichnet  es  einen  Menschen  als  nur  von  sich  abhangig.  Aber 
zur  Bevolkerung  des  Landes  geh5rl  auch  etne,  zwar  nicht 
zahlreiche  Ciasse  persdnlichcr  Sclaven,  aus  Kriegsgefangenen 
gebildet  Diese  Ciasse  wird  vergrofsert  durch  die  bei  Ueber- 
fallen  aufgegriffenen  Leule;  und  obschon  die  Lage  der  Ein^n 
wie  der  Anderen  fast  gleich  ist,  so  unterscheidet  man  sie  doch : 
die  Ersteren  heissen  Lai's,  die  Anderen  J  emir's;**)  denn  ihr 
Schicksal  ist  noch  niefal  fiir  iminer  bestimmt:  ein  Jesir  kann 
losgekauft  werden  und  in  seine  Heimat  zuriickkehren ,  wo- 
gegen  d«r  Lai  das  unverausserliche  Eigenthum  seines  Herren 
bieibt.  Die  Lage  des  Lai  in  Tscheischnja  ist  unbedingleste 
Knechtschafl:  er  ist  Sac  he  seines  Herren,  der  eine  unbe* 
grenzte  Gewait  iiber  ihn  bat ;  und  eines  etwa  erworbenen  Be- 
sitzes  kann  er  nur  so  lange  geniefsen,  bis  es  seinem  Herren 
in  den  Sinn  kommt,  ihn  fiir  sich  zu  nehmen. 

Zuweilen  ereignet  sichs,  dass  ein  Sdave,  aus  Pui'cht  vor 
grausamer  Bestrafung,  vor  seinem  Herren  flieht  und  bei  irgend 
einem  machtigen  oder  geehrten  Manne  Schutz  sucht.  Dieser 
nimmt  ihn  zu  sich  und  veranlasst  wohl  den  barbarischen  Her- 
ren, die  Strafe  zu  mafsigen  und  hinfuro'  barmherziger  zu  sein. 
Hat  er  dessen  Versprechen  in  diesem  Sinne  erlangt,  so  liisst 
er  den  Lai  zu  ihm  zuriickkehren.  Aber  der  Beschiitzer  des 
UnglUcklichen  darf  ihn  nichi  gegen  den  Wiilen  des  Herren 
bei  sich  bebalten,  weil  er  sonst  wegen  Diebslahls  belangt  wird. 

Trots  der  tiefen  Emiedrigung,  in  welcher  die  Lai's  leben, 


*)  Usden  and  jesiidon  stimmen  mit  dem  turkischen  iM^^t  us -den, 

bei  den  ostlichen  Turken  s.  v.  a.  k end i -den  (ab  ipso,  ¥on  selbst). 
Das  Wortchen  iis  (Kern,  Selbstheit),  begegnet  nns  aucb  in  dem  Na- 
menUsbek,  der  bachstablicb  Selbstherr,  d.  i.  sein  etgner  Herr, 
alao  Unabbangiger  bedeutet.  Anm.  d.  Uebers. 

**)  Lettteres  Wort  ist  das  arabische  jjwm{  esir  (Gefangener),  wonir  auch 

die  Tijrkefl  im  gemeinen  Leben  je«ir  sprechen.   Anm.  d,  Uebers. 


614  Hiitoriscli*lingui8ti8€lie  Wisieiischaften. 

gilt  sclavische  Abkunfl  nichi  fur  scbimpflich.  Die  Kinder 
eines  Freigelassenen  haben  alle  Rechte  urfreier  I'scheUchen- 
zen.  Der  Freigclassene  selber  triU  nach  seiner  Freilassung 
soforl  in  die  Classe  der  Freien;  aber  als  einseln  steh^nder 
Menscfay  den  man  leicbl  beleidigen  kann,  bleibl  er  ohne  Ge- 
wieht  und  Bedeutung,  denn  diese  sind  in  TscbeUchnja,  wie 
in  Dagestan,  nur  auf  dn  zablreiches  Geschlecbl  gegriindet. 
Dies  erklart  den  Umstand,  dass  die  ineisien  Freigelassenen 
ihren  gewesenen  Herren  nicht  aufgeben,  sondern  eine  seiner 
Tochler  oder  weiblichen  Verwandten  heirathen,  und  als  Glie- 
der  seiner  Familie  bei  ihm  sich  ansiedeln.  Wer  einem  Scla- 
ven  die  Freibeit  scbenken  will,  der  muss  ihm  einen  schrifUi- 
cben,  vom  Kadi  abgefassten  und  von  ibm  und  zweien  Zeugen 
vidimirten  Freibrief  zuslellen.  Dieselbe  Formaiitat  findet  bei 
Ausiosung  eines  Sclaven  stall;  das  Losegeld  wird  dabei  dem 
Kadi  eingehiindigt,  der  es  dem  Besilzer  des  Sclaven  iibergiebt 
Einen  Freigelassenen  nennt  man  As  at.*) 

Etwas  wie  eine  Regierung  war  (vor  Schamirs  Zeil)  bei 
den  TsHielschenzen  fast  gar  nicht  vorhanden.  Jeder  Tocbum, 
jedes  Dorf  regierle  sich  allein,  ohne  nach  den  Angelegenhei- 
ten  der  anderen  zu  fragen.  Der  Aelteste  eines  Geschlechles 
wurde  gewohnlich  zum  Vermiltler  oder  Ricbter  in  Streitigkei- 
ten  zwischen  Bluisverwandten  gewahlt.  In  grolsen  Ddrfern, 
wo  mehrere  Tochum's  wohnlen^  wahlte  jeder  seinen  Aeltesten, 
und  die  Handel  wurden  von  alien  Aeltesten  gemeinschafUich 
geschlichtet.  Uebrigens  war  der  Wirkungskreis  dieser  Manner 
sehr  begranzt,  und  Gewall  batten  sie  fast  gar  nicht.  Wer  da 
woUte,  der  unterwarf  sich  ibrem  Spruche ;  wer  aber  sein  Recht 
sich  selbsl  zu  nehmen  gesonnen  war,  der  umging  die  Aelte- 
sten. Auch  waren  ihre  Entscheidungen  nicht  verpflicbtend ; 
meist  hing  es  von  den  Streitenden  ab,  ob  sie  ihnen  gemafs 
handeln  woUten.    Dehmohnerachtet  hielten  die  Tschetschen- 


*)  fst  das  persische  ^t^t  as 4(1  (frei),  ein  Wort,   das  sich  im  Norden 

bis  zu    den  Ostjaken  verbreitet  hat.     Gastrins  Ostjak.  Sprachlehre, 
S.80.  Anin.  d.  Uebers. 


Die  Tsobetlclienzen  ufid  ilir  Land.  6(5 

zen  das  Gericht  ibrer  Aelteslen  immer  in  Ehren  iind  es  erbielt 
sich  bis  auf  Schamil. 

Wichtige,  ein  ganzes  Dorf  belreffende  Angelegenheiten 
wurden  in  Volksversammlungen,  bei  denen  Alles  sich  belhei- 
ligle,  verhandelt.  Von  parlamentariscber  Ordnung  war  frei* 
lich  lieine  Spur:  ein  Jeder  spracb,  weno  es  ibm  eiofiel,  und 
des  Geplauders,  Geschreis  und  Larmens  war  kein  Ende.  Oft 
ereignele  sich*s,  dass  der  VVot'tkampf  mit  einer  argen  Priige- 
lei  endete;  das  ganze  Dorf  zeifiel  in  zwei  kiimpfende  Parleien, 
und  die  obsiegende  Parlei  veririeb  unbarmherzig  ihre  Wider- 
sacher,  welche  abziehen  und  anderswo  sich  ansiedeln  niusslen. 
Die  Einladungen  zu  offentlicher  Berathung  waren  nicht  min^ 
der  barbarisch,  als  die  Beralhung  seiber:  wer  irgend'  eine 
wichtige  Sache  zu  besprechen  gesonnen  war,  siieg  aufs  Dach 
der  Moschee  und  rief  von  dort  aus  das  Volk  zusammen,  wie 
die  Gebeirufer  Ihun.  Zuerst  kamen  die  miifsigen  Leule,  dann 
die  ganze  mlinnh'che  Bevolkerung,  und  Alles  versammelte  sich 
auf  dem  PJatze  vor  der  Moschee. 

In  den  erslen  Zeilen  ihrer  Niederlassung  in  der  Ebene 
baulen  die  nachmaligcn  Tschetschenzen  ruhig  ihr  Land ;  deno 
wenn  auch  die  machiigen  und  rauberischen  Nachbarn  von  ihrer 
Existenz  wussten^  so  schenkten  sie  doch  dem  armen  und  zer- 
streuten  Hiiuflein  neuer  Ansiedler  geringe  AufmerksamkeiL 
Die  Tscbetschenzen  selbst,  thre  Schwache  fuhlend,  lebien  da- 
mals  friedlich,  ohne  jemand  zu  kranken>  und  versieckten  sich 
gleichsam  in  ihren  Waldern.  Diejenigen  von  ihnen,  welche 
den  Kabarden  oder  den  Kumyken  benachbarle  Wohnsilze  ge* 
nommen,  begaben  sich  sogar  aus  freien  SHicken  unler  den 
Schutz  der  dortigen  Haupthnge,  um  vor  Bedruckungen  sicber 
zu  sein.  Sie  zahiien  ihnen  eine  kleine  jahrliche  Abgabe  und 
wurden  dadurch  zu  ihren  Glienien. 

So  lange  die  Tschetschenzen  arm  waren,  liefs  man  sie 
in  Ruhe;  als  aber  reiche  Dorfer  enistanden,  als  auf  fellen 
Triften  ansehnliche  Heerden  wandelien,  da  verwandellen  sich 
ihre  bis  dahin  friedlichen  Nachbarn  in  unbiindige  Rauber.  Ein 
Einfall  in  Tschelschnja   war  ein  Fest  fiir  diese  Bravo's:   die 


i' 


616  Historisch-^linguistisclie  Wtssenschaften. 

Beule  war  ergiebig,  fast  immer  sicher,  und  ausserdem  mit 
wenig  Gefabr  zu  erlangen,  da  die  ohnehin  wenig  zahlreiche 
Bevolkerung  weder  Einheit  noch  Ordnung  kannte.  Wurde 
das  Vieh  irgend  eines  Dorfes  fortgelrieben,  so  kamen  die  Be- 
wohner  eines  Nachbardorfes  den  Beraubten  selten  zu  Hiilfe; 
denn  kein  sociales  Band  verkniipfle  die  einzelnen  Gemeinhei- 
ten  mit  einander.- 

Endlich  beschloss  man,  einen  starken  und  tapferen  Fiir- 
sten  zu  berufen,  der  Ordnung  herstellen  und  die  Feinde  ab- 
wehren  sollte.  Auf  diese  Art  kam  die  beriihmte  Familie  der 
Turlov^s  *)  aus  Hunibet  nach  der  Tschelschnja.  Diese  halten 
ein  zahlreiches  Gefolge,  immer  bereit,  mit  ihnen  wider  aussere 
Feinde  zu  ziehen,  aber  auch  keimenden  Aufruhr  in  der 
Tschelschnja  selbst  sofort  zu  erslicken.  Die  Gewalt  derTur- 
lov*s  befestigte  sich  schnell  und  trug  ihre  wohllhatigen  Friichte. 
Die  Tschetschenzen,  alie  gleichmafsig  einem  fiirsUichenHause 
unterlhan,  erhielten  nun  zuerst  Begriffe  von  nationaler  Ein- 
heit;  die  Nothwendigkeit,  einerlei  Dienst  zu  thiin  und  gemein- 
same  Last  zu  iragen,  brachle  sie  einander  naben  Wenn  der 
Hauptling  ins  Feld  zog,  so  mussten  die  Bewohner  der  umlie- 
genden  D&rfer  sich  ibm  anschliefsen,  und  durflen  es  nichi 
mehr  bei  dem  Schuize  ihres  Privaibesilzes  bewenden  Jassen. 
Tschelschnja  wurde  wieder  wohlhabend  und  erholte  sich  un- 
ter  seinen  Fiirsten.  Die  verwegenen  Nachbam  fanden  bei 
ihren  Ueberfallen  so  kraftigen  Widerstand,  dass  sie  der  mijh- 
seligen  und  unsicbern  Beute  nachzujagen  aufhdrlen.  Bis  da- 
hin  immer  geplundert  und  bedriickt^  wurden  die  Tschetschen- 
zen  jetzt  von  ihrer  Seite  ein  Schrecken  der  Nachbam;  mit 
dem  Bewusslsein  ihrer  Krafl  eniwickelte  sicb>  kriegerischer 
Geist^  und  ganze  Haufen  verwegener  Freibeuter  aus  ihrer  Mitte 
begannen  die  Ebene  der  Kumyken  und  die  Gegenden  jenseil 
des  Terek  beimzusuchen. 

Der  Name  der  Turlov's  wurde  in  Tscketschnja  allgemein 
hochgeachtet ;  aber  ihre  ganze  Gewalt  grilndele  sich  nur  auf 


*)  Dieser  Name  ist  bier  offenhat*  scUon  russificirt. 


Die  Tsclietschenzen  und  ilir  Land.  517 

diese  HochachtuDg;  sie  halte  keine  legale  und  durch  Machi 
befestigte  Grundlage.  Die  TschetscheriKen  hallen  diese  Haupl- 
linge  in  der  Epoche  ihrer  Armuth  und  Schwacbe  berufen; 
daher  konnte  man  scbwer  annehmen,  dass,  nachdem  der  Druck 
vorbei  war,  die  schwankende  Macht  derselben- sich  immer  in 
Tschetscbnja  aufrechl  halten  wiirde;  dass  die  EriennUicbkeii 
flir  geleistele  Dienste  in  einem  balbwilden  Volke  seine  ange- 
borne  Abneigung  gegen  Unterwurfigkeit  und  Liebe  zu  unge^ 
ziigelier  personlicher  Freiheit  niederkampfen  konne.  Und  so 
kam  es  auch :  die  Bevolkerung  wuchs  schnell  heran,  der  Wohl- 
stand  der  Eingebornen  mehrte  sich  alle  Tage,  und  ihr  kriege- 
rischer  Geist  erhielt  seine  voile  Entwickelung.  Uin  dieselbe 
Zeii  wurden  die  benachbarien  Stamme  zusehends  schwacher 
und  sanken  allgemach.  Zwistigkeiten  zwischen  machtigen 
Fursienbausem ,  gelegentliche  Erfolge  der  Russen  im  Cauca* 
suSy  Verweichlichung  und  Sittenverderben  drilckten  die  her- 
vorragend  gewesenen  Kumyken  und  Kabardiner  auf  eine  un- 
tergeordnete  Slufe  herab,  Ihre  besten  Parteiganger  und  ge* 
ehrtesten  Greise  waren  auf  dem  Schlachtfelde  geblieben,  oder, 
die  patriotische  Sache  preisgebend,  zu  den  Russen  iibergegan- 
gen.  Die  Tschetschenzen  ftirchteten  sie  niehi  mebr,  und  mit 
dem  Bewustsein  ihrer  Starke  erwachle  ein  Geist  ungeziigeiter 
Freiheit,  den  die  au§gestandenen  Drangsale  bis  dahin  nieder- 
gehalten.  Sie  belrachleten  jetzt  ihre  Hauptlinge  als  lastige 
Vormundery  und  enlzogen  sich  den  Pflichten  des  Gehorsams 
und  der  Ergebenheit;  so  dass  die  Turldv's  das  undankbare 
Volk  endlich  verliefsen.  Sie  siedelten  in  die  Tschetschenzen- 
dorfer  am  Terek  und  an  der  oberen  5unja  Uber,  wo  sie  noch 
lange  Zeit  der  ihnen  zukommenden  Rechte  sich  erfreuten.  Die 
Regierung  der  Turlov's  hatte,  da  sie  fast  niemals  innere  Ein- 
richtungen  beriihrle,  an  dem  biirgerliehen  Sein  der  Tsche- 
tschenzen wenig  geandert;  nach  ihrem  Abzuge,  oder  besser, 
nach  ihrer  Vertreibung  war  AUes  noch  wie  um  die  Zeit  der 
ersten  Niederlassung  im  Lande.  Der  ganze  Unterschied  be* 
stand  darin,  dass,  wo  vormals  eine  einzelne  kleine  Meierei  im 
Walde  gestanden,  jetzt  ein  grofser  Aul  von  einigen  hunderi 


[f 


618  Hittori8ch<^lingat8tische  Wiasenscliaften. 

Hausern  —  zumeisl  einem  Geschlechle  angehorend  —  sich 
ausdehnte.  Die  Gesellschafl  war  angewachsen,  ihre  Verfassung 
aber  dieseibe  geblieben. 

Nachdem  wir  den  burgerlichen  Zustand  der  Tschelschnja 
in  aligeineinen^Umrissen  geschilderl,  ist  es  nothwendig,  noch 
ein  Par  Worle  iiber  die  Tschetschenzendorfer  am  Terek  und 
der  oberen  Sunja  beixufugen,  als  welche  in  vielen  Sliicken 
von  den  oben  beschriebenen  abweichend  sind.  Das  linke  Ufer 
der  iSun/a  und  das  rechte  des  Terek,  wo  vor  der  Emporung 
des  Johres  1840  reiche  tschetschensische  Dorfer  lagen,  die, 
wie  man  glaubt,  erst  entslanden,  als  die  groCse  und  kleine 
Tschelschnja  schon  sich  gebiidet  batten ,  —  diese  zwiscben 
Terek  und  5unja  eingesdilossenen  Lander  waren  ekemals 
Eigenlhum  der  kabardischen  Fursten,  welche  daaelbst  ibren 
Heuschlag  halten.  Die  bier  angesessenen  tschetscbenziseben 
Auswanderer  musslen  mil  ibnen  Verlriige  abscblieCsen  und  fur 
das  Land^  welches  sie  nutzlen,  gewisse  Gebithren  entricbten. 
Anfangs  begnugien  sich  die  erwahnten  Hauptltnge  mil  einer 
geringen  Abgabe  vom  Weizen,  da  sie  seU>er  allzu  well  ent- 
feml  wohnten;  als  aber  die  Anaiedler  in  der  Folge  sich  ver- 
mehrten  und  wohlhabend  wurden,  da  verlegten  viele  kabar- 
dinische  HHuptlinge  ihren  WohnsUz  bierher  und  braefaien  su* 
gleicb  eine  kiinstiiche  feudale  Verfassung^,  wie  sie  in  der 
Kabarda  bestanden,  in  das  schiicbte  und  einforuiige  Element 
des  tschetscbenziseben  Gemeinwesens. 

Wir  woUen  bier  nicht  in  eine  Betraebtung  ibres  burger- 
lichen  Seins  eingehen,  welches  den  socialen  Einrichtungen  der 
Kumyken  beinahe  in  Allem  gleicb  ist,  sondern  nur  sagen,  dass 
die  Macht  der  Hauptlinge  in  den  drei  Tscbetscbenzen-Gemein* 
den,  die  bei  dem  Aufruhre  von  1840  nicht  iiber  die  iScinja 
geflohen,  gegenwarlig  ihrem  Untergange  zuneigt,  theils  durcb 
vussischen  Einfluss,  theils  darum,  weil  das  wohlhabender  und 
zahlreicher  gc%vordene  Volk  einer  Abgabe  an  Hauptlinge  iiber- 
driissig  wird,   die  es  bei  keiner  Gelegenheit  scbiilzen  konnen. 

Es  verdienl  noch  Bemerkung,  dass  in  Tschetscbnja  die 
muhammedanische  Geisllichkeit  keinen  Einfluss  auf  die  Regie- 


Die  Tsclietschenzen  and  ibr  Land.  gl9 

rung  gebabl  hat  Dieses  Land  ist  von  alien  zum  Idam  sich 
bekemienden  vielleicht  das  einzige,  wo  die  Geistlichen  nicht 
so,  wie  ihnen  zukam,  geebrt  wurden.  Die  Tschetschenzen 
waren  immer  schlechte  Moslimen^  bei  denen  die,  fiir  ihre 
Silten  zu  strenge  Schariat  (das  Geiietz  des  Propheten)  nur 
in  seltnen  Fallen  Anwendung  fand^  und  das  Meiste  nach  alien 
Gewohnheitsrediten  entschieden  wurde.  In  einer  solchen  Ge- 
selbchaft  konnte  ein  Clerus  nieht  zu  Macht  und  Anseben 
kommen;  er  gerietb  in  Verfall  und  war,  vor  Schanul*s  Ein* 
biirgerung,  arm  und  unwissend.  Die  Kennlniss  der  Scbrift 
war  Alies,  was  die  ischeUchenzischen  Mulla*s  von  den  Unge- 
lehrien  auszeichnete  und  ihnen  eine  gewisse  Achtung  erwarb, 
da  sie  allein  schrifiliche  Documente  abfassen  konnlen.  Sonst 
batten  sie  kelne  besonderen  Rechte  und  waren  von  den  Welt* 
lichen  vollkommen  abhangig.  Eine  Ordinirung  zum  geistlichen 
Stande  gab  es  nicht:  jede  Gemeinde  wahlte  sich  irgend  eincA 
des  Schreibens  kundigen  Mann^  der  arabisch  verstand^  und 
machte  ihn  zu  ihrem  Mulla ;  denn  der  Kirchendienst  bedarf  in 
der  muhammedanischen  Religion  keiner  besonderen  Vorberei* 
tungy  da  er  nur  aus  Gebeten  besteht^  die  einem  jeden  be- 
kannt  sind. 

Die  Entscheidung  gewisser  Handel  nach  dem  Schariat 
und  die  Abfassung  schrifllicher  Urkunden  sind  vornehmster 
Beruf  des  Mulla*s  einer  Gemeinde;  sonst  unterschied  er  sich 
in  nichls  von  den  Weltlichen.  Bei  der  jahrlichen  Vertheilung 
der  Grundstiicke  erhielt  er  mit  den  iibrigen  Bewohnern  eines 
Dorfes  gleichen  Anlheil,  und  wie  alle  Uebrigen,  trieb  er  Ak- 
kerbau  und  Handel.  Besondere  Einkiinfte  bezogen  die  Mullahs 
nicht  vor  SchamiPs  Zeit,  obgleich  der  Koran  jeden  MosHm 
verpflichtet,  alljahrlich  |ein  Zehniheil  seines  Gehaltes  und  ein 
.  Hundertlheil  seines  Viehs  der  Moschee  "zu  opfern.  Diese  Ab- 
gabe  heisst  Sekat;'^)  gewohnlich  theilt  sie  der  Mulla  in  drci 


*)  Bedeutnng:  obT:  aumdne    des   reyenus,  qae   le   Coran  ordonne  a  tout 

masaiman,  et  qui  consiste  en  un  40i5ine  de  son  revenu. 

D'Ohsson. 


620  Historisch-linguistische  WiMeflSchaften. 

Pai  (Antheiie):  den  einen  nimml  er  fiir  sich,  und  die  zwei 
iibrigen  muss  er  den  Armen,  den  Widwen  und  Waisen  zu- 
wenden.  Ausserdem  haben  die  Kaufleute  alle  Jahr  yVW  vom 
jahrlichen  Wachslhum  ihres  Capitals  in  die  Moschee  su  liefern, 
mag  es  nun  in  Geld  oder  in  Waaren  bestehn.  Auch  diesen 
Beitrag  Iheill  der  MuUa  in  einige  Theile,  von  denen  der  cine 
ihm  selbst  angehort  und  die  iibrigen  den  Annen.  Aber  bis 
heute  ist  man  in  Tschetschnja  diesen,  wie  anderen  religiosen 
Pflichten,  ob  der  allgemeinen  Kalie  gegen  den  Glauben,  nur 
wenig  nachgekommen;  und  wenn  einige  goUesfurchlige  Greise 
einen  Theil  ihres  Einkommens  zu  UntersUitzung  der  Armen 
verwendeten ,  so  handigten  sie  das  Sekat  nur  sellen  ihren 
Mullahs  aus,  gewobnlich  verlheillen  sie  es  selber  unter  die 
Hulfsbediirftigen. 

In  einigen  grofsen  DSrfern  gab  esMoscheen  undMuUa's; 
in  solchem  Fall  wurde  einer  aus  ihnen  gewohnlich  zum  Kadi 
erwahlt.  Als  solcher  halte  er  vor  den  iibrigen  MuUa's  nur 
das  Recht,  in  seinem  Districte  Jusliz  zu  iiben,  wahrend  seine 
iibrigen  CoUegen  auf  den  blosen  KirehendiensI  si^b  beschraii* 
ken  mussten.  Uebrigens  gab  es  in  Tschetschnja  wenig^  Kadi's, 
denn  ihre  Wahl  erforderte  einen  Geist  der  Einigkeit,  den  man 
mit  Miihe  herslellen  konnie. 

(Schluss  in  eineni  folgenden  Hefte.) 


Aus  dem  Bericht  der  russisch  -  amerikanischen 
Compagnie  fiir  das  Jahr  1850 — 1851. 


iJie  Sjewernaja  Ptschela  theiil  einen  Bericht  der  russisch* 
amerikanischen  Handelsgesellschaft  fiir  das  Jahr  1850 — 1851 
mit,  dem  wir  Folgendes  enlnehmen '^): 

Die  Einnahme  der  Compagnie  im  J.  1850  betrug  752675 
Rub.  65  Kop.,  die  Ausgaben  beliefen  sieh  auf  628628  Rub.  35 
Kop.  Von  dem  Ueberschuss  warden  112260  Rub.  zur  Divi- 
dendensahlung  nach  dem  Verhaltnifs  von  15  Rub.  auf  die 
Aclie  bestimmt;  dem  Reserve-Capital  wurden  11226  Rub.  ein- 
verlisibt  und  561  Rub.  30  Kop.  zum  Resten  der  Armen  aus- 
gesetzt. 

Am  1.  Januar  1851  befanden  sich  in  den  Colonieen  im 
Dienste  der  Compagnie  ein  Stabsoffizier  und  drei  Offiziere  der 
Kaiserlichen  Marine,  ein  Offizier  des  Berg-Ingenieurcorps,  vier 
Civilbeamte,  dreifsig  Personen  geistlichen  Standes.  Das  Dienst- 
personal  uberhaupt  zahlte  686  Kopfe.  Die  Bevolkerung  der 
Colonieen  bestand  aus  9273  Mensehen,  worunler  4823  mann- 
lichen  und  4450  weiblichen  Geschlechls. 

Davon  waren: 

Russen      505 
Creolen    1703 


*)  Vergl.   den  Bericht  aber  das  Jahr  1849—1650    in    diesem  Archiy 

Bd.IX.  S.  710  — 716. 
Krmans  Ruas.  Arcbiv.  Bd.  XI.  H.  4.  41 


522  Historiscb-lingaistisclke  WissenBchaften. 

Aleuten  4051 

Kenaigen  1070 

Tschugalschen  1857 

Kurilen  97 

Neu- Archangel  seibst  halte  971  Einwohner,  Russen»  Creolen 
und  Aleuten.  Der  Gesundheilszusland  war  dort  ungiinsliger, 
als  in  dem  vorhergehenden  Jahre,  obwohl  sich  durchaus  keine 
epidemische  Krankheilen  zeiglen. 

Die  Knfibenscbule  zu  Neu* Archangel  wurde  uuLaufe  des 
Jahrs  1850  von  43  Scbiilern;  die  Madchenschule  von  45  Schii- 
lerinnen  besuchf.  Das  ),Seininarium''  hat te  27  Zogh'nge,  worun- 
ier  fiinf  Eingeborne.  Aufserdem  wurden  auf  Kosten  der  Ge- 
sellschafl  zwolf  junge  Leule  in  St.  Petersburg  in  verschie- 
denen  Insliiuien  erzogen* 

Die  J^gd  wurde  in  alien  Theilen  der  Colonic  mit  voll- 
standigem  Erfolg  belrieben.  Bei  der  Insel  Tugidak  wurden 
fast  eben  so  viele  Bibern  gefangen,  wie  im  Jahr  1849.  Der 
im  Jahr  1848  ausgesetzte  Fuchsfang  auf  Kadjak  und  die  Jagd 
auf  ZieselmSusp  (jewraschki)  auf  der  InseiUkamok  wurde, 
nachdem  man  diesen  Thieren  Zeit  gegeben^  sich  wieder  zu 
vermehrePy  emeuerts  und  lieferte  sehr  befriedigende  ResuUale. 
Auch  in)  Ungaer  Dislricte  war  die  Ausbeute  gut,  nnr  nicht 
was  die  Wallrosse  betriffty  die  seit  einiger  Zeit  fast  aufgehort 
haben>  sich  auf  der  Halbinsel  Alja^ka  zu  lagern.  Desto  er- 
giebiger  war  die  Seehund-  und  Steinfuchsjagd  auf  den  Priby- 
Ipw-Inseln,  wo  namenilich  die  Seehunde  sich  mit  jedem  Jahre 
vermebren. 

Der  im  Jahr  1850  auf  einem  Schiffe  der  Compagnie  nach 
San  Francisco  abgeferligte  Gehiilfe  des  Directors  vom  Com- 
toir  zu  Neu- Archangel  J  Herr  Iwanow,  hatle  den  Auflrag, 
von  Sutter  den  Riicksland  seiner  Schuld  fur  die  Colonie 
Ross  einzutreiben,  und  wo  m5gl]ch  ein  kleines  Sortiment  von 
verschiedenen  Waaren  und  Erzeugnissen  der  russischen  Nie- 
derlassungen,  zum  Werthe  von  65579  Rubel  Assignaten,  so 
wie  drei  holzerne,  auseinander  zu  nehmende  Hauser^  die  zu 
diesem  Zwecke  in  Neu-Archangel  erbaut  worden  waren,  ab- 


Au8  deni  Berictit  der  russiscli-amerikanischen  Compagnie.       623 

zusetzen.  Auf  Abschlag  seiner  Schuld  znhlte  Sutter  an  Herm 
Iwanow  7000  Piaster  oder  lOOOO  Silberrubel  und  verpflichlete 
sich,  diese  Sache  deCnitiv  mit  detti  in  San  Francisco  ernann* 
ten  russischen  Viceconsul  Herrn  Steward  zu  arrangiren,  den 
der  Gesandte  in   den   Vereinigten  Slaaten,    Herr   Bodisko^ 

*  angewiesen  hatte,   alle  von  ihtn  abhangende  Mafsregeln  zur 

•  Eriedigung  dieser  Angelegenheit   zu  Ireffen.     Von  den  nach 
Californien  gesandten  VVaaren  wurde  der  drilte  Theil  nebst 

^  den  Hausern  verkauft,  wovon  eins  auf  dem  1849  inSanFran** 
Cisco  erworbenen  Grnndsliick  errichtet  und  initsammt  dem* 
selben  losgeschlagen  wurde.  Ein  Theil  des  EriSses  ward  von 
Herrn  Iwanow  in  Empfang  genommen  und  die  Eincassirung 
'■  des  Resles,  um  den  langen  Aufenthalt  zu  vermeiden,  Herrn 
Steward  iiberlassen,  welcher  dies  auch  in  der  Polge  bewerk- 
:  :     stellfgt  hat. 

Wegen  des  hohen  Preises  der  Lebensmittel  in  Californien 

•      konnle  man  dorl  nur  eine  geringe  Quanlitat  P6kelfleisch  etc. 

einkanfen.     Es   wurden  daher  auf  dem  Schiffe  „Knjas  Men* 

I.      schikow'*  7700  Silberrnbel  in  auslandischem  Gelde  und  1  Pud 

B      23  Pfund  45  Sololnik  GolJstaub  von  San  Francisco  nachNeu* 

0  Archangel  gebracht.     Die   aus  Californien  erhaltenen  Piaster 

1  wurden  den  zur  Weltumsegelung  bestimmten  SchiflTen  der 
g  Compagnie,  stall  der  Wechsel,  tibergeben,  um  ihre  Auslagen 
I  in  den  verschiedenen  Hiifen  zu  beslreiten;  der  Goldstaub,  def 
I  auf  dem  Schiffe  „Alcha**  nach  St.  Petersburg  befordert  und  in 
\       das  Miinzamt  abgeliefert  ward,  erwies  sich  hier  als  aus  1  Pud 

7  Pfund  44  Solotnik  12  Theile  reines  Gold  und  6  Pfund  56 
Sololnik  76  Theile  Silber  bestehend,  wofiir  die  Uauplverwal- 
tung  der  Compagnie  16787  Rubel  59  Kopcken  Silber  erhielt. 
Es  geht  hieraus  hervor,  dafs  der  russische  Handel  mitCalifor^ 
nien  im  Jahr  1850,  obwohl  von  recht  giinstigen  Resultaten 
begleitet,  doch  in  geringerem  Uinfang  belrieben  wurde,  als  im 
Jahr  1849,  in  welchem  dieser  Handel  durch  die  damalige 
eigenthiimliche  Lage  Californiens  besonderen  Erfolg  hatte.  Zu 
jener  Zeit  enlstand,  zugleich  mtt  der  pt5lzlichen  Bereicherung 
der  Einwohner,  ein  aufserordentlicher  Begehr  fiir  alle  mogliche 

41* 


g^  Historisch-linguistische  Wisscnscliaften, 

Waaren,  die  zu  hohen  Preisen  abgesel^t  wurden;  wogegen  im 
Jahr  1850  die  Waarenlager  in  San  Francisco  mil  den  Fabri- 
kaien  und  anderen  Produclen  der  gansen  W«U  angefiilli  wa* 
ren,  so  dads  man  nur  einen  Theil  der  aus  Neu-Archangel*  ge- 
schickken  Artikel   z\i  vorlheilhaften  Preisen  anbringen  konnle. 

Die  Abnahine  der  Bevolkerung  der  Sandwich -Inseln  in 
Foige  der  EpidetniC)  welche  dort  12000  Menschen  hinraffte, 
^nd  der  forlwahrenden  Auswanderung  nach  Californien,  hat 
in  Verbindiing  mil  der  iibermafsigen  Preiserhohung  der  ein- 
heimischen  Producte  dieser  Insein  dem  Gange  des  Handels 
mit  denselben  eine  veranderle  Gestalt  gegeben.  Ausser  der 
Uebernahme  des  contractmar$ig  zu  einem  sehr  gunsligen  Preise 
eingekauflen  Salzes,  welches  unter  den  gegenwartigen  Um- 
slanden  den  Hauptgegenatand  der  Ausfuhr  nach  den  Colo- 
nieen  bildet,  beschrankten  sich  daher  die  Handelsoperationen 
der  Compagnie  auf  den  Insein  im  Jahr  1850  auf  einen  unbe- 
deutenden  Absatz  von  Colonialproduclen  und  den  Einkauf  von 
Sandzucker,  Syrup  und  anderen  Arlikeln.  Wahrend  des  Auf- 
enthalts  der  Brigg  „BaikaP'  in  Honolulu,  besuchte  sie  der  Kd- 
nig  der  Sandwich -Insel  mit  seinem  Minister  der  auswarligen 
Angeiegenheiten  und  Reichskanzler.  Der  Commandeur  der 
Brigg,  Herr  Klinkowstrdm,  bewirihete  nach  dortigem  Ge- 
brauch  den  K5nig  in  seiner  Cajiile,  bei  welcher  Gelegenheit 
der  Konig  durch  seinen  Minister  dem  Capitain  auftrug,  in  sei* 
nem  Namen  den  Hauptverwalter  der  Colonieen  zu  versichern, 
dafs  er  stels  bereit  sei,  den  mit  den  Sandwich-Insein  Handel- 
treibenden  russischen  Unterthanen  seinen  Schula  und  Beistand 
zukommen  z|^  lassen. 

Die  EntwickeUing  des  Wallfischfanges  in  den  Colonieen 
hat  seit  langer  Zeit  die  Sorgfalt  der  Direction  in  Anspruch 
genommen,  und  in  dieser  Absicht  wurde  schon  1830  ein  er- 
fahrener  amerikanischer  Wallfischfanger,  Thomas  Barton, 
berufen,  der  sich  nicht  nur  verbindlich  machte,  Wallfische  mit 
der  Harpune  zu  eriegen,  sondern  auch  den  Eingebornen  den 
Gebrauch  derselben  zu  lehren.  Nach  seiner  Ankunft  wurden 
ihm  einige  Wallfischbole   und    eine  Abtheilung.  Aleuten   nnit 


Aus  dem  Bericht  der  russifich-amerikaniBcIien  Conipagiiie.       525 

alien  fUr  den  VValllischfang  erforderfiehen  Gerathschaften  Eur 
Verfugung  gestelU.  Im  Laufe  von  funf  Jahren  beschSftigle 
sich  Barlon  in  alien  Theilen  der  Colonie  noit  dem  Wall&ch- 
fang,  aber  seine  Bemuhungen  blieben  ohne  Erfolg  und  man 
iiefs  deshalb  das  Unternehmen  im  Jahr  1838  fallen.  Unter- 
dessen  h5i*le  die  Direction  nichl  auf,  den  Forlgang  des  aus- 
landischen  Wallfischfangs  im  nordliclien  Slillen  Me^re  mit 
Aufmerksamkeit  zu  verfolgcn,  und  der  Aufschwung,  den  er 
nahm,  iiberzeugte  sie  noch  mehr  von  der  Einlriiglichkeit  die- 
ser  Industrie  in  den  genannten  Gewiissern.  Die  neu  ange- 
kniipften  Handelsverbindungen  derCompagnie  mil  Californien 
und  den  Sandwich -Inseln,  zu  deren  Unterhaltung  ein  grofser 
Theil  der  Colonialflotille  verwendei  werden  mufste,  eriaubten 
der  Direclion  jedoch  nicht,  sich 'zugleich  mit  dem  Wallfisch- 
fang  zu  beschafligen,  und  <iieser  Betrieb  wurde  daher,  wie 
zuvor,  den  Eingeborenen  tiberlassen,  die  ihn  in  sehr  kleinem 
Mafsslab  und  nur  zur  Befriedigung  ihrer  eigenen  Bediirfnis&e 
fortfuhrten.  Die  Aleuten,  die  sich  hauptsachlich  von  dem 
Fleisch  und  dem  Felt  der  Wallfische  nahren,  fingen  davon  so 
viel  sie  zu  ihrem  Unierhall  nothig  hallen  und  fauscbten  an 
die  Compagnie  nur  das  Fischbein  aus,  welches  sie  nicht  be- 
nutzten  und  welches  mit  den  iibrigen  Colonialproducten  nach 
Europa  verschifft  wurde.  Die  mil  der  Ausdehnung  des  frem^ 
den  Wallfischfangs  verkniipfte  Anwesenheit  einer  grofsen  An- 
zahl  auslandischer  Fahrseuge  in  den  Gewassem,  welche  die 
russisch-amerikanischen  Colonieen  bespiilen,  hatle  inzwischen 
manche  fiir  die  Compagnie  unangenehme  Umslande  zurFoIge. 
Die  Wallfischfahrer  iandelen  milunter  an  den  Kiislen,  ver- 
suchten  mit  den  Eingebornen  Handel  zu  Ireiben,  auf  Pelzthiere 
Jagd  zu  machen,  Holz  zu  fallen  u.  dergl,  und  die  Compagnie 
sah  sich  gen5thigl,  zur  Beseitigung  dieser  Uebergriffe  entschei*' 
dende  Mafsregein  zu  treffen.  Es  wurde  also  im  Jahr  1844 
einKreuzer  zurAufsicht  iiber  die  Wallfischfahrer  ausgeschickl; 
da  sich  indessen  ein  einziger  Kreuzer  fiir  einen  so  weilen 
Raum  ungeniigend  zeigle  und  die  Unlerhallung  von  mehreren 
der  Compagnie  zu  lastig  geworden  ware,  so  hielt  die  Direclion 


g26  HUtoriBok-lingaistiaehe  Wissejucbaften, 

es  tiir  das  Zweckmatsigstei  den  Wallfischfang  damil  zu  ver* 
bindeOy  und  ordnele  in  di^ser  Ahsicht  den  Bau  mehrerer  klei- 
ner  Fahrseuge  an^  die,  mil  den  nothigen  Geratbschaflen  ver- 
sehen,  den  Fang  in  den  verschiedenen  Theilen  der  Colonie 
betreiben    und  zugleich  ats  Kreuzer   dienen   solllen.     Dieser 
Plan  war  noch  nicht  zur  Ausfuhrung  gekommen,  als  die  Com- 
pagnie  unterrichtei  wurde>  dais  in  Folge  einer  Vorslellung  des 
General •Gouverneurs   von  Ost-Sibirien,    General -LieutenanI 
Murawjew,  der  Kaiser  seinen  Willen  zu  erkennen  gegeben 
babe,  einen   russischen  Wallfisehfang  in  den  GewSssern   des 
Stillen  Meeres  unler  unoiiUelbarer  ftlitwirkung  der  russisch- 
amerikanischen  Cooipagnie  zu  begrilnden.     Die  Direction,  der 
die  Absicht  der  Rheder  von  Abo  in  Finnland,  einen  Aciien- 
verein  fiir  den  Wallfischfang  zu  errichien,  bekannt  war  *)  und 
der  es  hSchst  wiinschenswerkh  erschien,  so  erfahrene  Seeleute 
und  Schiffsbaumeisler  zu  Theilnehmern  an  dieser  Unterneh- 
mung  zu  haben,  Iral  mil  ihnen  daruber  in  UnterhaDdlungen, 
die  zu  der  Bildung  der  Russisch-finnlandischen  Wall- 
fischranga-Compagnie,   der   erslen    dieser  Arl  in  Russ- 
land,  fiihrten,  deren  Statut  am  13.  December  1850  die  kaiser- 
liche  Bestatigung  erhielt.    Aufser  den  Voriheilenj  die  von  dem 
Wallfischfange  selbst  zu  erwarlen  sind>  ist  dieses  Unlemefa- 
men  der  russisch-amerikanischen  Compagnie  besonders  dadurch 
wjchtigy  dafs   es  die  Verbindungen  mil   den  Colonieen  ver- 
mehren  und  sie,  ohne  weitere  Kosten  von  Seilen  der  Com- 
pagnie, vor  den  Uebergriffen  der  auslandischen  Wallfischfahrer 
sichern  wird, 

Der  erste  zu  diesem  Zweck  in  Abo  ausgeriislele  Wall- 
fischfahrer isl  am  22.  Juli  1851  von  dorl  abgesegelt  und  hat, 
nachdem  er  in  Bremen  eingelaufen,  urn  sich  mil  dem  erfor- 
derlichen  Apparat  zu  versehen  und  einige  erfahrene  Harpu- 
nire  an  Bord  zu  nehmen,  sich  geradesweges  nach  Neu- Ar- 
changel begeben,  wo  ihm  der  Hauptverwaltev  der  Colonieen 


♦)  Vergl.  d.  ArchW  Bd.VI.  S.  598  — 604. 


Aqs  dem  Bericht  der  rassiscb-amerikaiuicfaeii  CompagDie,       627 

die  Richtung  bezeichnen  wirdi  in  der  er  seine  Operalionen  su 
beginnen  hat. 

Dem  Berichte  der  russisch-amerikanischen  Compagnie  (iir 
1849  war  eine  Merkatorsche  Karte  der  Westkiiste  von  Sichay 
zwischen  dem  Vorgebirge  Omanney  und  dem  Klokatschew* 
Sunde,  hinzugefiigt.  Dem  diesjahrigen  isl  eine  nach  den 
neuesten  Beobachtungen  entworfene  Merkatorsche  Karte  der 
Beringskrafse  nebst  dem  aniiegenden  Theile  des  Eismeers  bei* 
gegeben,  die  mit  An^ichlen  verschiedener  Inseln  uii4  Kiislen-. 
punkte  versehen  ist  und  auf  der  die  Kurse  der  zur  Aufsuchung 
Franklin*s  ausgesandten  englischen  Schiffe  verzeichnet  sind. 


Schreiben  eines  Russen  aus  Californien^J. 


I. 

Insel  St.  Thomas  (Westindien).     23.  Aug.  1S51. 

IM  ach  einer  giiicklichen  Fahrt  von  einundzwanzig  Tagen  ha- 
ben  wir  auf  der  Khede  der  Insel  St  Thomas  Anker  -gewor- 
fen.  Es  ist  dies  eine  der  schonsten  Inseln  Weslindiens  und 
gehSri  den  Danen.    Wir  geben  hier  die  Post  ab,  setzen  die 


*)  Der  Verfasser  dieser  in  No.  Ill  a.  112  der  Sjewernaja  Ptsclielk  Ton 
diesem  Jahr  initgetheilten  Berichte  ist  Hefr  Rott ache w,  ein  Mann, 
der  aich  schon  in  aehr  veracbiedenen  Cari^ren  veraucht  hat.    In  aei- 
ner  Jagend  beachaftigte  er  sich   mit  der  Literatnr  ond  ab^etzte 
Schiller'a  „Wilhelm  TelP  ond  Shakeapeare'a  ,,Macbeth'*  ina  Rosaiache. 
Hieranf  trat  er  in  den  Dienst  der  rnaaiach-amerikaniacben  Compagnie 
nnd  atand  eine  Zeitlang  an  der  Spitze  der  Colonie  Roa^,  wo  ihn  der 
bekannte  Reiaende  Daflot  dj  Manfraa  besnchte  (vergl.  dieaes  Archly 
VI.  423).    Wahrend  aeinea  mebrjahrigen  Anfenthalta  daaelbst  worde 
er  mit  den  Angelegenheiten   Californiena  genan  bekannt.     Der  erate 
Entdecker  der  Californiachen  Goldwaachen ,    Capita! n  S otter ^    war 
eine  Zeitlang  in  Roaa  bei  Herrn  Rottachew  zn  Gaat,    ebe  er  seine 
Anaiedlnng  Nea-HelTetien  aniegte.     Nacb  Roaaland  znrSckgekehrt, 
acheint  ihm  das  Gluck  in  aeiner  Heiniath  nicht  gelachelt  zn  baben, 
da  er  aich  entschlosaen  hat,  ea  wieder  in  deni  goldreichen  Califor- 
nien  zu  verauchen,   wo  er  aber  jetzt  zn  spat  angelangt  aein  mochte, 
urn  noch  nachzaholen ,  waa  er  friiber  mit  leichter  Muhe  hatte  errei- 
•ben  konnen*.  D.  Uebers. 


Schreiben  eines  Rdcsen  aas  CaKfornien.  g29 

nach  Jamaica,  Havana  und  Mexico  bestimmlen  Passagiere  ans 
Land  und  fahren  dann,  sobald  wie  Kohien  eingenommen^  nach 
dem  amerikanischen  Continent,  nach  Santa  Maria,  Cartagena 
und  Chagres  weiter.  In  sechs  bis  sieben  Tagen  denke  ich  in 
Panama  zu  sein.  Die  Fahri  auf  dem  englischen  Dampfschiff 
isl  herrlich.  Der  tropische  Himmel,  die  wunderbare  Natur 
der  Aequatoriallander  ist  wieder  vor  mir.  Die  Palmen  und 
Cocosbaume  nicken  mir  mit  ihren  Wipfeln  ins  Fensier  herein. 
Meine  Gesundheit  besserl  sich  zusehends;  ich  weifs  nicht  wie 
es  mir  ferner  gehen  wird,  aber  fiir  jetzi  ist  mir  wohl.  Nach- 
dem  ich  den  Isthmus  von  Panama  iiberschrilten  habe,  werde 
ich  mich  in  etwa  funfzehn  Tagen  in  San  Franzisco  befinden. 
Heute  Abend  lichten  vtrir  die  Anker.  Die  Reise  geht  iibers 
Caraibische  Meer  (den  mexicanischen  Meerbusen).  Ich  bin 
der  erste  Russe,  welcher  diese  Tour  macht;  ich  werde  von 
ihr  reden,  wenn  ich  sie  hinter  mir  babe. 


II. 

Panama  (Republik  Nea- Granada).    6.  Sept.  1851. 

Aus  der  ersten  Zeile  meines  Briefes  wirst  du  sehen,  dafs 

ich  von  neiiem   die  Ufer  des  Slillen  Meeres   erblickt  habe 

• 

Unsere  Fahrt  von  England  ins  zum  Isthmus  von  Panama  war 
aufserordentlich  glUcklich.  Unser  machtiges  Dampfschiff  legte, 
obwohl  gerade  nicht  durch  seine  Schnelligkeit  ber&hmt,  in 
vierondzwanzig  Stunden  einen  Weg  von  200  bis  225  Meilen 
zuriick,  und  was  kann  man  mehr  verlangen?  Nachdem  wir 
die  Antillei\  verlassen,  besuchten  wir  uolerweges  die  Kiisten 
von  Neu-Granada,  Santa-Marta,  Cartagena  und  Chagres.  Frii- 
her  waren  alle  diese  Punkte  von  den  Spaniem  stark  befestigt, 
weil  tiber  diese  Landenge  ihre  Goldtransporte  von  Amerika 
nach  Europa  gingen.  Wenn  man  diese  Ruinen  ansieht,  so 
bewundert  man  die  einstige  Macht  des  jetzt  so  gesunkenen 
Spaniens,  und  bewundert  noch  mehr  die  Kuhnheit  der  Fli- 
bustier,    welche   sie   anzugreifen    pflegten.      Heute   sind    die 


630  Hwtorisch'lingiiistisehe  WuseiMichftlles* 

Festangsmauern  mil  Moos  und  Unkraut  iiberwacbseOi  und  von 
Seeraubern  isl  im  ganzen  Caraibischen  Meer   keioe  Rede.  In 
Chagres  wiithet  das  gelbe  Fieber  uird  der  Vomilo,  wesbalb 
ich  mich  nur  zwei  Stunden  dork  nufliielt.    Fiir  die  nibige  and 
beqiieme  Ueberfahri  aus  Europa  muTste  ich  von  Chagres  nach 
Panama  mil  MtihseKgkeiten  ailer  Art  bezahlen.     Jetsi  ist  hier 
die  Regenzeil;  das  Wasser  im  Flusse  hat  seine  grofste  Hobe 
erreitht  und  ist  ungemein  reissend;  von  ungeheueren  Baam- 
stammen  und  Aesten  versperrt,  bietet  er  dem  Canot  des  Wii- 
den  keine  sehr  angenehme  Fahrt  dar^  und  doch  ist  dies  die  ein- 
zige  Art|  in  der  man  bier  den  Strom  hinauf  vordringen  kana 
Wenn  das  Boot  umwirfti  so  lauft  der  Reisende,  aufeer  dem 
Verlust  seiner  Bagage,  Gefahr,  einem  Alligator  in  den  Rachen 
zu  gerathen,  oder  am  Ufer^  in  dem  spurlosen  Urwalde  Ame- 
rika's,  die  Beule  eines  Jaguars  zu  werden.     Von  dieser  leU- 
ten   Unannehmlichkeit   sollten   auch  wir   eine   Probe  habeo. 
Mein  Boot  ward  durch  die  Str5mung  auf  einem  unter  Was- 
ser befindlichen  Baumstamm  geworfen.    Der  Indianer  sprang 
ins  Wasser,  stiefs  das  Boot  ah,  konnte  aber  selbst  nicht  wie- 
der  hineinkommen.     Die  Stromung  trug   uns  fort,   wahrend 
der  Fiihrer,  die  Alligaloren  fiirchtend,    ans  Ufer   schwamm* 
Auf  einmai  hSrten  wir  ein  furchtbares  Angslgeschrei  .  .    ^ 
sebnell  wir  konnten,  eilten  wir  ihm  zur  Hiilfe,   aber  der  Un- 
gliickliche  war  nicht  mehr  zu  sehen:  der  Jaguar  hatte  ibn 
zerrissen  und  (ortgeschleppt ! '^) 

Nach  einer  dreitagigen  hdchst  ermudenden  Reise  gelaag* 


*)  Dieses  Abenteaer  ktingt  so  romanhaft,  dafs  wir  beinah  glauben  m^^ 
ten,  ea  babe  Henrn  Rottschew  nor  getramnt  oder  sei  eine  Kriao^'^'B 
an  die  poetiseben  Phantaaieen  aeiner  Jugend.  In  nUen  B^vhten 
engliscber  und  amerikantsclxer  Reisenden  nber  die  Deberfabrt  ton 
Gbagres  naclr  Panama  ist  nns  wenigslens  nichts  derartiges  voig<^ 
kommen.  Wir  bemerken  hier  iibrigens,  dafs  im  Original  von  einem 
Tiger  die  Rede  ist,  womit  doch  wohl  der  Jaguar  geiiieint  sein  mm 
der  indefs  bekannllicb  dem  Tiger  der  alien  Welt  an  Kraft  ofld  »" 
Wildheit  nachsteht.  D.  Uebeft. 


Scfacviben  eines  RtisMii  aoa  Californi«n.  631 

ten  wir  zu  der  Orischafl  Cruses ,  wo  ich  das  Boot  verlicfa 
und  ein  Maullhier  bestieg.  Du  weibty  das  ich  ein  geiibler 
Mauleseltreiber  bin:  es  wurde  mir  daher  mSglich,  in  einem 
Tage  von  Cruses  nach  Panama  zu  gelangen,  wozu  Manche 
vier  Tage  gebrauchen.  Wir  haben  zusammen  die  Ochoisker 
Taiga  gesehen,  ich  bin  mil  den  Ufern  des  Jeni«ei  und  der 
Angara  bekannt,  aber  etwas,  das  diesem  VVege  gliche,  ist  mir 
noch  nicht  vorgekommen.  Der  enge,  mil  Sleinen  besaete 
Pfad  ist  stellenweise  so  schmal,  dafs  ein  Maullhier  mit  seinem 
Reiter  sich  kaum  durchwinden  kann.  Die  Luft  wird  von  dem 
Geschrei  der  Thiere,  Affen,  Papageien,  dem  Zwilschem  der 
Vogel,  dem  Summon  der  Insecten  belebt,  mil  einem  Worle, 
der  Reisende  befindet  sich  gleichsam  in  einer  FeenwelU  Und 
welche  Nalur!  Sie  zu  beschreiben  ist  unmoglich;.  man  mufs 
sie  mit  eigenen  Augen  sehen.  Pistoleo,  eine  Biichse,  ein  gu- 
les Messer  sind  indefs  unentbehrliche  Begieiler  auf  dieser 
Reise.  Uebrigens  wiirde  ich  Niemanden  ohne  Erfahrung  ra- 
then,  sich  auf  den  Weg  zu  machen;  es  giebt  hier  viele  »Spe^ 
culanten'\  die,  ohne  Cahfornien  zu  erreichen,  es  in  den  Ta« 
schen  der  Reisenden  finden.  Vor  kurzen  wurden  7  Deutsche 
unterweges  wie  die  Hammel  abgeschlachtel.  Sie  halten 
schwere  Koffer  bei  sich,  in  wekhen  die  Morder  Gold  zu  6nr 
den  glaubton.  Allein  die  DouUcben  kamen  aus  Europa,  und 
das  vermeintliche  Gold  war  nur  ihr  Tischlerwerkzeug,  Die 
Morder  wurden  festgenommen  und  in  Panama  erschossen:  ea 
waren  Eingeborene  von  Neu*6ranada.  Hierauf  wurden  neun 
Amerikaner  ahniichen  Gelichlers  eingefangen,  die  jedoch  aus 
dem  Gefangnifo  von  Panama  entkamen  und  wabrscheinlioh  ihr 
Gewerbe  forlsetzen.  Indem  die  Sladibehorde  diesen  Vorfali 
anzeigt,  fiigt  sie  die  IrSsUiche  Versicherung  hinzu,  dafs  die 
Schurken  ohne  Gnade  gehangt  werden  wiirden,  wenn  man 
ihrer  nur  habhaft  wird!  —  Die  Post  nach  Europa  geht  heute 
ab  und  ich  mufs  daher  mein  Schreiben  schiiefisen.  Von  hier* 
aus  haben  wir  Californien  schon  im  Gesicht.  Das  letzle 
Dampfboot  brachte  1500000  Piaster  Goldstaub  mit;  ausserdem 
halten  die  Passagiere  400000  Piaster  bei  sich.   Die  Entdeckung 


632  Hulorifleh-lingniftiMfae  WitMBtchafUii. 

und  Ausbeute  des  Goldes  ist  in  Californien  noch 
Zunehmen  begriffen.    Auch  isi  dort  jetst  Alles  wohlfeil.     £ 
sen  Transport  hab*  ich  selbsl  gesehen,  und  es  gehen   derg! 
chen  iwei  oder  drei  Mai  des  Monals  hier  durch.      Erst 
15.  September  werde  ich  diese  Stadl  verlassen,  da  kein  Dam 
boot  eher  abgeht. 


in. 

Californische  Goldgruben,  Flass  Juba,  Marderer'*fi  Ba 

10.  November  1851. 

Es  wird  nun  schon  beinah  vierzehn  Tage,  dafs  ich  mid 
in  den  Goldregionen  Califomiens  beBnde,  und  noch  kann  id 
nicht  2U  mir  kommen  vor  Erstaunen  iiber  Atles,  was  ich  sehe 
Der  Reichthum    der  Goldlager  (ro«syp)  ist  wunderbar,    un- 
glaublich.     Oft  habe  ich  mich  mil  eigenen  Aogen  iiberzeugf, 
dafs  ein  Teller  Erde    10,  20,  40,  ja   100  Piaster  SchlichgoJd 
giebt.   Schuttlager  von  vier  bis  fiinf  Solotnik  auf  huodert  Pud 
Sand  werden  hier  gar  nicht  bearbeitet,  weil  die  Goldwascher 
in  ihren  elenden   kleinen  ,,Wiegen''  daraus  nicht  genug  su 
Tage  fordern  kdpnen,  um  ihren  tUghchen  Unterhalt  zu  bestrei- 
ten,  wahrend  bei  uns  in  iSibirien  dergleichen  Lager  zu  den 
reichsten  gezShIt  werden.     Die  hiesigen  Berge  und  Abhange 
bieten  iiberall,  nach  unseren  Begriffen,  reiche  Aosbeute  dar, 
die  aber  in  CaHfomien  nicht  beachtet  wird.     Was  man  hier 
reiche  Goldlager  nennt,   ist  von  Compagnieen  in  Besitz  ge- 
nommen,  welche  unermefslichen  Gewinn  daraus  schopfen,  in- 
dem  sie  Alle*8  bei  Seite  lassen,  was  nicht  fabelhafte  Scbatee 
versprichU    Die  Arbeilen  werden  hier  uns&gbch  schlecbt  be* 
trieben.   Leute  von  alien  Nationen,  von  alien  Standen,  welche 
das  Ungluck  hierher   verschlagen    hat,   graben    und   wlihlen 
gleich  Ebern  in  die  Eide,  und  sobald  sie  nicht  taglich  10  bis 
12  Piaster  verdienen,  so  lassen  sie  den  Fundort  im  Slich  und 
suchen  anderswo  einen  ergiebigeren.     Mit  gut  geleitelen  Ar- 
beiten  konnte  viel,  unglaublich  viel  geleistet  werden,  aber  wie 


•^ 


Sclureiben  eines  Russen  aos  CaiiforBien.  633 

M  soil  man  dies  zu  Slande  bringen?  IVfanche  Beschwerden, 
manche  Leiden  werde  ich  hier  tragen  miissen,  doch  hoffe  ick 
mil  Gottes  Hiilfe  mein  Ziel  zu  erreichen.  Es  ware  recht  gut, 
wenn  einer '  von  unseren  unternehmenden  Capilalisten  auch 
nur  auf  kurze  Zeil  hierber  kame.  Ein  SchuUlager  von  vier 
bis  funf  Solotnik  auf  100  Pud  Sand  ist  leicht  aufzufinden;  es 
giebt  viele  dergleichen,  die  man  zu  bearbeiten  angefangen  und 
dann  verlassen  hat.  Unsere  vergessenen  «ibirischen  Butare 
konnten  sogar  mil  Vorlheil  benutzt  werden,  meine  Absicht  ist 
aber,  die  Arbeit  mit  Fassern  (botschki)  und  Eggen  (borony) 
einzufiihren '')  und  mich  einer  reichen  Compagnie  anzuschlies- 
sen.  Wahrend  ich  michnach  der  Juj>a  begab,  ist  P  • .  •  w 
nach  Norden  gegangen;  ich  bin  sicher,  dafs  er  seine  Zeit 
nicht  umsonst  vergeuden  wird.  Nachdem  ich  einige  Zeit  bei 
Suiter  zugebracht,  uberzeugle  ich  mich,  dafs  er  mir  in  nichts 
behiilflich  sein  konne;  er  ist  so  arm,  wielrus,  und  ausserdem 
fast  seiner  Sione  nicht  machlig,  Und  dieser  Mensch  hatte 
Millionen  besitzen  konnen!  Es  freut  mich,  dafs  ich  sobald 
seinen  Zustand  kennen  lernle ;  die  auf  ihn  gesetzte  Hoffnung 
ist  zertriimmert,  aber  wie  viele  Hoffnungen  virerden  nicht  im 
Leben  zu  Schanden!  .  .  .  Die  Regenzeit  hat  begonnen  und 
die  Natur  belebt  sich  zusehends.  Das  Wetter  ist  warm  und 
freundlich.  • 


IV. 

San  Francisco,  3.  December  1851. 

Erst  geslern  erhielt  ich  die  beiden  ersten  Briefe  aus 
Russiand,  vom  Eude  Juli  und  15.  August.  —  Es  ist  inleres- 
sant,  die  Verschiedenheit  zwischen  den  hiesigen  Arbeiten  und 
den  unsrigen  zu  beobachlen.  Die  Arbeiten  in  Califomien 
werden  gr5fstentheils  durch  zwei  oder  drei  Genossen  betrie- 
ben.    Zum  Auswaschen  gebrauchen  sie  vorzugsweise  eine  Art 


*)  Ueber  dtese  Maschinen  vergl.  das  Arcliiv  IV.  125  und  Vf.  333. 


634  Historiscli-lingnistisclie  Wissenschaften* 

kleiner  Wiegen  (rockers).     In  diescr  elenden   Maschine    kon* 
nen  sie  bei  aller  Thiitigkeit  und  iinler  den  giinstigsten   Urn- 
slanden  nicht  mehr  als  150  Wedro  Sand  (5^920  Wedro   =  I 
Eiiner)y  bei  einiger  Entfernung  des  Schutllagers  oder  mangel- 
hafler  Wasserzufuhr   kaum   100  Wedro    Uiglich    durchsieben. 
Aus  diesem  Grunde  miissen  vereinzelte  Arbeiter  ausserordentlich 
reiche  Siallen  aufsuchen,  indem  der  mililere  Gehalt  von  ftinf 
Solotnik  auf  100  Wedro  Erde  ihn  kaum  in  den  Stand  setzen 
wiirde,  seine  (Jnkosten  zu  decken,  und  noch  weniger,  elwas 
zuriickzulegen.     Die  Erde   welche  nur  diese  Quaniitat  Gold 
enthaUy  kann  daher  in  Californien  nur  vermittelsl  Maschinen 
ausgewaschen  werden;  Alles  aber  was  bier  den  Namen  Gold- 
wascbmaschinen  fiihrt,  isi  von  so   ausserordenllicher  Unvoli* 
komnienheit,  da(s  es  fast  gar  nicht  in  Betracbt  kommt.     Alan 
kann  nicht  ohne  Unwilien  diese  planlos  aufgewuhlten ,  onsin- 
nig    zerstorien    und     verschUtlelen    Lagerslatten    betrachten. 
Solche  auf  eigene  Hand  unternonnnenen  Arbeiten  haben  den 
verstiindigen  Belrieb  vollig  gelodlet    Mit  saurer  Muhe  scharrt 
der  Goldsucher  in  der  Erde,  und  wenn  er  sich  in  seinen  Be- 
rechnungen  gelauscht  sieht,  so  wandert  er  wie  ein  heimalh- 
loser  Landstreicher  mit  seiner  Wiege  von  einem  Ort  zum  an- 
deren«    Das  Opter  dieser  Verwirrung  werden  vor  Ailem  die 
Franzosen;   da   sie  keine  Associalioiftn  bilden,  so  haben  sie 
hier  auch  nicht  den  mindesten  Erfolg,  und  die  Vicomtes  und 
Offiziere  sitzen  Heber  am  Spieltisch  und  beschafligen  sich  mit 
verschiedenen  kleinen  Gewerben  und  Handwerken.    Die  Ame* 
rikaner  verslehen  ihie  Sache  besser;  an  Associationen  fehit 
cs  bei  ihnen  nicht,  aber  Goldwaschmaschinen  haben  sie  doch 
nicht  erfunden.     Die  Geselischaften  waschen  Gold  in  Korben 
mit  Quecksiiber,  in  dem  Giauben,  dafs  sich  das  Gold  durch 
diesen  Prozess  amalgamiren  werde;  sie  verlieren  aber  so  ^ine 
Masse  Quecksilber  und  zum  wenigsten  den  vierlen  Theil  des 
gewaschenen  Goides.    Welchen  Reichlhum  miissen  die  Lager 
darbieten,  um  Arbeiten  zu  beiohnen,  die  in  solcher  Weise  be* 
trieben  werden!    Es  kommt  ihnen  indessen  auch  ein  anderer 
Umstand  zu  statten:   die  Amerikaner  sind   hier  im   eigenen 


:< 


Schreiben  eines  Russen  a  us  Californien.  635 

Lande,  zu  Hause  (obwohl  der  Beti'ieb  allerdings  Jedem  ohne 
Ausfiahme  eroffnel  ist);  sie  haben  die  besien  Stellen  inonopo* 
iisirty  so  das  Flussgebiet  der  Juba,  wo,  wie  ich  selbsl  gese- 
hen  babe,  ein  Goldwascher  aus  einem  einzigen  Pud  Sand  auf 
einem  einfachen  Teller  von  achtzig  bis  hundert  spaniscbe  Tha« 
ler  zu  Tage  forderte!  Das  Belt  der  Juba  haben  sie^  so  gut 
es  angingy  abgeleitet  und  arbeiten  so  lange,  bis  sie  von  dem 
eindringenden  Wasser  verlrieben  werden.  Betrachten  wir  die 
Sache  von  einem  andren  Gesichtspuncle.  Ohne  grofse  Schwie* 
rigkeit  kann  man  hier  Schutllager  antreffen,  die  im  Durch- 
schnilt  funf  Solotnik  Gold  auf  100  Pud  oder  Weder  Erde 
geben;  dergleichen  Fundorte  werden,  wie  schon  gesagl,  bald 
aufgegeben.  Eine  ^ibirische  Borona  oder  Botschka  aber 
wird  bei  dem  ungewohnlich  leichlen,  lockeren,  goldhaltigen 
Boden  ohne  Miihe  mit  acht  Arbeilern  drei  Tausend  Wedro 
des  Tages  auswaschen.  Das  Resultat  dieser  Arbeiten  wiirde 
sich  auf  300  Piaster  tiiglich  stellen,  wenn  man  jedes  Wedro 
zu  10  Cents  rechnet  Der  Unlerschied  im  Verhaltniss  zum 
Beiriebe  mit  den  hiesigen  Mascbinen  ware  demnach  oITenbar 
ungeheuer. 


V. 

San  Francisco,  29.  December  1851. 

Das  neue  Jahr  ist  vor  der  Thur,  und  ich  sehe  ihm  mit 
den  begriindelslen  HolTnungen  entgegen.  Wenn  das  Gliick 
mir  nur  el  was  giinslig  rst,  so  kann  die  Verwirklichung  der- 
selben  nichl  ausbleiben.  Nach  Besichligung  der  californischen 
Gruben  im  Norden  wie  im  Siiden  bin  ich  mit  der  Absicht 
hierher  gekommen,  eine  Compagnie  zur  Ausfiihrung  meines 
Plans  zu  bilden.  Hierzu  wurde  ich  durch  mehrere  Ursachen 
veranlafst,  von  denen  die  Unzulanglichkeit  meiner  Geldmillel 
in  erster  Linie  steht,  und  in  zweiter  die  Nothwendigkeil>  eine 
Stiitze  und  Riickhalt  in  einem  Lande  zu  haben,  wo  „derjenige 
Corporal  ist,  der  den  Stock  nimml''  (kto  patku  wsjal,  lol  i 


I! 

t 


636  Hittorbch-lingaistische  Wissensehafteir. 

kapral).  Der  Zufall  hat  iiiich  mit  einem  reichen,  gebildelen 
cbilesischen  Kaufinann  aus  Santiago  de  Si.  Arcos  zusamroen- 
gefiihrt,  der  die  Unkosten,  welche  die  ersle  Einrichtung  der 
Arbeiten  erfordert,  zur  Halfte  ubernommen  hat  und  beim  erslen 
Gliicksfall,  der,  bei  den  von  uns  getrofifenen  Mafsregeln  nicht 
ausbleiben  kann,  mir  einen  Credit  von  40000  Piastem  bei 
einem  Banquier  aui  eroffnen  verspricht.  Nachdem  ich  den 
Bau  der .  Maschinen  in  San  Franzisco  angeorduet  und  das 
zu  den  Arbeiten  Nolhige  eingekauft,  werde  ich  mieh  in  zwei 
Tagen  wieder  an  den  Fluss  Juba,  nach  Murderer's  Bar,  be- 
geben ,  wo  ich  die  ersten  Nachforschungen  anzustellen  denke. 
Es  wird  nicht  an  Miihe  fehlen,  aber  die  trSstliche  Ziikunft 
wird  diese  Miihe  versiilsen.  Meine  Gesundheit,  die  sich  in 
der  ersten  Zeit  nach  meiner  Ankunft  befestigt  hatte,  ist  von 
neuem  zerriittet;  das  Regenwelter,  die  farchlbaren  SUirme 
und  Feuchtigkeit  haben  mich  stark  angegriffen;  vielleicht  wird 
die  warme  Friihiingsiuft  wieder  heilsam  auf  mich  wirken.  Zu- 
weilen  ist  mir  schwermiithig  genug  zu  Muthe;  ich  fiihre  hier 
ein  volikommenes  Einsiedlerleben ,  von  Allem  fern,  was  das 
Herz  befriedigen  oder  den  Sinnen '  scbmeicheln  kann.  Von 
Wein  bin  ich  nie  ein  Freund  gewesen,  eben  so  wenig  wie 
von  Karten,  und  wenn  ich  hier  das  Spiel  in  seiner  abschrek- 
kendsten  Gestalt  erbiicke,  wenn  ich  auf  offener  Stra&e  die 
Spieltische  sehe,  an  welchen  Frauen  sitzen,  die,  um  die  Vor* 
ubergehenden  anzuziehen,  wie  die  Puppen  herausgeputzt  sind, 
so  wird  mir  formlich  ubel  und  ich  fliehe  dieses  abslofsende 
Schauspiel. 


VI. 

San  Franzisco,  27.  Januar  1852. 

Ich  bin  auf  einige  Tage  hierher  gekommen,  um  ein  Pri- 
vilegium  und  „ Caveat"  (Patent)  fur  die  erste  Goldwasch- 
maschine  zu  erlangen,  die  ich  am  Flusse  Juba  aufgestellt 
habe.    Morgen  kehre  ich  abermals  nach  der  Murderer's  Bar 


Schreiben  eines  Rilsseti  ans  Californieii*  g37 

zuriick  und  beginne  dann  ohne  Verzug  die  Arbeit  Es  isl 
mir  schwer  geworden,  auf  die  Beine  2u  kommeny  da  ich  mick 
in  meinen  Hoffnungen  auf  Sutter  gelauscht  fand,  aber  seitdem 
idi  die  Verbindung  mit  dem  Spanier  eingegangen,  stehen  die 
Sachen  besser,  und  es  fehlt  jetzl  nicht  an  Milteln  zur  Betrei* 
bung  des  Geschafts.  Mil  einem  Wort,  es  geht  mir  nunm^r 
gut.  Die  Atmosphare,  in  der  ich  mich  bewege,  scheint  mich 
von  neuem  zu  beleben.  Die  Arbeit  ist  hier  geadelt  und  wird 
nach  Gebiihr  belohnt.  Und  was  ist  dies  auch  far  ein  Land! 
Jeder  kann  hier  thun,  was  ihm  gutdtinkt,  so  lange  er  nicht 
die  Bedingungen  des  gesellschaftlichen  Lebens  verletzt.  Die 
Amerikaner  haben  Californien  mit  seinem  Golde,  seinen  fabel- 
haft  fruchlbaren  Gefilden  entdeckt  und  in  sein  Wappen  das 
Wort:  EvQfiwx  mil  iemMoiko:  Labor  omnia  vincit  gesetzt; 
aber  obwohl  dieser  Wahlspruch  gut  ist,  so  ist  der  Umstand 
noch  besser,  dafs  ein  Jeder  ihre  Entdeckung  beniitien  darf. 
Und  wie  vieie  Poesie  liegt  in  ihrer  Anhanglichkeit  an  das 
Positive!  Uebrigens  muls  man,  der  Wahrheit  zu  Ehren,  ge- 
stehen,  dafs  nach  den  Amerikanern  die  franzSsisehen  Colonisten 
die  tiichtigsten  Geschaftsleule  abgeben*).  Die  Vereinigung 
dieser  beiden  Elemente  hat  Wunder  zu  Stande  gebracht  und 
wird  noch  Wunder  schaffen,  namlich  eine  Colonisation,  deren- 
gleichen  nirgend  und  niemals  dagewesen  ist  Welcher 
Schwarm  von  Menschen  ergiefst  sich  in  dieses  Land!  Im 
Laufe  eines  Monats  treffen  schs  bis  acht  Dampfbote  hier  ein, 
welche  alle  mit  Passagieren  voUgepfropft  sind  und  von  denen 
einige  1200  Menschen  fassen  konnen.  Auf  ihrer  Riickreise 
nehmen  diese  Schiffe  allmonatlich  vier  bis  fiinf  Millionen  Dol- 
lars in  Gold  als  Fracht  mit,  wozu  noch  gegen  zwei  Millionen 
kommen,  welche  Privateigenthhm  derReisenden  sind  und  von 
die&en  in  ihren  Gurleln  forlgelragen  werden.     Diese  Summe, 


*)  Diese  Bemerkung  steht  mit  einem  friiheren  Aasspracb  des  Verfassers 
in  diametralem  Widerspruch.  Oder  sollten  hier  vielleicht  die  fran- 
zbsiscben  Creolen  aus  Neo -Orleans,  St.  Loais  und  Canada  gemeint 
sein?  D.  Uebers 

Brmans  Buss.  Arcbiv.  Bd.  XI.  H.  4.  42 


538  Historisch-lingiiistitobe  Wisiemohaften. 

mit  zwolf  mulliplicirt,  tibersteigt  den  Jahreserirag  (ui»erer) 
(russiseben)  IVlinen  um  das  Vierfache,  und  weiui  Australi^i 
jetot  nur  die  Halfte  dteser  Ausbeute  liefern  soUle,  so  wird 
sich  eiae  gans  ansehnliche  Ziffer  berausstellen.  Indessen  ha- 
beii  die  StaaUekonomen  Unrecht,  sich  dariiber  su  beunrtthi- 
gen;  es  wird  noch  lange  dauern,  ehe  mau  GasseroUen  und 
Teller  von  Gold  machen  wird,  und  der  reichliche  ZuQufe 
des  kosdiaren  Metalls   dient  nu^  auir  Erfrischung  der  Volker. 


VII. 

Murderer's  Bar,  Fluss  Joba,  23.  Febr.  1B52. 

Califomien  ist  ganz  entscbiedcn  ein  Land ,  mil  dem  sich 
kmn  anderes  vergleichen  iStsi.  Der  Arme  isi  bier  reicb,  der 
Reiche  arm.  In  mancben  Landem  biilel  der  BesililoM  um 
Almosen,  oder  arbeitet  fur  ein  Stuck  Brod,  wafarend  er  bier 
fiir  das  geringsle  Tageweric  fiinf  spanische  Thaler,  d.  i.  fiinf- 
undzwanzig  Papierrabel  erhalt.  Ueber  welche  Mittel  muss 
demnach  der  Reiche  verfugen,  um  seine  GeschSfte  ununter- 
brochen  fiihren  zu  kSnnen?  Das  brennende  Verlangen,  schneU 
reich  zu  werden,  ratibt  Vielen  den  Verstand.  Leute,  die  mit 
bedeutenden  Capitalien  hierher  kamen,  verheren  oft  AUes; 
sicheren  Gewinn  konnen  nur  diejemgen  hoffen,  die,  wean  auch 
mit  geringen  MHteIn,  ihre  Angelegenbeiten  umsichtig  betrei- 
ben;  Ich  rede  nicht  von  der  Goldsucherei,  da  von  spater.  Man 
kann  hier,  als  Consument,  fiir  40  Piaster  den  Mpnat  anstan- 
dig  leben,  wfihrend  man  als  Producent  leicht  200  bis  300 
Piaster  raonatlich  erwerben  kaiin«  Es  ist  nichts  weiler  dazu 
ndihig.  als  sich  zur  Arbeit  zu  entsehlielsen  und  eine  Beschaf- 
tigung  zu  wSblen.  Der  Amerikaner  weifs  sich  bald  einzu- 
richten:  einige  Pfahle,  ein  Stuck  Segeltuch  als  Zelt,  ein  Wa- 
gon, zwei  Maulthiere  —  und  die  Wirthschaft  ist  fertig.  Sobald 
er  hiermit  in  Ordnung  ist,  legt  er  sich  auf  die  Erzeugung  von 
Lebensmitteln:  ein  Huhn  ist  fiir  ihn  ein  Capital  von  4  bis  5 
Piastern,  ein  Schwein  50  bis  80,  ein  Schaf  16,  hundert  Pfund 


Schrelb«n  ^ines  Ritssen  aU8  Californien.  539 

Karloffeln  3  bis  5  Piaster.  Wenn  man  die  Fruchlbarkeit  ded 
hiesigen  Bodens  und  den  sicheren,  lucraliven  Absatft  bei  dem 
ungeheiiren  Strom  von  Einwanderern  in  Erwagung  zieht,  so 
wird  man  leicht  den  Erfolg  begreifen,  der  sich  dem  Unterneh* 
mongsgeiste  eines  iVlannes,  der  nieht  mil  leeren  Hiinden  an- 
kommt,  darbietet.  Geld  macht  Geld  (denga  dengu  bjot), 
sagt  unser  Sprichvvort.  Und  in  der  That,  ohneGfeld  \vird  es 
Einem  auch  hier  schlecht  ergehen.  Ich  wiirde  es  Niemanden 
rathen,  mil  leerem  Beutel  nach  Californien  zu  kommen;  es  ist 
nicht  niehr  die  friihere  Zeil.  Das  amerikanische  Go  ahead! 
lalst  sich  nur  mit  Geld  verfolgen.  Uebrigens,  was  man  hier 
auch  anfangty  Alles  triigt  Geld  ein.  Ein  Jude  brachte  vor 
einem  Jahre  10000  Rubel  Silber  mit  und  hat  sich  seitdem  ein 
VeriDogen  von  einer  halben  Million  erworben,  indem  er  sich 
nur  mit  dem  Einkauf  und  der  Uebersendung  von  Gold  nach 
Europa  bescllaftigte,  wofiir  er  Tratten  auf  Londoner  und  Pa- 
riser  Banqaierhauser  ausstellte.  Es  ist  unglaublich,  aber  wahr! 
Er  kehrt  jetzt  nach  seiner  Heimalh  zur&ck.  —  Wenn  irgend 
einer  von  meinen  Landsleoten,  nicht  gerade  ein  grofser  Capi- 
talist, sondern  nur  ein  IVlann  mit  einigem  Verm5gen,  zu  mir 
nach  Californien  kSmcy  so  wurde  ich  ihm  schnell  und  sicher 
den  Weg  zu  vortheilhaften  Unternehmungen  zeigen  k5nnen. 
Man  wird  vielleicht  antworten:  Alles  was  ich  sage,  set  nichto 
Neues;  dergleichen  sei  iiberall  zu  haben.  Das  ist  wahr,  aber 
nicht  in  so  ungeheurem-  Mafsstabe.  Hier  sind  fiinf  Procent 
monatlich  gesetzliche,  ehrliche  Zinsen,  welche  Niemandem 
zum  Vorwurf  gemacht  werden.  Ueber  den  Fluss  Juba,  vor 
meihem  Feqster,  wurde  eine  BrUcke  gebaut.  Der  Untefneh- 
mer  liorgte  dazu  10000  Piaster  zu  neun  Procent  monatlich, 
d«  h.  108  Procent  das  Jahr.  Nachdem  die  Briicke  fertig  war, 
legte  er  eine  solche  Taxe  auf  die  Ueberfahrt  und  den  Ueber-> 
gang,  dafs  er  in  vier  Monaten  das  ganze  ausgegebene  Capital 
mit  den  Zinsen  wieder  zuruckzahlen  konnte.  Am  Eingang  der 
Briidce  errichtete  er  ein  Hauschen,  in  welchem  seine  Frau 
den  Zoll  von  den  Reisenden  einnahm,  und  wurde  so  schnell 
zum  Capitaliiten.    Mitunter  schlagen  auch  solche  Speculatio-* 

42* 


g^  Hittori8€b-lingiii8tiscb«  WiMenschaftea* 

nen  fehL    i,Thut  nichts'\  sagt  dann  der  Amerikaner  und  be- 
ginnt  etwas  Neues. 

Nun  eintge  Worte  iiber  das  Gold.  Aus  Californien  werden, 
nach  den  zuverlaasigaten   Angaben,  jahrlich  8O0O  Pud   Gold 
auagefiihrty  also  mehr  als  viermal  so  viel  wie  in  Russland  zu 
Tage  gieforderi  wird.     So  grofs  ist  der  Erfolg  der  hiesigen 
Nachgrabungen,  Irotzdem  dab  die  Arbeilen  sich  noch  im  Zu- 
slande  derKindbeit  beGnden,  indem  man  den  gqldhaltigen  Bo- 
den  ohne  Ordnung  oder  System  in  alien  Ricbtungen  aufwuhlh 
Gehorig  angelegie,  nach  unsrer  Weise  gefuhrU  Arbeilen  konn- 
ten,  selbst  bei  geringem  Capital,  die  erstaunenswerthesten  Re- 
BuUate  geben;  denn  wo  man  sich  nur  hinwendet,  iiberall  isi 
Gold  zu  finden,  und  zuweilen  in  unglaublichen  Massen.     Wie 
schon  erwahnt,  war  ich  selbst  Augenzeuge  davon,  da£s  man 
aus  einem  einzigen  Pud  Erde  einen  Goldwerth  von  80  bis  100 
Dollars,  oder  400  bis  500  Papierrubel  auswusch.    Es  ist  nichts 
leichter,  als  Land  zu  finden,  welches  50  Kopeken  Assignation 
nen  auf  das  Pud  giebt;  die  Hauptschwierigkeit  besteht  darin, 
die  Sache  in  gehorigen  Gang  zu  bringen.    Mir  wird  es,  trolz 
meiner  Sachkenntniss  und  trolzdem,  dafs  mir  die  Landesspra- 
chen  und  das  Land  selbst  bekannt  sind,  au&erst  schwer  fort- 
zukommen,  weil  ich  ohne  Capital  hierher  kam.    Ohne  Zwei- 
fel  werd'  ich  mich  durchschlagen ,  aber  es  kostet  grolse  An- 
strengungen.   —    Die  Quarze  sind  hier  ebenfalls  erstaunlich 
reich;  man  findet  mit  leichler  Miihe  Arten,  welche  bis  sechs 
Cents  vom  Pfunde  geben!     Die  mexicanischen  Quarze,  die 
bisher  fiir  die  reichsten  galten,  konnen  sioh  koines  solchen  Er- 
trages  ruhmen.    Allein  bei  dem  Mangel  an  Handen  und  bei 
der   UnvoUkommenheit    der   Arbeitsmethode    ist    auch  diese 
Reichhaltigkeit  der  Quarze  nicht  geniigeod;  nur  im  grofsen 
Malsstab  unternommene  Arbeiten  konnen  Gewinn  bringen. 

Ich  schliefse  mein  Schreiben  mit  einem  fliichtigen  Blick 
auf  die  politische  Lage  des  Landes.  Es  ist  eine  hoehst  merk- 
wurdige.  Wen  findet  man  hier  niehl?  Exaltirte  Demagogen, 
rothe  Republikaner  sind  hier  so^  ruhig  wie  die  Lammer.  Man 
bemerkt  sie  nichl;  Niemand  sieht  sie  an  und  sie  beunruhigen 


Schreiben  eines  Russen  aos  Californien.  641 

Niemanden.  Wird  man  glauben,  dafs  hier  nichl  Viele  wissen, 
wer  eigenllich  das  Land  regierl?  JedeF,  der,  Gott  weirs, 
w6her,  kommt,  gehl  an  seine  Geschafte,  fiihrl  sie,  so  gul  er 
es  kann,  und  so  lange  er  nicht  die  Bedingungen  des  ameri- 
kanischen  Gemeinwesens  verletzt,  hSrt  er  uberall  ein  freund- 
liches  Willkommen.  In  diesem  Leben  liegt  viel  Interessantes. 
Das  Gold  hat  Manche  mit  Californien  bekannt  gemacht,  aber 
in  Russland  kcnnt  man  es  noch  wenig,  und  ich  glaube  daher, 
dafs  diese  Nachrichlen  aus  directer  Quelle  mil  Theilnahme 
gelesen  werden  diirften. 

A.  Rottschew. 


Die  Halbinsel  Mangyscbiak. 

Nacb  dem  Rnssischen 
yon 

Herrn  I.  M.  Iwanow*). 

(Mit  einer  Karte.) 


llie  von  den  nomadischen  Kirgisen  und  Turkmenen  bewohnle 
Halbinsel  Mangyschlak,  geh5rt  zur  Nordlichen  Halfte  der  Ost- 
kiiste  des  Kaspischen  Meeres.  Ihre  Begranzung  ist,  wie  ge- 
w5hnlich  die  der  NomadenlSnder,  unbestimmt,  man  kann  in- 
dessen  dafiir  etwa  annehmen :  nach  dem  Parallelkreis  von  dem 
Mertwoi  Kultuk  (oder  der  Todten  Buchl)  bis  turn  Karagani- 
schen  Meerbusen  und  gegen  Siiden  bis  zu  dem  Meerbusen 
Alexander  Bai,  d.  h. 

von  47«62'  bis  bV2ff  0.  v.  Par. 
und  von  43«  6'  bis  45' 18'  Nordl.  Br. 
Beauftragt  sich  in  Dienstangelegenheiten  nach  Orenburg 
und  von  da  nach  den  neu  angelegten  Festungswerken  von 
Nowo-Petrowsk,  auf  der  Halbinsel  Mangyschlak  zu  begeben, 
verliefs  der  Verfasser  Petersburg  am  27.  Mai  1846  *),  Schlechte 
Wege  und  sturmisches  Welter  verursachten  unterwegs  eini- 
gen  Aurenthalt.  Bei  Murom  war  die  Oka  2  Werst  breit.  Herr 
Iwanow  bemerkt,  dafs  die  ehemals  beriihmte  Muromer  Wal- 


')  Sa|i]«ki  RaMkago  Geographitscbeskago  obschtschestwa  Tom  I.  na  1849. 
**)  Diese  und  die  folgenden  Daten  sind  in  neuen  Styl  umgetetst. 


Die  HaUiiiuel  Mangyscblak.  £43 

dungy  die  bei  der  nacfasten  Station  beginnt,  zwar  immer  noch 
70  Werst  lang  ist,  aber  selbsl  an  der  Strafse  nur  von  gerin* 
ger  Dichtigkeit  und  weiter  im  Innern  so  gelichiet,  dafs  man 
das  Rusaische  Spriichwort  ,,je  weiter  in  den  Wald,  desto  we- 
niger  Holz'*  (daljsche  w*  Ijes^  menjsche  drow),  auf  sie  an- 
Mrende*  Es  wurde  daher  dieser  Wald  sehr  bald  und  noch  ehe 
ihn  eine  Eisenbahn  erreicht,  von  der  Erde  verschwinden  und 
als  Andenken  an  seine  Existenz  nur  noch  die  ErwMhnung  in 
den  Volkssagen  und  den  Pflugsand,  auf  dem  er  gewachsen 
ist,  hinterlasseti.  Bei  Pransino  iin  Nijnei  Nowgoroder  Gou* 
vernemeni,  fand  man  die  <Sura  ebenfalis  2  Werst  breit  und 
die  Einwohner  benutzten  ^diesen  Auslrill  des  Flusses,  um  das 
Gekraide,  welches  den  Winter  iiber  aufgekauft  und  nach  ihrem 
Dorfe  gefahren  worden  war,  auf  die  Wolga  zu  befordern. 
Die  Wolga  selbst  war  bei  Samara  8  Werst  breit.  Bei  der 
Fabrstelle  bemerkte  man  den  seltenen  Fischreichthum  jener 
Gegend,  denn  die  Landungsbriicke  war  mitHaufen  von  Ster^ 
Ijaden  bedeckt,  wahrend  dieFahrleute  bereits  aus  andern  die 
vortrefilichen  Suppen  xu  ihrem  Abendbrol  kochten. 

In  Orenburg  yerweille  Herr  h  zwei  Wochen  lang  und 
begarai  am  28.  Juni  die  Reise  iiber  Gurjew  langs  der  soge^ 
nannten  Uralischen  Linie  nach  dem  Festungswerke  Nowo- 
Petrowsk. 

Unterhalb  der  Stadt  Uralsk  verandert  sich  die  LandschafI 
sehr  merklich ,  indem  unabsehbare ,  waldlose  und  ausgedorrte 
Ebenen  an  die  Stelle  der  Berge  und  steilen  Schluchten  treien. 
Nur  wo  der  Ural  bei  hohem  Wasserstand  den  Boden  befruch* 
tety  siehen  hohe  Graser,  Baume  und  Straucher  —  aber  aus- 
serhalb  dieser  Granze  fehlt  jeder  Rasen  und  in  einiger  Enl- 
fernung  von  dem  Fiusse  wird  sogar  das  silberweifse  Pfriemgras 
(kowyl),  welches  der  Orenburger  Gegend  eigenthiimlich  ist, 
durch  Wermuth  verdrangt,  bis  dafs  weiter  abwarts  gegen  die 
Mundung  des  Ural  auch  dieser  fehlt,  und  ein  nackter  durch 
Hitze  und  Trockenheit  gespaltener  Thonboden  iibrig  bleibt. 
Auf  dem  eigentlichen  Delta  des  Ural  treten  unabsehbare  Mas- 
sen  eines  dicbt  stehenden  hohen  Schilfes  an  die  Stelle  der 


644  Hittoriich«*liiifiiifti8Ghe  Wiiseiischafteii* 

Wiesenkrauter.     Dlese  Vegetalion  isi  meht  ohne  Nutsen    fur 
die  Bewohner  der  Umgegendy   denn    sie   verfefUgen    daraus 
Umsaunungen  und  verwenden  sie  zurHeiiung  ibrer  Wohnun- 
gen  und  zum  Brennen  von  Ziegeln,  Gyps,  Kalk  u.  dergl. 

In  seinem  unteren  Laufe  war  der  Ural  noeh  uberall  aus- 
geireten,  auch  oius&te  man  von  Gurjew  aus,  90  Werst  su 
Wasser  fahren. 

An  der  unteren  Uralischen  Linie  besiehen  die  Wafanun- 
gen  aus  Flechtwerk,  welches  mit  Thon  bestrichen  ist.      Sie 
haben  platte  Dacher,  sind  ausserst  klein  und  armlieh  und  fasi 
voUstandig  ohne  Gerath;  weil  die  Uralisehen  Kosaken  bald  lo 
der  Steppe  bald  auf  dem  Wasser  leben  und  daher  ibre  Hau* 
ser  nur  ausnahmsweise  besuchen.   Weiden  giebt  es  gar  iiichf 
und  Acker-  oder  Gartenbau  haben  kaum  an  einzelnen  Stellen 
begonnen!     Einige   wild   waefasende  Krihiler   gedeihen  doch 
vortrefflich  in  dem  Flussihale,  so  z.  B.  die  Luzerne  die  dorf 
Wesel  oder  Ki^ljalka  genannl  wird  und   welcbe  an  Slellen, 
wo  sie  zufallig  einigen  Thon  oder  Diinger  gefunden  hat,  bis 
3%  Fufs  hoch  wii-d.    Gegen  Ende  Juni's  wurden  einige  kleine 
Landsiiicke  zu  sogenanntea  spaten  Kraotgorten  oder  Bakischy 
eingerichtet  und  man  hoffte,   dafs  das  Gemuse  in  denaelben 
noch  reifen  wurde.    Die  in  der  dorligen  Gegend  s^  beriihm- 
(en  Garten   und  Weinberge  des  Kosaken  Tolstoi  zu  &rai- 
tschikowo,  batten  von  der  Ueberschwemmung   viel   gefitten. 
Die  Garten  und  Gemiisefelder    werden   iibrigens  bier  dureh 
Pumpen  bewassert,  von  denen  meist  vier  verbunden  und  mit 
Aermen ,   die  auf  einer  gemeinsamen  Welle  sitzen,  in  Bewe- 
gung  gesetzt  werden.    Ueber  der  Welle  steht  ein  Menseh  der 
durch  sein  Gewicht  auf  jene  Aenne  und  denmaehst  auch  auf 
die  Pumpen  wirkt.     Nur  in   den  Anlagen  von  Tolstof  war 
ein  sogenannter  Tschigir^  d.  h.  eine  voUkommenere  Asiatische 
Bewasserungsmaschine.     Der   Austritt   des  Ural    dauert  von 
EndeMai  bisEnde  Juli  undes  ist  somit  zu  hoGfen,  dafs,  wean 
einst  die  Bevolkerung  und  die  Bediirfhisse  in  jenen  Gegen* 
den  zunehmen  soil  ten ,  das  Ural -Delta  eben  so  angebaut  und 
fruchtbar  werden  wird,  wie  die  Chiwaer  Oase  an  der  MiiD* 


Die  Halbintel  MangyBchlak.  645 

dung  des  Atnii-Darja.  Es  wird  aber  dariiber  noch  viel  Zeil 
vergehen,  dean  der  Anwohner  des  Ural  ist  dutch  eigenlhiiin- 
liche  Verhalinisse  ein  Fischer  und  Reiter  geworden,  der  fiir 
das  Aieer  uad  die  Steppe  passt,  aber  keineswegs  zum  Ackerbau. 

Zu  Enjle  des  X VL  Jahrhunderls  zogen  600  bis  700  Wolga- 
Kosaken  nach  dem  Ural,  bauten  Uralsk  und  wurden  der  Kern 
des  jetzigen  Granz^Heeres.  Die  Umgegend  der  Wolga  blieb 
damals  noch  lange  nicbt  frei  von  Angriffen,  und  dennoch  wurde 
die  Landesgranze  durch  diese  kohnen  Abenteurer  sehon  In 
eine  Gegend  hinausgeriickt,  wo  sie  von  fetndlichen  Stammen 
umgeben  und  ohne  den  fruchtbaren  Boden  blieben,  auf  dem 
die  Klein -Russischen  Kosaken  Ackerbau  und  Handel  zu  trei- 
ben  gewohni  waren.  So  fanden  sie  ihren  Unterhalt  nur  in 
Fischfang  und  Viehzucht  und  unter  dieser  vorziiglich  in  der 
Pferdesucht  Unler  forlwahrenden  Kampfen  mit  ihren  Fein- 
den  in  der  Steppe,  von  denen  sie  bei  der  geringsten  Un- 
vorsicht  in  die  Gefangenschaft  entfiihrt  und  grausam  behandelt 
wurdeo,  und  unter  harten  Enlbehrungen  haben  die  Uralischen 
Kosaken  noch  jetztganz  eigenthumliche  Fahigkeilen  bewahrt 
und  namentlich  die  Kenntniss^  der  Steppe,  und  an  der  unte- 
ren  Linie  die  des  Meeres  und  Fiscfafanges,  sodann  einenCha* 
rakterin  dem  Verschlagenheit,  Wachsamkeil,  Erfindungsgabe, 
Abhartung,  Geduld,  Mafiugkeit,  Geborsam  und  Religiositat  her- 
vorleuchten.  Im  Winter,  wenn  das  Meer  vor  der  Uralmiin- 
dung  zufriert,  fahren  sie  zu  Schlitten  50  bis  100  Worst  von 
Gurjew,  und  wenn  die  Dicke  des  Eises  es  eriaubt,  auch  noch 
weiter,  auf  den  Fischfang.  Die  Lebensmittel  fiir  sich  und  fiir 
die  Pferde  fuhren  sie  mit  sich,  werden  aber  nicht  selten,  wenn 
das  Eis  durch  Stiirme  gespalten  wird^  auf  den  losgerissenen 
Schollen  ins  offene  Meer  gefiihrt.  Wenn  ihm  dann  das  Pferde* 
futter  ausgeht,  pflegt  der  Kosak  das  Pferd  zu  todten,  seinen 
Schlitten  mit  derHaut  desselben  zu  uberziehen  und  dann  ge* 
duldig  zu  erwarten,  bis  der  Wind  sich  dreht  und  ihn  an  das 
heimische  Ufer  zuriicktreibt.  Nur  wenige  von  ihnen  siod  im 
Meere  umgekomroen. 

Die  Kampfe  mit  den  Nachbaren,  nnd  die  Reisen  durch 


646  HiitoriMch-tinfaiiliBche  WiMestehaftea. 

die  Steppe  und  auf  den  Fischfang,  sind  der  Zunahme  dieaer 
BevSlkerung  durch  Geburlen  keinesweges  giinsftig  gewesea. 
Die  wirklich  eingetretene  Vermehning  derselben  riihrt   daher 
Bur  von  ZuKiigen  aus  Rusdland,  die  namentKcb  aus  verfolglen 
Altglaubigen  (starowjeny)  beatanden  und  wahrschoinlich  aucb 
von  Strjelisen  und  dortigen  (Jrbewohnern.    In  FoJge  dieser 
Entstehung  sind  sie  denn  auch  von  den  jetngen  Bewohnern 
der  innern  Provinzen  merkiieh  unlerschieden,  und  es  erscheinen 
ihre  Spracbe  und  Sitten  wie  AU*Russisehe  mit  Tatarischen 
Beimengungen.     So  giebt  es  noch  viele  Uraiier  die  ein   auf 
Russische  Weise  gesehlachtetes  Thier  nicht  essen,  and  weder 
Kamel-Miich  noch  Kumy«  trinken. 

Sie  hielten  sich  lange  unabbangig,  indem  sie  ihre  Ange- 
legenheiten  nach  eigenen  Gesetzen  von  einem  selbst  gewahl- 
ten  Vorstande  verwalten  liefsen,  und  so  bliebeii  sie  aueh  un- 
beriihrt  von  den  cultivirenden  Emfliisseny  welche  die  iibrigen 
Russen  zur  Zeit  Peter  I.  erfuhren.  Erst  jetzi  steht  ihnen 
eine  Veranderung  bevor,  indem  seit  einigen  Jahren  zum  er- 
stenmal  eine  Knabenschule  in  Urakk  erricbtel  worden  ist* 

Ihren  Fisdifang  belreiben  die  Uraiier  gemeinsain,  und  er 
isl  ihnen  so  wichtig,  dab  sie  keine  HandelsschiSfahrt  auf  dem 
Ural  gestatten,  damit  die  Fische  nicht  geseheiK^t  werden. 
Der  Landtransport  ist  nur  zu  gewissen  Zeiten,  wenn  der 
stellenweise  thonige  Boden  aufweicht,  sehr  beschwerlich  und 
es  werden  dann  Brod  und  alle  sonstigen  Lebensmittel  sehr 
selten  und  theuer  langs  der  unteren  Uralischen  ^Liaie.  Erst 
nach  Guriew  gelangen  sie  zur  See  von  Astrachan. 

iSaraitschik  das  ehemals  wohl  eine  zweite  Hauptstadt  der 
Chane  der  goldnen  Orde  ausmachte  und  welches  nach  der 
ZerstSrung  dieses  Reiches  und  der  Einnahme  von  Astrachan 
durch  die  Russen,  zum  Siiz  des  bis  vor  kurzem  noch  belracht- 
lichen,  jetzt  aber  gleichfalls  untergegangenen  Handds  der  No- 
gaien  wurde,  besitzt  jetzt  nur  noch  Tnimmer  ah  Andenken 
an  seinen  besseren  Zustand.  Man  sieht  dort  naoientlich  Ma- 
homedanische  Graber  und  die  ErdwaUe  der  ehemaligen  Stadt, 
und  findet  Scherben  von  ailerlei  farbigen  Getafsen,  Bruchstucke 


Die  Halbinsel  Mangy«chlak«  547 

voB  gebrannten  and  ungebrannten  Ziegeln,  verbrannte  Metalle 
und  Miinzen  mit  Tatarischem  Geprage.  Der  Ueberlieferung 
au  Folge  lag  Saraitschik  ehemals  hart  am  Meere  und  es  be- 
steht  der  dortige  Boden  in  der  That  aus  einer,  an  der  Kuste 
selbst  gegen  7  ZoU  dicken  Schicht  des  Tbones,  den  der  Ural 
bei  seinen  jahrlichen  Anschwemmungen  absetzt  und  welcher 
auf  Sand  ruht 

In  Gurjew  erfubr  der  Verfasser  dafs  das  Postschiff,  wel- 
ches die  Verbindung  dieser  Stadt  mit  Nowo^Petrowsk  unter- 
halten  sollte,  noch  nicht  angekommen,  der  Landweg  nach 
Astrachan  aber  durch  den  Austriti  des  Ural  und  der  Wolga 
ganz  unfahrbar  geworden  war.  Gurjewer  Kosaken,  die  von 
Astrachan  kameo,  scbilderten  die  Stromung  der  Wolga  in  ihrer 
Miindung  als  ausserordentlich  reissend/und  erzahlten  dafs  im 
Meere  vor  dieser  Miindung  und  zwischen  ihr  und  der  des 
Ural 9  ein  30  Werst  breiter  Streifen  von  vollslandig  sufsem 
Wasser  stande.  Spater,  am  20.  Juli,  erfuhr  dann  auch  Herr 
Iwanow  von  den  Fischern  die  er  auf  der  Insel  Kulala  traf, 
dafs  selbst  bei  dieseri  d.  h.  200  Werst  von  Astrachan  .und  30 
Werst  von  dem  Karaginer  Meerbusen,  ein  Zutritt  von  Fluas* 
wasser  durch  Abnahme  des  Salzgehaltes  im  Meere  merklich 
gewesen  sei. 

Das  Fort  Nowo-Petrowsk  auf  der  Halbinsel  Mangyschlak, 
steht  wahrend  des  Sommers,  sowohl  mit  Astrachan  als  mit 
Gurjew  durch  den  Seeweg  in  Verbindung.  Wahrend  4  bis  5 
Wintermonaten  hSrt  aber  diese  auf  und  es  trilt  an  ihreSlelle 
nur  die  Reise  durch  die  Steppen  langs  der  NO.-Kiiste  des 
Kaspischen  Meeres,  die  zwischen  750  und  800  Werst  bis  Gur* 
jew  betragt  und  ausserdem  sowohl  beschwerlich  ist,  als  auch 
ziemlich  unsicher,  weil  sie  durch  die  Weideplatze  von  Kirgi- 
senstammen  fuhrti  die  den  Russen  noch  nicht  „gehorsam  und 
ergeben**y  d.  h.  noch  nicht  unterjocht  sind.  Der  Seeweg  be- 
tragt von  Nowo-Petrowsk  nach  Gurjew  und  naoh  Astrachan 
nicht  ganz  300  Werst  und  schien  deshalb  dem  Verf.  zu  einer 
Taubenpost  geeignet.  Als  das  Postschiff  in  Gurjew  ankam, 
iiefs  er  daher  moglichst  viele  Tauben  und  vorzuglich  gepaarte 


648  Historisch-liiigaistische  Wissenschaften. 

Mannchen  derselben  einfangeti.     Er  erhielt  indessen  nur  acht 
und  untei*  diesen  eine  nrit  beschadigtem  Flugel.     Diese  ^ur- 
den  darauf  wabrend  der  Seefahrt  in  einem  durcbsichtig   ge- 
flochtenen  und  mit  einem  Fischnets  bedeckten  Bauer  an  einer 
erhShten  Stelle  desVerdeckes  gestellt,  damit  sie  den  zu  ^vah- 
lenden  Ruckweg  keniien  lernten.     Am  14.  Juli  fuht*  Herr  I. 
bei  schwachem  aber  giinstigem  Winde  mit  einem  flachen  Boot 
aus  der  Uralmiindung  nach  dem  Postschiff,  welches 'nur   4 
Fufs   tief  ging  und  daher   bei   der   sogenannten  Strjelezkaja 
K6«a  (Strelizer  Sandbank)  100  Sajen  von  der  nachsten  Kiiste 
und  15  Werst  von  Gurjew  vor  Anker  lag.    Gleich  nachdem 
sie  unter  Segel  gekonunen  waren,  wurde  eine  der  Tauben, 
der  man  einen  an  den  Stadthanptmann  von  Gurjew  ad^ressir- 
ten  Zettel  um  den  Hals   gebunden   hatte>  freigelassen.     Sie 
riehtete  ihren  Flug  direkt  nach  Gurjew.     Am  Morgen  des  fol- 
genden  Tages  als  man  etwa  50  Worst  von  der  Kuste  entferni 
war^  wurden  zwei  andere  in  Freiheit  gesetzl.    Sie  umkreisten 
das  Schiff  einigemaie  ais  ob  sie  sich  umsehen   woUten  und 
nahmen  dann  gleichfalls  die  Ricfatung  nach  ihren  Bestimmungs- 
ort;    Drei  von  den  iibrigen  wurden  an  einem  80  Werst  von 
der  Kiiste  entfernten  Punkte  losgelassen  und  man  sah  bald 
darauf  eine  von  ihnen,  deren  Flugel  beschadigt  waren,  ins  Meer 
fallen.   Die  beiden  andem  flogen  wieder  in  der  Richtung  nach 
Gurjew,  bis  man  sie  aus  den  Augen  verlbr,  kehrten  aber  nach 
einer  Viertelstunde  nach  dem  Schiffe  zuriick  und  setzten  sich 
zuerst  auf  den  Mast  und  dann  auf  das  Verdeck.     Eine  halbe 
Minute  darauf  zeigte  sich  eine  Weihe(kor8chun;  Faico  milvus), 
die  sie  verfolgte.     Gegen  Abend  erhob  sich  ein  starker  Sud- 
wind  der  aber  nach  zwei  Stunden  in  einen  NW.-Wind  uber- 
ging.    Dieser  hielt  15  Stunden  lang  an  und  veranlasste  das 
Schiff  vor  Anker  zu  legen.     Am  16.  Juli  ging  man  mit  gon* 
stigem  Winde  wieder  unter  Segel,  legte  mit  demselben  noch 
etwa  20  Werst  zuriick  und  liefs  dann  sowohl  die  letzten  zwei 
Tauben  fliegen,  als  aueh  das  am  vorigen  Tage  zuriickgekehrte 
Paar,  welches  mit  Gewalt  von  dem  Schiffe  getrieben  wurde. 
Von  diesen  nahm  nur  eine  die  Richtung  nach  Gurjew  und 


Die  Halblnsel  Mangyschlat.  g49 

kam  nicht  wieder.  Die  drei  ubrigen  kehrten  um  und  wolilen 
sich  spSier  durchaus  nicht  wicder  von  dem  Schiffe  verireiben 
lessen. 

Man  bemerkte  dafs  die  um  den  Hals  gebundenen  Zettel 
ihnen  missGelen^  und  dafs  sie  sich  diesdben  mil  den  SchnS- 
bein  abrissen.  Man  lieCs  sie  frei  auf  dem  Verdeck  wo  sie 
noch  einige  Tage  verblieben,  darauf  aber  sich  einem  Fluge 
wilder  Tauben  anschlossen  und  nicht  wiederkamen.  Man  hat 
nicht  erfahren  oh  eine  der  vier  richtig  fliegenden,  ifaren  Be- 
stimmungsorl  erreicht  hat,  auch  glaubt  Herr  L  dafs  man  sie 
dort  nicht  von  den  ubrigen  Tauben  unterschieden  haben  wiirde, 
weil  sie  die  ihnen  uhigebundenen  Zettel  ohne  Zweifel  schnell 
abgerissen  hatten  *). 

Am  17.  Juli  gegen  Mittag  stieg  der  Loolse  auf  den  Mast 
und  sah  von  dort  die  Kiiste  von  Mangyschlak.  ,Er  erkannte 
namentlich  die  hier  sogenannten  Lbischtsche  (die  grofse  Stirn) 
d.  i.  das  Karaganer  Vorgebirge.  Es  ist  dieses  ein  gegen  60 
Sajen  hoher  Bergsug  auf  der  Halbinseli  der  aus  einer  Enlfer* 
nung  von  50  Werst  sichtbar  ist  und  den  von  Astrachan  kom- 
menden  Schiffern  als  Merkzeichen  dienl. 

Wahrend  man  sich  der  Kiiste  naherte  zeigte  sich  dieses 
Vorgebirge,  ostwiirts  weithin  verlangert,  bis  gegen  denMeer- 
busen  5arytasch,  bei  dem  es  in  Nebel  verschwamm,  und 
schien  gegen  Siiden  bis  nach  Nowo-Petrowsk  zu  reichen. 

Im  Westen  sah  man  stellenweise  die  lange  Insel  Kulala, 
in  deren  Nordhalfle  einige  vereinzelte  VVohnhauser  mit 
Scbauern  und  Sdioppen  zur  Aufbewahrung  des  Seehundsfett 
und  der  Gerathschaftcn  zum  Fischfang  slehen.  Das  Holz  und 
die  Ziegel  zu  diesen  Gebauden  und  sogar  der  Thon  zu  den 
Oefen  in  denselben  sind  zu  Schiffe  von  Astrachan  gebrachl 
worden.    Man  weiss  nichi  mehr,  wann  die  Russen  dieso  In- 


*)  Man  erfahrt  nicb^^  ob  die  gebrauchten  Taubin  in  Gurjew  in  Schla- 
gen  gehalten  worden  waren,  und  ob  man  demnach  wenigst^ns  Aus- 
sicht  batte  auf  einen  weniger  milsaigen  Versach  wie  d«r  nun  wirk- 
lich  gemacbte.  D.  ITeben. 


650  Historiscli-lingnistitclie  Wistenscliaften. 

sel  genommen  haben.    Sie  versichern  aber  dafs  bis  £ur  An- 
kunft  eines  Wachtschiffes  in  jener  Gegcnd,  mehr  als  200  Mann 
von  ihnen  auf  der  Insel  zu  ubenvintern   pflegten.     So  konn- 
ten  sie  sich  ohne  Furcht  vor  offenen  Angriffen  der  Kirgisen 
iind  Turkmenen,  im  Friibjahr  mit  dem  Fischfang  und  iai  Herbsl 
mit  dem  Robbenschiag  beschaftigen.   Durch  Ueberlistung  wur- 
den  aber  dennoch  viele  von  ihnen  ergriffen  und  in  Gefangen- 
schafl  gefiihrl.    Jene  Feinde  benulzten  die  den  Russen  eigen- 
thiimliche  Arglosigkeit  and  gaben  sich  das  Ansehn  von  Ihres- 
gleiehen,   indem  sie  zu  den  Fischerboten  heranfubren.     Sie 
batten   aber   dann    in    dem    Raume  ihrer   eignen  Fahrzeuge 
Starke  Mannschaften  versteckt,  welche  die  Unvorsichtigen  ohne 
Muhe  uberfielen.   Dieser  Menschenraub  war  erfolgreich  genug^ 
denn  unier  419  liefangnen  die  im  J.  1840  in  Chiwa  befreit 
wurden,  waren  317  auf  dem  Kaspischen  Meere  genommen 
worden. 

Die  Insel  Kulala  besteht  aus  zusammengeschwemmien 
Seesand  und  Muschelfragmenten,  die  stelienweise  mit  Gestrauch 
und  mit  einem  diinnen  Schilfrande  bewachsen  und  von  unge* 
heuren  Muckenschwarmen  bewobnt  sind.  Auf  eben  diesem 
Sande  war  aber  im  Jahre  1846  auch  Hafer  gewachsen  und 
reif  geworden,  den  man  beim  Transport  von  dem  Landungs- 
platz  nach  den  VorralhshSusern  verslreut  hatte. 

Als  das  Postschiff  auf  die  H5he  des  Tiumi-Karaganer 
Vorgebirge  gekommen  war^  nabm  es  einen  siidlichen  Kurs  an 
und  fuhr  langs  eines  hohen,  wilden  Ufers.  Von  demselben 
sab  man  eine  niedrige  Bank  gegen  Norden  vorragen,  die  den 
Karaganer  Meerbusen  theilweis  begrenzt.  Im  Hintergrunde 
desselben  lagen  die  im  Bau  begriffenen  Festungsanlagen  von 
Nowo-Petrowsk  auf  einem  Hiigel. 

Man  fuhr  nun  mit  frisebemNordwind  nach  diesen  Gebauden, 
an  Steinhaufen  und  zum  Theil  mit  Maulbeerbaumen  bewach- 
senen  Schluchten  welche  das  Karaganer  Ufer  bilden,  voriiber, 
bis  dafs  sich  endlich  der  ganze  Meerbusen  in  Gestalt  eines 
Halbkreises  zeigte,  mit  steilen  Felsklippen  an  seiner  Ostseite 
und  an  der  Siidlichen  einer  niedrigen  Sandebene,  welche  an 


Die  Halbinsel  Mangytchlak.  05} 

der  Weslseile  iiv  eine  ins  Meer  ragende  Bank  ubergeht.  Diese 
hat  noch  einen  besonderen  Aaslaufer  gegen  das  Innere  des 
Meerbusen,  den  die  Eingebornen  Ailjak  nennen,  und  welcher 
durchaus  nach  Art  einer  Mole  einen  vor  alien  Winden  ge- 
schiitzlen  Hafen  hinter  sich  abschliefst 

Als  er  ans  Land  gegangen  war,  sah  der  Verf.  den  gan- 
zen  Hafen  mit  ausgeschifften  Giitem  bedeckl.  Auf  der  Bank 
Ailjak  lagen  Waaren  von  einer  Karawane  und  nicht  weit  von 
denselben,  die  von  Astrachan  gebrachten  Russischen  Giiter. 
Man  hat  von  dieser  Stelle  bis  nach  den  Festungswerken  vier 
W^rst  eines  ausserst  sandigen  VVeges,  und  pflegte  daher  die 
ankommenden  Gegenslande  auf  Kabne  oder  eigens  dasu  ge- 
baute  Frame  umzuladen  und  an  das  Ostufer  der  Bai  zu  fiih- 
ren,  von  wekhen  sie  dann,  nach  abermaliger  Uttiladung,  auf 
einem  guten  und  um  eiue  Werst  kiirzeren  Wege  nach  der 
Festung  gebracht  wurden.  Ausser  dem  doppehen  Kraftauf- 
wand  bei  zweimaligem  Aus-  und  Einladen,  gebrauchte  man 
zu  diesem  Verfahren  auch  doppelte  Wachen.  Herr  Iwanow 
beschloss  daher  sogleich  an  der  Stelle  des  Ostufers,  bei  wel- 
cher der  gute  Weg  nach  der  Feslung  beginnt,  eine  Landungsr- 
briicke  auf  Pfahlen  zu  bauen,  und  auf  dieser  alle  Outer  gleich 
bei  der  Ankunft  ausladen  zu  lassen. 

Der  Weg  von  jener  Stelle  nach  Nowo-Petrowsk  fiihrt 
liber  einen  ebenen,  sandig-thonigen  Boden,  zur  Linken  dessel- 
ben  liiufl  parallel  mit  ihm,  ein  von  dem  Karaganer  Meerbusen 
ausgehender  felsiger  Bergzug  und  zur  Rechten  hat  man  eine 
sandige  Ebene^  auf  der  Salzseen  liegen.  Der  niichste  an  dem 
Hafen  heisst  Bulak  und  ein  anderer  der  Festung  nahe  liegen- 
der,  Kityk.  Beide  enlhalten  ein  rosig  gefarbtes  Wasser.  Das 
des  Bulak  ist  aber  dunkler  und  besilzt  einen  sehr  auffallenden 
Himbeergeruch  (!). 

In  Nowo-Petrowsk  fand  der  Verfasser  die  Feslungsmauer 
vollendet,  und  ebenso  ein  Hospital.  Die  holzernen  Kasernen, 
die  Hauser  fiir  die  Offiziere,  die  Blockhauser  vu  a.  waren  Iheils 
unter  Dach,  theils  bis  zu  den  Dachsparren  fertig.  Fiir  die 
steinernen  Gebaude  wurde  das  Material   eben   behauen  und 


652  HiBtori8ch*-liiigQi8tbclie  WiMCnBdiaften. 

iiberbaupl  war  die  ganse  Arbeit  durch  den  Eifer  des  Ingenieur 
Capt.  Hennerich  und  durch  den  Fleiss  der Mannschafi  aits* 
serordentKch  gefordert 

Herr  Iwanow  liefs  nun  den  Bau  einer  h&lzemen  Kirche, 
der  Kiiche,  einiger  abgesonderten  Thurme  u.  dergl.  anfangen, 
sorgte  dann  fiir  die  Verbesserung  des  Weges  auf  dem  das 
Holzy  die  Steine,  der  Thon,  das  Wasser  und  andere  Bau- 
maierialien.undBedurfnisse  von  demHafen  zu  bringen  waren, 
und  liefs  endlich  die  Landungsbriicke  an  der  Ostseiie  des 
Meerbusen  anlegen,  auf  der  dann  schon  in  jenem  Jahre  bis 
zum  Ende  der  Schifffahrt  alie  Ausladungen  vor  sich  gingen. 

Es  ware  nicht  schwierig  daselbst  eine  steinerne  Anfuhrl 
anzalegen  und  sie  mit  einer  Mole  zu  versehen,  wodurch  dann 
ausser  dem  Ausladen  an  derjenigen  Stelle,  von  welcher  ein, 
fttr  Ftthrwerke  geeigneter  Weg,  zur  Festung  fiihrt,  auch  noch 
der  Besilz  zweier  Hafen,   eines  Kriegs-  und  eines  Handels- 
hafen  in  demselben  Meerbusen  gewonnen  ware.    Die  Asiaten 
verladen  namlich  ihre  Waaren  direkt  auf  Kameele  und  finden 
deshalb  den  alien  Landungsplatz  nicht  so  unbequem  wie  die 
Russeui  welche  das  Ausgeschiffte  mit  sogenannten  Arby»  d.  i. 
mit  Kirgisischen  Waaren  transporliren*     Durch  soiche  Tren- 
nung  des  Handelshafen  von  dem  Kriegshafen   wilrden  auch 
alle(?)  Veranlassungen  zu  Streitigkeilen  mit  den  Eingebomen 
fortfallen.     Es  wiirde  auch  sogar   geniigen    die  Anfuhrt  auf 
Pfahlen  zu  bauen»   wenn  man  sie  nur  durch  eine  steineme 
Mole  vor  dem  Eise  schiitzte,  denn  es  giebt  dort  weder  hefti* 
gen  Wellenschlag  noch  starke  Anschwellungen  des  Wassers. 
Von  Augi^t  8  bis  September  20  zeigten  sich,  namentlich  an 
einem  neben  der  intermislischen  Landungsbriicke  aufgesteUten 
Pegely  die  groHsten  Steigungen^  die  bei  starken  Winden  aus 
NNW.  und  NO.  vorkamen,  nicht  mehr  als  2  EngUscbe  FuTs 
betrugen. 

Wahrend  des  guten  Fortganges  der  beabsichtigten  Bauten, 
war  doch  der  dortige  Aufenthalt  der  Bussen  durch  den  Skorbul 
sehr  gefShrdet.  Von  der  Garnison  der  Festung  lit  ten  schon 
30  Mann  an  demselben  und  es  zeigten  sich  auch  bei  Vielen 


Die  Halbins^l  Mangyschlak.  553 

der  ( neu  angekommenen  [?] )  Mannschaflen  Symptome  dieser 
Krankheit.  Der  Garnisons-Arzt  vonNowo-Petrowsk  schrieb 
siedem  Gebrauche  des  Salzfleisches  su,  welches  schnell  ver- 
darby  weil  man  noch  keine  Keller  oder  Eisgruben  haite,  und 
so  wurden  denn  auch  gegen  die  fernere  Verbreitung  folgende 
diateiisehe  Mafsregeln  ergriffen ''): 

Man  vertheilte  fortwahrend  frisches  Fleisch,  liefsKwa^  an- 
siatt  Wasser  trinken  und  brachte  die  Krankeo  theifs  in  dem 
eben  voUendeten  Hospilale,  und  theils  in  besonderen  Kibitken 
oder  FilzzeUeUi  so  ^eraumig  unter^  dafs  sie  sich  gehorig  be- 
wegen  konnten.  Sie  wurden  ausserdem  zum  Baden  in  den 
Salzsee  gefiihrt  Oiese  Bader  waren  ihnen  anfangs  unange- 
nehnii  weil  sie  Schmerzen  an  den  wunden  Stellen  ihres  Kor- 
pers  verursachlen.  Sie  trugen  aber  nacb  und  nach  zur  Rei- 
nigung  und  Belebung  derselben  bei.  Den  schwer  Erkrankten 
gab  manKumy^,  der,  wie  die  iibrigen  Lebensmitlel,  von  den 
Kirgisen  gekauft  wurde.  Man  beobachtete  ferner  die  mog- 
lichsle  Reinlichkeit,  indem  man  die  Kleider  und  Matralzen 
iaglich  in  die  Sonne  hing  und  ausklopfle  und  sanuntliche  Sol- 
daien  Iaglich  im  Meere  baden  hefs.  Es  wurden  auch,  um  die 
Frohlichkeit  und  Zuversicht  unter  ihnen  zu  erhalten,  Spiele, 
Gesange,  Fahrten  auf  dem  Meerbusen  u.  dergL  veranstalteh 
Diese  Mafsregeln  batten  einen  sehr  (?)  guten  Erfolg.  Es 
starb  keiner  von  den  Skorbutischen,  und  unter  der  Garhison 
von  719  Mann  gab  es  gleichzeitig  nur  72Kranke.  Von  die- 
sen  erklarte  derArzt  nur  17  am Orte  selbsl  unheilbar,  welche 
dann  zu  fernerer  Behandlung  nach  Gurjew  geschickt 
wurden.  Gegen  Ende  des  September  liefs  die  Krankheit  be- 
deutend  nach,  wozu  vorziiglich  die  zu  Ende  des  August  er* 
folgte  Ankunft  einiger  Asirachaner  Kauffahrteischiffe  beilrug^ 
welche  Wassermelonen^  Melonen,  Knoblauch,  Retlige  u.  dgl. 


*)  Ueber  die  aasaerordentliche  Sterblichkeit  ia  den  Raasischen  Garni- 
Bonen  am  Scbwarzcn  Meere  und  in  Transkaokasien  nberbaupt  yergl. 
Q.  A.  Bodenstedt  Tansend  and  ein  Tag  im  Orient. 

D.  Umbers. 

Brmana  Rasa.  Archiv.  Bd.  XI.  H.  4.  43 


g54  Historisch-lingnistische  Wissenschaften. 

bracbten.    Von  der'^MiUe  des  April  bis  «uin  3.  November  wa- 
ren  von  der  Garnison  von  Nowo  -  Pelro wsk  iiberhaupt    nur  2 
Mann  gestorben,  obgleich  dieselben  mit  beschwerlichen  Arbei- 
ten,  wie  mil  den  Festungsbaulen ,  dem  Behauen  der   SleinCj 
dem  Heraufziehen  derselben   und   der  ubrigen  MateriaKen  auf 
den  steiien  Berg,  auf  dein  die  Werke  liegen  u.  s.  w.  beschaf- 
ligt  war.    Man  sieht  demnach  dafs  bis  zu  jener  Zeit,  weder 
das  dortige  Kiima  nocb  das  Wasser  der  Gesundheit    gescha- 
dei  hatte. 

Bei  Besichtigung  der  Umgebungen  d^r  Feslung  fand  naan 
Spuren  des  Ackerbaues,   den  die  Turkmenen  vor  35   Jahren 
daselbst  belrieben.    Cine  Schlucht  vor  den  Werken  fiilU  sich 
wahrend  des  Schneeschmelzens  mit  Wasser  und  dieses  wurde 
von  den  Turkmenen  in  Teichen  von  belrachilichem  Umfang 
und  in  kleineren  Gruben  gesammeli  und  mitHiilfe  der  TscJii- 
giren  zur  Begiefsung  der  thonigen  Feider,  in  der  Nahe  jener 
Behaller  verwendel,   die  sie   mil  Arbusen  (Wassermelonen), 
Melonen,   Mais,  D/ugara,    mit    der   in   Chiwa  sogenannfen 
Jurun^a  (Luzerne)  u.  a.  besaet  batten.     Bei  derAnkunft  der 
Russischen  Garnison  gab  es  kein  Wasser  mehr  in  jener  ScMucht 
und  man  versuchte  desbalb  dergleichen  Gemiise  bei  den  Salz- 
seen  zu  bauen,  wo  zwar  auch  der  Boden  etwas  salzig,  daftir    i 
aber  schon  in  vier  FuCs  tiefen  Brunnen  Wasser  zu  haben  ist 
Man  zog  im  ersten  Jahre  ziemUch  guten  Kohl,  Radieser,  Ret* 
tige,  Gurken  und  einige  Pud  Luzerne  die  vom  30.  Juli  bis 
zum  15.  August  gesael  worden  war. 

Der  Verf.  suchte,  soviet  es  die  Kiirze  der  Zeit  und  seine 
sonstigen  Mitlel  erlaubten,  sich  Nachrichten  iiber  die  Ge- 
schichle  jener  Gegend  zu  verschaffen.  Es  ergab  sich  dais  die, 
jetzt  von  den  Kirgisen  eingenommene,  Halbinsel  Mangyschlak, 
friiher  den  Turkmenen  und  noch  vor  diesen  den  Mongolen 
gehSrt  hat. 

Die  Turkmenen  von  Mangyschlak,  welche  diese  Halbinsel, 
d.  h.  das  zwischen  Mertwoi  Kulluk,  dem  Karaganer  Meerbu- 
sen  und  Aleksander  Bai  gelegene  Land,  noch  zu  Anfang  des 
gegenwartigen  Jahrhunderts  besafsen,  zerfielen  in  folgende  5 


Die  HalbiBSel  Mangytchlak*  g55 

Ablheilungeti :  1)  Abdal,  das  war  die  slarkste  von  alien.  2) 
Burunischuk.  3)  Tschaudur.  4)  Busatschi  und  5) 
Igdyr.  Zwischen  diesen  nomadisirte  die  AblbeilungChodya, 
die  eine  Art  Priesterkaste  ausmachte  (die  Russischen  Fischer 
nannien  dieselben  die  Popowitschi,  d.i.  PopensShne)  und  von 
MohamedsTochter:  Falima,  abzustammen  vorgab.  DieseTurk- 
menen  trieben  Viehzuchi,  Ackerbau,  Handel  und  Gewerbe"). 
Der  damalige  Handel  war  viel  betrachtlicher  als  der  jeUige, 
so  namentlich  noch  wabrend  der  Napoleonischen  Kriege  und 
der  Continentalsperre.  Die  Turkmenen  versichern  daCs  (jahr* 
lich)  5000  Kameele  mil  Ladung  fur  Aslracban  nach  dem  Ka* 
raganer  Meerbusen  kamen  und  dafs  diese,  aus  Waaren  von 
Mittel-Asien^  Persien  und  Indien  bestanden.  —  Auf  der  Land- 
zunge  Ailjak  gab  es  Niederlagen  von  Waaren  und  Geiraide^ 
vorrathe,  und  zur  Beschiitzung  derselben  gegen  rauberische 
Angriffe  eine  Wache  und  eine  steinerne  Mauer  queer  iiber 
die  Landzunge.  Vor  100  Jahren  hat  man  auch  auf  der  Hohe 
Kurgantasch  (auf  der  jetzt  die  Werke  von  Nowo-Pefrowsk 
liegen),  eine  zweite  steinerne  Mauer  mit  kleinen  Tbiirmen  auf- 
gefiihrt**).  Die  Turkmenen  erhoben  eine  Steuer  von  den 
eingefiibrten  Waaren. 

Die  jetzigen  Aeltesten  dieses  Volkes  versichern,  dafs  sie 
wabrend  der  Regierung  des  Kaiser  Alexander,  Gesandten  nach 
Russland  geschickt  und  ein  schriftliches  Privilegium  zur  zoll- 
freien  Binfuhr  von  Getraide  und  Brod  nach  Mangyschlak,  und 


*)  Aach  dieses  walirend    der  Russfscben  Nachbarschaft   Terodete    und 
yerwustete  Land  bat  also  fruber  za  den  caltivirteren  gebort 

D.  Uebers. 
**)  Es  giebt  an  Tielen  Stellen  der  Halbinsel  Ueberreste  Ton  yerschiede- 
nen  Befestigungen.  So  war  eine  dergleicben  in  dem  Bezirk  Clianga- 
Baba  aaf  einem  Felsen  angelegt,  and  wie  man  glauben  solUe,  iur 
Nomaden  ganz  noeionebmbar.  Dennoeh  yersicbern  die  Kirgben,  dafs 
aie  dieselbe  eingenomraen  haben,  indem  sie  den  Belagertea  das  Was- 
ser  abscbnitten.  Die  Turkmenen  scbeinen  es  aucb  gewesen  zn  sein, 
die  den  Maulheerbaum  znm  Seidenbau  auf  Mangyscblak  yerbfeiteten. 

Anm.  d.  Verf. 

43* 


556  Historiflch-lingnistiscbe  Wissenschaften. 

zum  Handel  mil  den  Russischen  Kaufleuten  erhalten  haben  *), 
Diese  Bevorzugungen  erregten  indessen  den  Neid  der  Chi* 
waer  und  die  Habgier  der  Kirgisen,  welche  von  den  Chi^^aem 
aufgestachell,  ihre  rauberischen  Anfalle  ofter  und  nachdrtick- 
licher  wiederhelten.  Zum  Ungliick  fiir  die  Turkmenen  iiraren 
sie  auch  uneinig  unUreinander,  und  Viele  voh  ihnen  hatten 
liber  den  Handel  die  Kriegswirlhschaft  vergessen.  So  wurden 
sie  dann  durch  die  drohenden  Gefahren  veranlasst,  von 
neuem  Hiilfe  bd  der  Russischen  Regierung  zu  suchen,  und 
ihr  dafiir  die  Ortschaften  5arylasch,  Tjup  Karagan  und  Alexan- 
der-Bai  zu  versprechen. 

Unler  dem  verdienslvollen  Knjas  Zizianow  wurde  darauf 
im  Jahre  1803  die  Befesligung  derKiiste  des  Karaganer  Meer- 
busen  beschlossen.  Wie  die  Turkmenen  erzahlen,  erhielt  auch 
die  Abtheilung  Abdal  damais  das  Versprechen  des  Russischen 
Schulzes  —  es  war  aber  damais  noch  nichi  an  der  Zeit,  das 
Oslufer  des  Kaspischen  Meeres  zu  befesligen  *%  und  es  blieb 
daher  bei  Planen  fiir  die  Zukunft. 

Die  Turkmenen,  welche  sich  selbst  uberlassen  blieben, 
konnten  unter  fortdauernden  inneren  Zwistigkeiten  keinen  Wi- 
derstand  leisten.  Die  meisten  von  ihnen  wanderten  aus  nach 
Alexander- Bai  und  Karabugas.  Von  deii  Tschaudur  gingen 
viele  nabhChiwa  und  es  folgten  ihnen  andre  aus  denAbthei- 
lungen  Buruntschuk,  Busatschi  und  Igdyr. 

Andre  von  den  Ahdal  und  Burunischuk  begaben  sich  1813 
in  das  Astrachaner  Gouvernement.  Sie  treiben  jetzt  daselbsi 
Viehzucht,  indem-  sie  von  den  Tataren  Weideplatze  aufkaufen, 
so  wie  auch  Fischfang,  an  gepachteten  Stellen.  Sie  werden 
von  sechs  ihrer  Stammesallesten  regiert  und  leben  durchaus 
friedUch,  indem  sie  sich,  bis  zu  ihrer  dereinstigen  Riickkehr  m 
ihr  Geburlsland,  als  Gaste  der  Russen  betrachten*     Nur  die 

*)  Wie  and  seit  wann  die  fruber  Iierrscbenden  Tarkmenen  zar  Anei^ 
kennnng  der  Russ.  Regier.  gebracbt  wofden,  Tergisst  der  Verf.  za 
sagen.  Anni.  d.  Uebers. 

♦•)  Diese  nicbt  ganz  verstandlicbe  Stelle  ist,   ebenso  wie  das  Folgende, 
moglicbst  wortlich  ubersetzt.  D.  Uebers. 


Die  Halbintel  MangytcLlak.  657 

Abtheilung  Cbod/a,  die  von  Kirgisen  und  Turkmenen  verehrt 
wirdy  hat  ihre  friiheren  Weidepliitze  zvvischen  dem  Karaganer 
Meerbusen  uad  Aiexander-Bai  bebauptet 

Dicht  bei  der  Russischen  Festung  (Nowo-Pelrowsk),  sind 
von  einem  Soldaten  einige  Dulzend  Gold-  und  Silbermiinsen 
gefunden  worden,  die  sich  durch  ihr  Geprage  von  den  jetai'^ 
gen  Chiwaer  unterscheiden.  Oer  Verf.  hat  sie  Herrn  P.  S. 
5aweljew  iibergeben,  welcher  sie  demChanDjanibek  der 
Goldenen  Orde  zuschreibt.  —  Unter  den  Alterthiimem  aus 
den  Ruinen  von  5arai,  der  Hauptstadt  der  Goldenen  Orde,  die 
jelzt  in  dem  Domainen-Aml  zu  5aratow  aufbevvahrt  werden, 
ist  unter  anderen  eine  Art  von  Mosaik  aus  kleinen  glasirten 
Kacheln  (iaraszy),  die  in  ein  muschliges  Gestein  gefiigt 
sind.  Dieses  letztere  ist -aber  einem  auf  Mangyschlak  vorkom* 
menden  sehr  ahnlich  und  wahrscheinlich  von  dort  genommen. 
Es  ist  wenigstens  von  dem  unteren  Laufe  der  VVolga,  und 
wahrscheinlich  auch  aus  dem  Astrachanischen  Gouvernement 
kein  ihm  gleiches  bekannt  —  wenn  aber  dort  etwas  Aehnli* 
ches  vorkame,  so  wurden  es  die  Bewohner  gewiss  zu  Funda- 
menten  und  anderen  Bauwerken  gebrauchen.  —  Von  einem 
Fischer  hatHerr  L  noch  ferner  gehdrt,  dafs  in  derBucht  von 
5arytasch,  in  dem  Hafen  den  die  Eingebomen  das  Alte  Man* 
gysehlak  nennen,  mehrere  eingerammte  Pfahle  stehen,  aus 
denen  man  auf  das  ehemalige  Vorhandensein  einer  Landungs- 
briicke  an  dieser  Stelle  zu  schliefsen  hat  *). 

In  den  Kirgisbchen  Traditionen  werden  auch  die  berilhm- 


*)  Von  jetzigen  Kirgisen  kann  dergleichan  Anlage  nicht  herriihren,  denn 
als  man  diesen  bei  der  Anfgabe  der  Nowo-Alexandrower  Befestigun- 
gen,  das  Holz  der  dortigen  Gebaade  zu  beliebiger  Benntzang  iiber- 
lieOi,  begnogten  sie  sich  einige  Stiick^  da?on  zu  Trogen  ausznhdh- 
len  and  die  eisernen  Nagel  ausznziehen.  Giner  von  ibnen,  den  man 
befragte,  von  wem  wobi  ein  gewisser  tiefer  Bronnen  gegraben  wor- 
den  sei,  antwoitete  obne  Bedenken:  „von  Gott**.  —  So  sebr  liegen 
noch  jede  langwierige  Anstrengong  und  jede  Arbeit  welche  vereinte 
Krafte  erfordert,  ausserhalb  der  Begriffe  dieses  Volkes. 

Anm.  d.  Verf. 


658  HistoriBch-lingttistische  Wissenschaften. 

ten  Chane  der  Mongolen,  Tschingts  und  Tamerlan,  noch  na- 
mentlich  erwahnk^  und  sie  erinnern  sich,  dafs  auch  ihre  jeUu- 
gen  Weideplatze  einst  von  diesen  beherrschi  wurden.  Bninnen 
von  mehr  als  100  Fuls  Tiefe,  die  mh  Sleinen  ausgelegt  sind 
und  Resle  von  gleichfalls  au8  Steinen  gebaulen  Verschanzun- 
gen,  so  wie  auch  von  Wohngebauden  und  Grabdenkmalern, 
slammen  wahrscheinlich  von  eben  jenen  Mongolen  oder  von 
einem  Yolke,  welches  noch  vor  ihnen  die  Oberhand  halie. 
Unter  den  Grabdenkmalern  sind  viele  mil  Inschriften,  deren 
Entzifferung  durch  gewandte  Orientalisten  gewiss  viel  Licht 
liber  die  altere  Geschichte  jener  Gegend  verbreiten  wiirde. 
Mehrere  dieser  Denkmaler  enthalten  ausser  den  Inschriften 
auch  eingehauene  Abbildungen  verschiedener  Gegenslande,  die 
wahrscheinlich  die  Beschiiftigung  des  Verstorbenen  andeuten 
sollten,  so  z.  B.  Sabel,  Fllnten,  Piken  und  PisloJen.  Auf  ^nem 
derselben  sieht  man  sogar  einen  Reiter,  der  mit  zweien  Hun- 
den  einen  Panther  verfoigL  Diese  Darstellungen  sind  lief  und 
mit  Genauigkeit  ausgehauen  und  biiden  sum  Theii  hohe 
Reliefs. 

Fast  auf  alien  alten  Grabern  ist  der  ^bre  Theil  des  Denk* 
sieines  stufenformig  gebildet,  und  an  dem  Kopf-Ende  mit 
einer  Verliefung  versehen,  welche,  wie  die  Kirgisen  versi- 
chern,  an  bestimmten  Gedachtnisstagen  mit  Felt  gefiiUt  und 
als  Lampe  gebraucht  wurde.  Diese  Denkmaler  sind  alle  ou- 
ter sich  parallel  von  SO.  nach  NW.  gerichtet,  so  dafs  das 
Kopf-Ende  nach  der  zuietzt  genannten  Himmeisgegend  liegt 
und  daher  gleichsam  von  Urgentscha  gegen  Ilil  oder  von 
Chiwa  gegen  Astrachan '^).     Auf   den   geachteteren  Grabern 


*)  Yielleioht  legte  man  aach  die  Verstorbenen  mit  dem  Gesioht  nach 
Westen,  d.  h.  gegen  Mekka.  Die  Ringebornen  sacbten  desfalsigen 
Fragen  anssaweichen.  Die  Tarkmenen  und  sogar  die  Kirgisen  von 
Mangyschlak  sind  aber  ziemlich  eifrige  Mahomedaner  von  Sonniti- 
Bcber  Confession  and  iJire  Religiosilat  ddrfte  wohl  dorcb  die  Chodja 
den  Nachkomnien  yon  Mabomed  anterbalten  worden  sein. 

Anni.  d.  Verf. 


Die  Halbinsel  Mangyschlak.  g59 

liegen  Haufen  von  Knochen  und  Hdrner  des  wilden  Schafes 
(welches  hier  Archar  geqannt  wird  und,  wie  dieKirgisen  ver* 
sichern,  in  dein  Karatau-Gebirge  vorkominl)|  so  wie  auch  at 
lerhand  Zeugslucke.  Auf  einigen  slehen  auch  Siangan,  die 
wahrscheinlich  einst  als  Maste  auf  Schiffen  gedieni  haben, 
welche  an  den  dortigen  Kiisten  slrandeten.  Dergleichen  Stan* 
gen  deuten  auf  die  Heiligkeit  des  unter  ihnen  liegenden 
Todten. 

Wann  die  Mongolen  aus  dieser  G^gend  verjagi  worden 
sind,  ist  unbekannU  Wahrscheinlich  falll  aber  die  Besilznahme 
der  Turkmenen  von  der  Osikiiste  des  Kaspischen  .Meeres  und 
somii  auch  von  der  Halbinsel  Mangyschlak,  mil  dem  Ende  der 
Mongolischen  HerrschafI  iiber  die  Russen  zusammen,  und  mil 
dem  voUstandigen  Verfall  der  Goldnen  Orde.  Die  Verbindun- 
gen  der  Turkmenen  mil  den  Russen  und  ihre  Bitten  sie 
alsRussische  Unterthanen  zu  betrachten,  sollen,  wie 
sie  selbsl  versichern,  schon  unter  Peter  dem  Grofsen  stalt  ge- 
funden  haben.  Vielleicht  war  sogar  die  Expedition  des  Knjas 
Bekowitsch  nach  Chiwa,  nur  eine  Folge  ihrer  Bitten  um  Hiilfe. 
Ihre  eigne  Angabe  deutet  insofern  auf  ein  ahnliches  Verhalt- 
niss,  als  nach  derselben  die  von  Chiwaem  angestifleten  An* 
griffe  der  Kirgisen  auf  jene  Russische  Expedition  gefolgt  sein 
solien  *). 

Eine  von  dem  Verfasser  beabsichtigte  Aufnahme  und  Be- 
schreibung  der  Halbinsel,  wurde  mit  Besichtigung  der  Umge- 
bungen  der  Festung,  so  wie  mit  Erkundigungen  und  Versuchen 
zur  Annaherung  an  die  Kirgisen  und  Turkmenen .  begonnen. 
Mit  den  ersteren  wurde  er  bald  nach  der  Ankunft  auf  Man*- 
gyschlak  bekannt.  In  dem  Bezirke  Changa-Baba,  30  Werst 
von  der  Festung,  wurde  namlich  in  den  ersten  Tagen  des 
August  (um  Juli  20  alten  Styles)  von  einem Kirgisen,  Namens 

*)  Hier  scheint  der  Verfasser  mit  sicb  selbst  im  Widersprucb,  indem  er 
die  Angriffe  der  Kirgisen  auf  die  Turkmenen  zuerst  als  die  Ursach 
zur  Unterwerfung  der  letzteren  unter  die  Russen^  und  dann  als  eine 
Wirkung  eben  dieser  Unterwerfung  bctracbtet  wissen  will. 

D.  Uebers.  " 


QgO  Historisch-lingaistische  Wisaenschaften. 

Tscbanke,  ein  GedachtnissfesI  fur  sanen  Vater  durch Pferde- 
rennen  gefeierl,   Herr  I.  ausserte  den  Wunsch  als  GasI   an 
dieser  Feier  Theil  zu  nehmen  und  begab  sich  demnachst  mil 
3  Kosakenoffizieren  und  20  Kosaken  nach  Changa-Baba.    Sie 
fanden  fur  sich  ein  besonderes  Fils^-Zelt  (Kibitka)  aufgestellt, 
welches  bis  auf  die  am  Boden  ausgebreiteten  Teppiche,  ganz 
ohne  Hausrath  war.    Den  Ankommlingen  wurden  sogleich  in 
holzernen  Schalen  Erfrischungen  gereicht,  die  aus  Kuniy«,  ge- 
kochtem  Schafsfleisch,  Pilau  uad  Feit  aus  den  Kurdjuk  oder 
dicken  ScbafsschwSnzen  bestand.     Das  Fleisch  und  das  Felt 
waren   in  feine  Sliicke  geschnilten.     Wahrend  dieser  Bewir- 
thung  fanden  sich   noch  gegen   10  Kirgisische  Gaste  in  der 
Kibilke  ein,  welchen  der  Verfasser  dein  Gebrauche  gemafs,  die 
Fleisch-  und  Fellstucke  einzuhandigen  halte.     Wenn  sie  sich 
unter  einander  bewirthen,  so  beschmiert  sogar  der  Eine  dem 
Andern  die  Lippen  und  das  ubrige  Gesicht  mil  Fell(!?),  um 
seine  Zartlichkeit  auszudriicken. 

Gegen  Abend  versammellen  sich  gegen  300  Kirgisen 
bei  dem  Zelte  der  Russen  und  es  begann  ein  Ringkampf,  bei 
welchem  dem  Sieger  ein  Geldgeschenk  ausgesetzt  war.  Die 
jungen  Kampfer  umfafsten  sich  und  erhoben  einander  auf  die 
gewohnliche  Weise,  sobald  aber  einer  am  Boden  lag,  ging  der 
andere  seinen  Preiss  in  Empfang  zu  nehmen.  Jeder  der  Sie- 
ger gab  das  erhallne  Geld  sogleich  seinem  Valer  oder  Fami- 
lienallesten.  Auf  dieselbe  Weise  sah  der  Verf.  mil  aUen  Ge- 
schenken  verfahren,  die  er  spater  an  junge  Kirgisen  machle: 
die  Ehrfucdil  vor  dem  .Aller  brachte  dieselben  slels  in  andre 
Hande.  Er  bewirlhele  einmal  einen  80jahrigen  Bai,  Namens 
Bogatar,  und  gab  den  Enkeln  desselben  ein  Paket  Slucken- 
zucker:  sah  aber  soforl  den  AUen  das  Packchen  5ffnen  und 
mehrere  HandvoU  Zucker  essen.  Nach  dem  Ringkampfe  ver- 
brachlen  die  Kirgisen  die  ganze  Nachl  mil  Fleisch-Essen  und 
Kumys*Trinken. 

Am  folgenden  Morgen  begann  das.  Pferderennen.  Die 
Bahn  belrug  diesmal  nur  7  bis  8  Wersl,  wird  aber  bei  wich- 
ligeren  Rennen  noch  langer  gewahlt.     Es  nahmen  7  Pferde 


Die  Halbinael  MaligyioUlftk.  661 

Tbdl  und  es  waren  ais  Preiss  ftir  die  Reiter  des  erslen  Sie- 
ger, ein  Pferd  und  ein  Ueberrock  (Chalat),  des  zweiien  ein 
Kameel  und  des  dritlen  ein  Ueberrock  ausgeselzt  DieRenn- 
pferde  wurden  um  so  eifriger,  je  mehr  sie  sich  dem  Ziele 
naherten,  von  den  Verwandten  ihrer  Reiter  und  Besitzer  durch 
Zurufen  und  durch  Peitschen,  mit  denen  sie  sie  herzhaft  tra- 
fen,  angelrieben.  Wenn  aber  auch  dies  Mittel  noch  nicht  ge- 
nugle,  so  griff  man  einem  solchen  Thier  an  die  Ohren,  an 
die  Miihne  und  den  Schwanz  (!)  *)  um  es  schneller  als  die 
iibrigen  an  das  bezeichnete  Ziel  zu  befordern  (!!).  Es  waren 
diese  keine  Racepferde,  sondern  gewohnliche  Kirgisenpferde, 
und  die  Besitzer  erzahlten  bei  dieser  Gelegenheit,  wie  sie  drei 
Jahre  zuvor  durch  einen  winterlichen  Schneesturm,  der  10 
Tage  lang  anhielt,  eine  ungeheuere  Menge  Vieh  verloren  hat- 
ten,  so  dafs  z.  B.  diejenigen,  die  friiher  2000  und  sogar  4000 
Pferde  besafsen,  jetzt  kaum  200  behalten  hatten,  und  dafs  bei 
Vielen  von  300  Ziegen  und  Schafen  nur  7  Stuck  iibrig  ge- 
blieben  waren  **). 

Durch  die  genannie  Reise  gewann  der  Verf*  das  Zutrauen 
der  Kirgisen^  von  denen  ihn  darauf  viele  besuchlen  und  ihm 
aus  Erkenntlichkeit  allerhand  Nachrichten  und  Geriichte  iiber 
Chiwa  miitheilten.  Er  uberzeugte  sich  aber  bei  dieser  Gele- 
gcQheit,  dafs  die  dorligen  Nomaden  nicht  immer  glaubwiirdig 
sind,  sondern  zu  betriigUchen  Versicherungen  und  Ut^bertrei- 


•• 


*)  Es  ist  iiberhanpt  scliwer  za  verstehen,  wie  die  Umstehenden  ein 
Yorbeireimendes  Pferd  aof  die  geoannte  Weise  behandeln  konnen  und 
ToUkommen  unbegreiflich,  wozo  sie  dasselbe  an  dem  Schwanz  hal> 
ten  toUten!  D.  Uebers* 

)  Kb  ist  wobi  aazanehmen,  dala  diese  merkwilrdige  Sterblichkeit  darcb 
das  Versohneien  aller  Weideplatze  und  nicht  etwa  durch  die  Kalte 
Oder  andere  direkte  atmospbariscbe  Einfliisse  eintritt.  DerVer&sser 
giebt  aber  hieriiber  eben  so  wenig  Aafschluss  wie  uber  yiele  andere 
Verhaltnisse,  die  er  beriibrt,  ohne,  wie  es  scheint,  die  Wicbtigkeit 
der  iboi  so  nahe  liegenden  Beobacbtangen  gefiihU  za  haben. 

D.  Uebers. 


662  HistorischolingaiBiisohe  Wissenschaften. 

bungen  geneigt,  wenn  sie  fiir  ihre  MiUheilungen  eine  Beloh- 
nuDg  hoffen. 

In  der  Nahe  der  Fesiung  scliienen  ihni  folgende  Gegen- 
stande  besonders  mcrkwiirdig: 

1)  Der  zu  alien  dortigen  Bauten  angewendete  muschlige 
weisse  Kalkstein.  Er  lasst  sich  leicht  mil  dem  Beile 
behauen,  zerschlagen  und  iiberhaupt  vortrefflicb  bear- 
beiten. 

2)  Die  Salzseen.  Der  Niederschlag  in  denselben  ist  Ro- 
senfarbig,  von  gutem  Geschinack  und  zur  Behandlung 
des  Caviar  und  der  Fische  tauglicb,  jedoch,  wie  die 
Fischereibesilzer  versichern,  nicht  in  der  warmen  Jab* 
reszeit,  ,|Weil  er  nicht  sehr  salzig  sei**.  Die  Menge 
desselben  in  zwei  dieser  Seen  schatzt  Herr  I.  auf 
mehr  als  10  Miliionen  Pud  *). 

3)  Das  Wasser.  In  der  Nahe  der  Salzseen  sind  die 
Quellen   brakisch  und  gehen  deinnach  wahrscheinlich 


*)  Er  bestimmt  diese!be  folgendermafisen :  um  die  Mitte  des  August 
Termafs  er  die  beiden  Seen  Kityk  and  Bnlak,  Indem  er  fie  auf  eineni 
aus  5  Brettern  gebildeten  Flosse  befabr.  In  dem  Kiljk  betmg  die 
grofste  Tiefe  in  jener  Jahreszeit  1,75  Kngl.  Fuls  and  die  Dicke  der 
Salzscbicht  von  1^75  bis  3,5  Engl.  Zoll.  Diese  Dicke  zeigte  sich 
gegen  die  Mitte  des  Sees  grofiser  als  an  deo  Ufern.  Man  kann  nan 
die  OberfiScbe  des  Sees  za  162000  Qaadrat-S^ajen  (za  49  Bngliscbe 
Quadrat'Fuis)  and  die  mittlere  Dicke  des  iNiederscblages  za  2,25 
Zoll  annehmen,  and  erhalt  dann,  wenn  man  das  Gewicbt  der  Kabik- 

343 

Arschin  (d.  h.  •—-  Engl.  Kubikfafs)  des   salzigen  Niederschlages  50 

^/ 

Pud  setzt,  fur  die  Menge  desselben  in  dem  Kityk  5800000  Pad.    Der 

See  Balak  (der  zunachst  am  Hafen  liegt),  hat  eine  grolste  Tiefe  ?on 

5,5  Engl.  Fufs,  seine  Oberflache  kann  zu  166500  Quadrat-Sa/en  and 

die  Dicke  des  Niederschlages  in  demselben  zu  1,75  Engl.  ZoU  an- 

genommen  werden,  wonacb  das  Gewicbt  des  letzteren  4682000  Pod 

betragt.   —    Das  Wasser  dieses  Sees  enthielt  dem  Volamen  nach  i 

Salz  and   f  Wasser,    and   dem  Gewichte  nach  522  Salz  aof  1260 

Wasser.    Die  dad  arch  entstehende  Losang  ist  so  dicbt^  dais  ein  niit 

40  Pfund  beladner  Mann  leicht  in  dem  See  schwimmt. 

Anm.  d.  Verf. 


Die  Halbinsel  Mttagyachlak.  663 

von  jenen  Seen  au8«     Oesttich  von  dem  See  Kityk 

ist  ab^er  das  Wasser  fast  vollig  sufs.    Es  fliefst  dort 

theils  inQnellen,  theils  wird  es  ausBrunnen  enUiooi- 

men,  die  kaum  eine  Arschin  lief  in  die  Gesteinschicht 

reichen.    Zu  den  Eigenlhumlichkeiten  der  Landzunge 

Ailjak  gehort  aucfa,  dais  in   dem  Hafen  zunachst  an 

derseiben  ganz  siiises  und  wohlschmeckendes  Wasser 

vorkommty  obgleich  man  sowohi  rings  urn  dem  nahe 

gelegenen  See  Buiak,  als   auch  zwischen  demselben 

und  dem  Meerbusen  nur  salziges  trifft.    Ein  dortiger 

Arzt  hat  jenes  auffallend  frisdie   Wasser  Kalk-  und 

Eisenhallig  gefundeu. 

Urn  die  Mitte  des  September  eriaubte  endlich  das  Nach* 

lassen  des  Skorbuls  unter  der  Mannschaft  dem  Verfasser,  die 

beabsichtigte  UntersUchung  der  Halbinsel,  auch  hatte  er  bis 

dahin   die   ndthigen  Bekanntschaften   mil.  den   Kirgisen   und 

Turkmenen  angekniipft.     Am  21.  September  begann  er    die 

Reise  nach  Alexander-Bai  in  der  Begieitung  von  20  Fufssol- 

daten,  die  beritten  gemacht  waren,  50  Kosaken,.die  von  dem 

Jesaui  Chorotschin  und  dem  Chorunja  gleiehes  Namens,  ge- 

fiihrt  wurden,    dem  Fahndrich  Skrjabin  und    dem  Topogra- 

phen  Lawrentjew,  welche  zusammen  die  Aufnahme  des  Lan- 

des  besorgen  sollten  —  oder  zusammen  mil  79  Mann,  die 

eine  Spfundtge  Einhorn-Kanone  mit  sicb  fiihrten.    Ausserdem 

hatte  Herr  I.  noch  den  Armenier  Gera^im  Turpajew  als 

DoUmetscher  und  Handelsverstandlgen,  und  einen  Feldscheer 

mit  sicb,  die  beide  der  Expedition  ausserordenllich  niitzlich 

wurden.    Turpajew*)  wusste  iiberall  den  ndthigen  Fleisch- 


*)  Gera^im  Tarpajew  der  bereiti  bei  der  Anlage  der  Festang  Nowo- 
Alexandrowsk,  in  der  dortigen  Gegend  Handel  trieb,  ist  bei  den  Bin- 
geborenen  anter  dem  Namen  Kalasch  oder  KalaUch  bekannt  Aaf 
welche  Weise  aas  Gerasim,  Kalatsch  geworden  ist,  diirfte  schwer  sein 
za  entscbeiden.  Man  hat  aber  daran  ein  Beispiel  der  Irrthiimer,  zu 
denen  die  Verderbungen  der  Russiscben  Namen  durch  die  Asiaten  und 
die  der  Asiatischen  darch  die  Russen  Teranlassen  konnen. 

D.  Verf. 


564  HiBtoriscb-lingiiistische  WisBCiiwchafteii. 

vorrath  ansuschaffen,  und  noch  ausserdem  den  EUngebomen 
so  viel  Lust  zum  Handel  zu  erregeUi  dafs  sie  in  jedes  Lager 
die  verschiedensten  Wadren  yon  selbst  herbeibrachten.  Dem 
Feldscheer,  der  alle  arztliehen  Funelionen  ausuble^  fehlte  es 
nie  an  Praxis^  denn  die  Eingebornen  sind  groCse  Liebhaber  vom 
Curiren  und  brachten  theils  ihre  Kranken  oder  Kriippel  selbst  in 
das  Lager,  theils  baten  sie  um  arztliche  Besuche  in  ihren  Aulen. 
Eine  ausserordentliche  Verbreitung  der  Syphilis  unter  den  Kir- 
gisen  war  bcsonders  auffallend.  Fast  in  jedeni  Aule  war  Nach- 
frage  nach  Quecksilber  oder  Sassaparil,  welche  die  Kirgisen 
das  ^i^ostbare  Kraut"  nennen.  Ausserdem  wiithen  auch  zu 
Zeiten  unter  ihnen  die  Pocken,  gegen  die  sie  noch  keine 
Impfung  anwenden,  und  bisweilen  ein  epidemisches  hitziges 
Fieber. 

Die  ersten  siebzig  Werst  wurden  theils  auf  thonigem  Bo- 
den,  theils  auf  fast  ununterbrochnem  Gestein  zuruckgelegt  und 
dabei  oft  schrofife  Felsschluchten  iibcrschritten.  Die  Vegeta- 
tion war  iiberall  armlich.  und  ein  Wermuth  bildete  das  vor- 
zuglichste  Futterkraut  Schilf  wurde  nicht  bemerkt  und  von 
Holzgewachsen  nor  hier  und  da  einige  Straocbe.  Das  Was- 
ser  in  Brunnen  und  Quellen  war  dagegen  von  gutem  Ge- 
schmack.  Der  Verfasser  sagt,  er  babe  Steinkohle  in  jener 
Gegend  erwartet,  weil  es  Kreideschiefaten  gebe  (!!!)  in 
dem  Bezirk  Changa-Baba,  und  auf  dem  Wege  zu  dem  soge- 
nannten  Kreidewinkel  (Mjelowoi  ugol)  so  wie  auch,  weil  an 
siidHcheren  Punkten  der  Kaspischen  Osdciiste  Naphta  vor- 
komme.^  Er  beaiiftragte  deshalb  seine  Begleiter,  alle  ihnen 
auflallenden  Gesteine  aufzuheben  und  ihm  zu  bringen,  sagt 
aber  nicht,  was  er  an  denselben  bemerkt  habe. 

70  Werst  von  Nowo-Petrowsk  bei  dem  Bezirk  Tjiilkiilu, 
endeten  die  Weideplatze  der  Kirgisen  vom  Adajewer  Stamme, 
auf  denen  man  sich  bisher  befunden  hatte,  und  es  begannen 
die  der  Turkmenen  von  der  Ablheilung  Chodja.  Aus  Besorg- 
niss  den  Chiwaern  zu  misfallen,  oder  aus  einem  anderen  un- 
bekannten  Grunde,  vermieden  aber  diese  Turkmenen  jede  Zu- 


Die  Halbinsel  M&ngyschlak.  gg5 

sammenkunft  mit  den  Reisenden,  indem  sie  ihre  nomadisGheB 
Ziige  demgemafs  verlegten. 

Der  Weg  von  Tjiilkulli  bis  Alexander- Bai  ftihrte  iiber 
sanfte  Hiigel,  deren  Hohe  gegen  den  leUteren  Ort  noch  ab- 
nahm.  Das  Pferdefutter  fand  sich  so  wie  wahrend  der  frti- 
beren  Reise,  und  das  Wasser  in  den  Brunnen  war  meistens 
bitter  und  salzig.  Bei  einem  der  Tagemarscbe  zwischen  den 
genannten  Orten,  fand  sich  ^ine  Kanaelstute  mit  einem  Jun- 
gen  zur  Reisegesellschaft^  welche  offenbar  lange  nicht  getrankt 
worden  war  und,  wie  Herr  I.  meint,  die  Carawane  in  der 
Absicht  begleitete,  an  dem  nachsten  Brunnen  von  dem  fur 
die  Pferde  zu  sehopfenden  Wqsser  etwas  abzubekommen. 
Der  Yerfasser  sorgte  fiir  die  Erfiiiiung  dieses  Wunsches  und 
bemerkte  zu  seiner  Verwunderung,  dafs  das  Kamel  12  Wedro 
Wasser  (4,15  Par.  Kubikfufs)  mit  einemmal  austrank.  —  An 
den  zur  Karawane  gehorigen  Kamelen,  mit  denen  oft  bei  heis- 
sem  Wetter  Reisen  von  50  Werst  ohne  Anhalten  gemacht 
wurden,  fand  er  dagegen  nicht  bestatigt,  dafs  sie  das  Wasser 
aus  einer  Entfernung  von  2  Werst  wahrnahmen,  wie  Buffon 
behauptet.  Er  glaubt  vielmehr,  dafs  dieses  nur  vonKamelen^ 
die  8fter  einerlei  Weg  zuriicklegen,  auf  dieselbe  Weise  und 
in  demseiben  Mafse  gelte  wie  von  Pferden. 

,Wahrend  des  Rittes  von  Tjiilkulu  nach  dem  Brunnen 
Kalyn-Arbat  kam  ein  Turkmene  zu  den  Reisenden,  der  ihnen 
frische  Fische  zum  Geschenk  brachte.  Er  betrieb  den  Fang 
von  dergleichen  mit  einigen  Gefahrten  bei  dem  Vorgebirge 
Sagyndyt  Die  Turkmenen  stechen  die  Fische  mit  dreizackigen 
Speren,  mit  denen  sie  in  einem  bei  1  bis  2  <Sa;en  Tiefe  vor 
Anker  gelegten  Boote  sitzen  un<l  das  Voruberziehen  beobach- 
ten.  Herr  L  machte  dem  Ankommling  ein  Gegengeschenk 
und  zeigte  ihm  ein  Mikroskop,  welches  er  darauf  zu 
besitzen  wiinschte  „um  die  Fische  auf  dem  Meeresgrund 
sehen  und  sie  besser  fangen  zu  konnen'*'^).     Die  Turkmenen 


)  Es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dafs  sich  ein   geiibter  Fischer  —  etwa 
weil  er   zn    den  Asiatischen  Volksstamoien  gerechnet   wird  —  aof 


666  Historisch-lingnistische  Wissenscliaften. 

hatten  iibrigens  auch  ohne  dem  keinen  Mangel  an  Fischen, 
indem  sie  in  wenigen  Stunden  gegea  50  sehr  grofse  fingen  **). 
Sie  wissen  aber  weder  Caviar,  noch  Fischieim  oder  Wesiga 
(Hausenbiase)  zu  bereiten.  Derselbe  Turkmen  bewarb  sich 
auch  um  die  Ankniipfung  eines  Tauschhandels^  zu  dem  er 
Fische  naeh  Nowo-Petrowsk  fiihren  woilte.  Er  versicherte, 
dafs  man  von  Alexander- Bai  bis  zur  Festung,  mit  Ausnahme 
von  20  Wersl  eines  sleinigen  Ufer  bei  Tjulkulii,  die  Bote 
Ireideln  konne. 

Die  zwei  letzten  Tagemarsche  vor  Alexander- Bai,  die 
mehr  als  50  Werst  belrugen,  mussten  langs  des  Karakul-Sees 
zuriickgelegt  werden,  welch^r  Glauber-Salz  enthalL   Zwischen 
diesem  See  und   der  Meereskiiste  ist  der  Sand  stellenweise 
mit  Scbilf  und  Geslrauchen  bestanden,  und  eine  Fortsetzung 
dieses  Bodens  reicht  zuerst  bis  an  das  sogenannte  Sand-Vor- 
gebirge  (Pesischany  Mys)  und   dann  auch  bis  zur  Meerenge 
von  Alexander- Bai.     Dieser  Sand  enlhalt  siifses  und  wohl* 
schmeckendes  Wasser  in  einer  Tiefe  von  etwa  5  Engl.  Fufs 
und  die  Turkmenen  und  Kirgisen  haben  diesen  Umstand  be- 
nutzt,  um  zwischen  den  Sandhligeln  einigen  Feldbau  zu  irei- 
ben.    Sie  gewinnen  daselbst  D/utara,  Mais,  Kiirbis,  Melonen 
und  ausgezeichnet  saftige  Wassermeloiien  (Arbusen),  die  nicht 
selten  40  Pfund  wiegen.     Aus  dem   Safle  derselben  bereiten 
die  Turkmenen  einen  Arbusen-Med,  der  dem  Verf.  schmack- 
bafter  schien  als  das  bei  Zaiizyn  iibliche  Getrank  derselben 
Art    Der  Sandboden,  auf  dem  dieser  Feldbau  gelingt,  besteht 
aus  dem  gewohniichen  quarzigen  Meeressand  und  aus  kleinen 
Muschelfragmenten.    Ein  ganz  ahnlicher  kommt  auch  in  dem 
Karaganer  Meerbusen  vor  und  da  auch  dort  an  dem  Strande 
kein  Mangel  an  sufsem  Wasser  ist,  so  wurde  man  daselbst 


eine  so  alberne  Weise  getauscht  habe,  vielmebr  wird  ihm  wohl  etwas 
jener  Aeasserung  ahnliclies  von  den  Rossen  in  den  Mand  gelegt 
worden  sein.  D.  Uebers. 

*)  Za  welcber  Art  diese  gehort  haben  mogen,  lawt  der  Verfasser  un- 
erwabnC.  D.  Uebera. 


Die  Halbinsel  Mangyschlak.  667 

ohne  Zweifel  dieselben  Gewachse  wie  bei  Alexander-Bai  Zie- 
hen konnen. 

Die  Expedition  verweille  zwei  Tage  auf  dem  Strande  von 
Alexander-Bai,  an  dem  Brunnen  Kuoi  Tsehinrau,  indem  sie 
sich  mil  der  Aufnahme  und  Recognoszirung  der  Umgebungen 
beschaftigten.  Der  Brminen  Kum  Tschinrau  ist  2  Sajen 
(14  Engl.  Fufs)  tief  in  den  Felsen  gebauen  und  enihalt  vor- 
freffliches  Wasser.  In  der  Nahe  desselben  slehen  an  einer 
Steile  12  Uferweiden  von  mehr  als  einer  Klafter  im  Umfang, 
und  in  etwas  grofserem  Abstande  sieht  man  noch  an  zwei 
Punkten  Baume  derselben  ArL  Sie  sind  von  dem  Vater  des 
jetzigen  Bekturla-I«an  oder  Ischan,  d.  h.  des  hochsten  Geisl- 
iichen  der  Mangysehlaker  Turkraenen  gepflanzt  worden,  dem 
die  Russischen  Fischer  den  Titel  Archierei  oder  Erzpriester 
beiiegen.  Bei  den  Kirgisen  und  Turkmenen  steht  er  ebenfalls 
in  besonderen  Ehren,  weshalb  auch  die  bei  der  Expedition 
befindlichen  Kameeltreiber  und  Fuhrer  urn  die  Eriaubniss  ba* 
ten,  zu  ihm  zum  Gebete  zu  gehen. 

Unter  den  zunachst  an  dem  Brunnen  gelegenen  Weiden 
wurde  der  Verfasser  auf  ausgebreiieten  Teppichen  und  Filz- 
decken  von  dem  Ischan  empfangen,  um  den  sich  eine  groCse 
Zahl  von  armen  Turkmenen  und  Kirgisen  befanden,  die  in 
dem  Bezirk  Alexander -^Bai  nomadisiren.  In  seiner  Kibitke 
woUte  er  aber  keine  Russen  aufnehmen  um  nicht  die  Eifer- 
sucht  der  Chiwaer  zu  erregen.  Ebenso  verhielten  sich  spaler* 
bin  viele  andere  Kirgisen.  Als  Herr  I.  dem  Ischan  vorhielt, 
dafs  die  geflissentliche  Entfernung  der  Turkmenen  von  dem 
VVege  der  Russischen  Expedition  wohl  durch  sein  (des  Ischan) 
Beispiel  veranlasst  worden  sei,  indem  auch  seine  eigene  Fa« 
milie  von  ihm  in  daslnnere  der  Steppe  geschickt  worden  sei, 
entschuldigle  er  sich  mit  den  Umstanden,  und  gab  seine 
,/eifrigste  Zuneigung^'  filr  die  Russen  dadurch  zu  erkennen, 
daCs  er  die  gesammte  Mannschaft  wahrend  ihres  zweitagigen 
Verweilens,  mit  Melonen,  Arbusen,  frischem  Fiscb  und  Schafs- 
fleisch  bewirlhete,  die  Geschenke  ^aber,  die  ihm  der  Verfasser 


568  Historisch  -lingaistisclie  Wissensrlmften. 

nach  dieser  Bewirthung  gab,  unter  die  armen  Kirgisen   und 
Turkmenen  vertheilte. 

Der  jetzige  Ischan  ist  von  inittlerem  Wuchse  und  kraflig 
gebaut,'  40  Jahr  alt  und  hat  rothliches  Haar  und  einen  voUen 
Bart  von  derselben  Farbe.  Seine  Gesichlsfaibe  ist,  bis  auf 
viele  Sommersprossen,  sehr  weiss  und  seine  gesammte  Phy- 
siognomie  mehr  Russisch  als  Turkmenisch.  Er  trug  einen 
diinneni  heilerbsenfarbenen  Chalat  aus  eineoi  von  Kamelflaum 
und  Seide  gewebten  Zeuge.  Seine  Kopfbedeckung  bestand 
in  einem  weissen  Turban  (Tschaima)*  Die  ubrigen  Turkmenen 
tragen  den  gewdhnlichen  Chiwaer  Chalat  und  hohe  cylindrische 
Mtitzen  aus  schwarzen  Schaffellen. 

In  der  Nahe  des  Meerbusen  von  Alexander- Bai  suchte 
der  Verfasser  nach  Spuren  der  Festung  Bekowilsch,  welche 
einst  daselbst  geslanden  haben  soil.   Er  fand  aber  nur  bei  der 
Bucht  Aschtschi  eine  aus  Sleinen  gelegte,  langlich  runde 
Schanze  von  20  Sajen  Lange  und  10  5ajen  Breite,  die  jelzl 
fast   ganzlich   zerfallen    war,   auch   wussten    die  Turkmenen 
von   k'einer   anderen  Befestigung   in   dieser  Gegend.     Diese 
Schanze  war  offenbar  ein  alter  Zufluchtsort  der  Piraten.    Sie 
liegt  an  einer  felsig^n  und  an  betrachtliche  Meerestiefe  granzen- 
den  Kiistenwand.    Hart  an  derselben  ist  die  See  4  F.  und  in 
dem  Abstande  von  8  5.  schon  11  F.  tief.    Nach  der  Aussage 
der  Turkmenen  geht  die  Tiefe  in  der  Bucht  Aschtschi  iiberhaupt 
bis  zu  12  und  in  der  Strafse(?)  bis  zu  3  5a;enen.    In  dieser 
Strafse  herrscht  bisweilen  eine  starke  StrfSmung  die,  wieHerr 
NikolsLji,  der  Vorsteher  des   Fischfangscomit^  in  Astrachan, 
der  mehrere  Jahre  an   dieser  Stelie  gelebt  hat,  meint,  von 
heftigen  Winden  herriihrt,  welche  bald  in  der  einen,  bald  in 
der    anderen    Richtung  .  langs    dieses    Meeresarmes    wehen. 
Durch  eben  solche  Winde  soil  sich  auch  die  starke  Strdmung 
erklaren,  die  man  in  dem  Zugange  des  Karabugas-Golfe  be- 
merkt  hat,  mit  dem  Unterschiede,  dafs  diese  letztere  weit  star- 
ker sein  muss,    weil    bei   gleicher    Breite    der  einftihrenden 
Stralsen  der  Karabugas-Golf  weit  ausgedehnter  ist^  als  die 
Bucht  Aschtschi.      Die  Menge  des  ein-  oder   ausgetriebenen 


Die  Ha1bin»el  Mangyschlak.  (Jgg 

Wassers  muss  also  b«i  diesem  leizlem  viel  betrachtlicher  sein 
als  bei  dem  ersten. 

Anstatt  der  vergeblich  gesuchlen  Beste  der  Festang  Be* 
kowitsch^  fanden  sich  in  dieser  Gegend  zwei  Hohlenwohnun- 
gen,  welche  von  (Rus^ischen?)  Einsiedlern  angelegt  worden 
waren.  Die  eine  derselben  reicht  bis  elwa  14Fufs  unter  die 
Erdoberflache  und  besleht  aus  etneoi  gegen  18  E.  F.  langen 
und  breiten  und  9  bis  10  Fufs  hohen  Ziminer,  zu  dem  man 
auf  in  den  Fels  gehauenen  Stufen  hinabsteigt.  Die  zweiie 
dieser  unterirdischen  Wohnungen  ist  kletner  als  diese«  Sie 
liegen  beide  an  dem  VVege  von  dem  Brunnen  Kum  Tscbin- 
rau  zu  der  Verschanzung  hahe  bei  den  Sanddiinen  und  haben 
auch  nach  der  Aussage  der  Turkmenen  gewissen  Einsiedlern 
als  Zufluchl  gedient 

Bei  der  Bucht  Aschischi  und  zwar  an  der  NO.-Seile 
derselben,  liegl  eine  bemerkenswerthe  Schhicht,  die  Aschtschi- 
Basch  genannt  wirdi.  Von  derBuebt  trennt  sie  ein  schwach 
welliges  und  fast  ebnes  Terrain  von  nicht  voU  2  Werst  Breite. 
Von  dieser  Flache,  an  welcher  der  hochste  Punkt  jener 
Schlucht  liegt^  reicht  dieselbe  bis  an  den  Salz-Boden  Ascbtsche- 
5ai.  Ein  an  Farbe  und  Geschmack  dem  Meerwasser  ahnli* 
ches  Wasser,  fliefst  von  dem  oberen  Ende  der  Schlucht  nach 
dem  Aschtsche '  6ai  und  ist  wahrscheinlich  nichts  weiter,  als 
ein  aus  dem  Meere  inGllrirter  Zufluss.  Die  Schlucht  ist  nach 
obtrflachlicher  Bestimmung,  nach  dem  Augenmafs,  bei  dem 
die  Piken  zur  Vergleichung  dienlen,  70  Fufs  lief.  Weilerhin 
granzt  an  den  Salzfleck  Aschtsche-Sai  eine  zweite  Schlucht, 
die  Ulu  Aschlsche  Bak  genannt  wird  und,  wie  die  Turkme- 
nen versichern,  von  den  Karatau- Bergen  ausgeht.  Der  Bo- 
den  ist  in  diesen  beiden  Schluchten  sumpfig  und  salzhallig  — 
und  schien  Merrn  I.  um  wenigslens  8  Sa/en  unler  dem  Mee- 
resspiegel  zu  liegen  *). 

*)  Es  ware  aber  wiinschenswertb  dafs  die  Strecke  von  der  Bucht 
Ascbtscbi  bis  za  dem  Ursprung  der  Scblaclit  Aschtscbi- Basch  nivel- 
lirt  and  yon  einem  kundigen  G^ognosten  untersncbt  wurde. 

Anm.  d.  Verf. 

Ermans  Russ.  Archiv.  Bd.  XI.  H.  4.  44 


570  Historiseh-lingiiittiiehe  Wistemcbaften. 

Dieser  Umsland  fiihrt  zu  der  Frage,  ob  wirklich  in   dem 
Kaspischen  Meere  und   in   der  Wolga  eine  Wasserabnahme 
staUfindet,  wie  man  es  gewdhnlich  annimmt.    Freilich  giebt 
es  in  beiden,  Steilen  wo  die  Tiefe  abnimmi,  aber  es  ist  noch 
keineswegs  ausgemacht  ob  diefs  nicht  bios  von  Sandanschivem- 
mungen  herriihrty  und  ob  nicht  anstalt  dessen  andere  Steilen 
tiefer  werden.    Ein  wahrend  der  Region  des  Zar  M.  Feodor. 
fttr  die  Holsteiner  (?)  Gesandleni  die  nachPersien  gingeti,  ge« 
bauteft  Schtff,  ging  nor  7  Fufs  tief ,  und  dennoch  beriibrle  es 
wfihrend  seiner  im  August  1636  ausgefiihrten  Fahrt  von  Ni/nei 
Nowgorod  nach  Astrachan  sehr  oft  den  Boden  und  stiefs  aui 
Sandbankenw     Das  Schiff  der  Adier  (Orel),  welches  im  Juni 
1669  von  Nowgorod  nach  Kasan  ging,  setzte  ebenfalls  auf  *). 
Jetzt  fahren  auf  derselben  Strecke  der  Wolga,  Schiffe  von  ge- 
nau  eben  so  grofsem  Tiefgang.    Was  aber  die  Wasserabnahme 
im  Kaspischen  Meer  betriA,  so  wird  man  sie  nur  dann  erst 
Hir  erwiesen  halten  diirfen,  wenn  man  in  betrachtlichem  Ab- 
stahde  von  der  Kiiste  and  von  der  Woigamiindung,  bei  einer 
Tiefe  von  3  bis  4  Sh/en,  wo  die  H^he  des  Wasserspi^els 
weniger  dureh  Ae  Winde  geiindert  wird  (?),  einen  sleinemen 
Pegel  errichtet  und  Ablesungen  an  demselben  machen  lasst 
Aile(?)  sonstigen  Wahrnehmungen  iiber  die  Abnahme 
der  H5he  des  Kaspischen  Meeres,   scbeinen  unsicher  **).  — 


*)  Vergl.Berg,  Regierang  des  Zar  Michail  Feodorowirsch  Th.  1.  S.250; 
desielben  Regierang  des  Zar  Al«|[«ei  Michailowitoish  Tb.1.  S.260. 
*'*')  Der  bocbste  Punkt  der  Landzange,  welohe  die  Bacht  Ascbtocbi  yon 
der  Scblacht  AschtBcbi  Baach  trennt,  scbeint  aogar  za  der  entgegen- 
gesetzten  Ansicbt  einer  Constanz  der  Hohe  des  Kasptschen  Meeres* 
spiegels  zu  fdhren.  Die  genanate  Seklach^  der  Saizbodea  Asehtachi- 
5ai  and  die  LandziiDge>  haben  atoh  doch  gewlsa  in  einev  seiir  ent- 
legnen  Zeit  gebildel,  soiist  wiirde  eine  entaprechende  Ueberlieierang 
Torhanden  sein,  wie  die  ober  den  eberoatigen  Laiif  des  Aran.  Die 
geringe  Hobe  der  liandzange  ober  dem  Meeresapiegel  least  nan  aber 
keine  irgend  erbebliohe  Senkung  dea  letzteren  zn.  Der  Yerfasser 
mass  aber  eine  grondlicbe  Entacheidong  einem  mit  geogaoatiscben 
Kenntnissen  ansgeriisteten  Beobachter  aberlaasen. 

Anm.  d.  Verf. 


Die  Halbinsol  Mangyiclilak.  g7| 

Wie  soil  man  sich  nun  die  Enbtehung  der  Schludil  Asehtachi* 

Basch  erklaren?    Durch  blofse  VVasserwirkung  scheint  es  nicht 

moglicb.   Will  man  aber  annehmeny  dafs  die  Laodzunge  zwi** 

scben  der  Bueht  und  der  Schlucht  durch  unlerirdiache  Krafte 

gehoben  worden  ist  —  so  konnte  durch   dieselbea  auch  die 

genannte  Oslkuste  des  Kaspischen  Meeres  bis  zu  der  Miindung 

des  alien  Oxus  oder  jeuigen  Amu-Darja  gesliegen  sein.    Die 

Chiwaer  versicherten  ausdriicklich  an  Herrn  Murawjew,  dafs 

vor  520  Jahreu  der  Lauf  des  Amu  durch  ein  Erdbebcn  ge- 

anderl  wurde  —  und,  wie  dem  auch  sein  m5ge,  so  kann  die 

doppelte  Mundung  dieses  Flusses  uamoglich  eine  Fabel  sein. 

Mali  weiss  aus  unzweifelhaflen  Quellen,  dafs  alle  Kanale  des 

Chanal  von  Chiwa,  die  vcn  dem  linken  Ufer  des  Amu  begin-* 

nen  und  nach  Weslen  und  Nord-Weslen  verlaufen,  eine  starke 

Stromung  besitzen.   Esgiebt  also  eine  natUrlicbe  Neiguog  des 

Bodens  von  jenem  linken  Ufer  gegen   das  Kaspische  Meer. 

Ferner  sind  von  dem  alien  BeUe  des  Amu  noch  Spuren  vor- 

handen  und  werden  von  den  Eingebornen  als  solche  gezeigl. 

Die  Russischen  Gefangenen,  die  10  bis  20  Jabr  in  Chitva  ge« 

lebt  baben,  sprechen  alle  von  dem  alien  Belie  dieses  Flus« 

ses,  und  Herr  Murawfew  sab  sogar  Resle  von  Wasserlalun'^ 

gen  langs  desselben.    In  der  leizlen  Zeit  ist  das  Wasser  in 

dem  gegenwarligen  Belle    des  Amu   coniinuirlicb  gestiegen, 

tiberschwemml  allmalig  die  in  der  Unlerhalfle  des  Tbales  ge« 

legnen  Sladle  Kungrad  und  Chodjeili.    DieBewohner  dersel- 

ben  werden  nach  der  Gegend,  in  der  friiher  die  Sladl  Ur- 

genlsch  an  dem  alien  Laufe  des  Amu  lag,  iibersiedell.    Diese 

Gegend  heissl  jelzt  Kunja-Urgenlsch.     Es  ist  in  ihr  neuer- 

dings  ein  befestigler  Flecken  angelegi  worden.    Nicht  weit  von 

demselben  enlspringl  aus  dem  Amu  der  Fluss  Laudan,  der  300  S. 

breit  ist  und  einen  kleineren  Ausfiuss,  der  Scharkrauk  von  60 

S.  Br.  aussendet.    Dieser  rinnt  sehr  schnell  bei  Kunja  Urgenlscb 

vorbei,  in  dem  alien  Belle  des  Amu.    Wahrend  des  Auslritt 

des  Flusses,  der  im  J.  1846  stallfand^  ergofs  sich  das  Wasser 

aus  der  zulelzt  genannten  Abzweigung  westwarts  bis  5  Tage- 

marsche,  d.b.  150  bis  200  Worst  unlerhalb  undSW.-lich  von 

44* 


ffj2  Historisch^lingQistisehe  Witsenschafteiu 

KunjaUrgenlsch  durch  jenes  alte  Flussbett.  Reicht  aber  das 
Wasser  des  Amu  bis  zui»  Kaspischen  Meere  und  kann  der 
alte  Lauf  desselben  in  einen  schiffbaren  Kanal  verwandelt 
werden?  —  dies  ist  eine  ganz  andere  Frage,  die  grundliche 
Beobachiungen  an  Ort  und  Stella  iiber  die  Niveauverhallnisse 
und  iiber  die  VVassermengen  erforderl '^). 

In  der  Schlucht  Aschlsehi  Basch  liegen,  8  Werst  von 
der  Bucht  Aschischi,  Steinsalzschichten.  Herr  I.  verfolgte 
dieselben  auf  einer  Slrecke  von  i  Wersl,  wo  sie  an  ver- 
schiedenen  Punkten  in  5  bis  7  Furs  Tiefe  und  rait  einer  Miich- 
iigkeil  von  2,3  bis  5  Fufs  sicblbar  waren.  Die  Turkmenen 
hauen   daraus    mil  Beilen   ibren  Bedarf   zuin  Einsalzen     der 

Fische.  — 

Bei  seinem  Ruckwege  wollte  der  Verfasser  einen  Plan 
der  Schlucht  Ulu-Aachtschi-Basch  au(nehmen>  seine  Begleiler 
versicherten  aber,  dafs  es  in  derselben  durchaus  kein  Wasser 
gebe   und    dafs   man    daher   dieselbe   nicht    anders   bereisen 
konne  als  indem  man   den  Bedarf  der  Menschen  und  Pferde 
in  Schlauchen  mit  sich  fiihre.    DieKarawane  besafs  nun  aber 
keine  Schlauche,  und  konnte  daher  auch  ihren  Riickweg  nqr 
durch  eine  Gegend  nehmen,  die  bei  den  Nachtlagern  Wasser 
darbote.     Die   drei  ersten   Miirsche   fiihrlen   durch  Aule   der 
Chodja-Turkmenen,  die  sich  jetzt  nicht  mehr  vor  den  Russen 
zuriickzogen.     Hire  Kibitken   waren    besonders  reinlich,   und 


*)  Soviel  man  aus  den  Erzablangen  des  Chiwaer  Cban  Abolgasi  (in 
dessen  Gescbiclite  der  Tatariscben  Stanime)  erseben  kann,  bat  der 
Amii-Darja  sein  altes,  bei  Kanja-Urgentsch  yorubergehendes  Betf, 
erst  zn  dessen  Lebzeiten,  d.  b,  nm  die  JVIitte  des  XVII.  JabrbnnderCs 
▼erlassen.  Ist  aber  diese  Angabe  ricbtig,  so  konnte  ja  wobl  jener 
Floss  seine  MUndung  periodisch  yerandem,  indem  er  bald  in  den 
Aral- See  flosse,  bald,  nacbdem  er  diesen  gefullt  bat,  in  dasKaspiscbe 
Meer.  Dieser  natiirlicbe  Lauf  des  Flusses  konnte  aber  doch  dorch 
die  Menschen,  nacb  Mafsgabe  ibrer  jedesmaligen  Vertheilung  ond 
ihrer  Mittel  in  etwas  verandert  ond  dorch  Aniage  Ton  Canaten  in 
einen,  dem  jedesmaligen  Bedorfhiss  entsprechenden >  omgewandelt 
worden  sein.  Anm.  d.  Verf. 


Die  Ualbinsel  MangyscLlak.  573 

sogar  nicht  ohne  absichUichen  Prunk.  Ihr  Inneres  ist  mil 
Teppichen  behangen  und  auf  dem  Boden  liegen  ebenfalls  Tep*- 
piche  liber  den  Pilzmalten.  Die  Koffer  und  Schlafslellen  sind 
sauber  gehalten  und  angeordnel;  das  rohe  und  geraucherte 
Fleisch  hangt  nichl^  wie  bei  den  Kirgisen^  ganz  frei,  sondern 
ist  siets  mit  reiner  Leinwand  so  vollstandig  umwickelt,  dafs 
man  nur  erraihen  kann,  was  auf  diese  Weise  bewabrt  wird. 
Mit  einein  Warte  waren  diese  Turkmenischen  Kibitken  von 
den  Kirgisischen  beinah  ebenso  sehr  unterschieden ,  wie  ein 
Gartenhaus  voA  einer  schmulzigen  Bauerhiilte.  Die  Turkme- 
nen  von  der  Ablheilung  Chodja  beschaftigen  sich  vorztiglich 
mil  der  Anfertigung  von  Teppichen.  Die  MateriaJien  zum 
Farben  werden,  wie  sie  versichern,  von  ihnen  selbst  angefer- 
iigl  und  verwendet  —  am  auffailendsten  ist  aber^  dafs  sie, 
irotz  ihres  wandemden  Lebens,  Teppiche  von  mehr  als  12  F. 
Breite  zu  Slande  bringen.  Es  fehlt  ihnen,  urn  diesen  Erzeug- 
nissen  die  hochste  Vollendung  zu  geben,  nichts  weiter,  als 
schonere  Muster  und  Instrumenle  zum  «bneren  Scheeren.  Bei 
dem  Brunnen  Burjakly  wurden  die  Reisenden  von  den  dorti- 
gen  Turkmenen  mit  gesauerter  Kamelmilch  bewirthet,  die 
sehr  reinlich  bereitet  und  ebenso  wobischmeckend  als  durst- 
loschend  war.  ' 

In  einem  Turkmenischen  Aule  bei  dem  Brunnen  I'ortu, 
prlifte  der  Verfasser  die  geriihmte  Sehkraft  der  Eingebornen. 
Er  lielis  50  5ajen  von  dem  Lager  zwischen  niedrigem  Strauch* 
werk,  eine  diinne  Kuthe  in  den  Boden  sleeken  und  setzte 
einen  Preiss  aus  fiir  denjenigen  unter  den  anwesenden  Turk- 
menen und  Kirgisen,  der  sie  zuerst  sehen  wurde.  Sie  blick- 
len  darauf  iange  und  eifrig  um  sich,  jedoch  ohne  Erfolg,  bis 
dafs  derFahndrich  Skrjabin,  der  in  Folge  seiner  Beschaftigung 
mit  topographischen  Aufnahmen  sehr  weitsichtig  geworden 
war,  zuerst  das  Zeichen  bemerkte.  Die  Kirgisen,  die  Turk- 
menen und  einige  der  Russischen  Kosaken  erkannlen  es  da- 
gegen  erst,  als  er  ihnen  die  Richtung,  in  der  sie  es  zu  suchen 
hatlen,  zeigte.  —  Ein  andres  Mai  wurde  eine  ahnliche  Rulhe 
in  einer  Mondscheinnachl  nur  lOOSchritl  von  demZelte  aus- 


574  HistorUcli'lingaistisclie  WisseiiBchaften. 

gesteckt  und  von  den  Kirgisen  suerst  in  einem  Abslande   von 
70  SchriU,  von  den  Kosaken  dagegen  bei  60  Schrill   Enlfer- 
nung  gesehn.    Es  scheint  daher,  dafs  die  Augen  dieser  No- 
maden  kaum  inerklich  besser  sind,    als  die  eines   Europaers 
der  sich  beim  Aufnehmen,  auf  der  Jagd  oder  auf  detn   Meerf 
im  Sehen  geubi  hat.     Es  ist  freilich  nichl  su  ieugnen,    dafs 
die  Kirgisen  und  Turkmenen  in  der  Steppe  ein  Schaf  ^   ein 
Kamel,  ein  Pferd,  einen  Reiter  u.-dergl.,  weil  frCiher    als  die 
Russen  bemerken  und  erkennen,  diefs  koinmt  aber  von  ibrer 
Gewohnheit  gerade  nach  diesen  in  der  Steppe  gewohnlichen 
Gegenstanden  ausvusehen,  und  dadurch  fiir  diese  ebenso  eine 
besondere   Uebung  su  besilzen,    wie   der  Seefahrer  der    ein 
Schiff,  und   der  Jager  der  ein  Wild  weit  friiher  als  Andere, 
erkennen.    Man  behauptel  auch,  dafs  der  Kirgise  ein  lebender 
Kompass  sei,  d.  h.  dafs  er  die  Richtung  nach  Norden  anxu- 
geben  wisse,  nachdem  er  mit  verbundenen  Augen  sich  wohl 
hundertmai  im  Kreise  gedreht  habe.    Zur  Priifung  der  angeb- 
lichen  Fahigkeit  wurde  einer  der  geiibteslen  Kirgisischen  Fuh- 
rer  einige  Mai  im  Kreise  gefiihrt,  nachdem  man  ihm  die  Augen 
verbunden  und  ihm  eine  Belohnung  vefsprochen  hatte,  wenn 
er  richtig  nach  den  Mond  zeigen  wUrde.      Er  schien  darauf 
lange  zu  iiberlegen  und  wahlen,  zeigte  aber  endlieh  nach  einer, 
vom  Monde  grade  abgewandten  Richlung.     Eben  dieser  Kir- 
gise hatte  doch  die  Karawane  sehr  oft  bei  Nacht  ohne  jeden 
sichlbaren  Weg  und  slets  in  der  nothigen  Richtung  gefiihrt, 
weil  ihnen  bei  diesem  Geschafl  ausser  der  Weitsichligkeit  auch 
ihr  Ortsgedachtniss,  ihre  Aufmerksamkeit  und  Ueberlegtheit  zu 
Hulfe  kommen.    Ein  Kosaken -OfGzier  der  mii  den  Kirgiseo 
als  ihr  Gefangner  gelebt  hatte,  erzahUe  dem  Verfasser^  als  ^e 
ihn  einst  in  einer  ausserst  finsteren  und  nebliclien  Winternacht 
gefiihrt   und    zuietzt  uber   die   einzuschlagende  Richtung  lu 
aweifeln  angefangen  hiiUen,  sei  einer  von  ihnen  beim  Ueber- 
gange  fiber  einen  gefrornen  Bach  vom  Pferde  gestiegen  und 
habe,  nachdem  er  das  Eis  durchbrochen,  seine  Hand  in  das 
Wasser  gesteckt  und  dadurch  sowohi  die  Richlung  der  Slro- 
auingy  als   auch   die  des  einzuschlagenden   Weges  erkannt. 


Die  HaUiinsel  Mangyiclilak.  ^         g75 

iSi'lan  erzahlle  auch  von  einem  ander^n  Kirgisen^  der  von  deiu 
Schneelicht  erblindet  war  und  dennoch  eine  Russische  Mann- 
schafl  150  W.  weit  rich(ig  gefiibrl  hatle.  Man  brauchte  ihm 
nur  Eu  sagen,  wober  der  Wind  webe(!?),  wo  sicb  irgend  ein 
Grabhiigei,  ein  Uocker  des  Bodens  eder  etwas  denoi  abnlichen 
Eeigte,  80  enUchi^d  er  sogleich  iiber  die  zu  wabiende  Rich- 
>ff       *uog.  — 

,^  B^i  dem  Brunnen  AachUchi-Basch^  drei  Tageroarsche  von 

der  Festung,  kam  die  Reisegesellscbafl  auf  den  Karawanen- 
wegy  der  von  dem  Karaganischen  Meerbusea  nach  Chiwa  fiihrt 
In  dem  Bninnen  Aschtschi-Basch  und  in  dessen  Umgegend  ist 
das  Wasser  bitter,  aber  seitwarts  von  dem  Karawaoenwege, 
in  einer  felsigen  Schlucht,  findet  sich  ein  poroses  Gestein, 
durch  welches  tropfenweise  ein  gelblich  aussehendes  aber  vor- 
treillich  schmeckendes  Wasser  fliefst.  ,,Dieses  Gestein  ist  selbst 
von  gelblicher  Farbe  und  von  schwammahnlicher  Bildung. 
Solite  es,  wie  das  Maltaer,  die  Eigeosehaft  das  Wasser  zu 
reinigen,  besitzen,  so  wird  es  gewiss  dereinst  eine  industrielle 
Wichtigkeit  erlangen.'*  — 

Nachdem  Herr  1.  bei  Alexander -Bai  die  Weidenstiiuime 
von  anderthalb  Klafler  im  Umfang  gesehen  hatte,  die  auf  dem 
Sande  nur  allein  durch  menschliche  Pflege  gewachsen  waren, 
veranlasste  er  die  Bewobner  von  Nowo-Petrowsk  daselbst 
Astrachanische  Fruchtreiser  (Astrachanskaja  losa),  Weinslocke, 
Maulbeerbaume  u.  a.  dergl.  zu  pflanzen.  Sollten  auch  die  er- 
sten  Versuche  mil  dem  Garlenbaue  bei  Mangyschlak  miss- 
gliicken,  so  kann  doch  der  endliche  Erfolg  nicht  ausbleiben, 
wenn  man  nach  und  nach  die  nothigen  Erfahrungen  uber  die 
Besonderheiten  des  dortigen  Bodens  und  Klimas  sammelt. 

Nach  seiner  am  7.  Oktober  erfolgten  Ruckkelir  nach  der 
Festung,  erfuhr  der  Verf.  durch  Nachfragen  die  der  Uralische 
Kosakenoffizier  Iskender,  ein  mit  den  Sprachen  der  Einge- 
bornen  sehr  vertrauter  und  von  ihnen  allgemein  geachteter 
Mann^  gemacht  hatte,  dafs  er  mit  Recht  an  das  Vorkommen 
von  Steinkohlen  in  dem  Karatau  geglaubt  babe.  Er  beschloss 
daher,  trots  der  vorgeriickten  Jahreszeit,  noch  eine  Uutersu- 


576  Historisch -tioguistische  Wissentchafteii. 

chungsreistf  nach  diesenr  150  Werst  enlfernlen  Gebirge  zu 
machen.  Am  10.  Oktober  begab  sich  demgemafs  die  GeseJ/- 
schaft  in  ihrer  bisherigen  Zusammensetzung  auf  ^lie  bei  dem 
Karatau  voriiberfiihrenden  Karawanenslrafse  nach  Chiwa. 

Wahrend  des  dritlen  Tagemarsches  wurden  sie  an  dem 
Brunnen  Udjiik  von  Tschabiik,  dem  reichslen  Kirgisen  der 
dorligen  Gegend  aufgenommen.  Die  Bewirthung  bestand  bus 
Kumytf,  frischem  Kiise  und  einer  eigenihudQlich  zubereitelen 
sanerlicben  Butter.  Man  verlor  indessen  die  Lust  zuiii  £ssen 
und  Trinken  durch  die  Haare,  die  sich  im  Kumys  nichi  sellen 
fanden  und  durch  die  Sliicke  von  rohem  und  gerauchertem 
Fleische,  die  hi  der  Kibitke  Uegen. 

Fiinf  Werst  hinter  dem  Brunnen  Udjiik  erblickt  man   von 
einer  hohen  Slelle  in  60  Werst,  die  Ewei  bochsten  Punkie  des 
KarataUy  die  Kara-Tscheku  und  Utman  heissen.   Das  Gebirge 
Karatau  (d.  h.  die  Schwarzen  Berge),  beginnt  mil  dem  soge- 
nannten  Karatautschik,   d.  h«  dem  kleinen  Karatau,  der  90 
Werst  von  der  Nowo-Petrower  Feslung  absteht     Es  ziehC 
sich  von  diesem  eine  ununterbrochene  Bergkeltej  die  allmah- 
lig  aufsteigt  bis  zu  dem  Berg  Kara-Tscheku,  dessen  Hohe  Herr 
I.  auf  350  Sajevk  iiber  dem  Meere  schatzt  *). 

Die  Karatau- Berge  erstrecken  sich  von  W,  nach  0.  Ihr 
Siidabhang  besteht  aus  steilfallenden  Schichten  von  Tafelschie- 
fer  und  verschieden  farbigem  Thonschiefer.  Parallel  mit  die- 
sen  Bergen  streicbt  der  Aktau,  d.  h.  die  Weissen  Berge,  so 
dafs  zwischen  beiden  Ketten  ein  Thai  von  2  bis  8  Werst  Breite 
bleibt,  welches  den  Karawanenweg  nach  Chiwa  enthalt.  Der 
Fufs  der  Aktauberge  besteht  aus  Kreide,  die  an  einzelnen 
Stellen  in  30  Sajen  machtigen  Massen  ansteht,  welche  mit 
einem  ebenso  machtigen  Schichtensysteme  von  weissem  Sand- 


*)  Der  Yerf.  fugt  hinzii:  „ich  maclite  eine  Reclinung(!)  iniUelst  des 
Messtisches  and  Proportionallinien^  —  einAusdruck  der  aus  mehre- 
ren  Grunden,  vorziiglich  aber  deshalb  keinen  Sinn  giebt,  weil  man 
mit  dem  Messtisch  keine  Uobenwinkel  messen,  oline  diese  abe'r  keine 
Bohenanterscbiede  geodatiscb  bestimmen  oder  aacb  nnr  scbatzen  kann. 

D.  Uebers. 


Die  Halbinsel  Mangjscblak,  677 

stein  bedeckt  sind.  In  dem  Tbale  findet  man  viele  Anieigen 
von  Eisenerzen.  Von  dem  Karatau  komnien  viele  Quellbache 
mit  frischem  Wasser,  welches  die  Kirgisefi  auf  ihre  mil  Wei^ 
zen,  D/ugara,  Gerste  u.  a.  besaeten  Felder  leiten.  In  dem 
Gebirge  selbst  verdoppelte  der  Veyf.,  wie  er  sagl,  seine  An- 
slrengungen  zur  Aufiindung  von  Steinkohle,  indem  er  an  ver- 
schiedenen  Slelien  den  Boden  aufwiihlle.  Er  glaubte  dann 
auch  wirklich  das  Gesuchte  gefunden  zu  haben^  denn  an  den 
Quellen  des  Flusses  D/angilda,  lag  in  einem  isoiirten  Hiigei 
eine  erdige  Schicht  die  kleine  Sliickchen  Kohle  enthieU. 

VVahrend  des  Nachiiagers  am  15.  Oktober  bei  dem  Brun- 
nen  Kerl,  fiei  eins  von  den  Pferden^  die  an  die  Kanone  ge- 
spannt  und  bis  dahin  durchaus  gesund  gewesen  waren.  Bei 
der  Besichligung  fand  man  ^^ein  gelbliches  Wasser  in  seinem 
Magen  und  in  seinem  linken  Bein(!),  das  Herz  ein  wenig 
angefault(!!)  und  die  Leber  und  Lungen  weich'*.  Nach  der 
Aussage  der  Kirgisen  war  es  von  dem  Genuss  des  sogenann- 
ten  Todeskraules  (meriwaja  trawa)  gefallen*  Niemand  wusste 
aber  dieses  Gewiichs,  welches  in  den  Thalem  des  Karatau  vor- 
kommen  soil,  zu  zeigen. 

Von  dem  Brunnen  Kert  wandten  sich  die  Reisenden  links, 
und  iiberschritten  den  Karatau  in  dem  Thale  des  Baches  5iir-5u. 
Dieses  Thai  durchscbneidet  die  Kette,  von  der  die  zweite 
Halfte  ebenfalls  naeh  0.  und  fast  auf  derselben  Linie  wie  die 
erste  slreicht.  Die  Kirgisen  versicherten  auch  dafs  sie,  ebenso 
wie  diese  lelztere,  60  Werst  lang  ist.  Wiihrend  des  Ueber- 
gangs  ijber  das  Gebirge  fand  man  die  Steinkohle  fast  an  der 
Oberflache  des  Bodens  *). 


*)  Die  Kirgisischen  Fiihrer  yersicherten  hartnackig,  dafs  itinen  Ton 
SteinkohlenyoTkommen  Nichts  bekannt  sei,  naclidem  Herr  I.  sie  ge- 
fragt  batte:  „wo  lindet  nian  bier  die  Krde  oder  den  Stein  der 
brenni?"  Als  aber  einer  von  ibnen  gesebn  hatte,  wie  er  die  zuerst 
gefundnen  Koblenstucke  nnter  seinem  Tbeetopf  verbrannten,  sagte  er 
gerade  berans:  „icb  sebe  dafs  die  Russen  Narren  sind:  denn(!) 
icb  lebe  seit  50  Jahren  bier  und  babe  nicbt  gebdrt^  dafs  es  einen 
Stein  Oder  eine  Erde  giebt  die  brennen."     Als  aber  der  Verf.  am 


g78  Hiitorudi-ltngaittiiclie  WiMenschafteB. 

Um  griindlichere  Unlersuchungen  anzustelieOi  verweille 
man  einen  Tag  lang  bei  der  Quelle  Akmysch  und  besichligle 
von  dort  aus  die  Umgegend.    Die  Kohle  in  dem  Thale  des 
5ur-Sa  fand  sich  an  vielen  Slellen  in  mehreren  Schichlen,  die 
iibereinander  und  durch  Thonsduchten  getrennt  lagen.      Die 
Kohlenschichten  selbst  sind  7  bis  42  ZoU  machlig  und  fallen 
merklich.  Zwischen  ihnen  findet  sich  slellenweis^  eine  alaun- 
hallige  Crde,  welche  die  Eingebornen  beim  Zeugfarben  ge- 
brauchen*    Wahrend  des  genannlen  Aufenlhaltes  wurde  auch 
der  senkrechte  Feisen  Tschir-Kala  untersuchl,  der  nahe  bei 
der  Quelle  Akmysch  liegL     Er  besteht  aus  Sandslein  und  hat 
eine  Werst  im  Umfang.    Es  sind  Slufen  eingehauc;n  um  ihn 
su  besteigen  und  an  seinem  Fufse  liegt  eine  aus  Stein  gebaule 
Verschanzung  -^  auf  dem  Gipfel  aber  Reste  von  Wohnttngen 
und  ein  tiefes  Loch,  welches  wahrsdieiniich  als  Brunnen  ge- 
dienl  hat.    In  einer  der  Vertiefungen^  die  man  vielleichi  als 
Keller  gebraucht,  fand  sich  ein  17  Pfund  schwerer  Hamiscb. 
Er  war  gans  verrostet  und  mag  wohl  einem  taptem  Krieger 
gehort  haben,  indem  er  an  vielen  Stellen  durchiochert  und  um 
die  Locher  offenbar  von  geronnenem   Blul(?)  so  stark  ver- 
rostet war,   dafs  man   die  nachstgelegenen  Ringe  durchaus 
nicht  reinigen  konnle.    Der  Feisen  Tschir-Kala  ist  gegen  90 
Sajen  hoch.    In  der  Nahe  desselben  finden  sich   Ruinen  aus 
gut  ausgebrannten  Ziegeln  von  10,5  Zoll  im  Quadrat  und  1,75 
ZoU  Dicke.    Sie  sind  gewiss  mil  der  in  der  Nahe  vorkom- 
menden  Sleinkohle  gebrannt  worden,  weil  das  Hob  in  der 


folgenden  Tage  ^lie  atn  ^Siir  5u  gefondene  Steinkohle  berbeibracbte 
und  mit  derselben  den  Theetopf  heizte  nnd  dasRsaen  kochte,  blickte 
derselbe  Kirgiae  lange  aaf  daa  Brennmaterial  ond  aagte  daim:  ^jetzt 
sebe  ich  dafs  wir  Duoimkopfe  aind,  denn  wir  leben  ao  Tiele  Jabre 
bier  and  wissen  nicbt,  daXa  ea  einen  Stein  giebt  der  brennt**  Er 
fragte  daraaf  ob  er  wohl  aeinen  Sobn  bei  den  Rnaaen  in  die  Lebre 
geben  konne?  Ea  ist  iibrigena  wahracbeioUch,  dafa  dieae  Leote  ihre 
Kenntnisa  aus  Furcbt  Tor  ihren,  Stammgenoaaen  yerb^rgen,  denn  ea 
giebt  in  ihrer  Spracbe  ein  Wort  fiir  Steinkohle,  welcbea  uber  ihre 
Kunde  von  dem  Minerale  keinen  Zweifel  laaat.  Anm.  d.  Verf. 


Die  UaUiiiiMl  Mangytclilak.  679 

Umgegend  spurlos  fehll.    Bei  dem  Riickwege  wurde  noch  an 
verschiedenen  Punkten  Sleiiikohle  gefunden. 

Am  18.  Oclober,  wahrend  des  Nachtlagers  am  Brunnen 
5urKuduk  fiel  ein  andres  Pferd,  welches  wahracheinlich  wie* 
der  von  dem  Todeskraut  gegessen  halle.  Bei  der  Besichti* 
gung  fand  aich  in  der  Brust  und  in  dem  rechten  Vorderbein 
desselben  gelbes  VVasser  **-  auch  waren  die  Milz  und  die 
Lungen(!)  weich. 

An  seiner  Nordseile  isl  der  Karaiau  ebenso  steii  wie  an 
der  siidlichen,  aber  anstall  des  Schiefers,  der  nur  in  den  Ba- 
chesbellen  vorkommt,  zeigt  sich  an  den  Bergabhangen  ein  ver- 
schieden  farbiger  Thon.  Parallel  mil  diesem  Theil  des  Ge-* 
birges  slreicht  ein  andrer  der,  ebenso  wie  die  siidlich  gelegne 
Ketle:  Aktau  genannt  wird,  und  mit  jener  auch  von  gleicher 
BeschaiTenheit  scheint.  In  dem  Thale  zwischen  dem  Karaiau 
und  dem  (nordlichen)  Aklau  Hegl  ein  6  Werst  breiler  Sals- 
boden. 

In  einer  Schluchl  bei  dem  Brunnen  Burla,  50  Werst  von 
Nowo^Pelrowsk,  findet  sich,  auf  der  halben  Hohe  der 
Thalwand,  eine  alaunhallige  Erde  von  gelblicher  Farbe*). 
Die  Eingebornen  gebrauchen  sie,  wie  schon  friiher  erwahnt, 
beim  Zeugfarben.  An  einer  andren  Stelle  derselben  ISchlucht 
soil  diese  alaunhallige  Erde  in  einer  Tiefe  von  6  Arschinen 
(14  E.  F.)  mil  Naphtha  gemengt  sein,  und  auf  einer  anderen 
schwarzen  Schichl  liegen.  Wegen  des  anfangenden  Winler- 
wellers  Rat  aber  der  Verfasser  diese  Oerllichkeil  nicht  naher 
untersuchl.  Am  22.  Oktober,  bei  seiner  Ankunfl  in  der  Feslung 
erhob  sich  ein  hefliger  Oslwipd,  der  15  Tage  anhielt,  auf  dem 
Kaspischen  Meere  vielen  Schaden  Ihal  und  einen  fiir  diese 


*)  In  dfm  Labowtoriain  des  Petersburger  Bergwerkscorps  hat  man  den 
Alaungehalt  dieser  Krde  nicht  bestatigt  gefunden,  wohl  aber  darch 
eine  in  der  Orenbnrger  Apotheke  gemachte  Analyse.  Dies  geschah 
wabrschetnlich  dordi  eine  Verwechselnng  der  Erde  aus  der  Schlacht 
Baria  mit  den  ahnlich  aossehenden,  Ton  anderen  Punkten  des  Kara- 
iau. Anm.  d.  VerC 


g80  Historiseh-lingnistisebe  Wissenscliaften. 

Gegend  ungewohnlich  fruhen  Winter  bedingle.    Iiu  Ailgetuei- 
nen  ist  hier  der  Wind   von   entscheidendem  Einfluss  auf   die 
Witterung,    indem  mii  Oesllichem  iind  Nordostlichem  Kalle, 
mil  Siidlichen,   Sudosilichem     und    Sudvvestiichem    dagegen 
warmes  Welter,  Regen  und  Nebel  eintreten.    Die  starksten 
Hilzen  ereigneten  sich  gegen  Ende  Juli.   Sie  betrugen  bei  der 
Festung  36®R.  (!).     An  niedrigen  und  sandigen  Slellen   war 
aber  die  Temperalur  noch  weit  hoher  *).    Im  Laufe  des  Som- 
niers  halle  man  bei  Nowo-Petrowsk  dreimal  Regen  und  eini- 
gemai  NebeL     Die  Eingebornen  erklarten    aber  auch  dieses 
Welter  fiir  ungewohnlihh  Irocken. 

Auf  dem  Wege  zumKaralau  ttaf  man  iiberall  auf  noma- 
dische  Niederlassungen  der  Kirgisen  vom  Adajewer  Stamme. 
Sie  nahren  ihr  Vieh  fast  nur  mil  Wiermuth:  nur  selten  kom- 
men  mit  demselben   auch   das  Pfriemkraut  und  einige  andere 
(die  sogenannten  Ibelek  und  Ar/anik)  vor.   Von  Thieren  kommen 
dort  vor:  Wolfe,  gewohnliche Fiichse,  fSi^or«ak  (Canis  Kor«ak), 
wilde  Pferde,  Antiloepn,  wilde  Ziegen  (Kehe?),  wilde  Schafe, 
wildeKatzen,  Hasen,  Springhasen;  Schneehiihner,  Moven,  Rei- 
her  (Zapli),   Rothe  Ganse,  Enten,  Schwane  (von  denen  sich 
ebenso  wie   von  den  iibrigen  Zugvogeln  besonders  viele   im 
Herbst  einstellen,   bei  ihrem  Zug  von   dem   Uralfluss  gegen 
Suden),  Schnepfen,  Trappen  und  wilde  Tauben,  Eidechsen, 
Charaaleone,   Schildkrolen,  Schlangen,  Skorpione,  Taranteln 
(deren  Biss  aber  nicht  t5dtlich  ist,  sondem  nur  eine  brennende 
Geschwulst  erregt,  die  man  durch  Einreibung  mit  lAlzoi  ver- 
treibt).  —   Im  Meere  findet  man  nahe  an  der  Kiiste  Robben, 
Store,  Hausen,  Delphine,  Sc^hipy  (eine  Storarl),  Elsen  (ciupea 
alosa),  Karpfen  u.  a. 

Die  Russen  fischen  dort  meislens  mit  Haken  in  der  Tiefe 
von  2  bis  3  5ajen  —  vi^elche  ohne  Koder  aber  moglichsl 
scharf  sind  (?).    In  grofseren  Tiefen  werden  kleine  Fische  aJs 


*)  Es  ist  kaum  zu  bezweifeln ,  dafs  diese  Beobachtungen  in  der  Sonne 
angesteilt  und  dalicr  ganz  werthlos  sind. 

D.  Uebers. 


Die  Halbinsel  Mangyschlak.  681 

Kodcr  gebrauchh  Die  Robben  werden  rnit  Stocken  geschla- 
gen,  indem  man  sich,  wenn.sie  auf  dem  Ufer  liegen,  heran* 
schleicht  und  zwar  von  unter  dem  Winde^  weil  sie  sehr  fein 
wittern.  Die  Insel  Kuiala  war  fruher  zum  Robbensehlag  be* 
senders  geeignet  —  sie  werden  nber  jelzl  auch  auf  dieser 
viel  sellener. 

Der  Handel  mil  den  Eingebornen  wiirde  sowohl  fiir  die 
Russen,  wie  fiir  die  Eingebornen  vortheilhaft  werden;  wenn 
man  ihn  auf  reelle  Weise  und  mit  Berucksichtigung  der  ort- 
lichen  Bediirfnisse  fiihrle.  Von  Russischer  Seite  waren  ein- 
zufiihren:  Korn,  gegerbte  Haule,  versehiedne  Zeuge,  holzerne 
Gefiifse  und  eiserne  Geralhe,  so  wie  auch  fiir  die  Turkmenen 
im  Besonderen:  scharfe  Messer  und  Scheeren,  Koffer,  Nah« 
nadein,  Kamme,  Spiegel,  Tabacke  u.  s.  w.  Von  den  Einge- 
bornen wiirde  man  dagegen  erhallen:  versehiedne  Felle,  Zic 
gen-  und  Kamel*Flaum,  Wolle  und  Talg,  auch  wiirden  die 
Turkmenen  noch  ausserdem  liefern:  grobes  Tuch,  Teppiche 
und  feines  Kameltuch,  auch  ware  es  zur  Belebung  des  Han- 
dels  noch  besonders  geeignet  lebendige  Schafe  von  den  Ein- 
gebornen zu  kaufeuy  und  dieselben  auf  den  Dampfschiffen 
nach  Aslrachan  und  nach  Biriulschaja  Ko«a  zu  schicken.  Diese 
Punkte  werden  in  einem  Tage  erreicht  und  man  braucht  da- 
her  auf  den  SchifTen  kein  (?)  Heu  und  kein  Wasser  fiir  das 
Vieh  milzunehmen.  Auf  den  Wunsch  eines  Russischen  Kauf-< 
mann,  unlerhandelle  Herr  1.  mil  den  Kirgisen  iiber  die  Liefe- 
rung  von  Mangyschlaker  Vieh,  nach  der  Kahnykower-Festung 
am  Ural,  wo  gewohnlich  der  Handel  mit  Schafen  gefiihrt 
wird.  Man  gebraucht  vier  Hirlen  und  einen  Fiihrer,  um  4000 
Schafe  von  Mangyschlak  nach  den  genannten  Punkt  zu  trei- 
ben  und  sie  forderten  als  Lohn  fur  jeden  Hirten  6  Tsehetwert 
Roggenmehl  und  fiir  den  Fiihrer  12  Tsehetwert;  ausserdem 
aber  fur  alle,  zum  Gebrauch  wahrend  der  Reise,  1  Tsehetwert 
Waitzenmehl  —  so  dafs  fur  1000  Schafe  34  Tsehetwert  Rog- 
genmehl und  1  Tsehetwert  Wailzenmehl  zu  bezahlen  waren, 
d.  h.  ein  mafsiger  Preis,  wenn  nicht  dabei  der  Verlust  von  2 
bis  3  Monaten,  die  zum  Treiben  gehoren,  der  Verlusl  an  Fett 


632  Historiich-liiigiiMtiscbe  WiMeiischaften. 

den  eine  Reise  von  fasl  900  Werst  vernrsacht,  die  Einbufse 
an  Schafen,  die  dutch  Ermiiduiig  und  durch  die  Naehstellun- 
gen  der  Wolfe  erfolgt  und  das  Risico  su  beachten  waren^  dafs 
die  ganze  Heerde  von  Freibeutern  (sogenannten  Barantow* 
Uchik's)  genommen  wird.  Es  ist  daher  nicht  zu  bezweifelny 
dafs  die  Kaufleule  lieber  I  oder^  1  /^  Rubel  mehr  fiir  jedes 
Schaf  bezablen  werden,  wenn  mm  es  ihnen  direkt  nach  Astra- 
chan  liefert. 

Es  sleht  auch  zu  erv^arlen,  dafs  der  MiUel*Asiatische  Han- 
del und  der  mit  Afghanistan  und  dem  Oestlichen  Persien,  auf 
dem  geradeslen  Wege  uber  Chiwa,  Nowo-Petrovvsk,  Aslra- 
chan  und  langs  der  Wolga  naeh  Nijnei-Nowgorod  vor  sich 
gehen  wiirde.  Fiir  den  VVaarentransport  von  Chiwa  nach 
Orenburg  bezahlt  man  jeizt  2,5  bis  3,5  Rub*  Assign,  vom  Pude, 
und  ebenso  viel  fiir  den  weiteren  Transport  bis  Ni/nei-Now- 
gorody  so  dafs  die  Lieferung  von  Chiwa  bis  Nijuei^-Novi^gorod 
dber  Orenburg  fiir  5  bis  6  Rubel  Assign,  vom  Pude  erfblgt 
Ueber  Nowo-Petrov^sk  ist  sie  bei  weitem  wohlfeiler.  Im  vo- 
rigen  Sommer  bezahlte  man  von  Chiwa  bis  Nowo-Petrowsk 
und  zuriiek  etwa  30  Kopeken  Silber  oder  nahe  1  Rubel  Ass. 
vom  Pude.  Von  Nowo-Petrowsk  bis  Astrachan,  wegen  der 
gegenwartigen  Quarantaine-Mafsregein,  welche  die  Fraehlkos* 
ten  verdoppelt  und  einen  Mehraufwand  von  einem  ganzen  Mo* 
nat  herbeigefiihrt  haben,  kosiet  der  Transport  eines  Pudes 
gleichfalls  1  Rb.  Ass.  —  von  dort  bis  Nijnei-Nowgorod  kann 
aber  derselbe  nicht  voll  1  Rb.  Ass.  betragen  *)  und  es  erhebt 
sich  demnach  die  Frachl  von  Chiwa  bis  Ni/nei-Nowgorod  auf 
dem  neuen  Wege,  selbst  bei  der  jelzigen  Einrichtung  der 
Quarantaine,  auf  nicht  voll  3  Rb.  Ass.^  und  nach  Abanderung 
derselben  auf  nicht  mehr  als  2,5  Rb.  A.     Werden  aber  ein- 

')  Man  nimmt  hier  das  arithmet.  Mittel  aas  ^n  Preisen  inr  den  Trans- 
port Yon  Nowo-Petrowsk  nacb  Nijnei  and  fur  den  in  umgekehrter 
Richtang  stattfindenden.  Die  Fracht  yon  Astrachan  nach  Ni;nei  betrSgt 
]>5  R.  A.  ¥om  Pud  und  bisweilen  noch  etwas  mehr,  die  Rnckiracht 
zwischen  denselben  Orten  dagegen  nur  0,5  bis  0,3  R.  A.  und  biBWei- 
len  noch  weniger.  A.  d.  V. 


Die  Halbinsel  Mangyschlak.  683 

m 

mal  die  Frachlpreise  ermafsigt,  der  Handel  vor  Gefahren  ge- 
schijtzt  und  die  Dampfschifffahrt  mehr  verslarkl,  so  wird  sich 
der  Kaspische  Handel  oline  Zweifel  belrachtlich  enlwickeln. 
In  dem  ersten  Jahre  nach  der  Griindung  von  Nowo-Petrowsk, 
gingen  durch  diesen  Ort  schon  1500  Kamele  und  es  ist  be- 
merkenswerth  9  dafs  die  Mahomedanischen  Pilger  aus  Millel- 
Asien  gewohnlich  iiber  denselben  nach  ihrer  Heimalh  zuriick- 
kehren.  DieHinreise  nachMekka  machen  sie  gewohnlich  mit 
Karawanen  uber  Meschged^  Teheran  und  Bagdad.  Bei  der 
Riickkehr  von  Mekka  gehen  sie  aber  xuerst  nach  Alexandrien 
und  von  dort  iiber  Conslanlinopel,  Odessa  oder  Taganrog 
nach  Aslrachan,  Mangyschlak  und  Chiwa.  Im  vergangenen 
Sommer  kamen  40  solcher  Pilger  Uber  Astrachan  nach  Chiwa  *). 
^  Nowo-Petrowsk  verliefs  der  Verf.  am  4.  November  auf 
dem  Dampfschiff  Kama^  welches  seine  lelzte  Reise  vor  dem 
nachsten  Schluss  der  Schifffahrl  machte.  In  den  Wolgamiin- 
dung^n  war  das  Wasser  durch  Oslwinde  so  stark  geschwol- 
len,  dafs  es  auf  den  seichtesten  Sandbanken,  auf  denen  man 
oft  nur  2  F.  Tiefe  findet,  mehr  als  8  F.  hoch  stand.  Das  ge- 
nannte  Dampfschiff  welches  6  Fufs  tief  gehty  erreichte  daher 
Astrachan  ohne  Aufenthalt  am  6.  November. 


*)  El  handelt  tich  alio  nm  eine  Frequenz  die  lelbst  in  der  ddesten  Ge- 
gend  ron  Raropa  nicht  erwahnt  werden  worde,  and  fon  deren  com- 
menieller  Wicfatigkeit  wokl  auch  nicbt  die  Rede  lein  kann. 

D.  Uebers. 


Erinnerung  an  die  Kisten. 


Mm  Anfang  des  Jahres  1848  herrschte  ein  sehr  strMger  Win- 
ter  hn  Cauea^us.     Unaufhorliche    Schneestiirme    fiilllen    alle 
Schluchten  an  der  Ar^giia  und  am  oberen  Argun   mil  Lavi- 
nen;  die  Communtcalion  unter  den  Einwohnern  dieser  obne- 
hin  so  schwer  zuganglichen  Orle  war  fast  ganziich  abgeschnif- 
tea;    einige  Monate   lang   horte    roan   nur   das  Brausen    des 
Windes,  das  dumpfe  Rauschen  der  von  den  EisschoUen  hafb 
gefesselten  Wasserfalle,  und  dann  und  wann  das  Geheul  irgend 
eines  hungrigen  Wolfes.     Einen  traurigen  Anblick  gewahrlen 
die  Wipfel   der  Fichlen,    welche   bin   und   wieder   aus    deo 
Schneemauern  hervorraglen.     Die  aus  furchtbarer  Hohe  von 
steilen  Felsen  herabgesturzten  Lavinen    bildelen  slelienweise 
feste  Gewolbe  iiber  den  Belleh  der  Fliisse.     Siatt  der  Dorfer 
sah    man    nur    die   Spilzen    der   vom    Rauche   gescbwarzten 
Thiirme.     Es  erforderle  grofse  Enlschlossenheit  und  viel  Ge- 
wohnung  an  Bergreisen,  um  in  solcher  Jahreszeil  einen  Zug 
iiber  das  Hauptgebirg  zu  wagen. 

Es  war  Marz.  Die  Schneeklumpen  auf  den  Wegen  be- 
gannen  sich  zu  senken  und  die  Wanderung  wurde  jetzt  noch 
miihseliger;  denn  bei  jedem  SchriKe  versanken  die  Lcute  bis 
an  denGiirtel;  dieAugen  litten  durch  den  unglaublichen Glanz 
der,  auf  diesem  endlosen  Schneemeere  zitlernden  Sonnen- 
sirahlen;  das  sleile  Aufsteigen  und  die  sehr  diinne  Bergluft 
versetzten  den  Athem;  Fiifse  und  Hande,  ermiidet  vomKampfe 
mil  den  dichten  Schneemasscn,  versaglen  den  Dienst. 


Erinnerang  an  die  Kisteii.  6^5 

Ich  verliefs  das  vom  frischen  Griin  seiner  GSrten  um- 
gebene  Tifli«  mit  ganzen  Haufen  Eingeborner,  weicbe  den 
kommenden  Friihling  frohUch  singend  begriifsleny  und  sehiug 
die  Richtung  nach  Tioneta  eiDy  von  wo  ich  durch  Chevturien 
und  Scliatil  nach  Wladikawkas  reisen  solite. 

Man  muss  einen  ahnlichen  Marsch  versuchen,  urn  von 
den  uDglaublichen  Beschwerden  und  Gefahren  eine  Vorstel- 
lung  zu  erhalten,  mit  welchen  wir  zu  kampfen  batten,  als 
wir  durch  die  Schlucht  der  Aragwa  bis  zum  Dorfe  Cbacho* 
mat  wanderlen,  welches  am  Aufgang  zum  Hauptgebirge  liegt 
An  einigen  Stellen  bildele  der  Schnee  zu  beiden  Seiten  der 
Schlucht  lothrecht  abgeschniltene  Felsen,  und  es  gab  keinen 
anderen  Pfad,  als  durch  das  mit  ungeheuern  Steinen  angefiillte 
Betle  desFlusses,  der  brausend  keine  Wellen»  sondern  game 
Massen  Schaum  dahinroUte.  Wir  fassten  einander  j)ei  den 
Handen  und  stiitzlen  uns  auf  Stabe  mit  spitzen  £nden.  Stel* 
lenweise  bildete  der  Schnee  Bogenwolbungen  iib^r  dem  Flussc^ 
eine  Art  lebendiger  Briicken,  die  wir  passiren  mussten --* 
bei  jedem  Schrilte  bebte  die  ganze  mehrere  Klafter  hohe 
Wolbung,  und  drohte,  uns  in  das  wiithende  Wasser  hinab-^ 
stiirzen  %n  lassen.  Von  sechs  Uhr  Morgens  bis  zur  Abend* 
dantmerung  wanderlen  wir  eine  Strecke  von  nur  zehn  Werst 
und  erreichten  mit  genauer  Noth  den  Ort  Chachmat 

Nach  einem  solchen  Marsche  kiimmert  man  sich  wenig 
daruii),  ob  das  Nachtlager  mehr  od^r  minder  bequem  sei.  In 
der  uns  angewiesenen  chevturischen  ^akla  waren  Kiihe,  Schafe^ 
ein  Pferd,  und  Kinder  von  jedem  Wuchse;  das  AUes  larmte, 
briillte,  blockte,  plarrte  durcheinander;  Haufen  von  Dtinger, 
Kothpfiiizeny  gerliucherte  Schinken  von  Hammeln  und  Hirschen^ 
und  Kriige  mit  aliem  Kase  bildeten  den  nicht-lebenden  Inhalt 
der  Erdhiilte,  und  statt  der  Luft  athmete  man  den  Raudi, 
welcher  nirgends  einen  Ausgang  fand  und  zu  heftigem  Niesen 
reizte.  Dehnoch  verging  keine  Slunde,  als  ich,  ohne  auch 
nur  nieine  Fussbekleidung  abgelegt  zu  haben,  in  liefen  Schlaf 
versunken  war. 

Am  Morgen  klarle   das  Weller  sich  auf,  das   am  Abend 

Brmans  Russ.  Archiv.  Bd.  XI.  H.  4.  45 


ggg  HistorUch  -  lingiiistische  WisBenschaften. 

vorher  Irubc  gewescn;  der   ganz    reine    bfauc  Mimmel   har- 
tnonii'te  wunderbar   mit    dein  iveissen  Schnee,    welcher    die 
ganze  Gegend  iiberdeckte.     Es  war  sieben  Uhr,   als  wir  un- 
seren  Marsch   wieder  antraten.     Der  Aufsteig   begann.      Mit 
Verdruss  werfe  ich  die  Feder  hin,  deim  meine  Sprache  isl   zu 
arm,  um  das  wiederziigeben,  was  wir  jetzt  sahen  und  erfuh- 
ren.     Die  allertrcueste  Besclireibung  wurde  unwahrscheinlich 
und  iiberlrieben   erscheinen;   und  wirklich  isi  es  schwer   zu 
glauben,  dass  ein  Mensch  solche  Beschwerden  erlragen  kann, 
besonders  Einer,   der  im  Steppenlande  geboren  ist.     Indem 
wir  einander  Schrill  furSchritt  h^Ifen  und  unaufhorlich  bis  an 
den  Giirlel  im  Schnee  versanken,  konnlen- wir,  trotz  Schau- 
feln  und  unsaglicher  Arbeit  der  Chachmater,  kaum  um  vier  * 
Nacbmiltags  den  Gipfei  des  Passes  Welkelil  erreichen,   des 
niedrigslen   aller  Passe  iiber  das  Hauplgebirge.     Es  war 
schoD  ganz  finster,   als  wir  Schatil  erreichten.     Jelzt  trennte 
uns  von  Wladikawkas  ein  Raum,  der  nicht  so  viele  pbysisehe 
Hemmnisse  darbot,  und  gleichwol  noch  schwieriger  und  ge* 
(ahrlicber  war,  als  der  Zug  bis  Schatil.    Dort  hallen  wir  nur 
mit  beschwerlichem  Wege  zu  kampfen;   hier  aber  kam  eine 
Gefahr  anderer  Art  hinzu:  der  Weg  fiihrte  durch  einige  uns 
(den  Russen)  nicht  huldigende  Kisten*Ddrfer,  dann  durch  die 
Gemeinden  der  Gamgai,  die  Schlucht  Gumasch  und  die  Ebene 
Tantscli,  wo  Inguschen  wohnen.     Diese,  Ton   den  russischen 
Befestigungen  enlfernten  Orte  geslatten  den  Rotten  benachbar- 
ter  Stiimme,  die  pliindernd  und  Gefangene  abfiihrend  eindrin- 
gen,  nur  ailzufreien  Zugang.     Wir  aber  dachten:  „dem  Kiih- 
nen  hilft  das  Gliick,"  und   brachen    auf,   begleitet   von  drei 
Chev«uren,  die  des   VVeges   sehr  kundig  und  von  erprobter 
Tapferkeit    waren.     Die  Schatiier,    als  nahe   Nachbam  der 
Kisten,  leben  in  Freundschaft  mit  ihneh  und  sprechcn  ihre 
Sprache;  bisweilen  kommt  es  sogar  zur  Vermischung  darch 
Heirathen.   Auf  diese  freundschaftlichen  Verhallnisse  verliefsen 
wir  uns  am  meislen.     Anfangs  ging  der  Weg  das  linke  (Jfer 
des  Argun  entlang;  aber  weiter  ab  wird  die  Schlucht  von  ab- 
schussigen  Felsen  dergestalt  eingeengt,  dass  man  sie  erst  an 


.J 


Kriniieinng  an  die  Kisten.  587 

der  Slelle  passiren  kann,  wo  der  Bach  Milcho  hineinCaill; 
darum  hat  man  sich  inehr  links  zu  halien,  unci  ersleigl  so  eine 
Hochflache  auf  welcher  das  ersle  Kistendorf  D/arego  liegl; 
Mreilefhin  isi  der  Niedersleig  in  die,  von  sechs  Dorfern  der 
Gemeinde  Mitcho  eingenommene  SchluchU  Zu  unserer  Be- 
friedigung  schien  es,  als  wiiren  die  Einwohner  ausgewauderl; 
ringsum  herrschte  eine  Stille,  die  nur  das  Brausen  des  slro- 
inenden  geschmolsenen  Schnees  unterbrach;  bisweilen  erschie* 
nen  einzelne  Manner  mil  gezogenem  Rohre,  Weiber  mil  Rei- 
serbundeln  auf  dem  Rticken,  oder  junge  Hirten,  die  einige 
Schafe  und  Kahe  dem  Strome  zulrieben.  Nicht  mehr  als 
sechs  Werst  hallen  wir  uns  von  dem  letzten  Chevjvuren-Dorfe 
entfernt,  und  wie  merklich  verschieden  zeigte  sich  schon  die 
Oertlichkeit,  die  Anordnung  der  Hauser,  Physiognomic,  Cos- 
turn,  Waffen  und  Sitten  der  Bewohner!  In  Chevstirien  war 
das  Gebirg  ganz  Felsmasse,  splirlich  nul  Fichtenwald  bewach- 
sen,  den  eine  Schneedecke  verhiilUe;  hier  war  es  weit  niedri- 
ger,  nicht  felsig,  und  fast  ganz  ohne  Wald;  die  Dorfer  waren 
weniger  gedrlingt,  die  Hauser  denen  in  Chey^urien  zwar  ahn- 
lich,  aber  von  weil  besserem  Bau;  runde  Thiirme  erhoben 
sich  an  den  Ecken  jedes  Dorfes. 

Die  Kislen  sprechen  die  tschetschenzische  Sprache,  mil 
einigen  Abweichungen  in  der  Aussprache;  sie  kleiden  sich 
Ischerkessisch,  mil  Palronen  auf  der  Brusl ;  ihre  weissen  Hem- 
den  sind  den  unsrigen  ahnlich  genahl,  und  haben  Kragen,  die 
von  vorn  mil  schmalem  Zwirnband  zugebunden  werden.  Die 
Knopfe  an  ihrer  Kleidung  sind  einfarbig,  aus  dickem  Tuche. 
Auf  dem  Kopfe  Iragen  sie  die  runde  Ischerkessische  Miilze; 
an  den  FiiCsen  eine  Art  Tschewjak's,  mil  fein  geflochlenen 
Riemchen  slall  der  Sohle.  Ihre  BewaflTnung  ist:  ein  ge«oge- 
nes  Rohr  in  (ilzenem  Ueberzuge;  ein  Dolch  von  ungemeiner 
Grofse  in  einem  Gurtel  aus  Riemen,  der  slraff  zusammenge- 
zogen  isl  und  die  diinne  Taille  schon  zeichnel;  endlich  ein 
Pislol.  Der  Schaschka  (des  Tscherkessensabels)  bedienen 
sich  nur  die  Wohlhabenderen. 

Pferde   giebt  es  hier  nur  wenige;  dafiir  sind  die  Kislen 

45* 


690  HistoriBch^linguiitisclie  Wissentebaften. 

Doifern  der  Galgai's.   ,Die  ganze  Landslrecke  bis  dahin,   wo 
der  Fiufts  eine  nordliche  Wendung  ins  Gebiel  der  Galaaehen 
niniint,  bielet  eine  Reihe  nicht  holier,  mil  kleinein  Gesrtriipp 
bedeckter  Hiigel:  im  Ganzen  ist  die  Oertlichkeit  sehr  male- 
rischy    iiberaus  verschieden   von   den   vorher   zuriickgelegleii 
wild-einfonnigen  Schluchten  iind    von   den  Wohnsilzen   der 
Galaseheni  wo  die  Ufer  felsig  und  abtchussig  sind  und  keine 
soiche  Fruchlbarkeii  zeigen.    Die  Galaschen  nnterscheiden  sicli 
in  nichls  von  den  ubrigetiKislen;  sie  miissen  nur  wohlhaben- 
der  sein  als  ihre  Nachbarn.     Eine  auffallende  Rcinlichkeil  in 
der  Kleidung,  die  Arbeit  an  den  Waffen  und  die  haufig  uns 
begegnenden  Reiter  waren  ebenso  viele  Anzeigen,  dass  die 
Eingebornen  der  (russischen)  Regierung  unlerwiirfig  sind,  und 
aus  ihrem  fruchtbaren  Boden  und  der  nichl  grofsen  Enlfemun^ 
der  Stadi  Wladikawkas ,  wo  sie  ihre  Erzeugnisse  verkaufen, 
Nulzen  zu  ziehen  wissen.    Die  Weiber  sehen  viel  besser  aus, 
kleiden  sicb  reinlicher,  und  weileifern   mit  den  Tscherkessin- 
nan  in  der  Kunsi,.  ihre  Hemden  und  Archaluch*s  mit  gemus- 
terteu  Borten  von  eigner  Arbeit  zu  schmiicken. 

Als  wir  durch  die  Scblucht  zogen,  nahlen  wir  sehr  ge- 
fabrlichen  Orten,  wo  Rauber  zu  hausen  pflegen»  und  ergriffen 
desbalb  jede  Mafsregel  der  Vorsicht;  es  war  aber  uberfliissig: 
wir  gelangten  wohlbehalten  durch  einea  dichten,  den  ganzen 
Hohenzug  am  linken  Ufer  der  Assa  iiberdeckenden  Wald,  ob- 
wol  uns  dies  unglaubliche  Anslrengungen  koslele;  denn  die 
haufigen  Regengusse  hatten  aJle  Pfadb.  fast  ungangbar  ge- 
macht,  und  die  Fiifse  versanken  in  dem  lehmigen  Kolh  bis 
an  die  Kniee.  Am  Abend  erreichten  wir  eine  Anhohe,  von 
welcher  aus  man  die  ganze  gewaUige  Ebene  zwischen  den 
Fliissen  Terek  und  Kuban  und  die  Ausdehnung  des  Haupt* 
gebirges  vom  Kasbek  bis  zum  Elborus  iibersehen  konnle.  Die 
von  Inguschen  bewohnle  Ebene  Tar  glich  eher  einem  Theile 
irgend  eines  Sleppen-GouvernemenlSy  als  der  Niederlassung 
eines  caucasischen  Stanimes:  die  holzernen  Hiiuser  mil  ibren 
StrohJachern  und  Plankenzaunen,  die  hier  und  dort  weiden- 
den  Heerden  konnlen  einem  auf  den  Gedanken  bringen,  man 


Krinnerung  an  die  Kisten.  69[ 

ii,  ziehe  durch  ein  Land  mit  ganz  friedlicher  Bevfilkerung;  aber 
ii  bei  jeder  Heerd«  lagen  bewaffnete  Hirlen;  an  den  Eingangen 
s^  der  Dorfer  standen  Wachen,  welche  in  der  ganzen  Gegend 
t  misstrauische  Blicke  iimherwarfen,  und  kein  Bewohner  ver- 
^  liefs  sein  Haus  unbewaffnel.  Es  uberraschte  mich  auf  dieser 
,  Ebene  die  unzahlbare  Menge  Graber  mit  hineingestecktcn 
H  Fl^hnchen  von  allerlei  Farben:  diese  Graber  bargen  erschla- 
,       gene  Kanipfer. 

^  Wir  konnlen  die  Feslung  Wladikawkas  vor  Einbruch  der 

I  Nacht  niehl  erreichen.  Hier  bescbaute  man  lange  unser  Costiim, 
das  uns  zerlumplen  Baiguschen  *)  oder  enllaufenen  Gefange- 
nen  ahnlieh  m<ichle,  und  noch  langer  hatte  man  Miihe  zu 
glauben,  dass  wir  mit  einem  Convoi  von  nur  drei  Eingelior- 
nen  durch  so  gefahrliche  Gegenden  gewandert  seien. 

(Kawkas.) 

•)  So   hcisscn    in  Tacliefschnja   obrlaclilose  Arme,    die   Von    Raub   und 
Diehstalii  leben. 


Verbesserungen  •  zum  elften  Bande. 


S.  343  Z.  13  ▼.  a.  statt  CbolS-sate-nl-chalise  ties  ChuU^at  nl- 

chalt«e. 
S.  421  Z.  18  ¥.  0.  atatt  wir  lies  wie? 
S.  421  Z.  25  T.  o.  sUtt  Yerfallt  lies  Terfallt. 
S.  423  Z.  9  V.  o.  statt  des  ersten  ?  setze  ! 
S.  424  Z.  13  T.  o.  statt  nimmt  lies  nehmt. 
S.  426  Z.  1  V.  o,  staU  China  lies  C henna  oder  Henna. 
S.  430  Z.  13  ¥.  n.  statt  salam-melik  lies  salam-aleik  (Heil  ciir!) 
S.  440  Z.  18  T.  o.  lies  salam  aleiknm  (Heil  euch!) 


Drnck  Yon  Georg  Reimer. 


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